Ich nehme an, es ist kein Abgeordneter. Frau Präsidentin, ich würde natürlich nie einen Abgeordneten so nennen. Es muß sich ein Papagei hier aufhalten, weil hier immer der gleiche Zwischenruf kommt.
Am Montag hat dem Rat der europäischen Wirtschafts- und Finanzminister das deutsche Konvergenzprogramm vorgelegen. In den Stellungnahmen der Kommission, des Vorsitzenden des Währungsausschusses und anderer Länder war das Lob für die darin formulierte Konzeption einhellig. Wir wurden aufgefordert, diesen Kurs ohne Abstriche fortzusetzen, ihn gegebenenfalls noch zu verstärken.
Eines wurde übrigens klar ausgesprochen: Zwar geht es auch um die Erreichung der Konvergenzkriterien, das heißt, der Stabilitätsmerkmale, die im Vertrag von Maastricht für die dritte Stufe verlangt werden. Es geht aber in erster Linie um einen zukunftssicheren Standort Deutschland.
Deutschland als wichtigster Markt Europas hat eine Schlüsselfunktion für Europa. Wenn der Wirtschaftsmotor in Deutschland läuft, ist das gut für ganz Europa. Dieser großen Verantwortung müssen wir uns bewußt sein.
Nun, meine Damen und Herren, das weiß auch die SPD. Es gibt ein - allerdings unautorisiertes - Papier von einflußreichen und sachverständigen Ökonomen in der SPD vom März 1996, das sich in seinen wesentlichen Inhalten völlig mit dieser Analyse und mit unserem Konzept deckt.
Da heißt es beispielsweise: Die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung müssen von Grund auf verbessert werden. Das Steuersystem muß von Grund auf renoviert werden. Der Grundsatz muß lauten: breite Basis, niedrigere
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
Tarife, keine Ausnahmen, es sei denn für Innovationen und Umwelt.
Dort heißt es: Streichung aller ertragsunabhängigen Steuern.
Dort heißt es: Anrechnung von Urlaubstagen bei Kuren; Streichung von Sonderurlauben; höhere Eigenleistung bei Arzneimitteln.
- Dann hätte es gestern eigentlich einer anderen Reaktion bedurft.
Dort heißt es: Der Kündigungsschutz ist so umzugestalten, daß er für kleine und mittlere Unternehmen nicht zu einer Einstellungsbremse für Arbeitslose wird. - Warum dann eigentlich die Hetze gegenüber dem, was wir voriges Jahr beschlossen haben?
Dort heißt es: Das Abstandsgebot zwischen Arbeitseinkommen und der Sozialhilfe muß eingehalten werden.
Die Zumutbarkeitskriterien für die Arbeitsaufnahme von Arbeitslosen müssen enger gefaßt werden.
Meine Damen und Herren, diesen unautorisierten Katalog der SPD hat die Bundesregierung schon weitgehend umgesetzt. Sie verweigern sich zwar der Wirklichkeit; Sie sollten sich aber nicht den Ratschlägen der Ökonomen Ihrer Fraktion verweigern. Es ist schon starker Tobak, wie Sie hier offizielle Politik betreiben.
Die Ökonomen bzw. die Ratgeber der SPD fordern in diesem Papier auch ein Investitionsprogramm. Eben das haben wir am Dienstag dieser Woche mit einem Volumen von 25 Milliarden DM im Kabinett beschlossen, ohne daß der Haushalt mit einer Mark zusätzlich belastet wird.
Kollege Glos, ich habe eine herzliche Bitte: Könnten Sie vielleicht auf Kosten der Landesgruppe allen Kollegen der SPD dieses unautorisierte Papier zukommen lassen. Es kann ja sein, daß es Herr Scharping unter Verschluß hält.
Insofern könnte das dem Willensbildungsprozeß, dem Informationsstand und damit der intellektuellen Stärkung der SPD-Fraktion dienen. Vielleicht könnte die CSU in Solidarität zur Wahrheit auch das noch übernehmen.
Weitere Elemente dieses Kataloges finden sich in der dritten Stufe der Unternehmensteuerreform oder in den Plänen für die Steuerreform 1998/1999, über deren erste Stufe zum 1. Januar 1998 wir heute beraten. Leider haben die Chefideologen der SPD dieses Basispapier einer möglichen „Koalition der Vernunft für den Standort Deutschland" gestoppt.
