Gesamtes Protokol
Guten Morgen. - Erst einmal wünsche ich allen, da wir heute den 6. Dezember haben, einen schönen Nikolaustag.
Ich eröffne hiermit die Sitzung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines .. . Strafverfahrensänderungsgesetzes - DNA-Analyse -(... StVÄG)
- Drucksache 13/667 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer , Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafverfahrensänderungsgesetzes - Genetischer Fingerabdruck - (... StVÄG)
- Drucksache 13/3116 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/6420 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ronald Pofalla Dr. Jürgen Meyer Jörg van Essen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Abgeordnete Professor Jürgen Meyer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der genetische Fingerabdruck ist erstmals vor knapp zehn Jahren in England angewandt worden. Der Beschuldigte Collin Pitchfork wurde damals anhand einer Blutprobe als Vergewaltiger und Mörder von zwei jungen Mädchen überführt.
Seitdem ist, wie wir bei der Sachverständigenanhoning des Rechtsausschusses erfahren haben, weltweit in Hunderttausenden von Fällen Spurenmaterial, das am Tatort gefunden wurde, einer DNA-Analyse unterworfen worden. Dabei geht es in der Regel um die Frage, ob Haare, Blut, Hautpartikel oder Sperma vom Tatverdächtigen stammen, also um einen Identitätsnachweis. Die Analyse hat einen außerordentlich hohen Beweiswert, auch wenn der Bundesgerichtshof noch vor vier Jahren festgestellt hat, daß zur Überführung des Täters weitere Indizien hinzukommen müssen.
Ein Quantensprung der Kriminalistik? - so könnte man fragen. Seit über zehn Jahren dient das Verfahren auch zur Klärung von Abstammungsfragen. Wer könnte etwas gegen die Ablösung oder doch Ergänzung der altbekannten Blutgruppengutachten oder erbbiologischen Gutachten durch ein Verfahren mit größerem Beweiswert haben?
Und doch: Daß es sich hierbei um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung handeln kann, wozu es einer gesetzlichen Grundlage bedarf, läßt sich kaum bestreiten. Das wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß die heutige Praxis der DNA-Analyse nicht mehr zwischen nichtkodierenden und kodierenden Teilen unterscheidet, die als solche Aufschlüsse über menschliches Erbmaterial geben können.
Grundsätzlich könnten in naher Zukunft mit derselben Methode, mit der heute Identität und Abstammung festgestellt werden, auch Erbinformationen gewonnen werden. Man könnte daran denken, Charakter oder krankheitsbedingte Persönlichkeitsmerkmale festzustellen. Diese könnten zur Erarbeitung genetischer Phantombilder für Fahndungszwecke führen oder als Grundlage für die Beurteilung der Schuldfähigkeit oder für Sozialprognosen im Straf-
Dr. Jürgen Meyer
prozeß dienen. Außerhalb des Strafverfahrens könnte die Kenntnis der Erbanlagen zur Grundlage von Prognosen und entsprechenden Entscheidungen werden, beginnend bei der Familienplanung über die Berufswahl und Arbeitsplatzentscheidungen bis hin zu Alltagsentschlüssen verschiedenster Art.
Dieses zeigt: Wir haben es mit einem Verfahren zu tun, das vom Gesetzgeber geregelt werden sollte. Hier geht es um Grundfragen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Wir sind unstreitig an einem Punkt angekommen, an dem der Gesetzgeber entscheiden muß. Seine Aufgabe ist es, die Anwendung der neuen Erkenntnisverfahren sozialverträglich zu gestalten.
Deshalb haben wir Sozialdemokraten bereits vor ziemlich genau vier Jahren einen. Gesetzentwurf vorgelegt, der von der Grundforderung ausgeht, daß die DNA-Analyse im Strafverfahren neben der Feststellung der Abstammung nur als Beweismittel zur Identitätsfeststellung, also insbesondere zur Täteridentifikation, zugelassen wird. Der SPD-Entwurf beruhte auf rechtsvergleichenden und rechtsdogmatischen Vorarbeiten, die im Freiburger Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht geleistet worden waren, und einem der Referentenentwürfe.
Wir freuen uns, daß sich die Bundesregierung in ihrem im vergangenen Jahr eingebrachten Gesetzentwurf dieser Grundposition angeschlossen hat. Wegen verschiedener Differenzpunkte zu einzelnen Sachfragen, die ich hier nicht näher behandeln kann, haben wir unseren Gesetzentwurf, ebenfalls im vergangenen Jahr, erneut eingebracht. Die Frage, ob die Bundesregierung ohne die vorangegangene Gesetzesinitiative der SPD-Fraktion jemals über das Stadium von Referentenentwürfen hinausgelangt wäre,
muß offen bleiben.
- Solche Fragen werden immer gerne gestellt und von uns unterschiedlich beantwortet, verehrter Herr Kollege.
Zu Beginn der Gesetzesberatungen im Rechtsausschuß haben wir uns darauf verständigt, die Beratung des gleichzeitig vom Bundesrat eingebrachten Entwurfes eines Strafverfahrensänderungsgesetzes -„StVÄG 1994" heißt die schöne Abkürzung - zunächst zurückzustellen. Das geschah einmal deshalb, weil der Entwurf, der die datenschutzrechtlichen Konsequenzen aus dem bekannten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 für das Strafverfahren zu ziehen versucht, noch erhebliche Mängel aufweist. Möglicherweise hat sich auch
deshalb in der ersten Lesung dieses Entwurfes hier im Bundestag am 19. Januar 1996 kein Vertreter des Bundesrates zu dem Entwurf geäußert.
Der wichtigere Grund für die Abtrennung der Beratung des Bundesratsentwurfes bestand aber darin, daß die Bundesregierung zum wiederholten Mal angekündigt hat, demnächst einen eigenen StVÄG- Entwurf vorzulegen. Darauf warten wir nun schon seit vielen Jahren.
Eigentlich ist es Zeit, daß die Bundesregierung ihre Ankündigung, zuletzt in der Stellungnahme zum Bundesratsentwurf vom 12. Januar 1995, wahr- macht, in der es wörtlich heißt: „Die Bundesregierung wird alsbald einen Regierungsentwurf vorlegen und sieht deshalb von einer Stellungnahme im einzelnen ab." Was heißt „alsbald" bei dieser Bundesregierung, gestatte ich mir zu fragen. Wir hoffen, daß sich die Müdigkeit der Rechtspolitik, jedenfalls im Bereich der Kriminalpolitik, mit der wir es seit einigen Jahren zu tun haben, in diesem Fall sehr bald in kreative, schöpferische Munterkeit auflöst.
Lassen Sie mich die wesentlichen Punkte nennen, derentwegen wir heute dem Gesetzentwurf nach insgesamt sehr kooperativen Gesprächen im Kreis der Berichterstatter zustimmen können:
Die Analyse darf jetzt - erstens - nur zur Feststellung der Abstammung oder zur Feststellung der Herkunft des Spurenmaterials vom Beschuldigten oder Verletzten durchgeführt werden. Feststellungen über genetische Anlagen sind damit ausgeschlossen und selbstverständlich unverwertbar.
Die Untersuchung darf - zweitens - nur durch den Richter angeordnet werden. Eine staatsanwaltschaftliche Eilzuständigkeit gibt es - darauf haben wir großen Wert gelegt - nicht.
Die Gutachterstellen werden - drittens - durch die zuständige Datenschutzbehörde überwacht. Bei den nichtöffentlichen Stellen sind schon jetzt anlaßunabhängige Kontrollen möglich. Eine entsprechende Regelung muß nach Auskunft des Justizministeriums auf Grund der Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union bis Oktober 1998 auch für die öffentlichen Gutachterstellen eingeführt werden, wo es sie bisher noch nicht gibt, nämlich - ich nenne diese Länder ausdrücklich - in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt.
Viertens muß eine organisatorische und sachliche Trennung der ermittlungsführenden Dienststelle von der Gutachterstelle gewährleistet sein, wenn beide derselben Organisationseinheit, etwa einem Landeskriminalamt, angehören. Unsere frühere Forderung, ermittlungsführende Behörden ganz von der Gutachtertätigkeit auszuschließen, haben wir aufgegeben, weil die in den letzten Jahren vor allem bei einzelnen Landeskriminalämtern aufgebaute Sachkompetenz und Erfahrung auch weiter genutzt werden sollen.
Dr. Jürgen Meyer
Fünftens. Trotz der Bedenken einzelner Gutachterstellen ist den Sachverständigen künftig das Untersuchungsmaterial anonymisiert zu übergeben; denn es ist nicht Sache des Gutachters, sondern allein des Gerichts, den Akten weitere Indizien für die Richtigkeit oder die Unrichtigkeit des Gutachtens zu entnehmen.
Sechstens. Die in der StPO vorgesehene Benachrichtigungspflicht gegenüber dem Beschuldigten oder anderen von der Maßnahme betroffenen Personen wird ausdrücklich auf die DNA-Analyse erstreckt.
Siebtens ist die Erstellung eines genetischen Fingerabdrucks im Bußgeldverfahren ausgeschlossen.
Ich will nicht verschweigen, daß wir uns entsprechend unserem Entwurf wesentlich präzisere Regelungen für die Vernichtung von Spurenmaterial und auch Untersuchungsergebnissen vorgestellt hätten, sobald sie für das konkrete Strafverfahren nicht mehr benötigt werden. Das gilt für den Beschuldigten, sobald ein Tatverdacht entfällt. Es gilt erst recht für Dritte, also Zeugen oder Opfer oder solche Personen, die ihr Material freiwillig übergeben haben.
Für diese letztgenannte Personengruppe sieht der Entwurf leider überhaupt keine Vernichtungsregelung vor. Der vom Justizministerium zur Begründung ins Feld geführte Grundsatz der Aktenvollständigkeit ist unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung alles andere als überzeugend.
Entscheidend ist aber nicht so sehr, was in der einzelnen Akte aufbewahrt werden darf, sondern die ganz andere Frage: welche Daten künftig in Datenbanken gespeichert werden dürfen. In der Sachverständigenanhörung haben wir erfahren, daß einzelne Landeskriminalämter schon dabei sind, derartige Datenbanken ohne gesetzliche Grundlage aufzubauen. Auch deshalb brauchen wir dringend das eingangs erwähnte Strafverfahrensänderungsgesetz, das klare und rechtsstaatliche Regelungen enthalten sollte, welche Daten welcher Personen gespeichert und weitergegeben werden dürfen.
Bis dahin müssen wir wohl oder übel darauf vertrauen, daß die Datenschutzbeauftragten ihre Aufgabe wahrnehmen und verhindern, daß etwa die höchstpersönlichen Daten eines Beschuldigten, bei dem jeglicher Tatverdacht entfallen ist, am Ende im Europol-Computer gespeichert werden. Dieses darf nach unserer Auffassung nicht sein.
Wir werden die Praxis der Datenspeicherung und -weitergabe aufmerksam zu verfolgen haben. Die Bundesregierung sollte uns in einem Jahr einen Bericht über die Erfahrungen mit der heute zu verabschiedenden gesetzlichen Regelung vorlegen, damit wir notfalls neue Initiativen im Sinne des SPD-Entwurfes einleiten können.
Trotz dieser Vorbehalte ist das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz ein deutlicher Fortschritt gegenüber der bisherigen Praxis. Wir werden ihm deshalb zustimmen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Pofalla.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf sind nicht nur nach meiner Überzeugung, sondern auch nach dem, was Herr Professor Meyer gerade gesagt hat, ein ganzes Stück vorangekommen.
Während noch bei der ersten Beratung über den genetischen Fingerabdruck die Gegner mit angsterfüllten Augen Kritik übten, dürfte sich, glaube ich, die Situation inzwischen entkrampft haben. Mit dazu beigetragen hat vor allem die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses zu diesem Gesetzentwurf im vergangenen Sommer. Doch auch die, wie ich finde, zahlreichen klärenden Gespräche der Berichterstatter konnten Berührungsängste gegenüber der Materie auf allen Seiten abbauen. Hierbei hat sich bewahrheitet, worauf ich bereits zu Beginn der Debatte im Sommer dieses Jahres hingewiesen habe: Nicht überall, wo Genanalyse draufsteht - ich sage es einmal etwas plakativ -, steckt Sciencefiction dahinter. Vielmehr haben wir versucht, auf der Basis des Regierungsentwurfes zu Lösungen zu kommen, die dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit Rechnung tragen.
Als Grundlage für den eigentlichen Eingriff - auch das muß noch vorweggeschickt werden - dienen bereits heute, also auch schon vor der Verabschiedung, die §§ 81 a und c der Strafprozeßordnung.
Herr Kollege Meyer, Sie erlauben mir vielleicht, daß ich, bevor ich auf Details eingehe, zwei Anmerkungen zu dem mache, was Sie gerade hier vorgetragen haben. Sie haben den vielleicht ehrenhaften Versuch gemacht, die Frage der Mutter- oder Vaterschaft der Inhalte dieses Gesetzes zu klären,
und Sie haben dabei den Eindruck zu erwecken versucht, als seien wesentliche Gedanken des Regierungsentwurfes aus dem Entwurf der Sozialdemokraten aus der 12. Legislaturperiode übernommen worden. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß es eine weitestgehende Übereinstimmung zwischen diesem SPD-Entwurf und dem damaligen Referentenentwurf der Bundesregierung gibt;
dies zeigt ein Vergleich beider Entwürfe deutlich.
