Rede von
Wolfgang
Behrendt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fühle mich hier ein wenig wie ein Fremdkörper unter all den Außenpolitikern und -politikerinnen, die anwesend sind. Denn ich möchte zu der Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Grünen über die nachhaltige und umweltfeundliche Energiepolitik Stellung nehmen.
Insofern habe ich Verständnis dafür, wenn der Außenminister jetzt wegen einer anderen dienstlichen Verpflichtung geht. Ich habe aber weit weniger Verständnis dafür, daß niemand von dem zuständigen Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit anwesend ist. Das zeigt letztlich doch ein bißchen den Stellenwert, den offenbar die Energiepolitik hier hat.
Dennoch ist es ein wichtiges Thema, wenn wir über die Entwicklung und die Chancen der mittel- und osteuropäischen Länder sprechen, da die Energiepolitik von entscheidender Bedeutung für die Volkswirtschaften ist. Die Tatsache, daß wir ein sehr geringes Maß an Energieeffizienz haben und daß die Energieeinsparpotentiale, die in diesen Ländern bestehen, bisher überhaupt nicht genutzt werden, ist ein schweres Hemmnis für den Transformationsprozeß. Insoweit muß man diesem Thema noch einmal mit Nachdruck Aufmerksamkeit verschaffen.
Wolfgang Behrendt
Ich bedaure es, daß die Bundesregierung diesem Thema, nämlich Energiespar- und -effizienzmaßnahmen in den Ländern Mittel- und Osteuropas kaum Aufmerksamkeit schenkt.
Das ist zuletzt wieder durch die Tatsache deutlich geworden, daß in der gestrigen Debatte über CastorTransporte Frau Merkel lediglich zur Kernenergie Stellung genommen hat. Es ist auch dadurch deutlich geworden, daß in der Großen Anfrage auch nur die Kernenergie angesprochen wurde, aber nicht die Fragen einer Umstrukturierung der Energiewirtschaft.
So wichtig wie die Kernenergie auch ist, habe ich doch den Eindruck, daß Sie das Problem und die Notwendigkeit der Umstrukturierung der Energiewirtschaft einfach verdrängen. Sie ignorieren nämlich, daß zum Beispiel die RBMK-Reaktoren kaum nachzurüsten sind. Sie ignorieren, daß die Weltbank deutliche Macht hat, so daß eine Stillegung der RBMKReaktoren und eine Umstrukturierung der Energieversorgung um ein Drittel weniger an Finanzmittel erfordern würde.
Sie ignorieren, daß die europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ebenfalls darauf hingewiesen hat, daß es sehr viel kostengünstiger ist, die Energiesparpotentiale auszuschöpfen.
Sie ignorieren auch, daß selbst in Rußland und der Ukraine zum Beispiel in Moskau das Institut für Energieforschung der Akademie der Wissenschaften deutlich gemacht hat, daß hier ganz erhebliche Energiesparpotentiale zwischen 40 und 50 Prozent bestehen. Das heißt, unsere Forderung muß sein, die knappen Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen und nicht nur einseitig auf Nachrüstung der Kernenergie zu drängen.
Bisher hat die Union im Rahmen des TACIS-Programms der Europäischen Union 312 Millionen DM seit 1991 eingesetzt. Da ist noch kein ECU für die Nachrüstung ausgegeben worden. Im Grunde wurde damit bisher nur festgestellt, daß ein erheblicher Nachrüstungsbedarf besteht. Das muß uns doch nachdenklich machen.
Die Bundesregierung setzt hier einseitig auf Nachrüstung; die Grünen allerdings hängen in ihrem Antrag der Utopie an, man könne alle Kernkraftwerke in Osteuropa auf einen Schlag abschalten. So wünschenswert das sein mag, bleibt es doch Wunschdenken an Stelle realer und an Fakten orientierter Politik.
Viele Staaten sind - das weiß jeder, der mit den Vertretern dieser Staaten spricht - zu einem erheblichen Teil von der Kernenergie bei der Energieerzeugung, insbesondere bei der Elektrizitätserzeugung, abhängig: Litauen mit 75 bis 90 Prozent, die Slowakei mit 53 Prozent, Ungarn mit 50 Prozent, Bulgarien mit 40 Prozent; ich könnte das noch fortsetzen. Ganze Städte sind rings um die Atommeiler entstanden. Das sind auch Zehntausende von Arbeitsplätzen.
Wer mit den Parlamentariern, aber auch den Regierungsvertretern in Rußland, in Bulgarien, in der Slowakei, in der Ukraine und anderen Staaten spricht - ich habe das getan -, der weiß, daß die noch nicht bereit sind, einfach abzuschalten. Ich denke, wir können nicht im Stile von Neokolonisatoren auftreten und dekretieren, was die zu machen haben. Wir müssen mühselig einen Überzeugungsprozeß in Gang setzen
und versuchen, für unsere politischen Vorstellungen zu werben.
Deswegen kann es für uns keine Zustimmung zu diesem Antrag geben. Vielmehr werden wir der Beschlußempfehlung zustimmen, weil wir glauben, daß es weiterhin darauf ankommt, in die Sicherheit von bestehenden Kernkraftwerken zu investieren, im Interesse der Sicherheit der Menschen in diesen Regionen, im Interesse auch unserer Sicherheit.
Daneben will ich allerdings - das an die Adresse der Regierungsfraktionen und der Bundesregierung, die nun leider gar nicht mehr vertreten ist - betonen, daß für uns eine höhere Energieeffizienz, Energieeinsparung, eine Förderung erneuerbarer Energien in diesen Ländern oberste Priorität haben muß. Dafür werden wir uns weiterhin mit allem Nachdruck einsetzen.