Protokoll:
13146

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 13

  • date_rangeSitzungsnummer: 146

  • date_rangeDatum: 6. Dezember 1996

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 11:01 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/146 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 146. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1996 Inhalt: Tagesordnungspunkt 12: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafverfahrensänderungsgesetzes - DNA-Analyse („genetischer Fingerabdruck") (Drucksache 13/667) 13223 A - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafverfahrensänderungsgesetzes - Genetischer Fingerabdruck (Drucksachen 13/3116, 13/6420) 13223 B Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 13223 C Ronald Pofalla CDU/CSU 13225 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13227 A Jörg van Essen F.D.P. 13228 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 13229 A Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 13229 C Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Ernst Schwanhold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die Welthandelsorganisation (WTO) und ihre Rolle zur Weiterentwicklung des internationalen Handels und Wettbewerbs sowie zur Vereinbarung sozialer und ökologischer Mindeststandards (Drucksache 13/6115) . 13230 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Schmitt (Langenfeld), Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verankerung sozialer und ökologischer Mindeststandards im internationalen Handel und Reformperspektiven der Welthandelsorganisation (WTO) (Drucksache 13/6385) 13230 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Erich G. Fritz, Gunnar Uldall und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff, Paul K. Friedhoff und der Fraktion der F.D.P.: Stärkung der Welthandelsorganisation (WTO) durch das WTO-Ministertreffen in Singapur vom 9. bis 13. Dezember 1996 (Drucksache 13/6387) 13231 A Dr. Ingomar Hauchler SPD 13231 A Friedhelm Ost CDU/CSU 13233 A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 13234 B, 13239 D Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 13234 D Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 13236 D Dr. Otto Graf Lambsdorff F.D.P. . . . . 13238 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 13239 B Dr. Willibald Jacob PDS 13241 B Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister BMWi 13242 B Tagesordnungspunkt 15: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit (Drucksache 13/5226) 13244 D Nächste Sitzung 13245 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 13247* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Antrag: Die Welthandelsorganisation [WTO] und ihre Rolle zur Weiterentwicklung des internationalen Handels und Wettbewerbs sowie zur Vereinbarung sozialer und ökologischer Mindeststandards) und zu den Anträgen in den Zusatzpunkten 8 und 9 Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 13247* D Erich G. Fritz CDU/CSU 13250* A Gert Weisskirchen (Wiesloch) SPD . . 13252* B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit) Josef Hollerith CDU/CSU 13254* B Gabriele Iwersen SPD 13255* A Lisa Peters F.D.P. 13257* B Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 13258' B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 13259* A Klaus-Jürgen Warnick PDS 13260* A Joachim Günther, Parl. Staatssekretär BMBau 13260* D Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 13262* B 146. Sitzung Bonn, Freitag, den 6. Dezember 1996 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Antretter, Robert SPD 6. 12.96 * * Bahr, Ernst SPD 6. 12. 96 Beck (Bremen), BÜNDNIS 6. 12. 96 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Blunck, Lilo SPD 6. 12. 96 * Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 6. 12. 96 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 6. 12. 96 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 6. 