Im übrigen hat sich ja ein Doktorand, wenn ich es richtig gehört habe, der bei Ihnen promoviert hat
Ronald Pofalla
- zwei sogar; ich kenne nur diese eine Arbeit -, mit dieser Frage beschäftigt. Er soll interessanterweise zu dem Ergebnis gekommen sein, als er die Entwürfe verglichen hat, daß der Entwurf der SPD aus der 12. Legislaturperiode weitestgehend mit dem Referentenentwurf der Bundesregierung übereinstimmte. Wenn dies einer Ihrer Doktoranden in einer Arbeit feststellt, die Sie selber begleitet haben,
dann ist das der beste Beweis für die Tatsache, daß Sie in Ihrem damaligen Entwurf viele Gedanken der Regierung übernommen haben. Damit sollten wir die Debatte darüber, wer hier was an welcher Stelle übernommen hat, beenden.
Eine zweite Anmerkung, weil Sie hier den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strafverfahrensänderungsgesetz angemahnt haben: Wir haben ja ganz bewußt die ehemals zusammen vorgesehene Beratung beider Gesetzentwürfe entkoppelt, weil wir damals - ich glaube, einvernehmlich - der Auffassung waren, daß wir jetzt in einem ersten Schritt die Beratungen zum genetischen Fingerabdruck abschließen sollten, um von der jetzigen Rechtsgrundlage wegzukommen und zu mehr Sicherheit zu kommen, was wir ja auch - das haben Sie gerade bestätigt - in den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf geschafft haben. In einem zweiten Schritt - das war damals völlig unstreitig - soll dann der andere Gesetzentwurf beraten werden.
Daß Sie jetzt hier angemahnt haben, daß dieser Entwurf noch nicht vorliegt, kann ich deshalb nicht ganz nachvollziehen, weil wir damals darin übereinstimmten, beide Verfahren voneinander abzutrennen. Wenn die Bundesregierung Zeit benötigt, um einen guten Gesetzentwurf vorzulegen, dann sollte das auch im Sinne Ihres Anliegens sein.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum genetischen Fingerabdruck regelt vor allem die zulässige Verwendung des ordnungsgemäß entnommenen Materials und dessen Vernichtung nach Gebrauch sowie verfahrenssichernde Rahmenbedingungen. Im Rahmen der Anhörung ist beispielsweise - wie ich damals feststellen konnte: für viele erstmals - der genaue Erkenntniswert der Genomanalyse verdeutlicht worden. Viele Bedenken gegen den Entwurf beruhten also zunächst auf purer Unkenntnis dessen, was die Genomanalyse und deren Ergebnisse für ein Ermittlungs- und Strafverfahren eigentlich ausmachen.
Als Ergebnis erhalten wir nämlich schlicht und ergreifend bloß eine Antwort auf folgende Frage - das sollten sich die Grünen im Rahmen ihrer Kritik vergegenwärtigen -: Stimmen zwei anonymisierte Strichcodes überein oder nicht? Das ist die Frage, um die es in diesem Zusammenhang geht. Es geht also im Ergebnis um nichts anderes als um die
Identifizierung oder Nichtidentifizierung eines Spurenlegers. Das Untersuchungsergebnis besteht aus nichts anderem als einem Ja oder einem Nein. Herr Beck, das sollten Sie sich vergegenwärtigen. Das, was Sie an Befürchtungen damit verbinden und was Sie in die Ergebnisse hineingeheimnissen, werden Sie keinem dieser Ergebnisse entnehmen können. Es geht schlicht und ergreifend um die Identität und damit um die Beantwortung der Frage: ja oder nein.
In diesem Zusammenhang hat die Anhörung viel Klarheit gebracht. Es wurde beispielsweise geäußert, daß man sich - Sie, Herr Meyer, haben das bestätigt -, nicht nur auf die Begriffe „kodierend" oder „nichtkodierend" festlegen solle. Ziel der gesetzlichen Regelung müsse vielmehr sein, daß eine Ausforschung von Erbanlagen auszuschließen sei.
Dieses Postulat spiegelt sich in § 81 e Abs. 1 Satz 1 StPO wider. Molekulargenetische Untersuchungen dürfen demnach nur zur Feststellung der Abstammung und zur Identifikation aufgefundenen Spurenmaterials mit demjenigen des Beschuldigten oder Verletzten durchgeführt werden. Diese Definition hat auch Ihre Zustimmung gefunden.
Weiter wurde betont, daß sinnvolle Untersuchungen am Spurenmaterial zur Auffindung des Täters keineswegs generell durch gesetzliche Zielbestimmungen unterbunden werden sollen. Es müsse allenfalls klar sein, daß lediglich der Identitätsvergleich zwischen Spurenleger und Tatverdächtigem das Ziel der Analyse sein dürfe, ohne daß weitergehende Erb- oder Charakterinformationen offengelegt werden. Hierauf reagiert der Regierungsentwurf in § 81 e, der dahin gehende weitere Feststellungen untersagt und hierauf gerichtete Untersuchungen ausdrücklich für unzulässig erklärt.
Die Ergebnisse unserer Anhörung bestätigen meines Erachtens auch sehr anschaulich, daß die im Entwurf getroffene Regelung strafprozessualer Ergänzungen notwendig und richtig ist.
Auch im Rahmen mehrerer Berichterstattergespräche konnte im Anschluß an die Anhörung geklärt werden, daß der Entwurf durchaus auch Vorschriften zugunsten eines Beschuldigten enthält. Soweit etwa Untersuchungsergebnisse nicht vernichtet werden sollen, wird dem Beschuldigten eine weitere Entnahme genetischen Materials zum Zweck einer erneuten Analyse erspart. Hierdurch wird besonders bei Wiederholungstätern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen.
Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Vernichtungsregelungen beispielsweise hinsichtlich des gewonnenen Materials absolut eindeutig sind. Es ist unverzüglich, nachdem die Analyse durchgeführt worden ist, zu vernichten. Sorgen, daß mit diesen Materialien die Justiz möglicherweise andere „Vorhaben" verwirklichen könnte, waren unangemessen.
Ronald Pofalla
Wir haben eindeutig festgelegt, daß das aufgefundene Material, das analysiert worden ist, danach sofort zu vernichten ist.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang, Herr Professor Meyer, trotz der kleineren Fingerhakeleien am Schluß der Beratungen bei allen Berichterstattern der anderen Fraktionen für die außerordentlich sachliche und zielorientierte Beratung sowohl während der Anhörung als auch während vieler Berichterstattergespräche bedanken. Ich glaube, dieser Gesetzentwurf bringt Rechtsklarheit und -sicherheit und entspricht dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen, daß es zu einer gesetzlichen Regelung dieser Problematik kommt, da die DNA-Analyse schon seit Jahren angewandt wird. Gleichwohl stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zu.
Der genetische Fingerabdruck befindet sich im Spannungsfeld zwischen Wahrheitsermittlung, Eingriffen in Persönlichkeitsrechte und dem Recht des Verurteilten auf Wiederaufnahme. Große Vorsicht und größtmöglicher Schutz vor gravierenden Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte sind gefordert. Dem wird der Regierungsentwurf in der Ausschußfassung noch nicht gerecht.
Die DNA-Analyse umgibt sich mit dem Nimbus absoluter Sicherheit, leicht kann die suggestive Kraft des scheinbar naturwissenschaftlich Gesicherten die in der Beweiskette klaffenden Lücken zudecken. So lüftete der „Spiegel" vergangene Woche mit Hilfe einer genomanalytischen Untersuchung vermeintlich das Geheimnis um Kaspar Hauser. War Kaspar Hauser also nicht der Erbprinz von Baden, sondern nur ein einfältiger Tor? Den vorgeblichen Beweis hat die Analyse eines Blutflecks an einem Kleidungsstück, das Hauser getragen haben soll, erbracht.
Der Umstand, daß der Produzent des Blutflecks nicht mit dem Hause Baden verwandt ist, mag ja durch die DNA-Analyse bewiesen sein; nichts sagt die Analyse jedoch darüber aus, daß die Hose tatsächlich von Hauser stammt oder daß der Blutfleck die Folge des Mordes im Jahre 1833 war.
Unlogik und mangelnde Sorgfalt bei der Beweisführung sind sicherlich kein Spezialproblem bei der DNA-Analyse. Das Beispiel zeigt jedoch, wie leicht es fällt, hier einem Trugschluß aufzusitzen, ohne
überhaupt von den naturwissenschaftlichen Problemen unterschiedlicher Merkmalswahrscheinlichkeiten bei verschiedenen Populationen zu reden.
Mit Hilfe der DNA-Analyse wird eine äußerst detaillierte Struktur menschlicher Individualität entschlüsselt. Die Anwendung der DNA-Analyse im Strafverfahren ist deshalb so einzugrenzen, daß das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleibt. Die Feststellung personenbezogener Anlagen muß verhindert werden.
Ich will nicht verhehlen, daß der im Rechtsausschuß gefundene Kompromiß durchaus positive Aspekte enthält. Zu nennen ist etwa die Beschränkung der Zulässigkeit der Analyse auf die Identitätssicherung und Abstammung, der Richtervorbehalt, die Anonymisierung der Proben sowie die vorgesehene Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten.
Nichtsdestotrotz ist es Aufgabe des Gesetzgebers, im Umgang mit einer so sensiblen Materie jeglichem potentiell durchaus möglichen Mißbrauch und einer Überschreitung der Kompetenzen der Exekutive vorzubeugen. Der Exekutive müssen klare Vorgaben gemacht werden.
Ich will fünf Punkte nennen, wo wir Mängel an diesem Entwurf feststellen.
Erstens. Wir vermissen Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Die extreme Fehleranfälligkeit der DNA- Analyse bleibt unberücksichtigt.
Zweitens. Wir fordern die Überprüfung des Beweiswertes durch generelle Zweitgutachten. Es ist gerade ein Problem, daß die Prozeßbeteiligten in der Regel nicht über das Fachwissen verfügen, um die notwendige Methodenkritik durchzuführen oder nachzuvollziehen, die der Gutachter anstellt.
Drittens. Bedenken haben wir auch hinsichtlich der untersuchenden Stellen. Hier hätten wir uns gewünscht, um jeden Anschein der Einflußnahme zu vermeiden, die Untersuchung durch Organisationseinheiten der ermittlungsführenden Behörden gänzlich auszuschließen.
Viertens. Wir fordern darüber hinaus eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die genomanalytische Register für unzulässig erklärt. Anders als bei Fingerabdrücken kommt auch zu Identifizierungszwecken gespeicherten umfassenden Gencodes eine Aussagekraft über tatsächliche oder vermeintliche körperliche, gesundheitliche und charakterliche Disposition zu.
Daß diese Untersuchungsergebnisse digitalisiert und in einer vergleichsfähigen Form in Dateien abgespeichert werden, muß verhindert werden. Derartige Gendatenbanken werden in den USA und Großbritannien gegenwärtig aufgebaut und genutzt. Entsprechende Wünsche werden auch von deutschen Strafverfolgern und in Kreisen der Union bereits geäußert. Ich kann vor einem solchen Weg nur warnen.
Zum Schluß noch der fünfte Punkt. Will man solche Datenbanken verhindern, muß man auch die Untersuchungsergebnisse der nicht mehr Tatverdächtigen in den Akten vernichten. Andernfalls entstehen Da-
Volker Beck
tensätze über mehrere hundert Personen zum Teil in einem einzigen Ermittlungsverfahren.
Ich hoffe, daß unsere Kritik zu einer sensiblen Praxis bei den Instituten und in der Rechtspflege führt und daß der Gesetzgeber die notwendigen Nachbesserungen in Zukunft in einem zweiten Gesetzgebungsverfahren noch vornehmen wird.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege van Essen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn wir in diesen Tagen erneut eine heftige Diskussion über die Gentechnik und ihre Anwendung erleben, hat sich ein Teilaspekt dieser immer noch neuen Technik einen unverzichtbaren Platz im Strafprozeß erobert, nämlich die Genomanalyse. Es gibt sie seit etwa zehn Jahren - der Kollege Meyer hat schon darauf hingewiesen -, und sie hat zu entscheidenden Fortschritten in der Strafrechtspflege geführt.
Die Genomanalyse ist nämlich eine besonders sichere Methode der Identifizierung einer Täterin oder eines Täters, und sie kann dabei in zweierlei Hinsicht von Bedeutung sein.
Zum einen kann sie mit größter Genauigkeit eine Täterschaft nachweisen, aber auch mit gleicher Sicherheit ausschließen, daß Unbeteiligte einem unberechtigten Vorwurf ausgesetzt werden.
Ich erinnere an mehrere Fälle schwerster Sexualmorde an Mädchen, bei denen durch eine große Zahl von freiwillig gewährten Genomanalysen der als Täter in Frage kommenden Männer der wirkliche Täter jeweils in kurzer Zeit festgestellt werden konnte. Sie hat damit gleichzeitig viele Unschuldige von einem schweren Vorwurf entlastet.
Dieses Beispiel einer großen Zahl gleichzeitiger Maßnahmen gegen mögliche Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren macht aber auch offene Fragen deutlich. Was geschieht zum Beispiel mit dem Spurenmaterial der vielen unschuldigen Personen? Ich bin deshalb sehr froh, daß wir die über Jahre andauernde Debatte darüber, ob die Genomanalyse zur Identitätsfeststellung im Strafprozeß einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf oder ob die bestehenden Vorschriften zur Vornahme körperlicher Untersuchungen ausreichen, nunmehr einem Ende zuführen.
Wir haben uns für die gesonderte Kodifizierung in der Strafprozeßordnung entschieden und eine Regelung vorgenommen, die die volle Zustimmung der Freien Demokraten findet. Ich freue mich, daß sich auch die größte Oppositionspartei in einer so sensiblen Frage wie dieser in dem Gesetz wiederfindet und ihm zustimmt, auch wenn das Gesetz in einem wesentlichen Punkt von dem der SPD abweicht. Die dort vorgesehene Einsatzschwelle des dringenden
Tatverdachts haben wir nicht in das Gesetz übernommen und damit auch einer Forderung des Richterbundes entsprochen. Ich stimme dieser zu, denn auch aus Praktikabilitätsgründen dürfen keine besonderen Hürden für den Einsatz molekulargenetischer Untersuchungen geschaffen werden.
