Rede von
Klaus
Francke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In seinem neuesten Buch schreibt der Essayist Wolf Jobst Siedler den Satz: „Der Osten wird Westen sein, oder er wird gar nicht sein!" Er fährt fort:
Das ist die tiefere Bedeutung der Ereignisse, die Europa und mit ihm Deutschland im Jubiläumsjahr der Französischen Revolution noch einmal umstürzen.
Mehr als 50 Jahre lang wurden die Länder und Völker Mittel- und Osteuropas gewaltsam gezwungen, ihre historisch gewachsenen Verbindungen zu
Westeuropa zu leugnen und ihren Blick nach Osten zu richten. Diese erzwungene Positionsveränderung ist nach einer ganzen Epoche der Unterdrückung jämmerlich gescheitert. Unsere eigene Kultur- und Geistesgeschichte ist ohne ihre Wurzeln in Budapest, Prag oder Warschau nicht nachzuvollziehen.
Der Raum zwischen Moldau, Donau und Weichsel ist europäisches Herzland. Aus diesen Fakten der Vergangenheit speisen sich unser Wille und unsere Verpflichtung, diesen Völkern bei ihren Bemühungen behilflich zu sein, das Joch der vergangenen 50 Jahre endgültig abzulegen. Es liegt in unserem eigenen Interesse, das Zusammenwachsen Europas und die Einbindung der Staaten in Mittel- und Osteuropa in den europäischen Integrationsprozeß nachhaltig zu unterstützen.
Es war das Anliegen der Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen, die deutsche Politik gegenüber den Reformstaaten in Mittel- und Osteuropa, aber auch auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion umfassend darzustellen. Zwei weitere Gesichtspunkte sprachen darüber hinaus für das Einbringen der Großen Anfrage:
Erstens. Der Vergleich mit den Antworten auf unsere Große Anfrage von 1993 zum gleichen Thema gibt uns, aber auch den angesprochenen Ländern die Möglichkeit, festzustellen was bis heute erreicht werden konnte und welche Wegstrecke noch vor uns liegt.
Zweitens. Jede Mark und jede personelle Unterstützung für den Transformationsprozeß sind eine Investition in die Zukunft der deutschen Partner und in die Zukunft Europas. Diese Ausgaben gegenüber dem deutschen Steuerzahler zu begründen und ihm die Bedeutung der Unterstützung zu verdeutlichen ist ebenfalls unser Anliegen. Der Erfolg rechtfertigt den hohen personellen und finanziellen Aufwand.
Jetzt muß auf der Basis dieser umfassenden Bestandsaufnahme die Richtung der zukünftigen deutschen Politik benannt werden, um dem fundamentalen deutschen Interesse an Stabilität der östlichen Nachbarn und damit ganz Europas auch in Zukunft zu entsprechen.
Die Erfolge der Vorreiter unter den Reformstaaten, ihr wirtschaftliches Wachstum und die Verankerung der demokratischen Prinzipien im Bewußtsein der Bevölkerung, sind deren eigenes Verdienst. Sie zeigen aber auch, daß die Unterstützung der Bundesregierung und der Europäischen Union in die richtige Richtung gewiesen hat. Die Reformprozesse in diesen Staaten haben diejenige Eigendynamik gewonnen, die weitere Erfolge für die Zukunft verspricht.
Es bleibt dabei, daß unsere Hilfe eine Hilfe zur Selbsthilfe ist. Die Reformstaaten müssen weiterhin selbst und konsequent an den ihnen bekannten Voraussetzungen zur Aufnahme in die europäischen Strukturen bzw. deren Vertiefung arbeiten. Das Weißbuch der EU zur Angleichung der Strukturen ist hier eine gute Richtschnur für notwendiges Handeln.
Klaus Francke
Diesen von den MOE-Staaten selbst eingeschlagenen deutlichen Kurs nach Europa müssen wir auch dadurch aktiv unterstützen, daß wir umgehend die Voraussetzungen für institutionelle Reformen der EU für die Neuaufnahmen schaffen. Wenn sich der Aufnahmeprozeß zu sehr verzögert, drohen Enttäuschung und Verbitterung. Das gilt besonders für die baltischen Staaten, die einer besonders engen Anbindung an europäische Strukturen bedürfen.
Während sich bei den Reformvorreitern eine positive Entwicklung abzeichnet, zahlen umgekehrt einige Reformstaaten heute noch den Preis dafür, daß sie die notwendigen Reformen nicht zügig genug angegangen sind. Diese Kluft, die sich in der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung zwischen den einzelnen Reformstaaten auftut, empfinde ich zunehmend als besorgniserregend. Unsere Unterstützung muß sich mit der Überwindung dieser Kluft befassen; sonst drohen neue Gräben mitten in Europa, die nur zu Instabilität führen können.
