Rede von
Ernst
Bahr
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Dietzel, Ihre Bemü-
Ernst Bahr
hungen, die Politik der Bundesregierung schönzureden, sind ehrenwert und verständlich.
Aber, Herr Dietzel, sie ist leider nicht so. Der Waldzustandsbericht sagt aus, daß der Wald mehr geschädigt ist, als Sie das hier zum Ausdruck gebracht haben. - Dabei sagt der Waldzustandsbericht ja noch nicht alles. - Der Zustand des Waldes hat sich weiter verschlechtert. Auch das Gesundschlagen - vor allem marode und kranke Bäume fallen der Axt zum Opfer - kann die Statistik nicht verbessern.
Die relative Verbesserung bei den Fichten- und Kiefernbeständen, von der Sie gesprochen haben, ist mehr auf die günstige Witterung zurückzuführen, also mehr auf eine glückliche Fügung, als auf politische Maßnahmen. Da die „Baumpsychologen" zu bemühen ist fehl am Platze; denn es ist eine Tatsache, daß hierauf die Witterung einen entscheidenden Einfluß genommen hat. Ich gehe nicht so weit, zu sagen, daß die „Psychologie des Baumes" herangezogen werden muß.
- Das ist richtig. Aber, Herr Heinrich, es geht mit dem Wald nur runter. Wenn wir das hätten, was hier angedeutet worden ist, nämlich daß sich die Verschlechterung verlangsamt, dann wären wir schon froh. Aber das ist leider nicht festzustellen.
In mindestens zwei Punkten sagt der amtliche Waldzustandsbericht auch nur die halbe Wahrheit: Erstens. Die schwer geschädigten, zum Teil schon abgestorbenen und herausgeschlagenen Bäume erscheinen nicht mehr in der Statistik. Sie müssen künftig mit erfaßt werden. Zweitens. Die Versauerung der Waldböden schreitet infolge der Stickstoffüberlastung der Luft rapide fort. Sie schadet dem Wurzelwerk der Bäume, hemmt den Nachwuchs von Jungpflanzen und gefährdet damit die Stabilität der Wälder.
Der Präsident der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, ihr Parteifreund Wolfgang von Geldern, hat die Bundesregierung noch im letzten November aufgefordert, verstärkt Anstrengungen in der Verkehrs-, Energie- und Agrarpolitik zu unternehmen. „Wir brauchen erneuerbare Energien", hat von Geldern wörtlich gefordert.
Was unternimmt die Bundesregierung? Minister Rexrodt reformiert das Energierecht in einer Weise, daß umweltfreundliche, erneuerbare Energieformen künftig kaum noch eine Chance in unserem Land haben werden. Die Regierungskoalition benennt die Zunahme des Straßenverkehrs und den damit verbundenen wachsenden Ausstoß an Luftschadstoffen als eine wesentliche Ursache für den schlechten Zustand unserer Wälder. Gleichwohl hat sie über das bisher erreichte Maß hinaus keine konkreten Maßnahmen zur Luftreinhaltung anzubieten. Wo bleibt das Dreiliterauto? Was unternimmt die Bundesregierung, um den Straßengüterverkehr einzuschränken? Sie investiert gerade Milliardensummen in ein Transrapid-Projekt, das aus wirtschaftlichen Gründen zum Scheitern verurteilt ist, anstatt diese Gelder weitaus sinnvoller in eine Modernisierung und einen Ausbau der umweltfreundlichen Bahn zu investieren.
Tatsächlich kürzt sie die Mittel für die Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft und plant, die Anzahl der Institute, der Forschungsstandorte und der Wissenschaftler zu reduzieren. Ihrer eigenen Forderung nach einer Stärkung der deutschen Forstwirtschaft und einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des einheimischen Holzes wird die Bundesregierung ebenfalls nicht gerecht.
Auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion zum Thema „Wettbewerbsbedingungen für den Einsatz von Holz als Baumaterial" hat die Bundesregierung erklärt, daß Holz hinsichtlich der Kriterien Energieeinsparung, Wärmeschutz, Hygiene und Gesundheit, Nutzungssicherheit und Schallschutz ein idealer Baustoff ist. Auch die Brandschutzrisiken werden mittlerweile günstiger bewertet. Um so unverständlicher ist es, daß sie keinerlei Maßnahmen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Holz unterstützt. Auch die versicherungstechnisch nachteilige Einstufung von Holz gegenüber anderen Baustoffen wird von der Bundesregierung nicht beseitigt.
Unsere Initiative zur Kennzeichnung von Holz aus einer nachhaltigen Forstwirtschaft greift die Bundesregierung weiterhin nicht auf. Hier hofft sie wieder einmal auf die freiwilligen Initiativen der Wirtschaft - wahrscheinlich vergeblich. Notwendig ist ein einheitliches Gütesiegel mit wirksamen Vergabekriterien. So erhält der Verbraucher die Sicherheit, nachhaltig erzeugte Holzprodukte zu erwerben.