Bei einer Spurenanalyse muß es frühzeitig möglich sein, festzustellen, ob das aufgefundene Spurenmaterial vom Täter, vom Opfer oder von Dritten stammt. Material, von dem dagegen ausgeschlossen ist, daß es zur Ermittlung des Täters und zum Nachweis seiner Tat dienen kann, darf hingegen nicht weiter verwandt werden. Insbesondere darf es keine präventive Speicherung von Untersuchungsdaten und -ergebnissen für andere als dem konkreten Strafverfahren dienende Zwecke geben.
Gerade unter dem Gesichtspunkt eines besseren Datenschutzes, der uns Liberalen natürlich besonders am Herzen liegt, ist die vorgeschlagene Regelung des Regierungsentwurfs mit den Änderungen, die wir vorgenommen haben, notwendig und hilfreich.
Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die Vernichtungsregelungen. Bei den Untersuchungsmaterialien ist zwischen dem Interesse der Strafverfolgungsbehörden an einer weiteren Nutzung des Materials und dem Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung abzuwägen. Deshalb schlagen wir vor, den Beschuldigten oder Dritten entnommenes Material, das für das zugrunde liegende Strafverfahren nicht mehr benötigt wird, unverzüglich zu vernichten. Aufgefundenes, sichergestelltes oder beschlagnahmtes Spurenmaterial darf hingegen keiner Vernichtungsregelung unterliegen. Es wäre fatal, solche unwiederbringlichen Beweismaterialien nach Abschluß des Verfahrens zu vernichten, auch deshalb, weil dann dem Verurteilten keine Möglichkeit zur Wiederaufnahme seines Verfahrens gegeben wäre.
Für die Ergebnisse der Untersuchung an vorhandenem Beweismaterial sind selbstverständlich keine Vernichtungsregelungen vorgesehen. Sie werden nach rechtsstaatlichen Grundsätzen Teil der Verfahrensakten. Und: Wir haben selbstverständlich Wert darauf gelegt, daß das Untersuchungsziel auf die Abstammungs- und Identitätsfeststellung beschränkt wird, damit weitere genetische Untersuchungen des Materials ausgeschlossen sind. Das ist für uns die unabdingbare Voraussetzung für die Genomanalyse im Strafverfahren.
Wir sehen - im Gegensatz zu den Grünen - in neuen Techniken vorrangig die Chancen, und diese Chancen haben wir hier in rechtsstaatlicher Weise genutzt.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Uwe-Jens Heuer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beratungen zu den vorliegenden Gesetzentwürfen zum Zweck, zum Umfang und zum Verfahren der Genomanalyse im Strafverfahren waren sehr intensiv und erfreulicherweise überwiegend auf die Suche nach tragfähigen Lösungen orientiert. Nicht zuletzt trug auch die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuß Ende Juni durch das Aufeinanderprallen recht kontroverser Positionen zur Schaffung des Problembewußtseins bei.
Bewirkt wurde zweierlei: Zu Recht standen im Mittelpunkt der Debatte die mit der Genomanalyse verbundenen Gefahren. Es konnte durch die Übernahme von Vorschlägen des SPD-Entwurfs zugleich eine Reihe von Verbesserungen des Regierungsentwurfs erzielt werden.
Es geht - so wurde deutlich - eben nicht primär, wie es im Regierungsentwurf heißt, um die Reaktion auf nicht so recht nachvollziehbare „Ängste und Befürchtungen" in weiten Teilen der Bevölkerung. „Ängste und Befürchtungen" allein begründen ja auch noch keinen Handlungsbedarf, etwas rechtlich zu regeln. Es handelt sich vielmehr um objektiv gegebene, reale Gefahren. Ohne im geringsten die mit dieser neuen Technik einhergehende Revolution des medizinischen Sachbeweises in ihrer positiven Bedeutung für Täterfeststellung und Täterausschluß zu übersehen, geht es für den Gesetzgeber im Kern um eine Grundrechtsfrage. Beide Entwürfe hatten ja bereits diesen Ansatz.
Mit der Genomanalyse ist eine völlig neuartige Gefährdungssituation für die individuelle Freiheit gegeben. Wie Hans-Peter Bull in der öffentlichen Anhörung meines Erachtens sehr zutreffend anmerkte, gehört Ungewißheit der Umwelt über die Anlagen des einzelnen zur freien und offenen Gesellschaft. Die Polemik zum Beispiel seitens eines Sachverständigen bei der Anhörung gegen ein Übermaß an Verboten mag aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden verständlich sein. Aus der Sicht des Grundrechtschutzes ist das ein falscher Ausgangspunkt.
Der Gesetzgeber hat die Pflicht, gegen die informationelle Selbstbestimmung gerichtete Fehlentwicklungen zu verhindern. Mit Informationsverzichten in der Strafverfolgung müssen wir uns unter Umständen dann abfinden, wenn ansonsten Grundrechte auf der Strecke bleiben. Nicht ohne Grund ist ja die Bundesrepublik erfreulicherweise nicht den Weg der USA und Großbritanniens gegangen, möglichst umfassende DNA-Dateien anzulegen, was den Schutz vor Mißbrauch zu einer unlösbaren Aufgabe machen würde.
Ich halte die Übernahme einiger Regelungen des SPD-Entwurfs für ein positives Ergebnis. Dennoch bleiben nach meiner Ansicht Mängel. Das betrifft sowohl - das ist hier gesagt worden - die Probleme der Vernichtungsvorschriften und der Einsatzschwelle als auch Maßnahmen der qualitativen Sicherung. Deswegen sind wir trotz beachtenswerter Fortschritte nicht in der Lage, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten.
Für die Bundesregierung erhält jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Funke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von meinen Vorrednern ist schon sehr viel Kluges zu den Grundlagen und Erfolgen der DNA-Analyse gesagt worden, so daß ich darauf nicht einzugehen brauche. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß der Tatrichter trotz DNA-Analyse alle Beweisumstände würdigen muß. Denn sie ist natürlich kein hundertprozentiges Beweismittel. Die DNA- Analyse enthält lediglich eine statistische Aussage, so daß den mit einer solchen Analyse ermittelten Ergebnissen kein unumstößlicher Beweiswert beizumessen ist.
Derzeit wird der Einsatz der DNA-Analyse auf die §§ 81 a und 81 c der Strafprozeßordnung gestützt. Die in weiten Teilen der Bevölkerung anzutreffenden, mit der Gentechnik ganz allgemein verbundenen Ängste und Befürchtungen vor übermäßigen, den Kern der Persönlichkeit berührenden Eingriffen legen jedoch eine besondere gesetzliche Regelung der DNA-Analyse für die strafprozessuale Nutzung nahe. Ziel einer gesonderten gesetzlichen Regelung ist die klare Festschreibung der Voraussetzungen und Beschränkungen der DNA-Analyse. Auch der Deutsche Bundestag und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz haben deshalb eine gesetzliche Regelung der DNA-Analyse im Strafverfahren für geboten erachtet.
Der vorliegende Entwurf der Bundesregierung regelt die DNA-Analyse als Untersuchungsmethode einschließlich verfahrenssichernder Rahmenbedingungen. Darüber hinaus enthält er die im Hinblick auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Stichwort: sogenanntes Volkszählungsurteil - notwendigen Regelungen von Fragen der Zweckbindung und Vernichtung des Untersuchungsmaterials.
Diese Regelungen halte ich aus verfassungs- und datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten für erforderlich. Denn mit der immer schneller fortschreitenden Entwicklung gentechnischer Forschung wächst auch das Maß an Erkenntnisgewinnung. Ist deshalb die Ausforschung der Persönlichkeit erst einmal gentechnisch machbar - was derzeit utopisch erscheint -, dann erhöht sich die Gefahr eines mißbräuchlichen Zugriffs auf vorhandene Blutproben und Körperzellen sowie einer Speicherung und Weitergabe der hieraus gewonnenen schutzbedürftigen Daten - mit der Zielsetzung etwa, potentielle Straftäter zu erkennen. Dem tritt der vorliegende Entwurf mit seinen Verwendungs- und Verpflichtungsregelungen entgegen, und zwar für alle entnommenen Blutproben und Körperzellen. Die Mißbrauchsgefahr ist übrigens kein Spezifikum der DNA-Analyse, sondern diese Gefahr ist bereits heute bei jeder Blut- und Körperzellenprobe gegeben.
Parl. Staatssekretär Rainer Funke
Ich freue mich, daß es einen breiten Konsens zu diesem Entwurf der Bundesregierung gibt und daß auch die SPD diesen Entwurf mitträgt.
- Ich komme gleich darauf. - Es ist immer wieder festzustellen: Der Erfolg hat viele Väter; der Mißerfolg, wenn es dazu gekommen wäre, wäre ein Waisenkind.
Wir sollten uns heute darüber freuen, daß dieses Gesetz viele Väter hat.
- In diesem Falle sind es Väter. In der Debatte haben ja auch nur Väter gesprochen.
- Ja, das sind sie auch.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Ihren Vorwürfen hinsichtlich des - wie es so schön heißt - RestStVÄG machen. Vielleicht ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, Herr Kollege Meyer, daß das Kabinett den Entwurf am 4. Dezember, also vor zwei Tagen, gebilligt hat. Er geht nun seinen Weg im Gesetzgebungsgang.
- Es wird sich herausstellen, daß Sie noch für längere Zeit nicht dabeisein werden, Herr Kollege Meyer.
- Nein, das bedaure ich nicht.
Der Entwurf ist nun auf dem besten Wege. Ich hoffe, daß mit der DNA-Analyse auf gesicherter gesetzlicher Grundlage gut gearbeitet werden kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes, Drucksachen 13/667 und 13/6420 Buchstabe a. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes der Fraktion der SPD, Drucksache 13/6420 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/3116 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD und einer Stimme aus der PDS bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und anderer Stimmen aus der PDS angenommen worden.
Ich weise die Kollegen darauf hin, daß es nach der Behandlung des Tagesordnungspunktes 13 und der Zusatzpunkte 8 und 9 wahrscheinlich zu einer Sitzungsunterbrechung wegen einer Sondersitzung der SPD-Fraktion kommt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Ernst Schwanhold, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die Welthandelsorganisation und ihre Rolle zur Weiterentwicklung des internationalen Handels und Wettbewerbs sowie zur Vereinbarung sozialer und ökologischer Mindeststandards
- Drucksache 13/6115 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Auswärter Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Schmitt , Kristin Heyne, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verankerung sozialer und ökologischer Mindeststandards im internationalen Handel und Reformperspektiven der Welthandelsorganisation
- Drucksache 13/6385 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ZP9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G. Fritz, Gunnar Uldall und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff, Paul K. Friedhoff und der Fraktion der F.D.P.
Stärkung der Welthandelsorganisation durch das WTO-Ministertreffen in Singapur vom 9. bis 13. Dezember 1996
- Drucksache 13/6387 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Herr Kollege Ingomar Hauchler das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Montag beginnt in Singapur die erste Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation, der WTO. Die Bundesregierung ist aufgefordert, einen konstruktiven Beitrag zu dieser Konferenz zu leisten. Wir sind eine der größten Wirtschaftsnationen und die zweitgrößte Handelsnation der Welt. Wir sind in hohem Maße mit der Weltwirtschaft verflochten. Dies sichert uns einen großen Einfluß in den internationalen Konferenzen, bedingt aber auch eine hohe Verantwortung der Deutschen für das internationale Wirtschafts- und Handelssystem. Gleichzeitig stehen wichtige deutsche Interessen auf dem Spiel.
Die SPD hat diese Debatte verlangt und einen ersten Antrag vorgelegt, weil wir dieser Konferenz und ihrem Ausgang eine hohe Bedeutung zumessen. Hier geht es um Weichenstellungen für die Zukunft, die sehr eng mit dem verbunden sind, worüber wir ständig debattieren: Standortfragen, Globalisierung und die Folgen für unser Land, aber auch für das internationale Wirtschaftssystem. Diese Fragen sind zu wichtig, als daß man sie der Bundesregierung allein überlassen sollte. Das Parlament sollte darüber diskutieren und eine eigene Position beziehen.
Handel und internationale Investitionen sind Motoren der Globalisierung. Auf der Basis fortgeschrittener Technologie, vor allem im Kommunikations- und Transportsektor, und auf der Basis der Liberalisierung der Finanzmärkte haben sich der internationale Handel und vor allem die internationalen Direktinvestitionen in den vergangenen Jahren wesentlich stärker erhöht als die globale Produktion. Hintergrund für die Liberalisierungsoffensive der vergangenen Jahre ist die Vorstellung, daß mit immer mehr internationaler Arbeitsteilung Gewinne für alle verbunden sind, und zwar für alle Länder, aber auch für alle Menschen in den einzelnen Ländern.
Das ist Sinn von Liberalisierung und internationaler Arbeitsteilung: Man verspricht sich komparative Kostenvorteile durch immer mehr Handel und Austausch: über mehr Wettbewerb, höhere Innovationsleistungen und höhere Produktivität und dadurch Wohlfahrt für alle und Wachstumsimpulse. So gesehen ist Freihandel jeder protektionistischen Abschottung vorzuziehen.
