Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde in der Tat, Herr Kollege Scharping,
wir haben gestern nachmittag nach manchen anfänglichen Aufregungen gemeinsam eine Debatte zu der Rolle und zum Mißbrauch der deutschen Wehrmacht und der Soldaten im Zweiten Weltkrieg zustande gebracht, während der wir uns zugehört haben, die zu den besseren der Debatten gehört, die wir in den zurückliegenden Monaten und Jahren miteinander geführt haben.
Deswegen finde ich, wir sollten jetzt auch nicht nachtreten.
- Vielleicht haben wir nicht alle zu Beginn der Rede des Kollegen Schily seine persönliche Betroffenheit richtig verstanden; im Laufe der Debatte haben wir sie verstanden, und vielleicht haben auch Sie die persönliche Betroffenheit zum Beispiel unseres Ehrenvorsitzenden Alfred Dregger besser verstanden, als Sie es am Anfang zum Ausdruck gebracht haben.
Also lassen Sie uns doch, nachdem wir uns einmal gegenseitig zugehört haben, nicht am nächsten Morgen schon wieder so fortfahren, als wären die zweieinhalb Stunden gestern nicht gewesen!
Jetzt würde ich gleich dafür plädieren, daß wir bei der Diskussion über die Probleme von Gegenwart und Zukunft - und die Arbeitslosigkeit ist das drängendste Problem von Gegenwart und Zukunft in unserem Lande - in derselben Weise einander zuhören, Argumente austauschen und vielleicht miteinander den einen oder anderen Schritt, der uns voranbringt, zu gehen versuchen.
Wir haben ja in dieser Woche alle gespürt, welch schwierige Konflikte wir nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft und in der Gesellschaft in unserem Lande auszuhalten haben. Dies zeigte die Diskussion um die Frage, in welcher Höhe wir auch bis zum Jahr 2005, also immerhin für die nächsten nahezu zehn Jahre, öffentliche Mittel, Steuergelder, Mittel von Bund und Ländern einsetzen können, um die ungeheure Preisdifferenz zwischen der deutschen Steinkohle und vergleichbarer Kohle, die in anderen Ländern dieser Welt gefördert wird, so zu reduzieren, daß Bergbau in Deutschland weiterhin möglich bleibt und daß der unvermeidliche Prozeß der Rückführung der Fördermengen im Steinkohlebergbau sozial und regional verträglich flankiert wird.
Man könnte ja einen Moment lang fragen, ob sich das Ergebnis von gestern, das die CDU/CSU-Fraktion begrüßt, von dem Angebot, das die Bundesregierung eine Woche zuvor unterbreitete, so sehr unterscheidet, daß die Aufregung in der Zwischenzeit wirklich notwendig gewesen ist.
Aber wenn in dieser Aufregung und in der Betroffenheit die Sorgen der Menschen sichtbar geworden wären - aber die Sorgen aller, auch derjenigen, die angesichts der Notwendigkeit, begrenzte Mittel so zielgerichtet wie möglich zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einzusetzen, in Frage stellen, 50 Milliarden DM oder mehr Steuergelder bis zum Jahre 2005 für die Subventionierung des Steinkohlebergbaus zu verwenden -, dann wäre das ja auch ein Schritt, der uns voranbringen würde.
In diesem Ringen um die notwendige, unvermeidliche Anpassung der Hilfen für den Bergbau in den nächsten Jahren wird doch etwas von den fundamentalen Problemen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in unserem Land in diesen Jahren sichtbar: Wir können der Tatsache nicht ausweichen, daß wir uns im internationalen Wettbewerb behaupten müssen. Wenn wir uns im internationalen Wettbewerb nicht behaupten, helfen die schönsten Reden nichts. Denn dann werden wir die Arbeitsplätze nicht zurückgewinnen, dann werden wir den wirtschaftlichen Wohlstand nicht auf diesem Niveau halten können und die Grundlage der sozialen Sicherheit für die Zukunft nicht erhalten können. Deswegen müssen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Daran führt kein Weg vorbei.
Dr. Wolfgang Schäuble
Das kann in unserer Ordnung der sozialen Marktwirtschaft die Politik allein nicht leisten. Wir sind und bleiben darauf angewiesen, daß die Tarifpartner, die Verantwortlichen in Wirtschaft und Gewerkschaften, genauso ihre Verantwortung wahrnehmen.
Deswegen macht es keinen Sinn, was Sie hier mit dem Schlechtwettergeld gemacht haben.