- Dann wollen wir das auch anpacken, Herr Heinrich.
Eine ökonomische Holzwirtschaft ist langfristig Voraussetzung für eine ökologische Waldbewirtschaftung.
Die Auftragseingänge der deutschen Holzbauwirtschaft sind aber wieder rückläufig. Das ist Ergebnis Ihrer Politik.
Die soziale Marktwirtschaft ist in vielen Bereichen aus guten Gründen reguliert. Aus marktideologischen Gründen in der Holzwirtschaft nichts zu tun ist der Verzicht auf eine aktive Politik zum Schutz der
Ernst Bahr
Wälder. Allein die Wettbewerbsfähigkeit von Holz zu fordern genügt nicht. Vielmehr gilt es, konkrete Maßnahmen aufzuzeigen, wie dies praktisch geschehen soll. Eine Regierung hat den Auftrag zum Handeln und nicht zum Abwarten. Was dieser Regierung wirklich fehlt, ist der politische Wille und politisches Durchsetzungsvermögen, gerade gegenüber mächtigen Lobbygruppen und Verbänden.
In der Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit über die Ursachen des Waldsterbens. Die Übersauerung der Böden muß verringert werden, weil sie das Wachstum der Bäume ernsthaft gefährdet. Die Industrie, der Straßenverkehr und in einigen Bereichen auch die Landwirtschaft sind die wesentlichen Verursacher der Probleme unserer Wälder.
Um die ökologische Funktion der Wälder dauerhaft zu sichern, ist ein umfassendes Programm zur Bekämpfung des Waldsterbens, zur nachhaltigen Bewirtschaftung des Waldes und zur Sicherung der Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftszweig notwendig. Bereits in der letzten Legislaturperiode hat die SPD- Bundestagsfraktion in ihrem Antrag „Bekämpfung des Waldsterbens" eine Reihe konkreter Vorschläge dazu unterbreitet.
Kernpunkte unseres Konzeptes zum Schutz der Wälder sind: die Reduzierung des Straßengüterverkehrs, eine erhebliche Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs, der Ersatz der Kilometerpauschale durch eine Entfernungspauschale, der Einstieg in eine ökologische Steuerreform, weitere Ansätze zur Energieeinsparung und die Umstellung auf abfallarme Produktion in allen Bereichen.
Wir brauchen ein Programm zur Förderung erneuerbarer Energien, vor allem der Solar- und Windenergie. Notwendig ist eine Waldbewirtschaftung nach ökologischen Grundsätzen. Hierzu gehören: der Bodenschutz, die Baumartenwahl und die Vermehrung von Laub- und Mischwald, die Verbesserung des Waldgefüges, die Erhaltung alter, abgestorbener Bäume, der Aufbau eines Netzes von Waldschutzgebieten und der ökologisch verträgliche Einsatz der Forsttechnik.
Wir wollen standortgerechte, naturnahe Waldbestände durch Naturverjüngung. Dazu sind die Schalenwildbestände den jeweiligen Standorten anzupassen. Die Waldschadensstatistik muß verbessert und um Daten zum Zustand der Böden ergänzt werden.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, auch über die abgestorbenen Bäume und Waldflächen zu berichten sowie die Schadensklasse 5 einzuführen.
Die ökonomischen Auswirkungen der Waldschäden müssen künftig Eingang in die Waldzustandsbewertung finden. Der Forstwirtschaft muß eine ökonomisch tragfähige Perspektive gegeben werden, ohne
die eine nachhaltige Waldbewirtschaftung nicht möglich ist. Die energetische und industrielle Verwertung von Holz ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft.
Auch unsere Landwirtschaft muß in einigen Bereichen umweltverträglicher werden. Die Reduzierung des Düngemitteleinsatzes und die Einschränkung klimaschädlicher sowie die Artenvielfalt zerstörender Pflanzenschutzmittel sind dringend notwendige Maßnahmen in diesem Bereich.
Die Fördermittel für die Landwirtschaft müssen verstärkt an Umweltschutzkriterien und Naturschutzerfordernisse sowie an die artgerechte und flächenangepaßte Tierhaltung gekoppelt werden. Umweltschonende Produktionsverfahren, zum Beispiel den ökologischen Landbau und seine Marktchancen, muß man verstärkt fördern. Diese Ziele muß die Bundesregierung bei den anstehenden Verhandlungen zur WTO-Reform vertreten.
Die Bundesregierung muß endlich die längst überfällige Reform des Bundesnatur- und des Bodenschutzgesetzes vorlegen. Darin muß die Verpflichtung zu einer naturverträglichen Land- und Forstwirtschaft enthalten sein.
Ich hoffe, daß diese Maßnahmen umgehend umgesetzt werden. Wir erklären dazu unsere Bereitschaft zur Mitarbeit und Zusammenarbeit.
Vielen Dank.