In der Wirklichkeit, Graf Lambsdorff, ergeben sich aber doch ein paar Probleme gegenüber diesen theoretischen und grundlegend richtigen Annahmen. Es müssen ganz bestimmte Bedingungen gegeben sein, damit wir die Früchte der internationalen Arbeitsteilung genießen können: Alle müssen Zugang zu den Märkten haben. Der Wettbewerb darf nicht nur frei sein, er muß auch einen geregelten Rahmen haben. Wir wissen aus den nationalen Volkswirtschaften, daß Wettbewerb sich selbst aufhebt, wenn er nicht geregelt ist. Auch Länder, die wirtschaftlich, technologisch oder hinsichtlich der Kapitalausstattung noch nicht so stark sind, müssen die Chance haben, wettbewerbsfähig zu werden. Das gilt vor allem für die armen Entwicklungsländer. Die Anpassungen, die notwendig sind, müssen sozial beherrschbar sein. Und es muß möglich sein, auch die ökologischen Probleme, die mit der Entwicklung verbunden sind, zu lösen.
Diese Bedingungen sind derzeit noch nicht oder nur ungenügend gegeben. Das wissen wir alle. Vor allem der globale Wettbewerb ist nicht gesichert. Wir haben einen immer höheren Anteil des Konzernhandels - Inter- und Intra- - im Vergleich zum Handel kleiner und mittlerer Unternehmen. Die Konzentration schreitet mit strategischen Allianzen voran. Subvention und Korruptionspraktiken weiten sich aus. Autonome spekulative Finanzbewegungen verzerren Wechselkurse und damit auch reale Leistungs- und Kostenunterschiede. Viele Entwicklungsländer haben bleibende strukturelle Nachteile und können nur langsam zu gleichgewichtigen Partnern im Handelssystem werden. Die Anpassungszwänge, denen wir ausgesetzt sind, führen zu hohen staatlichen Leistungen und sind mit für immer höhere staatliche Defizite - um die Kosten der sozialen Anpassung zu finanzieren - verantwortlich. Wir registrieren durch die Globalisierung einen Druck auf Masseneinkommen, was die Konjunktur nicht gerade fördert. Wir registrieren auch einen Druck auf die ökologische Vorsorge: Der Umweltschutz wird zum Teil zurückgefahren. So gesehen ist eine immer weitergehende Liberalisierung nicht für alle ein Gewinn,
vor allem nicht für viele Arbeitnehmer, für immer breitere Schichten auch unseres Volkes; auch nicht für viele Entwicklungsländer, die nicht mithalten können.
Dr. Ingomar Hauchler
Die Folge dieser Situation - einerseits Anspruch, andererseits Wirklichkeit - ist, daß wir im Vorfeld der Konferenz von Singapur in eine chaotische Verhandlungssituation geraten sind. Es gibt keine wirkliche Einigung über die Agenda: über die Themen und Prioritäten, die Schwerpunkte und die Abläufe. Wir registrieren auch eine wachsende Konfrontation zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern. Zwischen ihnen bauen sich immer mehr Hürden und Barrieren auf - vor allem bezüglich der sozialen Standards, der ökologischen Standards, des geistigen Eigentums und des Investitionsschutzes. Aber es gibt zunehmend auch zwischen den Industrieländern selbst Spannungen. Von einigen Industrieländern - und hier vor allem von den USA - wird der Handel oft als Instrument für die Durchsetzung politischer Ziele mißbraucht. Wir haben zwischen den großen Industrieländern auch nach wie vor offene und verdeckte Importbeschränkungen.
Eine zweite Folge der Situation, daß viele Bedingungen dafür, daß alle gleichberechtigt und fair am Welthandel teilhaben können, nicht gegeben sind, ist, daß es zu einem realen Abwertungswettlauf gekommen ist. Im Rahmen der Standortdebatte diskutieren wir darüber, daß wir immer mehr in einen Steuerwettlauf zwischen den Staaten hineingeraten, daß wir Probleme haben, Standards im Bereich der Masseneinkommen und der sozialen Sicherung zu halten. Wir registrieren auch eine Art Ausverkauf der Ökologiepolitik: Umweltschutz hat nicht mehr den zentralen Stellenwert, den er noch vor einigen Jahren gehabt hat. Dies sind alles Folgen eines Anpassungsdrucks, der politisch nicht bewältigt ist.
Meine Damen und Herren, die Position der SPD, die wir Ihnen hier in einem Antrag vorgelegt haben, geht von folgendem Grundsatz aus: Wir müssen die internationale Arbeitsteilung verstärken, aber mit konkreten, parallelen Schritten zu einer politischen Flankierung der Liberalisierung kommen. Die Bundesregierung darf in Singapur einer weiteren Liberalisierung bei Handel und Investitionen nur zustimmen, wenn im Rahmen der WTO gleichzeitig mit dem Aufbau eines verbindlichen politischen Ordnungsrahmens begonnen wird. Ich persönlich rate dazu: Wir brauchen eine Atempause, um politisch das verantwortlich zu flankieren, was sich in der Ökonomie immer mehr im ungeordneten Selbstlauf vollzieht.
Aus diesem Grundsatz folgen fünf Konkretisierungen: Erstens. Wir brauchen ein international sanktionsfähiges Wettbewerbsrecht für freien und fairen Handel. Wir brauchen also Schutz vor ruinösem staatlichen Wettbewerb. Wir brauchen ein Verbot internationaler Kartelle und Kooperationen, die sich immer mehr ausbreiten. Wir brauchen eine Konzentrationskontrolle.
Die Bundesregierung tut sich nicht hervor - obwohl sie das vorgibt -, um auf diesem Gebiet wirklich Fortschritte zu erzielen. Dies bestätigt Wirtschaftsminister Rexrodt, wenn er sagt: Wir wollen in Singapur auch dann weiteren Liberalisierungen zustimmen,
wenn es nicht rechtzeitig zu flankierenden Wettbewerbsregeln kommt. Das ist kontraproduktiv!
Zweitens. Durchsetzung sozialer Mindeststandards: Wir wollen keinen versteckten Protektionismus. Das muß ausgeschlossen werden.
Aber wir wollen, daß der Handel dazu genutzt wird, um völkerrechtlich vereinbarte Mindeststandards wirklich durchzusetzen. Sie alle - auch auf der rechten Seite des Hauses - haben den Vereinbarungen der ILO zugestimmt. Nun sorgen Sie auch dafür, daß sie durchgesetzt werden; sonst sind Ihre Unterschriften nichts wert.
Diese Unterschriften sind die Tinte auf dem Papier nicht wert, wenn Sie hier nicht Farbe bekennen und sagen: Wir nutzen das einzige Instrument, das es international überhaupt gibt, um völkerrechtlich vereinbarte soziale Standards durchzusetzen.
Auch hier tut sich die Bundesregierung nicht hervor. Sie bremst in diesen Fragen auf europäischer Ebene. Sie favorisiert zum Beispiel keine Arbeitsgruppe, um über diese Fragen zu diskutieren. Damit stellt sie sich auch gegen die USA und die meisten Länder in der EU
Es ist doppelzüngig, Unterschriften für soziale Mindeststandards zu leisten und dann nichts zu tun, um sie durchzusetzen.
Drittens. Wir wollen, daß auch in Singapur über ökologische Mindeststandards diskutiert wird, daß ein Rahmen geschaffen wird, um den Handel zu nutzen, damit internationale Regelungen, die völkerrechtlich vereinbart sind, durchgesetzt werden. Wenn das Montrealer Protokoll - Ozon -, das Baseler Abkommen - CO2 - oder das Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt nicht umgesetzt werden, dann betrifft dies auch uns vital. Ohne Umweltschutz nützen uns auf Dauer der ganze Handel und die ganzen Investitionen nichts.
Viertens. Wir können nicht erwarten, daß wir Industrieländer alle unsere Wünsche erfüllt bekommen, wenn wir keine Konzessionen gegenüber den schwächeren Ländern, den Entwicklungsländern, machen. Gegen die Industrieländer baut sich zunehmend Widerstand auf. Wir werden in den künftigen Handelskonferenzen keinen Erfolg haben, wenn wir nicht im stärkeren Maße Konzessionen machen hinsichtlich der Präferenzen im Handel und hinsichtlich einer berechtigten Berücksichtigung von temporärem Investitionsschutz - vor allem zum Schutz der jungen Industrien in den Entwicklungsländern.
Es ist doch Zynismus, wenn die Bundesregierung die weitere Integration der Entwicklungsländer in
Dr. Ingomar Hauchler
den Weltmarkt fordert, gleichzeitig aber flankierende positive Maßnahmen, damit Entwicklungsländer aufholen können, praktisch verweigert. Der beste Beweis ist das Zurückschneiden des Bundeshaushalts im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.
Fünftens. Wir brauchen den Einsatz der Bundesregierung für die Stärkung der WTO. Streitschlichtungsverfahren müssen konkretisiert und verbessert werden. Die WTO muß in die Lage versetzt werden, auch Sanktionen verhängen zu können, wenn ihre Regeln nicht eingehalten werden.
Ich komme zum Schluß: Wir fordern die Bundesregierung auf, sich in Singapur dafür einzusetzen, daß im Bereich von Handel und Investitionen nicht die gleiche Situation eintritt, wie wir sie bereits auf den Finanzmärkten registrieren, daß nämlich die Ökonomie einem Selbstlauf überlassen wird und die Fähigkeit der Politik ausgehebelt wird, im globalen und nationalen Interesse die Wirtschaft an demokratisch gesetzte kulturelle, soziale und ökologische Ziele zu binden. Ökonomie darf nicht zum Selbstzweck werden. Sie muß auch in Zukunft immer Mittel zum Zweck bleiben.
Ich erteile jetzt dem Herrn Kollegen Friedhelm Ost das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hauchler, von Ihrer Rede bin ich ein bißchen enttäuscht. Der Antrag der SPD-Fraktion ist nämlich besser als das, was wir von Ihnen gehört haben.
- Frau Skarpelis-Sperk, Sie können nachher Ihre Ausführungen machen. Daran können wir uns dann erfreuen. Vielleicht hören Sie aber erst einmal zu.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, kaum ein anderes vergleichbares Industrieland ist so stark in die Weltwirtschaft eingebunden wie die Bundesrepublik Deutschland. Der Blick auf unsere Zahlungsbilanz zeigt dies deutlich: Unser Exportvolumen betrug im vergangenen Jahr 750 Milliarden DM; in diesem Jahr ist die Tendenz Gott sei Dank weiterhin steigend. Dies ist ein Stabilisator, Impulsgeber für Wachstum und Beschäftigung. Aber auch unser Importvolumen ist mit 660 Milliarden DM im vergangenen Jahr relativ hoch.
Wir wissen allerdings, daß nicht nur der Außenhandel wichtig ist, sondern daß auch Dienstleistungen, auf die manche Experten immer weniger schauen, bedeutsam sind. Und unsere Dienstleistungsbilanz ist in tiefroten Zahlen.
Das gilt im übrigen auch für die Direktinvestitionen. In den letzten drei Jahren haben deutsche Firmen im Ausland gut 100 Milliarden DM investiert.
Das ist sehr positiv für die Sicherung von Märkten und die Eroberung neuer Marktanteile in Asien, Lateinamerika oder wo auch immer.
- Auch in Amerika; aber ebenso natürlich in der europäischen Nachbarschaft, auch in Mittel- und Osteuropa. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch registrieren, daß sich in den letzten drei Jahren ausländische Unternehmen gerade bei uns, vor allem auch in den neuen Bundesländern, mit 17 Milliarden DM nur relativ gering engagiert haben. Diese Entwicklung muß uns nachdenklich stimmen.
Wir sind eingebunden in die Globalisierung und Internationalisierung der Weltwirtschaft, ja in den internationalen Wettbewerb. Ich sage Ihnen auch: Wer sich hier ausklinken will, der wird sehr rasch auf die Verliererbahn geraten, der wird sehr rasch bei der internationalen, ja bei der Weltmeisterschaft in der Ökonomie nicht mehr mitspielen. Deshalb müssen wir uns - dazu ermuntern wir die Bundesregierung - sehr aktiv in die Handelspolitik, aber vor allem auch in die Währungspolitik einschalten. Ich denke, das, was wir mit dem Euro, mit der Europäischen Währungsunion anstreben, ist ganz wichtig für die Weiterentwicklung unserer Außenwirtschaft und damit auch für die Weiterentwicklung unserer Binnenwirtschaft, für Wachstum und Beschäftigung.
Mit künstlichen Mauern des Protektionismus, von denen offenbar Ihr Parteivorsitzender Lafontaine träumt - wenn ich das alles lese, was er gesagt hat, muß ich es so ausdrücken -, werden wir diese Herausforderungen der Zukunft nicht meistern.
- Nein, ich habe die Rede nachgelesen. Jetzt ist ja Weihnachtszeit, heute ist Nikolaustag, vielleicht schenken Sie ihm ein paar Bücher. Schenken Sie ihm doch einmal Adam Smith, den Urvater der klassischen Ökonomie!
- Zu Weihnachten. - Von ihm gibt es ein dickes Buch über den Reichtum der Nationen. Da hat Herr Lafontaine eine gute Lektüre. Im Saarland wird er bei einem schönen Glas Wein und bei Besinnlichkeit sehr rasch begreifen, daß der Reichtum der Nationen im Freihandel liegt.
- Lieber Herr, ich komme noch auf David Ricardo. Ich sehe, Sie reden auch darüber, haben es aber nicht gelesen. Ich habe extra noch einmal nachgeguckt. Jetzt erst einmal Adam Smith. Auf Ricardo komme ich gleich. Der hat schon Karl Marx beeinflußt. Offenbar sind Sie noch unbeeinflußt von David Ricardo.
Friedhelm Ost
Das wäre vielleicht ganz gut. Ich komme noch auf die komparativen Kosten von David Ricardo zu sprechen.
- Sie meinen, das sei nutzlos?
