Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich auf die Vorschläge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingehe, möchte ich zunächst einige Feststellungen zur Lage des Petitionsrechts in Deutschland abgeben, weil wir der Auffassung sind, daß sich das Petitionsrecht des Grundgesetzes in den vergangenen 48 Jahren außerordentlich bewährt hat. Das verdient hervorgehoben zu werden, bevor wir nun einzelne Punkte kritisieren.
Das Petitionsrecht genießt die höchste rechtliche Anerkennung in unserem Land. Das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden an die Volksvertretung zu wenden, ist ein Grundrecht der Bürger in Art. 17 des Grundgesetzes. Der Petitionsausschuß ist institutionell im Grundgesetz abgesichert. Er ist ein Pflichtausschuß des Bundestages, und er ist mit besonderen Befugnissen, die ihn von anderen Ausschüssen abheben, ausgestattet. Das heißt, wir haben eine grundrechtliche und institutionelle Absicherung des Petitionsrechtes im Grundgesetz.
Das Petitionsrecht wird vom Parlament in der parlamentarischen Praxis ernst genommen und gut bewältigt. Es erfreut sich einer hohen Wertschätzung in unserem Land.
20 000 Petitionen im Jahr sind ein Zeugnis für die hohe Wertschätzung des Petitionsrechts in unserem Land.
Kollegin Nickels, wenn es in der Begründung eines Gesetzentwurfes heißt, daß die hohe Zahl der Petitionen auch ein Zeichen eines gestörten Verhältnisses zwischen Bevölkerung, Politik und Verwaltung sei, dann kann ich das wirklich überhaupt nicht verstehen.
Wenn die Bürger von ihren Grundrechten Gebrauch machen, ist das ein Zeugnis des Funktionierens unseres Staates und nicht eines gestörten Verhältnisses. Das ist jedenfalls unser demokratisches Verständnis, daß Grundrechte dafür da sind, daß die Bürger davon Gebrauch machen und wir es ihnen nicht vorwerfen.
Ich will eine weitere Vorbemerkung machen: Die Vorschläge der Grünen - Sie haben darauf hingewiesen - haben einen langen Bart; es sind sehr alte und
nicht sehr originelle Vorschläge. Sie werden seit Jahrzehnten, seit den 60er Jahren, diskutiert.
Ein Höhepunkt war die Diskussion in der EnqueteKommission Verfassungsreform in den 70er Jahren. Dort sind alle diese Vorschläge diskutiert und abgelehnt worden. Der Bundestag hat sich damals mit einer anderen politischen Mehrheit dafür entschieden, für ein starkes demokratisches Petitionsrecht einzutreten und diese Vorschläge abzulehnen. Die Gründe von damals gelten auch heute noch. Auch heute wollen wir ein effektives parlamentarisches Petitionsrecht.
Eine weitere Bemerkung: Wenn man das Petitionsrecht aus der Sicht der Bürger richtig erfassen will, muß man es im Zusammenhang mit den anderen Rechtsschutzmöglichkeiten sehen, die der Bürger in unserem Land hat.
Es gibt sozusagen drei Stufen der Kontrolle: zunächst die verwaltungsinterne Kontrolle des eigenen Handelns, dann der gerichtliche Rechtsschutz. Wir haben in unserem Land ein lückenloses System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes des Bürgers gegen staatliches Handeln, gestärkt durch die Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes in Art. 19 Abs. 4. Als dritte Stufe gibt es die parlamentarischpolitische Kontrolle. Insgesamt haben wir jetzt in der Bundesrepublik Deutschland ein lückenloses System des Rechtsschutzes des einzelnen gegenüber dem Handeln des Staates und der Verwaltung. Das ist eine exzellente Situation, die es verdient, in einer solchen Debatte betont und gewürdigt zu werden.
