Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vom Kammergericht Berlin am 10. April verkündete Mykonos-Urteil ist - das sehe ich genauso - mutig und verdient allen Respekt. Ich weise insbesondere die iranischen Vorwürfe gegenüber dem Gericht, den Richtern und selbstverständlich auch den Bundesanwälten, das heißt die Angriffe, die in den letzten beiden Tagen vorgetragen wurden, zurück.
Wir sind ein Rechtsstaat, und wir sind stolz darauf. Ich möchte wegen aller möglichen Gerüchte, die entstanden sind, deutlich und klar sagen - ich bin froh, daß die Bundesanwälte das selber im Prozeß gesagt haben -: Es gab keinerlei Einwirkungen irgendwelcher Art auf die Justiz.
Im übrigen sind wir das erste und einzige Land, das einen solchen Prozeß durchgeführt hat, und zwar bis zum Ende. Es gibt drei andere Länder, in denen die prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind - in allen möglichen Richtungen. Daß wir ein Rechtsstaat sind und was für ein Rechtsstaat wir sind, zeigt, daß wir dieses Verfahren bis zum Ende unbeeinflußt durchgeführt haben.
Die Achtung vor der Entscheidung des Kammergerichts drückt sich in den Erklärungen aus, die die Bundesregierung und die Europäische Union am Tag der Urteilsverkündung veröffentlicht haben. Darüber hinaus haben wir mit dem Rückruf des deutschen Botschafters aus Teheran zur Berichterstattung sowie mit der Ausweisung von vier iranischen Diplomaten noch am gleichen Tag deutlich und klar reagiert. Das war nicht nur „Pingpong", Herr Kollege Tippach.
Unsere europäischen Partner haben - mit Ausnahme Griechenlands - ihre Solidarität mit Deutschland und seiner Justiz durch den gleichzeitigen Rückruf ihrer Missionschefs aus Teheran unter Beweis gestellt. Dafür danke ich ihnen. Ich danke auch
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
Australien; ich danke Kanada und Neuseeland, die sich dem europäischen Schritt angeschlossen haben.
Ausgehend von den Feststellungen des Kammergerichts Berlin erkläre ich für die Bundesregierung, daß die Beteiligung staatlicher iranischer Stellen an dem Anschlag einen inakzeptablen, eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. Die Bundesregierung kann und wird ein derartiges Vorgehen im Bereich der internationalen Beziehungen nicht hinnehmen. Als Konsequenz daraus haben wir gegenüber unseren Partnern nachdrücklich darauf gedrungen und auch durchgesetzt, den „kritischen Dialog" auszusetzen, den die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union 1992 unter britischer Präsidentschaft in Edinburgh beschlossen haben.
Wenn es die Zeit zulassen würde, würde ich zum „kritischen Dialog" gerne ein bißchen mehr sagen. Alle, die sich jetzt vorstellen, man könne als Bundesrepublik Deutschland einfach aussteigen und sich aus diesem Konsens verabschieden, hätten bei den letzten zwei Außenministertagungen vor dem Mykonos-Urteil dabeisein sollen! Ich will deutlich und klar sagen: Wie gut es war, daß wir nicht ausgeschert sind, hat sich in der Solidarität gezeigt, die wir jetzt erwarten durften, bekommen haben und die für meine Begriffe außerordentlich wichtig war und bleibt.
Die Bundesregierung hat ihre Haltung wenige Stunden nach der Urteilsverkündung der iranischen Seite auch auf diplomatischer Ebene zur Kenntnis gebracht und deutlich gemacht, daß wir nach einem so elementaren Verstoß gegen das Völkerrecht nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Außenminister der Europäischen Union werden sich auf meinen Vorschlag hin auf dem Allgemeinen Rat am 29. April in Brüssel eingehend mit der Frage beschäftigen, wie sich die EU ihre künftigen Beziehungen zum Iran vorstellt und gestalten will. Ich habe bereits erklärt - und dabei bleibt es -: Wir brauchen eine Neubewertungspolitik gegenüber dem Iran. Wir legen besonderen Wert darauf, daß wir uns auch bei der Neubewertung dieser Politik im Konsens mit unseren europäischen Partnern bewegen.
Die Öffentlichkeit in Deutschland und in Europa ist zu Recht über die Feststellungen im Urteil empört. Gleichzeitig liegt es aber in unserem Interesse - so ist es auch bei unseren europäischen Partnern -, daß die Lage nicht weiter eskaliert. Ich denke dabei insbesondere an die Sicherheit der Deutschen im Iran - übrigens auch an die Sicherheit meiner Botschaftsangehörigen. Der Iran hat mehrfach zugesagt, daß die Sicherheit der Deutschen gewährleistet ist. Da nehmen wir die iranische Regierung beim Wort.
Wir wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Gesprächsfaden nicht voll abreißen lassen - vor allem, weil wir klare Forderungen an den Iran haben. Dazu gehört selbstverständlich die Einhaltung der Menschenrechte. Wir werden auch in Zukunft gegenüber dem Iran auf der Sicherheit für Salman Rushdie und Gerechtigkeit für den iranischen Schriftsteller Sarkuhi bestehen, über dessen Schicksal wir im Augenblick leider zuwenig wissen. Wir haben uns aber vor und nach dem Urteil um Aufklärung bemüht und werden uns weiter bemühen.
