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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/146 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 146. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1996 Inhalt: Tagesordnungspunkt 12: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafverfahrensänderungsgesetzes - DNA-Analyse („genetischer Fingerabdruck") (Drucksache 13/667) 13223 A - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafverfahrensänderungsgesetzes - Genetischer Fingerabdruck (Drucksachen 13/3116, 13/6420) 13223 B Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 13223 C Ronald Pofalla CDU/CSU 13225 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13227 A Jörg van Essen F.D.P. 13228 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 13229 A Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 13229 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Ernst Schwanhold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Welthandelsorganisation (WTO) und ihre Rolle zur Weiterentwicklung des internationalen Handels und Wettbewerbs sowie zur Vereinbarung sozialer und ökologischer Mindeststandards (Drucksache 13/6115) . 13230 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Schmitt (Langenfeld), Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verankerung sozialer und ökologischer Mindeststandards im internationalen Handel und Reformperspektiven der Welthandelsorganisation (WTO) (Drucksache 13/6385) 13230 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, Gunnar Uldall und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff, Paul K. Friedhoff und der Fraktion der F.D.P.: Stärkung der Welthandelsorganisation (WTO) durch das WTO-Ministertreffen in Singapur vom 9. bis 13. Dezember 1996 (Drucksache 13/6387) 13231 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 13231 A Friedhelm Ost CDU/CSU 13233 A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 13234 B, 13239 D Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 13234 D Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13236 D Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . . . 13238 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 13239 B Dr. Willibald Jacob PDS 13241 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 13242 B Tagesordnungspunkt 15: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit (Drucksache 13/5226) 13244 D Nächste Sitzung 13245 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 13247* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Antrag: Die Welthandelsorganisation [WTO] und ihre Rolle zur Weiterentwicklung des internationalen Handels und Wettbewerbs sowie zur Vereinbarung sozialer und ökologischer Mindeststandards) und zu den Anträgen in den Zusatzpunkten 8 und 9 Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 13247* D Erich G. Fritz CDU/CSU 13250* A Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 13252* B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit) Josef Hollerith CDU/CSU 13254* B Gabriele Iwersen SPD 13255* A Lisa Peters F.D.P. 13257* B Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 13258' B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13259* A Klaus-Jürgen Warnick PDS 13260* A Joachim Günther, Parl. Staatssekretär BMBau 13260* D Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 13262* B 146. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 6. 12.96 * * Bahr, Ernst SPD 6. 12. 96 Beck (Bremen), BÜNDNIS 6. 12. 96 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Blunck, Lilo SPD 6. 12. 96 * Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 6. 12. 96 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 6. 12. 96 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 6. 12. 96 Conradi, Peter SPD 6. 12. 96 Formanski, Norbert SPD 6. 12. 96 Francke (Hamburg), CDU/CSU 6. 12. 96 Klaus Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 6. 12. 96 Großmann, Achim SPD 6. 12. 96 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 6. 12. 96 Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 6. 12. 96 Ibrügger, Lothar SPD 6. 12. 96 Jelpke, Ulla PDS 6. 12. 96 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 6. 12. 96 Kampeter, Steffen CDU/CSU 6. 12. 96 Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 6. 12. 96 Dr. Klaußner, Bernd CDU/CSU 6. 12. 96 Köhne, Rolf PDS 6. 12. 96 Kraus, Rudolf CDU/CSU 6. 12. 96 Kunick, Konrad SPD 6. 12. 96 Lummer, Heinrich CDU/CSU 6. 12. 96 * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 6. 12. 96 * * Erich Mattischeck, Heide SPD 6. 12. 96 Michels, Meinolf CDU/CSU 6. 12. 96 Nickels, Christa BÜNDNIS 6. 12. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Rochlitz, Jürgen BÜNDNIS 6. 12. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 6. 12. 96 Schaich-Walch, Gudrun SPD 6. 12. 96 Schönberger, Ursula BÜNDNIS 6. 12. 96 90/DIE GRÜNEN Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schulte (Hameln), SPD 6. 12. 96 Brigitte Schumann, Ilse SPD 6. 12. 96 Terborg, Margitta SPD 6. 12. 96 Thiele, Carl-Ludwig F. D .P. 6. 12. 96 Thieser, Dietmar SPD 6. 12. 96 Tröger, Gottfried CDU/CSU 6. 12. 96 Vosen, Josef SPD 6. 12. 96 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 6. 12. 96 Wallow, Hans SPD 6. 12. 96 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 6. 12. 96 Welt, Jochen SPD 6. 12. 96 Wieczorek (Duisburg), SPD 6. 12. 96 Helmut Wieczorek-Zeul, SPD 6.12.96 Heidemarie Wissmann, Matthias CDU/CSU 6. 12. 96 Wohlleben, Verena SPD 6. 12. 96 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 6. 12. 96 Zapf, Uta SPD 6. 12. 96 Zierer, Benno CDU/CSU 6. 12. 96 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Antrag: Die Welthandelsorganisation [WTO] und ihre Rolle zur Weiterentwicklung des internationalen Handels und Wettbewerbs sowie zur Vereinbarung sozialer und ökologischer Mindeststandards) und zu den Anträgen in den Zusatzpunkten 8 und 9 Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Globalisierung und die Ausweitung des Welthandels werden von immer mehr Menschen und Unternehmen nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern auch in den USA als Bedrohung und nicht mehr als Chance für die Mehrung des Wohlstands der Völker und der breiten Masse der Menschen empfunden. Einer der wesentlichen Gründe dafür ist die rasante Zunahme des Welthandels und der Widerspruch zwischen der Theorie, was er bringen sollte und was es konkret für die Welt bzw. einzelne Weltregionen gebracht hat. In der Präambel zum WTO-Abkommen ist das Ziel noch klar beschrieben: „Die Beziehungen auf dem Feld von Handel und wirtschaftlichem Erfolg sollten gestaltet werden mit Blick auf die Steigerung des Lebensstandards, der Sicherung von Vollbeschäftigung, einem großen und stetig wachsenden Realeinkommen und effektiver Nachfrage sowie der Expansion der Produktion von Gütern und Diensten." Die Realität nimmt sich gegenüber der so hehr beschriebenen Präambel freilich anders aus: Der Handel der multinationalen Unternehmen und deren weltweiten Direktinvestitionen erlebt einen Boom, immer mehr freie Exportzonen werden eingerichtet, die Profite und die Gehälter der Spitzenmanager erreichen Rekordhöhen, aber die Kluft von arm und reich zwischen den Ländern und in den einzelnen Ländern wird immer größer. Ein Drittel der Weltbevölkerung kann keine reguläre Beschäftigung finden - die einzige Arbeit, die rapide zunimmt, ist Kinderarbeit. Nach Schätzungen der IAO arbeiten weltweit 250 Millionen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren, 120 Millionen davon ganztägig. Zwangsarbeit und Sklaverei gehören immer noch nicht der Vergangenheit an, die Diskriminierung nach Geschlecht und Rasse ist weit verbreitet, das Recht von Gewerkschaften, ihre Meinung zu vertreten und sich ungehindert zu organisieren, gerät zunehmend unter Beschuß. Kein Wunder, daß das „westliche" marktwirtschaftliche System und die demokratischen politischen Institutionen, die für die - für Wachstum, Handel und Entwicklung unbedingt erforderliche - politische Stabilität unerläßlich sind, durch zunehmende soziale Ungerechtigkeit gefährdet werden. In der öffentlichen Meinung in Deutschland - zum Teil auch in den USA - hat sich zudem im Gefolge der derzeit wirtschaftspolitisch dominanten Angebotsökonomie eine vulgärökonomische Argumentation ausgebreitet, die das Klima innerhalb der Staaten und zwischen den Nationen zu vergiften droht: In den USA läuft sie unter dem Stichwort Competitiveness und in Deutschland wird sie unter dem Schlagwort Standortpolitik propagiert. Es wird die These verbreitet, Nationen stünden gegeneinander im Wettbewerb wie Unternehmen. Grob verkürzt werden die internationalen Handelsbeziehungen so dargestellt, als ob der eine (Staat) verliere, was der andere (Staat) gewinne. In der Schlußfolgerung für die Organisation von Wirtschaft und Sozialstaat werden auf der nationalen Ebene Globalisierung und internationaler Wettbewerb zum überwältigenden Sachzwang hochstilisiert, dem sich vor allem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren angeblich zu hohen Ansprüchen an das Sozialprodukt zu beugen hätten. Wer so argumentiert, muß sich nicht wundern, daß immer breitere Schichten der Bevölkerung Mißtrauen, Abwehr, ja Haß gegen jede weitere „Internationalisierung", aber auch „Europäisierung" entwickeln. Mit solchen Argumenten, die als allfällige Zuchtrute für die Arbeitnehmer in Tarifauseinandersetzungen und als Vorwand für die Umverteilung von unten nach oben in öffentlichen Haushalten und Sozialbudgets genutzt werden, wird ein Rechtspopulismus gezüchtet, der bereits sehr sichtbare Früchte in Frankreich und Österreich zeitigt. Dabei weiß jeder Ökonom, der sich ernsthaft mit internationalem Handel befaßt hat, daß diese Darstellung des internationalen Handels blanker Unsinn ist und daß sich internationale Wirtschaftsbeziehungen auch anders - nämlich zum Vorteil fast aller - organisieren lassen: Nur, von allein, dem freien Spiel des Weltmarktes und der Kapitalbeziehungen überlassen, kommt das nicht. Die Marktwirtschaft, der Wettbewerb, das wußten Müller-Armack und Eucken - die Lehrmeister von Ludwig Erhard - recht genau, braucht feste Regeln, sonst hebt sie sich selbst auf. Das gilt national wie international. Eine Erfahrung, die wir ja auch vom Sport kennen: Ohne feste Regeln, ohne Ringrichter und Sanktionen gäbe es keinen Boxsport, sondern Prügelei und manchen Totschlag. Dasselbe gilt auch beim internationalen Handel: denn die Gewinne sind so groß und so verlockend, der Preis, der gezahlt werden muß, hoch - häufig die eigene Existenz -, daß man schon an den Weihnachtsmann glauben muß, wenn man meint, ohne Regeln, ohne gelbe und rote Karten für grobe Verstöße, Diebstahl geistigen Eigentums und offenen Betrug, gehe es beim internationalen Handel ab. Die Lage unserer Textil- und Bekleidungsindustrie zeigt das deutlich: Die kleinen Unternehmen können sich keine teuren internationalen Rechtsstreite leisten - da kommt selbst VW in Probleme! Und deswegen fordern nicht nur wir Sozialdemokraten verbindliche Regeln nicht nur zur Erweiterung des Warenaustausches und der Senkung von Zöllen und Handelshemmnissen, sondern auch für die sogenannten neuen Gebiete. Von ihnen greife ich drei heraus, weil sie in der vor uns stehenden Singapur-Konferenz besonders umkämpft bzw. in der Umsetzung in der WTO umstritten sind: Erstens. Die Entwicklung und Umsetzung von Instrumenten zur Sicherung eines freien und fairen Wettbewerbs, das heißt wettbewerbspolitische Mindestnormen. Zweitens. Die Entwicklung und Durchsetzung von ökologischen Mindeststandards im Welthandel und drittens die Durchsetzung von elementaren sozialen Mindeststandards, wie sie in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verabredet wurden. Beim ersten Punkt - der Entwicklung und Umsetzung von