Rede von
Joseph
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Urteil des Berliner Kammergerichts war sehr mutig und sehr offen und hat die Dinge präzise benannt. Das Berliner Kammergericht, die Bundesanwälte und die Anwälte der Nebenkläger verdienen dafür unseren Respekt und unseren Dank.
Sie verdienen auch unsere Solidarität und den rückhaltlosen Schutz durch den Rechtsstaat, den sie leider brauchen.
Diese Richter haben keine Angst vor Diktatoren gehabt. Sie haben eine klare Sprache gesprochen. Sie haben das iranische Sonderkomitee, in dem die Spitzen des iranischen Staates versammelt sind, als ursächlich verantwortlich für den Mordbefehl, der vier Menschen im Berliner Lokal „Mykonos" das Leben gekostet hat, benannt. Sie haben damit Rechtsgeschichte geschrieben; sie haben allerdings auch ein außenpolitisches Faktum gesetzt.
Daß es dazu kommen mußte, auch darüber müssen wir heute reden. Die Außenpolitik ist das Privileg der Regierung, nicht der Judikative. Es ist die Frage zu stellen, ob unsere Regierung mit all ihren geheimen Diensten nicht schon wesentlich länger über die ursächlichen Zusammenhänge zwischen Auftraggebern und Mordanschlag Bescheid wußte und warum sie dann nicht aus der ihr eigenen gebotenen Kompetenz heraus gehandelt hat.
Wir stehen heute in einer politischen Debatte. Diese politische Debatte muß klar feststellen: Die Politik des kritischen Dialoges ist definitiv gescheitert, sie ist nicht suspendiert und nicht ausgesetzt, sondern gescheitert. Es ist auch festzustellen - da sollten Sie sich, Herr Bundesaußenminister, nicht hinter Europa verstecken -: Diese Politik des kritischen Dialogs ist in ihrer Konzeption wesentlich von Deutschland konzipiert, entwickelt und getragen worden.
-Es ist nicht falsch. Das zeigt auch Ihre Entscheidung im Zusammenhang mit dem kritischen Dialog China/ Tibet, jetzt Ihre Entscheidung - wir werden es gleich im Anschluß daran diskutieren -, sich nicht an einer Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China auf UN-Ebene zu beteiligen. Meine Aussage ist nicht falsch. Sie identifizieren sich politisch nachdrücklich mit dieser Position. Auch darüber wird heute zu reden sein.
Herr Kollege Seiters hat Ihnen ja eine Maulschelle nach der anderen auf seine freundliche Art unter dem Beifall der Koalitionsfraktionen verteilt und die Bedingungen für eine Wiederaufnahme der Beziehungen auf einer Ebene, wo man von Beziehungen reden kann, genannt. Ich habe da sehr sorgfältig zugehört.
Wenn man eine Bilanz des kritischen Dialogs zieht, muß man doch feststellen: Sie haben eine Stärkung der Mullah-Diktatur durch die Aufrechterhaltung und Ausdehnung der Wirtschaftsbeziehungen erreicht. Sie haben nicht zur Demokratisierung und zu einer stärkeren Beachtung der Menschenrechte beigetragen. Nach wie vor ist es so, daß es im Iran zu schwersten Menschenrechtsverletzungen gegenüber Oppositionellen und gegenüber angeblich religiös Abtrünnigen wie den Bahai, gegenüber Frauen und gegenüber kritischen Schriftstellern kommt, daß Oppositionelle im Ausland ermordet werden und daß die Todesdrohung gegen Rushdie nicht aufgehoben wurde, sondern im Gegenteil durch eine Erhöhung des Lösegelds scheinbar privater religiöser Stiftungen noch verstärkt wurde.
Sie wissen so gut wie ich, daß der Iran einer der wichtigsten Unterstützer des Terrors gegenüber Israel ist. Sie wissen, daß er mit Waffen die Hisbollah im Libanon unterstützt, Sie wissen, daß der Dschihad von ihm unterstützt wird, und Sie wissen, daß der Iran alles tut, um sich in den Besitz von chemischen, biologischen und vor allen Dingen Atomwaffen zu bringen. Gestern mußten wir wieder in der deutschen Presse lesen, daß der begründete Verdacht existiert, daß für all diese Aktivitäten, sich ABC-Waffen und andere Rüstungsgüter illegal zu verschaffen, Deutschland eine zentrale Drehscheibe sei. Wir kön-
Joseph Fischer
nen nicht überprüfen, inwieweit das zutrifft, Herr Bundesaußenminister, aber ich möchte hier von Ihnen eine klare Antwort haben, inwieweit im Wirtschaftsministerium solche Berichte bekannt und solche Erkenntnisse vorhanden sind. Dies ist eine deprimierende Bilanz des kritischen Dialogs.