Die Bremser und Blockierer haben in der SPD schon 1996 die Oberhand behalten. Soll das auch 1997 so sein?
Die SPD hat die Gespräche zur Steuerreform mit fadenscheinigen Argumenten abgebrochen. Die Verbindung zwischen Kohlesubventionen und der Steuerreform besteht nur in einem einzigen Punkt: Die Steuerreform 1998/1999 könnte das wichtigste Element zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in den Revieren werden.
Insofern war Ihr Vorgehen erstens sachlich falsch. Zweitens: Wenn der Grund für den Abbruch der Gespräche durch die Einigung über die Kohlesubventionen weggefallen ist, dann gibt es keinen Grund Ihrerseits, sich weiteren Gesprächen und Verhandlungen zu entziehen. Es ist reine Parteitaktik, die Sie hier praktizieren - zu Lasten des Gemeinwohls in Deutschland, zu Lasten der Arbeitslosen und zu Lasten derer, die in Deutschland noch Arbeit haben. Sie selber müssen das verantworten.
Gestern haben die Kollegen Schäuble und Sohns sowie auch ich der Verhandlungsgruppe der SPD - Herrn Scharping, Bürgermeister Voscherau und Finanzminister Schleußer - neue Gespräche - selbstverständlich auch während der Osterzeit - angeboten. Wir hoffen, die SPD ergreift unsere ausgestreckte Hand im Interesse der mehr als 4 Millionen Arbeitsuchenden.
Wenn wir bald Beschäftigungsimpulse wollen, müssen wir alles daran setzen, das Gesetzgebungsverfahren abzukürzen.
In den bisherigen Gesprächen haben wir bei der Steuerreform wichtige Übereinstimmungen festgestellt. Wir liegen beim Eingangssteuersatz, bei den Körperschaftsteuersätzen und dem Steuersatz für gewerbliche Einkünfte nicht weit auseinander.
Lassen Sie uns, auf diese Gemeinsamkeiten aufbauend, eine Verständigung über die noch offenen Fragen finden. Ich erinnere Sie noch einmal an bedeutende europäische Sozialdemokraten: Denken Sie an Viktor Klima, Göran Persson, Wim Kok oder Tony Blair.
Die tun oder fordern gerade das, was Sie in Ihrem in
der Schublade verschwundenen Papier angeregt ha-
Bundesminister Dr. Theodor Waigel
ben und von dem Sie heute nichts mehr wissen wollen.
Für das größte Industrieland Europas und zu einer Zeit, in der es mehr denn je auf Fortschritt und gezielte Veränderung ankommt, ist es traurig, die rückständigsten Sozialdemokraten Europas im Bremserhäuschen des eigenen Standortzuges zu haben.
Am 26. Februar 1997 titelte das „Wall Street Journal Europe": „The Anti-Reform SPD" . Genau das ist der Stand: Die Partei, die in den 60er und 70er Jahren als Reformpartei angetreten ist, ist heute die Reformverhinderungspartei par excellence.
Hinsichtlich dessen, daß die SPD aus den Verhandlungen hinausgegangen ist, erinnere ich mich noch an die Zeit, als ich hier junger Abgeordneter war. Während einer wütenden Rede von Herbert Wehner haben wir einmal den Saal verlassen. Wenn man rausgeht, ist man stolz und läuft draußen eine Weile herum. Dann spitzelt man langsam wieder hinein. Während wir so langsam wieder hereinspitzelten, hörten wir Herbert Wehner rufen: „Wer rausgeht, muß auch wieder reinkommen! "
Sie sollten das Ritual abkürzen; denn es tut denen, die in Deutschland Arbeit suchen, nicht gut, was Sie im Moment aus parteitaktischen Spielchen heraus hier inszenieren.
Meine Damen und Herren, mit dem Entwurf eines Steuerreformgesetzes 1998 werden die Petersberger Reformvorschläge in einem ersten Schritt umgesetzt. Das Ziel der ersten Stufe der großen Steuerreform ist es, den Investitionen als entscheidender wirtschaftlicher Wachstumskraft einen kräftigen Anschub zu geben. Dazu kommt die Senkung des Solidaritätszuschlages um 2 Prozentpunkte, die eine zusätzliche verbrauchs- und investitionsstützende Entlastung für die Steuerzahler von 7,5 Milliarden DM bringt.
