Rede von
Dr.
Hansjürgen
Doss
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
In dem Augenblick, in dem Sie damit aufhören, hochverehrte Frau Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen! Meine Herren! Die Rede von Frau Kaspereit war wohltuend. Sie hat eine ganze Reihe von bedenkenswerten Anregungen enthalten. Wir müssen uns bei dem, was wir tun müssen, um Konkurse zu vermeiden, auch über das Wesentliche unterhalten, und über dieses Wesentliche sind wir uns noch nicht einig.
Ich hoffe, daß diese Debatte dazu beiträgt, daß wir das Wesentliche besser und deutlicher erkennen. Insbesondere die beeindruckende Rede meines Freundes Hartmut Schauerte hat dazu beigetragen.
Das war eine gute Rede, es war eine differenzierende Rede, es war eine lebendige Rede, es war eine freie Rede. - Ich habe jetzt leider ein Konzept dabei. - Er ist eben ein guter Mann, von denen wir bei uns sehr viele haben. Das muß ich einmal sagen, damit niemand glaubt, das sei ein Geheimnis.
Herr Schwanhold, wenn ich Sie sehe, denke ich immer an jemanden, der in erster Linie dazwischenredet. Das schärft nicht Ihr Profil, sondern es macht nur einen unangenehmen Eindruck. Das ist zumindest mein subjektiver Eindruck. Frau Fuchs, wenn Sie auch noch dabei sind, ist das ein Duett, das den Redner eher belastet, als daß es zu einem Gedankenaustausch beiträgt. Das mußte ich Ihnen doch einmal sagen.
Zurück zu unserem Thema. Wir sind uns hier im Hause über eine ganze Reihe von Dingen einig. Konkurse bedeuten schmerzhafte Verluste. Das ist überhaupt keine Frage; das ist unstreitig. Es geht Wirtschaftskraft verloren, und es gehen Arbeitsplätze verloren. Jeder Unternehmer - auch daran sollte man denken -, insbesondere der mittelständische Unternehmer, der einen Konkurs erleidet, verliert dabei sehr oft auch seine persönliche Existenz. Er muß die Kinder von der Schule nehmen, sein Haus verkaufen. Er haftet mit allem für das, wofür er verantwortlich ist
- für den Betrieb, für die Arbeitsplätze usw.
Auf der anderen Seite ist auch in der, wie ich wiederholen will, differenzierenden Rede von Hartmut Schauerte deutlich geworden
- wie beim Thema Blockade: Immer dann, wenn es Ihnen weh tut, fangen Sie an zu schreien, wie die kleinen Kinder -, daß es Neugründungen von Betrieben gibt. Eine gewisse Fluktuation - das hat unser Wirtschaftsminister dargelegt - ist Teil einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Das ist einfach unvermeidbar.
Allerdings sind die Zahlen, die wir zur Zeit haben, nicht hinnehmbar. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD die Zahlen für das Jahr 1994 genannt: Es gab 493 000 Neugründungen und 372 000 Stillegungen, von denen 5 Prozent Insolvenzen waren. Der Gründungssaldo war nach wie vor positiv. Das festzustellen gehört zur Wahrheit.
- Es tröstet nicht. Wir müssen doch ein paar Fakten, die unbestreitbar sind, zur Kenntnis nehmen, selbst wenn sie Ihnen nicht passen.
Die Prognose der Vereine Creditreform sagt für 1997 einen neuen Rekord voraus - das heißt also, Handlungszwang ist gegeben nämlich 35 000 Insolvenzen, davon allein 29 000 Unternehmensinsolvenzen.
Ich meine, das hat doch Ursachen. Einige hat Frau Kaspereit genannt. Diejenigen, die sie genannt hat, sind wichtig, aber sie sind nicht die zentralen Themen. Die zentralen Themen sind: Steuern, kommunale Abgaben, Bürokratielasten, Lohnzusatzkosten, tarifliche und gesetzliche Sonderlasten und auch kurze Arbeitszeiten.