Instrumenten eines freien und fairen Wettbewerbs - sind sich anscheinend alle Parteien im Bundestag einig. Dies ist auch dringend erforderlich, denn hier droht uns - wie auch das EU-Parlament festgestellt hat - eine marktbeherrschende Stellung der 100 großen transnationalen Unternehmen, die durch ihre wirtschaftliche Machtposition zunehmend Staaten als Standortkonkurrenten ausspielen und „insofern Handels- und Investitionsentscheidungen ohne Rücksicht auf Beschäftigung, Sozialstaatskonzeptionen und Umwelt durchsetzen können" und damit die Idee des freien und fairen Welthandels und die Zielsetzung von GATT und WTO in ihr Gegenteil verkehren. Es ist deswegen notwendig, eine Arbeitsgruppe „Handel und Wettbewerb" zu etablieren, um in das zu beschließende Arbeitsprogramm der WTO internationale Regelungen für die Wettbewerbspolitik aufzunehmen. Dabei fordern wir wettbewerbspolitische Mindestnormen für unternehmerisches Handeln. Wichtig ist u. a. das Unterbinden von Preis- und Gebietskartellen, die Kontrolle über grenzüberschreitende Fusionen sowie ein Kodex für staatliche Beihilfen und steuerliche Regelungen. Gut ist, wenn in Singapur ein erster Schritt in diese Richtung unternommen wird, unbefriedigend bleibt die bisher geplante Unverbindlichkeit der Arbeitsgruppe und die eher zurückhaltende Position der USA. Wenn wir uns auf diesem Gebiet nicht beeilen, darf die WTO auf der nächsten Konferenz die Sieger im weltweiten Monopoly - zum Beispiel bei Rohstoffen und Bodenschätzen - feststellen und als internationaler Notar die Welthandelsstatistik beglaubigen. Hier müßten Deutschland und die EU sehr deutlich werden, aber da halten Sie, Herr Minister, ihr ordoliberales Gebetbuch eingepackt! Warum eigentlich? Auch beim zweiten Punkt, der Entwicklung und Umsetzung ökologischer Mindeststandards wäre mehr Biß, vor allem bei der Umsetzung, angesagt. Der in Marrakesh errichtete WTO-Ausschuß „Handel und Umwelt" hat begonnen, intensiv zu arbeiten. Leider ist es ihm nicht gelungen, in allen 10 Bereichen zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Deswegen muß die WTO-Ministerkonferenz den Verhandlungsführern klare Vorgaben machen, damit sie sobald wie möglich zu konkreten Ergebnissen kommen. Das bedeutet nicht, daß wir hier einheitliche Umweltschutzregime für die ganze Welt verlangen. Aber daß die Preise für Waren und Dienstleistungen, die damit verbundenen Umweltkosten nicht nur beim Energieverbrauch voll und ganz reflektieren müssen, sollte eine für alle Seiten dieses Hauses selbstverständliche Mindestforderung sein. Anderenfalls wird Marktwirtschaft noch stärker zu Lasten der Umwelt pervertiert und zu einem Verbrechen an künftigen Generationen. Deswegen ist ein konkretes Paket von TREMS (handelsbezogenen Umweltmaßnahmen) überfällig, will man es nicht bei Schaumschlägerei belassen. Wichtigster Punkt ist aber ohne Zweifel die Durchsetzung von elementaren sozialen Mindeststandards, wie sie in der IAO-Konvention niedergelegt sind. Und da sind wir im Parlament leider meilenweit voneinander entfernt. CDU-Bundesminister, wie Norbert Blüm und Claudia Nolte, und CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber setzen sich öffentlich und publikumswirksam für weltweite soziale Mindestnormen im Welthandel ein, wie das Verbot von Kinderarbeit, vor allem der industriell organisierten Zwangsarbeit von Kindern. Aber dann verlangt der Antrag der Koalitionsfraktionen von der Bundesregierung gerade, sie möge sich dafür einsetzen, daß in der Ministererklärung ein Satz aufgenommen wird, der die WTO- Länder darauf hinweist, daß sie als Vertragsstaaten des Abkommens der Internationalen Arbeitsorganisation verpflichtet sind, bestimmte Mindestanforderungen einzuhalten. Und Herr Minister Rexrodt tut so, als sei er natürlich für die Umsetzung von sozialen Mindestnormen, aber leider sei ihre Umsetzung unrealistisch, weil andere Länder nicht auf ihre komparativen Vorteile verzichten wollten. Ich möchte dazu drei Dinge bemerken: Erstens. Es ist dringend notwendig, eine Weltsozialpolitik zu beginnen, in einer Welt, in der Big Business das Primat über die Politik gewonnen hat und ökonomische Interessen soziale Interessen dominieren. Gelingt das nicht, wird sich das soziale Elend Luft in sozialrevolutionären, fundamentalistischen oder rechtspopulistischen bis faschistischen Bewegungen machen. Das dann entstehende Chaos kann - wie in den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts -zu sehen - katastrophal für die Weltwirtschaft und den Weltfrieden werden. Die OECD-Länder werden dann keine Inseln der Seeligen bleiben, wenn sich die Arbeitslosenheere in Gang setzen. Die Bundesregierung hat mit aller Macht gemeinsam mit Großbritannien im EU-Ministerrat gegen eine wirksame Einbeziehung von sozialen Mindestnormen in das WTO-Mandat der EU gekämpft. 12 EU-Staaten waren laut Protokollanhang zum Ministerrat dafür. Mittlerweile hat die Bundesregierung sogar die Kompromißlinie der EU verlassen, die wenigstens eine Arbeitsgruppe „Handel und Menschenrechte" im Rahmen der WTO etablieren wollte. Zweitens. Auch die USA haben energisch eine Einbeziehung von sozialen Mindeststandards in die WTO verlangt. Erzählen Sie also nicht, unsere Forderungen nach sozialen Mindestnormen, wie sie im IAO-Abkommen niedergelegt sind, seien unrealistisch! Sie wollen sie doch unter keinen Umständen, weil sie Globalisierung als Zuchtrute für Verschlechterung von Sozialstandards im eigenen Land brauchen! Drittens. Das Argument schließlich, man wollte den ärmeren Ländern aus protektionistischen Gründen unsere Sozialstandards aufzwingen, ist falsch und erfolgt, Herr Rexrodt, wider besseres Wissen. Niemand hat so etwas verlangt, weder eine Regierung, noch eine europäische Gewerkschaft, noch gar die deutsche Sozialdemokratie. Uns geht es schlicht damm, daß industriell organisierte Zwangsarbeit von Kindern, unbezahlte Zwangsarbeit in Exportindustrien, die über Staatshandelsfirmen vermarktet werden, die Diskriminierung bei Löhnen, die Einschüchterung und Bedrohung von Gewerkschaftern durch Polizei und Militär verhindert, gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit und der Abschluß von Tarifverträgen praktisch möglich werden. Wenn sich die Oligarchien und Militärdiktatoren dagegen wehren, weil sie um ihre Machtpositionen und Ausbeutungsgewinne fürchten, ist das nachvollziehbar, wenn auch widerwärtig. Aber warum eine Bundesregierung und die EU nicht die Interessen unserer kleinen und mittleren Unternehmen gegen Ökodumping und übelstes Sozialdumping wahren, ist mir unverständlich. Das Argument, das gehe nicht, weil einige andere Länder sich nicht daran hielten, kennen wir nicht nur von heute, sondern auch aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts: Damals waren Sklaverei, Sklavenhandel und Kinderarbeit noch weit verbreitet, und trotzdem ist durch zähen Kampf in den Ländern, durch das Verdienst der Arbeiterbewegung in den USA und in Europa und durch die Koalition der europäischen Regierungen gegen den Handel der Sklavenhalterländer und die Achtung des Sklavenhandels ein Durchbruch gelungen. Wir meinen, was im 19. Jahrhundert möglich war, ist am Ende des 20. Jahrhunderts auch möglich - wenn denn die deutsche Bundesregierung bereit wäre, mit anderen, zum Beispiel der großen Mehrheit der EU und den USA, dafür zu kämpfen. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Der Abschluß der Uruguay-Runde war die Geburtsstunde einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Von diesem Ausgangspunkt aus muß das Welthandelssystem nun Schritt für Schritt ausgebaut werden. Die WTO-Konferenz in Singapur ist ein Arbeitsschritt dazu. Das erfreulichste Fazit der letzten zwei Jahre ist, daß die Anerkennung der WTO international zunimmt. Große Handelsnationen wie Entwicklungsländer haben die Vorteile des multilateralen Systems erkannt. Dies zeigt sich besonders an der großen Akzeptanz des Streitschlichtungsverfahrens und der Bereitschaft, nicht jedes Verfahren bis zum Entscheid kommen zu lassen, sondern durch Konsultationen zu Kompromissen zu finden. Die Rede vom Kollegen Hauchler zeigt, daß die SPD überhaupt nicht verfolgt hat, wie die Vorbereitung über ein Jahr betrieben worden ist. In letzter Minute Anträge vorzulegen offenbart, daß sie den Charakter multilateraler Verhandlungen nicht verstanden haben. Deutschland ist in Singapur ein Land von 125! Manche vermitteln - auch durch Anträge im Bundestag - öffentlich den Eindruck, man könne alle im Zusammenhang mit dem liberalisierten Welthandel auftretenden Probleme in einem einmaligen Kraftakt lösen. In Wirklichkeit sind die Voraussetzungen zur gleichberechtigten Teilnahme an der Weltmarktwirtschaft höchst unterschiedlich. Obendrein wollen wir die Weltmarktwirtschaft nach unserer Vorstellung auch nicht auf Dauer ohne soziale und ökologische Prägung und entsprechende Rahmenbedingungen lassen. Zwischen USA und Taiwan, Burkina Faso und China gibt es da aber das eine oder andere Problem. Die Länder der Triade haben wirksame Formen regionaler, wirtschaftlicher Kooperation und politischer Integration entwickelt. Dagegen stehen wenig entwickelte Gebiete der Erde ohne solche Möglichkeiten da oder beginnen gerade erst, sich regionale, kooperative wirtschaftliche Strukturen aufzubauen und damit einen Schritt zur Integration in die Weltwirtschaft zu tun. Der Ausbau des WTO-Prozesses kann eine Chance für diese Länder sein. Wir dürfen aber nicht so tun, als ob die Maßstäbe der Industrieländer die einzige Richtschnur für Veränderungen sein könnten. Ein multilateraler Prozeß verlangt gründliche Überzeugungsarbeit, gegenseitiges Lernen, schrittweise Fortschritte und allmähliche Veränderungen sowie Anpassungsfristen und Übergangszeiten. Anpassungsleistungen verlangt dieser Prozeß auch nicht nur von den Ländern, die eine geringere wirtschaftliche Entwicklung aufweisen. Es ist eine Illusion, nur die anderen müßten sich ändern! Deshalb sind Geduld und Beharrlichkeit nötig, um Fortschritte zu erreichen. Auch das vereinte Europa ist nicht in einem Jahr gebaut worden und dieses Europa darf vor allem auch in schwierigen Zeiten nicht der Versuchung unterliegen, sich abzuschotten. Die WTO kann auch kein Erfolg werden, wenn der Eindruck entstünde, das Ganze sei eine Veranstaltung eines Kartells der Triade gegen den Rest der Welt. In der WTO hat jedes Land eine Stimme. Und so gleichwertig die Stimmen sind, so gleich wichtig müssen die Partner in diesem Prozeß genommen werden. Deshalb verbietet es sich von selbst, an den Fortgang der WTO-Verhandlungen jeweils mit Maximalforderungen heranzutreten. Nun hat die SPD vor etwa zwei Monaten eine Konferenz zu Fragen der Globalisierung und des internationalen Wettbewerbs gemacht, und dabei ist der SPD-Vorsitzende auf die grandiose Idee gekommen, alle mit der Globalisierung zusammenhängenden Probleme könne man ja dadurch lösen, daß die Staaten im globalen Wettbewerb „den Weg der Kooperation anstatt der Konfrontation suchen", nach dem Motto: Vereinbaren wir doch alle, daß wir uns keine Konkurrenz machen! Nachdem mit dem Schlagwort „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch" keine Politik mehr zu machen ist, heißt das Motto jetzt also offensichtlich: „Unternehmer aller Länder, vereinigt Euch". In welcher Welt lebt der SPD-Vorsitzende eigentlich? Natürlich wollte er nur eine griffige Formel finden, um die Angst vieler Bürger, die sich mit den Vorgängen der Globalisierung verbinden, auszunutzen und Stimmung zu machen. Er hat ja auch aus seiner eigenen Partei eine entsprechende kritische Würdigung erfahren, ganz abgesehen von der Reaktion der Fachöffentlichkeit. Das eigentlich unverständliche an dieser Aussage ist, daß jedermann klar sein muß, daß eine Verständigung der großen Wirtschaftsmächte untereinander zuungunsten des Wettbewerbs alle Lasten eines