Nun aber zu den Änderungsvorschlägen, die Sie gegen diese gute Situation vorbringen. Sie wollen neben dem Petitionsausschuß das Amt eines Bürgerbeauftragten einrichten,
der gleichzeitig Leiter der entsprechenden Unterabteilung in der Bundestagsverwaltung sein soll. Alle Eingaben - jetzt sind es 20 000 im Jahr -, die die Bürger auch unmittelbar an den Deutschen Bundestag adressieren, sollen nicht mehr zunächst in den Bundestag gelangen, sondern zum Bürgerbeauftragten.
Entgegen diesem Vorschlag heißt es in Art. 17 des Grundgesetzes:
Jedermann hat das Recht, sich ... mit Bitten oder Beschwerden ... an die Volksvertretung zu wenden.
Dieses Grundrecht entspricht auch unserer Auffassung von der demokratischen Ausgestaltung des Petitionsrechts. Wir wollen, daß auch in Zukunft die Bürger das Recht haben, sich unmittelbar an den Bundestag zu wenden.
Norbert Röttgen
Wir wollen nicht, daß Bürokratie und Beamte dazwischengeschoben werden. Das ist unsere Vorstellung eines demokratischen Petitionsrechts: Die Bürger sollen sich unmittelbar an das Parlament wenden können, weil sie dies wollen. Dieses Recht wollen wir ihnen entgegen Ihrem Vorschlag nicht nehmen.
Ihre Vorstellung, daß nicht der Bundestag über solche Petitionen entscheiden soll, sondern eine Einzelperson, wirft auch Fragen der demokratischen Legitimation, des Demokratieverständnisses auf. Wer soll eigentlich mit Petitionen und den politischen Fragen, die dadurch aufgeworfen werden, befaßt werden? Petitionen bewegen sich nicht im wertneutralen Raum. Wer Petitionen ernst nimmt, muß ihnen auch die Funktion einräumen, auf den politischen Willensbildungsprozeß einzugehen.
Ihre Bürgerbeauftragte soll weitreichende Befugnisse haben. Wir sind der Auffassung, daß Ihre Vorstellung, daß eine Einzelperson, die gute Vater- oder die gute Mutterfigur, für Harmonie sorgen soll, im Grunde eine sehr undemokratische, eine sehr altertümliche Vorstellung ist. Zur Entscheidung in einer repräsentativen Demokratie sollte nicht eine Einzelperson, sondern das Parlament zuständig sein. Insofern ist das unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation ein zurückzuweisender Vorschlag, ein Rückschritt im Sinne eines demokratischen Petitionsrechtes.
Weil wir auch nach der Debatte in der EnqueteKommission Verfassungsreform der 70er Jahre für ein starkes demokratisch-parlamentarisches Petitionsrecht sind, halten wir Ihren Vorschlag für einen eindeutigen Rückschritt. Für Rückschritte sind wir natürlich nicht zu haben. Deswegen lehnen wir diesen Vorschlag ab.
Sie machen einen weiteren Vorschlag, der beinhaltet, das Grundgesetz und auch das einfache Recht im Hinblick auf die Befugnisse des Petitionsausschusses zu ändern.
Petitionen umfassen Bitten und Beschwerden der Bürger. Bitten sind allgemeine Wünsche, Anregungen politischer Art an den Bundestag, gesetzgeberisch oder politisch zu handeln. Beschwerden dagegen zielen auf Abhilfe in einem konkreten Fall, in dem sich der Bürger oder die Bürgerin beschwert fühlt.
Nur im Hinblick auf die Beschwerden, die Bürger vortragen, sind nach jetzigem Recht im Grundgesetz und auch im einfachen Recht dem Petitionsausschuß besondere Befugnisse eingeräumt: Aktenvorlage zu verlangen, Auskunft einzufordern, Zutritt zu Einrichtungen zu haben. Es handelt sich also um klassische Untersuchungsrechte. Diese sind allein auf Beschwerden bezogen, nicht aber auf Bitten. Sie wollen diese Befugnisse auch auf die Bitten ausdehnen.
