Rede von
Manfred
Kanther
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird hier über einen besonders unerfreulichen Mißbrauchsfall unseres Ausländerrechts diskutiert. Vor zwei Jahren gab es 200 unbegleitete minderjährige Einreisende aus vier Ländern, die kein Visum brauchten, vor einem Jahr waren es gut 800, und im Jahr 1996 waren es über 2 000 Minderjährige, also zehnmal soviel wie vor zwei Jahren.
Diese Kinder landen in Jugendhilfeeinrichtungen; sie kosten pro Monat zwischen 5 000 und 7 500 DM Unterhalt. Das sind im Jahr zwischen 120 und 180 Millionen DM - in einer Zeit, in der wir in so vielfältiger Weise auf das Geld achten müssen. Dieser Betrag ist aufzubringen, weil Schlepper unbegleitete Minderjährige, die in Deutschland in Sozialhilfeeinrichtungen landen, in unser Land schleppen. Sie bringen nicht etwa Kinder, die hier ihre Eltern haben, über die Grenze. Deshalb hat das Thema, verehrte Frau Schmalz-Jacobsen, mit Staatsbürgerschaft nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Es geht nicht um die Kinder, die ihre Eltern in Deutschland haben, die hier in die Schule gegangen sind und in der Türkei in Urlaub waren und wiederkommen - auch wenn es von Ihnen, Herr Özdemir, stets so vorgetragen wird, geht es nicht um diese Kinder -, sondern es geht um diejenigen, die hier niemanden haben, die keine Ausbildung hier absolviert haben, die hier nie eine Schule besucht haben, die keine Sprachkenntnisse haben und keine Familie. Kurz: Es geht um diejenigen Kinder, die zuallererst in der Absicht eingeschleppt werden, anschließend die Familie nachholen zu können. Das geschieht vor dem Hintergrund betrügerischer Vorspiegelungen der Schlepper im Herkunftsland, die den Menschen, die viele tausend Mark oder Dollar dafür bezahlen, das so erklären.
Das ist unerträglich - nicht nur wegen des nicht hinnehmbaren Umgangs mit dem deutschen Recht, sondern auch um der Kinder willen, die das trifft. Es mag sein, daß es schwer begreiflich ist, warum Eltern so verfahren. Aber wenn sie in fernen Ländern so betrogen werden, mag es auch wieder erklärlich sein. Diese Kinder haben hier kaum eine Zukunft. Es muß folglich alles dafür getan werden, daß dieser Mißbrauchstatbestand nicht fortdauert.
Bundesminister Manfred Kanther
Die Methode ist abgefeimt, sie wechselt auf den Schauplätzen.
Auf einmal gibt es in Hannover fast so viele einreisende minderjährige Kinder wie in Frankfurt; in Münster, wo normalerweise die Asylproblematik keine Rolle spielt, gibt es auf einmal 200 einreisende Kinder, bandenmäßig geordnet. Das ist der Tatbestand! Ich werde jederzeit wieder jeden dieser Mißbrauchstatbestände unnachsichtig verfolgen.
Das hat gar nichts mit der Frage zu tun, was mit Kindern geschieht, die hierzulande Rechtens leben. Wie sollte denn bitte ein Kind, das in die Türkei ausgereist ist und zum Beispiel nach dem Ende der Ferien zurückkommen will, wieder anders nach Deutschland einreisen, als daß es an der Grenze eine Aufenthaltsberechtigung vorzeigt? Visumspflicht auf der einen Seite bejahen und es sich auf der anderen Seite so einfach machen wie Sie, Frau Sonntag-Wolgast, indem Sie fordern, daß keine Aufenthaltsberechtigung nachgewiesen werden muß, führt dazu, daß das ganze Verfahren absurd wird.
Mit Ihren ständigen Vorschlägen zur Einwanderung und Staatsbürgerschaft hat dies nichts zu tun.
Das Kind, das hier lebt, in der Türkei seine Ferien verbringt und mit seinen Eltern oder allein zurückkehrt, kann jederzeit - solange die Eltern in Deutschland ein Aufenthaltsrecht haben - zurückkehren und mit seiner eigenen Aufenthaltsberechtigung, die es nun erwerben muß, den Grenzübertritt ohne Mühe vornehmen.
