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    Plenarprotokoll 13/166 (Zu diesem Plenarprotokoll folgt ein Nachtrag) Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 166. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. März 1997 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeordneten Dr. Jürgen Warnke 14891 A Erweiterung der Tagesordnung 14891 A Absetzung des Punktes 16 von der Tagesordnung 14892 A Tagesordnungspunkt 3: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-Neuordnungsgesetz) (Drucksachen 13/6087, 13/7264) . . . 14892 A b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit - zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Sofortprogramm zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in den Krankenkassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Schmidbauer (Nürnberg), Klaus Kirschner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Rettungsdienst in der gesetzlichen Krankenversicherung (Drucksachen 13/5726, 13/6578, 13/7264) . . . 14892 B Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ CSU 14892 C Rudolf Dreßler SPD 14895 D Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14900B, 14919 D Dr. Dieter Thomae F.D.P 14902 D Dr. Ruth Fuchs PDS 14906 C, 14926 B Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 14908 B Klaus Kirschner SPD 14912 C Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 14915 D, 14920 D Karl Hermann Haack (Extertal) SPD . . . 14919 B Dr. Martin Pfaff SPD 14920 B Marina Steindor BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14922 A Petra Ernstberger SPD 14923 B Ulf Fink CDU/CSU 14924 D Regina Schmidt-Zadel SPD 14927 B Namentliche Abstimmung 14929 B Ergebnis 14933 C Tagesordnungspunkt 4: Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (1. GKV- Neuordnungsgesetz) (Drucksachen 13/ 5724, 13/6103, 13/6670, 13/7172) . . . 14930 A Tagesordnungspunkt 5: Debatte zum Klimaschutz und zur CO2- Minderung a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Müller (Düsseldorf), Anke Fuchs (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Programm für Klimaschutz, Wirtschaftsmoder- nisierung und Arbeitsplätze in Deutschland - zu dem Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Investitionsprogramm für Arbeitsplätze durch Klimaschutzmaßnahmen (Drucksachen 13/187, 13/ 739, 13/4052) 14930 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Köhne, Dr. Gregor Gysi und der weiteren Abgeordneten der PDS: Verbot des Neuanschlusses von Stromheizungen (Drucksachen 13/732, 13/3357) . . . 14930 C c) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Köhne, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS: Wärmenutzungsverordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksachen 13/763, 13/4411) 14930 C d) Große Anfrage der Abgeordneten Monika Ganseforth, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Umsetzung der Selbstverpflichtungserklärung deutscher Wirtschafts- und Industrieverbände zum Klimaschutz (Drucksachen 13/3988, 13/6704) 14930 D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dr. Michael Meister, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Hildebrecht Braun (Augsburg), Dr. Klaus Röhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Aktionsprogramm zur CO2- Minderung und Energieeinsparung im Gebäudebereich (Drucksachen 13/ 5761, 13/7019) 14930 D f) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung anläßlich der VN-Sondergeneralversammlung über Umwelt und Entwicklung 1997 in New York Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland (Drucksache 13/7054) 14930 D g) Antrag der Abgeordneten Helmut Wilhelm (Amberg), Franziska EichstädtBohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Richtlinie für ökologisches Bauen bei Baumaßnahmen des Bundes (Drucksache 13/7089) 14931 A h) Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Wilhelm Dietzel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Fraktion der F.D.P.: Globale Umwelt- und Entwicklungspartnerschaft im 21. Jahrhundert - VN-Sondergeneralversammlung 1997 zur Überprüfung und Bewertung der Umsetzung der Agenda 21 (Drucksache 13/7106) . . 14931 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Helmut Wilhelm (Amberg), Franziska Eichstädt Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: CO2-Minderung durch Energieeinsparung im Gebäudebereich (Drucksache 13/7241) 14931 B Dr. Liesel Hartenstein SPD 14931 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 14936 A Dr. Liesel Hartenstein SPD 14936 D Ulrich Heinrich F D P. 14937 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14938 B Birgit Homburger F.D.P. . . . . 14940 B, 14955 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14942 A, 14951 C Rolf Köhne PDS 14943 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14944 D Dr. Angela Merkel, Bundesministerin BMU 14946 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 14949 A Dr. Peter Paziorek CDU/CSU 14950 C Christoph Matschie SPD 14952 B Dr. Mathias Schubert SPD 14953 B Dr. Christian Ruck CDU/CSU 14954 D Ursula Burchardt SPD 14955 D Dr. Michael Meister CDU/CSU 14957 B Monika Ganseforth SPD 14957 D Tagesordnungspunkt 17: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fleischhygienegesetzes (Drucksache 13/6037) 14960 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Nachwei- ses der Eigentümerstellung und der Kontrolle von Luftfahrtunternehmen für die Aufrechterhaltung der Luftverkehrsbetriebsgenehmigung und der Luftverkehrsrechte (Luftverkehrsnachweissicherungsgesetz) (Drucksache 13/ 7246) 14960 A c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR (Erster Teilabschlußbericht) über das Vermögen der DDR-Parteien (ChristlichDemokratische Union Deutschlands, Demokratische Bauernpartei Deutschland, Liberal-Demokratische Partei Deutschlands, National-Demokratische Partei Deutschlands) und Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 13/5376) 14960 B d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR (Zweiter Teilabschlußbericht) über das Vermögen der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und Stellungnahme der Bundesregierung (Drucksache 13/5377) 14960 B e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über ihre Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 BVFG in den Jahren 1993 und 1994 (Drucksache 13/6796) 14960 C f) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 BHO in die Veräußerung der bundeseigenen (ehemaligen US-) Wohnsiedlung Fürth-Süd (Kalb-Housing-Area) in Fürth (Drucksache 13/ 7130) 14960 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Helmut Wilhelm (Amberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Option einer Flächenbahn in Deutschland erhalten (Drucksache 13/ 7240) 14960 D b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Uwe-Jens Heuer und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Überleitung preisgebundenen Wohnraums im Beitrittsgebiet in das allgemeine Miethöherecht (Mietenüberleitungs-Änderungsgesetz) (Drucksache 13/7251) . 14960 D c) Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Uwe-Jens Heuer und der Gruppe der PDS: Ausarbeitung eines Mietspiegelgesetzes sowie damit verbundener Änderungen des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe (Drucksache 13/7245) 14961 A d) Antrag der Abgeordneten Ulrike Mehl, Michael Müller (Düsseldorf), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Elefanten schützen und Verbot des Elfenbeinhandels aufrechterhalten (Drucksache 13/7254) 14961 A Tagesordnungspunkt 18: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. Mai 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Hongkong über den Fluglinienverkehr (Drucksachen 13/6918, 13/7098) 14961 B b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 28. April 1995 über den Beitritt der Republik Österreich zu dem am 19. Juni 1990 unterzeichneten Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (Gesetz zum Beitritt der Republik Österreich zum Schengener Durchführungsübereinkommen) (Drucksachen 13/7012, 13/7193) 14961 C c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der Mieter von Geschäftsraum in den Ländern Berlin und Brandenburg (Drucksachen 13/206, 13/4913) 14961 D d) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen (Drucksachen 13/4514 Nr. 2.7, 13/7123) . . . . 14962 A e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen - Vorbereitung der assoziierten mitteleuropäischen Länder auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union: Justiz und Inneres - LangdonBericht (Drucksachen 13/4514 Nr. 2.2, 13/7129) 14962 B f) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der Waldmann-Kaserne in München (Drucksachen 13/6832, 13/7214) 14962 C g) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der bundeseigenen Sonnenbergsiedlung, Ludwigsburg, an den Zweckverband Pattonville/Sonnenbergsiedlung und die Wohnungsbau Ludwigsburg GmbH (Drucksachen 13/6875, 13/ 7213) 14962 C h) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 187 zu Petitionen (Keine Kürzung der rentenrechtlichen Anrechnung von Ausbildungszeiten) (Drucksache 13/7079) 14962 D i-k) Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 188, 189 und 190 zu Petitionen (Drucksachen 13/7190, 13/7191, 13/7192) . . 14963 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 191 zu Petitionen (Drucksache 13/7269) . . . . 14963 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Verbesserung des Wahlrechts für die Sozialversicherungswahlen und zur Änderung anderer Gesetze (3. Wahlrechtsverbesserungsgesetz) (Drucksachen 13/7144, 13/7270) 14963 C Gerhard Zwerenz (Erklärung nach § 31 GO) 14963 D Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung (Arbeitsförderungs-Reformgesetz) (Drucksache 13/7244) 14964 A Karl-Josef Laumann CDU/CSU 14964 B Adolf Ostertag SPD 14965 B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14966 B Dr. Gisela Babel F.D.P 14967 C Petra Bläss PDS 14968 B Namentliche Abstimmung 14969 C Ergebnis 14971 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Einsatz deutscher Streitkräfte zur Evakuierung deutscher Staatsbürger und unter konsularischer Obhut befindlicher Staatsangehöriger anderer Nationen aus Albanien (Drucksachen 13/7233, 13/7265) 14969 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 14969 D Klaus Francke (Hamburg) CDU/CSU . 14973 C Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 14974 C Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14976 A Freimut Duve SPD 14977 B Günther Friedrich Nolting F.D.P. 14977 C, 14980 C Andrea Gysi PDS 14978 C Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14980 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg . . 14981 A Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14983 B Dr. Gregor Gysi PDS 14984 A Dr. Eberhard Brecht SPD 14984 C Paul Breuer CDU/CSU 14986 A Karsten D. Voigt (Frankfurt) SPD . . . 14986 B Walter Kolbow SPD 14987 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS (Erklärung nach § 31 GO) 14988 D Zusatztagesordnungspunkt 8: Aktuelle Stunde betr. öffentliche Diskussion über einen Ratgeber für Sozialhilfeempfänger 14989 D Ulrich Heinrich F.D.P. 14990 A Dr. Peter Struck SPD 14991 B Ulf Fink CDU/CSU 14992 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14992 D Petra Bläss PDS 14994 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. . . 14995 B Brigitte Lange SPD 14996 A Angelika Pfeiffer CDU/CSU 14997 C Waltraud Lehn SPD 14998 B Gert Willner CDU/CSU 14999 C Ottmar Schreiner SPD 15000 D Matthäus Strebl CDU/CSU 15002 A Roland Richter CDU/CSU 15003 A Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer . . 15002 D Tagesordnungspunkt 6: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz) (Drucksachen 13/1550, 13/7208) 15004 A b) Große Anfrage der Abgeordneten Manfred Such, Volker Beck (Köln) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anwendung, Effektivität und Kosten neuartiger polizeilicher Ermittlungsmethoden (Drucksachen 13/3380, 13/4437) 15004 B c) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Manfred Such, Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Erkennbarkeit von Polizeibeamten durch Namensschilder oder Dienstnummern (Drucksachen 13/2002, 13/4402) 15004 B Dietmar Schlee CDU/CSU 15004 C Günter Graf (Friesoythe) SPD 15006 D Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15008 C Dr. Max Stadler F.D.P. 15010 B Ulla Jelpke PDS 15011 C Hans-Peter Kemper SPD 15012 D Erwin Marschewski CDU/CSU 15014 A, 15014 B Manfred Kanther, Bundesminister BMI . 15015 A Tagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Konrad Gilges, Ottmar Schreiner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in Baubetrieben (Drucksache 13/7122) . . . . 15017 A b) Antrag der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ganzjährige Beschäftigung auf dem Bau fördern (Drucksache 13/7194) . . 15017 B Konrad Gilges SPD 15017 B, 15030 A Franz Romer CDU/CSU 15019 B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15021 A Dr. Gisela Babel F.D.P. 15022 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15022 D Manfred Müller (Berlin) PDS 15023 D Dr. Peter Ramsauer CDU/CSU 15024 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15025 C Doris Barnett SPD 15027 A Horst Günther, Parl. Staatssekretär BMA 15028 C Zusatztagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Nutzer und zur weiteren Erleichterung von Investitionen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Nutzerschutzgesetz) (Drucksache 13/2022) 15030 D - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Klaus-Jürgen Warnick und der Gruppe der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Nutzerinnen und Nutzer von Grundstücken in den neuen Bundesländern (Nutzerschutzgesetz) (Drucksache 13/2822) 15030 D - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung und Vereinheitlichung sachenrechtlicher Fristen (Drucksachen 13/5982, 13/7275) 15030 D b) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses - zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Schwanitz, Hans-Joachim Hakker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Vorrang für die Nutzer in Ostdeutschland - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Heuer, Klaus-Jürgen Warnick und der weiteren Abgeordneten der PDS: Moratorium zum Schutze der redlichen Nutzer und Nutzerinnen vor der zivilrechtlichen Durchsetzung von Rückübertragungsansprüchen im Beitrittsgebiet (Drucksachen 13/803, 13/613, 13/ 7275) 15031 A Dr. Michael Luther CDU/CSU . 15031 B, 15032 D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. 15032 C Hans-Joachim Hacker SPD 15033 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15035 B Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . . 15036 B Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 15037 B Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . . 15038 A Dr. Dietrich Mahlo CDU/CSU 15038 B Hans-Joachim Hacker SPD 15038 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 15039 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 15040 A Tagesordnungspunkt 8: a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Maritta Böttcher, Rosel Neuhäuser, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Antje Hermenau und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 1996 (Drucksachen 13/4555, 13/5802, 13/5817, 13/ 5835, 13/6769) 15042 A b) Antrag der Abgeordneten Günter Rixe, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Investieren in eine lebenswerte Zukunft: Die Modernisierung des dualen Systems vorantreiben (Drucksache 13/6743) . 15042 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Günter Rixe, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Grundsatzerklärung zur Entwicklung der Ausbildungsberufe (Drucksache 13/7255) 15042 B Tagesordnungspunkt 9: Große Anfrage der Abgeordneten Annelie Buntenbach und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Außenpolitische Betätigung des Bundesinnenministeriums (Drucksachen 13/4188, 13/5457) 15043 A Tagesordnungspunkt 10: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr - zu dem Antrag der Abgeordneten Elke Ferner, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Telematik im Verkehr - zu dem Antrag der Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Rainder Steenblock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Telematik für die Verkehrswende nutzen (Drucksachen 13/4019, 13/4441, 13/ 6911) 15043 B Tagesordnungspunkt 11: Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Vermögenszuordnung von Vermögenswerten an ostdeutsche kommunale Gebietskörperschaften nach dem Vermögenszuordnungsgesetz (Drucksachen 13/5769, 13/7230) 15043 C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 15043 D Nächste Sitzung 15045 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 15047* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Naturschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) 15047* B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ernst Hinsken und Albert Deß (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) 15047* C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) und Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) 15047* C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Herbert Lattmann (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) 15048* A Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) 15048* B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) 15048* D Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus Jürgen Warnick (PDS) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) 15049* A 166. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. März 1997 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Blunck, Lilo SPD 20. 3. 97 Böttcher, Maritta PDS 20. 3. 97 Braun (Auerbach), Rudolf CDU/CSU 20. 3. 97 Horn, Erwin SPD 20. 3. 97 Dr. Jacob, Willibald PDS 20. 3. 97 Lummer, Heinrich CDU/CSU 20. 3. 97 * Dr. Rochlitz, Jürgen BÜNDNIS 20. 3. 97 90/DIE GRÜNEN Schulte (Hameln), SPD 20. 3. 97 ** Brigitte Seuster, Lisa SPD 20. 3. 97 Vosen, Josef SPD 20. 3. 97 Wallow, Hans SPD 20. 3. 97 Zierer, Benno CDU/CSU 20. 3. 97 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) Bei der Abstimmung über das „Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der Nutzer und zur weiteren Erleichterung von Investitionen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet" werde ich mit Nein stimmen. Ich halte es für untragbar, daß sieben Jahre nach dem Untergang der DDR Privateigentum jetzt noch „Volkseigentum" werden soll. Der Deutsche Bundestag soll mit diesem Gesetz Rechtsmängel heilen, die die DDR bei der Überführung von Privatgrundstükken und Häusern in „Volkseigentum" begangen hat. Auf Grund dieser Fehler sind diese Immobilien nicht zu Staatseigentum geworden, sondern Privateigentum geblieben, da die zugrunde liegenden Enteignungen, Zwangsverkäufe, Eigentumsübertragungen oder Verzichtserklärungen unwirksam und somit nichtig sind. Das Vorhaben, diese „zivilrechtlichen Mängel" durch Gesetz für unbeachtlich zu erklären, Anlagen zum Stenographischen Bericht bedeutet praktisch eine entschädigungslose Enteignung. Dies halte ich, wie die Rechtswissenschaftlerin Beate Grün von der Universität Erlangen-Nürnberg, für grob verfassungswidrig. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ernst Hinsken und Albert Deß (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) Wir schließen uns der Erklärung des Kollegen Graf Waldburg-Zeil an und stimmen deshalb dem „Nutzerschutzgesetz" nicht zu. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU) und Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) Hinter den sehr harmlosen Titeln „Nutzerschutzgesetz" oder „Änderung des Wohnraummodernisierungssicherungsgesetzes" (Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der Nutzer und zur weiteren Erleichterung von Investitionen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet) verbergen sich tiefgreifende Probleme, die kontrovers behandelt wurden und trotz gefundener Kompromisse nach wie vor kontrovers gesehen werden. Der sogenannte doppelte Durchgriff ermöglicht es, Gewerkschaften und Erben ehemaliger jüdischer Mitbürger das Vermögen zurückzuhalten, das durch verschiedene Verschachtelungen nicht unmittelbar in der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 enteignet wurde, sondern erst in der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR durch Enteignung von Firmen oder von Treuhändern verlorenging. Hier hatten die neuen Bundesländer Bedenken angemeldet, es bleibt abzuwarten, wie die Abstimmung im Bundesrat ausgeht. Ein anderes Problem, das an den Grundfesten des Rechtsstaates rüttelt, ist die rückwirkende Heilung von nicht nach Recht der ehemaligen DDR vollzogenen Enteignungen. Dabei war die „falsa demonstratio" bei Kaufverträgen nach dem sogenannten Modrow-Gesetz kein größeres rechtliches Problem. Die Überführung von Eigentum in Volkseigentum ohne Einhaltung der materiellen und formellen Rechtsvorschriften der DDR wurde eine fast nicht zu lösende Hürde. In dem neu formulierten § 22 des Vermögens- zuordnungsgesetzes wurde nach langwierigen und sehr kontroversen Verhandlungen ein Kompromiß gefunden. Die obersten Gerichte werden nun zu prüfen haben, was „mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechthin unvereinbar" war, ob dazu nur die Ausschaltung von Erben oder z. B. auch eine fehlende Zustellung zählt. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht zu prüfen, ob § 22 Abs. 1 (neu) des Vermögenszuordnungsgesetzes nicht deswegen gegen Art. 14 GG verstößt, weil eine Enteignung oder ein enteignungsgleicher Eingriff vorliegt, ohne daß dafür im Gesetz eine Entschädigung vorgesehen ist. Viele Eigentümer werden Zweifel am Rechtsstaat Deutschland anmelden, weil ihnen erneut eine vermeintliche oder tatsächliche Rechtsposition durch das Gesetz genommen wurde. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Herbert Lattmann (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungpunkt 9) Bei der Abstimmung über den „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes der Nutzer und zur weiteren Erleichterung von Investitionen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Nutzerschutzgesetz - NutzSchG)" werde ich mit Nein stimmen. Ich halte es für untragbar, daß sieben Jahre nach dem Untergang der DDR Privateigentum jetzt noch „Volkseigentum" werden soll. Der Deutsche Bundestag soll mit diesem Gesetz Rechtsmängel heilen, die die DDR bei der Überführung von Privatgrundstükken und Häusern in „Volkseigentum" begangen hat. Auf Grund dieser Fehler sind diese Immobilien nicht zu Staatseigentum geworden, sondern Privateigentum geblieben, da die zugrunde liegenden Enteignungen, Zwangsverkäufe, Eigentumsübertragungen oder Verzichtserklärungen unwirksam und somit nichtig sind. Das Vorhaben, diese „zivilrechtlichen Mängel" durch Gesetz für unbeachtlich zu erklären, bedeutet praktisch eine entschädigungslose Enteignung. Dies halte ich, wie die Rechtswissenschaftlerin Beate Grün von der Universität Erlangen-Nürnberg, für verfassungswidrig. Anlage 6 Erklärung nach j 31 GO des Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) Mit dem „Nutzerschutzgesetz" und der „Änderung des Wohnraummodernisierungssicherungsgesetzes" sollen Rechtsverletzungen geheilt werden, die bei Enteignungen durch Behörden der DDR begangen worden sind. Es mag dem Rechtsfrieden dienen, wenn geringerwertige Rechtsverletzungen, wie etwa geringfügige Formverstöße, Jahrzehnte nach ihrer Begehung nicht mehr zur Rückgängigmachung der Eingriffe führen. Grobe Rechtsmängel, wie etwa das Fehlen einer Entschädigungsregelung oder fehlende Zustellung des Enteignungsbescheides, dürften dagegen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen schlechthin unvereinbar sein. Sie waren auch mit dem Recht der DDR nicht vereinbar. Ich gehe davon aus, daß die oben genannten Gesetze nicht zum Ziel haben können, Rechtsbrüche der DDR-Behörden bei Enteignungen oder enteignungsgleichen Eingriffen insgesamt zu heilen. Ich stimme den genannten Gesetzen zu, weil sie in engem Rahmen zum Rechtsfrieden beitragen können und weil jede einzelne Bestimmung dieser Gesetze gegebenenfalls nochmals durch das Bundesverfassungsgericht auf ihre Vereinbarkeit mit den grundlegenden Regeln des Rechtsstaates hin überprüft werden kann. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) Bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates „Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der Nutzer und zur weiteren Erleichterung von Investitionen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet" werde ich mit Nein stimmen. Ich halte es für untragbar, daß sieben Jahre nach dem Untergang der DDR Privateigentum jetzt noch „Volkseigentum" werden soll. Der Deutsche Bundestag soll mit diesem Gesetz Rechtsmängel heilen, die die DDR bei der Überführung von Privatgrundstücken und Häusern in „Volkseigentum" begangen hat. Auf Grund dieser Fehler sind diese Immobilien nicht zu Staatseigentum geworden, sondern Privateigentum geblieben, da die zugrundeliegenden Enteignungen, Zwangsverkäufe, Eigentumsübertragungen oder Verzichtserklärungen unwirksam und somit nichtig sind. Das Vorhaben, diese „zivilrechtlichen Mängel" durch Gesetz für unbeachtlich zu erklären, bedeutet praktisch eine entschädigungslose Enteignung. Dies halte ich, wie die Rechtswissenschaftlerin Beate Grün von der Universität Erlangen-Nürnberg, für grob verfassungswidrig. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick (PDS) zur Abstimmung über den Gesetzentwurf: Nutzerschutzgesetz (Zusatztagesordnungspunkt 9) Ich gestehe, daß ich noch vor wenigen Tagen unsicher war, ob ich mich bei der Abstimmung zum Nutzerschutzgesetz enthalten oder ob ich zustimmen soll. Auf der einen Seite habe ich mich seit Jahren in meinen Funktionen in Vereinigungen der Grundstücksnutzer und -eigentümer, beim Mieterbund und in den Fachausschüssen des Bundestages um eine Verbesserung des Nutzerschutzes bemüht. Da jede, wenn auch kleine Verbesserung einen weiteren Erfolg für die Betroffenen in Ostdeutschland darstellt, müßte ich also zustimmen. Auf der anderen Seite ist das Verhalten von Bundesregierung und Koalitionsfraktionen in bezug auf offene Vermögensfragen derart unerträglich, die Art und Weise, mit der die Nutzerschutzgesetze im Bundestag behandelt und immer wieder verschoben wurden, derart skandalös, daß eine Zustimmung zu diesem Kompromiß ausgeschlossen ist. Die abgetrotzten Veränderungen beinhalten so viele Fehler, daß weitere Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert sind. Aus Hunderten schlechten Erfahrungen der letzten sieben Jahre mißtrauisch geworden, frage ich mich, ob hinter dieser schlechten Formulierung keine Absicht steht, ob nicht wie beim Einigungsvertrag, immer zum Nachteil der ostdeutschen Nutzer und Käufer, „Sollbruchstellen" eingearbeitet sind. Ich habe seit Monaten eine möglichst schnelle Verabschiedung von Heilungsklauseln zu „ModrowKäufen" im Bau- und Rechtsausschuß eingefordert, damit die redlichen Erwerber dieser Immobilien endlich wieder ruhig schlafen können, damit Grundbuch- und Vermögensämter endlich wieder Rechtsklarheit bekommen, damit Kommunen wieder handlungsfähiger werden. Als Ergebnis liegt ein Gesetzentwurf vor, der die von uns geforderte Rechtssicherheit für Hunderttausende Ostdeutsche durch die von den Koalitionsfraktionen im Gesetzestext benutzten Formulierungen weiterhin nicht ausreichend gewährleistet. Ganz im Gegenteil: Es ist zu erwarten, daß die einflußreiche Lobby der Vertreter der Alteigentümer, ihrer Rechtsanwälte und ihnen wohlgesonnener Richter schon morgen zusammensitzt, um zu beraten, wie diese Gesetzesänderungen umgangen werden können. Ich halte es auch für sehr bedenklich, wenn Gesetzentwürfe, wie hier geschehen, durch Änderungsanträge mit völlig anderem Inhalt so zu anderen Gesetzen mutieren, daß die ursprüngliche Absicht des Antragstellers kaum noch zu erkennen ist. Die vielen in den Nutzerschutzgesetzen geforderten weiteren Verbesserungen im Sachen-, Schuld- und Vermögensrecht, die ebenfalls dringend einer Änderung bedürfen, sind dadurch vollkommen ignoriert worden. Aus allen diesen Gründen werde ich mich der Stimme enthalten und auch in Zukunft für eine erneute Behandlung der noch ausstehenden Verbesserungen vehement eintreten. Nachtrag zum Plenarprotokoll 13/166 Deutscher Bundestag Nachtrag zum Stenographischen Bericht 166. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. März 1997 Inhalt: Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 8 (a - Beschlußempfehlung zu den Entschließungsanträgen: Berufsausbildungsbericht, b - Antrag: Investieren in eine lebenswerte Zukunft: Die Modernisierung des dualen Systems vorantreiben) und zu Zusatztagesordnungspunkt 10 (Antrag: Grundsatzerklärung zur Entwicklung der Ausbildungsberufe) Marion Seib CDU/CSU 15051* A Dr.-Ing. Rainer Jork CDU/CSU 15052* A Stephan Hilsberg SPD 15053* B Günter Rixe SPD 15054 * B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15056* C Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann F.D.P. . . 15057* C Rosel Neuhäuser PDS 15058* C Elke Wülfing, Parl. Staatssekretärin BMBF 15059* B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (Große Anfrage: Außenpolitische Betätigung des Bundesinnenministeriums) Hartmut Koschyk CDU/CSU 15061 * C Jochen Welt SPD 15063* B Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15064* D Dr. Max Stadler F D P. 15065* C Ulla Jelpke PDS 15066* B Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 15067* A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Beschlußempfehlung zum Antrag: Telematik im Verkehr und Antrag: Telematik für die Verkehrwende nutzen) Georg Brunnhuber CDU/CSU 15068* A Reinhold Hiller (Lübeck) SPD 15069* C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15072* A Horst Friedrich F.D.P. 15072* D Dr. Dagmar Enkelmann PDS 15073* C Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär BMV 15074* B Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 (Große Anfrage: Vermögenszuordnung von Vermögenswerten an ostdeutsche kommunale Gebietskörperschaften nach dem Vermögenszuordnungsgesetz) Manfred Kolbe CDU/CSU 15075* B Hans-Joachim Hacker SPD 15076* D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 15078* B Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 15078* D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 8 (a - Beschlußempfehlung zu den Entschließungsanträgen: Berufsausbildungsbericht b - Antrag: Investieren in eine lebenswerte Zukunft: Die Modernisierung des dualen Systems vorantreiben) und zu Zusatztagesordnungspunkt 10 (Antrag: Grundsatzerklärung zur Entwicklung der Ausbildungsberufe) Marion Seib (CDU/CSU): Zwei Drittel aller jungen Menschen in Deutschland - das sind 600 000 bis 700 000 jährlich - wollen ihre Zukunft auf eine betriebliche Ausbildung aufbauen, in die sie großes Vertrauen setzen. Die Ausbildungskapazität von Betrieben wird von vier wesentlichen Punkten bestimmt: erstens von der Einschätzung der künftigen Konjunktur, zweitens von der aktuellen Auftrags- und Beschäftigungslage, drittens vom kurzfristigen Kostendenken und schließlich viertens vom Nachfrageverhalten der Jugendlichen. Jugendliche sind heute überwiegend auf bestimmte Berufsbilder fixiert, sie sehnen sich offensichtlich nach bestimmten Modeberufen, und dies ist ein Hemmnis bei der Aufnahme von beruflicher Ausbildung. Der erlernte Beruf kann nicht mehr automatisch der Lebensberuf sein, zu sehr haben sich die Lebensverhältnisse in unserer schnellebigen Zeit verändert. Aus- und Weiterbildung sind meistens nur Phasen im Prozeß des lebensbegleitenden Lernens. Darauf müssen sich die jungen Menschen einstellen, sie müssen flexibler und mobiler werden. Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung, die dem Hohen Hause bekannt sind und die wir sehr begrüßen, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn sie noch nicht durchweg zur erwünschten Zufriedenheit in den Ausbildungsbetrieben geführt haben, dann liegt das auch daran, daß die IHK, die Handwerkskammern und die Gewerbeaufsichtsämter ihre Aufgaben zu eng fassen. Statt Ausbildungsabläufe zu modernisieren und gemeinsam mit den Berufsschulen neue Inhalte zu erarbeiten oder die modulare Ausbildung im Rahmen des dualen Systems und die Verbundausbildung zu fördern, erschöpft sich ihre Aufgabe häufig in der juristischen Betrachtung von Ausbildungsverträgen. Es kann nicht sein, daß diese Stellen lediglich die zutreffende Vergütungsgruppe für den Auszubildenden festlegen, die Pausen- und Urlaubszeiten regeln und die Schutzvorschriften in Verträgen und Betrieben mit größter Akribie kontrollieren. Unerläßlich ist es, daß diese Stellen weggehen von ihrer rein kontrollierenden Aufgabe und hinkommen zur Beratung der ausbildungswilligen Unternehmen. Anlagen zum Stenographischen Bericht Kleine und mittlere Handwerksbetriebe stellen dann ihr Reservoir an Ausbildungsplätzen zur Verfügung, wenn überzogene Kontrollmechanismen wegfallen. Dazu kommt die Erwartung, daß die Mitarbeiter nach dem Ende der Ausbildung auch zur Verfügung stehen. Es ist eindeutig belegbar: Betriebstreue und Qualität der im eigenen Unternehmen ausgebildeten Fachkräfte sind hoch. Und nun zur Ausbildungsplatzabgabe, die die SPD fordert und die nichts anderes ist als eine weitere Belastung unserer Betriebe. Sie bringt weder neue Formen der Ausbildungsorganisation noch Flexibilität des dualen Systems, aber mit Sicherheit weitere finanzielle und bürokratische Belastungen. Eine solche Abgabe geht an der unternehmerischen Realität, vor allen Dingen an mittelständischen Erfordernissen völlig vorbei. Ich selbst bin Unternehmerin und führe zusammen mit meinem Mann einen mittelständischen Betrieb mit 250 Mitarbeitern. Allein in den letzten fünf Jahren haben wir durchschnittlich 20 Lehrlinge in Ausbildung. Bis zu 60 Prozent haben wir nach abgeschlossener Lehre übernommen. Rund 20 Prozent haben sich im Anschluß durch ein Studium weitergebildet und sind nicht selten nach dessen Abschluß in unseren Betrieb zurückgekehrt. Wir waren in der Lage, dies zu tun, weil die Auftragslage es ermöglichte. Wären wir als mittelständisches Unternehmen nicht wettbewerbsfähig gewesen, wären wir heute nicht mehr auf dem Markt und hätten dementsprechend keine Lehrlinge ausbilden und in eine dauerhafte berufliche Tätigkeit überführen können. Ich stelle abschließend fest: Mit der von der SPD geforderten Ausbildungsplatzabgabe werden die Kosten unserer Betriebe weiter ansteigen, die Voraussetzungen für die Einstellung von Lehrlingen weiter verschlechtert und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft beeinträchtigt. Dabei ist noch die Frage offen, wie dieses Geld eigentlich verwendet werden soll. Wollen Sie damit etwa betriebsferne Ausbildungen finanzieren, die hinterher in Betrieben und Unternehmen zu keiner Beschäftigung führen? Entscheidend für die jungen Leute ist es, daß schon bei Beginn der Ausbildung möglichst gute Aussichten auf eine berufliche Beschäftigung bestehen. Daß eine künstlich hochgezogene, betriebsferne Quasi-Lehrlingsausbildung nicht zu diesem Ziel führen kann und daß die Enttäuschung bei den Betroffenen, die dann trotz Ausbildung keinen Arbeitsplatz finden, groß ist, versteht sich. Eine Ausbildung ins Nichts ist allenfalls eine zeitliche Verlagerung des Problems. Ausbildung und Berufsrealität müssen so nah wie möglich beieinander liegen. Mit diesem klaren Nein zur Ausbildungsplatzabgabe der SPD verbinde ich ein klares Ja zu der gestern von Bundesminister Dr. Rüttgers vorgestellten Gemeinschaftsinitiative von Bundesregierung, Wirtschaft und Bundesanstalt für Arbeit „Ausbilden - wir machen mit". Das ist der richtige Weg, und den wollen wir gehen. Dr.-Ing. Rainer Jork (CDU/CSU): Wir beraten den Berufsbildungsbericht 1996 mit den Zahlen des Ausbildungsjahres 1994/95 heute nicht zum erstenmal. Wir haben ihn am 17. Oktober 1996 im Plenum und am 6. November und 11. Dezember 1996 im Bildungsausschuß behandelt. Manch einer wird also die Frage stellen: Warum befaßt sich der Bundestag heute erneut damit? Darauf könnte man drei Antworten geben: Erstens bietet die Diskussion immer Gelegenheit, auf die aktuelle Lehrstellensituation einzugehen. Zweitens sollte die Beobachtung der wirtschaftlichen Entwicklung möglichst unverzögert zu Rückschlüssen auf die geforderten Maßnahmen führen. Drittens brauchen Lehrlinge, weil sie nicht in Verbänden organisiert sind, faire Partner. Deshalb ist die Politik in der Pflicht, sich der Frage regelmäßig zu widmen. Die aktuelle Lage auf dem Lehrstellenmarkt gibt wenig Anlaß zu Frohsinn. Die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit von Ende Februar spiegeln die kritische Situation deutlich wider. Das Lehrstellenangebot in Gesamtdeutschland ist gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 6,9 Prozent zurückgegangen, die Nachfrage dagegen um 7,6 Prozent gestiegen. Nun sind diese Zahlen mit großer Vorsicht zu betrachten. Zum einen endet das erste Halbjahr des Ausbildungsjahres 1996/97 erst Ende März. Endgültig abgerechnet wird erst Ende September. Die Zahlen haben also vorläufigen Charakter. Zum anderen gibt es große regionale Unterschiede, wie wir sie auch in den Vorjahren festgestellt hatten. So haben mehrere Bundesländer im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zweistellige Rückgänge bei den gemeldeten Ausbildungsplätzen zu verzeichnen, andere dagegen deutliche Zuwächse. Nach derzeitigem Stand liegt das Lehrstellenangebot in den alten Bundesländern prozentual deutlicher unter dem des Vorjahreszeitraums als das in den neuen Bundesländern. Freilich hatte es ein anderes Ausgangsniveau: Während Angebot und Nachfrage in den alten Bundesländern derzeit um zirka 20 000 Plätze auseinandergehen, beträgt der Überhang an Nachfrage in den neuen Bundesländern 110 000 Plätze. Es muß daher unser erstes und wichtigstes Anliegen sein, in Ost und West auch in diesem Jahr wieder eine ausreichende Anzahl an Lehrstellen zur Verfügung zu stellen. Noch stärker wollen wir dabei unsere Anstrengungen auf die Schaffung betrieblicher Lehrstellen richten, denn die Grundforderungen an die duale Berufsausbildung - Qualität, Praxisbezug und die Chance auf einen Arbeitsplatz - sind im Betrieb am besten gewährleistet. Deshalb trifft die gestern vorgestellte Initiative der Bundesregierung, der Bundesanstalt für Arbeit und der deutschen Wirtschaft, die sich zuerst an die verantwortlichen Partner richtet, genau die richtige Stelle. Nun bleibt die Frage, was wir weiter tun können, um die schwierige Situation zu bessern. Der Initiative der Spitzenverbände und der Bundesregierung entsprechende Maßnahmen müssen auf allen Ebenen folgen. Ich habe zum Beispiel vor wenigen Tagen eine Rückmeldung aus Görlitz bekommen, wo die Stadt, die IHK, die Handwerksinnung, die Gewerkschaften und das Arbeitsamt gemeinsam ein solches Bündnis geschlossen haben. Positive Auswirkungen auf den Lehrstellenmarkt sind auch von der Einführung neuer, moderner Berufe und von zweijährigen Ausbildungsgängen für stärker praktisch begabte Jugendliche zu erwarten, die die Chancen dieser jungen Menschen auf einen Ausbildungsplatz verbessern. Beide Maßnahmen sind im Berufsbildungsbericht 1996 genannt und werden auch umgesetzt. Ich will darauf aufmerksam machen, daß 1996 21 neue Ausbildungsordnungen in Kraft getreten sind und weitere rund 100 Berufe derzeit entwickelt werden. Für knapp 50 davon sollen in diesem Jahr Ausbildungsordnungen gültig werden. Über weitere, auch unkonventionelle Maßnahmen sollten wir gemeinsam nachdenken. Warum sollte beispielsweise die Vergabe von Studienplätzen nicht so zeitig erfolgen, daß Abiturienten, wenn sie studieren wollen, nicht erst eine Lehrstelle blockieren? Auch in diesem Jahr wird die Lösung der Probleme in den neuen Bundesländern noch besonders schwierig sein. Die Wirtschaft ist aus eigener Kraft noch nicht genügend leistungsfähig, um eine ausreichende Anzahl an Lehrstellen zu schaffen. Im letzten Jahr ist es auch dank der finanziellen Unterstützung des Bundes gelungen, jedem Interessenten eine Lehrstelle anzubieten. Dafür gilt der Bundesregierung und insbesondere dem Bundeskanzler nochmals unser herzlicher Dank. Wir dürfen aber nicht die Augen davor verschließen, daß zirka 60 Prozent der Lehrstellen in den neuen Bundesländern staatlich gefördert sind. Das spiegelt die vorhandenen Strukturprobleme. Das zeigt aber auch, daß vorsichtig zu handeln ist, wenn man durch Dauerförderung das duale System nicht funktionsunfähig machen will. Wir müssen uns also Gedanken darüber machen, wie die Förderung weiterzuführen ist. Wenn die Bundesregierung 1996 davon ausging, daß man sie kurzfristig zurückführen könne, muß heute festgestellt werden, daß dies nicht vertretbar ist. Ich bin froh, zu hören, daß deshalb die Weiterführung realitätsbezogen, das heißt entsprechend der aktuellen Lage, nicht in Frage gestellt wird. Ich will aber nochmals ganz deutlich sagen: Das Geld, das die Bundesregierung zur Verfügung stellt, ist nicht alles. Alle Partner können mit unkonventionellen Schritten helfen: Zuerst kommt natürlich den Betrieben eine große Verantwortung zu. Die Arbeitsämter können mit gezielter Beratung helfen, die Tarifpartner mit der Gestaltung flexibler Verträge und angemessener Tarife für die Lehrlinge. Die Länder und Kommunen haben die Verantwortung für die betriebsnahe Umsetzung von Förderprogrammen und übrigens auch für die Gestaltung des Berufsschulunterrichts. Nochmals nenne ich auch meine Idee, durch rechtzeitige Versendung von Studienbescheiden den Verdrängungswettbewerb zwischen studier- willigen Gymnasiasten und Real- bzw. Hauptschülern zu verhindern. Ich bin in diesem Punkt so ausführlich, weil die Kollegen von der Opposition spätestens im Mai - wie in jedem Jahr - die Lehrstellenkatastrophe ausrufen werden, zu einer Aktuellen Stunde ins Plenum laden und dort nach Zwangsabgaben für die Betriebe rufen. Daher habe ich mich gefreut, als ich neulich las, daß sich die SPD-Fraktion in Thüringen gegen eine solche Abgabe ausgesprochen hat. Es ist doch schön, daß auch bei Ihnen trotz entgegengesetzter Parteitagsbeschlüsse realitätsnah nachgedacht und geurteilt wird. Was hat der Bund also in diesem Jahr weiter zu tun? Vor allem müssen die im Berufsbildungsbericht genannten Maßnahmen weiter betrieben und aktualisiert werden, Wichtig ist die Deregulierung, worunter ich hier die Schaffung differenzierter Ausbildungsgänge und die Definition neuer Berufe in Technik, Dienstleistungen und im sozialen Bereich verstehe. Das Ziel der Modernisierung sollte auch bei der laufenden Überarbeitung der Anlage A der Handwerksordnung im Mittelpunkt stehen. Zum anderen ist darauf zu achten, daß die Förderung zuerst auf betriebliche Lehrstellen gerichtet, auf die Spezifik der Länder und Regionen bezogen, durch ein Rückmelde-, Kontroll- und Korrektursystem begleitet, materiell und organisatorisch ist. Die konstruktive Begleitung des Bundes ist auch in den nächsten Jahren gefragt, zumal die Entwicklung auf dem Lehrstellenmarkt von vielen Faktoren abhängt. Letztlich bleibt aber immer die Wirtschaft gefordert, im Interesse der eigenen Zukunft, der Lehrlinge und des Standorts Deutschland. Stephan Hilsberg (SPD): Im Zentrum unserer heutigen Debatte muß die Feststellung stehen: Die Lehrstellen reichen einfach nicht mehr aus. Der Trend dahin war schon lange erkennbar. Im letzten Jahr wurde eine neue Qualität erreicht - die Ausbildungsplatzbilanz ist negativ. Ich kann Bundesminister Rüttgers einfach nicht verstehen. Sein Frohlocken vom letzten Jahr: Der Trend sei gestoppt, ja umgekehrt. Das Gegenteil ist der Fall. Nun tut er schon wieder so. Ich kann nur sagen, der Versuch, die Öffentlichkeit zu täuschen, wird Ihnen nicht gelingen. Die aktuellen Zahlen sind absolut negativ. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage klafft immer weiter auseinander. Wir haben Ausbildungsnotstand. Das duale System erfüllt eine seiner beiden zentralen Aufgaben nicht mehr. Neben der Bereitstellung von Facharbeiternachwuchs für die Betriebe kann es ganz offensichtlich nicht mehr allen Jugendlichen, die dies wünschen, eine Lehrstelle garantieren. Wer hier meint, das duale System sei nur dazu da, für den einzelbetrieblichen Facharbeiternachwuchs zu sorgen, der handelt fahrlässig an den Jugendlichen, die unverschuldet keine Lehrstelle bekommen. Jugendarbeitslosigkeit ist nicht mehr nur eine hypothetische Gefahr, sondern Realität. Und es geht ja nicht nur um Jugendarbeitslosigkeit. Schauen Sie sich doch mal die Einzelschicksale an! Wenn Sie sich klarmachen, daß Jugendliche zum Teil zwischen 50 und 100 ergebnislose Bewerbungen abgeben und daß auf eine offene Lehrstelle gegenwärtig 23 Bewerber kommen, dann können Sie sich die Ohnmachtsgefühle vorstellen, die diesen Jugendlichen beim Eintritt in das Arbeitsleben vermittelt werden. Daß leistungsbereiten Jugendlichen kein anständiges Angebot gemacht werden kann, das muß uns Sorgen machen und das ist der soziale Nährboden für Suchtgefahr, Rechtsextremismus und zunehmende Gewaltbereitschaft und nicht der lachhafte Vorwurf von Werteverlust oder Wertevakuum. Andere negative Folgen sind die Ausbildungsbedingungen. Man muß den Auszubildenden einfach mal zuhören, wenn sie von Zuständen in ihren Betrieben erzählen, die man nur als Ausbeutungssymptome diagnostizieren kann, zum Beispiel im Einzelhandelsbereich - unter Ausnutzen der Abhängigkeit der auszubildenden Jugendlichen. Wie auch dort, wo Jugendliche zum Teil ein bis zwei Jahre auf einen Ausbildungsplatz gewartet haben, von einem realisierten Ausbildungsplatzwunsch ganz zu schweigen. Natürlich sind wir uns im klaren darüber, daß die Ursachen dieses Ausbildungsnotstandes im wirtschaftlichen Bereich liegen. Wer bei 5 Millionen Arbeitslosen glaubt, daß unser Ausbildungssystem nicht auch Schaden nimmt, der ist auf dem falschen Dampfer. Und in der Wirtschaftspolitik hat diese Bundesregierung genauso versagt wie bei den Ausbildungsplätzen. Der Hauptgrund für die hohe Arbeitslosigkeit und den nicht bewältigten Strukturwandel, insbesondere im Osten, liegt im Mangel an wettbewerbsfähigen Betrieben. Nur, wenn wir uns damit zufriedengeben, daß die Betriebe lediglich für den Eigenbedarf ausbilden, dann sind wir in der Gefahr, zirka 20 Prozent der heranwachsenden Generation auszugrenzen. Das heißt bei unseren traditionellen Mentalitäten, daß in erster Linie junge Frauen und Ausländer benachteiligt werden und daß strukturschwache Regionen ihr wichtigstes Entwicklungspotential, nämlich ihre Menschen, verlieren. Um dieses Problem zu lösen, muß diese Bundesregierung zuerst einmal begreifen, daß es nicht nur um die Befriedigung des einzelbetrieblichen Facharbeiterbedarfs geht, sondern um den gesamtgesellschaftlichen Bedarf an guten Qualifikationen. Deshalb ist der Staat geradezu verpflichtet, regulierend einzugreifen - sei es durch Einzelförderung, wie in Ostdeutschland flächendeckend und teuer praktiziert, oder durch die Gemeinschaftsinitiative des Bundes. Nur muß sie früher als beim letzten Mal einsetzen, damit sich die Betriebe und die Jugendlichen darauf einstellen können. Die Gemeinschaftsinitiative ist doch kein Pokerspiel nach dem Motto: Wer zuerst zieht, zahlt. Die beste Lösung wäre natürlich unser kostensparendes Modell einer gerechteren Ausbildungsfinanzierung. Aber davon will diese Bundesregierung ja aus rein ideologischen Gründen nichts wissen. Statt dessen versucht sie es mit Anpassung und Aktionismus. Immer stärker beobachten wir, daß Rüttgers in die altkapitalistische Klamottenkiste greift nach der Devise: Du mußt den Betrieben nur in den Hintern kriechen, um ihre Ausbildungsmotivation zu steigern. Dazu gehörte übrigens Rüttgers bemerkenswerter Versuch, in allen Gesetzen und Rechtsverordnungen das Wort „Auszubildender" durch das altdeutsche „Lehrling" zu ersetzen. Da haben sie das Credo des deutschen Wertkonservatismus: Wortspiele. Damit bedient er eine Wirtschaft, die ihre Ausbildungsplatzzusage nicht eingehalten hat und nun beginnt, ihre katastrophale Statistik schönzureden. Irgendwie erinnert mich das schon an die DDR. Jetzt also sollen zweijährige Ausbildungszeiten, der „Geselle light", das Einfrieren der Lehrgelder oder Kürzungen im Berufsschulunterricht der Stein der Weisen sein und dazu beitragen, mehr Lehrstellen einzurichten. Da kann ich nur lachen. Die Bundesregierung muß endlich aufhören, ihre untauglichen Lösungsmodelle auf dem Rücken der Jugendlichen durchzusetzen. Natürlich ist nicht alles schlecht, was sie macht: die Gemeinschaftsinitiative, Neuordnung der Ausbildungsberufe oder Verbundlösungen, die Ausbildungsplatzentwickler - alles gut und wichtig. Auch der neuen Initiative „Wir machen mit" wünschen wir viel Erfolg, aber wir sehen ihn noch nicht. Denn das alles reicht nicht aus, um den Ausbildungsnotstand zu beheben. Wir brauchen keine Kosmetik, sondern ein generelles Umsteuern. Wir brauchen eine andere Politik. Mit dieser Bundesregierung aber ist im besten Sinne des Wortes kein Staat mehr zu machen. Günter Rixe (SPD): Die Lage bei den Lehrstellen ist ernst; da stimme ich Ihnen zu, Herr Minister. Ich stimme Ihnen auch zu, daß es in diesem Jahr noch schwieriger werden wird, den Ausgleich zu schaffen. Jetzt haben Sie es endlich auch selber begriffen, daß es so nicht weitergeht. So verstehe ich Ihre Aktion „Ausbilden - wir machen mit": als den letzten verzweifelten Versuch, zu retten, was zu retten ist. Ich frage Sie und die Arbeitgeber: Was habt ihr eigentlich in den letzten Jahren gemacht? Prinzipiell begrüßen wir jede Initiative, die zur Schaffung von Ausbildungsplätzen beiträgt. Aber ich sage zu dieser neuen Initiative eines: An einer gesetzlichen solidarischen Finanzierung kommen wir nicht vorbei. In dieser Situation macht es keinen Sinn, alle die zu verunglimpfen, die die bedrohliche Lage konkret mit Zahlen beschreiben, und wenn Sie hierfür nur Vokabeln wie „Panikmache" oder „Krisengerede" oder „Verunsicherung der Jugendlichen und der Wirtschaft" übrig haben. Dieses Beschimpfen machen wir nicht mit. Heute morgen waren es die Kranken, die sozial Schwachen und die Arbeitslosen, die Sie beschimpft haben, vorgestern waren es die Bergleute, und jetzt sind es wieder die angeblich nicht ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen und all diejenigen, die mit Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit auf den Ernst der Lage hinweisen. Der Berufsbildungsbericht bilanziert die Situation der beruflichen Bildung und enthält berufsbildungspolitische Ankündigungen der Bundesregierung. Deshalb muß sich die Bundesregierung auch gefallen lassen, wenn in der abschließenden Debatte über diesen Bericht des Jahres 1996 sowie über die Situation und die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt die konkreten Zahlen dagegengehalten werden. Ich will Ihnen diese Zahlen nennen: Zunächst stelle ich fest, daß es in den Jahren 1995 und 1996 nicht gelungen ist, allen Jugendlichen, die es wünschten, ein Ausbildungsangebot zu machen. Wenn jeweils zu Beginn des Ausbildungsjahres 1995 und 1996 der Ausgleich in der Statistik gefeiert wurde, so wurde damit verschwiegen, daß Tausende von Jugendlichen ihre schulische Ausbildung im allgemeinen und berufsbildenden Bereich fortgesetzt haben, daß viele in sogenannte Warteschleifen verwiesen wurden und daß viele einfache Hilfsarbeitertätigkeiten angenommen haben, bloß damit sie zunächst etwas hatten. Daß gerade diese Personen bei der nächsten Arbeitsmarktkrise stark gefährdet sind, weiß jeder. Über die Enttäuschungen bei den jungen Menschen, keinen Ausbildungsplatz gefunden zu haben, und über das Gefühl, von dieser Gesellschaft offenbar nicht gebraucht zu werden, dazu schweigt der Berufsbildungsbericht. Und wenn wir zweitens über die Perspektiven im Berufsbildungsbericht reden und das mit den aktuellen Zahlen vergleichen, so stellen wir Erschreckendes fest: Nach den Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit vom Februar 1997 klafft bundesweit eine Lücke zwischen den angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätzen und der Zahl der Bewerberinnen und Bewerber von 142 259. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich diese Lücke mehr als verdoppelt. In Westdeutschland stehen Ende Februar 386 555 gemeldeten Bewerbern lediglich 366 091 gemeldete Ausbildungsstellen zur Verfügung. In Ostdeutschland stehen 166 610 gemeldeten Bewerbern gerade einmal 53 077 gemeldete Ausbildungsstellen zur Verfügung. Diese Situation darf die Politik nicht als Panikmache herunterspielen. Wenn wir über Berichte und die dort aufgeschriebenen Perspektiven reden, muß frühzeitig auch darauf hingewiesen werden, daß die Realität sich anders darstellt, als die Entwicklung beabsichtigt war. Wenn wir das nicht tun, dann ist Politik unglaubwürdig. Wenn man sich einmal die Mühe macht und sich im Detail eine Gruppe der Betroffenen genauer ansieht, dann muß man zum Beispiel für die jungen Frauen und Mädchen feststellen, daß ihre Situation sich zusehends verschlechtert hat. Von den Jungen und Mädchen als Bewerbern im letzten Jahr konnten 52 Prozent der Jungen, aber nur 47 Prozent der Mädchen eine Lehrstelle erhalten. In den neuen Ländern bekamen 66 Prozent der Jungen, aber nur 56 Prozent der Mädchen eine Lehrstelle. Der Anteil der weiblichen Auszubildenden ist in den alten Bundesländern 1995 auf 40 Prozent abgesunken. 1989 waren es noch 43 Prozent. Unter den nicht vermittelten Bewerbern sind die Mädchen überrepräsentiert. 1996 lag der Anteil der Mädchen bei den Bewerbern bei 48,7 Prozent, nicht vermittelt wurden aber 50,7 Prozent Mädchen. Wenn ich demgegenüber daran erinnere, daß Mädchen mit den höherwertigen Abschlüssen und den besseren Zensuren aus den Schulen kommen, so kann man feststellen, daß sich für die Mädchen diese nachgewiesene bessere Leistung beim Übergang in die Ausbildung offenbar nicht lohnt. Soviel zu den Zahlen. Hier ließe sich noch eine ganze Menge mehr an Details betrachten und immer wieder feststellen, daß die Situation schlechter wird im Gegensatz zu dem, was die Bundesregierung im Berufsbildungsbericht aufgeschrieben hat. Hierüber reden wir jedes Jahr immer wieder und stellen zum Beispiel fest, daß jährlich fast 100 000 Jugendliche in berufliche Vorbereitungsmaßnahmen wandern, anstatt daß sie im beruflichen dualen System ausgebildet werden. Der Bildungsminister weist in seinem Bericht über die Entwicklung bis zum Jahre 2006 und die deshalb erforderliche Ausweitung des Ausbildungsstellenangebots nicht darauf hin, daß immer mehr junge Menschen aus den Warteschleifen auf den Ausbildungsmarkt drängen. Diese zusätzlichen Nachfrager werden in den Statistiken gar nicht erfaßt. Wenn aber diese jungen Menschen auch beim zweiten Versuch keine Berufsausbildung erlangen können, wird es für sie immer schwieriger, in der Berufswelt Fuß zu fassen. Schon jetzt ist knapp eine halbe Million junger Menschen unter 25 Jahren arbeitslos. Rund 60 Prozent dieser jungen Erwachsenen sind nicht qualifiziert. Sie haben außer der Schulbildung keine weitere Ausbildung erhalten. Ein anderer Punkt in der Debatte über den Berufsbildungsbericht stimmt nachdenklich. Offenbar gibt es Teile der für die Berufsbildung Verantwortlichen, die Abschied nehmen wollen von einem Prinzip in der beruflichen Bildung, das sich seit Jahrzehnten bewährt und das dazu beigetragen hat, daß die Anerkennung unseres dualen Ausbildungssystems im Ausland sehr hoch ist. Berufliche Ausbildung war danach ausgerichtet und daran orientiert, daß die Berufsfelder in ihrer Vielfalt und mit einer vielseitigen fachlichen Spezifikation erlernt wurden, daß man Grundbausteine erlernte, die später umfangreiche Weiterbildung in diesen Berufsfeldern ermöglichte. Heute habe ich den Eindruck, daß dies nicht mehr gewollt ist. Berufsausbildung wird von einigen nur noch verstanden als die Ausbildung für die Tätigkeiten am konkreten Arbeitsplatz. Wo liegt denn hier die berufliche Perspektive, wenn nur noch für eine bestimmte Tätigkeit ausgebildet werden soll, etwa für einen Abschnitt innerhalb einer Fließbandproduktion? Will man hier ein Heer von Hilfsarbeitern heranbilden, das als Spielball konjunktureller Schwankungen dienen soll? Nein, wir sagen: Das Beruflichkeitsprinzip in der dualen Ausbildung ist so wesentlich, daß daran nicht gerüttelt werden darf, auch nicht aus dem Kostendenken der Unternehmen heraus. Dieses kurzfristige Kostendenken bestimmt nach meiner Auffassung viel zu viel das Denken in den Chefetagen. Wenn nur noch der Aktienwert das Denken und Verhalten der Manager bestimmt, bleibt die soziale Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und vor allem gegenüber der jungen Generation auf der Strecke. Wer an diesem Prinzip rüttelt und nicht mehr umfassend für einen Beruf ausbilden will, der will die Veränderung des Ausbildungssystems insgesamt. Wir brauchen aber gerade für den internationalen Wettbewerb die umfassend in den Berufen qualifizierten Fachkräfte. Deshalb ist auch in der Zukunft das Konzept der staatlich anerkannten Ausbildungsberufe die einzige Grundlage für die Ausbildung im dualen System. Unter dem kurzfristigen Kostendenken der Wirtschaft droht auch ein weiterer Grundsatz der deutschen Berufsausbildung über Bord geworfen zu werden: das Konsensprinzip. Bisher war es doch gut, daß der größtmögliche Konsens zwischen allen Verantwortlichen für die berufliche Ausbildung dazu beigetragen hat, daß Qualität und Dauerhaftigkeit in den Regelungen bestand, daß es die Nähe zur beruflichen Wirklichkeit und somit die Akzeptanz in der Ausbildungspraxis gab. Dieses jetzt aufzugeben, nur um den Bedürfnissen der Betriebe aus Kostengesichtspunkten Rechnung zu tragen, ist falsch. Die Ausbildung muß nach wie vor an den Bedürfnissen des gesamten deutschen Arbeitsmarktes ausgerichtet sein. Nur hierdurch lassen sich gesamtgesellschaftlich nötige Änderungen und Entwicklungen in den einzelnen Berufsbildern erkennen und durchführen. Wir wollen, daß der Bundestag sich zu diesen beiden Grundsätzen bekennt: zum Berufsprinzip und zum Konsensprinzip. Diese beiden Grundsätze haben drei Jahrezehnte lang bei allem Streit in Einzelfragen den Grundkonsens aller berufsbildungspolitisch Verantwortlichen markiert. Wir wollen, daß die Bundesregierung sich im Hauptausschuß des Bundesinstituts der Berufsbildung für diesen Konsens einsetzt. Wir wollen, daß die dringende Neuordnung bestehender Berufe und die Entwicklung neuer Berufsbilder sich in diesen Bahnen bewegen. Das duale System wird im Ausland nicht zuletzt deshalb bewundert, weil es seit dreißig Jahren von allen gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam getragen und beharrlich weiterentwickelt wurde. Die Bundesregierung und die Vertreter der Arbeitgeber haben dieser Erklärung im Hauptausschuß bisher nicht zugestimmt. Wollen Sie dieses Markenzeichen des Qualifikationsstandorts Deutschland aufs Spiel setzen, Herr Minister? Der Berufsbildungsbericht 1996 enthält keine hinreichenden Vorschläge zur Rettung des in die Krise gekommenen Ausbildungssystems. Das haben wir schon genauso in den Berufsbildungsberichten der vorherigen Jahre feststellen müssen, und das habe ich auch bei der Einbringung dieses Berichtes hier im Plenum am 17. Oktober 1996 kritisiert. Diese Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien haben in den letzten Jahren nichts zur Bewältigung der Probleme getan. Es ist schade und beschämend, daß ich das im Interesse der jungen Menschen feststellen muß. Die Bundesregierung setzt mit ihren Maßnahmen nicht an den Ursachen an, die verantwortlich sind für den Rückgang der Ausbildungsbereitschaft und der Ausbildungsmöglichkeiten. Die Beschreibungen der Ursachen liegen seit langem auf dem Tisch, sie sind bekannt, und wir haben sie in unserem Antrag „Investieren in eine lebenswerte Zukunft: die Modernisierung vorantreiben" nochmals zusammengestellt. Notwendig ist eine reformierte und gestraffte Erstausbildung, die den frühen Berufseinstieg möglich macht. Notwendig sind über das Arbeitsleben verteilte Weiterbildungsphasen, die der praxisnahen Auffrischung und Verbreiterung des Wissens und auch der Spezialisierung dienen. Wir halten ein Bündel von Maßnahmen zur Sicherung des dualen Systems für erforderlich: Erstens. Zur Steigerung der Attraktivität der beruflichen Bildung ist die lange geforderte Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, der mögliche Wechsel innerhalb der Bildungssysteme, genauso unverzichtbar wie eine ordentliche Ausbildungsvergütung. Diese sollten Sie nicht immer als „Ausbildungshemmnis" abqualifizieren. Die jetzt wieder geäußerte Forderung des Handwerkskammerpräsidenten, die Vergütungen herabzusenken, oder die des Arbeitgeberverbandsgeschäftsführers zum Einfrieren der Vergütungen werden keinen jungen Menschen mehr in die berufliche Erstausbildung führen. Zweitens. Die Berufsvorbereitung muß bereits in allen Schulstufen intensiviert werden, zum Beispiel durch mehr Betriebspraktika oder das Erlernen eines verantwortlichen Umgangs mit informationstechnischen Systemen. Drittens. Da sich in allen Berufsfeldern neue Qualifikationsprofile entwickeln, müssen wir diese Entwicklung kontinuierlich beobachten, bewerten und die notwendigen Veränderungen beraten - wie ich vorhin schon sagte -, aber nicht im Interesse eines einzelnen Betriebes und seiner Kosten, sondern orientiert am gesamten Arbeitsmarkt. Viertens. Wir brauchen gezielt die Förderung von Medienkompetenz in der allgemeinen und beruflichen Bildung und dazu natürlich auch die Haushaltsmittel, um zunächst die Ausbilder und Lehrer zu schulen. Fünftens. Der europäische Integrationsprozeß macht es erforderlich, Fremdsprachen und Kulturen zu vermitteln, Austausche zu ermöglichen und zu fördern und allmählich gemeinsame Ausbildungsstandards zu entwickeln. Sechstens. Eine modernisierte Berufsschule ist nötig, um die Erfolge der beruflichen Ausbildung langfristig abzusichern. 480 Jahresstunden müssen gesichert bleiben; sie können und müssen aber anders organisiert werden. Siebtens. Schließlich gehört für ein modernes Ausbildungssystem dazu, die Finanzierung der Berufsausbildung solidarisch zu organisieren. Wenn die Ausbildung eigentlich Aufgabe der Wirtschaft ist, sollte diese auch die Kosten tragen. Wenn aber tatsächlich nur 30 Prozent der Betriebe und Unternehmen ausbilden und die Kosten tragen, dann müssen wir uns um eine Beteiligung der übrigen 70 Prozent an den entstehenden Kosten bei den noch ausbildenden Betrieben und beim Staat kümmern. Im übrigen ist es auch ungerecht, immer weniger Betriebe und Unternehmungen mit diesen Kosten zu belasten und dazu noch die Folgekosten aus den Steuergeldern zu bezahlen. Hier sagen die Koalitionsfraktionen, das Kümmern um Ausbildungsplätze dürfe nicht zu einer zentralstaatlichen Planungsaufgabe verkümmern; sie lehnen staatlich bürokratische Umverteilungssysteme ab. Sie vertrauen statt dessen auf die leeren Versprechungen der Wirtschaft, meine Damen und Herren auf der rechten Seite des Hauses. Wir nicht mehr! 0,3 Prozent der Bruttolohn- und Gehaltssumme sind ausreichend, um die Nachfragepotentiale der nächsten Jahre abzufangen und für alle Bewerberinnen und Bewerber ein auswahlfähiges Angebot in den Regionen in Höhe von 112,5 Prozent der Bewerberzahlen zu schaffen. Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Pünktlich zur Debatte des Berufsbildungsberichtes kann die „FAZ" frohlocken und verkünden, daß die Bundesregierung gemeinsam mit der Wirtschaft und der Bundesanstalt für Arbeit in Bonn eine Gemeinschaftsinitiative unter der Überschrift „Ausbildung - wir machen mit!" ins Leben gerufen hat. Die Wirtschaft hat aus den Erfahrungen mit der letzten derartigen Initiative immerhin soviel gelernt, als daß sie nun keine Selbstverpflichtung mehr abgeben will. Aber mal eben so vor sich hin initiieren, daß kann sie unbefangen mitmachen. Ob das die vertrauensbildende Maßnahme ist, die sich die Bundesregierung vorstellt, wird sich erweisen müssen; ich glaube nicht, daß die jungen Leute so leicht zu verschaukeln sind. Ausbildungschancen sind Lebenschancen, sind Einkommenschancen, sind Integrationschancen. Wer hier nicht alles tut, vergreift sich an der Zukunft. Eine halbherzige Initiative wird dieser Verantwortung nicht gerecht. Wollen Sie neben der Sockelarbeitslosigkeit nun auch die Sockelausbildungslosigkeit in Deutschland zementieren? Wollen Sie den Erwägungen der Wirtschaft, nur diejenigen auszubilden, die man später auch beschäftigen wird - und nimmt man die jetzige Beschäftigungsquote zur Grundlage, muß man davon ausgehen, daß ein schon zweistelliger Prozentsatz der Jugendlichen später mal nicht „gebraucht" wird -, unwidersprochen nachgeben? Ihre Initiative ist eine unverschämte Augenwischerei, wenn man sich mal vor Augen führt, wo Ihr Haus, Herr Rüttgers, für das laufende Haushaltsjahr Einsparpotentiale sieht: u. a. wird als Einsparpoten- tial zur Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe für das laufende Haushaltsjahr auch der Bereich „Lehrstellenprogramm Ost" ausgewiesen. Der soll um zirka 10 Millionen DM gekürzt werden, das entspricht zirka 5 Prozent der veranschlagten Mittel. Hier wird mit einer zu geringen Nachfrage bei den Ländern agiert, obwohl doch klar ist, daß dieses Programm nicht flexibel genug ist und deshalb nicht im vollen Umfang genutzt werden kann. Meinten Sie es mit Ihrer Initiative ernst, hätten Sie das Geld für diesen Zweck umgeschichtet, anstatt es ganz einzusparen und dem Finanzminister in den Rachen zu werfen. In der Begründung Ihrer Einsparpotentiale heißt es ja auch dementsprechend, daß Sie „gezielte Kürzungen in wenigen Bereichen" vornehmen wollten und „politische Schwerpunktbereiche" von den Kürzungen ausgenommen hätten. Diese Nicht-Schwerpunktbereiche sind eben unter anderem: Lehrstellenprogramm Ost mit 5 Prozent weniger, berufliche Aufstiegsfortbildung mit 10 Prozent weniger und BAföG mit 2 Prozent weniger Ausgaben. Wenn Sie mit Ihren Einsparungsvorschlägen schon indirekt zugeben, daß Sie eigentlich nicht die Bundesregierung und Ihr Haus für die Finanzierung der beruflichen Erstausbildung für verantwortlich halten, warum arbeiten Sie dann nicht ernsthaft an einem Modell der solidarischen Ausbildungsfinanzierung, das die Finanzierung an die Unternehmen zurückgibt, die nach Urteilsfindung des Bundesverfassungsgerichtes in dieser Gesellschaft auch dafür zuständig sind. Erlauben Sie mir noch ein Wort zu dem Vorschlag, das Konzept der Ausbildungsplatzentwickler bundesweit auszudehnen. Dieses Konzept wird von vielen Seiten als Tropfen auf den heißen Stein empfunden. Es wird unseren Problemen keineswegs gerecht. Sie wissen doch selbst noch nicht, in welche Richtung sich die „zukunftsträchtigen Branchen" entwickeln - oder wollen Sie staatlich lenkend in die Entwicklung der Wirtschaft eingreifen? Wäre es da nicht logisch und systemkonform, die Verantwortung zurückzugeben an den Puls der Veränderung? Die Branchen und Kammern werden sich viele Gedanken machen müssen, wenn sie wieder ihr Geld dafür einsetzen müssen, die jungen Leute auszubilden. Die Unternehmer werden Mitspracherechte einfordern. Damit habe ich dann kein Problem mehr, wenn die bundesweite Rahmengebung dafür sorgt, daß keine „Billigausbildung" um sich greift. Ein Ministerium, auch Ihr Zukunftsministerium, regelt doch nur die Dinge nach, die das Leben schon in Angriff genommen hat. Welche Impulse für die dringend notwendige Ergänzung und Veränderung bei den Berufsbildern könnten Sie sich erhoffen, wenn die Wirtschaft Mitspracherechte nicht nur verbal einklagt, sondern auch wirklich übernimmt? Wäre es zum Beispiel nicht viel effektiver, wenn die Verwaltung in den Gemeinden mit den kommunalen Unternehmen und Unternehmen mit kommunaler Beteiligung zusammenarbeitete, um Jugendlichen neben den klassischen Verwaltungsberufen auch technische Ausbildungszweige zu eröffnen? In der Bundesrepublik rechnen nach einer repräsentativen Befragung des Bundesinstituts für Berufsbildung 23 Prozent der Ausbildungsbetriebe in den nächsten drei Jahren mit einer Verringerung des Lehrstellenangebotes. Was wollen Sie tun, Herr Minister? Noch eine Initiative starten? Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (F.D.P.): Während wir heute im Plenum den Berufsbildungsbericht 1996 beraten, beschließt das Bundeskabinett über den Berufsbildungsbericht 1997. Dies gibt uns Gelegenheit, an Stelle der historischen Momentaufnahme den gesamten Entwicklungsprozeß zu betrachten. Besonders auffällig dabei ist, daß die Stellungnahmen des Hauptauschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung von Jahr zu Jahr dissonanter werden. Mir ist kein Bericht eines anderen Gremiums bekannt, in dem Minderheitsvoten so gegensätzlich und umfangreich sind. Irgend etwas stimmt hier nicht. Entweder mag der Hauptausschuß jegliche Integrationsfähigkeit verloren haben, oder die Tarifvertragspartner bewegen sich bei diesem Thema demonstrativ auseinander. Auf diese Weise kommen wir zu keiner einzigen neuen Lehrstelle. Dabei liegt die Problematik für jeden erkennbar auf der Hand. Wir hatten bislang eine knappe, aber dennoch zahlenmäßig ausgewogene Lehrstellenbilanz. Damit diese Bilanz auch tatsächlich aufgeht, ist es erforderlich, daß insbesondere die Auszubildenden hinsichtlich ihres Berufswunsches und der Ortswahl ein Höchstmaß an Mobilität und Flexibilität aufbringen. Der Bericht des BMBF zur Ausbildung und regionalen Mobilität legt dar, daß die Mobilitätsbereitschaft der Jugendlichen durchaus beachtlich ist und auch die Unterstützungen durch die Berufsausbildungsbeihilfe der Bundesanstalt für Arbeit oder die Mobilitätsprogramme der Länder hier einen wertvollen Beitrag leisten. Dies ist einerseits erfreulich; aber andererseits zeigt dieser Bericht auch, daß das Potential zur Mobilitätsförderung damit weitgehend erschöpft ist. Es bleibt das Anliegen der Regierungskoalition, die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe in ganz Deutschland durch Anreizsysteme und geeignete Rahmenbedingungen zu steigern, ohne dabei ohnehin krisengeschüttelte Branchen durch zusätzliche Sanktionen zu strangulieren oder mit Hilfe von Umlagefinanzierungen einfache Freikaufsmöglichkeiten zu schaffen. Nur zusätzliche Ausbildungsplätze in den Betrieben stellen einen tatsächlichen Gewinn dar. Wer schon jetzt auf die politisch motivierten Horrorzahlen der Opposition schreckhaft mit der Ankündigung staatlich finanzierter Lehrstellenbeschaffungsprogramme reagiert, vernichtet Lehrstellen. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben immer wieder deutlich gezeigt, daß die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe genau in dem Maße sinkt, wie der Staat mit steuerfinanzierten Hilfsprogrammen winkt. Jede künstlich geschaffene Lehrstelle seitens des Staates vernichtet dabei eine potentielle privatwirtschaftliche Lehrstelle und ist deshalb für die Lehrstellensituation ein Nullsummenspiel, für den Staatshaushalt aber eine weitere Roßkur. Ich unterstütze deshalb den Bundesbildungsminister, wenn er ankündigt, die Lehrstellenhilfe für die neuen Bundesländer in diesem Jahr zu halbieren. Es mag bei der Bevölkerung toll ankommen, wenn Bundestagsabgeordnete durch die neuen Bundesländer fahren und beifallheischenderweise mehrstellige Millionenbeträge für staatliche Lehrstellenprogramme in Aussicht stellen. Der Beifall der Unternehmer entstammt dem damit beruhigten Gewissen bei der Reduzierung ihrer Ausbildungsbereitschaft. Zur Steigerung der Ausbildungsbereitschaft haben wir Maßnahmen getroffen, um den betrieblichen Nutzen an der Ausbildung und auch am Auszubildenden zu steigern. Ein besonderes Augenmerk hat dabei der Berufsschulunterricht auf sich gezogen. Der uns in diesen Tagen zugeleitete Bericht der Kultusministerkonferenz zum Stand der Neuorganisation des Berufsschulunterrichts zeigt einerseits die Grenzen der Flexibilisierung auf, aber auch eine Vielzahl von Möglichkeiten, den Bedürfnissen der Betriebe nach einer hohen Anwesenheit der Auszubildenden Rechnung zu tragen. Der Bund hat damit seine Versprechungen gegenüber der Wirtschaft erfüllt. Völlig inakzeptabel aber ist für mich, daß die Wirtschaft ihre Selbstverpflichtung, die Schaffung 10 Prozent zusätzlicher Lehrstellen, nicht ansatzweise erfüllt hat. Wer so mit freiwilligen Selbstverpflichtungen umgeht, vernichtet dieses wertvolle Instrument, das diesem Staat so manche strangulierende Regulierung erspart hat. Die Aussage der Wirtschaft, in diesem Jahr kein solches Versprechen machen zu wollen, ist bedeutungslos, weil das Ergebnis vermutlich auch nicht viel anders aussehen wird als im letzten Jahr. Auf Grund meiner langjährigen Parlamentserfahrung ist dies leider nicht das erste Mal, daß die Wirtschaft die Politik im Regen hat stehenlassen. Ich hoffe, daß die rasche Umsetzung erster Reformschritte, aber auch die jüngste Kampagne ,,Ausbilden - wir machen mit!" zu einem Klimawechsel in der Wirtschaft führt, der in einer Erhöhung des Lehrstellenangebots mündet. Schon jetzt ist zu beobachten, daß insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, die Lehrlingsausbildung zunehmend als betriebswirtschaftlich nützlich, volkswirtschaftlich erforderlich und gesamtgesellschaftlich zwingend erkennen. Die Grundsatzerklärung der SPD zur Entwicklung der Ausbildungsberufe ist inhaltlich aus meiner Sicht zu unterstützen; aber nach meinen Erkenntnissen steckt ein Bleichlautender Antrag noch mitten in der Beratung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung. In dieser Phase sollte der Deutsche Bundestag nicht von außen in die Beratungen eingreifen. Ich schlage deshalb vor, die Beratung dieses Antrags bis zur Beschlußfassung des Hauptausschusses zurückzustellen. Der Berufsbildungsbericht macht deutlich, daß insbesondere die minderprivilegierten Jugendlichen Opfer der mangelnden Ausbildungsbereitschaft, aber auch mangelnder Berufsangebote für niedriger Qualifizierte werden. Der steigende Anteil von Jugendlichen ohne Schulabschluß und mit abgebrochener Ausbildung ist alarmierend. Hier ist die ganze Kreativität der Politik, aber auch der Tarifvertragsparteien gefragt, um diesen jungen Menschen, die gerade am Beginn ihres beruflichen Lebenswegs stehen, auch nur eine Chance zu geben. Ich habe persönlich schon vor mehr als einem Jahr individuelle Vorschläge zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gemacht. Ich will nicht behaupten, daß diese ein Patentrezept sind; aber ich habe versucht, die eingefahrenen und offenbar nicht mehr ausreichenden Wege mit Kreativität zu verlassen. Die hiervon betroffene Personengruppe eignet sich nicht für Wahlkämpfe. Sie darf aber auch nicht zur Beute von politischen Rattenfängern werden. Rosel Neuhäuser (PDS): Am 11. Dezember 1996 habe ich in der hessischen Landesvertretung an der Übergabe einer Petition mit über 20 000 Unterschriften an den Deutschen Bundestag teilgenommen. Unter dem Motto „Wer nicht ausbildet, muß zahlen - Wer ausbildet, wird unterstützt" haben sich Initiatoren der hessischen Gewerkschaftsjugend mit Schülervertreterinnen und -vertretern, Lehrerinnen und Lehrern, Elternvertreterinnen und -vertretern, Jugendverbänden und vielen anderen zusammengeschlossen. Weitere Initiativen wie das Thüringer Aktionsbündnis „Deine Einstellung zählt", der Beschluß der Evangelischen Landjugend aus Bayern, das jugendpolitische Manifest der Deutschen Katholischen Jugend und viele andere Vereine und Verbände haben eines gemeinsam: die Sorge um die Perspektive der Jugend in dieser Gesellschaft und die Suche nach Lösungen, die allen Jugendlichen eine Ausbildung ermöglichen. Einhellig ist dabei die Auffassung, daß wir eine gesetzliche Umlagefinanzierung und einen Rechtsanspruch auf Ausbildung brauchen. Zynisch finden die Jugendlichen Versuche der Arbeitgeber, die Ausbildungsmisere dazu zu nutzen, den Berufsschulunterricht und die Ausbildungsvergütungen zu kürzen, Schmalspurausbildungen einzuführen und die Demontage von Schutzrechten zu betreiben. Wenn in dieser Situation der Zukunftsminister coole Sprüche von „Bier holen und Hof kehren" serviert, müssen die Jugendlichen zu Recht den Schluß ziehen, daß diese Regierung jegliches Feeling für die Realität verloren hat. Ich kann nur hoffen, daß die Jugendlichen genau verfolgen, welche Parteien im Deutschen Bundestag ihr Recht auf Bildung und Ausbildung vertreten. Ich fürchte, daß wir auch in diesem Jahr eine Routinedebatte führen, die an den Problemen der Jugendlichen wenig ändert. Die Zahl junger Menschen in Ost und West, die keinen Ausbildungsplatz bekommen und sich in das Heer der Arbeitslosen einreihen, wächst weiter von Jahr zu Jahr. In der Bundesrepublik Deutschland sind zirka 120 000 Jugendliche unter 20 Jahren derzeit ohne Arbeit. Im Februar 1997 waren in Sachsen-Anhalt offiziell rund 5 000 und in Thüringen zirka 4 800 Jugendliche unter 20 Jahren ohne Arbeit. Außerdem sind zirka 12 000 junge Menschen in Maßnahmen der Arbeitsämter oder Warteschleifen untergekommen oder befinden sich in Wehr- und Freiwilligendiensten, erhalten aber ebenfalls keine betriebliche Ausbildung. Zu diesen 22 000 Jugendlichen kommen im Sommer 1997 noch die aktuellen Lehrstellenbewerber hinzu. Beinahe täglich erreichen uns Hilferufe von Trägern der Jugendberufshilfe, deren Maßnahmen größtenteils nach dem AFG durch die Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden. So weist die Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit darauf hin, daß die Arbeitsämter auf Grund der Haushaltslage der Bundesanstalt für Arbeit entweder überhaupt keine neuen Maßnahmen mehr finanzieren können oder nur noch zu Preisen, bei denen die vereinbarten Qualitätsstandards nicht zu halten sind. Was hier an sozialem Sprengstoff aufgebaut wird, dürfte eigentlich allen klar sein. Sparen am falschen Ort und zum falschen Zeitpunkt kann sehr teuer werden. Die Regierung reagiert wie gewohnt: Aktionismus ist angesagt. Nach der Maikäfer-Aktion 1995 und dem Feuerwehreinsatz 1996 folgt wohl in diesem Jahr die Brieftauben-Kampagne von Herrn Rüttgers und Herrn Rexrodt. Sie versprachen nämlich gestern, in der nächsten Woche 100 000 Unternehmen und Verwaltungen anzuschreiben und sie zu einem Beitrag für mehr Lehrstellen unter dem Motto „Ausbildung - wir machen mit" aufzufordern. Das allein kann doch wohl nicht die Lösung sein. Bildung und Ausbildung müssen unbedingt mit einer vorausschauenden Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik verzahnt werden. Statt dessen erleben wir Forderungen nach Qualitätsabbau, gesetzlicher Deregulierung und die genannten Kampagnen. Die Umrisse einer auf aktuelle und künftige Erfordernisse angelegten Bildungspolitik sind bei dieser Regierung jedenfalls nicht erkennbar. Diese bittere Erfahrung mußte im Januar diesen Jahres meine Besuchergruppe im Zukunftsministerium machen, wo die jungen Leute nach neuen Ausbildungsberufen im Rahmen des Strukturwandels gefragt haben. Die Antwort bestand aus Schulterzucken und dem Kommentar: „Das wissen wir noch nicht, so etwas gibt es noch nicht." Können Sie sich vorstellen, welchen Eindruck das bei den Jugendlichen hinterlassen hat? Wenn die aufgestauten Probleme wirklich gelöst werden sollen, kann auf strukturelle Reformen im Bildungssystem ebensowenig verzichtet werden wie auf eine gesetzliche Regelung der Umlagefinanzierung, wie wir sie in unserem Antrag fordern. Aber da wir wissen, daß Gesetze in diesem Land sehr schnell verabschiedet und umgesetzt werden, wenn es um den Abbau von Sozialleistungen geht, aber nur sehr langsam und schwerfällig, wenn die Wirtschaft zur Kasse gebeten werden soll, braucht es gleichzeitig ein mittelfristiges Programm zur Schaffung von zirka 100 000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen, um die absehbaren Schäden wenigstens zu begrenzen. Auch diese Forderung finden Sie in unserem Entschließungsantrag, den ich Sie bitte zu unterstützen. Elke Wülfing, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie: Anlaß der heutigen Debatte ist der Berufsbildungsbericht 1996 und damit die Situation auf dem Lehrstellenmarkt im Jahre 1995. Da jeder den Bericht gelesen hat, wissen wir alle, daß 1995 knapp 573 000 Ausbildungsverträge geschlossen wurden, in den alten Ländern der anhaltende Abwärtstrend bei den neuen Ausbildungsverträgen nach 10 Jahren erstmals gestoppt werden konnte, in den neuen Ländern ein Zuwachs der betrieblichen Ausbildungsverträge von 11 Prozent erreicht wurde und die dort noch vorhandene Angebotslücke mit Hilfe eines Sonderprogramms des Bundes und der neuen Länder für 14 500 außerbetriebliche Ausbildungsplätze geschlossen werden konnte. Auch im Jahr 1996 ist der Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Lehrstellenmarkt weitgehend gelungen: Zum Stichtag 30. September 1996 standen 43 500 freien Lehrstellen 38 500 noch nicht vermittelte Bewerber gegenüber. Dank des großen Engagements aller Beteiligten - der Wirtschaft, der Verbände und der Politik - ist es gelungen, viele zusätzliche Lehrstellen anzubieten, allen Katastrophenmeldungen von Opposition und Gewerkschaften zum Trotz. Ich verkenne dabei nicht, daß sich hinter dem statistischen Bild regionale und berufsstrukturelle Ungleichgewichte verbergen. Es gibt viele Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, einen geeigneten Ausbildungsplatz zu finden. Es gibt aber auch viele Unternehmen, die ihre angebotenen Ausbildungsplätze nicht besetzen konnten. In den neuen Bundesländern haben wir wegen des Strukturumbruchs noch erhebliche Lehrstellen-Defizite. Deshalb haben wir ja in den neuen Bundesländern 14 300 außerbetriebliche Lehrstellen zur Verfügung gestellt. Außerdem haben unsere Ausbildungsplatzentwickler 12 000 Lehrstellen in den neuen Ländern eingeworben. Beschämend und skandalös war und bleibt, daß die Landesregierung von Sachsen-Anhalt bis Ende September 1996 keinen einzigen dieser Lehrstellenplätze besetzen konnte. Es ist genauso ein Skandal, daß die gesamte saarländische Landesregierung 1995 lediglich fünf Verwaltungslehrlinge eingestellt hat und die Zahl für 1996 auf Anfrage nicht nennen konnte oder wollte. Wer sich als Lehrling auf Herrn Lafontaine verläßt, der ist verlassen. Auch der DGB stellte leider keinen einzigen Ausbildungsplatz zur Verfügung. Großen Worten und Appellen müssen auch beim DGB endlich Taten folgen. Der Bund hat sein Lehrstellenangebot in 1995 und 1996 zusammen um 11 Prozent erhöht. Wir sind zu Recht stolz auf unser duales System der beruflichen Bildung, denn es ist das erfolgreichste Ausbildungsmodell der Welt. Das zeigt ein Vergleich der Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit. Unsere Quote für Arbeitslose, die jünger als 25 Jahre sind, lag 1995 bei 8,1 Prozent, in Großbritannien waren es 15,9 Prozent und in Frankreich 27 Prozent. Der europaweite Durchschnitt liegt bei 21 Prozent und auch die USA schneiden mit 12,1 Prozent deutlich schlechter ab als wir. Eine gute Berufsausbildung trägt entscheidend zu einem relativ reibungslosen Übergang in das Berufsleben bei. Die Nachfragequote für berufliche Ausbildung liegt bei 70 Prozent aller Jugendlichen eines Altersjahrganges. Das ist ein deutlicher Beweis für die Attraktivität unseres dualen Systems. Die duale Berufsausbildung ist ein Standortvorteil Deutsch- lands. Die Qualifikation der Mitarbeiter eines Unternehmens ist entscheidend für seine Wettbewerbsfähigkeit. Es ist daher ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft, wenn Unternehmen ausbilden. Damit die Ausbildung in Schule und Betrieb der Wirklichkeit entspricht, müssen wir sie ständig den sich schnell wandelnden Anforderungen anpassen. Dabei gibt es zwei Probleme: ein quantitatives und ein qualitatives. Die Nachfrage nach Lehrstellen wird in den nächsten Jahren kontinuierlich in jährlichen Raten von 1 bis 2 Prozent steigen. Mitte des nächsten Jahrzehnts wird sie mit rund 700 000 Lehrstellenbewerbern ihren Höhepunkt erreichen. Es ist aber kein unlösbares Problem. Das belegen die Zahlen aus der Mitte der 80er Jahre, als die Wirtschaft allein in den alten Ländern über 700 000 neue Lehrstellen angeboten hat. Entsprechend der zurückgehenden Nachfrage haben Großbetriebe ihre Ausbildungsleistung von 1990 bis 1994 um ein Viertel verringert, Kleinbetriebe zirka um ein Drittel. 1995 konnte der Rückgang in den alten Ländern gestoppt werden. Dies zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg. Zu dieser Situation fällt der Opposition nichts anderes ein, als die alte Idee aus den 80er Jahren: die Ausbildungsabgabe oder Umlagefinanzierung. Sie war schon damals falsch, und sie ist es auch heute noch. Die SPD begründet ihre Ausbildungsabgabe immer mit „ausgleichender Gerechtigkeit". Nur will nicht in den Kopf, was es mit Gerechtigkeit zu tun hat, wenn der Metzgermeister, der keinen Lehrling gefunden hat, der Deutschen Bank die Ausbildungsplätze mitfinanziert. Neben dem quantitativen gibt es aber auch qualitative Probleme, wie zum Beispiel die Ausbildungsreife. Offensichtlich gelingt es den allgemeinbildenden Schulen immer weniger, Schüler mit der notwendigen Grundbildung auszustatten. 50 000 Lehrstellenbewerber - das sind fast 10 Prozent - weisen erhebliche Defizite beim Lesen, Schreiben und Rechnen auf. Die Bundesanstalt für Arbeit gibt jedes Jahr mehrere Millionen DM aus, um diese Defizite auszugleichen. Sie kann nicht länger der Reparaturbetrieb für die Schulen sein. Das Kultusministerium NRW beispielsweise erklärt diese Defizite so: „Es liegt an den gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen und der in pädagogischer Hinsicht wenig günstigen Entwicklung der Medien-Umwelt." Also, für das alles kann man SAT 1 nicht verantwortlich machen. Der wahre Grund liegt in der verfehlten rotgrünen Schulpolitik. Schule kann sich nicht darauf beschränken, daß Kinder sich dort wohl fühlen. Sie müssen auch etwas leisten dürfen. Wenn man, wie in NRW, jetzt auch in der dritten Klasse noch die Noten abschafft, dann muß man sich über nichts mehr wundern. Nur ist nicht jeder gleich bildungsfähig. Einige Lehrlinge sind durch die Anforderungen im dualen System schlicht überfordert, vor allem im theoretischen Bereich. Angehende Bürokaufleute müssen sich in der Berufsschule mit der Gründung einer Holding befassen. In der Praxis aber haben sie beim Schreiben eines einfachen Geschäftsbriefs große Schwierigkeiten. Gärtnerlehrlinge müssen den Inhalt von Blumentöpfen mit mathematischen Formeln berechnen. Als ob Blumenerde mit der Goldwaage bemessen würde. Jedes Jahr brechen 100 000 Lehrlinge in Deutschland die Ausbildung ab und starten in ein Leben ohne Berufsausbildung. Damit ist der Weg in die Arbeitslosigkeit vorprogrammiert. Diese jungen Menschen dürfen wir nicht allein lassen. Deswegen müssen wir noch mehr als bisher Stufenausbildungsgänge anbieten. Damit machen wir eine Ausbildung möglich, die schrittweise verbessert werden kann. Solche aufeinander aufbauenden Ausbildungsgänge kommen gerade praxisbegabten Jugendlichen viel eher entgegen. Die Grundvoraussetzungen für Ausbildung in Deutschland waren eigentlich nicht schlecht. Aber nichts ist so gut, daß es nicht noch verbessert werden kann. Deswegen haben wir die Rahmenbedingungen für Ausbildungsplätze verbessert: Erstens. Wir haben im April 1996 die Ausbildereignungsverordnung geändert. Qualifizierte und berufserfahrene Fachkräfte und Betriebsinhaber können jetzt ausbilden, ohne vorher zeitraubende Eignungsprüfungen durchlaufen zu müssen. Zweitens. Wir haben Anfang 1997 das Jugendarbeitsschutzgesetz novelliert. Damit haben wir erreicht, daß die rund 400 000 erwachsenen Lehrlinge nach der Berufsschule am Nachmittag wieder in den Ausbildungsbetrieb kommen können. Drittens. Wir haben die Länder aufgefordert, die Berufsschulzeiten flexibler und betriebsfreundlicher zu organisieren. Niedersachsen hat als erstes Land ernst gemacht und den zweiten Berufsschultag für Lehrlinge ab dem zweiten Ausbildungsjahr praktisch abgeschafft. Was ist daraufhin passiert? Einige wissen es, und ich hoffe, alle ahnen es: Die Zahl der Ausbildungsverträge ist in Niedersachsen 1996 gegen den Trend um 1,1 Prozent gestiegen. In NordrheinWestfalen, wo es bislang keine vergleichbare Regelung gibt, ist die Zahl der Ausbildungsverträge in der gleichen Zeit um 2,5 Prozent gesunken. Man soll es nicht meinen, aber manchmal kann auch die SPD von Herrn Schröder noch etwas lernen. Andere Länder sollten ihm folgen. Viertens. Bei den Ausbildungsberufen wurde 1995 der größte und schnellste Modernisierungsschub seit Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes 1969 in Gang gesetzt: Im Sommer 1997 werden wir 26 völlig neue und über 50 modernisierte Berufsbilder geschaffen haben, davon allein 14 in diesem Jahr. Erste Erfolge werden sichtbar: Die vom ZVEI angekündigten Lehrstellenzahlen in den neu geschaffenen Computerberufen übertreffen unsere eigenen Erwartungen: 5 000 neue und topmoderne Lehrstellen schon im kommenden August und 25 000 bis zum Jahr 2000. Diese Modernisierungskampagne werden wir konsequent fortsetzen. Auch in diesem Jahr wollen wir erreichen, daß 1997 jungen Menschen, die sich für eine berufliche Ausbildung entscheiden, eine Lehrstelle angeboten werden kann. Für 1997 bedeutet das: Betriebe und Verwaltungen müssen rund 13 000 Lehrlinge mehr einstellen als 1996. Deshalb hat gestern die Bundesregierung zusammen mit den Verbänden und der Bundesanstalt für Arbeit die Initiative „Ausbilden - wir machen mit!" gestartet. In einer konzertierten Aktion werden Betriebe und Verwaltungen aufgefordert, verstärkt Lehrstellen anzubieten. Bundesminister Rüttgers wird in den nächsten Wochen mehr als 100 000 Unternehmen, Verwaltungen und kommunale Stellen persönlich anschreiben und auffordern, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Betriebe und Verwaltungen, Länder und Kommunen, Verbände und Initiativen, die sich für mehr Lehrstellen engagieren, laden wir ein, sich an der Gemeinschaftsinitiative zu beteiligen. Wir begrüßen es sehr, daß in einigen Regionen bereits „Bündnisse für Ausbildung" geschlossen wurden. Solche Gemeinschaftsaktionen muß es 1997 überall dort geben, wo Lehrstellendefizite drohen. Wir begrüßen es ebenso, daß einige Tarifparteien die Erhöhung des Lehrstellenangebotes schon in ihre Tarifverhandlungen einbezogen haben. Meine Forderung dazu: keine Tarifverhandlung mehr ohne das Thema Lehrstellen! Ausbildungsplätze gehen vor. Die Verpflichtung, Lehrlinge auszubilden wollen wir im öffentlichen Bewußtsein wieder stärker verankern. Betriebe, die ausbilden, sollen wieder ein Image-Plus haben. Viele Unternehmen sollen damit werben, das ist ihr gutes Recht. Wir wollen Ausbildungsbetriebe bei einer solchen Image-Kampagne unterstützen. Deshalb steht das Symbol dieser Aktion „Ausbilden - wir machen mit!" allen Betrieben und Organisationen zur Verfügung, die sich für mehr Lehrstellen in Deutschland engagieren. Besondere Ausmerksamkeit verdienen nach wie vor die neuen Länder. Den großen Erfolg der 150 Ausbildungsplatzentwickler, die 12 000 betriebliche Lehrstellen eingeworben haben, erwähnte ich bereits. Effektiver kann man Ausbildungsplatzförderung nicht betreiben. Deshalb werden wir dieses erfolgreiche Sonderprogramm auch fortsetzen. Die Bundesregierung bekennt sich zu ihrer Verantwortung, die neuen Länder auch weiterhin auf ihren Weg von einer sozialistischen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft zu unterstützen. Wir wollen Chancengerechtigkeit für die jungen Menschen in West und Ost. Die Ausbildung junger Menschen ist ein so hohes Gut, daß man es auch in schwierigen Zeiten nicht aufs Spiel setzen sollte. Mehr Lehrlinge einzustellen ist häufig kein Kapazitätsproblem, sondern ein Entscheidungsproblem. Ausbildung muß deshalb überall Chefsache sein. Wer aus kurzfristigen Kostenerwägungen heraus nicht ausbildet, wird später das Nachsehen haben. Junge Menschen auszubilden ist betriebswirtschaftlich nützlich, volkswirtschaftlich erforderlich und gesamtgesellschaftlich verantwortungsbewußt. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 9 (Große Anfrage: Außenpolitische Betätigung des Bundesinnenministeriums) Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Frau Kollegin Buntenbach, Sie gehören zu denjenigen in diesem Hause, die die Bundesregierung fast wöchentlich mit schriftlichen Fragen, Kleinen oder - wie Gegenstand dieser Debatte - Großen Anfragen bombardieren, die von einem klaren Feindbild gekennzeichnet sind: Fast sämtliche Landsmannschaften und Verbände der Vertriebenen waren schon Gegenstand dieser umfänglichen Fragen, und immer wieder werden diese - pauschal oder an Hand von akribischen, nicht weniger absurden Beispielen - in eine rechte oder rückwärtsgewandte Ecke gestellt. Dabei müßte sich doch auch innerhalb der Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen inzwischen herumgesprochen haben - andere, wie Frau Kollegin Vollmer, sind da längst weiter -, daß die deutschen Heimatvertriebenen und ihre Verbände nicht die Buhmänner sind, für die Sie und ein großer Teil der deutschen Linken sie immer noch halten. Erst in der vergangenen Sitzungswoche hat der Deutsche Bundestag einen gemeinsamen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen und der SPD mit überwältigender Mehrheit - auch mit den Stimmen der Bündnisgrünen - gebilligt, in dem der Beitrag der deutschen Heimatvertriebenen zum Frieden in Europa ausdrücklich gewürdigt wird und diese aufgefordert werden, sich weiter voll und ganz ... in die Ausgestaltung der Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarstaaten ... einzubringen. Dies ist sehr wichtig und zukunftsweisend, wird aber leider von Ihnen, Frau Kollegin Buntenbach - wie auch von der PDS, die ja bekanntlich immer gerne mit dem Finger auf andere zeigt -, immer noch ignoriert. Ihre Aktivitäten, nicht die Bemühungen der genannten Verbände sind von gestern. Nehmen Sie doch bitte mit der großen Mehrheit hier im Hause zur Kenntnis, daß die Welt nicht so böse ist, wie Sie sie gern hätten! Räumen Sie endlich mit Ihren Vorurteilen gegenüber den Verbänden der deutschen Heimatvertriebenen und den Unterstellungen gegenüber der diese einbindenden Politik auf! Es gibt keine „Volkstumspolitik"; es gibt auch keine „Neben-Außenpolitik" des Bundesministeriums des Innern. Die Bundesregierung hat - wie auch alle deutschen Bundesregierungen zuvor - ihre besondere rechtliche, politische, historische und moralische Verantwortung für die Angehörigen der deutschen Minderheiten in unseren östlichen Nachbarstaaten und im Bereich der ehemaligen Sowjetunion stets gesehen und alle Anstrengungen unternommen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Dabei wird die Bundesregierung von der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages nachhaltig unterstützt. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß hierzu grundsätzlich ein weitgehender Konsens in diesem Hause besteht. Dies ist vor dem Hintergrund des besonders schweren Schicksals, das diese Menschen während des Zweiten Weltkrieges und in den Jahren und Jahrzehnten danach allein deshalb erleiden mußten, weil sie Deutsche sind, auch sehr gut. Viele Landsmannschaften und Verbände - unter anderem die in der Anfrage erwähnten BdV und Sudetendeutsche Landsmannschaft - sind seit Jahren in die Hilfsmaßnahmen zugunsten der deutschen Minderheiten eingebunden. Als sach- und landeskundige, oft auch sprachkundige Fachleute sind sie in vorderster Linie zur Mitwirkung berufen, um an dem Bau der Brücken zwischen unserem Lande und unseren östlichen Nachbarstaaten mitzuwirken. Dies gilt insbesondere auch für den Bund der Vertriebenen, der zum Beispiel neben zahlreichen anderen als Mittlerorganisationen für die Bundesregierung in Polen eingesetzt wird. Abgesehen davon, daß alle derartigen Hilfsmaßnahmen sowohl mit den Vertretern der deutschen Minderheiten als auch mit den jeweiligen Regierungen der betroffenen Staaten abgestimmt werden, gibt es - anders als in Abschnitt II 4 der Großen Anfrage suggeriert wird - zum Beispiel von offizieller polnischer Seite keinerlei Vorbehalte gegen eine Mitwirkung des Bundes der Vertriebenen. Schließlich weiß man dort auch die unermüdliche Arbeit vieler aus Oberschlesien, Schlesien, Pommern, West- und Ostpreußen vertriebenen Deutschen, die sich in vielen unmittelbaren Kontakten und zahlreichen Hilfsmaßnahmen äußert, zu schätzen. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt die Bundesregierung weiterhin in ihrer Politik, den in den Staaten Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas und der ehemaligen Sowjetunion lebenden Angehörigen der deutschen Minderheiten so viel Hilfe wie möglich zu leisten, um ihnen ein Verbleiben dort und eine freie Entscheidung über ihre Zukunft zu ermöglichen und andererseits das Tor für diejenigen Deutschen offen zu halten, die sich für eine Aussiedlung entscheiden und die dafür erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. In den vergangenen Jahren hat sich immer wieder gezeigt, daß es zu dieser Politik, die ja in diesem Hause stets eine breite Zustimmung gefunden hat, keine vernünftige Alternative gibt. Angesichts der Entwicklung vor allem in Kasachstan und manchen mittelasiatischen Staaten, in denen nationalistische Tendenzen zu einer neuen Verdrängung führen, von der unter anderem auch die Deutschen besonders betroffen sind, ist offenkundig, daß ein Abschluß der Aussiedlung, wie er in einem vom Bundesrat im Dezember 1996 beschlossenen Gesetzentwurf vorgesehen ist, nicht in Frage kommen kann. Das gebietet auch Art. 116 des Grundgesetzes. In diesem Zusammenhang möchte ich die sinnvolle Arbeitsteilung zwischen dem Auswärtigen Amt einerseits und dem Bundesministerium des Innern andererseits loben, die gleich nach der politischen Wende in Europa vereinbart wurde. Im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik fördert das Auswärtige Amt die deutschen Minderheiten mit kulturellen und bildungspolitischen Maßnahmen - auch im Rahmen des seinerzeitigen Sonderprogramms Deutsche Sprache -, denen besondere Bedeutung zukommt. Daneben und in ständiger Abstimmung führt das Bundesministerium des Innern gemeinschaftsfördernde, wirtschaftliche und soziale Hilfen durch, die ebenfalls mit den Vertretern der deutschen Minderheiten, aber auch den betreffenden Regierungen abgestimmt werden. Dies geschieht in den gemischten Kulturkommissionen oder deren Unterkommissionen oder in den regelmäßig tagenden bilateralen Regierungskommissionen für die Angelegenheiten der deutschen Minderheiten in den jeweiligen Staaten, die seit 1991 entstanden und in denen jeweils das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium gemeinsam vertreten sind. Diese Regierungskommissionen, die es mit Rumänien, Rußland, der Ukraine, Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan gibt, beraten und genehmigen die Förderprogramme für die Deutschen. Diese seit Beginn der Hilfsmaßnahmen praktizierte und seit 1991 förmliche Arbeitsteilung hat sich durchgängig bewährt, was die in der Großen Anfrage enthaltene Behauptung, das BMI betreibe bezüglich der deutschen Minderheiten in unseren östlichen Nachbarstaaten eine eigene Außenpolitik, widerlegt. Diese Arbeitsteilung ist auch sachlich begründet, da auf der einen Seite ein enger Zusammenhang zwischen der Zuständigkeit für die Aufnahme von Spätaussiedlern und deren Integration und den gemeinschaftsfördernden, sozialen und wirtschaftsbezogenen Hilfen zur Stabilisierung der deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten besteht. Andererseits sind die kulturellen und bildungspolitischen Maßnahmen zugunsten der deutschen Minderheiten zu einem wichtigen Bereich innerhalb der auswärtigen Kulturpolitik geworden, über deren Rahmen die übrigen Hilfsmaßnahmen jedoch hinausgehen. Besonders deutlich wird die enge Verzahnung und das gemeinsame Vorgehen des Auswärtigen Amtes und des Bundesinnenministeriums bei der Umsetzung der sogenannten Sprachoffensive der Bundesregierung, in deren Rahmen ein umfangreiches Programm an Breitenarbeit in den Herkunftsgebieten der Rußlanddeutschen, vor allem in der Russichen Föderation und in Kasachstan, angelaufen ist. So können über sogenannte Konsularsprechtage die im Aussiedleraufnahmeverfahren erforderlich gewordenen konsequenten Sprachtests vor Ort durchgeführt werden, und außerschulische Sprachförderung und Breitenarbeit wurden im engen Zusammenwirken der beiden Ressorts mit dem Bundesverwaltungsamt und in Verhandlungen mit russischen bzw. kasachischen Regierungsstellen möglich. Rund sieben Jahre nach der politischen Wende im östlichen Europa muß daher festgestellt werden, daß nicht nur die Wahrung der Rechte nationaler und ethnischer Minderheiten wichtiger Bestandteil des Friedens und der Stabilität in Europa ist, sondern daß in bilateralen Verträgen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit die Bundesrepublik Deutschland und die Reformstaaten rechtlich bindende Regelungen über die deutschen Minderheiten und die ausländischen Staatsangehörigen deutscher Abstammung oder deutscher Kultur auf genommen haben. Auch die bilateralen Kulturabkommen enthalten Bestimmungen zur Förderung der deutschen Minderheiten. Mit Kasachstan und der Ukraine wurden 1996 Vereinbarungen über die Zusammenarbeit bei der Unterstützung der dortigen Staatsbürger deutscher Nationalität unterzeichnet. Es versteht sich von selbst, daß das BMI hieran maßgeblich beteiligt war. Hinzu kommt, daß die Bemühungen um eine Rehabilitierung der Rußlanddeutschen in der Russischen Föderation weitere Fortschritte machen. Ich möchte hier feststellen, daß auf diesen Rechtsgrundlagen fußend die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den Reformstaaten bei der Unterstützung deutscher Minderheiten gut und eng ist. Heute bekennen sich die Partnerstaaten durchweg zu ihrer Verantwortung für die kulturellen Belange ihrer Bürger, die deutscher Abstammung sind, und berücksichtigen diese in eigenen nationalen Förderprogrammen der Bildungs-, Schul- und Kulturpolitik. Diese in wenigen Jahren erreichten Fortschritte möchte ich hier an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen. Wichtige Voraussetzung war, daß sich die deutschen Minderheiten bereits kurz nach der politischen Wende selbst organisieren konnten und daß ihre Vertreter inzwischen geschätzte Partner ihrer Regierungen geworden sind, die auch ganz selbstverständlich auf ihrer Seite in den bilateralen Regierungskommissionen mitarbeiten. Die bilateralen Verträge und Erklärungen und die abgestimmte Politik der Hilfsmaßnahmen zugunsten der im östlichen Europa und in der GUS lebenden Deutschen hat dazu geführt, daß die deutschen Minderheiten heute eine reale Perspektive haben, dort ihre Zukunft auf der Grundlage von europaweit und bilateral gesicherten Minderheitenrechten - wie dies auch im Rahmenübereinkommen des Europarates vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten zum Ausdruck kommt, zu dem wir den entsprechenden Gesetzentwurf in der vergangenen Woche in die Ausschüsse überwiesen haben - selbst zu gestalten. Die umfangreichen, an den Wünschen und Erfordernissen der Betroffenen orientierten, aber auch den dortigen Nachbarn zugute kommenden Hilfen seitens der Bundesregierung haben wesentlich dazu beigetragen. Der deutliche Rückgang der Aussiedlerzahlen -1996 um rund 40 000 auf 177 000 - ist wesentlich auch darauf zurückzuführen. Für diese Hilfe, die im Jahr 1996 rund 180 Millionen DM betrug - 150 Millionen DM aus dem Einzelplan 06, BMI, und 30 Millionen DM aus dem Einzelplan 05, AA - möchte ich von dieser Stelle auch im Namen der Betroffenen herzlichen Dank sagen. Ich fordere die Bundesregierung, das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium auf, ihre bewährte Politik der Unterstützung der deutschen Minderheiten konsequent fortzuführen. Jochen Welt (SPD): In der Antwort auf die Große Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen betont die Bundesregierung die besondere rechtliche, politische und moralische Verantwortung für die deutschen Minderheiten in Osteuropa und insbesondere in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. In der Praxis hat die Politik dieser Regierung zu Fehlinvestitionen, Mißmanagement und vor allem Neid und Unfrieden in den Herkunftsländern in Osteuropa geführt. Interessenvertretungen und Verbände der Minderheiten werden großzügig mit finanziellen Mitteln ausgestattet, ohne die notwendige kritische Distanz zu den Aufgaben sowie der Leistungsfähigkeit dieser Organisationen zu wahren. Die Regierung hat in den vergangenen Jahren die Bedingungen zur Eingliederung der Spätaussiedler durch Mittelkürzungen ständig verschlechtert. Die aufkommenden Probleme sollen jetzt durch schärfere Aufnahmekriterien und intensivere Sprachprüfungen gedeckelt werden. Herr Waffenschmidt verkündet inzwischen stolz den stetigen Rückgang der Spätaussiedlerzahlen. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, welche Reaktionen die Forderung der Sozialdemokraten ausgelöst hat, die Zahl der Zuwanderer aus Osteuropa den faktischen Eingliederungsbedingungen anzupassen und sie zu begrenzen. Als Demagogen wurden wir beschimpft. Diese Regierung kommt unserer Forderung inzwischen wenigstens zum Teil nach. Beklemmend ist für mich jedoch ihre Unehrlichkeit, ja Heuchelei. Offiziell wird immer noch von der „offenen Tür" für Spätaussiedler geredet, und im Stillen wurde längst eine weitere Begrenzung des Zuzugs eingeführt. Nicht nur die mit der Betreuung befaßten Wohlfahrtsverbände, sondern auch die Verbände zum Beispiel der Rußlanddeutschen haben diese Zusammenhänge erkannt. Sie selber können ein Klagelied von den schwieriger werdenden Eingliederungsbedingungen und den Kürzungen der Eingliederungsmittel singen. Diese stetige Kürzung der Bundesmittel verstößt gegen Geist und Inhalt des Asylkompromisses 1993, in dem auch die Spätaussiedlerfrage geklärt wurde. Die Bundesregierung täuscht also nicht nur die betroffenen Menschen. Nein, sie ist auch kein verläßlicher Verhandlungspartner. Unakzeptabel ist auch die fehlende kritische Distanz der Koalition zu den Interessenvertretungen und Verbänden. Immer wieder hat die SPD-Fraktion angemahnt, daß die finanzielle Unterstützung der Vertriebenenverbände überprüft werden muß. Wie notwendig eine Überprüfung ist, zeigen die Schwierigkeiten im Verfahren um die weitere Anerkennung der Gemeinnützigkeit von seiten des BMF. Die Reaktion auf den Vertrag mit Tschechien konnte einem schon einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Wir dürfen doch nur dann ideell oder materiell fördern, wenn sich die Organisationen eindeutig von revisionistischen Gedanken distanzieren, die völkerrechtlichen Fakten völkerrechtlich akzeptieren und auf allen Ebenen mit an der Intergration und der Völkerverständigung im Rahmen eines zusammenwachsenden Europas arbeiten. Ein Spezialproblem ist die Situation des VDA, des Vereins für das Deutschtum im Ausland. Auch neuere Untersuchungen des Bundesrechnungshofes ha- ben eindeutig belegt, daß bei den über den VDA abgewickelten Projekten erhebliche Mängel bei der ordnungsgemäßen Verwendung und Abrechnung öffentlicher Mittel festzustellen sind. Das hat, wie der Bundesrechnungshof noch am 11. März schreibt, nur zum Teil mit den schwierigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in den Zielgebieten zu tun. Sie haben ihre Ursache - so schreibt der Bundesrechnungshof - vor allem in unzureichender Kompetenz und Zuverlässigkeit des VDA. Die Rückforderungsansprüche des Bundes gegenüber dem VDA in Höhe von zirka 20,8 Millionen DM können nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes weder jetzt noch in der nächsten Zeit getilgt werden. Staatssekretär Waffenschmidt muß sich die Frage gefallen lassen, warum er eine solche Entwicklung eigentlich zugelassen und nicht früher gegengesteuert hat. Vetternwirtschaft, ideologische Sehschwäche und Aktionismus haben also mal soeben zu einem Verlust von mehr als 20 Millionen DM geführt. Das sind Steuergelder, keine Peanuts; das darf man nicht unter den Teppich kehren; das muß Konsequenzen haben. Hinzu kommt, daß die Hilfe eben nicht dort einsetzt, wo die Not wirklich vorhanden ist. In den vergangenen Jahren - davon habe ich mich bei einer Reise in die Region von Azowo persönlich überzeugen können - konzentrierte sich die deutsche Förderung zum Beispiel zu stark auf den Wohnungsbau. Außerdem entsprechen die mit Bundesmitteln gebauten Häuser nicht dem ortsüblichen Standart, sondern eher modernen, westeuropäischen Bauweisen. Für 20 000 bis 25 000 DM ist der Bau einfacher Häuser möglich, die ihren Zweck erfüllen. Gebaut wurden Häuser für 100 000 bis 150 000 DM. Das Bild müssen Sie sehen: in Azowo, zum Beispiel, vorne entlang der Hauptstraße, die großen Funktionärsvillen und weiter hinten die nach Intervention von Haushaltsausschuß und Bundesrechnungshof inzwischen bescheidener werdenden Häuser. Hier wurde eindeutig für die Funktionärselite und nicht für die breite Bevölkerung gebaut. Der Neid ist inklusive. Auch die Wirtschaftsförderung setzt an der falschen Stelle an. Es ist kontraproduktiv, hochmoderne Bäckereien oder Schlachthöfe neu einzurichten, aber nicht auf bestehende Strukturen vorhandener kleinerer Betriebe zurückzugreifen und diese besser auszustatten. Es macht keinen Sinn, eine Holzfabrik in einer Region zu fördern, in der es Holz als Rohstoff gar nicht gibt. Finanzhilfen greifen nur dann, wenn ein flächendeckendes Konzept unter Einbeziehung aller ortsansässigen Bevölkerungsteile ausgearbeitet und schnellstens realisiert wird. Wichtig ist die Schaffung einer wirtschaftlichen Basis und damit der Ausbau und die Erhaltung von Arbeitsplätzen. So darf es nicht sein, daß die Vorschläge zum Aufbau einer deutsch-russischen Managementschule oder von Fabriken für Zucker- oder Kartoffelverarbeitung in den ministeriellen Schubladen verstauben. Ein Brief einer Omsker Unternehmergruppe an Staatssekretär Waffenschmidt mit konkreten Projektvorschlägen ist bis heute nicht beantwortet worden. Hilfe in den Herkunftsländern macht man mit den betroffenen Menschen und nicht gegen sie. Ich fordere die Bundesregierung auf, ihr gegenwärtiges Förderungskonzept grundlegend zu überarbeiten. Angesichts des Abbaus der sozialen Leistungen ist es absurd, daß weiterhin unsachgemäß Geld verschwendet wird. Die Höhe der Zuwanderung von Spätaussiedlern muß sich an der Eingliederungsfähigkeit und den Finanzhilfen orientieren. Der richtige Ansatzpunkt für die Hilfen in den Herkunftsländern ist eine integrative Förderung unter Einbeziehung aller ortsansässigen Bevölkerungsteile. Die Einrichtung eines sogenannten „Osteuropafonds" - eine Art Marshallplan -, in den Mittel verschiedener Ministerien und auch der EU einfließen sollten, ein Fonds, der generell zur Stabilisierung der ökonomischen Verhältnisse und zum Aufbau einer soliden Infrastruktur beitragen kann, wäre der richtige Ansatzpunkt. Die Vereinigten Staaten haben ein solches Programm aus wirtschaftlichen Interessen längst auferlegt. Mit Hinweis auf die unterschiedlichen Zuständigkeiten zwischen Innen- und Außenministerium ist bei uns ein solcher Ansatz offensichtlich nicht einmal angedacht worden. Es geht hier eben nicht darum, Privilegien für einige zu schaffen und damit das soziale Gefälle innerhalb der Regionen und Ortschaften weiter zu verstärken. Ein Anreiz, in den Herkunftsgebieten zu verbleiben, kann nur darin bestehen, generell die Lebensperspektive zu verbessern. Einem solchen Ansatz folgt die Bundesregierung bislang nicht. Es wird Zeit, die bisherige Praxis grundlegend zu überarbeiten. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gegenstand der heutigen Debatte ist die Auslandstätigkeit des Bundesinnenministeriums und insbesondere des Aussiedlerbeauftragen Waffenschmidt. Wir richten uns damit nicht gegen die Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. Ich sage das, um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Derzeit besteht die Gefahr, daß Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler durch die Kürzungen im Fremdrentengesetz oder durch die Kürzungen der Sprachkurse an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Sie finden darum in unserem Entschließungsantrag die Forderung, zumindest die Dauer der Sprachkurse als eine grundlegende Voraussetzung für die Integration wieder auf mindestens neun Monate zu erhöhen. Wir lehnen eine Einwanderungspolitik nach den Kriterien Blut und Volkstum ab. Wir wenden uns deshalb aber nicht gegen den weiteren Zuzug von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern. Wir wollen ihn allerdings in einem Einwanderungsgesetz vernünftig geregelt haben. Statt die Defizite in der Integration aufzuarbeiten, wird unter dem Deckmantel der Aussiedlerpolitik eine Nebenaußenpolitik betrieben, die mit den eigentlichen Aufgabengeldern des Aussiedlerbeauftragten gar nichts oder nur sehr wenig zu tun hat. Schwerpunkte dieser Auslandsmaßnahmen werden denn auch in den ehemals deutschen Ostgebieten, in Polen oder in der Oblast Kaliningrad gesetzt, aus denen gar keine Spätaussiedler mehr kommen. Ich frage Sie: Nach welchem außenpolitischen Konzept handelt Herr Waffenschmidt eigentlich, wenn er während seiner Polenreisen „nachdrücklich" Forderungen polnischer Staatsbürger gegenüber der polnischen Regierung vertritt oder wenn er in großdeutscher Überheblichkeit von „rund einer Million Deutschen in Polen" spricht, wo selbst die Minderheitenvertreter nur von der Hälfte ausgehen? Mittler aus den Vertriebenenverbänden, die dort eingesetzt werden, konterkarieren die offizielle Außenpolitik geradezu. Im besten Falle fordern sie lautstark Volksgruppenrechte für rückkehrende Vertriebene. Im schlimmsten Falle stellen höchste Funktionäre die Ostgrenze gleich ganz in Frage oder vertreten Positionen, für die - ich zitiere die „Frankfurter Allgemeine" - der „Begriff Revisionismus viel zu harmlos ist" . Sie alle wissen, daß die historischen Belastungen im Verhältnis zu den östlichen Nachbarn eine besondere Sensibilität erfordern. Die von dem ehemaligen polnischen Außenminister Bartoszewski geäußerte Befürchtung: Wenn das so weitergeht, werden in Polen bald 30 Millionen Deutsche leben ist ein Zeichen dafür, daß diese Sensibilität im Innenministerium nicht aufgebracht worden ist, und es will sie dort auch niemand aufbringen. Das BMI betreibt eine Einwanderungspolitik nach völkischen Kriterien und will nun - als Aussiedlerpolitik kaschiert - auch der Außenpolitik einen völkischen Stempel auf drükken. Die sogenannten „Bleibemaßnahmen" in den GUS-Staaten haben genausowenig mit Aussiedlerpolitik zu tun. Vor allem haben sie nur wenig mit der Migrationsentscheidung der Menschen zu tun, wie uns Herr Waffenschmidt vor wenigen Tagen wieder einmal glauben machen wollte. Ich rede gar nicht von den schon sprichwörtlichen „Containerdeutschen", sondern von den Verwaltungsneubauten, den schmucken Häusern der rußlanddeutschen Funktionäre in den sogenannten „Inseln der Hoffnung" , zu denen nur ein verschwindend kleiner Teil der Deutschstämmigen überhaupt Zugang hat. Bei Sankt Petersburg werden über 10 Millionen DM für ein Musterdorf für 200 rußlanddeutsche Familien aufgewandt. Das sind keine Bleibemaßnahmen; das ist ein deutsches Disneyland in einem Umfeld sozialer Verelendung. Nur bei einem läßt sich der Nutzen aus diesen Maßnahmen eindeutig nachweisen: beim Verein für das Deutschtum im Ausland, VDA, einer dubiosen Mittlerorganisation unter Beteiligung von Herren, die Hitlers Geburtstag feiern. In dieser Organisation hatte Herr Waffenschmidt zeitweise einen Verwaltungsratssitz inne. Aus den Töpfen des Aussiedlerbeauftragten bekam der Deutschtumsverein mehr als 200 Millionen DM, die bis heute nicht ordentlich abgerechnet sind. Der Bundesrechnungshof geht derzeit von Rückforderungen in Höhe von mehr als 20 Millionen DM aus, die wahrscheinlich gar nicht mehr einzutreiben sein werden. Der Rücktritt von Herrn Waffenschmidt wäre allein deshalb längst überfällig. Vor allem aber muß seine Funktion auf die Aussiedlerpolitik, insbesondere auf die Integrationsaufgaben festgeschrieben werden. Das ist das Ziel unseres Entschließungsantrages. Ich weiß, daß viele in diesem Hause mit der Nebenaußenpolitik des Bundesinnenministeriums nicht einverstanden sind. Das gilt auch für Teile der Regierungsfraktionen. Die Auslandsmaßnahmen müssen wieder dahin, wo sie hingehören: in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amtes und der auswärtigen Kulturpolitik. Dr. Max Stadler (F.D.P.): Das Thema „Außenpolitische Betätigung des Bundesinnenministeriums" geht in seiner Bedeutung über die gestellten Einzelfragen nach Lage und Programmen deutscher Minderheiten im Ausland weit hinaus. Unsere Debatte heute gibt Gelegenheit, die grundsätzliche Frage zu stellen, wer sich in der Bundesregierung überhaupt außenpolitisch betätigt. Außerhalb des Auswärtigen Amts befassen sich in der Bundesregierung nicht weniger als 250 Referate oder vergleichbare Arbeitseinheiten mit außen- und europapolitischen Fragen. Bei den Ausgaben für auswärtige Angelegenheiten im Bundeshaushalt kommt dem Auswärtigen Dienst nur zirka ein Viertel zu. Nicht zu vergessen sind die außenpolitischen Aktivitäten der 16 deutschen Bundesländer, die zum Teil eigene Europaministerien unterhalten. Es muß in diesem Zusammenhang zumindest die Frage gestellt werden, wie unter diesen Umständen die notwendige Kohärenz der deutschen Außenpolitik gewährleistet werden kann. Die außenpolitische Handlungsfähigkeit und Verläßlichkeit Deutschlands als internationaler Partner hängt ja ganz wesentlich davon ab, ob die Vielzahl der Interessen im Innern zu verbindlichen außenpolitischen Positionen integriert werden können. Lassen Sie mich diese Frage an drei Beispielen verdeutlichen, die alle auch das Bundesministerium des Innern betreffen. Zunächst zu den deutschen Minderheiten: Die Antwort auf die Große Anfrage stellt zu Recht fest, daß die Bundesregierung eine besondere rechtliche, politische und moralische Verantwortung für die deutschen Minderheiten in den Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas und der ehemaligen Sowjetunion besitzt. Die Umsetzung dieses Prinzips aber muß doch im Einklang stehen mit unserer Politik gegenüber Minderheiten in Europa generell. Dem Schutz von Minderheiten kommt mit dem Zerfall von Staaten und der Zunahme nationaler und ethnischer Konflikte auch in Europa eine immer größere Aktualität zu. Minderheitenpolitik steht an erster Stelle bei den Bemühungen um einen friedlichen Wiederaufbau im ehemaligen Jugoslawien. Sie ist Prävention von Konflikten und damit auch Außenpolitik. Bereits die Schlußakte von Helsinki der KSZE, aber auch ihr Kopenhagener Treffen von 1990 haben festgeschrieben, daß der Schutz von Minderheiten, wie auch der von Menschenrechten, nicht nur mehr eine innere Angelegenheit von Staaten ist, sondern eben auch von Außenpolitik. Die Beitrittskandidaten zur Europäischen Union werden auch daran gemessen werden, wie sie ihre Minderheiten behandeln. Ein weiteres Beispiel für die enge Verbindung innen- und außenpolitischer Interessen ist das Problem der Rückführung von Flüchtlingen. Sie liegt in der Kompetenz der Innenminister von Bund und Ländern; ihre Durchführung aber sollte doch den außenpolitischen Zielen nicht widersprechen. Sie muß dem Stellenwert der Menschen- und Minderheitenrechte in unserer Außenpolitik sowie den humanitären Prinzipien genügen und unsere Bemühungen unterstützen, zur Überwindung der ethnischen Trennung im ehemaligen Jugoslawien beizutragen, soweit dies überhaupt möglich ist. Schließlich ist die auswärtige Kulturpolitik ein gutes Beispiel einerseits für die gute Zusammenarbeit zwischen Auswärtigem Amt und Bundesinnenministerium, andererseits aber auch für das Problem der Fragmentierung von Außenpolitik. Die gemeinsame Förderung der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa ist sicher ein Erfolg. Die Identität dieser Menschen erhält Chancen zu ihrer Entfaltung. Das Absinken der Aussiedlerzahlen signalisiert, daß die Anreize zum Bleiben angenommen werden. Andererseits aber kann man nicht an der Frage vorbei, ob die Aufteilung der Mittel für auswärtige Kulturpolitik im Bundeshaushalt auf insgesamt zwölf Ressorts, den Bundestag und - über die Ressortfinanzierung - zahlreiche Mittlerorganisationen sinnvoll ist. Ist auswärtige Kulturpolitik unter diesen Umständen überhaupt möglich? Bedarf es nicht einer stärkeren Koordinierung? Aktuell stellt sich die Frage zum Beispiel im Hinblick auf den Auslandsrundfunk, die Deutsche Welle. Wenn sie im Dienst der auswärtigen Kulturpolitik stehen soll, muß sie ihren Beitrag leisten zur Vermittlung eines wahrhaftigen Bildes von Deutschland in der Welt. Daß dies auch eine sogenannte „Standortfrage" für Deutschland ist, hat der Bundesminister des Auswärtigen mehrfach betont. Ich bedaure, daß wir in der heutigen Debatte für die so wichtige Frage der außenpolitischen Aktivitäten nicht nur des Bundesministeriums des Innern, sondern auch anderer Ressorts so wenig Zeit haben. Ich glaube, daß dieses Thema uns in Zukunft stärker beschäftigen wird. Ulla Jelpke (PDS): Es gibt unzählige Beispiele dafür, daß das Bundesinnenministerium sich dazu berufen fühlt, weit über die Grenzen des Bundesgebietes hinausgehend politisch aktiv zu werden. Ich werde dies an einem aktuellen Beispiel verdeutlichen. Im Dezember letzten Jahres wurde in Flensburg das Europäische Zentrum für Minderheitenfragen, EZM, eröffnet. Initiiert wurde die Einrichtung eines solchen Zentrums bezeichnenderweise durch die beim BMI angesiedelte Abteilung „Vertriebene, Aussiedler, Ostdeutsche Kulturarbeit" . Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um schlaglichtartig einige dubiose Zusammenhänge aufzuzeigen. Erklärtes Ziel des EZM ist der „Schutz nationaler Minderheiten und traditioneller Volksgruppen" , so der Staatssekretär beim BMI, Eckart Werthebach. Der Minderheiten- und Volksgruppenbegriff des EZM basiert auf der Blut- und Boden-Ideologie. Die im Bundesgebiet lebenden türkischen oder italienischen Migranten beispielsweise werden vom EZM nicht als Minderheiten anerkannt. Das Institut richtet sein Interesse vor allem auf die osteuropäischen Länder, in denen die „Auslandsdeutschen" den größten Anteil an den Minderheiten ausmachen. Das Institut versteht sich nicht als reines Forschungsinstitut. Dies entspricht auch den Vorstellungen des EZM-Direktors Stefan Troebst, der davon ausgeht, daß der Prozeß der Staatenbildung noch nicht abgeschlossen ist, da die bestehenden Staaten nicht ethnisch homogen sind. Bezogen auf die „albanische Frage" hat sich Troebst in der FAZ vom 31. Juli 1996 für eine territoriale Neuordnung im Balkan ausgesprochen und dem albanischen Nationalismus das Wort geredet. Um einen „flächenbrandartigen Konflikt" im Balkan zu vermeiden, so seine fadenscheinige Begründung, müßten die westlichen Staaten zugunsten der Kosovo-Albaner eingreifen. Das EZM ist auch nicht zufällig in Flensburg angesiedelt. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen, FUEV, die eng mit dem EZM zusammenarbeitet und auch in dessen Kuratorium vertreten ist. Die FUEV, vor der das Auswärtige Amt noch in den 60er Jahren gewarnt hatte, steht in der Tradition der nationalsozialistischen Volksgruppenpolitik, des Rassismus und Antisemitismus. Unter dem Deckmantel eines Europäischen Zentrums für Minderheitenfragen betreibt das Innenministerium eine deutsche Volkstumspolitik. Diese ist nicht nur darauf ausgerichtet, das „Deutschtum" zu stärken, sondern dient auch der Destabilisierung anderer Länder und der Revision bestehender Grenzen. Ich fordere die Bundesregierung auf, umgehend die Finanzierung eines solchen dubiosen Projekts einzustellen und die freiwerdenden Mittel für die im Bundesgebiet lebenden Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge aufzuwenden. Nicht Volksgruppenrechte, die sich am Prinzip von Blut und Boden orientieren, sind die angemessene Antwort auf Einwanderung, sondern Antidiskriminierungsgesetze, Minderheitenschutz und Menschenrechte. Davon sind wir in dieser Republik noch weit entfernt. Dr. Horst Waffenschmidt Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Die Debatte zu der von meinem Hause vorgelegten Antwort auf die Große Anfrage von Frau Kollegin Buntenbach gibt Gelegenheit, die Politik der Bundesregierung für die deutschen Minderheiten in den Staaten Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas einschließlich der Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion erneut darzustellen. Eines möchte ich gleich zu Beginn klarstellen: Es gibt keine besondere Außenpolitik des Bundesinnenministeriums, wie es die Überschrift der Großen Anfrage glauben machen möchte. Es gibt eine innerhalb der Bundesregierung abgestimmte und von ihr insgesamt getragene Politik für die deutschen Minderheiten in den genannten Staaten. Die Politik der Hilfen für die Deutschen dort und die Aufnahame von Spätaussiedlern in Deutschland sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums für die Aussiedleraufnahme hängt eng mit den Hilfen für die deutschen Minderheiten zusammen. Zum Beispiel gibt es eine unmittelbare Verbindung zwischen Effizienz der Hilfsmaßnahmen vor Ort und der Zahl der Aussiedlungswilligen. Natürlich wird das Bundesinnenministerium, in den einzelnen Schritten stets in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt, in den genannten Staaten zur Betreuung der deutschen Minderheiten tätig. Dies ist ein völlig normaler Vorgang: In unserer Welt der gegenseitigen Verflechtung wird beispielsweise auch das Bundesverteidigungsministerium innerhalb seines Aufgabenbereichs oder das Bundesumweltministerium innerhalb seiner Zuständigkeit im Ausland tätig, und eine enge Abstimmung mit dem die Außenpolitik koordinierenden Auswärtigen Amt ist hier ebenso selbstverständlich. Unabhängig von Zuständigkeitsfragen ist für diesen Politikbereich festzustellen: Hier geht es um Menschenschicksale, und zwar im Lauf der letzten zehn Jahre um Millionen Einzelschicksale. Es ist für das Leben einer Familie von entscheidender Bedeutung, ob sie sich zur Aussiedlung entschließt oder ob sie sich dafür entscheidet, die Zukunft in der jetzigen Heimat in die Hand zu nehmen. Diese Entscheidung kann nur jeder allein treffen; die Bundesregierung kann dabei weder zu- noch abraten. Nach den schrecklichen Folgen des Mißbrauchs der deutschen Minderheiten durch die Nationalsozialisten kann keine Bundesregierung mehr eine Volkstumspolitik betreiben. Darin waren sich alle Bundesregierungen seit 1949 einig, gleichgültig welche Parteienkonstellation jeweils die Regierung trug. Aber jede Bundesregierung sah sich in der Pflicht, den Deutschen im damaligen Ostblock zu helfen, wo immer es möglich war. Diese Verantwortung gründet sich darauf, daß die dort verbliebenen Deutschen besonders hart und besonders lang unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges leiden mußten, obwohl sie den Krieg am wenigsten zu verantworten hatten. Nach der politischen Wende im Osten Europas und nach dem Zerfall der Sowjetunion war es nur folgerichtig, die bis dahin nur in Einzelfällen möglichen humanitären Hilfeleistungen auf die deutschen Minderheiten insgesamt auszuweiten. Dies geschah von der Wende an im Einvernehmen mit den neuen Regierungen der Reformstaaten. Von ihnen wurde es als selbstverständlich angesehen, daß sich die Bundesregierung im Rahmen der von allen erhofften und erwarteten Hilfe des Westens der deutschen Minderheiten in besonderer Weise annehmen würde. Denn gerade sie hatten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg unter den kommunistischen Regierungen besonders unter Zurücksetzungen und Repressionen zu leiden gehabt, vom Ungarn der spätkommunistischen Zeit einmal abgesehen. Das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium haben sich in diesem Bereich schon frühzeitig auf eine Arbeitsteilung verständigt: Das Auswärtige Amt führt Maßnahmen im Bereich der traditionellen Kulturpolitik und der Bildung für die deutschen Minderheiten durch; gemeinschaftsfördernde, soziale, landswirtschafts- und wirtschaftsbezogene Maßnahmen betreut das Bundesinnenministerium. Die Hilfsmaßnahmen für die Deutschen beziehen im Rahmen des Möglichen auch das jeweilige Umfeld der nichtdeutschen Nachbarn ein. Diese Zusammenarbeit zwischen Bundesinnenministerium und Auswärtigem Amt hat sich gut bewährt. Dies zeigt sich aktuell an dem neuen Projekt einer „Sprachoffensive" für die deutschen Minderheiten in der Russischen Förderation und in Kasachstan, das von beiden Häusern eng abgestimmt durchgeführt wird. Die Bundesregierung leistet nur dort Hilfen in Form von Einzelprojekten, wo dies von den Minderheiten erbeten und mit den jeweiligen Regierungen, meist in gemischten Regierungskommmissionen, abgesprochen ist. Entscheidend ist, daß die Hilfen den deutschen Minderheiten und ihren mitwohnenden Nachbarn zugute kommen. Die Bundesregierung bedient sich, wo sie nicht unmittelbar über die deutschen Auslandsvertretungen tätig werden kann, bei der Umsetzung der Mitwirkung von Mittlerorganisationen. Im Bereich des Bundesinnenministeriums sind dies über 100. Da das Ziel die Hilfe für die Minderheiten ist, werden die Mittler danach ausgesucht, welche Institution die betreffende Maßnahme am besten durchführen kann. Dies können auch Vertriebenenverbände sein. Insgesamt ist festzuhalten: Die Aussiedlerpolitik der Bundesregierung hat sich bewährt. Die deutschen Minderheiten haben sich selbst organisieren können und sind geschätzte Partner ihrer Regierungen geworden. Sie können wieder eine Brückenfunktion zwischen der Bevölkerung in ihren Ländern und uns hier in Deutschland wahrnehmen. Was noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeschlossen schien, ist jetzt greifbar geworden: Die deutschen Minderheiten haben eine reale Perspektive, in ihrer Heimat ihre Zukunft auf der Grundlage von europaweit und bilateral gesicherten Minderheitenrechten selbst zu gestalten. Die Aussiedlung und vor allem die Aussiedlungswünsche sind spürbar zurückgegangen. Dies ist nicht zuletzt auf die Hilfenpolitik der Bundesregierung zurückzuführen. Die Bundesregierung wird ihre Politik unbeirrt fortsetzen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 10 (Beschlußempfehlung zum Antrag: Telematik im Verkehr und Antrag: Telematik für die Verkehrswende nutzen) Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Das Bundesministerium für Verkehr hat den zur Einführung und Nutzung von Telematik im Verkehr bestehenden Handlungs- und Entscheidungsbedarf bereits im Jahr 1993 in einem Strategiepapier aufgezeigt. Im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage der Koalitionsfraktion zur Verkehrstelematik wurden die für den breiten Einsatz von Verkehrstelematik zu erfüllenden Aufgaben klar konkretisiert. Zu nennen sind hier: Schaffung eines effizienten Gesamtverkehrssystems und die Erhöhung der Verkehrssicherheit. Ein effizientes Gesamtverkehrskonzept aufzustellen bedeutet, ein langfristiges, alle Positionen umfassendes und in sich stimmiges Konzept aufzustellen. Genau das macht die Antwort auf die Große Anfrage aus: Sie ist ein durchdachtes und schlüssiges Konzept, um das Teilgebiet Verkehrtelematik optimal in das sich schnell verändernde Umfeld der Verkehrspolitik zu integrieren. Diese Aufgaben sind von der öffentlichen Hand, den Verkehrsträgern, der Industrie und dem Dienstleistungssektor zu erbringen. Denn eins ist klar: Planung, Organisation und Betrieb von Telematikanwendungen sollen vorrangig privatwirtschaftliche Aufgaben sein. Der Staat darf hier nur Hilfestellungen und Anschubfinanzierungen geben. In der Antwort wurden die in der Praxis eingeführten sowie künftig zu erwartende Telematikanwendung umfassend - auch unter Hinweis auf die Aktivitäten des Wirtschaftsforums Verkehrstelematik, das von Herrn Bundesverkehrsminister Wissmann gegründet worden ist - erläutert. Zu nennen wäre hier beispielsweise für den Bereich Schiene: Online-Rechnerdienste für Kunden wie Datex J und Internet, Interrail im Internet und