Wenn wir vom Scheitern in einer zentralen außenpolitischen Frage sprechen, dann müssen wir auch über die Verantwortung sprechen; dann können wir nicht dazu schweigen, daß Sie, Herr Bundesaußenminister, sich persönlich mit dieser Politik des kritischen Dialogs identifiziert haben. Ich darf Sie nur an die Islam-Konferenz erinnern, bei der Sie sich selbst an den Rande eines Rücktrittes gebracht haben. In dem Zusammenhang hatten Sie zum erstenmal seit Jahren in der Koalition keine Mehrheit mehr, weil Ihnen die eigenen Abgeordneten in großer Zahl die Gefolgschaft verweigert hatten.
Ich darf Sie daran erinnern, daß Herr Schmidbauer, der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Herrn Fallahian, den Geheimdienstchef des Iran, noch drei Wochen vor Beginn des Mykonos-Prozesses als Staatsgast hier empfangen hat. Ich darf Sie an Ihre guten Kontakte zu Herrn Welajati erinnern. Die Bundesanwaltschaft prüft jetzt, ob gegen ihn ein Haftbefehl wegen der Mykonos-Morde ausgestellt werden soll.
Ich frage Sie, Herr Kinkel: Wenn Sie die Presse gelesen haben, in der Ihnen von Blättern konservativen Zuschnitts vorgeworfen wurde, jahrelang eine Politik des Weichspülens gegenüber der Mullah-Diktatur im Iran betrieben zu haben, und Ihnen eine Politik des Opportunismus, mit der jetzt hoffentlich Schluß ist, vorgeworfen wurde, wann eigentlich kommt der Punkt, an dem von Ihnen die Verantwortung für ein solches politisches Versagen persönlich übernommen wird?
Wir halten Herrn Schmidbauer für besonders entlassungsreif. Wir wissen, das wird nicht kommen. Wir halten Sie für rücktrittsreif. Wir glauben nicht, daß es ohne eine personelle Erneuerung zu einem Neuanfang und zu einer neuen Politik kommen wird. Man identifiziert Sie zu sehr mit dieser völlig gescheiterten Politik.
Deswegen haben wir Ihnen hier einen Antrag vorgelegt, in dem wir die Punkte benennen, die die Voraussetzung dafür sind, daß die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Iran auf neuer Grundlage wieder entwickelt werden können. Wir gehen davon aus, daß die Beziehungen zum Iran so lange, bis diese Punkte realisiert sind - es gibt unsererseits in wesentlichen Punkten ein hohes Maß an Übereinstimmung mit dem, was Kollege Seiters vorgetragen hat -, auf das äußerst Notwendige eingefroren werden und daß die Wirtschaftsbeziehungen nicht mehr auf der Grundlage neu zu gewährender Kredite oder der Befürchtung, daß Rückzahlungen scheitern könnten, fortgeführt werden.
Wir gehen weiter davon aus, daß Sie in der Europäischen Gemeinschaft eine Politik der Reduzierung der Kontakte zum Iran auf ein Minimum - dies wollen wir aufrechterhalten - durchsetzen, daß Sie jegliche geheimdienstliche Zusammenarbeit unterbinden, daß Sie in der Bundesrepublik Deutschland alle Aktivitäten des Irans oder von Personen, die dem Iran im Zusammenhang mit illegalen Waffenbeschaffungsmaßnahmen und ähnlichem zuarbeiten, unterbinden und daß Sie als Bundesregierung endlich eine Politik verwirklichen, die die Durchsetzung der Menschenrechte nicht als einen Punkt unter anderen gegenüber solchen Diktaturen festschreibt, sondern die die konkreten Beziehungen - auch auf wirtschaftlicher Ebene - daran knüpft, daß es bei der Demokratisierung und der Durchsetzung von Menschenrechten substantielle Fortschritte gibt.