Rede von
Werner
Schulz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist ein Land der Rekorde: Wir halten den Spitzenplatz im Export, wir haben pro Kopf den höchsten Bierkonsum, wir sind die Schnellsten auf der Autobahn. Jetzt kommt allerdings ein trauriger Rekord dazu: Wir sind Pleiten-Europameister geworden.
Wenn ich die „ap"-Meldung von heute richtig verstehe, Herr Schauerte, dann geht es hier nicht um eine allgemeine Tendenz und um Erscheinungen, die Sie überall und jederzeit in der Marktwirtschaft feststellen können. Nein, wir haben in Deutschland den Nachkriegsrekord bei der Pleitenwelle erreicht. Würden Sie nicht gerade so heißen, dann müßte ich Ihnen wirklich sagen: Mir schauerte bei Ihrer Rede.
Angesichts der dramatischen Firmenzusammenbrüche, angesichts der Schäden, die entstehen, angesichts der Arbeitslosigkeit, die damit verbunden ist, muß ich sagen: Die Ankündigungspolitik dieser Regierung und dieser Regierungskoalition, die Beschwichtigungsrhetorik, von der Sie hier ein Kapitel vorgestellt haben, diese Mischung aus Fehlanalyse und Wirtschaftswunderglaube und all die Ankündigungen, die bisher zu nichts geführt haben, werden der Dramatik dieser Situation überhaupt nicht gerecht.
Im Grunde genommen sind die Schwachpunkte seit langem bekannt. Es sind die unzureichenden Marktinformationen, die manche dieser kleinen und mittelständischen Firmen haben. Es sind auch Fragen der Absatzschwächen und der Absatzförderung. Es ist eine unzulängliche wirtschaftsnahe Forschungsstruktur, und es fehlt an Kapital, vor allem an Eigenkapital. Es gibt vor allem keinen funktionieren- den Risiko- und Beteiligungskapitalmarkt.
Werner Schulz
Das ist der Bundesregierung schon seit langem bekannt. Sie weisen zwar mit Recht darauf hin, daß die Große Anfrage der SPD aus dem Frühjahr 1995 stammt. Aber Ihre Antwort stammt ebenfalls aus dem Jahr 1995. Seit anderthalb Jahren wissen Sie Bescheid und sagen - ich zitiere aus Ihrer Antwort auf diese Große Anfrage der SPD -:
Ein verbesserter Zugang von Existenzgründern sowie kleinen und mittleren Unternehmen zum Kapitalmarkt ist auch mit Blick auf die Verbesserung der Bestandsfestigkeit mittelständischer Unternehmen ein wesentliches Element der Politik zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland.
Wenn Sie das feststellen, dann frage ich mich, wieso Sie an dem Universalbankenprinzip festhalten, warum Sie mit einer so schwachen Novelle zur Kontrolle und Transparenz des Bankwesens in Deutschland kommen,
warum beispielsweise diese klugen Analysten das Risikokapital der Banken für feindliche Übernahmen einsetzen, anstatt einmal freundliche Unterstützungsprogramme aufzulegen.
Existenzsicherung ist die Aufgabe. Man kann doch nicht Existenzgründerprogramme aus dem Boden stampfen, und dann fehlt es an begleitenden Maßnahmen zur Existenzsicherung. Ich glaube, viele Unternehmensgründer in Deutschland können eher Roulette spielen, also eher auf Rot oder Schwarz setzen, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen.
Wir brauchen weit mehr als das, was Sie in Ihrem 50-Punkte-Programm beschrieben haben, nämlich eine entsprechende Existenzsicherung für Existenzgründer. Man muß sich das einmal anschauen. Vor einem Jahr sind Sie mit diesem Aktionsprogramm auf den Markt getreten. Was ist denn seitdem passiert? Was ist das Ergebnis dieses 50-Punkte-Programmes? Nichts! Die Welle der Firmenzusammenbrüche läuft weiter. Wir haben einen riesigen Insolvenzenstand, der schwerste Schäden in der Wirtschaft und Forderungsausfälle bei den Lieferanten von etwa 50 Milliarden DM allein in diesem Jahr erwarten läßt. Von indirekten Kosten, Steuerausfällen und Zinsverlusten gar nicht zu reden.
In Ostdeutschland, wo wir einen relativ veralteten Kapitalstock hatten und jetzt eine schwache Kapitaldecke haben - wo also das Risikokapital gar nicht in dem Maße vorhanden ist -, haben wir noch einen wesentlich höheren Insolvenzenstand und einen wesentlich schlimmeren Einbruch, eine schlimmere Gefährdung für diese zarte Entwicklung. Unter diesem Blickwinkel sollte man die Transfers, die in den Osten Deutschlands gehen, und die Wirtschaftsförderung noch einmal neu diskutieren.
Es ist sicherlich einiges in Gang gekommen, was den Aufbau einer mittelständischen Wirtschaft im Osten anbelangt. Ich will das gar nicht negieren. Der Prozeß läuft. Aber neben den vielen Neugründungen haben wir, wie schon gesagt, eine beängstigende Zahl von Schließungen von Unternehmen. Es scheitern vor allen Dingen Unternehmen, die wegen ihrer Innovation, wegen ihrer Produkte und wegen ihrer Anstrengungen eigentlich marktfähig wären. Jedes zweite neu gegründete Unternehmen muß in den ersten fünf Jahren aufgeben. Es sind gerade die jungen, die technologiefreudigen und die innovationsfreudigen Unternehmen im Osten, bei denen wir diese Tendenz feststellen.