Wir halten das für falsch; denn dem Sinn nach sind solche Untersuchungsbefugnisse des Petitionsausschusses nur gerechtfertigt, wenn es um die Untersuchungsfunktion des Petitionsausschusses geht. Es macht keinen Sinn, Aktenvorlage bei allgemeinen politischen Diskussionen zu verlangen. Wenn sich ein Bürger dagegen wehrt, daß er entgegen rechtlichen Bestimmungen zur Bundeswehr eingezogen wird, dann macht es Sinn, mit dem zuständigen Kreiswehrersatzamt zu reden und Aktenvorlage zu verlangen. Wenn ein Bürger bittet, die Bundeswehr abzuschaffen, dann machen Aktenvorlagen und Zutrittsrechte keinen Sinn. Das sind dann allgemeine politische Diskussionen. Darum ist es sozusagen auch systematisch verfehlt, dies auszuweiten.
Es gibt aber noch einen zweiten Gesichtspunkt. Nach Ihrem Vorschlag würde der Petitionsausschuß eine Generalkompetenz haben, der auch mit Minderheitenrechten ausgestattet würde. Er wäre für jedes politische Thema zuständig. Auch das ist nicht unsere Auffassung. Wir sind der Auffassung, daß über Fragen der Finanzpolitik auch in Zukunft im Finanzausschuß federführend beraten wird,
die Rechtspolitik im Rechtsausschuß. Nach diesen Vorstellungen wäre der Petitionsausschuß für alles zuständig.
Er würde über jedes Thema verhandeln und ein allgemeiner Gesetzgebungsausschuß werden. Der Vorschlag, den Sie dort machen, ergibt doch wirklich keinen guten Sinn.
Auch der Vorschlag, dem Petitionsausschuß ein Minderheitenrecht einzugeben, ist nicht berechtigt. Parlamentarische Minderheitenrechte, das heißt, der Minderheit im Ausschuß solche Rechte einzuräumen, sind dort gerechtfertigt und existieren auch dort, wo es darum geht, eigene Rechte und eigene Interessen von Teilen und Minderheiten des Parlamentes zu begründen und zu schützen. Bürgeranliegen sind aber nicht per Definition Oppositionsanliegen, sondern der Bürger wendet sich an das gesamte Parlament. Das Parlament entscheidet so, wie es in der Zusammensetzung durch die Wahl legitimiert ist. Insofern sind systematisch Minderheitenrechte hier nicht gerechtfertigt.
Ich will aber im Grunde noch entscheidender entgegenhalten: Wir sind der Auffassung, daß es auch dem Petitionsrecht und dem Petitionsanliegen der Bürger nicht gut täte, wenn die jeweilige Opposition meint, Bürgeranliegen für ihre parteipolitischen Zwecke und Absichten instrumentalisieren zu müssen. Wir sollten, soweit es geht, Petitionsanliegen nicht in den parteipolitischen Meinungskampf zerren, sondern uns um Individualanliegen kümmern.
Auch die Opposition im Bundestag hat jederzeit die Möglichkeit, sich Petitionsanliegen zu eigen zu machen und sie dann als eigene Anliegen im Parlament zu verfolgen. Aber wir sind dafür, daß sie das dann auch unter ihrem Namen tun und nicht unter
Norbert Röttgen
dem Deckmantel von Bürgerinteressen, parteipolitische Absichten verfolgen. Wir sind dagegen, egal, wer jeweils Opposition ist.
Insgesamt kann man zu den Vorschlägen nur sagen: Es sind alte Vorschläge. Sie zielen auf eine Schwächung des starken Petitionsrechtes und des Petitionsausschusses im Bundestag ab. Wir sind nach wie vor dafür, daß es ein starkes demokratisch ausgestaltetes Petitionsrecht in Deutschland gibt. Darum lehnen wir diese Vorschläge ab. Ich denke, dies geschieht auch mit anderen Fraktionen, also der Mehrheit des Hauses.
Herzlichen Dank.