12. 96 Conradi, Peter SPD 6. 12. 96 Formanski, Norbert SPD 6. 12. 96 Francke (Hamburg), CDU/CSU 6. 12. 96 Klaus Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 6. 12. 96 Großmann, Achim SPD 6. 12. 96 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 6. 12. 96 Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 6. 12. 96 Ibrügger, Lothar SPD 6. 12. 96 Jelpke, Ulla PDS 6. 12. 96 Jung (Düsseldorf), Volker SPD 6. 12. 96 Kampeter, Steffen CDU/CSU 6. 12. 96 Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 6. 12. 96 Dr. Klaußner, Bernd CDU/CSU 6. 12. 96 Köhne, Rolf PDS 6. 12. 96 Kraus, Rudolf CDU/CSU 6. 12. 96 Kunick, Konrad SPD 6. 12. 96 Lummer, Heinrich CDU/CSU 6. 12. 96 * Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 6. 12. 96 * * Erich Mattischeck, Heide SPD 6. 12. 96 Michels, Meinolf CDU/CSU 6. 12. 96 Nickels, Christa BÜNDNIS 6. 12. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Rochlitz, Jürgen BÜNDNIS 6. 12. 96 90/DIE GRÜNEN Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 6. 12. 96 Schaich-Walch, Gudrun SPD 6. 12. 96 Schönberger, Ursula BÜNDNIS 6. 12. 96 90/DIE GRÜNEN Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schulte (Hameln), SPD 6. 12. 96 Brigitte Schumann, Ilse SPD 6. 12. 96 Terborg, Margitta SPD 6. 12. 96 Thiele, Carl-Ludwig F. D .P. 6. 12. 96 Thieser, Dietmar SPD 6. 12. 96 Tröger, Gottfried CDU/CSU 6. 12. 96 Vosen, Josef SPD 6. 12. 96 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 6. 12. 96 Wallow, Hans SPD 6. 12. 96 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 6. 12. 96 Welt, Jochen SPD 6. 12. 96 Wieczorek (Duisburg), SPD 6. 12. 96 Helmut Wieczorek-Zeul, SPD 6.12.96 Heidemarie Wissmann, Matthias CDU/CSU 6. 12. 96 Wohlleben, Verena SPD 6. 12. 96 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 6. 12. 96 Zapf, Uta SPD 6. 12. 96 Zierer, Benno CDU/CSU 6. 12. 96 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 13 (Antrag: Die Welthandelsorganisation [WTO] und ihre Rolle zur Weiterentwicklung des internationalen Handels und Wettbewerbs sowie zur Vereinbarung sozialer und ökologischer Mindeststandards) und zu den Anträgen in den Zusatzpunkten 8 und 9 Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Globalisierung und die Ausweitung des Welthandels werden von immer mehr Menschen und Unternehmen nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern auch in den USA als Bedrohung und nicht mehr als Chance für die Mehrung des Wohlstands der Völker und der breiten Masse der Menschen empfunden. Einer der wesentlichen Gründe dafür ist die rasante Zunahme des Welthandels und der Widerspruch zwischen der Theorie, was er bringen sollte und was es konkret für die Welt bzw. einzelne Weltregionen gebracht hat. In der Präambel zum WTO-Abkommen ist das Ziel noch klar beschrieben: „Die Beziehungen auf dem Feld von Handel und wirtschaftlichem Erfolg sollten gestaltet werden mit Blick auf die Steigerung des Lebensstandards, der Sicherung von Vollbeschäftigung, einem großen und stetig wachsenden Realeinkommen und effektiver Nachfrage sowie der Expansion der Produktion von Gütern und Diensten." Die Realität nimmt sich gegenüber der so hehr beschriebenen Präambel freilich anders aus: Der Handel der multinationalen Unternehmen und deren weltweiten Direktinvestitionen erlebt einen Boom, immer mehr freie Exportzonen werden eingerichtet, die Profite und die Gehälter der Spitzenmanager erreichen Rekordhöhen, aber die Kluft von arm und reich zwischen den Ländern und in den einzelnen Ländern wird immer größer. Ein Drittel der Weltbevölkerung kann keine reguläre Beschäftigung finden - die einzige Arbeit, die rapide zunimmt, ist Kinderarbeit. Nach Schätzungen der IAO arbeiten weltweit 250 Millionen Kinder zwischen 5 und 14 Jahren, 120 Millionen davon ganztägig. Zwangsarbeit und Sklaverei gehören immer noch nicht der Vergangenheit an, die Diskriminierung nach Geschlecht und Rasse ist weit verbreitet, das