Ich will acht Kardinalfehler der Mittelstandspolitik der Bundesregierung nennen, um das hier auf den Punkt zu bringen. Es fehlt zum einen ein Konzept zur Überwindung der Kapitalschwäche kleiner und mittlerer Unternehmen. Die bestehenden Förderprogramme reichen nicht aus, die Kapitalschwächen zu überwinden. Die Rahmenbedingungen für Risikokapital und Beteiligungskapital sind nicht optimal. Was die Eigenkapitalanteile in den mittelständischen Unternehmen angeht, haben wir einen Rückgang von früher 30 Prozent auf heute 18 Prozent. Das ist ein alarmierendes Signal, weil sich bei stotternder Auftragslage, schlechter Zahlungsmoral oder bei Liquiditätsengpässen nun gerade diese schwache Kapitaldecke der Unternehmen tragisch auswirkt.
Der Handlungsbedarf in Sachen Risikokapital wird nicht bestritten. Das ist ein Standardrepertoire, das in der Politik und in der Wissenschaft Eingang gefunden hat. Aber seit Goethes Zeiten, seit Faust II, wo das Papiergeld geschätzt wurde, müßte man sagen: Die Botschaft habe ich wohl vernommen, allein mir fehlt der Glaube, daß diese Regierung in dieser Richtung etwas tut.
Die Bundesregierung, um den Punkt zwei zu nennen, blockiert mit ihrer strukturkonservativen Politik die großen Chancen, die im ökologischen Umbau stecken, wo wir vor allen Dingen entwicklungsfähige Unternehmen fördern könnten, die mit Ressourceneinsparungen, mit Recycling und dergleichen mehr aufwarten könnten. Das ist ein arbeitsintensiver Bereich. Hier fehlt der Startschuß in die ökologische Steuerreform.
Im Gegenteil: Wir haben unter dem ersten Tagesordnungspunkt heute gehört, wie die Monopolstrukturen gefestigt werden, wie beispielsweise die Lex VEAG festgeschrieben worden ist, die letztendlich für Unternehmen zu einem höheren Energiepreis von 2 bis 3 Pfennigen im Osten führt. Man sollte sich nichts vormachen. Auch das ist ein Grund, warum wir Firmenzusammenbrüche haben: die hohen Betriebskosten, die hohen Kosten für Energie, Gas, Abwasser und Anschlüsse.
Werner Schulz
- Aber bitte schön, Herr Schauerte, der Verantwortliche sitzt hier, dem Sie das sagen müßten. Dann aber weg mit dieser Lex VEAG.
Wenn Sie das so zugeben, dann könnten wir uns an dieser Stelle sehr schnell einig werden. Das ist ein Standortnachteil, der sich für den Osten allmählich auswächst.
Punkt drei. Auf der anderen Seite gibt es das Förderlabyrinth. Seit längerem ist schon bekannt, daß es mehr eine Förderung von Subventionsrittern als von leistungsfähigen Handwerks-, Klein- und mittelständischen Betrieben gibt.
Punkt vier: Die Subventionspolitik dieser Bundesregierung, die Großunternehmen wie VEAG begünstigt und eine Rückversicherungsmentalität erzeugt, wie ich sie nur aus DDR-Zeiten von DDR-Kombinaten kenne. Diese waren immer abgesichert, während der kleine Betrieb im Grunde genommen umsonst auf Knien rutscht, wenn er in Schwierigkeiten kommt. Die Großunternehmen werden, weil sie natürlich sehr viele Arbeitsplätze zu bieten haben, in diesem Falle immer wieder auf Unterstützung rechnen können.
Es gibt fünftens kein Konzept zur Senkung der Lohnnebenkosten. Seit der deutschen Einheit erleben wir diesen Verschiebebahnhof der versicherungsfremden Leistung.
Sechstens. Auch die wachsenden Bürokratiekosten hat diese Bundesregierung nicht im Griff. Hier werden Finanzamtsvollstreckungen durchgezogen, die sich fast in die Gesamtvollstreckung mit einreihen, anstatt an dieser Stelle etwas flexibler zu sein und mit Stundungen, mit Aufschub usw. zu arbeiten. Auch das gehört mit dazu. Das sollte gesagt werden.
Es fehlt siebtens eine Vision für die kooperative Unternehmenskultur der Zukunft. Ich nenne hier nur Mitarbeiterkapitalbeteiligung als Stichwort.
Zu Punkt 8: Die Schwachstellen dieser strukturkonservativen Mittelstandspolitik machen sich vor allen Dingen in der ostdeutschen Wirtschaft bemerkbar.
Ich will zum Abschluß nur noch soviel sagen, daß es natürlich notwendig ist, daß wir hier eine gemeinsame Politik hinbekommen, um diese Insolvenzen zu vermeiden, um die politischen Ursachen hierfür zu beseitigen. Aber noch wichtiger scheint mir, daß wir endlich wettbewerbsfähige, zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen. Ich glaube, davor müssen wir erst diese insolvente Regierung in die Wüste schicken.
Ich danke Ihnen.