Was soll an diesem Verfahren falsch sein? Der junge Rumäne hat schon immer ein Visum gebraucht, wenn er mit 10, 12 oder 14 Jahren nach Deutschland einreisen will. Auf der anderen Seite braucht aber der ein paar Kilometer entfernt wohnende Serbe bis jetzt kein Visum. Was kann man unter Menschenrechtsgesichtspunkten an Einwänden erheben, wenn jetzt eine Angleichung erfolgt?
Das Beantragen von Visa, das jetzt in der Türkei auf den Konsulaten erfolgen muß, ist in drei-, vier- oder fünfmal so großen Ländern wie Indien selbstverständlich. Das Kind, das aus Indien nach Deutschland kommen will, muß ein Visum beantragen. Was ist daran besonderes? In was für einer Welt leben eigentlich die Apologeten Ihrer Thesen, Herr Özdemir, die fast immer im Stil der Hetze vorgetragen werden?
In welcher Welt leben die eigentlich? In Deutschland
gilt - mit einigen Ordnungsprinzipien - die liberalste
Ausländerrechtsordnung der Welt. Diese Ordnungsprinzipien sind unvermeidlich, wenn der Mißbrauch so groß ist.
- Was ist das für eine Bemerkung? Sie haben doch eben die Menschenwürde verteidigt, und jetzt machen Sie eine solche Bemerkung. Ich habe keine Lust, mich damit zu beschäftigen.
Also, die Kinder können wieder einreisen, wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland haben. Sie können ohnehin einreisen, wenn die Eltern ein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben. Ich lege großen Wert darauf, zu betonen, daß alles, was Sie hier vortragen - besonders Herr Özdemir; er weiß das auch -, nichts mit den Problemen der Integration von Ausländern zu tun hat, sondern mit dem Hereinschleppen von Kindern, die in Deutschland niemanden kennen und deshalb in Sozialhilfeeinrichtungen landen. Das Kind, das seine Eltern in Deutschland hat, landet nicht in der Sozialhilfeeinrichtung und kostet deshalb auch nicht 5 000 DM im Monat.
Alles das, was Sie behaupten, hat mit dem Problem, das wir jetzt lösen, nichts zu tun.
Selbstverständlich haben wir Übergangsvorschriften - auch für den Bundesgrenzschutz - erlassen; selbstverständlich bedarf die Verordnung im Laufe der nächsten drei Monate der Zustimmung des Bundesrates; selbstverständlich haben wir bei der gerade zu Ende gegangenen Ausländerreferentenkonferenz in Schwerin das einfachstmögliche Handling - zum Beispiel das Verfahren der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen durch die Ausländerbehörden der Länder - bereits besprochen; das alles, um den Kindern, die ein Aufenthaltsrecht bereits haben, bestmögliche Bedingungen für die Erlangung der Aufenthaltsgenehmigung zu schaffen.
Aber es bleibt dabei: Auch in Zukunft wird die Bundesregierung in Fällen, in denen der Mißbrauch so offenkundig ist, alle Mühe darauf verwenden, den Mißbrauch abzustellen. Mir ist völlig unbegreiflich, wie sich jemand, der das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern friedlich und zukunftsfähig gestalten will und die Integration für eine der zentralen Aufgaben unserer Gesellschaftspolitik hält, gegen die Abstellung von offenkundigem und überwiegend kriminellem Mißbrauch wehren kann. Das ist mir völlig unerklärlich!
Aus diesem Grunde sage ich Ihnen: Es gibt Anlaß, die ständig wechselnden Szenen, in denen dieser Mißbrauch stattfindet, sehr genau zu beobachten. Der Er-
Bundesminister Manfred Kanther
findungsreichtum der Schlepper ist unermeßlich. Die Tatsache, daß das Phänomen im wesentlichen erst begonnen hat, als das Gespräch über die Schengener Vollzugsregelungen vor anderthalb Jahren angefangen hat, und daß nun die Flughäfen mit hundertfachem Kinderimport - so muß man es ja nennen - abgetastet werden, zeigt, daß man diese Szene nicht einfach gewähren lassen kann, sondern daß man ihr mit der Eilverordnung zu Leibe rücken muß. Andernfalls, bei langfristigen Ankündigungen und dem üblichen politischen Gezerre, das es um so etwas gibt, würde der Zustrom nur größer werden. Das ist der Grund, weshalb der Bundesinnenminister von der Möglichkeit der Sofortverordnung Gebrauch gemacht hat. Wenn sich ein ähnlicher Fall ergäbe, würde er wieder so handeln.