Liebe Kolleginnen und Kollegen, um eines klarzustellen: Es geht natürlich heute morgen nicht um den Strafvollzug im Mittelalter. Ich sage das, damit kein Mißverständnis in dieser Beziehung entsteht. Ich wollte mit dem Zitat einmal klarmachen, daß wir uns über den Wald, dieses Kulturgut der Deutschen, nicht erst unterhalten, seit es die neuen Waldschäden gibt, sondern daß der Wald schon seit mehreren hundert Jahren Diskussionsgegenstand ist.
Heute können wir Meldungen lesen, die in eine andere Richtung weisen, wie zum Beispiel die in der „Bild"-Zeitung vom 17. November 1996: Die schönste Nachricht des Jahres - der deutsche Wald wird wieder gesund. Dazu kann ich sagen: Wie schön.
Es gibt auch andere Berichte über dieses Thema, zum Beispiel die Studie des Europäischen Forstinstituts, das einen enormen Zuwachs des Waldes hier in Europa festgestellt hat. Man könnte ja nun meinen, wir gehen nicht rosaroten, sondern grünen Zeiten entgegen. Dies führt aber auf der anderen Seite dazu, daß sofort Baumpsychologen auf den Plan gerufen werden, die bekanntgeben, daß sich der Wald zu Tode wächst, daß die Bäume unter dem Streß kurz vor ihrem Ableben üppig wachsen.
Wenn wir diese extrem unterschiedlichen Meinungen in der Diskussion einmal zur Kenntnis nehmen, dann habe ich das Gefühl, daß es ein Schwarzweißdenken in unserer Gesellschaft gibt, nicht nur in der politischen Diskussion, sondern auch bei dieser Problematik. Hervorzuheben ist natürlich, daß sich die Kassandrarufe der 80er Jahre über das Sterben des Waldes nicht bewahrheitet haben.
Ich glaube, wir stimmen darin überein, daß wir froh sein können, daß es so gekommen ist.
Wir brauchen natürlich eine lebendige Auseinandersetzung mit diesem Stück Natur. Denn der deutsche Wald ist mehr als nur eine Ansammlung von Bäumen. Das Waldsterben löst Ängste aus. Ein ganzes Volk diskutiert über diese Problematik. Ich glaube, es ist gut, daß dieses Thema auch in der Bevölkerung diskutiert wird.
Die grundsätzliche Frage stellt sich natürlich: Wie krank ist der Wald denn nun? Vielleicht folgende Aussage vorweg: Der Wald stirbt zwar nicht, aber er ist alles andere als gesund. Wenn ich den Waldzustandsbericht 1996 zur Kenntnis nehme und an Hand der Berichte der Jahre davor vergleiche, wie die Entwicklung verlaufen ist, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß die Zahl der deutlich geschädigten Bäume - das sind Bäume mit mehr als 25 Prozent Blatt- oder Nadelverlust - 1996 durchschnittlich um zwei Prozentpunkte auf 20 Prozent zurückgegangen ist, daß es 1994 noch 25 Prozent waren und 1995 22 Prozent. Es ist also durchaus eine erfreuliche Entwicklung festzustellen. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch hier einsehen, daß die Besserung möglicherweise darauf zurückzuführen ist, daß wir 1994/95 viel Regen im Frühjahr hatten und 1996 der Sommer kühl und kalt war. Dies darf nicht dazu führen, daß wir in dem Bestreben nachlassen, unseren Wald wieder fit zu machen. Das heißt, die Maßnahmen der Luftreinhaltung müssen fortgeführt werden. Auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Energie und Rohstoffen ist unverzichtbar.
Meine Damen und Herren, das Ausmaß des Waldsterbens ist regional sehr unterschiedlich. Einen Schwerpunkt der Diskussion bilden unter den alten Bundesländern sicherlich die süddeutschen Länder. Dort ist der Anteil der geschädigten Bäume nur wenig zurückgegangen. In den norddeutschen Ländern, wo der Anteil an geschädigten Bäumen relativ gering war, stellen wir einen Stillstand des Rückpan, ges fest und müssen zur Kenntnis nehmen, daß in
Wilhelm Dietzel
Schleswig-Holstein sogar eine deutliche Zunahme von 20 auf 27 Prozent zu verzeichnen ist.
In den neuen Bundesländern ist die Entwicklung günstig: Der Anteil der geschädigten Bäume sank von ursprünglich 38 Prozent im Jahre 1991 auf derzeit 16 Prozent. Wir können feststellen, daß diese Entwicklung parallel zum Rückgang der dortigen Emissionen verläuft und damit auch parallel zum Abbau der Schwerindustrie.
Ich muß auch darauf hinweisen, daß die Entwicklung hinsichtlich der Baumarten unterschiedlich ist. Während wir bei Fichten und bei Kiefern die niedrigsten Werte der letzten fünf Jahre feststellen konnten, ist bei den Buchen keine Besserung eingetreten. Auch die Werte für die deutsche Eiche haben sich in erheblichem Maß verschlechtert.