- Das mag ja sein, aber wenn er das im Original liest, bekommt er zumindest einen Englisch-Sprachkurs gratis.
Sie wissen, auf internationalen Konferenzen, ob Währungskonferenzen oder Welthandelskonferenzen, haben wir seit Jahren auch von den Entwicklungsländern gehört, daß es nicht immer nur um neue Kredite und finanzielle Hilfen geht, sondern um „Trade is better than aid". Handel ist besser als jede andere Hilfe. Deshalb müssen wir darauf setzen, und wir können den Bundeswirtschaftsminister nur dazu ermuntern, daß wir weiterhin die Märkte öffnen, daß wir einen liberalen Welthandel haben.
Natürlich, lieber Herr Kollege Hauchler, da sind wir uns alle einig. Da wird immer so getan, als stelle sich die Frage: Wer sind eigentlich die Besseren im Lande? Wir haben doch gestern über Menschenrechte diskutiert. Auch wir sind gegen Ausbeutung und Kinderarbeit. Ich denke, wir sollten auch sagen, daß es zahlreiche deutsche Unternehmen und auch Branchen gibt, die schon Selbstverpflichtungen eingegangen sind, was ja ein Fortschritt ist.
Zugleich ist aber davor zu warnen, Standards und Normen zu verlangen, wie wir sie inzwischen bei uns haben. Wissen Sie, diese wilhelminische Weisheit jetzt auf die Weltwirtschaft überzustülpen - am deutschen Wesen soll die Welt genesen - wäre falsch.
Außerdem - wir hören es auch aus vielen anderen Industriestaaten - wird hier versucht, mit einem gerüttelt Maß an Heuchelei Außenwirtschaftspolitik zu betreiben. Dagegen sollten wir Front machen.
Herr Kollege Ost, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Skarpelis-Sperk?
Immer, gern.
Herr Kollege Ost, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß keine Organisation in Deutschland, keine Partei - schon gar nicht die deutsche Sozialdemokratie und einer ihrer Vertreter - verlangt hat, daß unsere Sozialstandards den anderen Ländern aufgedrückt oder gar in der internationalen Handelsorganisation zum Thema gemacht werden, sondern daß es nur darum geht, die in der IAO verkörperten Mindestbedingungen, die
sogenannten Core Labour Standards, dort einzubauen?
Ich frage Sie weiter - genauso wie Herr Rexrodt; er kann ja darauf antworten -: Sind Sie bereit, diese falsche Behauptung nicht permanent zu wiederholen?
Liebe Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, ich sehe ja, wie gespalten die SPD ist.
Wenn Sie sich einmal an das SPD-Kulturforum in Berlin erinnern, fällt Ihnen auch ein, daß Ihnen dort unser Kollege Thierse gesagt hat: Kommen Sie aus dieser defensiven Mentalität heraus! Für eine ähnliche These wie die von Ihnen vertretene hat auch Oskar Lafontaine Beifall erhalten. Ich halte es für Heuchelei, wenn man moralische Anschauungen mit dem Vehikel der Außenwirtschaftspolitik verbrämen will.
Wir sind dafür - der Bundeswirtschaftsminister hat dies doch auch am Mittwoch Ihnen und Ihren Kollegen im Ausschuß klargemacht -, die Standards der ILO einzuhalten. Ich selber bedauere es sehr, daß der Generalsekretär der ILO von der Konferenz in Singapur ausgeladen worden ist.
Wir wollen, daß dies durchgesetzt wird.
Wir sind auch nach wie vor dafür, daß auf der Konferenz in Singapur das Ziel verfolgt wird, WTO-Arbeitsgruppen für die Bereiche Handel und Umwelt und Handel und Investitionen einzusetzen. Sie haben zu Recht auf manche Fehlentwicklung hingewiesen, von Korruption über Beihilfen und Subventionspolitik - die versteckte oder auch nicht ganz so versteckte - bis zu dem Verhalten einiger multinationaler Konzerne. Ich denke, es ist richtig, Arbeitsgruppen etwa für Handel und Wettbewerb einzusetzen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage, nämlich des Kollegen Weisskirchen?
Aber bitte. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.
Herr Kollege Ost, wenn Sie das mit einer derartigen Verve vortragen, können Sie mir dann erklären, wie es geschehen konnte, daß zusammen mit der britischen Regie-
Gert Weisskirchen
rung die Bundesregierung es abgelehnt hat, daß eine entsprechende Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, um Mindeststandards, die „Core Labour Standards", einzuführen oder mindestens darüber zu debattieren?
Lieber Herr Kollege Weisskirchen, sicherlich wird der Bundeswirtschaftsminister Ihnen das alles nachher noch ausführlich erklären. Wir sind ja im Prinzip nicht dagegen, daß da alle möglichen Arbeitsgruppen gebildet werden. Nur sollten die Probleme da gelöst werden, wo die Zuständigkeit dafür gegeben ist. Die liegt aber vorrangig bei der ILO.
Auch in bezug auf den Umweltschutz sage ich Ihnen: Ich halte wenig davon, neue Arbeitsgruppen einzurichten, die im Prinzip die Probleme nicht lösen. Ich halte gerade im Bereich des Umweltschutzes den Vorschlag des Deutschen Industrie- und Handelstages für sehr positiv, eine Politik des globalen Umweltschutzes eben nicht mit Sanktionen, sondern mit Anreizen zu betreiben. Wir haben doch gute Erfahrungen damit gemacht.
Wir haben zum Beispiel von den Entwicklungsländern verlangt, daß sie als Gegenleistung für einen Schuldenerlaß den Regenwald schonen sollen; das führen sie durch. Das ist, glaube ich, positiv. Wenn wir solche Maßnahmen auf breiterer Front durchsetzen, erzielen wir doch positive globale Umwelteffekte.
Natürlich gilt es, in Singapur die politischen Verpflichtungen festzuklopfen, Verhandlungen zum Thema Dienstleistungsbereich - bei den Finanzdienstleistungen und bei den Basistelekommunikationsdiensten -, zum Thema freie Berufe - wenn das auch erst nur die Wirtschaftsprüfer sind - und zum Thema Seetransport voranzubringen. Von Singapur müssen meines Erachtens weitere positive Signale ausgehen, etwa für den weiteren Abbau der nach wie vor zu hohen internationalen Agrarsubventionen, für die Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs, besonders für den internationalen Schutz des geistigen Eigentums und für ein multilaterales Abkommen über den Zollabbau für Waren der Informationstechnologie.
Ich glaube, gerade wir Deutschen - wer das Interview mit Renato Ruggiero in der „Wirtschaftswoche" gelesen hat, weiß, wie wichtig unsere Rolle auf der Welthandelskonferenz in Singapur ist - müssen darauf dringen, daß die Liberalisierung im Welthandel weitergeht. Denn sie ist auch die beste Triebkraft für weiteres Wachstum und Beschäftigung.
Natürlich - deswegen ist es gut, daß wir das hier diskutieren - weiß auch jeder, daß diese Konferenz in Singapur kein Spaziergang sein wird; sie ist vielmehr angesichts so vieler unterschiedlicher Interessen ein Minenfeld. Wir sollten unsere Interessen dort aber vertreten, auch im Konzert der Europäer.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe schon darauf hingewiesen, daß es in der Tat wenig Sinn macht, jetzt neue Regeln, Normen und Standards zu verlangen, die den Welthandel eher einengen und die weltwirtschaftliche Entwicklung bremsen. Ich halte es auch für falsch, sich dem Trend der Globalisierung und Internationalisierung entgegenzustellen; ganz im Gegenteil.
- Liebe Frau Kollegin Kaspereit, lesen Sie doch einmal die Rede von Oskar Lafontaine; das ist ja Ihr Parteivorsitzender.
- Na gut, das zeigt, wes Geistes Kind Sie sind. Lesen Sie nach, was er in Berlin gesagt hat!
Die Antwort darauf finden Sie doch sogar bei den Sachverständigen zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Sie schreiben in dem neuesten Gutachten - ich erlaube mir, das zu zitieren -:
Der globale Wettbewerb eröffnet Chancen. Die Ausweitung von Handel und Arbeitsteilung in der Welt ermöglicht mehr Produktivität und mehr Wohlstand.
Daran kann ein Land allerdings nur partizipieren, wenn es ihm gelingt, sich den Marktbedingungen anzupassen und seine komparativen Vorteile im Wettbewerb zur Geltung zu bringen.
Ich kann Ihnen natürlich auch noch einen Zeitungskommentar oder mehrere vorlesen.
- Natürlich. Uwe Vorkötter in der „Stuttgarter Zeitung" hält es Ihnen doch vor und sagt: „Das ist das Dilemma der Ökonomie Lafontaines. Sie taugt womöglich zum Opponieren, aber sie taugt nicht zum Regieren." Das können Sie sich hinter den Spiegel stecken.
Jetzt empfehle ich Ihnen ein zweites Geschenk für Ihren Parteivorsitzenden.
David Ricardo hat ja vor langer Zeit geschrieben, wie wichtig es ist, komparative Kostenvorteile weltweit wahrzunehmen.
- Nein, das wollen Sie nicht.
Friedhelm Ost
Sie wollen Verteilung, Festschreibung, Sie wollen nicht Expansion, Sie wollen nicht Wachstum und Dynamik.
- Natürlich. Ich habe es doch vorhin gesagt; Sie hören doch gar nicht zu.
- Nein. Sie wollen hier Bremsung. Das, was Oskar Lafontaine vorschlägt
- Sie sind in den Thesen ja viel vernünftiger als Ihr Parteivorsitzender -, ist doch nicht einmal bei der Sozialistischen Internationale konsensfähig. Weder die Schweden noch die Österreicher, noch die Niederländer werden das doch akzeptieren.
Mit den Wirtschaftsweisen frage ich Sie: Warum sollte sich ein Land seiner Wettbewerbsvorteile berauben, die sich vielleicht gerade aus einem investitionsfreundlichen Steuersystem oder aus vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten ergeben?
- Ihre Schlagworte können Sie wirklich auf Ihren Ortsvereinstagungen gebrauchen,
aber doch nicht hier.
Wir sind gegen Staatsdirigismus. Ich wiederhole, daß auch für die Weltwirtschaft das gilt, was Karl Schiller Ihnen vor langer Zeit gesagt hat - manche von Ihnen haben ihn vergessen -: so viel Markt und Freiheit wie möglich
und so wenig Staat und Regulierung wie nötig!
Dies sollte auch die Devise für die Welthandelskonferenz in Singapur und für die Weiterentwicklung des Welthandelssystems sein.
Wir unterstützen jedenfalls den Bundeswirtschaftsminister mit seinen klaren Positionen zur WTO-Konferenz - Sie haben doch seine Ausführungen im Ausschuß gehört, die von allen Seiten Zustimmung gefunden haben -, nämlich den Abbau von weiteren Handelsbeschränkungen anzustreben.
- Nein, wir stehen hinter und vor ihm, lieber Herr Kollege Schwanhold. Das unterscheidet uns natürlich von Ihrer Taktik. Sie stehen immer, wenn die Pfeile von vorn kommen, hinter Ihren Leuten. Das ist dann sehr schützend.
Wir sind für den Abbau weiterer Handelsbeschränkungen. Wir sind für Rahmenbedingungen für den Globalisierungsprozeß. Dafür finde ich in Ihrem Antrag vernünftige Ansätze. Das habe ich doch schon zweimal gelobt. Da können Sie doch schön ins Wochenende gehen; das ist wirklich ein Nikolausgeschenk.
Wir sind für die Stärkung der WTO und auch für die Weiterentwicklung des multilateralen Handelssystems.
Wir geben dem Bundeswirtschaftsminister nach Singapur unser klares Bekenntnis zu Handel und Wettbewerb mit auf den Weg.
Wir müssen in Singapur darauf hinwirken, sehr verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, daß angesichts der weiter fortschreitenden Globalisierung auch eine Weiterentwicklung handelspolitischer Instrumentarien im internationalen Bereich angestoßen wird.
Wir begrüßen es nachdrücklich, daß die Bundesregierung einen nachhaltigen Einstieg in diese schwierigen Verhandlungen anstrebt, um auf die wachsenden Herausforderungen in einer Welt der Globalisierung und Internationalisierung zu reagieren.
Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Schmitt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegenstand der heutigen Debatte sind nicht die Äußerungen von Oskar Lafontaine,
sollten auch nicht Äußerungen früherer Bundeswirtschafts- und -finanzminister sein. Anlaß der heutigen
Wolfgang Schmitt
Debatte sind vielmehr drei Anträge: ein von CDU/ CSU und F.D.P. gemeinsam eingebrachter Antrag, einer von Bündnis 90/Die Grünen und ein Antrag der SPD-Fraktion zum bevorstehenden WTO-Gipfel in Singapur.
Es ist sicherlich unbestritten, daß die Ministerkonferenz in Singapur ein diplomatisches Großereignis sein wird. Mit großer Zuversicht wird Minister Rexrodt nach Singapur reisen. Der Minister möchte, so war zu lesen, „das Momentum für weitere Handelsliberalisierung in der WTO stärken". Seine vornehmste Aufgabe sieht er darin, durch den Abbau von Hemmnissen alle Möglichkeiten, die zu einer weiteren Steigerung des Welthandels beitragen, auszuschöpfen. Die „Financial Times" erwartet, weit weniger harmonisch, einen Gipfelkrach zwischen Arm und Reich auf der Konferenz. Ihre Überschrift lautete: „Rich and Poor Head for WTO Summit Clash".