Sitzplatzreservierung. Besonders relevant ist hier die mögliche Verbesserung der Kapazitätsauslastung der Schienenstränge, da es durch Telematik zur Erhöhung der Zugfolgen kommen kann. Für den Bereich Öffentlicher Personennahverkehr ist zu nennen: P + R-Management, Fahrerkommunikationssysteme und bargeldlose Zahlungssysteme. Sie sehen also, daß sich was tut, um eine Verbesserung des Verkehrssystems zu erreichen. Der Antrag der SPD und der Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen ist als Reaktion auf die Beantwortung dieser Großen Anfrage zu sehen. Die SPD-Fraktion fordert in ihrem Antrag den Einsatz der Telematik im Verkehrsbereich mit folgenden Zielen voranzutreiben: Verbesserungen der Verkehrssicherheit, gerechte Anlastung der Infrastruktur-, Umwelt- und soziale Kosten des Straßengüterverkehrs, Unterstützung kommunaler Verkehrsmanagementprojekte, Verknüpfung der kommunalen Verkehrsträger, neue Logistikkonzepte im Transportwesen sowie bessere Verknüpfung der Verkehrsträger. Zudem soll die Anwendung der Telematik auch in den am stärksten befahrenen transeuropäischen Netzen sowie in mehreren Großstädten unterstützt werden. Es stellt sich somit eigentlich die Frage, worin die Unterschiede zwischen diesem Antrag der SPD und der momentan verfolgten Strategie der Bundesregierung bestehen. Im Gegensatz zur Bundesregierung setzt die SPD den Schwerpunkt einseitig auf eine Politik der Verkehrsvermeidung. Dem Antrag ist folgendes zu entnehmen: Eine schrittweise Begrenzung und Minderung der Verkehrslawine und eine Verkehrsverlagerung zum öffentlichen Verkehr soll erreicht werden. Leider beinhaltet der Antrag keinerlei Hinweise auf konkrete Verbesserungsvorschläge. Hierdurch wird dieser Antrag zu einem sinnlosen Papier, denn genau dieser Punkt ist von entscheidender Wichtigkeit. Die Beantwortung der Frage, wie die SPD dies bewerkstelligen möchte, hätte die Existenz dieses Antrages gerechtfertigt. So ist er leider nur ein Zeichen für voreiligen Aktionismus! Die Aussagen der Bundesregierung sind demgegenüber jedoch klar: Im wesentlichen soll die Telematik als Instrument zur Integration der Verkehrsträger und der Verkehrsinfrastruktur, hier insbesondere an den Schnittstellen, eingesetzt werden. Hierdurch sollen die verschiedenen Verkehrsträger besser vernetzt werden, um so die jeweiligen Vorteile optimal zu nutzen. Wie vielfältig diese Aufgabe ist, wird deutlich, wenn man nur allein die Verkehrsmittel aufzählt. Dies sind Züge, Lastkraftwagen, Binnenschiffe, Seeschiffe, Flugzeuge und Personenkraftwagen. Es gibt demnach 15 verschiedene Kombinationen, wie Personen und Güter das Verkehrsmittel wechseln können. An dieser Zahl, die ja nur den einfachen Wechsel berücksichtigt, wird deutlich, wie komplex die Aufgabe ist, effiziente Mobilität zu ermöglichen. Ich möchte dies an einem Beispiel verdeutlichen: Die meisten von uns müssen weite Wege zurücklegen, um hier in Bonn anwesend zu sein. Für mich heißt das: Fahren mit dem Pkw zum Bahnhof in Aalen, von dort mit dem Zug zum Bahnhof Stuttgart, von dort mit dem Zug zum Bahnhof Bonn und von hier mit dem Taxi zum Bundestagsbüro. Allein hierfür muß ich also 3 mal umsteigen. Ohne den Einsatz der Telematik für eine Optimierung der Fahrzeit sehe ich keine Chance, in absehbarer Zeit Erfolge hinsichtlich einer Änderung des Mobilitätsverhaltens zu erzielen. Deutlich wird aber auch: Die geforderte einseitige Schwerpunktsetzung der Telematik zur Verkehrsvermeidung wird den verkehrspolitischen Zielen der Bundesregierung nicht gerecht. Es ist das erklärte Ziel, die Mobilität dauerhaft zu sichern und dabei die unerwünschten Folgen des Verkehrs spürbar zu verringern. Gegen eine einseitige Verteufelung des Straßenverkehrs muß ich mich aber ganz klar aussprechen. In dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird die Bundesregierung aufgefordert, ebenfalls die Telematik einseitig als Instrument zum Ziel einer ökologischen Verkehrswende einzusetzen. Vorrangig seien der Umweltverbund - Bus und Bahn, Fußgänger und Fahrradverkehr - zu fördern und verkehrsbedingte Umweltbelastungen abzubauen. Diese ideologisch begründeten Ziele sind parteipolitisch nachzuvollziehen. Es ist jedoch kaum noch verständlich, warum Bündnis 90/Die Grünen eine Verhinderung des Mißbrauchs von Telematik beim PkwVerkehr anmahnen. Ausgerechnet dieser Teil des Verkehrsbereiches, mit dem in den letzten Jahrzehnten immerhin mehr als 70 Prozent aller gefahrenenen Personenkilometer und Tonnenkilometer zurückgelegt worden sind, soll beim Einsatz von Forschungsmitteln nicht mehr berücksichtigt werden. Es stellt sich die Frage, ob Bündnis 90/Die Grünen überhaupt noch nachvollziehen, was sie eigentlich beantragen. Es ist doch direkt einsichtig, daß der Verkehrsträger, der die meisten Kilometer verursacht, am besten erforscht werden muß, da hier das größte Rationalisierungspotential liegt. Es wäre deswegen meiner Meinung nach fatal, wenn man dem Wunsch von Bündnis 90/Die Grünen nachkommen würde, und die Telematik nahezu ausschließlich für den öffentlichen Verkehr einsetzen würde. Leider wird an diesen Tatsachen wieder deutlich, daß Bündnis 90/Die Grünen die Grundwahrheiten der Ökonomie nicht wahr haben will: Eine dieser Wahrheiten sagt aus, daß man als Staat seine Gelder dort investiert, wo der meiste Nutzen erzielt werden kann. Und das ist in diesem Fall der motorisierte Individualverkehr. Eine Anerkennung dieser ökonomischen Grundaussage müßte die verehrten Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen dazu motivieren, einen Antrag zu stellen, der die Bündelung aller Gelder für die Telematik nur auf den Bereich des Pkw-Verkehrs fordert. Dies wäre ein Antrag, der ihre Politik auf wirtschaftlich vernünftige Beine stellen würde. Hierin besteht also der grundlegende Unterschied zwischen der Bundesregierung und der Opposition: Wir wollen mit der Telematik auch den motorisierten Individualverkehr besser organisieren und auch hier eine bessere Kapazitätsauslastung erreichen. Verkehrsvermeidung durch Ignoranz hat noch nie funktioniert. Die Telematik ist ein sehr gutes und notwendiges Instrument, um die zunehmende Mobilität der Bürger beherrschbar zu machen. Deshalb muß sie alle Verkehrsbereiche abdecken. Um genau dieses zu erreichen, verfolgt Bundesverkehrsminister Wissmann zusammen mit dem Bundesforschungsminister Dr. Rüttgers das Ziel, dieses hochtechnologische Einsatzmittel immer praxisfähiger zu machen. Es sollte ebenfalls allein klar sein, das dies der einzige Weg ist, auch diese Technik im Wirtschaftsstandort Deutschland zu halten. Andere Länder warten, daß Bedenkenträger in Deutschland die Innovationsfähigkeit der Unternehmen stoppen. Wenn dies geschieht, werden die Unternehmen, aber auch die Regierungen, alles versuchen, um dann selbst die Weltspitze in diesen Technologien einzunehmen. Die Aktivitäten in diese Richtung nehmen an Deutlichkeit zu. So hat das amerikanische Verkehrsministerium eine „Operation TimeSaver" zur flächendeckenden Einführung moderner Verkehrstelematik ins Leben gerufen. An diesem Projekt sollen alle Gebietskörperschaften sowie die Privatwirtschaft mitwirken. Für den Ausbau einer kommunikationstechnischen Infrastruktur werden bis zum Jahr 2005 im Rahmen förderaler Investitionsprogramme 10 Milliarden US $ bereitgestellt. Dadurch soll das prognostizierte Verkehrswachstum um 34 Prozent in den nächsten zehn Jahren teilweise kompensiert werden. Durch den Einsatz von Verkehrstelematik sollen notwendige Investitionen in die herkömmliche Verkehrsinfrastruktur substituiert und so Kosten eingespart werden. Beunruhigend konsequent ist die geplante Durchführung, da sich die amerikanische Regierung selbst in die Pflicht nimmt. Einrichtungen für die Verkehrstelematik werden künftig als fester Bestandteil der öffentlichen Straßeninfrastruktur betrachtet. Jährliche Fortschrittsberichte sollen die planmäßige Umsetzung gewährleisten. Dies zeigt, daß wir in Deutschland endlich damit aufhören sollten, Bedenken jeglicher Art wie eine Monstranz vor uns her zu tragen. Das muß mit allen Kräften verhindert werden, denn sonst verliert Deutschland eine wirkliche Chance zur besseren Bewältigung der Zukunft. Danke! Reinhold Hiller (Lübeck) (SPD): Die SPD-Bundestagsfraktion hat dem Deutschen Bundestag einen umfassenden Antrag zum verstärkten Einsatz von Verkehrstelematik vorgelegt. Verkehrsminister Wissmann hat in der ersten und zweiten Lesung unter anderem ausgeführt: Mit dem Einsatz der Verkehrstelematik wollen und werden wir zum einen die Verkehrsträger an ihren Schnittstellen verknüpfen und damit die Bildung umweltschonender Transportketten erleichtern, zum zweiten die bestehende Verkehrsinfrastruktur effizienter nutzen und Engpässe beseitigen, zum dritten die Verkehrsabläufe rationalisieren und ineffizienten und überflüssigen Verkehr vermeiden und zum vierten die Sicherheit und Umweltverträglichkeit der Verkehrsabwicklung wirksam verbessern. Damals konnte ich im Parlament zufrieden feststellen, daß die Bundesregierung zahlreiche Anregungen aus unserem Antrag aufgegriffen hat. Doch leider ist es sehr bedauerlich, daß es trotz gewisser inhaltlicher Übereinstimmungen bei den bisherigen Beratungen über unseren Antrag in den verschiedenen Ausschüssen zu keinem einheitlichen Vorgehen gekommen ist. Die Regierung und die Koalitionsfraktionen sind über das Stadium der Ankündigung in Sonntagsreden nicht hinausgekommen. Die Koalitionsfraktionen sind bei der Beratung in allen beteiligten Ausschüssen nicht bereit gewesen, auf die Lösungsansätze der SPD konstruktiv einzugehen. Daß die Regierung nicht gerne auf Vorschläge der Opposition eingeht, kennen wir seit langem. Daran gewöhnt man sich. Daß sie es nicht einmal schafft, einen eigenen Antrag vorzulegen, finde ich peinlich. Dies gilt sowohl für CDU/CSU als auch F.D.P. Dabei handelt es sich um ein Thema, das der deutschen Wirtschaft gute Chancen auf dem Weltmarkt bietet. Nehmen Sie zur Kenntnis: Mit dieser neuen Technologie sind Arbeitsplätze verbunden! Nun zum Inhalt des SPD-Antrages: Der Verkehr, wie er jetzt abgewickelt wird, entspricht nicht mehr den Anforderungen und Möglichkeiten der modernern Industriegesellschaft. Die technischen Möglichkeiten sind längst gegeben, Informationen über aktuelle Gefahrenpunkte, über Verkehrsstörungen oder Wetterkapriolen können schon heute problemlos zu jeder Zeit und an fast jeden Ort an ein Fahrzeug übermittelt werden. Auf der CEBIT werden in diesen Tagen neue Angebote der Öffentlichkeit vorgestellt: Die Telekom Tochter T Mobil und die Daimler Tochter debis haben das System Tele Aid vorgestellt. Damit wird ein automatischer Notruf über das Autotelefon abgesetzt, wenn der Airbag ausgelöst wird. In Verbindung mit einer Satellitenortung weiß der Rettungsdienst zu jeder Zeit, wo sich das Fahrzeug befindet. Wertvolle Zeit für die Verständigung des Rettungsdienstes und das Aufsuchen des Unfallortes können so gewonnen werden. Die Telekom hat angekündigt, daß sie beginnen will, im Abstand von 3 Kilometern an den Bundesautobahnen Sensoren aufzustellen. Damit sollen Daten ermittelt werden, ob der Verkehr fließt oder steht. Telekom-Konkurrent Mannesmann will ein ähnliches Projekt anbieten. Auf diesem Wege will die Telekom zukünftig Staus aufspüren und per Computer für die Nutzer Ausweichrouten anbieten. Die Japaner sind längst weiter. Kein Fahrzeug im Großraum Tokio mit seinen 18 Millionen Einwohnern bleibt unerfaßt. Den Induktionsschleifen an den 7 000 Kreuzungen entgeht keine Fahrzeugbewegung. Infrarotsensoren tun nachts ihren Dienst. Mikrowellensender orten Geschwindigkeitsprofile unzähliger Autokolonnen. Das Ergebnis steht im krassen Widerspruch zum Aufwand. Nutzlose Daten und Schlangen, die nicht kürzer, sondern immer länger werden. Die Daimler-Benz-Tochter Mercedes Benz und die debis telematic Japan wollen schon ab dem nächsten Monat im Großraum Tokio endlich die Grundlagen schaffen, um den gesammelten Datenwirrwarr über den Autoverkehr zu entwirren und in treffsichere Stauprognosen und Umleitungsempfehlungen zu verwandeln. Intelligente Navigationssysteme sollen die japanischen Autofahrer durchs alltägliche Verkehrschaos leiten, für mehr Sicherheit sorgen und den Verbrauch an Treibstoff vermindern. Die Anbieter haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Die Reisezeiten m der 12-Millionen-Metropole sollen sich im Einzelfall glatt halbieren lassen. Mit den umfassenden Daten der japanischen Polizei ausgestattet, versprechen die beiden Unternehmen, daß eine Servicezentrale alle zwei Minuten die aktuell beste Route errechnet und über das Mobilfunknetz der japanischen Telekom in das Navigationssystem überträgt. Mitte des Jahres soll auch in Deutschland der Startschuß für ähnliche Verkehrsdienstleistungen fallen. Per Satellitenortung und Mobilfunk wollen Fahrzeughersteller, Netzbetreiber und Endgeräteproduzenten staugeplagte Autofahrer mit maßgeschneiderten Verkehrsprognosen bedienen. Allein für Europa prognostiziert die Europäische Kommission einen Markt für Verkehrstelematikdienste bis zum Jahr 2010 in Höhe von 200 Milliarden DM. Die Branche rechnet für die Bundesrepublik für derartige Angebote mit 3 Millionen Kunden. Wir sind fest davon überzeugt, daß so zahlreiche neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Der Herausforderung müssen sich alle stellen. Angesichts der technischen Möglichkeiten ist es Aufgabe der Politik, die Ziele zu bestimmen und die Telematik in vernünftige Bahnen zu lenken. Deshalb enthält der Antrag der SPD-Fraktion folgende Zielsetzungen: Telematik muß genutzt werden zur Vermeidung weiterer Verkehrszuwächse, Förderung einer möglichst umweltgerechten Arbeitsteilung der verschiedenen Verkehrsträger, Verlagerung möglichst hoher Straßenverkehrsanteile auf Bahn, ÖPNV und Schiffahrt, umweltgerechte Abwicklung der verbleibenden Straßenverkehrsanteile, Verbesserug der Verkehrssicherheit und - das ist entscheidend - für eine gerechtere Wegekostenanlastung. Telematik ist zwar keine Wunderwaffe. Sie ersetzt keine notwendigen verkehrspolitischen Weichenstellungen. Sie kann aber bei intelligentem Einsatz wichtige Hilfestellung zur Umsetzung der auf geführten Zielvorstellungen bieten. Daraus ergeben sich die folgenden Forderungen: Ein Schwerpunkt der Verwendung von TelematikSystemen liegt im Schutz der Verkehrsteilnehmer und der Beseitigung oder zumindest Entschärfung von gegenwärtig bestehenden Unfallschwerpunkten auf Bundesfernstraßen. Die Einbeziehung der Not- und Rettungsdienste in das Verkehrsmanagement ist schwerpunktmäßig voranzutreiben. Für die Überwachung von Gefahrguttransporten bietet die Telematik gleichfalls sinnvolle Anwendungen. Mögliche Einsatzfelder sind die Überwachung der einzelnen Transporte, eine schnelle Bereitstellung von Informationen über die einzelnen Transporte und von Hinweisen zur Bekämpfung bei Schadensfällen. Die SPD lehnt die Einführung einer allgemeinen Straßenbenutzungsgebühr für alle in- und ausländischen PKW ab. Begrüßenswert ist, daß auf der Tagung des Rates der Europäischen Union zum Thema Verkehr am 11. März in Brüssel die Entscheidung über die Einführung einer allgemeinen Straßenbenutzungsgebühr der nationalen Regierung überlassen bleibt. Wir fordern von dieser Regierung, endlich gleiche Wettbewerbsbedingungen für sämtliche Verkehrssysteme zu schaffen. Ohne eine gerechte Anlastung der Infrastruktur-, Umwelt- und sozialen Kosten des Straßengüterverkehrs bleiben die Sonntagsreden dieser Regierung für eine Umsteuerung weg von der Straße auf andere Verkehrsträger nur Makulatur. Wir brauchen deshalb endlich eine streckenbezogene Straßenbenutzungsgebühr für in- und ausländische LKW. Die ÖTV hat auf ihrem letzten ordentlichen Gewerkschaftstag 1996 in Stuttgart unter anderem beschlossen: Ein generelles Road pricing für alle Verkehrsteilnehmer einschließlich PKW ist nicht zuletzt wegen der ungelösten Probleme des Datenschutzes kein gangbarer Weg. Dem stimmen wir ausdrücklich zu. Im Gütertransport kann das der richtige Weg sein, um von der sehr ungenauen Anrechnung über Vignetten zu einer sehr viel gerechteren nutzungsabhängigen Zurechnung von Wegekosten zu gelangen. Telematik kann auch der Überwachung des zoll- und steuerfreien LKW-Verkehrs dienen und die Kriminalität bekämpfen, zum Beispiel beim europaweiten Zigarettenschmuggel. Den ehrlichen Steuerzahler wird dies freuen. Die ÖTV weiter: Telematikanwendungen sind zugleich eine Herausforderung für die sozialverträgliche und menschengerechte Ausgestaltung der Arbeitsplätze im Verkehr. Die Bundesregierung hat auch hier ihre Schularbeiten nicht gemacht. Gerade in den vom Verkehrsinfarkt bedrohten Ballungszentren wird der Einsatz elektronischer Leitsysteme und kommunaler Verkehrsmanagement-Modelle zu einer weiteren Attraktivitätssteigerung des Öffentlichen Personennahverkehrs führen. Im Schienenverkehr können durch Telematikanwendungen wie dem Computer Integrated Railroading die Modernisierung von Signal- und Leittechnik und verbesserte Verknüpfung auch ohne kostspielige Erweiterung und Ausbau erhebliche Kapazitätsreserven erschlossen werden. Hier lassen sich Milliardeninvestitionen einsparen. Nur wenn die Bahn in die Lage versetzt wird, in den Häfen zu vom Markt gefragten Zeiten mehr Güterzüge anzunehmen, kann die Straße vom Güterverkehr entlastet werden. Neue Logistik-Konzepte nicht nur für die überlasteten Ballungszentren können einen gewichtigen Beitrag zur Entlastung des Verkehrs leisten. Aus der Fachpresse wissen wir, daß die Seeschiffahrt und die Häfen bereits weiter sind als die Straße und die Schiene. Die Bundesregierung ist gefordert, im Rahmen eines Gesamtverkehrskonzeptes die notwendigen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen auf der Ebene der EU zu schaffen. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang, daß der Rat auf seiner letzten Sitzung eine Entschließung zum Einsatz von Telematik im Straßenverkehr und zur elektronischen Gebührenerfassung verabschiedet hat. Dieser zielt darauf ab, zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Nutzung dem Gedanken der Interoperabilität frühzeitig Rechnung zu tragen. Gut ist, daß die Kommission in Kürze einen Aktionsplan zur Einführung von Straßentelematik in Europa vorlegen will. Notwendig ist, daß dabei der Forderung nach einer verbesserten Verknüpfung der unterschiedlichen Verkehrsträger Rechnung getragen wird. Festzuhalten bleibt, daß aus dieser Richtlinie kein Zwang zur Erhebung von Straßennutzungsgebühren hergeleitet werden kann. Die Entscheidung darüber verbleibt bei den nationalen Regierungen. Also im Moment noch bei Herrn Wissmann! Was tut die Regierung: Sie ist stolz darauf, daß die Untätigkeit von Minister Wissmann bei der Telematik bisher noch zu keinem unwiederbringlichen Schaden geführt hat. Stolz verkündet sie in der Unterrichtung die Ergebnisse der Tagung des Rates zum Thema Verkehr in Brüssel als großen Erfolg: Aussagen, die die in Deutschland noch ausstehende Entscheidung über das einzuführende System unangemessen präjudiziert hätten, konnten vermieden werden. In der Tat sind das entlarvende Aussagen. Statt die Voraussetzungen zu schaffen, um den gegenwärtig noch bestehenden Vorsprung in der Infrastruktur zu verteidigen und an den Vorteilen des Standortes Deutschland zu arbeiten, ist diese Regierung auf dem Weg zurück in ein Deutschland, wie es sich im Biedermeier-Zeitalter darstellte. Nach jüngsten Pressemeldungen sollen die Verkehrsteilnehmer von Maut-Häuschen zu Maut-Häuschen, von Zahlstelle zu Zahlstelle geleitet werden. Wir lehnen den Einsatz von Telematiksystemen ab, wenn sie lediglich als Grundlage für Abkassiermodelle dienen sollen. Telematik ist viel zu schade, um es für den Einstieg in die Privatisierung des Straßennetzes zu mißbrauchen. Der Bund darf sich nicht aus seiner Verantwortung zur Schaffung einer leistungsfähigen Infrastruktur zurückziehen. Eine private Finanzierung ist ein ungedeckter Wechsel in die Zukunft und nach allen kritischen Berechnungen erheblich teurer. Aus der Begründung für die Ablehnung unseres Antrages im Bericht des Kollegen Brunnhuber in Drucksache 13/6911 kann kein Mensch erkennen, was Regierung und CDU/CSU-Fraktion wollen. Aus der Rede des Verkehrsministers in der ersten Lesung hat sich nichts entwickelt. Es war eine der typischen, konsequenzlosen Sonntagsreden. Trotz intensiven Studiums der vorliegenden Drucksache, der Diskussion im Verkehrsausschuß, lieber Kollege Brunnhuber, habe ich leider immer noch nicht nachvollziehen können, welche Gründe die Koalitionsfraktionen dazu veranlassen, unserem Antrag nicht zuzustimmen. Springen Sie über ihren Schatten! Sie haben die Zeit zwischen erster und dritter Lesung nicht genutzt. Heute werden Sie wieder nein sagen, ohne daß Sie eine Alternative haben. Die Sozialdemokraten sind für ein vernünftiges Gesamtverkehrskonzept, in dem auch der Individualverkehr seinen Platz hat. Verkehrsvermeidung und die Förderung des Umstiegs auf einen attraktiven öffentlichen Personennahverkehr leisten einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Lebensqualität. Bei der Abstimmung über den Antrag der Grünen werden wir uns der Stimme enthalten. Dieser Antrag enthält zwar sehr vernünftige Ansätze, die auch von uns Sozialdemokraten geteilt werden. Nur ist unser Antrag umfassender. Gerne hätten wir auch unser Votum über einen CDU/CSU- oder F.D.P.-Antrag festgelegt. Aber wo nichts ist, kann man auch nicht ja oder nein sagen. Und wo nichts ist, wird es Zeit, daß eine neue Regierung über die Fragen der Zeit wie bei der Telematik nicht nur redet, sondern handelt. Lange wird es ja nicht mehr dauern. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Telematik ist kein Ersatz für Politik, sondern stellt ein technisches Instrumentarium zur Verfügung. Wie produktiv oder negativ sich der Einsatz dieser Instrumente auswirkt, hängt von den jeweiligen verkehrspolitischen Zielvorgaben und Rahmenbedingungen der Politik ab. Wer wie die Bundesregierung vor allem darauf aus ist, immer mehr Autos auf immer mehr Straßen unterzubringen, wird sich nur um die Verflüssigung des Verkehrs mit dem bekannten Ergebnis immer neuer Verkehrszuwächse, die dann letztendlich doch zum Stau führen, kümmern. In diesem Sinne haben wir ein kritisches Verhältnis zur Telematik; das heißt, wir sehen uns den jeweiligen Verwendungszusammenhang sehr genau an, ehe wir entscheiden. Eine Politik jedoch, die danach trachtet, Verkehrsaufwand zu verringern und auf Bus und Bahn zu verlagern, wird vor allem zu Instrumenten greifen, die die öffentlichen Verkehrssysteme attraktiver und erfolgreicher machen. In diesem Sinne haben wir ein positives Verhältnis zu einer Telematik, die für Verbesserung im Schienenverkehr im ÖPNV und für einen modernen Güterverkehr eingesetzt wird. Erstes Beispiel Bahn: Die Kapazitäten auf der Schiene, beim Personenverkehr, vor allem aber im Güterverkehr sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Dort aber, wo man bereits an Kapazitätsgrenzen gekommen ist, können diese durch Telematik, hier durch Fahren auf elektronische Sicht (CIR-ELKE u. a.), um bis zu 40 Prozent ausgeweitet werden. Allerdings ist die Erhöhung der Schienenkapazität trotz Telematik immer noch an das schiere Vorhandensein eines Netzes, im Nahverkehr vor allem eines Nebennetzes, gebunden. Wenn dieses, wie derzeit überlegt, in großen Teilen zur Disposition gestellt wird, dann, verehrter Herr Wissmann, nützt Ihnen alle Telematik der Welt nichts mehr. Dann ist das Netz zerschlagen und die Option auf eine bürgernahe Flächenbahn als Rückgrat einer zukunftsfähigen Mobilität im 21. Jahrhundert verspielt. Deshalb sollten Sie das Schienennetz modernisieren, auch mit Telematik, nicht abrasieren. Zweites Beispiel ÖPNV: Vor allem in den Städten brauchen wir mehr Ampelvorrangschaltungen, Pförtnerampeln, Busschleusen usw., um dem ÖV Vorfahrt vor dem Pkw-Verkehr zu verschaffen. Im ländlichen Raum sind aus Effizienzgründen bedarfsgesteuerte Systeme wie Rufbusse und Anrufsammeltaxen sinnvoll. Die momentane Förderung dieser Instrumente reicht bei weitem nicht aus. Wir brauchen Telematik aber auch für eine verbesserte und zeitgemäße Fahrgastinformation. Günstige Angebote des öffentlichen Verkehrs sind oft kaum bekannt, bleiben Insellösungen ohne Auswirkungen auf die Gesamtakzeptanz. Warum? Weil selbst Auskunftsprogramme wie das „Hafas" der Deutschen Bahn AG sich nur auf einen Verkehrsträger, in diesem Falle die Schiene, beziehen. Sie versagen, wenn es irgendwo mit dem Bus weiter in die Fläche geht - anders übrigens als beispielsweise in den Niederlanden, wo es eine landesweite Information für die Fahrt von Haustür zu Haustür gibt. Mobilitätszentralen mit umfassender Informationstechnik müssen Standard werden, sind aber bis heute auf wenige Städte und Landkreise beschränkt. Im Zweifel nimmt man dann doch lieber das Auto, denn auf der Straße gibt es die bundesweite Mobilitätsgarantie. Telematik ist auch unentbehrlich für moderne Tarifsysteme im öffentlichen Verkehr. Für eine einzige Reise braucht man heute oft immer noch mehrere Fahrkarten. Wer sich da nicht auskennt, kapituliert schon im vorhinein. Warum gibt es nicht längst bundesweit einfache Paycard-Systeme, die ebenso leicht zu handhaben sind wie eine Telefon- oder Bankkarte? Dringendstes Entwicklungsprojekt der Bundesregierung müßte jedoch längst die Telematik im Güterverkehr sein: Nicht nur für die Optimierung von Logistikketten, sondern vor allem für die elektronische, satellitengestützte, verursachergerechte Erhebung einer leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe. Damit könnten Sie endlich die externen Kosten des Lkw-Verkehrs präzise, leistungsbezogen und territorialbezogen anlasten. Damit könnten Sie sich besser profilieren als mit Ihren antiquierten Mautplänen für Brücken und Tunnels oder der museumsreifen Transrapidtechnik. Während Sie immer noch uns als Technikfeinde anschwärzen, hinken Sie selbst in diesem zentralen Bereich den technischen Potentialen hinterher, weil Sie Ihre politischen Tabus nicht aufgeben wollen. Die Ablehnung der Telematikanträge von SPD und Bündnisgrünen durch die Regierungskoalition ist daher nur ein weiteres Beispiel antiquierter, automobilfixierter Politik. Zeit für einen Wechsel! Horst Friedrich (F.D.P.): Auch wenn der Verkehrsausschuß die der heutigen Debatte zugrundeliegenden Anträge aus gutem Grund abgelehnt hat, so besteht doch weitgehend Einigkeit darüber, daß die Anwendung von Telematik im Verkehr ein Schlüssel zur Lösung von Verkehrsproblemen sein kann. An der volkswirtschaftlichen Notwendigkeit des Verkehrs besteht kein Zweifel. Eine moderne, arbeitsteilige Gesellschaft ist auf die Mobilität und Flexibilität von Personen und Waren angewiesen. Der Verkehr ist somit eine der Grundlagen unseres Wohlstands, seine immense Zunahme in den letzten Jahren macht ihn aber zusehends zu einem Problem. Sämtliche Prognosen gehen von weiteren erheblichen Zuwächsen aus. Der Mobilität sind also sozusagen immanent gewisse Grenzen gesetzt. Aufgabe der Verkehrspolitik muß es daher sein, das prognosti- zierte Wachstum des Verkehrsaufkommens zeitlich, räumlich und verkehrsträgerbezogen so zu verteilen, daß die Mobilität des Einzelnen und der Warenaustausch erhalten bleiben. Die willkürliche Einschränkung oder Verteuerung bestimmter Verkehrsarten mittels administrativer Maßnahmen ist dabei allerdings der falsche Weg. Mobilität darf ihre Funktion als Schmiermittel unserer Volkswirtschaft keinesfalls verlieren. Auch wenn es problematisch ist, von der Telematik zu sprechen, bieten sich schon heute in zahlreichen Bereichen Anwendungsmöglichkeiten und Konzepte, die zu einer effizienten Verkehrsorganisation führen können. Angefangen von satellitengetützten Staumeldungssystemen, die sekundenschnell Ausweichrouten ermitteln über ebenfalls über GPS laufende Diebstahlsicherungssysteme bis hin zu Verkehrsbeeinflussungsanlagen, die - wie beispielsweise in Hessen - zu einer deutlichen Senkung der Unfälle und zu reibungsärmerem Verkehrsfluß geführt haben. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Fachleute gehen von weiteren technischen Verbesserungen aus. Die Verknüpfung von einzelnen Verkehrsträgern, die Bahnticketbuchung aus dem Stau heraus, europaweites Flottenmanagement von Speditionen, Zugüberwachungen per Satellit - vieles ist schon heute keine Zukunftsmusik mehr. Allerdings sind noch erhebliche Anstrengungen notwendig, um zu einem integrierten Verkehrstelematiksystem zu gelangen. Integration ist nicht nur im Bereich der unmittelbaren Anwendung, sondern auch innerhalb Europas nötig. Der gemeinsame europäische Markt und die Öffnung nach Mittel- und Osteuropa erzeugen ein rasch wachsendes Verkehrsaufkommen, das ebenfalls durch die Anwendung telematischer Instrumente positiv beeinflußt werden kann. Mittlerweile hat die Europäische Kommission die Dringlichkeit eines integrierten Vorgehens erkannt und zahlreiche Maßnahmen - darunter die Erteilung von Normungsaufträgen - eingeleitet. Im Bereich der Forschung stehen durch das 4. Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung in den kommenden Jahren insgesamt rund 800 Millionen DM zur Verfügung. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion erwartet aber dennoch, daß die Bundesregierung auf der europäischen Ebene auch weiterhin auf konkrete Schritte zur politischen Umsetzung weiterführender Maßnahmen - insbesondere gemeinsamer europäischer Standards - drängt. Denn nicht nur der nationale und europäische Verkehr ist auf die Einführung einheitlicher Telematikanwendungen angewiesen. Bei einem Marktvolumen von geschätzten rund 200 Milliarden DM im Jahr 2010 werden sich die europäischen Unternehmen einem wachsenden internationalen Wettbewerb gegenübersehen. Ohne geeignete Rahmenbedingungen in der EU haben Japan und die USA den zur Zeit noch vorhandenen technischen Vorsprung Europas und insbesondere Deutschlands rasch eingeholt. Dies wäre um so bedauerlicher, weil dieser Bereich zu den wenigen gehört, in denen die heimische Spitzentechnologie noch führend ist. Aber eines muß deutlich werden: Durch technische Ansätze alleine werden die Verkehrsprobleme nicht zu lösen sein. Intelligentes Verkehrsmanagement muß in eine marktwirtschaftlich ortientierte Verkehrspolitik, die die Raumordnung und Flächennutzung, die Ordnungspolitik und einen sachgerechten Investitionseinsatz umfaßt, eingebettet werden. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion erteilt daher allen Bestrebungen, die Telematik nur als Verkehrsverhinderungsinstrument einzusetzen, eine Absage. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): „Computer und Handy übernehmen Navigation im Auto" - so oder so ähnlich sind Berichte über die jüngste Cebit in Hannover überschrieben. Die schöne neue Welt der Computertechnologie als Rettung vor dem Verkehrsinfarkt? Die Automobilindustrie hat zusammen mit den Telekommunikationsunternehmen einen neuen gewinnträchtigen Markt entdeckt. So sollen demnächst entlang von Autobahnen etwa alle drei Kilometer Sensoren aufgestellt werden, die melden, ob der Verkehr steht oder fließt. Im Falle eines Staus wird dann vom Computer die beste Ausweichroute errechnet und an den Fahrer gemeldet. Zukünftig soll der Fahrer bei Stau sogar auf die Bahn umgeleitet werden. Der Computer sagt dem Fahrer, auf welchen Park- and-Ride-Parkplatz er fahren könnte und bucht auf Wunsch Parkplatz und Fahrkarte für den Zug. So süß diese Zukunftsmusik auch in den Ohren aller Technikfans klingen mag: Wir dürfen vor lauter Begeisterung über das Mittel die Ziele nicht aus den Augen verlieren. In diesem Sinne treffen die Anträge von SPD und Grünen genau ins Schwarze. Telematik kann kein Ersatz für eine längst überfällige Verkehrswende sein. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, öffentliche Mittel für ein Krisenmanagement auf der Straße bereitzustellen. Die Kosten für Entwicklung und Einführung von Systemen, die den Autoverkehr steuern und erleichtern, müssen vollständig von der Industrie und den späteren Nutzern gezahlt werden. Die Telematik hat aber weitere Anwendungsbereiche, die sehr wohl eine Förderung verdienen. Und diese Anwendungsbereiche liegen zum Beispiel da, wo es gilt, dem öffentlichen Verkehr einen Systemvorteil zu verschaffen, Verkehrsträger besser miteinander zu verknüpfen, das Transportwesen zu optimieren, um Leerfahrten zu vermeiden und zum Beispiel den Begegnungsverkehr bei Schiffen zu steuern; oder um die Kapazität des Bahnnetzes zu erweitern. Zu dem zuletzt genannten Zweck wurde zum Beispiel das Projekt CIR-ELKE, Computer Integrated Railroading zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit im Kernnetz entwickelt. Dabei soll im Sicherungssystem für die Zugfolge das starre Blockstellensystem durch eine flexible linienförmige Zugbeeinflussung ersetzt werden. Damit kann eine rationellere und effektivere Disposition sowie eine optimale Steuerung und Regelung des Betriebsablaufs erreicht werden. Bezogen auf das Kernnetz der Bahn, das 4 500 km ausmacht, würde sich durch den Einsatz von mehr Zügen eine Leistungssteigerung um 20 Prozent erge- ben. Die im Antrag der Grünen genannten 40 Prozent sind so leider nicht korrekt, denn der zitierte Ansatz der Bahn zur Steigerung des Leistungsvermögens im Kernnetz setzt sich zwar 40 Prozent zum Ziel, diese 40 Prozent setzen sich aber aus 20 Prozent Leistungssteigerung durch den Einsatz von mehr Zügen und 20 Prozent Leistungssteigerung durch bessere Auslastung der Züge im Personen- und Güterverkehr zusammen. Aber auch die 20 Prozent sind ja auch unter finanzpolitischen Gesichtspunkten keineswegs zu verachten, denn im Vergleich zur weitaus teureren Kapazitätserweiterung durch Ausbaustrecken ist CIR-ELKE für rund 6 Milliarden DM einschließlich Fahrzeugumrüstung zu haben. Im Vergleich dazu: Das heftig umstrittene Projekt 8 - die ICE-Verbindung Nürnberg-Erfurt-Leipzig/Halle-Berlin - kostet bei einer Länge von 514 km insgesamt mehr als 15 Milliarden DM. Von Argumenten wie Flächen- und Naturverbrauch ist ganz zu schweigen. Darüber hinaus kann ein flexibles Betriebssystem dadurch zur Einsparung von Betriebsenergie beitragen, daß Züge nicht mehr stark abbremsen oder gar anhalten müssen. Ein einziger Halt eines schweren Güterzuges benötigt zum Beispiel das Enegieäquivalent von 50 Litern Benzin. Ein klares Ja also zum Einsatz von Telematik im öffentlichen Verkehr sowie im Güterverkehr, ein genauso klares Nein jedoch zur Telematik als Krisenbewältigungsinstrument im Straßenverkehr. Johannes Nitsch, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr: Telematik ist keine Zukunftsvision, sondern ist in allen Verkehrsbereichen bereits im Einsatz und hat dabei ihren praktischen Nutzen für eine effiziente, sichere und umweltverträgliche Verkehrsbewältigung schon eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dies gilt insbesondere für den öffentlichen Verkehr, der ein Vorreiter bei der Einführung intelligenter Verkehrstechnologien war und ist. In fast allen größeren Städten Deutschlands regeln heute rechnergesteuerte Systeme die Betriebsabläufe im öffentlichen Verkehr und tragen durch bessere Anschlußsicherung, Erhöhung der Fahrgeschwindigkeiten und mehr Pünktlichkeit zu einer deutlichen Attraktivitätssteigerung des ÖPNV bei. Auch bargeldloses Zahlen per elektronischer Geldbörse, für das wir uns nachhaltig einsetzen, wird so manchem Autofahrer den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel erheblich erleichtern und somit Innenstädte und Ballungsräume vom Individualverkehr entlasten. Im Schienenverkehr wird der Einsatz moderner Leittechnik systematisch ausgebaut, für erste Anwendungen auch bereits mit satellitengestützter Navigation und Kommunikation. Auf der Strecke KölnFrankfurt werden zum Beispiel gar keine Signale mehr aufgestellt. Im vergangenen Jahr haben wir das Programm zur Ausrüstung von Bundesfernstraßen mit Verkehrsbeeinflussungsanlagen fortgeschrieben und für die nächsten 5 Jahre weitere 600 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Anfang des nächsten Jahrzehnts soll etwa ein Drittel des Autobahnnetzes mit diesen Anlagen ausgestattet sein. Wir werden damit Staus, Unfälle und Umweltbelastungen weiter deutlich reduzieren und nicht zuletzt unserer Volkswirtschaft erhebliche Kosten ersparen. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, daß der automatisierte Verkehrswarnfunk mittels RDS/TMC eingeführt wird. Länder, ARD-Rundfunkanstalten und Industrie haben sich darauf verständigt, noch in diesem Jahr mit der großflächigen Ausstrahlung von automatisch generierten Verkehrswarnmeldungen auf der Basis hochaktueller Verkehrsdaten - kurz RDS/ TMC (Radio Data System/Traffic Message Channel) - zu beginnen. Damit lassen sich die Autofahrer noch schneller und gezielter über Staus und aktuelle Gefahren informieren. Natürlich wollen wir Telematik auch nutzen, um ineffizienten Verkehr zu vermeiden. So wird beispielsweise in den Städten durch rechnergesteuerte Parkleitsysteme eine beträchtliche Abnahme des Parksuchverkehrs erzielt, der ansonsten in Spitzenzeiten bis zu 40 Prozent des fließenden Verkehrs ausmacht. Ein ebenso erfreulicher Effekt: In Frankfurt am Main konnten die Staulängen vor den Einfahrten in Parkhäuser um bis zu 50 Prozent verringert werden. Auch autonome Zielführungssysteme finden eine zunehmende Verbreitung: Drei von vier PkwNeufahrzeugen der Oberklasse werden heute schon mit dieser Technik verkauft. Irrfahrten in unbekannten Städten, die nur unnötig Zeit und Kraftstoff kosten, sind damit passé. Immer mehr Transportunternehmen setzen rechnergestützte Logistik- und Flottenmanagementsysteme ein. Damit läßt sich nicht nur der mit 30 Prozent noch viel zu hohe Anteil der Leerfahrten im gewerblichen Güterverkehr minimieren, sondern auch die Verkehrsbewegungen im Güterverkehr insgesamt werden reduziert. Wir werden den Möglichkeiten, die die Telematik bietet, jedoch bei weitem nicht gerecht, wenn wir sie - wie die Grünen dies fordern - auf eine Technik zur Verkehrsvermeidung reduzieren! Deshalb unterstützen wir Industrie und Dienstleistungsunternehmen in ihren Aktivitäten, Verkehrstelematiksysteme und -dienste, die auf den individuellen Nutzen des Verkehrskunden abzielen, auf dem Markt anzubieten. Die gerade zu Ende gegangene Cebit in Hannover hat gezeigt, daß Dienste zur aktuellen, auf Echtzeit-Daten beruhenden Verkehrsinformation und zur dynamischen Zielführung dieses Jahr nutzbar sein werden. Die notwendigen Rahmenbedingungen für diese neuen Dienste, wie zum Beispiel den Zugang Privater zu Verkehrsdaten der öffentlichen Hand, für den Wettbewerb in diesem neuen Technologiebereich und für die Planungssicherheit von Produzenten und Dienstleistern haben wir unter dem Dach des vom Bundesverkehrsminister geleiteten Wirtschaftsforums Verkehrstelematik geschaffen. Vor allem ist die Anwendung telematischer Systeme der Schlüssel für eine intelligente Verknüpfung aller Verkehrsträger zu einem ebenso leistungs- fähigen wie umweltschonenden Mobilitätsverbund. Dies gilt auch und gerade für die Vernetzung des ÖPNV mit anderen Verkehrsträgern, insbesondere dem motorisierten Individualverkehr. Pilotprojekte für ein kooperatives Verkehrsmanagement wie storm in Stuttgart und Munich Comfort in München zeigen die Chancen und Möglichkeiten auf, mittels verkehrsträgerübergreifender Telematikdienste die Verkehrsprobleme in den Städten und Ballungsgebieten besser in den Griff zu bekommen. Der Individualverkehr ist in ein solches Verkehrsmanagement selbstverständlich integriert. Ihn außen vor zu lassen, hieße die Vorteile von Telematik leichtfertig zu verspielen! Ich kann dem SPD-Oberbürgermeister von München, Herrn Uhde, nur ausdrücklich beipflichten, der zur Weiterführung des Verkehrsmanagements in München am 3. März erklärt hat: Nicht die Verteufelung oder Verklärung eines Verkehrsmittels bringt uns weiter, sondern eine intelligente Steuerung des Verkehrs. Und ich füge hinzu: Wirklich weiter bringt uns Telematik nur, wenn wir sie dazu nutzen, das Verkehrssystem als Ganzes zu optimieren. Die Bundesregierung hat hierzu gemeinsam mit der Industrie bereits entscheidende Weichen gestellt. Ich bitte Sie deshalb, die vorliegenden Anträge abzulehnen. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 11 (Große Anfrage: Vermögenszuordnung von Vermögenswerten an ostdeutsche kommunale Gebietskörperschaften nach dem Vermögenszuordnungsgesetz) Manfred Kolbe (CDU/CSU): Die DDR war im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland ein Zentralstaat, ohne Untergliederung in Bund, Länder und Gemeinden. Das staatliche Grundvermögen der DDR wurde als „Eigentum des Volkes" bezeichnet, es ist zum Teil aus dem Vermögen der Gebietskörperschaften - Reich, Länder, Kommunen - sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts, zum Teil aus dem Eigentum Privater durch Kauf, Erbschaft und in wesentlichen Teilen auch durch Enteignung entstanden. Es wurde einerseits für öffentliche Aufgaben der zentralen und örtlichen Staatsorgane genutzt, andererseits auch von den volkseigenen Betrieben und im landwirtschaftlichen Bereich von den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Die Wirtschafts- und Währungsunion am 1. Juli 1990 sowie der Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 erforderten grundlegende Veränderungen in der Ordnung des sogenannten volkseigenen Vermögens der ehemaligen DDR. Zum einen mußte den wiederentstandenen Ländern sowie den jetzt auch rechtlich selbständigen Gemeinden eine Vermögensausstattung gesichert werden, die sie in die Lage versetzte, ihre Verwaltungsaufgaben zu erfüllen. Zum anderen war die volkseigene Wirtschaft der DDR zu privatisieren. Die Rechtsgrundlagen hierfür wurden im wesentlichen in den Art. 21, 22 und 25 des Einigungsvertrages, im Vermögenszuordnungsgesetz, im Vermögenszuordnungsergänzungsgesetz und im Treuhandgesetz geschaffen. Art. 21 des Einigungsvertrages regelt die Aufteilung des ehemaligen volkseigenen Vermögens, das am 30. Oktober 1990 unmittelbar der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben diente, also des Verwaltungsvermögens. Hiernach steht das Eigentum am Verwaltungsvermögen dem jeweiligen Träger der Verwaltungsaufgabe nach Maßgabe der Aufgabenabgrenzung des Grundgesetzes kraft Gesetzes zu, wobei die überwiegende Nutzung des Vermögensgegenstandes am 1. Oktober 1989 maßgeblich ist. Unentgeltlich auf den Zentralstaat DDR überführtes Altvermögen der Körperschaften des öffentlichen Rechts ist den Körperschaften, die heute deren Aufgabe wahrnehmen, durch Zuordnung zurückzugewähren. Nach Art. 22 des Einigungsvertrages geht das ehemals volkseigene Vermögen, das nicht unmittelbar der Erfüllung von Verwaltungszwecken am 3. Oktober 1990 diente, also das Finanzvermögen, treuhänderisch auf den Bund über soweit es nicht den Gemeinden, Städten und Landkreisen oder der Treuhandanstalt zusteht. Die Erlöse aus der Verwertung dieses Vermögens sind nach dem Einigungsvertrag durch Bundesgesetz je zur Hälfte auf den Bund und die Länder aufzuteilen. Ein solches Gesetz steht noch aus. Das zur Wohnungsversorgung genutzte volkseigene Vermögen ist mit dem Beitritt in das Eigentum der Kommunen übergegangen. Da der Rechtsübergang nach dem Einigungsvertrag alleine nicht grundbuchmäßig festgestellt werden konnte, wurde ein Verwaltungsverfahren geschaffen, in dem die Zuordnungsbehörde nach Anhörung aller in Betracht kommender Beteiligter durch Verwaltungsakt feststellt, wem das Eigentum kraft Gesetzes zusteht oder wem es zurückübertragen wird. Dieses Verwaltungsverfahren ist im Vermögenszuordnungsgesetz vom 22. März 1991 geregelt. Das Vermögenszuordnungsverfahren wird in bundeseigener Verwaltung durchgeführt. Zuordnungsbehörden sind Präsidenten der jeweiligen Oberfinanzdirektionen bzw. der Präsident der Treuhandanstalt, jetzt BvS. An die Entscheidung der Zuordnungsbehörde sind die Grundbuchämter gebunden. Im Vordergrund der Zuordnungspraxis steht die Zuordnung von Immobiliarrechten, das heißt die Vermögenszuordnung von ehemals volkseigenen Grundstücken. Bis heute sind bei den sechs Oberfinanzdirektionen in den östlichen Bundesländern insgesamt 608 505 Zuordnungsanträge gestellt worden, die die Zuordnung von insgesamt 1 775 718 Flurstükken begehrten. Davon wurden bis zum 30. November 1996 Anträge auf Zuordnung von 1 092 721 Flurstükken abschließend bearbeitet. Mithin sind bis zum 30. November 1996 61,5 Prozent aller bei den Oberfinanzpräsidenten von Kommunen eingereichten An- träge auf Zuordnung von Flurstücken bereits abschließend bearbeitet und somit erledigt worden. Trotz dieser beachtlichen Leistung reicht das Vermögenszuordnungsgesetz in der jetzt geltenden Fassung nicht aus, um alle praktischen Probleme der Zuordnung zu bewältigen. Das Land Berlin hat deshalb über den Bundesrat einen Gesetzesantrag eingebracht, mit dem Ziel, bestehende Lücken und Widersprüchlichkeiten im Vermögenszuordnungsgesetz zu beseitigen. Diesen Gesetzesantrag möchte ich hiermit namens der Bundestagsabgeordneten aus den östlichen Bundesländern grundsätzlich unterstützen. Insbesondere in drei Fällen besteht Handlungsbedarf: erstens bei der Zuordnung kontaminierter Grundstücke. Mit der Zuordnung kontaminierter Grundstücke werden Vermögenswerte übertragen, deren Belastungen weit über dem Wert des Grundstückes liegen. Das Zuordnungsrecht, das eigentlich die Vermögensausstattung der Verwaltungsträger sichern soll, kann hier zur existentiellen Bedrohung insbesondere kleinerer Gemeinden werden. Beispiel: Die sächsische Gemeinde Lauenhain hat 1990 608 Einwohner gehabt. Sie war 1945 Eigentümer einiger außerhalb des Ortskerns gelegener Grundstücke, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Sowjetischen Aktiengesellschaft Wismut in Beschlag genommen und für die Auswaschung von Uranerz genutzt wurden. Dabei wurden die Flächen im Laufe der Jahrzehnte stark arsenverseucht und radioaktiv belastet. Diese Flächen sind auch zuordnungsfähig, da die Bundesrepublik Deutschland nach dem Wismut-Gesetz nur die in Rechtsträgerschaft der Wismut befindlichen, nicht aber die in Beschlag genommenen Grundstücke übernommen hat. Heute stellt sich immer noch die Frage, ob der kleinen Gemeinde Lauenhain ihr Alteigentum, auf das sie seit Kriegsende keinen Zugriff mehr hatte und das von der SAG Wismut im Auftrag der sowjetischen Besatzungsmacht verseucht wurde, zugeordnet werden kann. Der geschätzte Sanierungsaufwand beträgt 55 Millionen DM. Die Gemeinde mit ihren 608 Einwohnern kann diese Kosten nicht aufbringen. Zweitens bei der Restitution früherer Unternehmensbeteiligungen. Die früheren Länder und Gemeinden im Osten Deutschlands hatten vor 1945 - wie die Länder und Gemeinden im Westen - Unternehmensbeteiligungen. Ein Beispiel hierfür sind die Beteiligungen der früheren Länder Thüringen und Sachsen an der Saale-Talsperren AG. Diese Unternehmen wurden während der sowjetischen Besatzungszeit enteignet, und deren Vermögen wurde in das sogenannte Volkseigentum überführt. Diese Unternehmen wurden in der DDR mehrfach umorganisiert und schließlich durch die Treuhandanstalt zur VEAG, die im Eigentum der westdeutschen Stromkonzerne steht, verschmolzen. Der Bund lehnt bisher eine Verpflichtung zur Übertragung von Anteilen aus Beteiligungen der früheren Länder an den zu privatisierenden Unternehmen aus dem Einigungsvertrag grundsätzlich ab, da es keinen Anspruch der östlichen Länder auf eine Finanzausstattung entsprechend ihren früheren Beteiligungen gebe. Hier liegt eine sachwidrige Ungleichbehandlung im Vergleich zu den westlichen Ländern, die die in der NS-Zeit sogenannten „verreichtlichten" Beteiligungen an Unternehmen zurückerhalten haben. Drittens bei zuordnungswidrigen Verfügungen. Bei den Privatisierungen der ehemals volkseigenen Wirtschaft der DDR durch die Treuhandanstalt im Wege des Anteilsverkaufs, der sogenannten Share-deals, ist es mitunter zu zuordnungswidrigen Verfügungen der Treuhandanstalt über Vermögenswerte gekommen, die eigentlich den Gebietskörperschaften im Osten als Verwaltungsvermögen gemäß Art. 21 des Einigungsvertrages hätten zugeordnet werden müssen. Beispiele sind Kindergärten, Schulen und andere Einrichtungen, die zu DDR-Zeiten in betrieblicher Trägerschaft waren, in der Bundesrepublik aber den Kommunen zur Erfüllung ihrer Verwaltungsaufgaben hätten zugeordnet werden müssen. Außerdem sind in Berlin beispielsweise Teile öffentlich genutzter Gleisanlagen privatisiert worden, die zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Nahverkehrs unabkömmlich sind und heute vom Land Berlin zurückerworben werden müssen. Der kurioseste Fall hat sich wohl im Freistaat Sachsen ereignet, wo sogar ein Gefängnis von der Treuhandanstalt privatisiert wurde und später vom Freistaat Sachsen nur nach jahrelangen Verhandlungen wieder zurückgewonnen werden konnte. Hier muß eine generelle Lösung gefunden werden. Als Fazit bleibt festzuhalten: Bei der Vermögenszuordnung ist Beachtliches geleistet worden; aber die Lücken und Widersprüchlichkeiten im derzeitigen Gesetz sollten beseitigt werden. Hans-Joachim Hacker (SPD): Wenn wir heute über die Zuordnung von Vermögenswerten der Kommunen in den neuen Ländern diskutieren, ist es sicherlich angebracht, auf die Ursachen für den Verlust des Kommunalvermögens hinzuweisen. Die Kommunen in den neuen Ländern hatten während der DDR-Zeit durch die Überführung von Kommunalvermögen in Volkseigentum die originären Eigentumsrechte verloren und besaßen lediglich die Befugnisse eines Rechtsträgers von Volkseigentum. Die kommunale Selbstverwaltung wurde abgeschafft und durch ein zentralistisches System ersetzt. Erst mit dem Gesetz der Volkskammer vom 16. Mai 1990, über das wir heute bei einem anderen Tagesordnungspunkt bereits diskutiert haben, ist in der DDR die kommunale Selbstverwaltung wieder eingeführt worden. Der Einigungsvertrag hat in den Art. 21 und 22 die ergänzenden Regelungen für das Verwaltungs- und Finanzvermögen der Kommunen in den neuen Ländern getroffen. Es war Aufgabe des Bundesgesetzgebers der letzten Legislaturperiode, mehrere Novellierungen zur Umsetzung der in den Art. 21 und 22 beabsichtigten Zuordnungsvorgänge vorzunehmen. Ich halte die von der PDS aufgeworfenen Fragen weitestgehend für berechtigt, da mit ihnen aktuelle Fragen der kommunalen Gebietskörperschaften angesprochen werden und wir heute die Gelegenheit haben, Bilanz zu ziehen, inwieweit die Zielstellung des Einigungsvertrages zur Begründung von Verwal- tungsvermögen und Überführung des Finanzvermögens an die Kommunen umgesetzt worden sind. Es kann und soll an dieser Stelle nicht auf alle Fragen eingegangen werden, die von der Gruppe der PDS in der Großen Anfrage aufgeworfen wurden, zumal die Bundesregierung auch nicht alle Fragen erschöpfend beantwortet hat. Ich will mich deswegen in meinem Redebeitrag auf einige wenige Fallbeispiele beziehen, die beweisen, daß es hier weiterhin Handlungsbedarf gibt und die Bundesregierung aufgefordert bleibt, die sich aus dem Einigungsvertrag ergebenden Verpflichtungen gegenüber den Kommunen einzulösen. Zu dem Fragenkomplex Finanzvermögen der Kommunen in den neuen Ländern wirft die PDS die Frage nach der Zuordnung von Bodenreformland auf die Kommunen auf. Die Große Anfrage verweist auf den sogenannten Musterprozeß Hoppegarten, der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt wurde und in dessen Ergebnis den betroffenen Kommunen Ansprüche versagt worden sind. Vor dem Hintergrund der in den zurückliegenden Monaten geführten Diskussionen um die Enteignungen zwischen 1945 und 1949 und die Zuordnung dieses Vermögens nach der Wiedervereinigung stelle ich die Frage, wie es die Bundesregierung vertreten will, daß aus dem verstaatlichten Privatvermögen von Bürgern lediglich der Bund als Verfügungsberechtigter fungieren soll. Ich frage die Bundesregierung, ob es nicht vielmehr naheliegt, daß in den Fällen, in denen Kommunen die Rechtsträgerschaft erworben hatten, diese Gebietskörperschaften auch als Eigentümer eingesetzt werden müssen. Bei dieser Gelegenheit stellt sich auch erneut die Frage, wann die Bundesregierung gedenkt, die Frage des Preußenvermögens in den neuen Ländern einer abschließenden Regelung zuzuführen. Der Deutsche Bundestag hat sich mit dem Problem des Preußenvermögens bereits in der 12. Legislaturperiode beschäftigt. Eine einvernehmliche Regelung ist leider nicht zustande gekommen. Dennoch bleibt es Aufgabe der Bundesregierung, auch diese Frage einer Lösung zuzuführen. Meiner Meinung nach kann die Lösung nur in der Weise erfolgen, wie die Zuordnungsfrage im Altbundesgebiet gelöst wurde. Das heißt, den Ländern muß die Zuständigkeit für die Vermögensverfügung eingeräumt werden. In der Frage 28 wird das Problem der unzulässigen Veräußerung von Kommunalvermögen in Verbindung mit der Privatisierung von Treuhandunternehmen durch die Treuhandanstalt bzw. deren Rechtsnachfolgerin, die BvS, aufgeworfen. Ich halte diese Fragestellung vor dem Hintergrund mehrerer Anfragen aus Thüringen, aber auch aus MecklenburgVorpommern, die an meine Fraktion gerichtet worden sind, für berechtigt. Allerdings muß ich auch hier feststellen, daß eine befriedigende Regelung bzw. eine auf den Sachverhalt eingehende Verwaltungspraxis bisher nicht gefunden wurde. Das heißt, nach wie vor fordern Kommunen in den neuen Ländern die Einsetzung in den vorherigen Stand bzw. mindestens eine Erlösauskehr für die durch die Treuhandanstalt bzw. die BvS veräußerten kommunalen Liegenschaften, sofern eine Rückabwicklung nicht mehr möglich ist. Diese notwendige Regelung darf nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden. Die Kommunen haben 1997 ein Recht darauf, in die Rechtsposition eingesetzt zu werden, die durch den Einigungsvertrag des Jahres 1990 begründet worden ist. In den Bereich der Kommunalvermögenszuordnung fallen auch Probleme der Veräußerung von Grundstücken an Bürger der DDR im Jahre 1990, die nach wie vor in der Schwebe hängen und nach meiner Auffassung auch durch das heute vom Bundestag verabschiedete Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz nicht einer Lösung zugeführt werden. Ich kann davon ausgehen, daß die Streitfälle aus der Gemeinde Rerik in Mecklenburg-Vorpommern der Bundesregierung bekannt sind. Der Oberfinanzdirektion Rostock liegen mehrere unterschiedliche Fallgruppen zur Entscheidung vor, die daraus resultieren, daß 1990 auf der Grundlage des Verkaufsgesetzes vom 7. März 1990 die Gemeinde Rerik nach entsprechenden Ratsbeschlüssen durch bevollmächtigte Vertreter der Gemeinde Grundstücke an Bürger veräußert hat. Es handelt sich hierbei sowohl um Grundstücke, die zu Wohnzwecken genutzt wurden, als auch um Grundstücke, die Erholungszwecken dienten. Die Diskussion um die Rechtmäßigkeit dieser Kaufverträge wirft die Frage auf, ob der Staat Bundesrepublik Deutschland die Käufer dieser Grundstücke aus ihren Rechten drängen will. Die Frage der Anerkennung von Kaufverträgen des Jahres 1990, die nach dem damals geltenden Recht geschlossen worden sind, kann nicht allein unter dem Aspekt einer späteren Vermögensverteilung zwischen dem Bund, den neuen Ländern bzw. den Kommunen entschieden werden. Ich meine, daß hier auch das Prinzip des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen ist. Das heißt, daß das Vertrauen der redlichen Erwerber in das rechtmäßige Handeln der neu gewählten kommunalen Vertretungskörperschaften nicht außer Betracht bleiben darf. Ich fordere die Bundesregierung auf, eine Regelung zu finden, die den Bestandsschutz der Kaufverträge des Jahres 1990 in der Gemeinde Rerik in Mecklenburg-Vorpommern garantiert. Zum Schluß möchte ich noch auf eine weitere Frage der Zuordnung aus Vermögen von Unternehmen zu sprechen kommen. In der Großen Anfrage wird erneut das Problem der rechtlichen Bewertung von finanziellen und materiellen Leistungen von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Rahmen von Kommunalverträgen aufgeworfen. In Verbindung mit diesen Kommunalverträgen, insbesondere dann, wenn erhebliche Investitionen getätigt worden sind, wie zum Beispiel bei der Errichtung von Kindergärten oder Kinderkrippen, sind die ehemaligen LPG nicht selten auch Kreditverpflichtungen eingegangen. Eine zufriedenstellende Regelung der Ablösung dieser Kreditverpflichtungen gibt es bis heute nicht. Ich meine, daß eine Regelung in diesem Bereich auch nicht mehr zu erwarten ist. Die Verhandlungen zu den Altkrediten im Bereich der Wohnungsbestände sowie der sogenannten Gesellschaftsbauten und der Stand der Diskussion um die Altkredite im Bereich der landwirtschaftlichen Unternehmungen lassen wenig Handlungsspielraum erkennen. Ich muß an dieser Stelle kritisieren, daß die Bundesregierung im Zuge der deutschen Einheit eine vernünftige Lösung der Altschuldenfrage nicht getroffen hat. Das Problem der Altschulden im Bereich des Wohnungsbaus sowie bei den sogenannten Gesellschaftsbauten im Bereich der volkseigenen Betriebe und der landwirtschaftlichen Genossenschaften war damals bekannt. Die Bundesregierung hat unter dem Motto „Die deutsche Einheit ist aus der Portokasse zu finanzieren" diese Fragen bewußt ausgeklammert und vor sich hergeschoben. Die Folgen sind uns alle bekannt: ein Anwachsen der Rückzahlungsverpflichtungen aus den Altkrediten, über deren marktwirtschaftliche Bedeutung und Berechtigung man lange streiten kann. Mit der Verzögerung einer vernünftigen Regelung des Problems der Altkredite hat die Bundesregierung die neuen Länder, die Kommunen, die Nachfolgebetriebe von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und am Ende auch die Steuerzahler in Gesamtdeutschland erheblich finanziell belastet. Die finanziellen Belastungen aus dem weiteren Auflaufen von Altkreditverpflichtungen sind in zweistelliger Milliardenhöhe auszuweisen. Es muß hier gefragt werden, wer durch die Politik der Bundesregierung begünstigt wurde. Auch diese Frage läßt sich eindeutig beantworten: Es sind die Banken, denen die Kreditforderungen zugefallen, denen durch den Bund Freistellungen für Erlösausfälle eingeräumt worden sind und die gleichzeitig marktübliche, ja zum Teil marktunüblich hohe Zinsforderungen gegenüber den angeblichen Schuldnern geltend machen konnten. Auch dieses Kapitel gehört zum Fragenkomplex der Vermögenszuordnung an ostdeutsche kommunale Gebietskörperschaften nach dem Vermögenszuordnungsgesetz. Die Bundesregierung hat meines Erachtens vor dem Hintergrund ihres deutlichen Versagens bei der Wahrung der Rechte der Kommunen im Zuge des Einigungsprozesses und in der Zeit danach eine hohe politische und moralische Verantwortung, die noch offenen Fragen endlich einer Lösung zuzuführen. Das betrifft nicht nur die Fragen, die direkt von den Kommunen gestellt werden, sondern auch die Probleme, die ich am Beispiel der Gemeinde Rerik angesprochen habe, das heißt die Probleme, die Bürger direkt betreffen. Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Großen Anfrage greift die PDS ein Problem auf, das bekannt und für die kommunalen Gebietskörperschaften in den neuen Ländern von außerordentlicher Bedeutung ist. Anstatt über das ihnen nach dem Einigungsvertrag und dem Vermögenszuordnungsgesetz zustehende Vermögen verfügen zu können, mußten sie zusehen, wie die Treuhandanstalt kurzerhand Vermögenswerte von Städten und Gemeinden in den neuen Ländern in Millionenhöhe veräußert hat. Ohne Rücksicht auf die kommunalen Interessen und sozialen Infrastrukturen wurde munter privatisiert. Bereits im Juni letzten Jahres machte die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen mit einer Großen Anfrage auf dieses Problem aufmerksam. In dieser Anfrage ging es unter anderem auch um die häufige Praxis von Treuhandanstalt, THA, und Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, BvS, kommunale Vermögensansprüche großzügig zu übergehen und zu ignorieren. Die Bundesregierung räumte in ihrer damaligen Antwort ein, daß die „außerordentliche Privatisierungsdynamik der Treuhandanstalt" zum Teil dazu geführt habe, daß nicht alle kommunalen Ansprüche hätten erfüllt werden können. Nicht zuletzt deswegen hat unter anderem der Deutsche Städtetag immer wieder verbesserte Regelungen zur Vermögenszuordnung eingefordert. Auch der Bundesrat beschäftigt sich seit Herbst vergangenen Jahres auf Initiative der Länder Berlin und Sachsen mit dieser Fragestellung, jedoch bisher ohne Ergebnis. Es ist also bereits seit längerem bekannt, daß im Zuge der Unternehmensprivatisierungen in erheblichem Umfang Vermögenswerte von der THA/BvS privatisiert worden sind, die eigentlich auf die Kommunen hätten übertragen werden müssen. Möglich wurde dies durch ungenügende gesetzliche Regelungen bei der Vermögenszuordnung, durch eine die Ansprüche der Kommunen beschneidende Praxis von THA/BvS und schließlich durch weitere Einschränkungen der Verwaltungsgerichte. Aus der Antwort der Bundesregierung auf die erwähnte Große Anfrage unserer Fraktion geht eindeutig hervor, daß auch nach einem Vorstandsbeschluß der THA vom Dezember 1990 die entsprechenden Gegenstände des Verwaltungsvermögens nicht im Zuge von Privatisierungen hätten mitveräußert werden dürfen. Es handelte sich dabei zum Beispiel um Sportstätten oder um Kinderbetreuungseinrichtungen. Diese waren den Kommunen kostenlos zu übertragen. Es ist daher nur zu gut verständlich, daß die Kommunen nicht auf Ansprüche verzichten werden, die ihnen nach dem Einigungsvertrag zustehen. Es geht hier nicht darum, die Kommunen gegen den Bund auszuspielen, wie es die PDS, die diese Debatte herbeigeführt hat, gerne tut. Es ist aber die Aufgabe der Bundesregierung, nunmehr endlich dafür zu sorgen, daß die Kommunen hier zu ihrem Recht kommen. Die Bereitschaft hierzu hat die Bundesregierung durch die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Karwatzki gegenüber den Ländern geäußert. Wir werden sorgfältig darauf achten, daß diesen Ankündigungen auch die entsprechenden Taten folgen. Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Bevor ich mich inhaltlich mit der Antwort auf die Große Anfrage auseinandersetze, möchte ich eine prinzipielle Bemerkung voranstellen: Bei den Großen Anfragen handelt es sich in einer parlamentarischen Demokratie mit Si- cherheit um ein - insbesondere für die Opposition - wesentliches Element der Kontrolle der Bundesregierung. Allerdings kann man dieses Element auch überziehen. Neben der fast schon unüberschaubaren Anzahl von Kleinen Anfragen der PDS sind es gerade die Großen Anfragen, die gegenwärtig nur noch dem Ziel zu dienen scheinen, möglichst viele Regierungsbehörden lahmzulegen. Dabei wäre es von größter Notwendigkeit, daß die inhaltlich sehr schwierigen Sachverhalte, welche wir in den neuen Bundesländern aufzuklären versuchen, durch den effektiven Einsatz und der staatlichen konzentrierten Verwaltung soweit wie möglich geklärt werden. Viel hilfreicher war da das, was wir zuvor am heutigen Abend zum Wohnraummodernisierungssicherungsgesetz gehört haben. Durch solche Gesetze, bei denen es nicht immer einfach ist, die tatsächlichen Auswirkungen nachzuvollziehen, erreichen wir eine beschleunigte Wiederherstellung geordneter Eigentumsverhältnisse in den neuen Bundesländern, die wir auch im Interesse der Kommunen so dringend benötigen. Zum Inhalt der Antwort auf die Große Anfrage ist an erster Stelle festzuhalten, daß sich das Vermögenszuordnungsgesetz, auch durch die nach 1991 erfolgten Korrekturen, weitestgehend bewährt hat. Das Gesetz bietet viele Möglichkeiten - von denen wir einige nachträglich eingeführt haben -, eine Klärung der vermögensrechtlichen Zuordnungen in den neuen Bundesländern zu erreichen. Gerade die Möglichkeit, sich vorab zu einigen und unnötige Gerichtsverfahren zu vermeiden, hat in den letzten Jahren zu einer erheblichen Verschlankung und Beschleunigung der Verfahren beigetragen. Insbesondere hat das Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. März 1993 einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, daß vermeintliche Inhaber von Rechten oder Sachen davon Abstand genommen haben, Ansprüche zu stellen. Wesentlich waren dabei insbesondere die Restitutionsausschlüsse, die ebenfalls einer Beschleunigung dienen. Ich erachte es auch als eine große Leistung unserer Verwaltung, daß zwei Drittel aller bei den Oberfinanzpräsidenten von Kommunen beantragten Zuordnungsverfahren für Flurstücke abschließend bearbeitet worden sind. Wenn man bedenkt, in welcher Art und Weise im „sozialistischen Rechtsstaat" DDR mit Rechtsförmlichkeiten umgegangen worden ist, ist dieses eine enorme Leistung. Es ist auch eine Leistung, die dazu beiträgt, daß die Ausstattung der Gemeinden mit dem notwendigen Verwaltungsvermögen erfolgen kann. Nur so ist auf Dauer das grundgesetzlich garantierte Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden hinsichtlich der eigenen, aber auch hinsichtlich der übertragenen Aufgaben zu sichern. Abschließend noch eine Feststellung zur Frage der Zusammenführung von DDR-Recht und dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Es ist sicherlich eine der schwierigsten Aufgaben - ich habe das in vielen Debatten auch in unserer Fraktion erlebt -, DDR- Recht, das eben nicht das Recht eines Rechtsstaates ist, mit dem Recht zu vereinigen, welches der Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte entwickelt hat. Ein wesentliches Element ist dabei die Tatsache, daß in der DDR sehr häufig die normative Kraft des Faktischen Maßstab aller Dinge war. Dabei gibt es Reibungsverluste, mit denen wir auch in den nächsten Jahren noch werden leben müssen. Bei dem hier maßgeblichen Vermögenszuordnungsgesetz zeigt sich jedoch, daß man, wenn man pragmatische Grundsätze stets im Auge behält, gesetzliche Lösungen finden kann, die - gemessen an der Schwierigkeit der Aufgabe - sehr schnell zu vernünftigen Lösungen führen können. Schließlich geht es auch bei dieser so kompliziert klingenden Materie darum, die Probleme so zu lösen, daß unsere Mitbürger in den neuen Ländern sich darin wiederfinden können.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Waltraud Lehn