Wir setzen uns weiterhin für die religiösen Minderheiten ein, insbesondere für die Religionsgemeinschaft der Bahai. Wir werden auch künftig auf eine Änderung der Haltung des Iran zum Friedensprozeß im Nahen Osten hinwirken. Wie wichtig das ist, hat die Zusammenkunft der europäischen Außenminister bei der Barcelona-II-Konferenz vor zwei Tagen in Malta wieder deutlich gezeigt.
Wir werden gegenüber dem Iran darauf bestehen, daß seine sämtlichen Aktivitäten, die darauf gerichtet sind, im Ausland lebende iranische Oppositionelle zu verfolgen und deren Leib und Leben zu gefährden, beendet werden. Die Vorwürfe gegen die Bundesregierung in dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen in diesem Zusammenhang sind
- erlauben Sie mir bitte, das zu sagen - abwegig.
Wenn es so einfach wäre, Herr Kollege Fischer, wie Sie es dargestellt haben, dann allerdings hätten wir vielleicht ein paar Fehler gemacht. Aber so einfach ist es nicht. Es ist nur gut, daß Sie in der Opposition sitzen und keine Regierungsverantwortung tragen. Sie würden, so wie Sie heute aufgetreten sind, die Beziehungen zu einigen Ländern nicht wiedergutmachbar in den Keller fahren.
Ich will, weil wir im Auswärtigen Ausschuß eine sehr ruhige und sachorientierte Debatte geführt haben, noch einmal darauf zu sprechen kommen. Es wird immer wieder behauptet: Die Bundesregierung hat das alles vorher gewußt und hätte doch längst entsprechend handeln können. - Ich habe im Auswärtigen Ausschuß - Herr Kollege Fischer, wenn Sie in diesem Gremium Mitglied wären, wüßten Sie das - in den letzten Jahren zu diesem Thema unzählige Male vorgetragen. Wir wußten immer relativ genau über den aggressiven Fundamentalismus, über die Menschenrechtsverletzungen und viele Einzelaktionen des Iran Bescheid. Ich muß Ihnen aber entgegenhalten: Das, was die berühmte Quelle C im MykonosProzeß ausgesagt hat, ist uns in dieser Präzision erst während des Prozesses - auf den wir nun wahrlich nicht einwirken konnten und wollten - bekannt geworden. Deshalb ist es absurd, den Vorwurf zu erheben, wir hätten früher handeln können. Ich möchte wissen, wie. Ich warte sowieso darauf, daß bessere Vorschläge gemacht werden. Die Vorschläge, die Sie, Herr Kollege Tippach, gemacht haben, waren
Bundesminister Dr. Klaus Kinkel
auch nicht neu. Darüber haben wir im Auswärtigen Ausschuß unzählige Male gesprochen.
Meine Damen und Herren, wenn man über dieses Thema spricht, muß man in Betracht ziehen, daß das deutsche und das iranische Volk durch eine hundertjährige Tradition guter Beziehungen miteinander verbunden sind; das muß man sagen dürfen. - Ich spreche vom iranischen Volk. -
Eine große Zahl von Iranern hat in Deutschland studiert und umgekehrt. Viele von ihnen haben heute Führungspositionen inne und stehen uns sehr nahe. Es gab außerordentlich enge universitäre Beziehungen. Auch dies sollten wir bei der zukünftigen Gestaltung der Beziehungen zum Iran berücksichtigen.
Ich sage mit allem Nachdruck und wissend, was geschehen ist: Was in vielen Jahren aufgebaut wurde, sollte auch in Zeiten schwersten Sturms - und diese haben wir im Augenblick - nicht ohne Not völlig eingerissen werden.
Gerade auch mit Blick auf diejenigen, die nicht hinter dem Regime in Teheran stehen, muß im Iran der beharrliche Versuch fortgesetzt werden, Verbesserungen im iranischen Verhalten auf den Gebieten zu erreichen, die Anlaß zu Sorge und Kritik geben.
Wenn man über die Gespräche und all das, was in den letzten Jahren geschehen ist, spricht, muß man zugute halten, daß wir einige, wenn auch nicht ausreichende Ergebnisse - das habe ich immer eingeräumt: in sämtlichen Gremien, auch im Deutschen Bundestag - erzielen konnten.
Es war deutschen Bemühungen zu verdanken, daß der Iran das Chemiewaffenübereinkommen angenommen hat. Es war deutschen Bemühungen zu verdanken, daß der Iran der Verlängerung des Nichtverbreitungsvertrages zugestimmt hat. Es war deutschen Bemühungen mit zu verdanken
- Herr Fischer, ich weiß, Sie wissen das besser; Sie sind sehr intensiv mit der Außenpolitik befaßt -, daß die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde wieder eingesetzt hat. Es konnte durch uns erfolgreich zwischen Hisbollah und Israel vermittelt werden.
Viele, die uns angeklagt haben und mit unserem Verhalten gegenüber dem Iran nicht zufrieden waren, auch sehr große Länder dieser Erde, haben sich merkwürdigerweise immer an die Bundesregierung gewandt, wenn es Probleme gab. Das ist auch etwas, was ich über „den Teich hinweg" immer deutlich und klar gesagt habe. Wenn man konsequent wäre, sollte man uns nicht auf der einen Seite anklagen, weil wir diese Beziehungen zu Iran haben, sie aber auf der anderen Seite in Anspruch nehmen, und zwar in vielfältiger Weise, wenn man Probleme hat. Das zeigt doch nur, daß man durch Gespräche weiter kommt, als wenn man jemanden gesprächslos in die Ecke stellt.