Das inhaltliche Ergebnis - so lassen es zumindest die Pressevorberichte bzw. die Entwürfe der Schlußerklärung für den Gipfel erkennen - wird dürftig ausfallen. So ist bei den strittigen Fragen in der Schlußerklärung keine Einigung erzielt worden. Dies betrifft zum Beispiel die Fragen sozialer Standards, ihre Beziehung zum GATT-System, den Agrar- und Textilsektor, Fragen der internationalen Wettbewerbs- und Investitionspolitik - die sogenannten neuen Themen. Diese Themen ebenso wie die Bereiche Umwelt und Handel, Handel und Sozialstandards werden bestenfalls formal behandelt.
Wir meinen, die Bundesregierung hat es im Vorfeld auf EU-Ebene versäumt, irgendwelche Initiativen im Bereich Handel und ökologische bzw. soziale Standards zu ergreifen.
Sie wird dies auch nicht auf der Konferenz in Singapur tun. Dabei erwarten wir nicht den Ausbau der WTO zu einer Art Superorganisation, die auf dem Wege der Handelsregulierung alle Probleme dieser Welt lösen kann. Aber was aussteht, ist eben die Stellung der WTO im Verhältnis zu den wichtigen internationalen Umweltregimes und der Stellenwert der Rio-Verpflichtungen bei der Fortentwicklung der WTO.
Es ist ein Armutszeugnis für diese Regierung, wenn sie sich fünf Jahre nach der UNCED-Konferenz nicht zu einem eindeutigen Vorrang multilateraler Umweltabkommen vor den Prinzipien des Freihandels bekennt.
Im übrigen: Die weltweiten ökologischen Probleme waren in der Zeit der Herren Smith und Ricardo in der Tat noch nicht bekannt. Selbst wenn man die wichtigen intellektuellen, auch ökonomischen Anregungen, die diese beiden Herren der Wissenschaft gegeben haben, berücksichtigt und entsprechend würdigt, so muß es doch erlaubt sein, auch dieses
Gedankengut auf die Höhe der Zeit zu bringen und fortzuentwickeln.
Ich glaube, die weltweiten Umweltprobleme stellen in der Tat neue Probleme dar, die im 19. Jahrhundert so noch nicht bestanden haben.
Es ist, wie gesagt, ein Armutszeugnis für diese Regierung, daß sie diese Gedanken nicht aufgegriffen hat. Damit es überhaupt zu einem Ergebnis kommt, haben sich die Beteiligten vor Beginn der Konferenz für eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners entschieden.
Die Behandlung wichtiger Zukunftsfragen und ihre handelspolitische Relevanz wird ins nächste Jahrtausend verschoben. Es wäre vor dem Hintergrund beschleunigter Handels- und Investitionsströme zwingend, die sogenannten neuen Themen - Wettbewerb und Investition - auch auf der WTO- Konferenz zu beraten.
Die Weltbank spricht in einer Vorstudie des nächsten Weltentwicklungsberichts vom „Ende der Geographie", um dann zu fragen, wer eigentlich die globalen Märkte noch steuern kann und will. Sie spricht sich für einen ordnungspolitisch neu zu gestaltenden Rahmen für die internationale Politik aus. Sie fordert - man höre und staune! - die Stärkung staatlicher Institutionen und effektivere internationale Koordination, jedoch bislang ohne zu benennen, auf welcher Ebene diese angesiedelt werden müßte.
Die globale Entwicklung von Handel und Investitionen hat auch ihre Schattenseiten. Sie ist begleitet von global zunehmenden ökonomischen Disparitäten, die ganze Ländergruppen vom Entwicklungsprozeß mehr oder weniger abkoppelt. Sie ist begleitet von einer stärkeren Konzentration der internationalen Investitions- und Technologieströme. So waren die zirka 100 Milliarden US-Dollar, die in Entwicklungsländer flossen, im wesentlichen auf zehn Länder in Südostasien und Lateinamerika beschränkt.
Sie ist begleitet von dem Trend zu größerer regionaler und kontinentaler Ungleichheit, die zur Zunahme inner- und zwischenstaatlicher Konflikte führen kann. Sie ist begleitet von einem Subventionswettlauf zwischen den Industrieländern um arbeitsplatzschaffende Investitionen. Und sie ist schließlich begleitet von dem Versäumnis der Staatengemeinschaft, auf die Zunahme globaler Probleme mit einer Fortschreibung und Neuentwicklung internationaler Institutionen und Regimes zu reagieren.
Wie kann dann angemessen auf globale Probleme wie grenzüberschreitende Umweltgefahren, aber auch weltweit fehlende Arbeitsplatzangebote reagiert werden? Jedenfalls nicht, indem man solche Fragen schlicht und einfach negiert.
Wir wollen aus der WTO keine Superorganisation machen, sondern ihr Verhältnis zu anderen Institutio-
Wolfgang Schmitt
nen des UN-Systems neu bestimmen bzw. weiterentwickeln. Hierbei sehen wir die Notwendigkeit, so schnell als möglich präzise Arbeitsaufträge in den Bereichen Handel und Umwelt, Handel und Sozialstandards, internationale Wettbewerbspolitik und Investitionspolitik zu formulieren, die dann gegebenenfalls zu neuen multilateralen Verhandlungsrunden führen müssen. Die Bereitschaft dazu läßt sich bei vielen WTO-Mitgliedern derzeit jedoch nicht erkennen.
Es ist sicherzustellen, daß nationale Umwelt- und Verbraucherschutzregeln weiterhin zulässig sind. Wir wollen eine vorteilhaftere Integration der Entwicklungsländer; damit meine ich die am wenigsten entwickelten Länder und nicht die vielzitierten asiatischen Tiger-Staaten. Dies beträfe - das ist mir schon bewußt - sensitive Fragen wie den Textil- und Agrarbereich, Fragen des Technologietransfers, aber auch die Möglichkeit, durch gezielte Präferenzen den am wenigsten entwickelten Entwicklungsländern neue Einnahmemöglichkeiten zu eröffnen.
Wer sich wie zahlreiche Regierungen unwillig zeigt, über den Zusammenhang von Handel und Sozialstandards überhaupt zu reden, wird damit massive gesellschaftliche Gegenreaktionen auslösen. Die Chancen, zu multilateralen Handelsregeln zu kommen, hängen nicht zuletzt auch von der Akzeptanz in der Bevölkerung ab. Diese nimmt sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern teilweise drastisch ab. Schauen Sie doch mal, welche Wahlergebnisse Figuren wie Buchanan in den USA oder Haider in Österreich erzielt haben.
Dann wissen Sie, daß Ihr Postulat des Freihandels allein eben nicht ausreicht, um die notwendige Akzeptanz zu erreichen.
Dabei liegen die Vorteile eines multilateralen Handelssystems offen zu Tage. Allgemeingültige Regeln ersetzen die zahlreichen, häufig nach dem Gesetz des Stärkeren diktierten, bilateralen Verträge. Statt Handelskriege haben wir nun einen nach rechtsstaatlichen Prinzipien funktionierenden Streitschlichtungsmechanismus.
Die Regierungen der OECD-Länder werden in ihren Ländern nicht nur den 30 Millionen Arbeitslosen , eine Erklärung schulden, ob es im OECD-Raum auch infolge zunehmender Handelsliberalisierung zu einer Spirale der permanenten Nivellierung - natürlich nach unten - existierender sozialstaatlicher Systeme und Regelungen kommen wird.
Geschätzter Kollege Hauchler, unverständlich ist mir in diesem Zusammenhang allerdings der positive Bezug, den der SPD-Antrag auf die Position der USA nimmt, ein Land, das selbst die entscheidendsten Konventionen der ILO nicht unterzeichnet hat, ein Land, in dessen Textilindustrie, zum Beispiel in den Nähkellern Manhattans, erbärmliche Verhältnisse herrschen, die mit jedem Dritte-Welt-Land zu vergleichen sind, ein Land, dessen Umgang mit den großen Wäldern an der Nordwestküste der USA ebenso
frevelhaft ist wie der Raubbau an den tropischen Regenwäldern. Dieses Land nehmen Sie als Vorbild und beziehen sich in Sachen Umwelt- und Sozialstandards darauf.
- Sie haben in Ihrer Einführung geschrieben: Wir fordern die Bundesregierung auf, sich die Position der Vereinigten Staaten von Amerika zu eigen zu machen. Der ökologische und soziale Protektionismus der Vereinigten Staaten ist der Sargnagel für alle Bemühungen, zu fairen und wirksamen Vereinbarungen in Sachen Umwelt- sowie Arbeits- und Sozialstandards zu kommen.
Sie erweisen sich keinen Gefallen damit, wenn Sie sich auf die Seite derjenigen stellen, die nur um des eigenen Vorteils willen den Umwelt- und Sozialstandards das Wort reden.
Ein weiterer Hinweis, bevor ich zum Schluß komme: Wenn wir von Sanktionen reden, dann meinen wir - um das deutlich zu sagen - keine einseitigen Sanktionen einzelner Mitgliedstaaten der WTO gegen andere Mitglieder auf Grund der Nichteinhaltung von Umwelt- und Sozialstandards. Wenn es überhaupt zu Sanktionen kommen sollte, dann nur, wenn diesen Sanktionen ein rechtsstaatliches Schiedsverfahren vorangestellt ist und diese Sanktion nicht als ein Akt der Eigenmächtigkeit besserwissender Industrienationen aus protektionistischen Gründen gilt. Vielmehr muß die Völkergemeinschaft übereinstimmend zu der Auffassung gelangen, daß systematische, politisch gewollte Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen internationaler Umweltabkommen die Verhängung von Sanktionen geboten erscheinen lassen.
Erst unter diesen Bedingungen sind Sanktionen als dienliches Instrument zur Verankerung von Umwelt- und Sozialstandards im internationalen Handel zu akzeptieren. Ansonsten - insoweit hätten die Länder des Südens in der Tat recht - wäre es allein ein Instrument des Protektionismus, den wir klar und deutlich ablehnen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das größte Risiko solcher Konferenzen liegt zumeist darin, daß der Erwartungshorizont, der vorher aufgebaut wird, riesig ist. Vielleicht denkt doch jemand auch einmal daran, daß dort 125 Staaten teilnehmen und daß das Ganze auf dem Konsensprinzip beruht. Alles muß einstimmig erreicht werden. Angesichts dessen sollten wir unsere Erwartungen etwas herun-
Dr. Otto Graf Lambsdorff
terschrauben und uns überlegen, was denn realistischerweise herauskommen kann.
Viele tun sich auch bei uns schwer, multilateralen Freihandel als erstrebenswertes Ziel anzuerkennen; das war in den Vorreden ja zum Teil zu hören. Globalisierung erscheint als Schreckgespenst. Es wird unterstellt, daß sie unsere Arbeitsplätze vernichtet, unseren Wohlstand raubt, unsere Besitzstände entwertet und uns in einen riesigen Abwärtsstrudel zwingt, der in kollektive Armut mündet. So war es in Lafontaines Rede in Berlin zu lesen.
Sein Ausweg: internationale Kooperation mit dem Ziel, weltweit Steuer-, Sozial- und Umweltstandards nach deutschem Muster - lesen Sie sich einmal Ihren Antrag durch, Frau Skarpelis-Sperk - durchzusetzen. Das ist wahrlich ein globaler Ansatz: Welch ein weltweiter Protektionismus!
Protektionismus aber ist die neue Form des Imperialismus; machen wir uns da nichts vor.
Welch ein Versuch, die Standortvorteile von Entwicklungsländern, von Staaten des ehemaligen Ostblocks und auch anderer Länder der Europäischen Union einfach zu ersticken!
Ich unterstelle Ihnen ja gar nicht, daß das bös gemeint ist; aber hier gilt das Wort von Bert Brecht: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint."
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauchler?
Wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, Frau Präsidentin, selbstverständlich gerne.
Nein.
Ich nehme ja schon Ihren Antrag zur Hand, damit ich Ihre Frage beantworten kann, Herr Hauchler.
Graf Lambsdorff, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir immer betont haben, daß es bei sozialen Mindeststandards nur um die „Core Labour Standards" geht, die in der ILO vereinbart sind, daß wir aber Wert darauf legen, daß die komparativen Kostenvorteile, die arme Länder im Bereich der Lohnkosten und der sozialen
Standards haben, nicht genutzt werden - das habe ich ausdrücklich in meiner Rede betont -, um versteckten Protektionismus zu betreiben?
Verehrter Herr Kollege Hauchler, ich will ja gerne zur Kenntnis nehmen, was Sie geredet haben. Ich nehme aber auch zur Kenntnis, was Sie im Antrag stehen haben.
Da steht, nachdem Sie vorher von ökologischen und sozialen Mindeststandards gesprochen haben:
Diese Grundlagen haben sich als Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland ... bewährt.
Damit bin ich einverstanden. Aber Sie machen die Mindestanforderungen der Bundesrepublik Deutschland zum Inhalt Ihrer Forderungen, deshalb habe ich so geantwortet. Das steht hier klar und deutlich drin.
- Dann drücken Sie sich deutlicher aus, und zwar nicht nur in Ihrer Rede, sondern vor allem im Geschriebenen!
Herr Hauchler, wundert es Sie überhaupt nicht, daß die Entwicklungsländer vor wenigen Tagen geschlossen gegen Sozial- und Umweltstandards votiert haben und daß sie den Generalsekretär der ILO in Singapur ausgeladen haben?
Die Entwicklungsländer haben Angst vor verstecktem Protektionismus. Früher hieß es in Indien: „Sie reden von der Bibel und meinen Kattun. " Heute heißt es in Indien: „Sie reden von Kinderarbeit und meinen Importsperre." Das ist die Bewußtseinslage der Entwicklungsländer, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht.
- Von wegen „indische Eliten", die armen Kinder, die wenigstens dort Arbeit finden, wollen nicht auch noch diesen Arbeitsplatz verlieren.
- Ich zitiere die Logik, die uns aus Indien und anderen Ländern entgegengebracht wird.