Mit dem Steuerreformgesetz 1998 werden gewerbliche Unternehmen ab Januar 1998 durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes für einbehaltene Gewinne von 45 auf 40 Prozent und für ausgeschüttete Gewinne von 30 auf 28 Prozent sowie durch die Senkung des Einkommensteuerhöchstsatzes für gewerbliche Einkünfte von 47 auf 40 Prozent spürbar entlastet. Die Tarifsenkungen im Unternehmensbereich bei Einkommen- und Körperschaftsteuer belaufen sich auf rund 7,6 Milliarden DM.
Mit diesem ersten Schritt kommt es zu einer wichtigen investitionsfördernden Steuerstrukturverbesserung. Nach der Philosophie der Steuerreform 1998/99 werden niedrigere Steuersätze mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage verbunden. Entsprechend den Petersberger Steuervorschlägen wird die Absenkung der Steuersätze für die Unternehmen ab 1. Januar 1998 durch steuerliche Maßnahmen innerhalb des Unternehmensbereichs voll gegenfinanziert.
Die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften sollen weiterhin die Grundlage für die Bewertung und Bilanzierung des Betriebsvermögens bilden. Die steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften werden jetzt aber so gefaßt, daß eine genauere periodengerechte Abgrenzung ermöglicht und die Bildung von unbesteuerten stillen Reserven stärker als bisher vermieden wird.
Der Gesetzentwurf sieht als Gegenfinanzierungsmaßnahmen die Einführung eines Wertaufholungsgebots und die Einschränkung bei der Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften vor. Ferner sollen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten unter Berücksichtigung der unternehmensspezifischen Erfahrungen realitätsnäher beurteilt werden. Die degressive Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens wird um 3 Prozentpunkte auf 22 Prozent abgesenkt. Die Gegenfinanzierung der dritten Stufe der Unternehmensteuerreform sieht schon die Senkung von 30 auf 25 Prozent vor.
Die Absenkung der degressiven AfA tritt an die Stelle der im Referentenentwurf vorgesehenen Anhebung des ermäßigten Steuersatzes auf außerordentliche Einkünfte, insbesondere bei Veräußerung und Aufgabe von Betrieben. Es bleibt bei der Grundentscheidung der Steuerreformkommission für das Steuerreformgesetz 1999: Streichung der Steuerermäßigung und rechnerische Verteilung der Einkünfte auf fünf Jahre.
Die Verbindung der Senkung der Steuersätze mit der Einschränkung der Abschreibungsmöglichkeiten wird Vorzieheffekte im Jahr 1997 auslösen und so frühzeitig zu neuen Arbeitsplätzen beitragen. Es lohnt sich für jedes Unternehmen, jetzt zu investieren, 1997 noch von den Abschreibungen zu profitieren und dann ab 1998 die niedrigeren Steuersätze in Anspruch zu nehmen.
Wer das jetzt nicht will, wer sich dem verweigert, wer rechtzeitige Entscheidungen bewußt verhindert, der macht sich mitschuldig, daß die Investitionen 1997 nicht getätigt werden und damit nicht zu neuen Arbeitsplätzen in Deutschland führen.
In diesem Zusammenhang möchte ich die SPD noch einmal auf die Problematik einer zu großen Spreizung der Spitzensteuersätze einzelner Einkunftsarten hinweisen. Diesen Punkt hat die SPD noch bei den Beratungen zum Standortsicherungsgesetz hervorgehoben.
Herr Poß und Herr Schleußer haben damals in der Debatte des Deutschen Bundestages und des Bundesrats zum Standortsicherungsgesetz schwerste verfassungsrechtliche und steuersystematische Bedenken gegen die Einführung der Steuersatzsenkung für gewerbliche Einkünfte erhoben.
Richtig ist, die Höchststeuersätze stehen in einem inneren Zusammenhang. Der Höchststeuersatz für gewerbliche Einkünfte sollte aus Gründen der Rechtsformneutralität und zur Vermeidung von Wett-
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bewerbsverzerrungen genauso hoch sein wie der Körperschaftsteuersatz für einbehaltene Gewinne.
Eine Spreizung zwischen Höchststeuersatz für gewerbliche und nichtgewerbliche Einkünfte widerspricht im System der Einkommensteuer dem Grundsatz, alle Einkunftsarten gleich zu behandeln. Die jetzt vorgesehene Spreizung läßt sich aber mit der zusätzlichen Gewerbeertragsteuerbelastung der gewerblichen Einkünfte rechtfertigen.
