Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon einigermaßen verblüfft über diese Diskussion und nicht zuletzt auch über die aus meiner Sicht erfreuliche Uneinigkeit im Regierungslager. Die Regierung hat ja lange genug gebraucht, um überhaupt einen Gesetzentwurf vorzulegen. Dieser Gesetzentwurf ist an Überschaubarkeit kaum zu übertreffen. Es steht so gut wie nichts darin, außer einer Vertonung der Rexrodtschen Parole: Wettbewerb, Wettbewerb, Wettbewerb!
Nun zu den einzelnen Punkten. Herr Grill, es gibt in der Beschreibung der Zielsetzung den kleinen, zarten Hinweis, daß der Umweltschutz gleichwertiges Ziel sein solle, aber instrumentell wird das in keiner Weise unterlegt. Es ist ungefähr so, als würden Sie ein Schild an den Knast kleben, auf dem „Kindergarten" steht. Das wäre genau derselbe Etikettenschwindel.
Das haben Sie ja auch zugegeben: Als der Bundesrat relativ geharnischt und detailliert zu Ihrem Gesetzentwurf Stellung genommen hat und unter anderem klare Regeln hinsichtlich Marktzugang und der Definition umweltverträglicher Energieversorgung eingeklagt hat, mußten Sie ja klein beigeben und nachschieben, daß das im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens geregelt werde.
Im Gesetzentwurf selber steht aber nichts drin. Wir werden demnächst so weit kommen, daß wir, wenn sich die Koalition nicht einigen kann, Gesetzentwürfe vorgelegt bekommen, auf denen lediglich die Überschrift steht, während der Rest dann im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens erledigt wird. Das ist ein zumindest eigenartiger Vorgang, der aber ohne Frage nicht ohne Reiz für die Opposition ist, weil wir uns dann stärker gestalterisch einbringen können; das wollen wir übrigens auch.
Reinhard Schultz
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, daß die SPD mit einem komplett eigenständigen Gesetzentwurf angetreten ist, der alle in Ihrem Entwurf erkennbaren Regelungsdefizite schließt. Über diese kann man im einzelnen reden, aber es ist ein handhabbarer und so, wie er vorliegt, umsetzbarer Entwurf, der die Gleichgewichtigkeit von Ressourcenschutz und Umweltverträglichkeit auf der einen und preisgünstiger Stromversorgung auf der anderen Seite ernst nimmt.
Etwas verwunderlich ist die Art der Vorgehensweise des federführenden Ministers. Er erarbeitet im Rahmen seiner allgemeinen Deregulierungsorgie einen Gesetzentwurf, ohne dabei im gleichen Atemzug die europäische Ebene zu berücksichtigen. Was in der Stromrichtlinie der EU steht, spiegelt sich mit kaum einem Wort im Gesetzentwurf wider, so daß von einer Umsetzung der EU-Stromrichtlinie gar nicht die Rede sein kann.
Er geht sogar weiter. Er nimmt die Gasversorgung mit hinein, obwohl die EU die Gasversorgung zum jetzigen Zeitpunkt ausdrücklich nicht regeln kann. In der Stellungnahme gegenüber dem Bundesrat wird nachgeschoben, daß noch etwas nachgeliefert wird, wenn sich die EU auf Ministerratsebene Ende Mai dazu geäußert hat. Das ist ein Witz und eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Nur wenige beherrschen sie, Herr Rexrodt, Sie gehören nicht dazu. Deswegen muß der Bereich Gas auf jeden Fall aus dem Gesetz herausgenommen werden. Es handelt sich hier um einen eigenständigen Sachverhalt, der, wenn überhaupt Regelungsbedarf besteht, in einem eigenen Gesetz geregelt werden muß.
Im übrigen vertun Sie sich auch beim Vergleich zwischen Strom und Gas ganz erheblich. Während es im Strombereich eine Reihe von Mitspielern gibt, mehrere Stromversorger - mit oder ohne Netz -, Stadtwerke und Konkurrenz aus dem Ausland, haben wir es im Gasbereich mit einer relativ überschaubaren Zahl an Wettbewerbern zu tun, die überhaupt eine Rolle am Markt spielen. Wenn Sie auch die Gasversorger dazu zwingen, über Durchleitungsrechte ihre mit eigenem Geld aufgebaute Infrastruktur zu öffnen, werden Sie zu „low cost" lediglich Russen und einigen wenigen anderen die Möglichkeit geben, sich mit Dumpingpreisen die Stadtversorgung in Darmstadt oder anderswo unter den Nagel zu reißen. Das geht so lange, bis keiner mehr mithalten kann. Insofern ist das wenig durchdacht, weil wir auf dem europäischen Gasmarkt eine völlig andere Struktur als auf dem Stromversorgungsmarkt haben. Das nimmt aber auch nicht wunder, weil einen fehlender Sachverstand ja nicht unbedingt am Politikmachen hindern muß.
Es wird das Hohelied vom Binnenmarkt gesungen und gezeigt, welche tollen Strompreise andere haben und was auf uns im Hinblick auf das Jahr 1999 zukommt. Ich habe mir die Mühe gemacht, bei den Regierungen der EU-Länder amtlich anzufragen, wie sie denn eigentlich mit der Stromrichtlinie umgehen
und was sie damit verbinden. Normalerweise hätte man erwarten müssen, es komme im Rahmen der Harmonisierung etwas ähnliches dabei heraus, wie es Herr Rexrodt hier vorgestellt hat. Kein Wort davon!