Es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage der Kollegin Skarpelis-Sperk.
Aber bitte schön.
Herr Kollege Lambsdorff, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß es bei den Entwicklungsländern auch unterschiedliche Stimmen gibt, daß insbesondere die Gewerkschaftsbewegung in den Entwicklungsländern
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
in den letzten Jahren ihre Position vollständig geändert hat und mittlerweile für soziale Mindeststandards und für Druck von außen zur Durchsetzung dieser sozialen Mindeststandards kämpft?
Frau Kollegin, es ist doch immer wieder dasselbe. Wir sollten uns hier nicht mit Schlagworten traktieren, die in diesem Fall „soziale Mindeststandards" heißen. Sie müssen aufzählen, was damit gemeint ist und was verlangt wird. Dann können wir uns weiter unterhalten. Das gleiche gilt für das Wort „sozialverträglich" in Deutschland. Überall werden nur Schlagworte genannt, und jeder kann sich darunter vorstellen, was er möchte. Zählen Sie auf, was verlangt wird, dann können wir uns darüber verständigen und sehen, wo wir uns einig sind! Vielleicht ist manches nur als Zustandsbeschreibung zwischen uns streitig, aber gar nicht in der Zielsetzung.
Es ist doch unstrittig, daß die Vereinbarung der ILO gegen Sklavenarbeit, für grundlegende Menschenrechte und ähnliches eingehalten werden muß. Aber, Herr Hauchler, das gilt innerhalb der ILO; die Welthandelsorganisation ist nicht das Forum der ILO, und sozialpolitische Scheinheiligkeit macht Protektionismus um kein Stück besser. Den Verdacht von Scheinheiligkeit werde ich nicht ganz los, wenn ich die Anträge von SPD und Grünen lese.
Meine Damen und Herren, „Umweltprobleme vor Handelsproblemen" hat Herr Schmitt gesagt; das klingt fabelhaft, bloß erleben Sie doch immer wieder, daß diese Länder Minen sagen: Wir sind materiell nicht in der Lage, die Umweltprobleme zu lösen. Wir müssen erst einmal Geld verdienen. Wenn es richtig ist, daß Handelsliberalisierung Wohlstandsmehrung bedeutet, dann werden Sie diese Reihenfolge nicht auf den Kopf stellen, Herr Schmitt. Damit würden Sie den Entwicklungsländern ein außerordentlich schlechtes Rezept verpassen.
Es ist doch nicht die Globalisierung, die beispielsweise Deutschland in die Knie zwingt, sondern der Versuch, sie zu verhindern. Liberale waren und sind immer Freihändler gewesen. Wir fühlen uns durch aktuelle Fakten und historische Belege bestätigt. Sehen Sie sich doch die Ergebnisse der Uruguay-Runde an, sehen Sie sich die nordamerikanische Freihandelszone, den Binnenmarkt der Europäischen Union, den Aufschwung der vier kleinen Tiger und die Entwicklung vieler ehemaliger Kolonien an! Sehen Sie sich an, was in Osteuropa vor sich geht! Renato Ruggieros hat schon recht:
Globalisierung und verstärkte internationale Arbeitsteilung bringen Entwicklung und Frieden. Hierzu gibt es keine rationale Alternative.
Wir haben längst vergessen, daß Europa bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts immer wieder schreckliche Hungersnöte erlebt hat. Erst die Freihandelsbewegung in England hat dem im Jahre 1846 ein Ende bereitet. Seither hat es nicht eine einzige
Hungersnot aus wirtschaftlichen Gründen in Europa gegeben, nicht eine einzige.
- Frau Skarpelis-Sperk, ich bin gern bereit, mich mit Ihnen darüber zu unterhalten, was Richard Cobden in Manchester mit den Arbeitern zusammen in der Freihandelsbewegung gegen die corn-laws durchgesetzt hat. Das ist wirklich hirnverbrannter Unsinn, der hier gelegentlich verbreitet wird. Man glaubt es überhaupt nicht.
Ende des 19. Jahrhunderts mündete die Freihandelsbewegung in den Erfolg einer ersten Globalisierungswelle, die leider mit dem Ersten Weltkrieg abgebrochen wurde. Wir gehen zu dem zurück, was es zu einem guten Teil schon einmal in der Welt gegeben hat.
Globalisierung ist eine Gelegenheit für Industrie- und Entwicklungsländer, gemeinsam voranzukommen, und die WTO ist der richtige Ansatz, multilateralen Freihandel durchzusetzen. Sie ist das richtige Forum, um auf die weltweite Vernetzung der Märkte durch ein multilaterales Handelssystem zu antworten.
Ich sagte schon, es ist eine viel zu wenig beachtete weltweite Revolution, daß der WTO heute 125 Mitgliedstaaten angehören. Es ist der große Erfolg der Uruguay-Runde gewesen, daß die Entwicklungsländer dabei sind, daß 28 Kandidaten beitreten wollen, darunter Länder wie China, Rußland, die Ukraine und Taiwan. Wer allerdings Mitglied im Club werden will, muß auch die Regeln des Clubs akzeptieren. Das gilt wohl insbesondere für China.
Die in der Uruguay-Runde vereinbarte Streitschlichtung - Herr Hauchler, Sie haben darauf hingewiesen - ist ein großer Fortschritt, und sie ist auch unverzichtbar. Die große Akzeptanz des Streitschlichtungsverfahrens bestätigt die bisherigen Erfahrungen, daß die noch bestehenden Vorbehalte gegenüber weltweiten Regelungen abgebaut werden können.
Wir beobachten sorgfältig die Streitschlichtung im Falle der amerikanischen Sanktionsgesetzgebung. Vergessen Sie Ihre antiamerikanischen Pauschalurteile doch endlich, Herr Schmitt, machen Sie sich frei davon! Oder ist das eine Pflichtübung gegenüber Ihrer Fraktion? Ich verstehe es nicht.
Es geht hier nicht nur um die Abwägung des berechtigten Interesses der USA an der Bekämpfung des staatlich unterstützten Terrorismus. Es geht auch darum, ob ein Handelsboykott überhaupt ein akzeptiertes Mittel zur Erreichung wirtschaftlicher und politischer Ziele sein kann. Es geht aber vor allem um die Partnerschaft der USA mit den befreundeten Staaten, mit der einseitig verhängte extraterritorial wirkende handelspolitische Sanktionen nicht verein-
Dr. Otto Graf Lambsdorff
bar sind. Das muß in diesem Verfahren geklärt werden.
Die Welthandelsorganisation hat noch Fragen zu klären, die seit der Uruguay-Runde offen sind. Wenn die in Singapur alle gelöst werden könnten, Herr Schmitt, dann wäre das schon sehr viel. Das ist nicht alles zu schaffen. Erwarten wir nicht zuviel! Dazu gehören Finanzdienstleistungen, Telekommmunikation, Informationstechnologie und vieles andere. Ich brauche das nicht im einzelnen aufzuzählen. Alleine der Handel in der Informationstechnologie hat jetzt 400 Milliarden US-Dollar erreicht. Das ist soviel wie der Weltagrarhandel. Wer hätte sich das vor wenigen Jahren denken können?
In Singapur sollten auch klare Worte zur Beurteilung von regionalen Handelszonen gefunden werden, die wie Pilze aus dem Boden schießen und die sich wie Mehltau über den multilateralen Freihandel legen. Das kann ich im einzelnen nicht ausführen, aber ich glaube, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß dem Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.
Talleyrand hat einmal gesagt:
Wir haben - ohne Zweifel ein bißchen zu spät - gelernt, daß für Staaten wie für Individuen wirklicher Wohlstand nicht darin besteht, den Besitz anderer zu erlangen oder zu besetzen, sondern er besteht in der Entwicklung des eigenen Wohlstands.
Ich weiß nicht, ob rot-grüne Sozialisten das je begreifen werden. Aber genau dies ist der Weg, den wir gehen müssen.
Die Chancen des Freihandels sind die Chancen für die Zukunft Deutschlands. Die WTO ist das wichtigste Forum. Die Bundesrepublik ist durch den Bundeswirtschaftsminister dort gut vertreten. Wir wünschen ihm gute Reise und bitte keine Malariamükken, Herr Bundeswirtschaftsminister.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Willibald Jacob.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle vorliegenden Anträge unterstreichen die große Bedeutung der ersten Ministertagung der WTO in Singapur. Sie sollen den globalen Handels- und Wirtschaftsprozessen einen ordnungspolitischen Rahmen geben; denn besonders in den Ländern der Dritten Welt zeigen sich schon lange die negativen Auswirkungen einer ungehemmten und menschenverachtenden Weltmarktkonkurrenz, die zum Beispiel traditionelle, auf Eigenversorgung ausgerichtete landwirtschaftliche Strukturen zerstört, die hochgradige, zum Teil nicht mehr tragbare Schulden in den Entwicklungsländern hervorbringt, die nur auf den Export von Monokulturen und Rohstoffen ausgerichtet ist. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Immer spürbarer wird auch in den Industrieländern, also zuerst einmal bei uns, die Art und Weise des Wirtschaftens und Handels, die letztlich nur transnationale Konzerne als Gewinner sieht. Wieviel verheerender in den Entwicklungsländern!
Was zeigen die praktischen Erfahrungen der Politik der favorisierten Freihandels- und Liberalisierungsphilosophie, die auch für die WTO bestimmend ist? Selbst wenn es einzelnen Entwicklungsstaaten gelingt, ihre Handelsanteile am Weltmarkt zu vergrößern, bringt das durchaus nicht automatisch Wohlstandsverbesserungen für breite Bevölkerungsschichten. Ein Blick auf die Vorzeigestaaten Südostasiens kann das belegen.
Produktionsverlagerungen in Länder mit geringerem Lohnniveau bringen höhere Konzernprofite, mitunter auch ein höheres Bruttosozialprodukt für das betreffende Land. Sie bringen aber nicht zwangsläufig und schon gar nicht angemessen eine Partizipation der Bevölkerungsmehrheit.
Zudem wird das Wirtschaftswachstum oftmals als Goldenes Kalb der Weltwirtschaft hingestellt. Dabei wird nicht erwähnt, auf wessen Kosten dieses Wachstum zustande kommt. Natur- und Klimazerstörung sind enorm. Den ärmsten Entwicklungsländern kommt in der Regel nur die Rolle der billigen Lieferanten von Arbeitskräften und Rohstoffen zu, so daß ihnen häufig nur der Weg bleibt, durch Sozial- und Umweltdumping Marktanteile zu gewinnen oder zu halten.
Soll diese Sichtweise und Politik mit der Ministerkonferenz der WTO festgeschrieben werden? Die Auseinandersetzungen um die Tagesordnung stimmen pessimistisch. Die Themen, die insbesondere unter Industrie- und Entwicklungsländern strittig sind, wie Textil und Bekleidung, Umwelt, Handel und Investitionen, Sozialnormen, Handel und Wettbewerb, sollen verschoben werden.
Auch die Bundesregierung fürchtet diesen Sprengstoff und hätte ihn lieber vertagt. Aber gerade die Behandlung dieser Fragen, die Einigung und Auseinandersetzung hierüber entscheidet, ob es wirklich eine Weltwirtschaftsordnung geben wird oder eine -unordnung, eine Ein-Fünftel-Weltordnung und eine Vier-Fünftel-Marginalisierung.
Wenn es um globales Wirtschaften in dieser einen Welt geht, müssen alle Entwicklungsländer und nicht nur einige wenige mit besonders großer Konsumentenzahl oder einzelne Schwellenländer gleichberechtigte Zugangschancen zu den Märkten haben. Gleichberechtigte Chancen haben die Entwicklungsländer bisher nicht. Sie sind weit davon entfernt.
Das ist keine billige Polemik, sondern entspricht den Forderungen, die die Gruppe der 15 und die LDC-Staaten in den Erklärungen ihrer Vorbereitungstreffen zur WTO-Ministertagung formuliert haben. Sie fordern Chancengleichheit ein und befürchten eine weitere Schwächung ihrer ohnehin schon unterprivilegierten Stellung in der Weltwirtschaft. Sie fühlen sich schon jetzt abgehängt von dem Grad
Dr. Willibald Jacob
der internationalen Verflechtung. Deshalb fordern Sie einen Aktionsplan und besondere Maßnahmen, ja vor allem auch Schutzmaßnahmen, damit sie sich an den Stand bisheriger Abkommen „heranentwikkeln" können, die bestehende Forderungen und Verpflichtungen auch für sie erreichbar und durchsetzbar machen.
In diesem Licht ist auch die Diskussion um die Ansiedlung der Umwelt- und Sozialstandards zu sehen. Sicher ist die Einführung und Durchsetzung von solchen Standards angesichts des ökologischen und sozialen Zustandes unserer Welt nur allzu berechtigt. Aber sind nicht auch die Befürchtungen der Entwicklungsländer berechtigt, die unter der Losung „Abschaffung aller Handelshemmnisse, Abbau der Zölle" neuen Protektionismus der Industriestaaten und eine weitere Schwächung ihrer Stellung in der Weltwirtschaft befürchten?
Übrigens: Wie sollten Kriterien, Kontrollmechanismen, Sanktionen bei der WTO für solche Standards aussehen? Gab es da nicht eine Organisation namens UNCTAD, bei der eine Ansiedlung dieser Themen sinnvoller wäre, auch im Sinne einer effektiven Arbeitsteilung von Organisationen?
