Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte geistert zum wiederholten Male ein sogenanntes unautorisiertes Papier herum, hinter dem angeblich die ganze SPD steht, nur diejenigen nicht, die für sie hier handeln.
Ich kann Ihnen nur sagen: Die SPD hat sich selbstverständlich auf der Grundlage der Liste von Professor Bareis und seiner Kommission mit der Frage befaßt: Mit welchen Steuervergünstigungen muß man sich eigentlich auseinandersetzen, wenn man die Bemessungsgrundlagen verbreitern will? Die SPD hat sich damit befaßt; das war ständig Gegenstand unserer Diskussionen.
Aber sie hat nicht dieses Gutachten beschlossen. Vielmehr war das sozusagen ein Steinbruch, wo man abwägen mußte: Was ist unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, unter dem Gesichtspunkt, Wachstum zu erzeugen, und unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit der Betroffenen daraus zu nehmen und was nicht?
Sie tun hier so, als wäre das Bareis-Gutachten das steuerpolitische Gebetbuch von Sozialdemokraten. Das ist es nicht. Vielmehr war es eine Anlage zu unseren Beschlüssen, eine Denkhilfe, für die wir dankbar sind, die wir aber nicht bruchlos übernommen haben.
Was die Frage betrifft, wie gesprächsbereit wir sind, Herr Repnik, so muß ich Ihnen sagen: Es nützt nichts, wenn Sie sich gestern abend noch ausgedacht haben, uns hier durch den Saal zu treiben, weil die SPD angeblich nicht gesprächsbereit ist. Der Fraktionsvorsitzende hat heute als erster erklärt, daß die SPD zu jeder Tages- und Nachtzeit verhandlungs-
und gesprächsbereit ist.
Reinhard Schultz
Was Sie hier verbreitet haben, ist doch Schnee von gestern.
Natürlich dürfen Sie uns nicht übelnehmen, daß wir einigermaßen verdutzt sind, wenn der Bundeskanzler auf die Einladung unseres Parteivorsitzenden, mit ihm unter vier Augen einmal ein sachverständiges Gespräch darüber zu führen, wie man die Kiste aus dem Dreck reißt, eine Absage erteilt. Das ist auch nicht anständig.
Wenn der Bundeskanzler sagt: „Jungs, setzt euch mal beim Finanzminister zusammen und regelt die Sache unter euch; ich habe damit nichts zu tun und bewerte das alles im Lichte der Ergebnisse", dann wird das nicht klappen. Er wird bei dieser Auseinandersetzung nicht trockenen Fußes über den See Genezareth gehen können, sondern er wird einsinken.
Frau Frick, ich kann nur sagen: Dem deutschen Volk vor den Fernsehern geht es ungefähr so wie denjenigen, die am Zaun von Fußballspielen und Pferderennen stehen: Mit großer, geradezu atemloser Spannung verfolgen wir, wie die F.D.P. die offensichtlich vorhandene Unlust von Unternehmern und Unternehmensverbänden - diese kann ich sogar verstehen -, überhaupt noch einen Pfennig an Steuern zur Finanzierung des Gemeinwohls beizutragen, durch Steuergeschenke auch noch überholen will.
Damit das Volk versteht, warum beabsichtigte und auch unbeabsichtigte Steuersenkungen für Unternehmen nicht etwa der Gemeinschaft aller schaden, insbesondere dem Staatshaushalt und der Erfüllung der Maastricht-Kriterien, sondern von dieser eher freudig begrüßt werden müssen, wird der ständige Schlachtruf „Steuersenkung" immer wieder mit dem Versprechen „Arbeitsplätze" verknüpft. Man kann nur gratulieren: Das ist ein geniales Konzept. Das wird schon seit 1982 so verfolgt.
Trugen im Jahre 1982, dem Jahr, als Bundeskanzler Kohl mit der Koalition antrat, Deutschland aus der Schuldenkrise zu führen, die Steuern auf unternehmerische Tätigkeiten und Vermögen noch mit knapp 14 Prozent zum Gesamtsteueraufkommen bei, so waren es 1995 nur noch 8,8 Prozent. In demselben Zeitraum stieg der Anteil der Arbeitnehmersteuern an den Gesamteinnahmen von 33 Prozent auf 37 Prozent. Der Erfolg lag auf der Hand: Die Arbeitslosigkeit stieg von 1 Million auf mehr als 4 Millionen. Genial! Das ist ein großer Wurf. Ein großer volkswirtschaftlicher Geist ist dort am Werke. Offensichtlich klappt das Konzept: weniger Einkommen in Arbeitnehmertaschen und mehr Einkommen in Unternehmerkassen gleich höhere Erwerbslosigkeit.