Eine darüber hinausgehende Spreizung wäre in der Tat verfassungsrechtlich bedenklich. Wir sollten deshalb in der Größenordnung der bisherigen Steuersatzspreizung bleiben. Für eine Übergangszeit von einem Jahr ist eine höhere Spreizung hinnehmbar, unter der Voraussetzung des Gesamtkonzepts mit einer zweiten Stufe 1999. Außerdem - auch das muß man sehen - führt eine zu hohe Spreizung zu neuen Steuergestaltungen.
Nun zu Ihrem Vorwurf, meine Damen und Herren von der SPD, es sei unmoralisch, wenn wir auch für „Reiche" den Spitzensteuersatz senken. Lesen Sie einmal nach, was der Nobelpreisträger James Mirrlees dazu zu sagen hat. Er hat in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche" vom 20. März 1997 auf die Frage: „Ist das nicht moralisch fragwürdig, niedrigere Grenzsteuern für Reiche?" geantwortet: „Es mag für manche häßlich aussehen. Aber es klingt doch mehr nach Neid. " Als britischer Gentleman hat er noch höflich hinzugefügt, daß er das den Sozialdemokraten nicht unterstellen möchte.
Unterstellung hin oder her, die SPD ist in diesem Punkt zu keiner sachbezogenen Diskussion bereit, sondern setzt vielmehr auf eine Neidkampagne mit klassenkämpferischer Ideologie von vorgestern.
Nur, der Neid hat noch nie einen Arbeitsplatz mehr geschaffen.
Vergleiche mit dem Ausland hinken. 90 Prozent aller deutschen Unternehmen haben die Rechtsform des Einzelunternehmens oder der Personengesellschaft. Körperschaften - GmbH, AG - machen nur etwa zehn Prozent aller Unternehmen aus. Im Ausland werden gewerbliche Einkünfte im wesentlichen von juristischen Personen erzielt. Das Problem der Spreizung stellt sich dort nicht.
Es kann deshalb auch nicht allein um die Senkung der Körperschaftsteuer gehen. Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, Professor Rüdiger Pohl, hat kürzlich in einem Interview für die „Wirtschaftswoche" festgestellt: „Die Senkung der Körperschaftsteuer reicht nicht, denn die meisten Arbeitsplätze unterliegen der Einkommensteuer."
Meine Damen und Herren, die vorgezogene Stufe 1998 kann noch im Juli dieses Jahres verabschiedet werden. Damit wäre der Weg frei für die schon in 1997 zu erwartenden Vorzieheffekte.
Auch der zweite Teil der Steuerreform 1998/99 kann noch in diesem Jahr über die Bühne gebracht werden. Bereits die zügige Verabschiedung ohne eine lange Hängepartie wäre ein entscheidender Ruck für einen positiven Stimmungswandel am Standort Deutschland.
Der Opel-Chef David Herman hat kürzlich in einem Gespräch mit der „FAZ" vom 14. März davon gesprochen, daß schon ein Stimmungswandel bei den Investoren festzustellen sei: „Wer über Investitionen nachdenkt, muß Deutschland wieder einbeziehen. "
Positiv über den Gesetzentwurf zur Steuerreform äußerte sich auch der Vorsitzende des Steuerausschusses der US -Handelskammer, Claus-Dieter Jack-
stein, in einem Gespräch mit dem „Handelsblatt" vom 27. Februar 1997: „Sollte er Gesetz werden, wird er für ausländische Investoren eine enorme Signalwirkung haben. "
Nicht nur die Investitionen würden anspringen. Nach einer Untersuchung des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels kann mit einer Kaufkraftverbesserung von rund 37 Milliarden DM bzw. mit einem Umsatzplus im Einzelhandel von 10 bis 12 Milliarden DM gerechnet werden.
All das, meine Damen und Herren, wäre gefährdet, wenn die SPD jetzt weiter einen Blockade- und Konfrontationskurs fährt.
Darum sage ich Ihnen: Stimmen Sie diesem Entwurf zu! Hören Sie auf Ministerpräsident Schröder oder Bürgermeister Voscherau, und kehren Sie im Interesse der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen in Deutschland an den Verhandlungstisch zurück!
Ich danke Ihnen.