Gewiß, es bedarf der Reformvorschläge, die auf der WTO-Tagung thematisiert, diskutiert und nicht vertagt werden sollten. Für einen menschengerechten Handel müssen gewiß die komplexen Zusammenhänge von Welthandel, Umwelt und Entwicklungspolitik berücksichtigt werden. Jedoch ist dies unter der Dominanz des Freihandels und der Liberalisierung nicht denkbar. Die Ikone des Freihandels muß schleunigst durch menschengerechtes und zuverlässiges Wirtschaften ersetzt werden, das besonders regionale und lokale Wirtschaftskreisläufe befördert.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, in Singapur alle nur denkbaren Schritte zu unternehmen und zu unterstützen, die in diese Richtung gehen, vor allem im Zusammenwirken mit den am wenigsten entwickelten Ländern.
Dazu gehören auch internationale und UN-Organisationen, die hierbei eine wichtige arbeitsteilige Rolle spielen konnten, wie die ILO, die UNCTAD und die UNIDO. Sie verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung. Dafür hätte die Bundesregierung auch das Mandat der demokratischen Sozialisten.
Danke sehr.
Für die Bundesregierung erteile ich nun dem Herrn Bundesminister Rexrodt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das WTO-Ministertreffen in Singapur in der nächsten Woche ist ein anspruchsvolles und schwieriges Ereignis. Dort werden Weichen für die Entwicklung des Welthandels für den Rest dieses Jahrzehnts gestellt und eine Brücke zur Entwicklung im nächsten Jahrzehnt geschlagen, indem auf multinationaler Ebene nach dem Vorbild der alten GATT-Runde Initiativen hinsichtlich eines generellen Zollabbaus und eines freien Marktzugangs unternommen werden sollen.
Für uns haben in Singapur Liberalisierung und Marktöffnung - denn es ist eine Handelskonferenz - eindeutig Vorrang. Wir wissen allerdings: Umweltziele und soziale Ziele haben ihren berechtigten Platz gegebenenfalls auch im Zusammenhang mit der Handelspolitik. Das muß aber im richtigen Beziehungsfeld erfolgen und nicht mit dem Ziel, die Handelsliberalisierung durch einen protektionistischen Grundansatz auszuhebeln. Dies kann für uns nicht in Frage kommen.
Wir stellen auf einer Handelskonferenz die marktwirtschaftliche Steuerung, den Wettbewerb und die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung in den Vordergrund. Niemand wird bezweifeln, daß die Verbesserung von Standards im Umweltschutz und im Sozialbereich weltweit wünschenswert und unverzichtbar ist.
Ich sage aber deutlich: Wer soziale und ökologische Standards als Vorbedingung für Zollabbau, Liberalisierung oder neue Themen macht, der wird in der Praxis das Gegenteil erreichen.
Ich schließe handelspolitische Sanktionen nicht aus, wenn es um eklatante Verletzungen von Prinzipien geht.
Es geht darum, Prinzipien beim Umweltschutz festzuschreiben. Wir können froh sein, wenn wir in Singapur erreichen, daß 128 Staaten bei der Aufnahme bestimmter Prinzipien beim Umweltschutz übereinstimmen. Das wäre ein großer Erfolg. Wenn wir hinterher über die Instrumente - unter Einschluß von Sanktionsmaßnahmen - befinden könnten, dann ist das als ein zweiter Schritt anzusehen. Es wäre wünschenswert, wenn endlich alle Staaten unterschrieben und respektierten, was wir in den Standards der ILO festgehalten haben. Das muß Schritt für Schritt gemacht werden.
Natürlich kann ich mich hinstellen und sagen: alles auf einmal. Die Entwicklungsländer aber sind diejenigen, die nicht mitziehen. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß der Generalsekretär der ILO nicht einmal nach Singapur kommen darf - bedauerlicherweise.
Meine Damen und Herren, wir gehen auch im handelspolitischen Bereich mit anspruchsvollen Zielen nach Singapur. Für uns ist es wichtig, daß Zölle im
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
gewerblichen Bereich abgebaut werden. Noch gibt es keine neue GATT/WTO-Runde. Um so mehr unterstützen wir in Singapur ein Abkommen, das bei Waren des wichtigen Bereichs der Informationstechnologie zu einem völligen Zollabbau führt. Hierzu haben auch die APEC-Staaten positive Signale ausgestreut. Ich bin zuversichtlich, daß das gelingt.
Wir wollen nach Singapur auch deshalb gehen, um über eine Beschleunigung des Zollabbaus zu verhandeln, der in der Uruguay-Runde vorgesehen war. Wir haben eine ganze Reihe sogenannter left overs insbesondere im Dienstleistungsbereich zu erledigen. Bei den Finanzdienstleistungen haben unsere amerikanischen Freunde nicht so mitgezogen, wie wir das wollten. Das scheint jetzt, auch in anderen Bereichen, anders zu werden. Die Verhandlungen über den Marktzugang für Basisdienstleistungen in der Telekommunikation waren ebenfalls zähflüssig. Hier haben die USA und die EU zusätzliche Konzessionen angeboten.
Als weiteren Punkt will ich innerhalb dieser wichtigen Einzelfragen den Textilbereich ansprechen. Die Textillieferländer wollen die großen Abnehmerländer dazu drängen, die beschlossene Liberalisierung zu beschleunigen. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber die Lieferländer müssen ihre Märkte genauso öffnen, was nicht immer der Fall ist. Ich denke dabei an ein großes Land in Südasien.
Herr Hauchler, wenn ich Sie recht verstanden habe, sprachen Sie auch davon, es sei ein Gebot der Stunde, daß es den Schwellen- und insbesondere den Entwicklungsländern möglich sein muß, die eigene Wirtschaft durch Protektionismus zu schützen.
- Dann habe ich Sie falsch verstanden. - Das wäre der falscheste Weg.
Das würde eine Abschottung der Grenzen bedeuten; das würde zu Verhältnissen führen, die es am Ende in der DDR gab. Herr Hauchler hat von Protektionismus gesprochen. Ich glaube, mich nicht zu täuschen.
Protektionismus kann nicht in Frage kommen. Das ist der falscheste Weg, auch für die Entwicklungsländer. Diese Marktabschottung würde niemals zum Erlangen der Wettbewerbsfähigkeit führen.
Ein paar Worte zu den wichtigen, sogenannten neuen Themen: Umwelt, Investitionen und Wettbewerb. Auch die Sozialstandards werden eine Rolle spielen.
Zunächst zu der Umweltpolitik. Im Kern geht es darum, die Prinzipien festzulegen, nach denen handelspolitische Maßnahmen zur Durchsetzung von Umweltzielen eingesetzt werden können.
Umweltziele müssen soweit wie möglich erreicht werden. Aber die Voraussetzung dafür muß sein, daß nicht ein versteckter Protektionismus stattfindet.
Genauso sehen es die Entwicklungsländer.
In Singapur werden wir die entsprechenden Prinzipien aufstellen; die Bundesregierung unterstützt dies. Ich bin optimistisch, daß wir es schaffen können, Prinzipien beispielsweise der Nichtdiskriminierung, der Proportionalität der Maßnahmen und der Transparenz festzulegen. Es darf nicht unter der Überschrift „Umweltschutz und Umweltstandards" zur Diskriminierung bestimmter Staaten kommen, die darauf angewiesen sind, daß sie - obwohl sie unsere Standards nicht erfüllen - ihre Erzeugnisse und ihre Dienstleistungen in unsere Märkte exportieren.
Wir wollen, daß der Raubbau an natürlichen Ressourcen zurückgeführt wird. Aber unsere Standards können nicht unmittelbarer Maßstab für andere Länder sein.
Keiner gibt, das ist schon gesagt worden, seine Vorteile auf.
Für eine Sicherung des Markterfolgs sind Direktinvestitionen ebenso notwendig wie Handel, zum Beispiel bei Vertrieb und Service. Für die Liberalisierung, die freie Niederlassung und den Schutz von Auslandsinvestitionen müssen wir in der WTO international verbindliche Regeln entwickeln. Auch in diesem Bereich stoßen wir bei einigen Entwicklungsländern auf Zurückhaltung. Sie fürchten, daß mit diesen Regeln einer Überfremdung ihrer eigenen Wirtschaft Tür und Tor geöffnet wird. Wir müssen sie davon überzeugen, daß es auch in ihrem Interesse liegt, günstige Bedingungen für Auslandsinvestitionen zu schaffen. Darauf wollen wir in Singapur hinwirken. Wir wollen diese Arbeiten in Gang bringen.
Die Forderung, die beispielsweise von der SPD erhoben wird, Liberalisierungsziele mit ökologischen und sozialen Forderungen in der WTO zu verknüpfen, halte ich für völlig illusorisch. Diese Forderungen wird kein Entwicklungsland akzeptieren. Auf diese Weise bringen wir nichts unter Dach und Fach.
Es wäre vielmehr der direkte Weg, die Entwicklungsländer aus dem multilateralen System zu vertreiben.
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Sie machen sozusagen die Klappe dicht und beteiligen sich nicht mehr an der WTO.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die wettbewerbsverzerrende Praktik einiger großer Unternehmen, insbesondere die Bildung von internationalen Kartellen mit marktbeherrschender Stellung.
Mit den Regeln und Instrumenten des GATT und der WTO ist dem bisher nicht beizukommen, das gebe ich zu.
GATT und WTO haben insbesondere die staatliche Handelspolitik im Visier, bislang aber nicht mißbräuchliche Unternehmenspraktiken. Deshalb sagt auch die Bundesregierung: Handel, Wettbewerb, Wettbewerbsfähigkeit und auch ein Stück Gerechtigkeit und Marktchance für die ärmeren Länder gehören zusammen. Wir brauchen ein multilaterales System von Regeln, damit wir mißbräuchlichen Praktiken begegnen können. Ich werde mit Nachdruck dafür eintreten, daß wir hierzu eine Arbeitsgruppe einsetzen und zu Vorschlägen kommen.
Eine letzte Bemerkung zu den Sozialstandards. Das ist ein sehr wichtiges politisches Thema. Die Bundesregierung hat hier eine klare Linie. Verletzungen von Menschenrechten und von Arbeitnehmerrechten sind nicht hinnehmbar. Deshalb befürworten wir eine Erörterung in Singapur, wenn denn ein Konsens herbeizuführen sein wird. Im Vorfeld hat sich gezeigt, daß dies eines der schwierigsten und kontroversesten Themen ist. Eine Reihe von Mitgliedstaaten wollen in Singapur über die Einhaltung von Sozialstandards diskutieren, andere lehnen das total ab.
Es geht um das Verbot von Zwangsarbeit und ausbeuterischer Kinderarbeit. Es geht um die Zulassung von Gewerkschaften und die Freiheit zu kollektiven Tarifverhandlungen. Deren Einhaltung wollen nun einige Länder mit Handelssanktionen im Bereich der Handelspolitik erreichen.
Die überwiegende Zahl von Mitgliedsländern, die Entwicklungsländer, lehnen eine solche Diskussion ab. Sie machen einfach nicht mit. Soll ich nun darauf hinwirken und einen Beitrag dazu leisten, daß die Entwicklungsländer in der WTO gar nicht mehr mitarbeiten?
Wir wollen auf der einen Seite, daß dieses Thema nicht Deckmantel für Protektionismus ist. Wir wollen auf der anderen Seite, daß diese Themen in der ILO und, wenn sie reif genug sind, meinetwegen auch im Zusammenhang mit der Handelspolitik diskutiert werden. Aber dieses Thema kann und darf nicht Sprengsatz für die Konferenz in Singapur werden. Das darf nicht der Fall sein. Wir werden uns Gesprächen nicht verschließen; wir werden sie gerne führen. Es besteht aber keine Chance. Das Ganze mit Vorbedingungen und Auflagen zu versehen, wäre das Ende; das wäre der programmierte Mißerfolg dieser Konferenz. Deshalb sind wir da differenziert und gehen vorsichtig vor.
Wenn wir Märkte weiter öffnen, so ist das nach Auffassung der Bundesregierung der beste Beitrag zur Entwicklung von angemessenen Arbeitsbedingungen in den armen und ärmsten Ländern. Deshalb unterstützen wir die Initiative von Herrn Ruggiero, einen autonomen Zollabbau für die Armen und Armsten zu starten. Wir werden dafür sorgen, daß dem Verbraucher und dem Produzenten weltweit in Singapur ein klares Signal für weitere Liberalisierung der Weltwirtschaft, für Beschäftigung und Wohlstand gegeben wird. Hierfür werde ich mich mit großem Nachdruck unter Beachtung der Bedeutung der neuen Themen in Singapur einsetzen.
Wenn wir Singapur als ein Signal für mehr Welthandel, besseren Marktzugang und damit auch bessere Chancen für die armen und ärmsten Länder zu Ende bringen, dann wäre das ein Erfolg. Wenn wir nicht apodiktisch, sondern - auch bei den neuen Themen - pragmatisch und im Prinzip fest vorgehen, dann werden wir die beste Politik durchsetzen, die wir von Singapur zu erwarten haben.
Die Abgeordneten Sigrid Skarpelis-Sperk, Erich G. Fritz und Gert Weisskirchen haben gebeten, ihre Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll geben zu dürfen. *)
Sind Sie einverstanden? - Dann verfahren wir so, und ich kann die Aussprache zu diesem Punkt schließen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/6115, 13/6385 und 13/6387 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit
- Drucksache 13/5226 - *) Anlage 2
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Die Abgeordneten Josef Hollerith, Gabriele Iwersen, Lisa Peters, Hannelore Rönsch, Klaus-Jürgen Warnick, Franziska Eichstädt-Bohlig und der Parlamentarische Staatssekretär Joachim Günther haben darum gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.*) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann nehmen wir mit Ihrem Einverständnis diese Reden zu Protokoll.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/5226 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
*) Anlage 3
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6402 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, an den Ausschuß für Familien, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Ausschuß für Gesundheit zu überweisen. - Ich sehe Einverständnis. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. Dezember 1996, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.