Arbeitszeiten sind Betriebskosten. Wer das nicht zur Kenntnis nimmt, der tut es entweder aus Unwissenheit oder aus Bösartigkeit nicht. Eine Untersuchung der Deutschen Ausgleichsbank aus dem Jahre 1995 nennt als Hauptgrund für die Insolvenzen Finanzierungsmängel. Das hat wiederum zwei Hauptgründe, nämlich Eigenkapitalmangel - das wurde bei 56,8 Prozent der Fälle angegeben - und zu hohe
Hansjürgen Doss
Lohnnebenkosten, die bei 48,5 Prozent der Fälle ausschlaggebend waren. Das haben die Vereine Creditreform in ihrem letzten Gutachten geschrieben. Das heißt: Die Finanzprobleme stehen ganz im Vordergrund.
Hohe Vorleistungen, schleppende Zahlungseingänge oder gar Forderungsausfälle - leider auch bei Forderungen gegen die öffentliche Hand; da haben Sie völlig recht - bringen mittelständische Unternehmen zusätzlich in große Liquiditätsprobleme, insbesondere in der Bauwirtschaft, die kostenintensiv ist. Wenn dort eine Zahlung ausbleibt, kann ein Betrieb, der eigentlich gesund ist, auf der Strecke bleiben, weil die Liquidität fehlt. Wir müssen also alles tun, um die augenblickliche Gewinnsituation zu verbessern.
Der mit der Bürokratie verbundene Aufwand ist unzumutbar. Ein Mittelständler muß im Jahr rund 7000 DM pro Arbeitsplatz an Kosten aufbringen, der Großunternehmer nur 300 Mark. Das heißt: Ein Viertel des jährlichen Investitionsvolumens im Mittelstand geht allein durch die Bürokratie verloren.
Die Arbeitszeit ist eher zu kurz als zu lang. Das Schädliche an jenem Vorschlag, von dem ich meinte, er würde in Deutschland ein homerisches Gelächter auslösen, ist, daß damit die notwendige Diskussion, die wir in Richtung der Verlängerung der Arbeitszeit zu führen haben, ein Stück weit blockiert wird.
Wenn Zwickels These zuträfe, daß kurze Arbeitszeiten Vollbeschäftigung bringen, müßten wir diese auch haben. Wir haben nämlich unter vergleichbaren Industrieländern die weltweit kürzeste Arbeitszeit. In Deutschland sind es pro Jahr 1602 Stunden, in Großbritannien 1762 Stunden und in Schweden 1800 Stunden. Wir haben also die kürzeste Arbeitszeit. Wir müßten Arbeitskräfte sogar zu uns holen, wenn seine These richtig wäre. Was er vorgeschlägt, ist absurd.
Die Lohnzusatzkosten müssen sinken; das wissen wir. Neben den tariflichen sind auch die politischen gefragt. Es bewegt sich hierbei kaum etwas. Ich wundere mich, daß dieser Reformprozeß, den wir als Bundesregierung, als Koalitionsfraktionen voranbringen, an den Tarifparteien völlig vorbeigeht. Ich meine, sie müßten sich endlich bewegen und Kosten einsparen.
Es sind nicht in erster Linie die versicherungsfremden Leistungen, die diese Kostendynamik auslösen, sondern die Kosten an sich. Das Umbetten von Kosten bedeutet keine Entlastung. Es ist nur das Rausnehmen aus der einen Tasche, um es in die andere Tasche reinzustecken. Das kann man am Beispiel eines Unternehmers verdeutlichen. Der bilanziert und stellt fest: Was hast du an Ausgaben? Was bleibt am Ende übrig? So banal ist das. Das ist im Prinzip einfaches Rechnen - noch nicht mal höhere Mathematik - mit Einnahmen und Ausgaben. In welcher Form ich das Geld ausgebe, ist am Ende egal: weg ist weg. Deswegen ist die Umfinanzierung, die Sie uns vorschlagen, der falsche Weg.