- Aber ich bitte Sie - lassen Sie mich das doch ganz ruhig sagen -, ich war doch dabei, und auch einige von Ihnen waren in der Nähe. Das Gedächtnis wird wohl noch reichen, sich daran zu erinnern. Wir haben doch im Jahre 1993 miteinander darüber geredet, daß es auf Dauer nicht richtig sein kann, daß die Gemeinschaft aller Versicherungszahler, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer über alle Branchen, das spezifische Problem einer Branche dauerhaft über die Bundesanstalt für Arbeit finanziert.
- Aber das war doch im völligen Einvernehmen mit den Tarifpartnern im Baubereich. Herr Köbele ist doch oft genug hier gewesen; ich bin dabeigewesen. Sie können doch nicht die Wirklichkeit bestreiten.
Die Baugewerkschaft und die Arbeitgeber im Baugewerbe haben damals gesagt: Wir sind einverstanden; wir sehen ein, daß das auf Dauer eine Frage ist, die die Tarifpartner besser in eigener Verantwortung regeln. Laßt uns aber für den Übergang von der früheren Finanzierung durch die Bundesanstalt für Arbeit zu einer Regelung der Tarifpartner mehr Zeit. - Das hat der Gesetzgeber damals mitgemacht, und am Schluß war alles einvernehmlich.
Jetzt ist das erste Jahr, in dem sich die Regelung einschließlich des Tarifvertrags, der in der Bauwirtschaft darüber geschlossen worden ist, bewähren muß. Jetzt gibt es Mißbrauch in der Anwendung dieser Regelung durch Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, die das, anstatt nach den Regelungen des Tarifvertrages vorzugehen, plötzlich der Bundesanstalt vor die Türe kippen. Anstatt daß wir nun alle sagen, daß es bei der gemeinsamen Verantwortung und bei den getroffenen Vereinbarungen auch der Tarifpartner bleiben muß, sagen Sie jetzt schon wieder, es sei ein Fehler gewesen, das Schlechtwettergeld gesetzlich abzuschaffen.
So werden Sie nicht erreichen - das ist doch der Punkt -, daß die Tarifpartner wirklich ihre Verantwortung wahrnehmen.
Wenn jedesmal dann, wenn es schwierig wird, nach der Politik, dem Gesetzgeber, dem Steuerzahler gerufen wird, dann wird am Ende aus der Verantwortung der Tarifpartner für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nichts. Deswegen ist das der falsche Weg.
Genauso ist es nicht in Ordnung, daß Sie jetzt die Politik einseitig dafür verantwortlich machen, daß wir zuviel illegale Beschäftigung auf den Baustellen haben. Wir haben doch miteinander ein Entsendegesetz beschlossen.
- Wir haben im Deutschen Bundestag ein Entsendegesetz beschlossen; das können Sie nicht bestreiten.
- Und wir haben einen Tarifvertrag von Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Bauwirtschaft zur Ausfüllung dieses Entsendegesetzes, damit auf den deutschen Baustellen auch angesichts der Tatsache, daß andere innerhalb der Europäischen Union ihre Arbeitskraft zu sehr viel günstigeren Preisen anbieten, als die deutsche Tariflandschaft das Angebot an Arbeit macht - das ist doch der ökonomische Grund für die Schwierigkeiten, die wir auf den Baustellen haben -, deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden. Wenn Sie jetzt so reden, wie Sie es hier getan haben, werden Sie wiederum nicht erreichen, daß irgend etwas in diesem Lande besser wird, sondern Sie werden die Verweigerung der Lösung der Probleme schüren.
Deswegen möchte ich dafür werben, daß jeder an seiner Stelle - wir als Gesetzgeber, die Mehrheit im Bundestag, die Opposition im Bundestag, die Mehrheit im Bundesrat, Bund und Länder - seine Verantwortung wahrnimmt und daß wir auch die Tarifpartner nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, daß sie vor allen Dingen dann, wenn es schwierig wird, nicht immer wieder alles auf die Politik und die Steuerzahler abschieben, so daß am Ende kein Problem gelöst wird.
Der nächste Punkt ist: Es ist doch völlig unstreitig - jedenfalls war es vor einem Jahr unstreitig, sogar in den Gesprächen zwischen Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften -, daß die Staatsquote zu hoch ist. Sie sagen selber, Steuern und Abgaben seien zu hoch und die Schulden seien zu hoch. Dann sind die öffentlichen Haushalte insgesamt zu hoch. Wenn man aber die Staatsquote zurückführen will, dann kommt man um Kürzungen bei den Ausgaben nicht herum, weil man anders die Staatsquote nicht senken kann. Es führt kein Weg daran vorbei. Sonst macht Ihre eigene Rederei keinen Sinn. Sie können die Grundrechenarten nicht außer Kraft setzen.