so geregelten Wirtschaftssystems den Armsten dieser Welt aufladen würde. Da rate ich Herrn Lafontaine doch, einmal die Schriften Willy Brandts zu den Notwendigkeiten eines neuen Weltwirtschaftssystems nachzulesen. Dort wird er für ihn ganz erstaunliche Aussagen zur Marktöffnung für wenig entwickelte Länder finden und damit zu mehr Konkurrenz für die Industrieländer und nicht zu weniger. Wenn Herr Lafontaine an anderer Stelle sagt, es sei notwendig, „das Modell der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft zur Geschäftsgrundlage für eine neue Weltwirtschaftsordnung zu machen", so zäumt er den Gaul von hinten auf. Eine ökologische und soziale Marktwirtschaft muß das Ziel von weltweiten Veränderungen sein, sie kann aber beim gegenwärtigen Zustand der Welt nicht ihr Ausgangspunkt sein. Wenn derselbe Mann dann am 10. Oktober in der Wirtschaftswoche schreibt: „Die Bundesregierung darf die Verabschiedung dieser Sozialcharta auf der WTO-Konferenz im Dezember nicht blockieren", so kann man nur noch feststellen: Der Mann hat ja überhaupt keine Ahnung. Jeder, der es wissen wollte, konnte im Ablauf der Diskussion im Vorfeld der Ministertagung in Singapur seit über einem Jahr wissen, daß der Streit nicht um die Verabschiedung einer Sozialcharta geht, sondern um die Frage, ob Sozialstandards überhaupt Gegenstand der Gespräche innerhalb der WTO sein sollen. Dort wehren sich die Entwicklungsländer nach wir vor mit aller Macht gegen eine Aufnahme dieser Themen in die Tagesordnung der WTO, weil sie nicht zu Unrecht befürchten, daß mancher, der sich so lautstark für die schnelle Einführung von Sozialstandards als verpflichtende Grundlage für die Teilnahme am Welthandel einsetzt, in Wirklichkeit protektionistische Gedanken im Kopf hat. Natürlich gibt es überhaupt keinen Streit darum, daß nicht nur unter handelspolitischen Gesichtspunkten, sondern vor allem unter humanitären eine Anhebung der Sozialstandards in vielen Ländern der Welt unerläßlich ist. Genauso unabweisbar ist aber die Einsicht, daß vor der Verbesserung von Sozialstandards die Einbindung der wenig entwickelten Länder in die Weltwirtschaft ermöglicht werden muß, damit dort Beschäftigung und Wertschöpfung entstehen und die Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, daß höhere Sozialstandards finanzierbar werden. Wer das Welthandelssystem als Vehikel zur Lösung aller möglichen Probleme nutzen will, wird es damit überfordern. Wer sich sogar noch vorstellt, die soziale Situation eines Landes könne Anlaß von Schiedsgerichtsverfahren sein, der würde willkürlicher Blockade der WTO das Wort reden. Ich unterstütze daher ausdrücklich die Position der Bundesregierung, die ich für überaus vernünftig halte. Sie nimmt in dieser Frage eine vermittelnde Position ein, geht Protektionisten nicht auf den Leim, versucht einen pragmatischen Weg in die richtige Richtung zu gehen und trägt dadurch vielleicht mehr zu einem Ergebnis bei, als solche, die Maximalforderungen aufstellen, wie das in den Anträgen von SPD und Grünen der Fall ist. Wenn es auf der WTO-Konferenz in Singapur gelingt, in der Abschlußerklärung eine Passage einzufügen, in der sich die WTO-Mitgliedsstaaten verpflichten, ihre übernommene Verantwortung als Unterzeichnerstaaten der Menschenrechtskonvention und verschiedenster Konventionen der internationalen Arbeitsorganisation wahrzunehmen, dann ist dies ein erster wichtiger Schritt. Auf diese Weise die Autorität der ILO zu stärken ist sinnvoll. Handel und Umwelt ist ein weiteres nach wie vor in der WTO nicht unumstrittenes Thema. Hier ist die Verhandlungslage allerdings übersichtlicher. Es gibt einen ersten Bericht der Arbeitsgruppe Handel und Umwelt, die in Marrakesch eingerichtet wurde. Die Ergebnisse des Zwischenberichts bleiben sicher hinter deutschen Erwartungen zurück, man ist aber immerhin so weit gekommen, daß Mißtrauen reduziert und gemeinsame Auffassung gefördert worden ist. Die Arbeit dieser Arbeitsgruppe wird fortgesetzt werden. Dabei ist man sich über grundlegende Prinzipien einig geworden. Ökologische Aspekte müssen in das WTO-System eingebaut werden, ohne daß Diskriminierung und neue Handelshemmnisse entstehen. Auch bei der Lösung globaler Umweltprobleme gibt es keinen Weg als den des beharrlichen Förderns multilateraler Bestrebungen: Da es auf diesem Feld eine Reihe von multilateralen Umweltabkommen bereits gibt, können sie Anlaß sein, ihre handelspolitischen Implikationen zum Gegenstand weiterer Erörterungen zu machen. Die Europäische Union geht hier mit einer weitgehend einigen Meinung vor und hat einen Schwerpunkt bei der Kennzeichnung gesetzt. Vorrang bei der weiteren Arbeit innerhalb der WTO hat die Umsetzung der Vereinbarung der Uruguay-Runde. Hier hat der Druck, der aus der bevorstehenden Tagung entstanden ist, dazu geführt, daß absehbar ist, wann zu den wichtigen Verhandlungen im Dienstleistungsbereich Abschlüsse zu erwarten sind: Finanzdienstleistungen und Basistelekommunikationsdienste werden im Laufe des nächsten Jahres abgeschlossen, ein nächster Schritt bei den freien Berufen bis Ende 1998. Lediglich die Fragen des Seeverkehrs konnten nicht so weit vorangetrieben werden, daß mit Ergebnissen in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Erfreulich ist die Einigung und der Zeitplan für den Abschluß eines Abkommens über den Zollabbau im Bereich der Informationstechnologie. Dort hat Europa ja ein besonderes Interesse, bei bestimmten Entwicklungen nicht außen vor zu bleiben. Auch das WTO-Arbeitsprogramm für 1998 enthält eine Reihe von Themen, die für die Weiterentwicklung des Welthandelssystems von Bedeutung sind. Deutschland hat sich besonders dafür eingesetzt, daß auch die neuen Themen Handel und Investition und Handel und Wettbewerb Eingang in die Arbeit der WTO finden. Auf beiden Feldern wird noch an Ort und Stelle viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein, damit die entsprechenden Arbeitsgruppen errichtet werden können. Unstreitig ist aber, daß dies zwei Felder sind, die für eine zukünftige globale Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sein werden. Bis zu einer multilateralen Verhandlung und entsprechenden Abkommen sind aber noch viele Hürden zu überwinden. Das hartnäckige Bestreben vieler Länder nicht nur aus dem Kreis der am wenigsten entwickelten Länder, über Investitionen im WTO-Kontext zu sprechen, zeigt übrigens, wie hoch die WTO in ihrer Wirksamkeit eingeschätzt wird. Diese Länder wollen das Thema in der UNCTAD belassen. Im Unterschied zur WTO gibt es dort keine Sanktionsmechanismen, es bleibt alles unverbindlich. Die Bundesregierung ist in der Vorbereitung, auch innerhalb der europäischen Union, ausgesprochen vernünftig vorgegangen. Es gilt ja auch, konstruktiv und sachorientiert für die Durchsetzung des Gedankens zu arbeiten, daß der Welthandel frei sein muß und daß die Rahmenbedingungen dieses Handels in Übereinstimmung aller Beteiligten gefunden werden müssen. Jeder Fortschritt auf diesem Weg wird auch die Ängste, die heute noch mit der Globalisierung der Wirtschaft verbunden sind, reduzieren, die Chancen in den Vordergrund stellen und Rückfälle in Bilateralismus und Protektionismus verhindern. Wer sich vor dem Wettbewerb drücken will, beginnt mit seinem eigenen Abstieg zur wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit. Dafür gibt es in unserem Land und an vielen Stellen der Welt treffliche Beispiele. Internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, immer größere Vernetzung der Volkswirtschaften, Transfer von Wissen und Technik, von Kapital und Waren tragen von sich aus bereits zu einer Übertragung auch von Standards bei. Vor allen Dingen sind sie aber Voraussetzung für Wohlstand, Beschäftigung und sozialen Fortschritt. Wie sagte der Generalsekretär Renato Ruggiero diese Woche in einem Interview in der „Wirtschaftswoche": „Globalisierung ist Realität. Die Gewinner dieses Prozesses sind diejenigen, die sich anpassen, die Verlierer sind diejenigen, die die Anpassung verweigern. " Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Erstens: Die Gipfelkonferenz des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftforums (Apec) erlebte vor wenigen Tagen, was viele Arbeitnehmer in den asiatischen Tigerstaaten als Folge sich beschleunigender Globalisierung fürchten. Die Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, trieb Tausende auf die Straße. Aufgestiegen waren sie mit niedrigen Lohnkosten, gestützt auf eine boomende Elektronikindustrie. Der drastische Einbruch der Nachfrage bei Halbleitern macht die zu Gegnern weiterer Liberalisierung, die von ihr in den vergangenen Jahren profitiert haben. Forderte einstmal das, was früher die Dritte Welt genannt wurde, die volle Beteiligung am Welthandel, so scheuen manche der Gewinner nun den nächsten Schritt. Wer die Debatte in Ländern des Westens verfolgt, sieht erstaunliche Parallelen: Pierre Bourdieu stellt sich, mit vielen Mitstreitern eines linken französischen Republikanismus, an die Seite der Streikenden des „roten September". In ihm manifestiere sich der Aufstand gegen eine Politik, die ökonomische Sachzwänge nur noch verwalte. Auf die Frage, die Alain Touraine ihm stellt, fehlt aber noch die Antwort. „Wer glaubt denn", fragt Touraine, „daß wir uns mit einer Revolution gegen einen Weltmarkt auflehnen können, in den sämtliche Länder der Welt eingetreten sind?" Paradox ist die Umkehr der Forderungen: Früher verlangten die industriell fortgeschrittensten Länder, der Welthandel müsse frei werden, und sie verweigerten die Forderung der übrigen Welt, der Welthandel müsse fair werden. Heute sind neue Mischungen entstanden, die quer liegen zu den alten Verhaltensmustern. Ein Vorwurf jedoch baut sich auf. Er richtet sich an uns, an die Politik: Der Politik fehle es an Gestaltungswillen, heißt es. Ist der Vorwurf nicht berechtigt? Erschöpft sich Politik nicht in symbolischen Gesten? Weicht sie nicht kritiklos dem Druck des Globalismus? Schlimmer noch: Gibt Politik nicht den Druck einfach weiter, sprengt sie nicht Grundpfeiler sozialer Gerechtigkeit? Und: Treibt sie nicht so die ohnehin Schwachen in die Gettos, die am Rande der Glaspaläste liegen? Die Politik wird neue Antworten auf die tiefgreifenden Transformationen geben müssen. Täuschen wir uns nicht: Wir sind inmitten einer Revolution. Ströme von Information und Kommunikation, Ströme von Waren und Finanzkapital sind nur ihre äußeren Zeichen. Es scheint, als verschwände Arbeit und Kulturpolitik in ihren Strudeln, mindestens die, der die Kraft zur Anpassung fehlt. Wer mit offenen Augen durch die Metropolen geht, kann es sehen: Hier wird der Text der Zukunft geschrieben, die Erkennungszeichen für eine neue Zeit, in der der Schmutz sich mischt mit dem Grandiosen. Je früher wir uns vorbereiten auf die Umbrüche der Kulturen, die Kräfte des zivilen Zusammenlebens und mit ihnen die Fähigkeit zu aktiver Toleranz stärken, desto größer ist die Aussicht, die Konflikte friedlich auszutragen, ja, sie als Chance zu nutzen, aus ihnen Innovationen und Kreativität zu beziehen. Es gibt keinen geschichtlichen Automatismus. Wir müssen nicht glauben, was Samuel P. Huntington uns immer noch einzureden versucht, „The Clash of Civilizations" sei zwangsläufig, Zusammenstöße entlang der Grenzen der Zivilisationen, des Orients gegen den Okzident, des Islam gegen das Christentum. So fangen Kriege in den Köpfen an, und so drängen sie in die Wirklichkeit. Was wir aber wirklich brauchen, ist der Dialog der Zivilisationen. Regierungen können ihn fördern. Gelingen kann er nur, wenn er von den Gesellschaften aufgenommen wird, innerhalb der Gesellschaften geführt wird und zwischen ihnen. So entstehen Netze diskursiver Nachbarschaften. Sie bauen Ängste vor dem Fremden ab. Sie sind Spiegel, in denen man sich selbst im anderen Gegenüber erkennen