Das ist die empirische Grundlage, die wir anderthalb Jahrzehnte haben beobachten können. Da dürfen Sie sich doch nicht wundern, wenn Zweifel angemeldet werden, ob die Fortsetzung, sozusagen das Zum-Programm-Erklären dieses Mißstandes irgend
etwas Nennenswertes dazu beitragen kann, daß auch nur ein einziger Arbeitsplatz geschaffen wird.
In Geld ausgedrückt: Im Jahre 1995 zahlten Arbeitnehmer 61 Milliarden DM mehr an Steuern, als wenn es bei der Steuerbelastung von 1991 geblieben wäre. Damit ungeteiltes Leid doppelte Freud auf Unternehmerseite bedeutet, wurden Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit mit 30 Milliarden DM weniger belastet, als wenn dieselben Tarife und Grundlagen wie im Jahre 1991 gegolten hätten. Das sind die Größenordnungen, über die wir auch hier und heute reden.
Nur, in diesen fünf Jahren hat es einen Abschwung und keinen Aufschwung gegeben. In dieser Zeit hat es weniger und nicht mehr Arbeitsplätze gegeben. Deswegen glauben wir nicht, daß dieses Rezept helfen wird.
Die Lage ist noch viel komplizierter. Der Kanzler versprach 1990 den Aufschwung Ost ohne Steuererhöhungen. Dies ist ein Versprechen, das für Unternehmereinkommen auch gehalten wurde. Dafür wurde aber kurz entschlossen in die Kasse des Nachbarn eingebrochen, nämlich bei den Sozialversicherungen. Zig Milliardenbeträge mußten seit der Steuerlüge des Kanzlers jährlich anstatt von allen Steuerzahlern allein von den Beitragszahlern für die Einheit aufgebracht werden und trieben die Belastung für durchschnittliche Arbeitnehmereinkommen, die sich unterhalb oder in Sichtweite der Beitragsbemessungsgrenzen bewegen, auf über 46 Prozent des hart erarbeiteten Verdienstes.
Hier sei angemerkt: Im letzten Regierungsjahr von Helmut Schmidt betrug die Belastung eines durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmers mit 39,8 Prozent noch über sechs Prozentpunkte weniger als heute.
Die Belastung von 46 Prozent ist unerträglich; das sehen wir alle so, auch Sie. Diese Belastung ist leistungsfeindlich; sie ist ungerecht. Deswegen ist es an erster Stelle das Ziel der Sozialdemokraten, diese unerträgliche Entwicklung vor allen anderen steuerpolitischen Überlegungen ein gutes Stück zurückzunehmen, damit die Arbeitnehmer wieder Spaß an ihrer Arbeit haben, damit nach Jahren des Reallohnrückganges ihre Kaufkraft wenigstens etwas steigt und einen Beitrag zum Wachstum leistet, damit diejenigen, die Tag und Nacht hart arbeiten, in dieser Gesellschaft endlich wieder gerecht behandelt werden
und damit die von der Bundesregierung herbeiregierte Krise der sozialen Sicherungssysteme auf die einzig anständige Art und Weise gelöst wird, nämlich durch Entlastung dieser Systeme von den versicherungsfremden Leistungen.
Reinhard Schultz
Nachdem sich Politik und Wissenschaft über einige Monate gestritten haben, was eigentlich .versicherungsfremde Leistungen sind und wie hoch ihre Kosten sind, haben sich nun die Sozialminister darüber geeinigt und die Kosten auf gut 57 Milliarden DM beziffert. Ein stolzer Betrag. Er entspricht fast den sechs Prozentpunkten, um die seit Helmut Schmidt die Beitragsbelastung für durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer gestiegen ist.
Die SPD hat bereits Anfang 1996 erklärt: Wir wollen die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer senken, indem die versicherungsfremden Leistungen über den Staatshaushalt, also über Steuern finanziert werden.
An dieses Ziel knüpfen wir unsere Bereitschaft, auch über jedwede darüber hinausgehende Steuerreform zu verhandeln.
Im Mittelpunkt unserer Gegenfinanzierung steht - das ist eben angesprochen worden - ein Konzept einer ökologischen Steuerreform, die Natur- und Energieverbrauch geplant und maßvoll schrittweise stärker belastet und die die Belastungen für Arbeitnehmer und die Arbeitskosten für Unternehmer entsprechend senkt.
- Ich weiß nicht, wie Sie in dieser Situation einen solchen Zwischenruf machen können. Wenn Ihr Fraktionsvorsitzender über die Erhöhung der indirekten Steuern und andere offen über eine Mehrwertsteuererhöhung reden, dann brauchen Sie mich hier nicht zu beschimpfen, wenn ich versuche, mit Augenmaß darzustellen, wie wir ein vernünftiges Verhältnis zwischen der Belastung der natürlichen Ressourcen und der des Faktors Arbeit hinbekommen. Ihre Haltung ist doch einfach unehrlich.