Ich versuche auf das einzugehen, was Sie, Herr Scharping, gesagt haben. Sie haben gesagt: Wir müssen die Lohnzusatzkosten senken. Darüber besteht Einigkeit. Die Kosten der Arbeit sind zu hoch. Neben den Tarifpartnern ist dabei auch der Gesetzgeber mit der Regelung der gesetzlichen Lohnzusatzkosten gefragt. Ihre Antwort greift ein wenig zu kurz. Deswegen möchte ich erneut sagen, was ich an dieser Stelle schon seit Jahren wiederholt gesagt habe: Zu der Frage, ob wir unsere sozialen Sicherungssysteme nicht in dem Maße wie bisher ausschließlich durch
Dr. Wolfgang Schäuble
Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern in einem größeren Maße durch die Gemeinschaft der Steuerzahler durch eine Veränderung der Zuschüsse aus öffentlichen Haushalten finanzieren, sind wir nicht nur zu Gesprächen bereit, sondern wir machen dazu auch Vorschläge.
Wir werden heute nachmittag im CDU-Bundesvorstand unsere Vorstellungen für den kleinen Parteitag, Herr Parteivorsitzender, beschließen und beraten. Ich wäre nicht zu überrascht, wenn in der Beschlußvorlage der CDU Deutschlands der Vorschlag enthalten sein wird, den Bundeszuschuß zur Rentenversicherung zu erhöhen, um die Beitragssätze in der Rentenversicherung zu senken.
- Sie sehen, da ist gar kein so grundsätzlicher Unterschied.
- Das habe ich schon vor einem Jahr gesagt; das steht in der Vorlage.
Das ist überhaupt nicht der Punkt.
- Das ist ja in Ordnung; ich bin gar nicht dagegen. Ich versuche einmal das herauszuarbeiten, wo wir übereinstimmen, und das, wo wir unterschiedlicher Meinung sind.
In dieser Frage können wir auch zu gemeinsamen Positionen kommen.
Aber wir haben immer gesagt - das ist die Politik der Union und der Koalition und der Regierung, und auch dafür möchte ich Ihr Mitwirken gewinnen -: Umfinanzierung kann nicht an die Stelle von Einsparungen treten.
Erst müssen wir einsparen, und danach können wir über Umfinanzierung reden.
Genau diesen Weg gehen wir. Deswegen haben wir, nachdem wir in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der notwendigen Reform zur Begrenzung des Beitragsanstiegs - auch das ist nämlich Sozialversicherungsbeitrag - im vergangenen Jahr an mangelnder Zustimmung des Bundesrates gescheitert sind, gesagt: Wir müssen die Gesetzgebung so machen, daß wir nicht auf die Zustimmung des Bundesrates angewiesen sind. Wir haben unsere schmerzlichen Vorschläge zur Begrenzung des Kostenanstiegs in der gesetzlichen Krankenversicherung in dieser Woche in beiden Koalitionsfraktionen ganz einvernehmlich beschlossen. Nächste Woche werden wir sie hoffentlich möglichst einvernehmlich im Deutschen Bundestag verabschieden.
Einsparungen vor Umfinanzierung - auch in der Rentenversicherung!
- Das ist der Punkt.
Beim Geldausgeben kann man sich mit der SPD einigen. Bei den Einsparungen wird es gleich schwierig mit den Zwischenrufen. Lassen Sie uns doch auch einmal miteinander ein bißchen über Einsparungen reden.
Bei der Rentenversicherung gehen wir genau denselben Weg. Wir kommen nicht darum herum, aus der Tatsache, daß die Menschen heute - was höchst erfreulich ist; man muß ja nicht immer alles beklagen; die Tatsache, daß die Menschen sehr viel länger leben dürfen, übrigens in besserer Gesundheit als frühere Generationen, ist eine höchst erfreuliche Entwicklung - doppelt so lange im Ruhestand leben dürfen wie noch vor einer Generation, Konsequenzen zu ziehen, wenn wir die Renten für die Zukunft sicherhalten wollen. Das muß erreicht werden, ohne daß die Renten gekürzt werden. Aber sie können nicht mehr in dem Tempo ansteigen, wie sie in den zurückliegenden Jahrzehnten angestiegen sind. Das ist der wichtigste Schritt, den wir bei der Rentenreform leisten müssen.
Wenn wir diesen Schritt geleistet haben, dann können wir miteinander - wie auch in der Arbeitslosenversicherung oder wo immer in der Sozialversicherung - darüber reden: In welchem Umfang sind wir in der Lage, an Stelle von Beiträgen, die die Arbeitskosten erhöhen, andere Finanzquellen für die Rentenversicherung in einem begrenzten Umfang, soweit das haushalts- und finanzpolitisch insgesamt möglich ist, einzusetzen? Aber das darf nicht die Alternative, der Ersatz von Einsparungen sein. Die Einsparungen müssen zuvor erfolgen.