lernt. Eine erste Antwort auf die sich beschleunigende Globalisierung könnte heißen: Politik muß mehr sein als bloßes Anpassen an vorgegebene Sachzwänge. Zweitens: Eine zweite Antwort mag sich ergeben aus dem „unerhörten Ereignis" der sanften Revolutionen in der östlichen Mitte Europas. Sie haben nicht allein das Handeln von Politik dramatisch verändert. Entscheidend für den säkularen Sturz der kommunistischen Diktatur war schließlich der ins Unerträgliche gewachsene Rückstand zur westlichen, aber auch zur aufkommenden asiatischen industriellen Moderne. Die politische Ökonomie der frühen 90er Jahre ist nicht - noch nicht - nach-industriell, weniger um einen sich ausweitenden Dienstleistungskern gelagert. Die politische Ökonomie der Jetzt-Zeit ist deutlich neoindustriell. Durchgesetzt werden sollen die industriellen Produktionsweisen. Sie gründen sich auf besondere Formen von Technologien, von Sozialstrukturen, von Kulturen, ausgedacht in europäischen Köpfen, ausgehandelt in den Kämpfen der europäischen Zivilisation - immer gefährdet in den Rückstürzen, an dem das Jahrhundert so häufig leiden mußte, und das ist noch nicht zu Ende. Das also ist Globalisierung: Die industrielle Moderne entgrenzt sich und entgrenzt die Regionen, in die sie einwandert und die sie aufnimmt. Es entstehen in den Regionen der Erde mehr und mehr Territorien der globalen Gesellschaft. Nicht eine Weltgesellschaft, sondern, wie Anthony Giddens, Soziologe in Cambridge, sie nennt: eine „Gesellschaft des unbegrenzten Raums". In ihr beginnt ein Universum neuen sozialen Handelns. Kulturelle Traditionen werden in der globalen Gesellschaft umgearbeitet. Sie verlieren an Deutungsmacht, soweit eingegangene soziale Bindungen sie überlagern. Dieser wechselseitige Wandel zwischen kulturellen Mustern und sozialem Verhalten ist ein höchst zerbrechlicher Prozeß. Charles Taylor, der kanadische Philosoph, fordert „The Politics of Recognition", eine Politik der Anerkennung der Authentizität des anderen. Wer ihn nicht anhören will, sich ohne Vorurteil mit ihm auseinandersetzen will, verzichtet auf das Experiment des gemeinsamen Lernens. Sie ist die einzige humane Alternative zur Gewalt. Beziehungen zwischen Menschen in einer globalen Gesellschaft, die aus unterschiedlichen Herkünften stammen, können nur verläßlich werden, wenn sie verblassen lassen, was sie prägt. Oder der zieht sich zurück, der sich dem Lernen nicht aussetzen will. So steht am Anfang der globalen Gesellschaft oft die Trennung: die Scheidung von persönlichen Beziehungen, das Lockern kultureller Bindungen, der Abschied von überflüssiger nationalstaatlicher Homogenität. Je rascher dieser Wandel eintritt, desto heftiger tauchen Gefühle der Unsicherheit auf. Sind Chancen für neue Bindungen nicht zu erkennen, schwindet Vertrauen in andere und Zutrauen zu sich selbst. Selbstisolierung kann die Folge sein. Sie aber ist häufig Quelle der Irritation für andere. Das gilt für Individuen, aber auch für Staaten. Wo nicht mehr miteinander geredet wird, lauert die Gewalt. Gegensätze, kulturelle, soziale, nationale, können Gewalt hervorbringen. Aber auch Dialog. Öffnung gegenüber dem anderen und gegenüber den anderen ist die entscheidende Bedingung zur Arbeit an Konflikten. Das gilt ebenso für Staaten. Eine zweite Antwort könnte heißen: Politik kann mithelfen, die Konflikte innerhalb der Staaten und zwischen ihnen so zu transformieren, daß ihre Sprengsätze nicht unter der Hand explodieren. Drittens: Globalisierung, sagt Renato Ruggiero, der Generaldirektor der WTO, ist ein unumkehrbarer Prozeß. Richtig. Und sie macht das Konzept der souveränen Staatlichkeit prekär. Gerade in dem historischen Moment, wo nach Orientierung immer lauter gerufen wird, befindet sich der Nationalstaat in der Neubestimmung seiner Aufgaben zwischen lokalen, regionalen und globalen Zwängen. Die national verfaßte Ökonomie ist in einem fundamentalen Wandel begriffen. Staatssysteme brechen zusammen, weil ihnen die Kräfte ausgegangen sind, ihre inneren Widersprüche zu bearbeiten. Autoritäten und Institutionen verschwinden. Demagogen schüren Streit zwischen Menschen, suchen sie zu verführen, täuschen Ziele, „ethnische Reinheit", vor, um politische Macht zu erobern. „Failing States", Staaten, die fallen, weil sie an ihrem Innern scheitern. In einer sich vernetzenden Welt wird die Behauptung der Unabhängigkeit des Nationalstaats abhängig von allem anderen und von allen anderen. Das Netzwerk an Kooperation zwischen den Staaten verdichtet sich, weil die Staaten einander brauchen. Zunächst bestätigen sie sich in ihrer Rolle als Nationalstaaten und schleifen zugleich ihre Souveränität ein. Die einzelstaatliche Souveränität wird mit der mehrstaatlichen Vernetzung respektiert und relativiert. Regionale und multilaterale Institutionen vermehren sich. Die Welt befindet sich in Prozessen der Vereinigung und der Trennung - und das zur gleichen Zeit. Es kristallisieren sich Räume des Zerfalls wie Räume des Vernetzens. Manchmal überlappen sie sich. Zwischen ihnen entstehen immer neue Gefälle. Jedem Menschen wird an jedem Ort der Erde bewußt, an welcher Stelle er sich befindet im Gefälle zwischen Süd und Nord, Ost und West. Sein Platz ist häufig dazwischen. Und er weiß darum, welche Chancen ihm vorenthalten werden. Die europäische Kultur hat sich mit ihren fortgeschrittensten Medien jeden Platz erobert. So fordert sie materiell dazu heraus, daß ihre virtuellen Versprechen auch real eingelöst werden - neben der Freiheit auch die Gleichheit. Können sie lokal nicht erworben oder auch erstritten werden - anderswo kann man sein Glück auch versuchen. Von Europa aus ist die Welt entdeckt worden, mit den Transportmitteln, die es erfunden hat, kann es auch erreicht werden. Von Europa aus traten die industrielle Produktion und die Verteilung ihrer Güter ihren Weg an. Handel, Markt und Arbeit sind univer- sal geworden und kehren nach Europa zurück, in der Gestalt der Konkurrenz. Ökonomisch werden die Regionen der Welt von den Zentren der fortgeschrittensten Technologien erschlossen. Wo das Kapital seine Chance sucht, braucht es Arbeit. Wo Arbeit mobil wird, geht es auf die Suche nach Gerechtigkeit, nach einer besseren Chance. Die geografisch unterschiedenen Räume der einen Welt treten in komplexer werdende Verhältnisse zueinander ein. Trends von Globalisierung und Fragmentierung treten sich scheinbar gegenüber. Sie sind Momente des einen Prozesses der Modernisierung. Und sie bewirken auch, daß der einzelne sich Schutz sucht. Die Bühne für die großen Vereinfacher, die Populisten und Chauvinisten, steht bereit. Der Nationalismus wird immer da erfunden, wo Macht durch Gewalt erobert werden soll. Dagegen gibt es eine entscheidende Macht, das sind die vielen einzelnen, die sich der Demokratie verpflichten, sie verteidigen und erweitern. Sie schließen sich zusammen, je in ihrer verschiedenen Individualität, sie brauchen einander solidarisch in ihrer Unverwechselbarkeit, sonst könnten sie verloren sein. Sie bilden gemeinsam die zivile Gesellschaft. Vernetzen sie sich von unten, erleichtert ihnen staatliches Handeln, daß sie wachsen können im Dialog über die Grenzen der Staaten hinweg, dann werden sie zur Basis für eine globale zivile Gesellschaftswelt. Wachsen können zivile Gesellschaften dann, wenn freie Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte wahrnehmen und über ihr Leben selbst entscheiden. Soziale Demokratie ist dafür die angemessene politische Form. Mit der dritten Antwort stelle ich zwei Fragen an uns: Warten nicht die Prozesse der Modernisierung darauf, verantwortbar gestaltet zu werden? Käme es nicht darauf an, einen Rahmen politisch so zu entwickeln, der es möglichst macht, global, regional und lokal die Ökonomien so zu steuern, daß sie ihre Produktivkräfte entfalten können und zugleich die Lebensbedingungen von Mensch und Natur verbessern? Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit) Josef Hollerith (CDU/CSU): Obdachlosigkeit ist ein Problem, das im Kontext der gesamten Wohnraumversorgung und damit der Wohnungsbaupolitik generell zu sehen ist. Die Maßnahmen der Bundesregierung hierzu sind eine Erfolgsstory. Waren im Jahr 1989 noch unter 200 000 neue Wohnungen in der Bundesrepublik Deutschland fertiggestellt worden, so ist diese Zahl im vorigen Jahr und in diesem Jahr auf 600 000 Wohnungen angestiegen. Die neuen degressiven Abschreibungssätze in den alten Bundesländern, die Sonderabschreibung für die neuen Bundesländer, beispiellos niedrige Zinsen haben unter anderem zu diesem Erfolg beigetragen. Hinzu kommt neuerdings die Nachfolgeregelung für den § 10e Einkommenssteuergesetz, welche mit direkten Zuwendungen besonders bei den sogenannten Schwellenhaushalten zur erhöhten Nachfrage nach eigengenutzten Wohnungen geführt hat. Eine vierköpfige Familie beispielsweise erhält 8 Jahre lang 8 000 DM als Zuschuß für den Eigenheimbau. Die Erfolge der Wohnungspolitik der Bundesregierung haben nicht nur dazu geführt, den Nachholbedarf an Wohnungen, der zuwanderungsbedingt entstanden war, aufzulösen, sondern haben vor allem in den neuen Bundesländern partiell zu einem Überangebot an Wohnungen geführt. Der Grundsatz „Ein genügendes Wohnungsangebot ist der beste Mieterschutz" hat sich wieder einmal bestätigt. Selbst in Ballungsräumen ist das Mietpreisniveau deutlich gesunken. In Teilen unserer Republik sind die erzielbaren Mieten für Neubauwohnungen nicht höher als die Mietpreise, die für Sozialwohnungen im dritten Förderweg gelten. Die Erfolge dürfen uns jedoch nicht ruhen lassen. Nach wie vor findet im sozialen Wohnungsbau eine erhebliche Fehlsteuerung öffentlicher Gelder statt. Notwendig sind hier besonders Maßnahmen zum kostengünstigen Wohnungsbau, die die im ersten Förderweg übliche Fehlsteuerung öffentlicher Gelder verhindern. In besonderer Weise sind auch die Kommunen gefordert. Sie haben den Schlüssel durch ihr Bauplanungsrecht für die Wohnbaulandbereitstellung zu kostengünstigen Preisen in der Hand. Wenn in Ballungsräumen in der Vergangenheit von den Baukosten bis zu 50 Prozent auf die Grundstücks- und Erschließungskosten entfallen sind, zeigt dies den notwendigen Handlungsrahmen für die Kommunen auf. Das Instrumentarium des Baugesetzbuches gibt bereits heute ausreichend Spielraum, um preiswertes Bauland bereitzustellen. Viele Beispiele der Kommunen, die dies erfolgreich praktizieren, belegen diese These. Auch bei dem hier interessierenden Spezialthema der Obdachlosigkeit sind die Kommunen in besonderer Weise gefordert. Nach unserer Verfassung sind die Kommunen für die Obdachlosen zuständig. Der Bund ist hier im Rahmen von Modellprojekten besonders gefordert. Ferner gilt es, das Wohngeld bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Im sozialen Wohnungsbau sind die Vorlagen der Regierung auf gutem Wege. Ein besonderes Augenmerk wollen wir auf die Fortführung verbilligter Abgabe bundeseigener Liegenschaften für die Zwecke des sozialen Wohnungsbaus legen. Die im Bundessozialhilfegesetz notwendigen Durchführungsverordnungen sind zu aktualisieren, besonders zu § 72 BSHG. Trotz all dieser zum Teil bereits umgesetzten Maßnahmen, die zu einer deutlichen Besserung der Situation Obdachloser geführt haben, bleibt anzumerken, daß für einen geringen Teil der Klientel staatliche Maßnahmen nicht greifen werden, da deren persönliche Befindlichkeit so ist, wie sie ist. Gabriele Iwersen (SPD): Der Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung der Forderungen aus dem Antrag „Obdachlosigkeit - eine gesellschaftliche Herausforderung" ist nahezu pünktlich, mit nur 4 Tagen Verspätung, am 4. Juli 1996 vorgelegt worden. Leider wurde er nicht direkt nach der Sommerpause diskutiert, vielleicht aus Sorge vor Forderungen zum Haushalt 1997; aber das möchte ich natürlich nicht unterstellen. Jedenfalls steht er erst heute im Plenum zur Diskussion, und ich muß wirklich sagen: zu spät, um noch Unterstützung für die Kommunen bei der Erweiterung ihrer Winternotprogramme organisieren zu können, aber früh genug, um die Regierung aufzufordern, den Katalog der noch nicht erfüllten Forderungen weiter zu bearbeiten. Entwarnung zum Thema Obdachlosigkeit kann jedenfalls noch lange nicht gegeben werden. Die neusten Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe zeigen einen weiteren Anstieg der Wohnungslosenzahlen im Osten und gleichbleibende Wohnungslosenzahlen im Westen, trotz erheblicher Anstrengungen vieler Städte und Gemeinden, zusammen mit freien Trägern, den Wohnungsverlust vieler Familien zu verhindern und preiswerten Wohnraum zusätzlich zu beschaffen. Meine große Hoffnung ist, daß die vermehrte Anwendung des neuformulierten § 15a BSHG, im Bericht noch als gescheitert beschrieben, jedoch am 23. Juli 1996 endgültig verabschiedet, eine weitere Zunahme der Wohnungslosigkeit verhindern möge. Deshalb brauchen wir natürlich im nächsten Jahr einen neuen Erfahrungsbericht. Große Probleme bereitet der Abbau der hohen Sokkelwohnungslosigkeit, die in der Zeit der großen Wanderungsbewegung von Ost nach West entstanden ist. In Hamburg zum Beispiel konnten von 5 500 Wohnungslosen im vergangenen Jahr inzwischen 600 in Wohnungen einziehen. 