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man wäre ja fast geneigt, das Ganze nicht ernst zu nehmen, wenn es nicht so traurig wäre.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Was Sie sagen, ist sehr traurig!)

    Ich will Sie einmal etwas fragen: Was haben denn eine 35jährige alleinerziehende Sozialhilfeempfängerin mit drei Kindern und ein, sagen wir, 35jähriger F.D.P.-Mann, die beide 100 DM geschenkt bekommen, gemeinsam?

    (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Rechtsansprüche!)

    Ich will Ihnen einmal einen Hinweis geben: Diese 100 DM würden beide in Schuhe investieren. Die Sozialhilfeempfängerin kauft für ihre drei Kinder bei Deichmann jeweils ein Paar Turnschuhe. Der F.D.P.-Mann kauft sich 1,5 Puma-Aktien. Das ist die Gemeinsamkeit, die sie haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Worin unterscheiden sich dann die Sozialhilfeempfängerin und der F.D.P.-Mann? Der Kollege von der F.D.P. kann sich ohne jede Frage einen Finanzberater leisten. Er kann auch ein Buch erwerben, zum Beispiel ein Buch mit dem Titel „1 000 ganz legale Steuertricks".

    (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Können Sie sich keinen Berater leisten? Leisten Sie sich doch mal einen Berater, dann wird Ihre Rede besser!)