Ich blicke hier besonders nach Rumänien und Bulgarien. Nach den Wahlen der Präsidenten Constantinescu in Rumänien und Stojanov in Bulgarien sind die politischen Rahmenbedingungen für einen zukünftigen erfolgreichen Wirtschaftskurs gesetzt. Gerade für Rumänien konnten die Zahlen der Bundesregierung, die bekanntlich aus dem vergangenen Jahr stammen, jetzt schon positiv korrigiert werden. Trotzdem bleibt noch manches zu tun, was von unserer Seite tatkräftige Unterstützung erfordert. Dies gibt mir die Gelegenheit, Herr Minister Kinkel, Ihnen für Ihre klare Positionsbestimmung in Ihrem Brief an den bulgarischen Außenminister vom 27. dieses Monats zu danken.
Um in Südosteuropa, aber auch in den übrigen Reformstaaten weiterhin zu helfen, wird es nach meiner Überzeugung in Zukunft noch stärker auf personelle Unterstützung als auf finanzielle Hilfe durch uns ankommen. Hierzu nur ein Hinweis: Die EU-Bewerberländer aus Ost- und Mitteleuropa müssen auch ihre Steuersysteme den westeuropäischen Standards und Regeln anpassen, bevor sie in die Europäische Union aufgenommen werden können. Auch hierbei können wir durch versierte westliche Experten wertvolle Hilfestellung leisten.
Stabilität und Sicherheit in Europa werden zukünftig immer mehr davon abhängen, ob wir die Kluft unterschiedlicher Entwicklung und unterschiedlicher Lebensstandards in Europa überwinden. Wir wollen aber nicht nur die politische und wirtschaftliche Einbindung dieser Staaten, sondern wir sind auch entschlossen, eine substantielle Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage nach ihrer Teilhabe an der zukünftigen europäischen Sicherheitsarchitektur zu geben. Dazu gehört wesentlich die Bereitschaft der NATO, sich für neue Mitglieder nach Osten zu öffnen.
Die aktuelle Diskussion rankt sich auch um die Frage, welche Kosten bei einer Aufnahme neuer Mitglieder in die NATO entstehen, die in einer aktuellen US-Studie mit etwa 27 bis 35 Milliarden Dollar angegeben werden. Mich beschleicht bei dieser Diskussion immer der Verdacht, daß hier mit der Veröffentlichung von abschreckend hohen Zahlen - von denen noch nicht geklärt ist, ob sie auf die NATO-Mitglieder oder nicht vielmehr auf die Beitrittskandidaten selbst zukommen - die Neuaufnahmen hinausgeschoben werden sollen.
Es ist aber doch so, daß es sich hier zuallererst um eine politische Entscheidung handelt, wie sie es auch in anderen Fällen in der Vergangenheit gewesen ist. Das politische Interesse sagt, daß wir es uns nicht leisten können, die Reformstaaten weiterhin vor den Türen der NATO zu lassen und gegebene Zusagen nicht einzuhalten. Damit riskieren wir mehr, als manche bei den Neuaufnahmen an Problemen für die Allianz befürchten.
Wir alle wissen, daß der russische Widerstand gegen die NATO-Öffnung trotz der gezeigten Verhandlungsbereitschaft Rußlands bleibt. Die erfolgreiche Einbindung Rußlands in die europäische Sicherheitsarchitektur ist aber die zentrale Voraussetzung dafür, daß diese Bestand hat. Gleichzeitig soll Rußland kein Vetorecht in der Frage der NATO-Öffnung zugestanden werden. Diese beiden Faktoren miteinander zu versöhnen könnte nach meiner Überzeugung Gegenstand der Tagesordnung des beabsichtigten NATO-Rußland-Rates sein. Es muß nur klar sein, daß die NATO das Recht behält, auch bei bleibendem Dissens in diesem Rat über ihre Öffnung und deren Einzelheiten selbständig zu entscheiden. Die Erfüllung der Erwartungen der Beitrittskandidaten und die Einhaltung der Zusagen der NATO haben hier Vorrang. Das sollten wir auch gegenüber den Beitrittskandidaten deutlich machen.
Von Bundespräsident Herzog stammt der Satz: „Wenn wir nicht den Osten stabilisieren, destabilisiert der Osten uns." Es ist daher nach meiner Überzeugung eine historische Aufgabe, die vor uns liegt. Die weitere Sicherung von Frieden und Freiheit hängt von dem Erfolg unserer gemeinsamen europäischen Bemühungen ab. Dazu gehört auch, daß wir bei allen noch vorhandenen Unterschieden die erste Verhandlungsrunde zur Aufnahme neuer Mitglieder mit allen Bewerbern gleichzeitig führen, auch wenn klar ist, daß es differenzierte Bedingungen und Fristen für jeden Kandidaten geben wird.
Die Menschen in den MOE-Staaten und darüber hinaus wollen, wie wir wissen, mit uns gemeinsam das europäische Haus bauen. Ich meine, es ist des Schweißes der Edlen wert, daß wir ihnen dabei helfen.
Vielen Dank.