4 900 leben dagegen noch immer in Wohnunterkünften unterschiedlichster Art, Hotels und Pensionen, im Grunde genommen natürlich zu unangemessen hohen Kosten, meist zu Lasten der Stadt. Ich habe Hamburg als Beispiel gewählt, weil die von uns geforderte bundesweite Statistik leider nach wie vor nicht wesentlich vorangekommen ist, und nur wenige Länder, Städte oder Gemeinden überhaupt Zahlen zur Verfügung stellen können. Der Mangel wird auch nach wie vor von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe beklagt. Die Bundesregierung sollte sich nicht zu viel Zeit lassen. Alle an der Bekämpfung der Obdachlosigkeit Arbeitenden sind dringend auf solide Informationen angewiesen. Die geschätzten 35 000 Menschen, die zur Zeit auf der Straße leben, verschwinden jedenfalls nicht dadurch, daß man sie nicht statistisch erfaßt. Doch zurück zu Hamburg. Seit November werden wieder Schlafplätze auf Wohnschiffen und in Wohncontainern für Wohnungslose, die auf der Straße leben, bereitgehalten, im Rahmen eines Winternotprogrammes. Im vergangenen Jahr waren es 200 Plätze, jetzt bietet die Stadt 260 Plätze an, kein Zeichen für eine Entwarnung. Nach Aussage der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe gibt es ungefähr 100 000 wohnungslose Familien, Paare und Alleinerziehende mit Kindern. Diese Gruppe soll in etwa 397 000 Personen umfassen - alles Menschen, die mit Sicherheit nicht freiwillig ohne eigenen Wohnraum leben. Sie sind häufig wegen Mietschulden Opfer von Räumungsklagen geworden. Da frage ich mich doch, was die Bundesregierung zu folgendem Satz, Kapitel Wohngeld, veranlaßt hat - ich zitiere -: „Schließlich beschränkt sich das Wohngeld auf eine rein finanzielle Hilfe zur Unterstützung und Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit." Soll ich dem entnehmen, daß Obdachlose, wegen ihrer fehlenden eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sowieso keinen Anspruch auf Wohngeld haben? Unsere Forderung und Ihr Versprechen, Herr Minister Töpfer, das Wohngeld endlich den gestiegenen Mieten anzupassen und sozial weiter zu entwikkeln, steht doch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Obdachlosigkeit vieler Familien. Erkennt die Regierung diesen Zusammenhang überhaupt? Ich fordere Sie deshalb erneut auf, endlich Ihre Ankündigung wahrzumachen und das Wohngeld - im Augenblick das Wohngeld West - anzuheben. Die Änderung des § 72 BSHG hat den Antragstellern 1995 - das waren die Koalitionsfraktionen und die SPD gemeinsam - besonders am Herzen gelegen, denn wir wissen, daß die geteilte Zuständigkeit für Wohnungslose, die noch als ortsansässig betrachtet werden, und solche, die als nicht seßhaft eingestuft werden, das Leben der Betroffenen noch zusätzlich erschwert hat. Kurz gesagt: Der Begriff oder die Bezeichnung „Nichtseßhafte" muß verschwinden, die Zuständigkeit für alle Menschen ohne Wohnung bzw. mit besonderen sozialen Schwierigkeiten muß in einer Hand liegen, nämlich beim überörtlichen Träger der Sozialhilfe. Auch diese Gesetzesänderung war zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht durch das Verfahren, hat jetzt aber Gesetzeskraft. Ich erwarte deshalb, daß jetzt zügig die aktualisierte Durchführungsverordnung zu § 72 BSHG nach der vereinbarten fachlichen Erörterung mit den Verbänden erarbeitet und dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vorgelegt wird, damit die Anwendung in Städten und Gemeinden sichergestellt werden kann. Die Mitteilung über Räumungsklagen wegen Mietrückständen wird offensichtlich vor Ort auf Grund der bestehenden Verwaltungsvorschrift weitgehend erfolgreich angewendet, obwohl auch hier noch nicht alle rechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden sind, um die Mitteilungspflicht der Gerichte verfassungsrechtlich abzusichern. So ist die Beratung des Justizmitteilungsgesetzes leider noch nicht abgeschlossen. Die Stellungnahme der Regierung, daß bei „sonstigen Räumungsklagen", also wenn nicht Mietschulden die Ursache sind, den Sozialhilfeträgern keine qualifizierte Hilfe möglich sei und deshalb keine Mitteilungspflicht in Betracht komme, ist kurzsichtig und in der Sache nicht gerechtfertigt. Wenn ein Wohnungssicherungssystem erfolgreich sein soll, muß jede Zwangsräumung vermieden werden. Da hilft oft auch ein vermittelndes Gespräch oder ein Wohnungstausch, denn uns geht es nicht um die Schuldfrage, sondern um die Vermeidung von Obdachlosigkeit. Deshalb sollte die Regierung den Prüfauftrag ernst nehmen, Wege zu suchen, damit auch bei „sonstigen Räumungsklagen" wenn nötig Hilfe eingeleitet werden kann. Ich werde mich jedenfalls um eine entsprechende Präzisierung des Justizmitteilungsgesetzes bemühen. Sehr unzufrieden bin ich mit den Ausführungen der Regierung zum Thema „meldefähige Anschrift". Die gesetzlichen Möglichkeiten, auch ohne festen Wohnsitz an Leistungen der Sozialversicherungen heran- und in ein Wählerverzeichnis hineinzukommen, sind uns durchaus bekannt. Sie stellen aber für viele Wohnungslose unüberwindbare Hürden dar, denen sie meist nicht gewachsen sind. Mit dem Antrag vom Juni 1995 wollten wir gerade den Menschen helfen, die aus der geordneten Gesellschaft herausgedrängt worden sind oder sie vielleicht auch freiwillig verlassen haben, nun aber versuchen, wieder Fuß zu fassen. Diese Rückkehr wird zur Zeit durch viele Regelungen fast unmöglich gemacht. Die Bürokratie macht unsere Gesellschaft keineswegs liebenswürdiger, und die soziale Ausgrenzung zu überwinden, ist nicht jedermanns Ziel. Aus der Vielfalt von Schwierigkeiten eines Wohnungslosen greife ich das Problem Girokonto auf. Hier bezieht sich der Bericht der Regierung auf eine Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses, ZKA, in dem die grundsätzliche Bereitschaft aller Kreditinstitute erwähnt wird, für alle Bevölkerungsgruppen Girokonten anzubieten und jedem Bürger, jeder Bürgerin, ein Konto einzurichten. Der Bericht über die Erfahrungen mit dieser Empfehlung wurde im September 1996 vorgelegt und nimmt die positive Beurteilung des ZKA auf, hält also die gefundene Regelung für positiv und ausreichend. Da muß ich auf eine Kleine Anfrage der SPD vom 1. Juli 1996 verweisen, auf die dazugehörige Antwort der Bundesregierung vom 24. Juli und auf einen Projektbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e. V., der dem Finanzausschuß vorgelegt worden ist. Danach wird entgegen der Empfehlung des ZKA ein Schufa-Eintrag als Ablehnungsgrund neben den undefinierten Kriterien der „Unzumutbarkeit" genutzt. Hat aber ein Bürger ein Girokonto, was heutzutage für den üblich gewordenen bargeldlosen Zahlungsverkehr unverzichtbar geworden ist, so muß er sich wenigstens darauf verlassen können, daß nachweislich unpfändbare Beträge nicht durch private Personen gepfändet werden können. Den Schuldnerberatungen sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen Daueraufträge und Überweisungen bzw. Einziehungsaufträge für Miete und Haushaltsenergie nicht mehr vorgenommen worden sind, weil die Konten bereits gepfändet wurden, obwohl ihnen nur unpfändbare Beträge zur Aufrechterhaltung des Existenzminimums zugeflossen sind. Manchmal ist das der Auslöser für eine Räumungsklage. Die SPD hat deshalb einen Gesetzentwurf vorbereitet, um einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto durchzusetzen. Am erfolgreichsten scheint die Bundesregierung bei der Forschungsarbeit zu sein. Hier sind offensichtlich mehrere Ministerien bereits seit Jahren aktiv und auch kürzlich noch wieder neue Projekte vergeben worden. Leider listet der Bericht eigentlich nur Forschungsprojekte auf, statt die vorhandenen Lösungen zu bewerten, wie der Auftrag von 1995 lautet. Die Forschung nützt der breiten Öffentlichkeit bzw. den Kommunen, die das Problem Wohnungslosigkeit lösen sollen, natürlich nur, wenn die Schlußfolgerungen daraus auch bekannt gemacht werden. Ich habe von dem Abschnitt des Berichts mehr erwartet. Und noch eine kritische Anmerkung zum Thema Modellprojekte: Die Forderung lautete, solche Projekte mitzufördern; aber die aufgelisteten, sehr interessanten und vorbildlichen Projekte haben offensichtlich keine direkte Hilfe aus Bonn erhalten, sondern sind durch die „normalen Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau" und durch Mittel der Kommunen, der Arbeitsverwaltung und freier Träger finanziert worden. Wir hatten durch die erhoffte Modellförderung auf eine Art Initialzündung gesetzt, um noch mehr Selbsthilfeprojekte finanzschwacher Gruppierungen möglich zu machen. Zum Thema Wohnungsbauförderung ist viel Richtiges geschrieben, wie zum Beispiel die Vermeidung von Sonderwohnbeständen und Behelfsunterkünften, die Ausgrenzung und Ghettoisierung fördern würden. Auch wir wünschen uns, daß die Selbsthilfepotentiale der künftigen Wohnungsnutzer gefördert werden sollen und sehen Handlungsbedarf für die dauerhafte Integration von Personen mit besonderem Betreuungsbedarf, deren Wohnraumversorgung mit sozialen Hilfen sowie Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen verbunden werden sollten. Aber leider stehen alle diese frommen Wünsche im direkten Gegensatz zu den übergeordneten Gesetzesinitiativen dieser Regierung. Das Gesetz für mehr Wachstum und Beschäftigung hat durch seine AFG- Änderung gerade wieder einen neuen Personenkreis ins Abseits verwiesen, nämlich die Behinderten, auch die Lernbehinderten, deren Förderung von einer Pflicht- in eine Kann-Leistung umgewandelt worden ist. Jungen Menschen, die noch keinen Zugang zu Ausbildungsberufen gefunden haben, weil sie keinen Hauptschulabschluß haben, konnte bis jetzt auf Grund ihrer Lernschwäche zum Beispiel in einem Internat des CCJM in Wilhelmshaven der Weg ins Arbeitsleben geebnet werden. Dank Ihrer AFG-Novelle wird diesen Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten nicht mehr durch die Bundesanstalt für Arbeit geholfen werden. Die Gefahr, daß dieser Personenkreis später einmal zum Kreis der Dauerarbeitslosen und vielleicht auch der Wohnungslosen gehören wird, sollte auch Ihnen bewußt sein. Ich sehe überhaupt schwarz für die verschiedenen Projekte, die Wohnraumbeschaffung mit Arbeit und Qualifizierung verbinden sollten. Denn das sind doch gerade typische Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes, den Sie eigentlich abschaffen wollen. Wenn ich jetzt noch die Überlegungen des Bauministers zur Zukunft des sozialen Wohnungsbaus betrachte, kann ich Ihnen nur sagen, daß die von uns erhoffte Verstetigung des sozialen Wohnungsbaus zur Erweiterung