    Die Sozialhilfeempfängerin ist darauf angewiesen, daß ihr unentgeltlich Rat erteilt wird.

    (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist doch nicht wahr!)

    Damit ihr die geschenkten 100 DM nicht auf die Sozialhilfe angerechnet, also direkt von der Sozialhilfe abgezogen werden, muß sie sich die Schuhe schon als Sachleistung schenken lassen.

    (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Nicht schenken! Das ist ein Rechtsanspruch!)

    Hinsichtlich dieses Rechts auf Beratung sollte man die Hoffnung nie aufgeben, daß auch in Ihrem Kopf noch Platz ist, um die eine oder andere Information aufzunehmen. Im § 8 des BSHG heißt es nämlich:
    Zur persönlichen Hilfe gehört außer der Beratung in Fragen der Sozialhilfe auch die Beratung in sonstigen sozialen Angelegenheiten.
    Es ist traurig genug, daß die SPD-Fraktion die Beratungspflicht mancher - beileibe nicht aller - Sozialämter wahrnehmen muß, indem sie eine solche Broschüre zur Verfügung stellt. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Das weiß auch Herr Fink; in einer anderen Rolle hat er sehr darum geworben, daß entsprechend informiert wird.

    (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie beleidigen die Sozialhilfeempfänger und bringen die Kommunen in den Bankrott!)

    Heute wollen Sie davon scheinbar nichts mehr wissen.
    Unsere Broschüre bietet jedenfalls praktische Lebenshilfe für Benachteiligte in unserer Gesellschaft und nicht für diejenigen, die auf Kosten dieser Gesellschaft leben.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)


    Waltraud Lehn
    Viele Menschen tun sich nämlich im Umgang mit einer Behörde schwer. Viele von ihnen schämen sich auch, ihnen zustehende Hilfen zu beantragen. Nach Schätzung des DGB macht nur jeder zweite Sozialhilfeberechtigte alle ihm zustehenden Ansprüche geltend. Ist es nicht zynisch, wenn ausgerechnet die Partei des sozialen Kahlschlags jetzt dazu übergeht, auch durch die heutige Anfrage, aus den vielen Opfern ihrer verfehlten Politik Täter zu machen?

    (Beifall bei der SPD und der PDS Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie sind Täter!)

    Wer arbeitet denn seit Jahren in diesem Land daran, daß das soziale Netz immer lockerer geknüpft wird? Wer hat denn gemeinsam mit seinen Koalitionspartnern wiederholt Kürzungen - sogar heute noch - hier behandelt und beim Arbeitslosengeld und der Arbeitslosenhilfe durchgesetzt? Wer arbeitet denn gemeinsam mit den Koalitionspartnern seit Monaten daran, die Hilfen für Benachteiligte auf dem Arbeitsmarkt immer weiter zu kürzen und die Menschen in die Sozialhilfe hineinzudrängen? Wer hat denn mit allen Mitteln versucht - gerade Sie, Herr Lohmann, noch heute -, unsere soziale Krankenversicherung auf Kosten der Allgemeinheit aus den Angeln zu heben, um die Klientel der F.D.P., nämlich die Pharmaindustrie und die Ärzteschaft, weiter zu bereichern? Wer versucht denn mit allen Mitteln, Steuergeschenke für Einkommensmillionäre durchzusetzen?
    Ist es nicht heuchlerisch, wenn ausgerechnet diese Partei sich hier hinstellt und den Ärmsten der Armen Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit vorwirft? Das zeigt, daß sie von der sozialen Realität des Lebens bei uns nichts mehr wissen. Das Sägen an der Sozialhilfe hat bei Ihnen Tradition. Machen Sie nur weiter so! Unsere Unterstützung werden Sie dabei nicht bekommen. Wir werden auch nicht tatenlos zusehen.
    Wenn wir heute über Mißbrauch debattieren wollen, dann würde ich gerne über Steuermißbrauch und Politikmißbrauch diskutieren wollen. Was ist denn mit der Rentenlüge? „Ich kann aber versprechen: Die Renten sind von Sparmaßnahmen nicht betroffen." - Helmut Kohl, 1993. Oder was ist mit der Steuerlüge? „Wenn ich den Bürgern jetzt vor dieser Wahl sage, wir machen keine Steuererhöhung, dann machen wir sie nicht." - Bundeskanzler Kohl am 14. November 1990. Seit der Zeit hat es, auch mit Ihnen, 17 Steuererhöhungen gegeben.

    (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das, was die eng verbindet, sind die Lügen!)

    Die Gesundheitslüge von heute ist die letzte, die ich noch nennen will.
    Der Skandal ist, daß wir nicht über das debattieren, was dieses Volk und das Vermögen dieses Volkes wirklich schädigt, sondern daß Sie das thematisieren, was dazu führen wird, daß viele Menschen in unserem Land - jeder einzelne davon ist einer zuviel - daran gehindert werden sollen, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)



Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Willner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gert Willner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundessozialhilfegesetz ist ein Gesetz, das 1961 in Regierungsverantwortung der CDU beschlossen wurde. Wir lassen deshalb keinen Zweifel daran, daß wir zu dem Rechtsanspruch auf Sozialhilfe stehen, wohingegen sich die Sozialdemokraten offensichtlich - das ist der öffentliche Eindruck - an die Seite derjenigen stellen, die meinen, der Sozialstaat sei ein Selbstbedienungsladen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Das Interessante ist, daß kaum einer der Redner der SPD auf den eigentlichen Anlaß eingeht,

    (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Kein einziger!)

    daß sie über alles mögliche reden, nur nicht über die konkreten Vorwürfe und Anliegen. Ich will das aber tun.
    Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion meint anprangern zu müssen, daß sich seit 1982 die Zahl der Empfänger von Sozialhilfe verdoppelt habe, und verknüpft das mit seinem Lieblingsthema, nämlich Neid erwecken. Es wird nicht differenziert, es wird pauschaliert.
    Dabei wissen die Experten der SPD genau, daß Zuwanderer insgesamt, insbesondere aber Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge, überproportional auf das Sozialhilfesystem angewiesen sind.

    (Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen die ja nicht arbeiten!)

    Das schlägt sich natürlich auch in der Zahl der Empfängerinnen und Empfänger der Sozialhilfe nieder. Allein die Aufwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz belaufen sich 1995 auf 5,5 Milliarden DM. Es ist doch nicht redlich, für Asylbewerber und für den Aufenthalt von Bürgerkriegsflüchtlingen einzutreten und die dadurch erhöhten Empfängerzahlen - das sind immerhin rund 490 000 Personen, die eine entsprechende Leistung erhalten - zum Gegenstand von Vorwürfen zu machen.
    Ihr Ratgeber fordert dazu auf, einen angeblich schlechten Umgangston auf den Ämtern dazu zu nutzen, Ämter nicht mehr alleine aufzusuchen. Es wird nahegelegt, Zeugen mitzunehmen, um Dienstaufsichtsbeschwerden einreichen zu können. Der Datenabgleich von Mitarbeitern des Sozialamtes zur Verhinderung von Leistungsmißbrauch wird von Ihnen in dieser Broschüre als Machenschaft bezeichnet. Sie diskriminieren damit die Mitarbeiter in den kommunalen Sozialämtern. Sie mißtrauen, wo Vertrauen angebracht ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich frage mich, wie die zahlreichen ehemaligen und noch amtierenden Bürgermeister in der SPD-

    Gert Willner
    Fraktion diese Diffamierungen vor ihren Mitarbeitern rechtfertigen wollen.

    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das muß man sich wirklich fragen!)

    Die Aufforderung zu Sitzblockaden, zu Einsicht in Dienstanweisungen, zur Einschaltung von Vorgesetzten und Amtsleitern und weitere ach so kluge Ratschläge führen dazu, daß die Gewährung der Sozialhilfeleistung zusätzlich bürokratisiert wird. Wir wollen aber keine zusätzliche Bürokratisierung.
    Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann diesen: Sozialhilfeempfänger haben Anspruch auf einen kostenlosen Rat bei den Sozialämtern. Der Rat der SPD kostet 6 Mark und ist nicht, wie behauptet wurde, umsonst.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! Die wollen noch Geld damit verdienen! Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Mit den armen Menschen kann man es ja machen!)

    Interessant ist auch, wie sich die Gewährung von Sozialhilfe am Beispiel der Zahlen zweier Hansestädte in sozialdemokratischer Verantwortung darstellt. Für Sozialhilfe wurden 1995 in Bayern 350 DM je ein Einwohner ausgegeben, in Bremen dagegen 1 091 DM und in Hamburg sogar 1 155 DM. Das sind in Hamburg 705 DM mehr als in Bayern, in Bremen und Hamburg mehr als das Dreifache. In beiden Hansestädten scheint es so zu sein, daß entweder großzügig Leistungen gewährt werden, die SPD-Ratschläge dort besonders erfolgreich praktiziert werden oder - was wahrscheinlicher ist - daß notwendige Rückforderungen nicht geltend gemacht werden, obwohl beide Städte über Geldmangel klagen.
    Der SPD-Fraktionsvorsitzende behauptet, Sozialleistungen würden von der CDU/CSU und der F.D.P. ständig gekürzt. Er verschweigt, daß am 27. Juni 1996 mit den Stimmen der Sozialdemokraten die Kürzung der Sozialhilfe um 25 Prozent beschlossen wurde, wenn zumutbare Arbeit abgelehnt wird. Mit den Stimmen der Sozialdemokraten ist auch beschlossen worden, daß Menschen über 65 Jahre künftig nicht mehr automatisch einen 20prozentigen Mehrbedarfszuschlag bei der Sozialhilfe erhalten.

    (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Doppelzüngigkeit!)

    Es war außerdem die Forderung der Sozialdemokraten im Vermittlungsausschuß, daß Behinderte künftig im ambulanten Bereich nicht mehr so uneingeschränkt wie in der Vergangenheit gefördert werden.
    Es war die Forderung der Sozialdemokraten im Vermittlungsausschuß, daß die Pflegesätze in Behinderteneinrichtungen, Altenheimen und Altenpflegeheimen stärker budgetiert und gedrosselt werden, als von der Regierungskoalition vorgeschlagen wurde. Ich denke, auch das muß einmal gesagt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie das Vorwort und den Ratgeber selbstkritisch lesen, müssen Sie zu dem Schluß kommen: So kann sich doch keine Partei verhalten, die in Deutschland in Gemeinden, Städten und auch in vielen - ich füge hinzu: zu vielen - Bundesländern Verantwortung trägt.

    (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Im wesentlichen Hetze!)

    Sie haben als eine der großen Volksparteien Verantwortung. Es gibt in Ihrer Fraktion viele Kolleginnen und Kollegen, die diese Verantwortung sehen und auch gemeinsame Wege beschreiten wollen. Im Augenblick habe ich aber den Eindruck, daß bei Ihnen die Scharfmacher das Sagen haben. Wenn Sie sich mit Ihren Bürgermeistern und Landräten in der Fraktion beraten, werden Sie schnell zu dem Ergebnis kommen, daß es das beste ist, die Broschüre mit diesem unglücklichen Vorwort ganz schnell einzustampfen.
    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat den Sozialhilfeempfängern mit dieser Broschüre einen schlechten Dienst erwiesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)