Als Beispiel möchte ich die Kostensteigerung der Krankenversicherung im Westen von 1995 auf 1996 nennen. Im ersten Halbjahr sind Massagen um 11 Prozent, Kuren um 5 Prozent, Zahnersatz um 10 Prozent und Arzneien um 11 Prozent gestiegen. 1991 hatte die GKV Ausgaben in Höhe von 173 Milliarden DM, 1995 in Höhe von 228 Milliarden DM. Das ist eine Ausgabensteigerung von 32 Prozent in vier Jahren. Diese Kostensteigerung bedeutet eine Erhöhung der Lohnzusatzkosten. Deswegen ist es richtig, was der Bundeswirtschaftsminister gesagt hat: Wir haben Arbeit genug - allerdings keine bezahlbare.
Die Steuerlast der Unternehmen muß sinken. Das gilt zum Beispiel für die Gewerbekapitalsteuer, über die der Bundesrat am 25. April verhandeln wird.
Nun bringe ich ein Zitat, Frau Präsidentin:
Das ist ja eine Substanzsteuer, die die ostdeutschen Unternehmen trifft. Und das in einer Situation permanenter Kapitalschwäche. Es werden Unternehmen steuerpflichtig werden, die zum Teil rote Zahlen schreiben. Eine absurde Situation.
Das sagte Rolf Schwanitz, Leiter der Querschnittsgruppe „Deutsche Einheit" der SPD-Bundestagsfraktion in der „Lausitzer Rundschau" vom 14. Dezember 1996.
Wenn Sie von der SPD mit uns gemeinsam die besonders hohe Insolvenzsteigerung in den neuen Bundesländern beklagen, dann schaffen Sie diese Steuer doch bitte auch mit uns gemeinsam ab.
Das wäre eine große Entlastung für die neuen Länder, das Beste, was wir ihnen bieten können.
Ich komme zur Einkommensteuer. Für über 90 Prozent der Mittelständler ist die Einkommensteuer eine Unternehmensteuer, weil diese Mittelständler Einzelfirmen oder Personengesellschaften sind. Auch da muß der Spitzensteuersatz sinken, und zwar mit Signalwirkung: auf 35 Prozent bzw. 39 Prozent. Möglichst gering sollte der Abstand zwischen dem gewerblichen Spitzensteuersatz und dem normalen Spitzensteuersatz sein.
Hier von privatem Spitzensteuersatz zu sprechen halte ich für höchst problematisch. Dahinter verbergen sich nämlich unter anderem 564 000 selbständige Freiberufler, die kein im steuerrechtlichen Sinne gewerbliches Einkommen haben, in ihren Praxen, Kanzleien und Büros aber sehr wohl Arbeitgeber sind. Das gilt für 1466 000 Mitarbeiter plus 170 000 Lehrlinge. Das heißt, auch hierauf muß unser Augenmerk gerichtet werden. Deswegen danke ich noch einmal für die differenzierte Ausführung von Frau Kaspereit. Ich habe solche bei Sozialdemokraten sonst nicht gehört.
Statt dessen grassiert das Märchen, daß die Gewinne der Unternehmen in Deutschland explodieren. Es gibt keine amtliche Statistik über Gewinne in Deutschland. Herr Bundeswirtschaftsminister, die herzliche Bitte: Eine solche muß her. Sie ist unverzichtbar. Ich habe eine entsprechende Anfrage gestellt, die beantwortet wurde. Wir brauchen eine solche Statistik. Wir haben so viele überflüssige Statisti-
Hansjürgen Doss
ken; aber für Gewinne der Unternehmen in Deutschland gibt es keine.
Es gibt lediglich eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die als Restgröße die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ausweist. Dabei weiß jeder Sachkundige, daß darin zum Beispiel auch die Zinsen aus dem Sparbuch eines Rentners und die Mieteinnahmen aus privaten Haushalten enthalten sind. Zum Teil sind diese Gewinne auch Gewinne der Großindustrie - das muß man sehen -, die die Bilanz dramatisch schönen.