des preisgünstigen Wohnungsmarktsegments wenig Aussicht auf Erfolg hat. Nehmen wir jetzt noch die Absicht des Finanzministers dazu, die verbilligte Abgabe von Konversionsliegenschaften auslaufen zu lassen, dann wird das Bild noch düsterer. Dabei wäre in einzelnen Fällen gerade im Osten schon viel erreicht, wenn so eine ungenutzte Kaserne wenigstens als Speicher für Möbel und Hausrat eines Wohnungslosen zur Verfügung stünde, damit er außer der Wohnung nicht auch noch seine Habe verliert. Meine Damen und Herren, sie sehen, es sind noch viele Forderungen aus unserem gemeinsamen Antrag aus dem Jahr 1995 offen. Wir haben Ihnen deshalb einen Entschließungsantrag vorgelegt, damit die Arbeit auch durch die Bundesregierung fortgesetzt wird. Und natürlich möchten wir einen zweiten Bericht haben, um in einem Jahr sehen zu können, ob der Aufgabenkatalog erfolgreich abgearbeitet und unsere gemeinsamen Forderungen umgesetzt sind. Lisa Peters (F.D.P.): In den letzten Jahren ist über die Obdachlosigkeit viel gesprochen und diskutiert worden. Ich denke, alle Bürger und Bürgerinnen in unserem Land konnten an den Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen waren, nicht vorbeisehen. Die Obdach- und Wohnungslosen begegneten uns auf den Straßen und im Stadtbild. In der warmen Jahreszeit war dieses Problem nicht so sichtbar, sobald jedoch die kältere Jahreszeit nahte, beschäftigte sich auch die Öffentlichkeit mit den in Not geratenen Menschen, weil die Medien berichteten. Obdachlose gibt es nicht nur in den Großstädten; auch in Klein- und Mittelzentren sowie den ländlichen Gemeinden muß man sich seit vielen Jahren mit der Unterbringung und Versorgung von wohnungslosen Menschen beschäftigen. Wir haben uns in der 12. Wahlperiode im Bundestagsausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau intensiv mit der Obdachlosigkeit auseinandergesetzt. Die vielen Gespräche mit den Betroffenen haben die schwierige Situation verdeutlicht. Männer und Frauen haben uns ihre ganz persönliche Situation vor Augen geführt und nahegebracht. Dabei konnte man immer wieder feststellen, daß die meisten Betroffenen unverschuldet in Not geraten waren. Die kommunale Ebene, die Gemeinden und Städte, sind für die Versorgung mit Wohnraum zuständig. Da aber nach 1990 die Grenzen geöffnet wurden und viele Zuzüge zu verzeichnen waren, ging das Wohungsangebot zurück. Die Kommunen sahen sich oft nicht in der Lage, diese Personengruppe mit Wohnraum zu versorgen. Wir haben 1994 nach den Gesprächen mit den Betroffenen, den Spitzenverbänden und allen weiteren Beteiligten das Thema zum vorläufigen Abschluß gebracht. In dieser Wahlperiode wurde am 29. Juni 1995 eine Debatte im Bundestag geführt. Dabei wurde die Bundesregierung gebeten, bis zum 1. Juli 1996 über die eingeleiteten Maßnahmen zu berichten. Dieser Bericht ist fast pünktlich eingetroffen und wird heute diskutiert. Ich denke, es ist einiges geschehen, obwohl noch einige Fragen offen bleiben. Dem Bericht kann man entnehmen, daß mehr miteinander gesprochen wird. Der Bund und die Länder sind in ständigem Kontakt; das Thema „Obdachlosigkeit" ist problematisiert, es gibt viele Arbeitsgruppen. Jedoch reagieren die Länder sehr unterschiedlich. Ich schließe daraus, daß wir auch in den nächsten Jahren noch keine verläßlichen Zahlen über die bestehende Wohnungslosigkeit haben werden. Es ist auch schwierig, Personen, die keinen ständigen Wohnsitz haben, zu erfassen. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß an Obdachlose kein Wohngeld gezahlt werden kann. Diese Leistung setzt zwingend voraus, daß man im Besitz einer Wohnung ist und einen Mietvertrag nachweisen kann. Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit besonders bei Familien darf gar nicht erst entstehen, sie muß verhindert werden. Sie kann nur verhindert werden, wenn eine Behörde von der anderen Behörde weiß. Es ist zwingend erforderlich, daß dies in den Kommunen geregelt wird. Nur so kann man Obdachlosigkeit von Familien generell vermeiden. In meiner Heimatgemeinde wird dies seit Jahren praktiziert. Wir haben in unseren Beratungen sehr viel Wert auf eine „meldefähige Anschrift" gelegt. Die Wohnungslosen haben uns dies als vorrangige Bitte vorgetragen. Die Antwort der Bundesregierung zu diesem Punkt ist umfassend, sie gibt Hinweise auf die Einrichtung eines Girokontos und macht Ausführungen für die Teilnahme an Wahlen. Aber die Eintragung „wohnungsloser Personen" in das Melderegister ist so gut wie unmöglich, schließe ich aus der Antwort. Auch hier müssen wir in den Kommunen zur Selbsthilfe greifen und für das eigene Gemeinwesen nach Lösungen suchen. Erfreulich ist für mich die Antwort zu den Forschungsaufträgen und den Modellgruppen. Hier ist viel geschehen, vieles ist noch in Arbeit und kommt erst in den nächsten Jahren zum Tragen. Ich würde mir wünschen, daß wir auch weiterhin über alle Ergebnisse unterrichtet werden. Dabei gehe ich davon aus, daß unter den Ländern der Austausch von Informationen gegeben ist und man die positiven Erfah- rungen, die an anderer Stelle gemacht wurden, mit einbezieht. Den Gemeinden und Städten müßte es heute, es steht wieder mehr Wohnraum zur Verfügung, möglich sein, auch für Wohnungslose Wohnraum bereit zu halten. Zur Zeit kann man sich Belegrechte sichern, eine Betreuung der Menschen und Projekte müßte ebenfalls möglich sein. Abschließend stelle ich fest, daß einiges geschehen ist, wir aber weiter arbeiten müssen. Ich glaube, die Städte und Gemeinden haben erkannt, daß es preiswerter ist, Wohnungslosigkeit zu verhindern. Prävention zahlt sich aus. Man kann den Schwarzen Peter nicht hin- und herschieben, die Betroffenen hätten den Nachteil. Zunehmend schwieriger wird es, wohnungslose Menschen wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern. Hier scheinen mir die Maßnahmen, die Wohnungslose mit in die Arbeit bei der Renovierung und Erstellung von Wohnraum einzuschließen, die beste Möglichkeit zu sein. Viel zum Guten haben die Zusammenschlüsse und Aktivitäten der Wohnungslosen beigetragen. Die Presse begleitet diese Aktivitäten positiv. Durch den Verkauf von Zeitungen - im Hamburger Raum ist es „Hinz und Kunz" - werden alle Bürger auf die Not der Wohnungslosen aufmerksam gemacht. Die Zeitungen der Wohnungslosen steigern wöchentlich ihre Auflage. Den Wohnungslosen fließt ein Teil der Einnahmen aus dem Verkauf zu. Eine Hilfe zur Selbsthilfe. Ohne Selbsthilfe und ohne neue Ideen werden wir der Obdachlosigkeit nicht Herr. Es bleibt dabei: Vorrangig sind die Gemeinden und Städte gefragt. Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik Deutschland nach dem Kriege ist eng mit dem Einsatz des Energieträgers Kohle verbunden. Eine gute Wirtschafts- und Sozialpolitik wäre in den 50er Jahren ohne eine gute Kohlepolitik gar nicht denkbar gewesen. Den Leistungen unserer Bergleute in den Nachkriegsjahren gilt noch heute unser aller Respekt, denn sie haben hart gearbeitet. Es war deshalb eine gute und vor allem sozial gerechte Entscheidung, für die Bergmänner und ihre Familien damals ein zusätzliches Wohnungsbauprogramm aufzulegen. Für manchen Bergmann mag dies ein Grund für seine Berufsentscheidung gewesen sein. So gehört der Bergarbeiterwohnungsbau auch zur Geschichte des Bergbaus dazu. Gemessen an der Bedeutung der Kohle war es auch richtig, daß die Bürger - die ja vom Aufschwung und der Kohle als Verbraucher profitierten - dieses soziale Wohnungsprogramm mit der Kohleabgabe finanzierten. Dies liegt nun 40 Jahre zurück. Und in diesen 40 Jahren wurde beim Neubau und bei der Modernisierung der Bergmannswohnungen viel erreicht. Über 200 000 Wohnungen wurden gebaut und manche Zechensiedlung modernisiert. Ich denke, wir können stolz auf das bisher Erreichte sein. Wenn wir heute über die Zukunft dieses Wohnungsbauprogramms debattieren, dürfen wir aber auch die Entwicklung beim Bergbau und bei der Energienutzung der Kohle nicht vergessen. Der Anteil der Kohle am privaten Stromverbrauch beträgt heute nur noch etwa 30 Prozent. Andere Energieträger sind in den Vordergrund getreten, neue regenerative Energien hinzugekommen. Als die Kohleabgabe erhoben wurde, hatte Deutschland noch über 600 000 Beschäftigte im Bergbau. Heute sind es nur noch etwa 93 000 Bergarbeiter. Sicher, es gibt noch viele Bergmänner im Ruhestand, und gerade sie haben ein Leben in sozialer Sicherheit verdient. Deshalb ist die Modernisierung dieser Wohnungen auch eine wichtige soziale Aufgabe. Aber werden wir in den nächsten Jahren noch viele neue Bergmannswohnungen brauchen? Diese Überlegungen haben die Bundesregierung zu Recht veranlaßt, über die Zukunft des Bergarbeiterwohnungsbaus nachzudenken. Bundesminister Töpfer hat die Beweggründe der Bundesregierung auch deutlich vorgetragen. Ich möchte zwei Punkte hervorheben: Erstens. Nach dem Gesetzentwurf können alle laufenden Baumaßnahmen fertiggestellt werden. Selbst wenn eine Baumaßnahme erst in diesen Tagen bewilligt wird, kann sie noch zu Ende geführt werden. Zweitens. Die Einnahmen und Rückflüsse aus dem Bundestreuhandvermögen sollen ab 1997 in den Bundeshaushalt fließen. Der Bund wird den Ländern daraus allerdings Finanzhilfen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung stellen. Bis zum Jahr 2000 sind dies Mittel in Höhe von 850 Millionen DM. Der Bergarbeiterwohnungsbau ist eine besondere Form des sozialen Wohnungsbaus gewesen. Deshalb spricht auch nichts gegen eine Integration der Mittel in diesen Haushaltstitel. Es ist auch ein großer Erfolg für den Bundesbauminister, daß die Rückflüsse in einem solch großen Rahmen für den sozialen Wohnungsbau genutzt werden sollen. Nun haben die Länder die volle Umwidmung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau gefordert. Dies wird in unseren Beratungen gewiß eine große Rolle spielen. Aber angesichts der notwendigen Sparmaßnahmen in den Bundes- und in den Länderhaushalten liegt doch schon eine sehr gute Lösung vor. Wenn es Sorgen gibt, die bestehenden Bergmannswohnungen könnten nun verfallen, so ist diese Sorge unbegründet. Denn zukünftig sollen im sozialen Wohnungsbau besonders Modernisierungsmaßnahmen gefördert werden. Hier wären die Länder dann gefordert, Mittel des sozialen Wohnungsbaus gerade für die Sanierung von Wohnungen in Zechensiedlungen einzusetzen. Dies wird die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion dann auch sehr nachhaltig einfordern. Die Länder, in denen noch viele Bergleute tätig sind, vor allem Nordrhein-Westfalen, werden den Neubau von Bergmannswohnungen dann über den sozialen Wohnungsbau fördern können. Den Bergarbeitern sollten wir daher schon heute sagen: Lassen Sie sich nicht verunsichern. Sozialwohnungen für Bergarbeiter werden auch weiterhin gebaut. Nur haben die Länder dann in Zukunft eine größere Verantwortung, und dies entspricht durchaus ihrem gewachsenen Selbstbewußtsein. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor zwei Jahren, als neues Mitglied des Bundestages, habe ich als erstes einen Antrag für eine Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Gemeinden zur Verhinderung und Bekämpfung von Obdachlosigkeit eingebracht. Der Antrag ist - wie so viele Initiativen in diesem Haus - kleingekocht worden. Immerhin ist es gelungen, daß seit 1995 im Haushaltsansatz für den sozialen Wohnungsbau jährlich 50 Millionen DM für Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit zweckgebunden sind. Und es ist eine Schande, daß sich einige Länder immer noch sträuben, diese Gelder auch entsprechend einzusetzen. Wer gemeint hat, daß der soziale Wohnungsbau eigentlich insgesamt für die bedürftigen Schichten da sein müßte, irrt. Er ist für die breiten Schichten - nicht für die Notfälle -, denn die Politik unterscheidet immer noch zwischen Wohnungspolitik und Sozialpolitik. Die Wohnungspolitik der Regierung setzt nach wie vor auf quantitatives Wachstum, auf Vermögensbildung und Bauwirtschaftsförderung mit dem Effekt, daß wir wachsende Wohnungsleerstände haben bei gleichzeitig wachsender Wohnungsnot. Die Zahl der Mietschulden wächst, weil Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung und Verschuldung eine wachsende Zahl von Menschen in die Schuldenspirale treibt, an deren Ende nicht selten Obdachlosigkeit steht. Allein in Berlin und Brandenburg sind bei den Wohnungsbaugesellschaften des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen im Jahr 1995 über 300 Millionen Mietschulden angelaufen, Tendenz wachsend. Während die Politik auf die Leistungsstarken setzt, geraten immer mehr Menschen ins soziale Abseits. Da die Bundesregierung nach wie vor nur sehr zögerliche Schritte in Richtung einer Wohnungsnotfallstatistik macht - der Bericht sagt ja schon voraus, daß diese Aufgabe weggespart werden soll -, sind wir alle auf die sehr engagierte Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe angewiesen. Nach deren Statistik wird die Zahl der Wohnungslosen auf ca. 920 000 Menschen geschätzt, davon ca. 335 000 Aussiedler. Die Zahl der Menschen, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben, wird auf 30 000 bis 35 000 geschätzt. Der Anteil der Frauen unter den Wohnungslosen ist auf ca. 170 000 gestiegen, die Zahl der Kinder und Jugendlichen auf ca. 180 000. Dazu kommt eine unbekannte Zahl von Menschen, die in keiner Statistik erfaßt sind. Doch auch ohne Dunkelziffer sind diese Zahlen alarmierend: Immer mehr Frauen, immer mehr Kinder und Jugendliche leben sozial ausgegrenzt in Armut. Wir haben Armut in diesem reichen Land, und je mehr Ihre Politik für die Bereicherung der Reichen sorgt, um so mehr sorgt sie auch für das Ansteigen der Armut. Ich fordere die Koalition auf, nicht länger die Augen vor der wachsenden Armut zu verschließen, sondern sich der Diskussion zu stellen, damit wir endlich zu konkreten Schritten kommen! Ich habe 1992 bis 1994 in Berlin-Friedrichshain am von der EU finanzierten Programm „Armut 3" mitgewirkt. Der Programmteil für die ostdeutschen Städte sollte übergeleitet werden in ein weiteres 5jähriges Programm „Armut 4". Die Bundesregierung hat dieses Programm sabotiert. Zunächst wurde es in „Progress" umbenannt, weil das Wort „Armut" so störend wirkte. Danach - mit zweimaligem Beschluß des Kabinetts - hat Bonn dieses Programm gestoppt. Der Vertreter der Bundesregierung in Brüssel hat sogar von „Armut auf hohem Niveau" gesprochen - angesichts der Nöte der Betroffenen ein zynischer Satz. Was ist zu tun? Um Armut und Obdachlosigkeit zu verhindern und abzubauen, brauchen wir zum einen eine andere politische Grundhaltung - eine Politik, die nicht den vor allem von der F.D.P. forcierten „Neo-Egoismus" kultiviert, sondern die auf wirklich solidarischen Ausgleich setzt und den Besitzenden und Leistungsstarken mehr abverlangt, um den Armen und Bedürftigen mehr zu geben. Konkret heißt das: Eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die Arbeit schafft, nicht abbaut. Gleichzeitig muß die Arbeitsmarktpoltük Initiativen für Arbeit und Qualifizierung von Sozialhilfeempfängern stärker fördern und nicht, wie gerade beschlossen, abbauen. Eine Sozialpolitik, die den Menschen, gerade auch den Bedürftigen, Würde gibt und Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben. Deswegen fordern wir die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung. Der Bund darf die sozialen Lasten nicht weiter auf die Kommunen abwälzen, dafür brauchen wir eine Gemeindefinanzreform und eine gerechte Verteilung der Sozialhilfekosten auf Bund, Länder und Gemeinden. Dies ist Voraussetzung dafür, daß die Kommunen ihre vielfältigen Aufgaben zur Vermeidung und Linderung von Obdachlosigkeit wirklich leisten können. Der Abbau von Übernachungsmöglichkeiten, Wärmestuben und Kältehilfen nimmt dramatisch zu. Beratungsstellen und Gesundheitsdienste können nicht aufrechterhalten oder eingerichtet werden. Die Wohnungspolitik muß zuerallerst den Erhalt und die Pflege von preiswerten Wohnungsbeständen durchsetzen. Die von Bauminister Töpfer geplante Anhebung der Mieten in den Sozialwohnungsbeständen auf Marktniveau darf auf keinen Fall wirksam werden. Insbesondere die Wohnungsbestände in der Hand von Bund, Ländern und Gemeinden müssen verstärkt und offensiv zur Beseitigung von Wohnungsnot genutzt werden. Der Wohnungsbau und die Wohnungssanierung müssen der Nachfrage gerecht werden: Wir brauchen einerseits Wohnungen für Alleinstehende, andererseits sehr große Wohnungen für Kinderreiche und Wohngemeinschaften. Wir brauchen eine Wohngeldreform, die die Menschen nicht weiter in die Abhängigkeit von Sozialhilfe treibt. Auf keinen Fall darf die Wohngeldrefrom zu Lasten der Kommunen finanziert werden. Wir fordern endlich einen regelmäßigen nationalen Armutsbericht, damit sich niemand hinter feh- lenden Informationen verstecken kann. Die jährliche Wohnungsnotfallstatistik ist überfällig. Ich denke, wir tragen parteiübergreifend Verantwortung, der wachsenden Armut in unserem Land mit aller Kraft zu begegnen. Wir können diese Aufgabe nicht einfach den Kommunen und den Wohlfahrtsverbänden überlassen. Den vielen Menschen, die sich allen widrigen Umständen zum Trotz mit hohem Engagement für Menschen in Not einsetzen, sage ich ganz herzlichen Dank. Klaus-Jürgen Warnick (PDS): In der Debatte zu Wohnungsnot und Obdachlosigkeit am 29. Juni 1995 gab es von der Regierung eine Menge Ankündigungen und Versprechen. Liest man nun im Bericht der Bundesregierung, dann bleibt das Resümee, daß die Koalition in dieser Frage eine erfolgreiche Politik betreibt, das Erreichte aber noch nicht das Erreichbare ist. Angekündigt ist noch für 1996 ein Bericht der Regierungskommission „Obdachlosigkeit, Suchtfolgen etc. " Dieser liegt bis heute noch nicht vor, ebenso gibt es bis heute keine Auswertung der zahlreichen im Bericht aufgeführten Forschungsvorhaben und Modellprojekte. 50 Millionen DM hat die Bundesregierung seit 1995 jährlich aus dem Fonds für den sozialen Wohnungsbau abgezwackt. Was damit getan und erreicht wurde, ist bis heute offen. Wie sieht die Realität aus? Hat die Zahl der von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit bedrohten und betroffenen Menschen etwa abgenommen? Auch wenn die Regierung Augen und Ohren schließt, die Fakten sprechen eine andere Sprache. Nach einer heutigen Meldung in der sozialistischen Tageszeitung „Neues Deutschland" gibt es nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rund 930 000 Menschen ohne Wohnung. Während die Bundesregierung den Preisdruck bei Immobilien und bei Mieten im oberen Segment genauso feiert wie die Rekordzahlen im Eigenheimbau und beim Abschluß von Bausparverträgen, sind die Kommunen mit der Zunahme von überschuldeten Haushalten, Zwangsräumungen, Sozialhilfebedürftigen und Obdachlosen konfrontiert. Kirchen, freien Trägern, Selbsthilfeprojekten und Bürgerinitiativen, z. B. der Gruppe der Komitees für Gerechtigkeit in Friedrichshain am Berliner Hauptbahnhof, werden die wenigen Mittel für ihre selbstlose Arbeit genommen. Ein Pfarrer Ritzkowski aus Berlin-Kreuzberg muß sich vor Gericht dafür verantworten, daß er Obdachlosen die Anschrift der Kirche, die für diese Menschen der derzeitige Lebensmittelpunkt ist, als Meldeadresse zur Verfügung stellt. Was und wem nutzen die großen Reden der Bundesregierung auf der UNO-Konferenz HABITAT II vor wenigen Monaten in Istanbul, wenn sich die Bundesregierung beharrlich weigert, das Menschenrecht auf Wohnung im Grundgesetz zumindest als Staatszielbestimmung zu verankern? Dies alles zeigt, daß die Mehrzahl der Bundespolitiker die Ursachen der Wohnungslosigkeit noch immer im Verhalten des einzelnen und nicht als gesamtgesellschaftliches Problem begreifen. Auch wenn es für die Damen und Herren auf der rechten Seite dieses Parlaments und teilweise wohl auch auf der linken Seite wie ein Spruch aus dem Parteilehrjahr in der DDR klingt: Obdachlosigkeit ist eines der vielen unangenehmen „Nebenprodukte" dieser nur am Profit orientierten Gesellschaft. Eine wirkliche Lösung kann es nur in einer veränderten Gesellschaft geben. Doch zurück zur Realität: Der Leistungsabbau beim Wohngeld, die Kürzungen im Haushalt, die geplanten Verschlechterungen im Mietrecht sowie beim sozialen Wohnungsbau, der Sozialabbau insgesamt und die Zunahme der Massenarbeitslosigkeit werden die Situation weiter verschärfen. Besonders dramatisch ist die Entwicklung in Ostdeutschland. Wie lange werden Sie noch brauchen, um von Null auf Hundert zu kommen? Ich glaube, daß wir eher das Westniveau bei der Zahl der Obdachlosen erreichen als bei der Angleichung der Einkommen, Renten und Vermögen. Eine Unverschämtheit ist die Antwort der Bundesregierung in der vergangenen Woche auf die Kleine Anfrage der PDS zur Wohnungslosigkeit von Frauen (Drucksache 13/6325). Damit haben Sie den betroffenen Frauen und Mädchen, aber auch den für diese Frauen tätigen Initiativen und Projekten unmißverständlich gezeigt, was sie von Ihnen zu erwarten haben. Sehr geehrte Damen und Herren, es muß endlich aufhören, daß statt Armut die Armen, daß statt Obdachlosigkeit die Obdachlosen bekämpft werden. Mit dem Vertreiben von Obdachlosen von Bahnhöfen, aus Einkaufsstraßen und Konsumpalästen durch hochgerüstete Polizei und private Sicherheitsdienste kann Obdachlosigkeit ebensowenig beseitigt werden wie durch das Räumen der Kölner Domplatte oder von besetzten Häusern in Hamburg, Leipzig, Potsdam, Berlin oder Kleinmachnow. Die Bundesrepublik hat - den politischen Willen vorausgesetzt - die Potenzen, um Wohnungsnot und Obdachlosigkeit wirksam zu bekämpfen. Ich fordere Sie auf, es gemeinsam zu tun. Die PDS ist bereit, aktiv zu helfen, sowohl auf Bundesebene als auch in den Ländern und Kommunen sowie in den Initiativen und Selbsthilfeprojekten. Joachim Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Erstens. An den Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom Sommer 1995 haben mehrere Fachausschüsse mitgewirkt, und ebensoviele Ressorts waren auch an dem Regierungsbericht über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit beteiligt. So vielschichtig und komplex das Problem der Obdachlosigkeit ist, so differenziert ist das Spektrum von Maßnahmen zur Problemlösung. Zweitens. Aus der Sicht des für den Wohnungsbau zuständigen Bundesministeriums steht dabei die Wohnungsversorgung im Mittelpunkt. Damit sollen andere Aufgaben und Maßnahmen nicht in ihrer Bedeutung zurückgesetzt werden, wie die präventiven Maßnahmen zum Schutz vor Wohnungsverlusten, die insbesondere das Bundessozialhilfegesetz ermöglicht und die durch die Gesetzesnovelle vom Sommer dieses Jahres noch verstärkt worden sind: Entsprechend den Forderungen des Deutschen Bundestages sind die Sozialhilfeträger nunmehr durch eine SollVorschrift in stärkerem Maße verpflichtet, in Fällen drohender Obdachlosigkeit rückständige Mieten zu übernehmen; die sozialen Hilfen, die ebenfalls vor allem auf Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes, aber auch des Kinder- und Jugendhilfegesetzes gewährt werden; der Bereich der stationären Versorgung etwa bei Therapien der Suchthilfe, der gesundheitlichen Rehabilitation und der psychischen Stabilisierung hilfebedürftiger Personen. Alle notwendigen Maßnahmen werden in den Ausschüssen noch fachlich kompetent zu beraten sein. Drittens. Die dauerhafte Wohnungsversorgung von Personen mit besonderen finanziellen und sozialen Schwierigkeiten ist freilich in der Praxis nur zu leisten, wenn sie durch geeignete soziale Hilfsmaßnahmen unterstützt wird. Wie unterschiedlich die Anforderungen an die Kombination von Wohnung und sozialer Hilfe im einzelnen sein können, zeigen sehr anschaulich die verschiedenen Wohnprojekte in unserem Modellprogramm „Dauerhafte Wohnungsversorgung von