Deswegen ist der Weg der Koalition: Erst die Reform der Sicherungssysteme, damit die Ausgabendynamik gebremst wird; danach sind wir bereit und in der Lage, miteinander oder auch allein unsere Vorschläge zu machen, um durch Umfinanzierung einen zusätzlichen Schritt zur Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge zu erzielen.
Dann lassen Sie uns noch einmal darüber nachdenken und vielleicht auch noch einmal die Argumente austauschen: Was kann darüber hinaus getan werden, um die Chancen für mehr Arbeitsplätze zu verbessern? Ich halte Ihren Weg „Stärkung der Massenkaufkraft" - Sie haben es eben wieder gesagt - nach wie vor für einen nicht zielführenden Weg.
Dr. Wolfgang Schäuble
Nach wie vor glaube ich, daß die Rezepte von Keynes in einer Zeit - -
- Ich erkläre es gleich, Herr Fischer. Ich lese die Zeitung vor der Bundestagssitzung und nicht in der Plenarsitzung. Ich mache das vorher. Das unterscheidet mich von Ihnen.
In einer Zeit globalisierter Märkte, in einer Zeit, in der wir bei der industriellen Produktion mit jedem Standort in der Welt in Konkurrenz treten müssen oder in Konkurrenz stehen - ob es uns gefällt oder nicht -, löst die Stärkung der Massenkaufkraft in unserem Lande nicht notwendigerweise die Beschäftigungsprobleme. Es kann nämlich sehr gut sein, daß diese Massenkaufkraft durch Anbieter aus anderen Teilen der Welt erfüllt wird. Wir haben ja im letzten Jahr möglicherweise 1 Billion Mark oder Hunderte von Milliarden Mark - ich weiß nicht, welche Zahl ich kürzlich gelesen habe - durch Reisen ins Ausland ausgegeben. Wir sind nach wie vor Reiseweltmeister. Wenn wir die Massenkaufkraft weiter stärken, mag es sein, daß wir noch mehr Geld in die Karibik tragen, aber Arbeitsplätze entstehen dadurch in unserem Lande immer noch nicht.
- 40 Milliarden? Na gut. Die Billion war falsch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie bereit wären, darüber einen Moment nachzudenken! Wenn nicht, dann brauchen Sie einfach nur ruhig zu sein; das reicht auch.
- Ich finde es herzzerreißend, wie Sie auf der einen Seite für sachliche Debatten plädieren und sich dann gleichzeitig benehmen. Das ist wirklich unglaublich.
Mein Argument bleibt, daß wir mit einer Stärkung der Massenkaufkraft die Beschäftigungsprobleme nicht lösen, sondern daß wir durch eine Verstärkung der Investitionstätigkeit die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Land verbessern müssen.
Deswegen sage ich Ihnen: Das Wichtigste ist, die steuerlichen Rahmenbedingungen für Investitionen in unserem Land zu verbessern.
Zu Ihrem Hinweis auf die Vermögensteuer: Für polemische Neid- oder Verteilungsdebatten eignet er sich gut, das wissen wir. Für die Frage, wie wir mehr Investitionen oder Arbeitsplätze in Deutschland bekommen, eignet er sich überhaupt nicht. Wenn wir investiertes Kapital durch Substanzsteuern in
Deutschland stärker besteuern als in anderen europäischen Ländern, vertreiben wir die Investitionen und die Arbeitsplätze aus Deutschland. Das ist der falsche Weg. Deswegen wollen wir diesen Weg nicht gehen.
Wenn Sie von Blockade reden, nehmen Sie doch zur Kenntnis, was die ostdeutschen Ministerpräsidenten gestern erklärt haben. Sie haben alle miteinander erklärt, die Gewerbekapitalsteuer müsse endlich abgeschafft werden. Ich hoffe, daß sie im Bundesrat in ein paar Wochen auch zustimmen, damit diese Arbeitsplatzvernichtungssteuer in Deutschland endlich beseitigt wird. Statt von Blockade zu reden, geben Sie lieber diese Ihre Blockade auf.
Deswegen beinhaltet das Programm der Bundesregierung, das der Bundeskanzler und die Bundesregierung zur Verabschiedung angekündigt haben, keine Stärkung der Massenkaufkraft, sondern dieses ist ein Programm zur Stärkung der Nachfrage nach Investitionen im Baubereich. Es ist ja gar keine Frage, daß wir durch den Rückgang des Wohnungsbaus auf der einen Seite und der öffentlichen Nachfrage nach Investitionen im Baubereich andererseits insgesamt einen zu starken Rückgang der Bautätigkeit haben.