Ich habe gehört - ich hoffe, daß diese Zahl stimmt -, daß BASF 82 Prozent ihrer Gewinne im Auslandsgeschäft macht und nur 18 Prozent im Inland. Insofern werden die Konkurse ein Stück erklärbar und sind auch vor dem Hintergrund der wirklich tollen Zahlen, die wir immer hören, verständlich.
Ein großer Teil geht auch auf die Erfolge der großen Geldinstitute zurück. Deren Konjunktur ist ja eine ganz andere als die des mittelständischen Betriebes; sie verläuft eher gegensätzlich.
Meine Damen, meine Herren, die Zahlen müssen also seriöser werden. Es muß darüber hinaus deutlich werden, wie die Entwicklung verläuft: Wenn man von einem niedrigen Niveau, beispielsweise von minus 10 Prozent, ausgeht und dann ein Wachstum von 8 Prozent verzeichnet, verbleibt immer noch ein Minus von 2 Prozent. Wir müssen diese Zahlen versachlichen. Die "Süddeutsche Zeitung" meldet, daß auf 100 DM Umsatz durchschnittlich 2,20 DM Gewinn kommen. Das sind um Himmels willen keine explosionsartigen Steigerungen.
Konkret: Wie setzt sich eine Handwerkerstunde - zum Beispiel die eines Tischlers - zusammen: 69,60 DM werden in Rechnung gestellt. Davon sind 29,93 DM betriebliche Gemeinkosten, 20,18 DM Stundenlohn, 18,10 DM gesetzliche und tarifliche Lohnzusatzkosten. Somit verbleibt ein Unternehmergewinn von 1,39 DM. Von diesem „explosionsartigen" Gewinn muß der Tischlermeister anschließend leben, investieren und Risikovorsorge betreiben. Das sind die „Besserverdiener"!
Schlußfolgerung: Angesichts dieser Situation müßte jetzt zügig und konsequent umgesetzt werden, was die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat.
- Kommt doch jetzt. Sehen Sie: Ich erfülle alle Ihre Erwartungen.
Die Steuerbelastung muß gesenkt werden - die SPD verweigert sich. Die Sozialsysteme müssen reformiert werden - die SPD verweigert sich.
Wir brauchen einen neuen Gründungsboom. Das ist auch ein psychologisches Problem: Wenn man Selbständige als sogenannte Besserverdiener diskriminiert, sie aus der Gesellschaft herausdrängt, hat keiner Lust, das zu machen.
Auch da ist die SPD voll dabei: die Entreicherung der Besserverdiener als Lösung unserer Probleme.
Statt sich an dem Gemeinschaftswerk, das wir vorhaben, zu beteiligen, die Wirtschaft in Deutschland wieder attraktiver zu machen und damit Arbeitsplätze zu schaffen, verweigert sich die SPD.
- Das war das vierte Mal.
Statt dessen stellt sie einen Antrag auf Errichtung eines Konkursvermeidungsfonds, nach dem Motto: Der Steuerzahler wird's schon richten. In ihrem Antrag verweist die SPD selbst darauf, daß die Bundesländer so etwas schon haben, allerdings in einem bescheideneren Rahmen. Wir müssen in dieser Frage auf die EG achten. Dieser Vorschlag kann nicht die Lösung in großem Stil bringen. Im übrigen machen es, wie gesagt, die Bundesländer zum Teil schon so.
Eine gemeinsame Position, die wir aus dem Ansteigen der Zahl der Konkurse ableiten sollten, ist also: Die Gewerbesteuer wird abgeschafft. Die Einkommensteuer wird gesenkt. Die Lohnzusatzkosten werden reduziert und nicht umfinanziert. Die Bürokratie wird zurückgedrängt. Die Vorschläge, die Frau Kaspereit vorgetragen hat, sind ebenfalls bedenkenswert. Aber auch für sie gilt: Der Teufel steckt im Detail.
Also, was ist zu tun? - Sie ziehen Ihren Antrag zurück, wir schicken einen interfraktionellen Antrag auf den Weg und nennen diesen „Programm für Wachstum und Beschäftigung". Die Inhalte haben wir schon vorgelegt. Sie brauchen nur zuzustimmen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.