Obdachlosen" des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus: Da geht es in einem Projekt unter der Zielsetzung „Wohnung statt Heimplatz" darum, älteren alleinstehenden Männern, die viele Jahre „über Land gezogen" sind und teilweise erhebliche Gesundheits- und auch Alkoholprobleme hatten, den Umzug aus einer stationären Einrichtung in eigene Wohnungen zu ermöglichen. Dies ist mit Hilfe des Trägers dieser stationären Einrichtung gelungen, der dazu mit örtlichen Wohnungsunternehmen kooperiert hat. In einem anderen Fall hat ein Verein der Straffälligenhilfe - in Verbindung mit einer Beschäftigungsmaßnahme - Wohnungen für wohnungslose Strafentlassene auf einem von der Stadt überlassenen Grundstück gebaut und bietet ebenfalls soziale Betreuung beim Übergang zum selbständigen Wohnen an. Unter der Zielsetzung „Integriertes Jugendwohnen" werden in einer anderen Stadt in Kooperation eines Jugendhilfeträgers und eines Bauträgers Wohnungen für Jugendliche und junge Erwachsene gebaut, sowohl Einzelwohnungen als auch größere Wohnungen für Jugendwohngruppen. Mit Mitteln der Jugendhilfe erwirbt das zuständige Jugendamt langfristige Belegungsrechte und kann auf diesem Wege die hohen Kosten für eine stationäre Unterbringung vermeiden. In weiteren Projekten werden Wohnungen für obdachlose Familien und Alleinstehende neu gebaut oder modernisiert, teilweise mit einer gemischten Belegung mit anderen dringlich wohnungsuchenden Haushalten. Viertens. Es gibt aber auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen diesen Projekten, aus denen wir lernen können, welche Zielrichtungen wir weiter verfolgen müssen: Es wurde dauerhafter Wohnraum geschaffen - zwar in kostengünstiger Bauweise, aber nicht als Notunterkunft mit minderer Qualität. Alle Maßnahmen sind im sozialen Wohnungsbau gefördert und entsprechen allen üblichen Anforderungen. Bei den meisten Projekten werden die Wohnungsbaumaßnahmen mit Beschäftigungsmaßnahmen kombiniert. Besonders wichtig ist die Integration des Wohnprojekts in das nachbarschaftliche Umfeld. Vielfach kooperieren Träger der Wohlfahrtspflege mit Wohnungsunternehmen; jeder bringt das ein, wozu er professionell qualifiziert ist. Große Bedeutung hat die Einbindung der Maßnahme in ein kommunales Gesamtkonzept zur Lösung von Obdachlosigkeit und sozialen Notlagen, das über das einzelne Projekt hinausweist. Fünftens. Welche Schlußfolgerungen sind daraus für die künftige Wohnungsbauförderungspolitik zu ziehen? Zunächst einmal bestätigen auch diese Projekte die Bedeutung des sozialen Wohnungsbaus für die Wohnraumversorgung bedürftiger Haushalte. Um dem Einzelfall gerecht zu werden, braucht man flexible Förderinstrumente und ihre flexible Handhabung auf örtlicher Ebene; das bedeutet zugleich, daß strikte bundeseinheitliche Vorgaben auf wichtige Kernpunkte begrenzt werden müssen und die Ausgestaltung der Förderung im wesentlichen den Ländern und Gemeinden überlassen werden sollte. Im Einzelfall sind sowohl die besonderen Anforderungen des einzelnen Wohnungsbauprojekts zu berücksichtigen - wie etwa die Zielgruppe und die angestrebte Belegung - als auch die Investitionsbedingungen der Bauherren; Art und Intensität der Förderung müssen darauf abgestimmt sein. Bei der Wohnungsversorgung von besonders benachteiligten Haushalten sind übergreifende und über die Bereitstellung von Wohnraum hinausreichende Konzepte unerläßlich. Auch dies erfordert einen weiten Handlungsspielraum auf der örtlichen Ebene. Sechstens. Auch die finanziellen Handlungsmöglichkeiten müssen bei Bund, Ländern und Gemeinden erhalten bleiben. Der Bund wird sich auch künftig mit hohen Finanzhilfen an der Förderung des sozialen Wohnungsbaus beteiligen: im Haushaltsjahr 1997 mit einem Verpflichtungsrahmen von rund 2 Milliarden DM. Mit der Vorgabe, daß 50 Millionen DM dieser Finanzhilfen für die Wohnungsversorgung von Obdachlosen eingesetzt werden sollen, weisen wir darüber hinaus auf den besonderen Bedarf dieses Personenkreises hin. Daß der soziale Wohnungsbau dazu seinen Beitrag zu leisten hat, darüber besteht auch mit den Ländern Einvernehmen. Allerdings - auch dies zeigen die Modellprojekte -: Wohnprojekte für Obdachlose können nur gelingen, wenn sie von kompetenten Partnern durchgeführt werden. Deshalb brauchen wir das Engagement von sozialen Trägern aus dem kirchlichen und dem karitativen Bereich und von sozial orientierten Wohnungsunternehmen, die die erforderliche Fachkompetenz mitbringen. Mit den Modellprojekten von Bund und Ländern wollen wir dazu beitragen, daß Informationen und Erfahrungen aus der Praxis bundesweit bekanntgemacht und auf diesem Wege weitere Maßnahmen angeregt werden. Siebtens. Dabei müssen wir aber auch sehen, daß die Neuschaffung von Wohnraum für finanziell oder sozial besonders benachteiligte Haushalte nur e in Ansatz von mehreren ist. Allein durch Neubau wird der notwendige Wohnraum auch langfristig kaum bereitgestellt werden können. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil Wohnprojekte für besonders problembelastete Haushalte stets nur einen kleinen Umfang haben sollten. Integration setzt soziale Mischung voraus - durch gemischte Belegung in größeren Wohnkomplexen und in der Nachbarschaft. Eine Konzentration von Haushalten mit besonderen sozialen Schwierigkeiten in größeren Wohneinheiten oder eigenen Siedlungen dient nicht der Integration. Deshalb müssen wir verstärkt auch Belegungsrechte im Bestand gewinnen und sichern. Die Novelle des Wohnungsbauförderungsrechts soll hier einen Schwerpunkt setzen: Wir wollen den Erwerb von Belegungsrechten und den Erwerb von Wohnraum als Instrumente der sozialen Wohnraumförderung im Bundesrecht verankern. Auch für Wohnungsversorgungsmaßnahmen im Bestand ist die Kooperation von Gemeinden, Wohnungswirtschaft und Wohlfahrtspflege unverzichtbar. Achtens. Finanzielle und soziale Benachteiligungen in der Gesellschaft können nicht allein durch die Wohnungspolitik beseitigt werden. Dies gilt auch für die Probleme der Obdachlosigkeit. Die Wohnungspolitik ist aber eine von mehreren wichtigen Handlungsfeldern. Sie wird auch in Zukunft ihren Beitrag leisten und dabei die Zusammenarbeit mit allen anderen wichtigen Fachpolitiken suchen, die zur Problemlösung beitragen können und müssen. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 706. Sitzung am 29. November 1996 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Neuntes Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes - Gesetz zu dem Übereinkommen vom 15. Dezember 1994 über die Sicherheit von Personal der Vereinten Nationen und beigeordnetem Personal - Gesetz zum Dokument vom 31. Mai 1996 zur Änderung des Vertrags vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte in Europa (Flankenvereinbarung) - Gesetz zu dem Abkommen vom 29. Mai 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Weiterhin hat der Bundesrat in seiner 706. Sitzung am 29. November 1996 beschlossen, der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1994 (Jahresrechnung 1994) aufgrund der Bernerkung des Bundesrechnungshofes Entlastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes und § 114 der Bundeshaushaltsordnung zu erteilen. Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat sieht in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Bundesrechnungshofes die Notwendigkeit effizienter und sachgerechter Außenprüfungen durch die Steuerverwaltung zur Sicherung des Steueraufkommens. Die Außenprüfung hat große Bedeutung für die Gesetzmäßigkeit, Gleichmäßigkeit und Wettbewerbsneutralität der Besteuerung. In diesem Interesse stehen die Länder in einem ständigen Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Der Bundesrat weist allerdings darauf hin, daß eine Vereinheitlichung von Verwaltungsmaßnahmen und Prüfungsvorgaben einschließlich der personellen und materiellen Ausstattung der zuständigen Behörden aufgrund der verfassungsrechtlichen Organisations- und Personalhoheit der Länder nur begrenzt möglich ist. Zur Frage des Länderfinanzausgleichs verweist der Bundesrat auf den einstimmigen Beschluß der Ministerpräsidenten der Länder vom 10. bis 12. Mai 1996, mit dem abgelehnt wird, Steuermehreinnahmen aus Betriebsprüfung und Steuerfahndung im Länderfinanzausgleich anders zu behandeln als sonstige Steuereinnahmen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/4514 Nr. 1.4 Drucksache 13/4514 Nr. 1.7 Drucksache 13/5687 Nr. 1.1 Innenausschuß Drucksache 13/3117 Nr. 2.1 Drucksache 13/4921 Nr. 2.23 Drucksache 13/5056 Nr. 2.8 Drucksache 13/5555 Nr. 2.64 Drucksache 13/5555 Nr. 2.76 Drucksache 13/5555 Nr. 2.79 Drucksache 13/5555 Nr. 2.88 Drucksache 13/5837 Nr. 1.1 Rechtsausschuß Drucksache 13/4921 Nr. 2.9 Drucksache 13/5555 Nr. 2.75 Finanzausschuß Drucksache 13/4921 Nr. 1.6 Drucksache 13/5295 Nr. 3.2 Drucksache 13/5555 Nr. 1.6 Drucksache 13/5555 Nr. 1.8 Haushaltsausschuß Drucksache 13/5687 Nr. 2.24 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/5555 Nr. 2.24 Drucksache 13/5687 Nr. 2.9 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/5555 Nr. 2.27 Drucksache 13/5555 Nr. 2.60 Drucksache 13/5555 Nr. 2.70 Drucksache 13/5555 Nr. 2.85 Drucksache 13/5555 Nr. 2.91 Drucksache 13/6129 Nr. 1.9 Ausschuß für Gesundheit Drucksache 13/4466 Nr. 2.6 Drucksache 13/5295 Nr. 1.19 Drucksache 13/5687 Nr. 2.36 Drucksache 13/5866 Nr. 1.1 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/5555 Nr. 1.19 Drucksache 13/5555 Nr. 2.87 Drucksache 13/5687 Nr. 2.3 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/5837 Nr. 1.8 Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Drucksache 13/5555 Nr. 2.1 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/5687 Nr. 2.1 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/5555 Nr. 2.82 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/5056 Nr. 2.14 Drucksache 13/5555 Nr. 1.10 Drucksache 13/5555 Nr. 1.12 Drucksache 13/5687 Nr. 1.2 Drucksache 13/5555 Nr. 1.18
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Verehrter Herr Kollege Hauchler, ich will ja gerne zur Kenntnis nehmen, was Sie geredet haben. Ich nehme aber auch zur Kenntnis, was Sie im Antrag stehen haben.

    (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das steht da auch drin!)

    Da steht, nachdem Sie vorher von ökologischen und sozialen Mindeststandards gesprochen haben:
    Diese Grundlagen haben sich als Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland ... bewährt.
    Damit bin ich einverstanden. Aber Sie machen die Mindestanforderungen der Bundesrepublik Deutschland zum Inhalt Ihrer Forderungen, deshalb habe ich so geantwortet. Das steht hier klar und deutlich drin.

    (Widerspruch bei der SPD)

    - Dann drücken Sie sich deutlicher aus, und zwar nicht nur in Ihrer Rede, sondern vor allem im Geschriebenen!
    Herr Hauchler, wundert es Sie überhaupt nicht, daß die Entwicklungsländer vor wenigen Tagen geschlossen gegen Sozial- und Umweltstandards votiert haben und daß sie den Generalsekretär der ILO in Singapur ausgeladen haben?
    Die Entwicklungsländer haben Angst vor verstecktem Protektionismus. Früher hieß es in Indien: „Sie reden von der Bibel und meinen Kattun. " Heute heißt es in Indien: „Sie reden von Kinderarbeit und meinen Importsperre." Das ist die Bewußtseinslage der Entwicklungsländer, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht.

    (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Der indischen Eliten!)

    - Von wegen „indische Eliten", die armen Kinder, die wenigstens dort Arbeit finden, wollen nicht auch noch diesen Arbeitsplatz verlieren.

    (Zuruf von der SPD: Das ist eine Logik!)

    - Ich zitiere die Logik, die uns aus Indien und anderen Ländern entgegengebracht wird.


Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage der Kollegin Skarpelis-Sperk.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Aber bitte schön.