- Natürlich kann man auch in der Frage unterschiedlicher Meinung sein. Graf Lambsdorff war lange mit der SPD in einer Regierung; das unterscheidet ihn von mir. Er hat natürlich besonders schlechte Erfahrungen gemacht und ist deswegen besonders kritisch. Das kann ich auch verstehen.
Ich sage Ihnen: Das Programm der Bundesregierung führt zu einer Stärkung der Investitionsnachfrage und nicht zu einer Stärkung der Massenkaufkraft. Dieses Programm ist wirtschaftspolitisch richtig, wenn es darum geht, Arbeitsplätze zu schaffen und so die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
- Einige der Kollegen haben morgens einen erhöhten Adrenalinspiegel.
Ich würde gerne dafür werben, daß wir darüber hinaus bei der Steuerreform begreifen, worum es geht. Wir brauchen ein Steuerrecht, das auf Grund niedrigerer Steuersätze für alle und weniger Ausnahmen dafür sorgt, daß die tatsächliche Einkommenssituation Grundlage der Besteuerung ist. Dies ist von vielen, auch von Ministerpräsidenten der Sozialdemokratischen Partei - ich erinnere nur an Herrn Voscherau -, lange kritisiert worden.
Wenn es wahr ist - und das ist ja Realität in unserem Lande -, daß die nach dem Gesetz fälligen Steuern von den Beziehern höherer Einkommen häufig gar nicht gezahlt werden, wie es Herr Voscherau gesagt hat, und wenn es wahr ist, daß die bei uns im
Dr. Wolfgang Schäuble
Gesetz festgeschriebenen Steuersätze im internationalen Vergleich zu hoch sind und sich dies auf den Wettbewerb um Investitionen und damit Arbeitsplätze auswirkt, dann glaube ich, daß der Weg der Koalition, die Steuersätze insgesamt zu senken, richtig ist, wenn wir im Bereich der Besteuerung unternehmerischer Erträge, von der Körperschaftsteuer bis zur Einkommensteuer auf Einkünfte aus Gewerbebetrieben, im europäischen Vergleich wettbewerbsfähig werden wollen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es richtig, daß alle niedrigere Steuern zahlen. Dafür gibt es dann aber weniger Ausnahmen. Das ist das Prinzip unserer Steuerreform.
Nur, Frau Matthäus-Maier: Wir haben vor drei Wochen darüber diskutiert. Da hat auch der wirtschaftspolitische Sprecher des SPD-Präsidiums gesprochen; man muß in Ihrer Partei immer genau unterscheiden. Ich habe darauf geantwortet, und er hat ein paar Tage später erklärt - ich glaube, das wissen Sie -: Wenn man einen Körperschaftsteuersatz in Höhe von 35 Prozent für richtig hält - das hat auch der SPD- Vorsitzende gesagt -, dann darf der entsprechende Einkommensteuersatz auf Einkünfte aus Gewerbebetrieben für Nichtkapitalgesellschaften, also für Einzelunternehmen, für den Mittelstand, für Personengesellschaften, nicht höher sein. Er muß also auch 35 Prozent betragen. Wenn man aber diesen Satz festgelegt hat, dann kann - das weiß jeder, der vom Steuerrecht etwas versteht - der Einkommensteuersatz auf andere Einkunftsarten nicht beliebig hoch gehalten werden.
Nachdem Herr Schröder dies erklärt hatte, sagte der SPD-Vorsitzende, das sei Advokatenspitzfindigkeit. Das macht keinen Sinn. So bekommen wir keine rationale Diskussion hin.
Nein, es führt kein Weg daran vorbei, daß wir die Steuersätze insgesamt senken müssen, wenn das Steuerrecht einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten soll. Darum geht es. Es geht nicht in erster Linie um eine Verteilungsdebatte. Wir dürfen nicht nur den Mangel verteilen, sondern müssen auch mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze schaffen, damit wir die zu hohe Arbeitslosigkeit überwinden. Darin sind wir uns doch einig. Jetzt ringen wir um den richtigen Weg.
Übrigens, wenn wir über Blockade reden: Wie wäre es eigentlich, verehrter Herr Ministerpräsident, wenn man sich endlich über das Asylbewerberleistungsgesetz einigen würde; denn die Kommunen haben ebenfalls große Schwierigkeiten mit ihren Haushalten. Damit würden wir Einsparungen in den Sozialhaushalten der Kommunen erreichen.