Die Franzosen geben in einem amtlichen Schreiben beglückt bekannt, daß sie ihre nationale Unabhängigkeit, ihren Service publique und die Stellung der nationalen Stromversorgung als Staatsunternehmen ungefährdet behalten können. Das ist eine interessante Mitteilung.
Die Engländer sind die einzigen, die sich mehr Wettbewerb gewünscht hätten. Das kann ich mir auf Grund ihrer jetzigen Situation vorstellen.
Die Spanier geben zwei Antworten: Sie wären bei den wettbewerblichen Regelungen gerne weitergegangen, da sie gerne mehr exportieren würden, würden aber in ihrem Land Wettbewerb nur auf niedrigstem Niveau zulassen. Auch das ist ein interessanter Vorgang im Hinblick auf die Öffnung des Binnenmarktes für Strom.
Österreich schreibt auf wienerische Art, man sei hocherfreut, daß es nach großen Anstrengungen gelungen sei, den Bestand des österreichischen Elektrizitätssystems zu sichern. Das sieht fast genauso wie unseres aus. Auch hier liegt eine ganz interessante Interpretation der Stromrichtlinie vor.
Die Niederländer sagen, Wettbewerb dürfe keine Einbahnstraße sein, mahnen aber ein stärkeres ökologisches Korsett in bezug auf den Ausbau einer zukünftigen Energieversorgung an.
Lediglich Irland ist glücklich. Denn es importiert 100 Prozent seiner Energie. Dort kommt es wirklich nur auf den Preis an. Insofern ist für Irland Wettbewerb wirklich etwas Segensreiches. Alle anderen EU-Staaten äußern sich skeptisch oder sagen: Laßt die alle in der EU einmal machen; wir machen unsere alte Politik so wie bisher.
Das ist die Wirklichkeit innerhalb der EU in amtlicher Interpretation einer Richtlinie. Das beruht nicht auf irgendwelchen Zeitungskommentaren, sondern auf Schreiben der zuständigen Regierungen, zugeleitet über die Botschaften hier in Deutschland. Es kann mir also nicht unterstellt werden, ich würde ausländischen Regierungen irgend etwas unterjubeln wollen. Es handelt sich um amtliche Stellungnahmen.
Herr Rexrodt, Sie machen angesichts dieser europäischen Wirklichkeit in Reinkultur Wettbewerb um des Wettbewerbes willen. Das führt zu dem Ergebnis, daß sich die Tatsache - das wird zu Recht kritisiert -, daß sich im Laufe der Zeit im Grunde genommen drei regionale Energieversorger 75 Prozent des Marktes unter den Nagel gerissen haben, nicht ändern wird, sondern daß daraus eine Marktbeteiligung von 100 Prozent wird und daß das geringfügige Korrektiv in Sachen Versorgungssicherheit, Preisausgleich und Verzahnung mit anderen Aufgaben der Daseinsvorsorge auf kommunaler Ebene, nämlich das Instrument der Stadtwerke, auch noch ausgehebelt wird, das in den größeren Städten derzeit die
Reinhard Schultz
einzige Gegenmacht zu den großen Regionalversorgern darstellt.
Ich selber habe mich viele Jahre lang mit den Monopolstrukturen in der Energieversorgung auseinandergesetzt. Sie können mir glauben: Ich hin überhaupt nicht glücklich damit. Ich will bestätigen, daß die Regionalversorger eine Menge an Beweglichkeit dazugelernt haben und daß sie, sowohl was den Wasserkopf als auch - das ist viel wichtiger - was die rationelle Form ihrer Energieversorgung angeht, Rationalisierungsbedarf auch in den eigenen Reihen sehen.
Deswegen setzt unser Gesetzentwurf richtig an. Wir eröffnen zwei Märkte, nämlich den Verteilermarkt und den Erzeugermarkt. Wir geben eine ökologische .Generalvorschrift: Jeder, der Energie auf der Basis regenerativer Energiequellen oder aber auf der Basis von Kraft-Wärme-Koppelung anbietet, darf an diesem Markt teilhaben. Denn wir wissen, daß er zum heutigen Zeitpunkt noch nicht gegen Dumpingpreise anstinken kann. Wir wollen auch in der Zukunft eine vernünftige Energieversorgung haben und müssen deswegen Marktchancen für regenerative Energien, höhere Wirkungsgrade und KraftWärme-Koppelung, die unter reinen Marktmechanismen hoffnungslos untergehen würden, eröffnen.
Herr Grill, Sie waren derjenige, der am stärksten das Alleinabnehmermodell angegriffen hat, das eine der denkbaren Alternativen für die Verhaltensweisen von Kommunen und Stadtwerken ist. Wir haben ja gesagt: Entweder lassen die Kommunen jeden zu - das können sie frei entscheiden -, oder aber sie werden Alleinabnehmer des Single Bayernwerk, müssen dann aber den niedrigsten Wettbewerbspreis an ihre Kunden weitergeben. Das heißt, auch in dieser Situation wird Markt lediglich gebündelt, der Vorteil des Preismechanismus aber voll an die Verbraucher weitergegeben.
Wer - außer die Großunternehmen wie Bayer Leverkusen usw., die einen direkten Vertrag abschließen - soll künftig - etwa die Oma, die frierend in ihrer Mansarde sitzt die Abnehmer auf diesem Markt vertreten? Da gibt es doch gar keine organisierte Nachfragenmacht. Das Interesse der vielen kleinen Verbraucher kann nur auf kommunaler Ebene organisiert werden. Stadtwerke und kommunale Rechte sind eine Form der Verbraucherorganisation, um über Ökologie und Preisgerechtigkeit mitentscheiden zu können.