Deshalb die Forderung an die Politik, daß Luftreinhaltung nicht nur in Deutschland, sondern im Zusammenwirken mit allen europäischen Ländern betrieben werden muß; denn diese Luftreinhaltung geht sicherlich alle Menschen an, die sich mit dem Problem Wald in Europa beschäftigen.
Ich denke, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland auch große Erfolge bei der Luftreinhaltung haben. Von 1989 bis 1994 sanken die Emissionen von Schwefeldioxid um 52 Prozent, von Stickstoffoxid und Ammoniak um 24 Prozent. Ich denke, daß dies zumindest in dem Bereich eine gute Entwicklung ist. Es reicht aber nicht aus, und wir müssen uns Gedanken darüber machen müssen, wie das weiterentwikkelt werden kann.
Die Verkehrspolitik der Bundesregierung hat sicher einen guten Beitrag dazu geleistet, die verkehrsbedingten Emissionen zu verringern. Ich darf einige Punkte aufführen. Eingeführt wurden der Katalysator, die steuerliche Förderung schadstoffarmer Pkw von 1985 bis 1992, strenge Abgasnormen für neu zugelassene Pkw seit 1993, Ozongesetz seit Juli 1995, seit Oktober 1996 EU-weit schwefelarmer Dieselkraftstoff. Der Bund zahlt beim öffentlichen Personennahverkehr der Kommunen zu. Moderne Verkehrsleitsysteme sollen dazu dienen, den Verkehr zu verringern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen Punkt aus den Anträgen der Grünen und der SPD herausnehmen. Ich bin von Beruf Bauer. Daher liegt mir die Diskussion über die Landwirtschaft natürlich nahe. Als Ziel wird genannt, daß die Umstellung auf alternativen Landbau den deutschen Wald möglicherweise retten könnte. Lassen Sie mich einige Anmerkungen dazu machen.
Wenn es stimmt, daß die Ammoniakemission aus der Landwirtschaft zu 88 Prozent aus der Tierhaltung kommt, dann ist es meiner Meinung nach völlig gleich, ob das Ammoniak aus einer extensiven oder aus einer intensiven Tierhaltung kommt.
Das möchte ich Ihnen gleich noch an einigen Beispielen zeigen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat eine Düngeverordnung erlassen. Man kann ihr in dem einen oder anderen Punkt sicher kritisch gegenüberstehen. Aber es wurde erreicht, daß Mißbrauch in diesen Bereichen ausgeschlossen wird und daß auch bei der Tierhaltung eine Obergrenze gezogen wird, so daß der Besatz pro Hektar nicht maßlos überzogen werden kann.
Ich glaube auch, daß die Verantwortung der Bauern in erheblichem Maße gestiegen ist. Die Ausbildung ist in erheblichem Maße verändert worden. Ich denke an meine Ausbildung; ich habe 1973 die Meisterprüfung bestanden. Dort galt: Viel hilft viel. Heute wird im Bereich integrierter Pflanzenbau ausgebildet. Die Ansichten dazu sind ganz anders.
Eine neue Agrarpolitik innerhalb der Europäischen Union hat dazu geführt, daß hier in erheblichem Maße Zurückhaltung geübt wurde. Der Einsatz von Stickstoff in der Landwirtschaft ging um 28 Prozent zurück, nämlich von 2,2 Millionen auf 1,6 Millionen Tonnen. Die eingesetzte Menge an Wirkstoffen beim Pflanzenschutz ging von 63 000 Tonnen auf 25 000 Tonnen pro Jahr zurück. Das ist ein Minus von 60 Prozent.
Dann noch ein Wort zum Ammoniak, das in der Diskussion natürlich eine besondere Rolle spielt. Im Osten mußten wir zugegebenermaßen feststellen, daß im Bereich einer Großmastanlage mit 175 000 Mastplätzen in bis zu 4 Kilometern Entfernung Schäden in den Wäldern vorhanden waren. Auf der anderen Seite haben wir in den alten Bundesländern in Vechta und Cloppenburg zwar die höchste Viehstärke und mit 20 bis 60 Kilogramm je Hektar auch die größte Ammoniakemission, allerdings mit 3 Prozent die geringsten Waldschäden. Auch dies sollten wir in der Diskussion nicht außen vor lassen.
In unserer Entschließung fordern wir die Bundesregierung auf, das Aktionsprogramm fortzuführen, die konsequente Politik der Luftreinhaltung weiterzuführen und dabei flankierende forstliche Maßnahmen - wie Kalkung und Magnesiumdüngung - in Zukunft nicht auszulassen. Wir müssen im Rahmen der Forschung allerdings versuchen, das Zusammenwirken der Einzelursachen zu ergründen.
Was wir brauchen, ist ein Bündnis für den Wald. Wir müssen auch fordern, daß der Naturschützer den Nutzer akzeptiert. Auf der anderen Seite dürfen Forstleute eine Ausweisung von Schutzgebieten nicht als Verlust ihres beruflichen Selbstverständnisses begreifen. Kampfansagen an den jeweils Andersdenkenden müssen unterbleiben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.