Recht von Gewerkschaften, ihre Meinung zu vertreten und sich ungehindert zu organisieren, gerät zunehmend unter Beschuß. Kein Wunder, daß das „westliche" marktwirtschaftliche System und die demokratischen politischen Institutionen, die für die - für Wachstum, Handel und Entwicklung unbedingt erforderliche - politische Stabilität unerläßlich sind, durch zunehmende soziale Ungerechtigkeit gefährdet werden. In der öffentlichen Meinung in Deutschland - zum Teil auch in den USA - hat sich zudem im Gefolge der derzeit wirtschaftspolitisch dominanten Angebotsökonomie eine vulgärökonomische Argumentation ausgebreitet, die das Klima innerhalb der Staaten und zwischen den Nationen zu vergiften droht: In den USA läuft sie unter dem Stichwort Competitiveness und in Deutschland wird sie unter dem Schlagwort Standortpolitik propagiert. Es wird die These verbreitet, Nationen stünden gegeneinander im Wettbewerb wie Unternehmen. Grob verkürzt werden die internationalen Handelsbeziehungen so dargestellt, als ob der eine (Staat) verliere, was der andere (Staat) gewinne. In der Schlußfolgerung für die Organisation von Wirtschaft und Sozialstaat werden auf der nationalen Ebene Globalisierung und internationaler Wettbewerb zum überwältigenden Sachzwang hochstilisiert, dem sich vor allem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren angeblich zu hohen Ansprüchen an das Sozialprodukt zu beugen hätten. Wer so argumentiert, muß sich nicht wundern, daß immer breitere Schichten der Bevölkerung Mißtrauen, Abwehr, ja Haß gegen jede weitere „Internationalisierung", aber auch „Europäisierung" entwickeln. Mit solchen Argumenten, die als allfällige Zuchtrute für die Arbeitnehmer in Tarifauseinandersetzungen und als Vorwand für die Umverteilung von unten nach oben in öffentlichen Haushalten und Sozialbudgets genutzt werden, wird ein Rechtspopulismus gezüchtet, der bereits sehr sichtbare Früchte in Frankreich und Österreich zeitigt. Dabei weiß jeder Ökonom, der sich ernsthaft mit internationalem Handel befaßt hat, daß diese Darstellung des internationalen Handels blanker Unsinn ist und daß sich internationale Wirtschaftsbeziehungen auch anders - nämlich zum Vorteil fast aller - organisieren lassen: Nur, von allein, dem freien Spiel des Weltmarktes und der Kapitalbeziehungen überlassen, kommt das nicht. Die Marktwirtschaft, der Wettbewerb, das wußten Müller-Armack und Eucken - die Lehrmeister von Ludwig Erhard - recht genau, braucht feste Regeln, sonst hebt sie sich selbst auf. Das gilt national wie international. Eine Erfahrung, die wir ja auch vom Sport kennen: Ohne feste Regeln, ohne Ringrichter und Sanktionen gäbe es keinen Boxsport, sondern Prügelei und manchen Totschlag. Dasselbe gilt auch beim internationalen Handel: denn die Gewinne sind so groß und so verlockend, der Preis, der gezahlt werden muß, hoch - häufig die eigene Existenz -, daß man schon an den Weihnachtsmann glauben muß, wenn man meint, ohne Regeln, ohne gelbe und rote Karten für grobe Verstöße, Diebstahl geistigen Eigentums und offenen Betrug, gehe es beim internationalen Handel ab. Die Lage unserer Textil- und Bekleidungsindustrie zeigt das deutlich: Die kleinen Unternehmen können sich keine teuren internationalen Rechtsstreite leisten - da kommt selbst VW in Probleme! Und deswegen fordern nicht nur wir Sozialdemokraten verbindliche Regeln nicht nur zur Erweiterung des Warenaustausches und der Senkung von Zöllen und Handelshemmnissen, sondern auch für die sogenannten neuen Gebiete. Von ihnen greife ich drei heraus, weil sie in der vor uns stehenden Singapur-Konferenz besonders umkämpft bzw. in der Umsetzung in der WTO umstritten sind: Erstens. Die Entwicklung und Umsetzung von Instrumenten zur Sicherung eines freien und fairen Wettbewerbs, das heißt wettbewerbspolitische Mindestnormen. Zweitens. Die Entwicklung und Durchsetzung von ökologischen Mindeststandards im Welthandel und drittens die Durchsetzung von elementaren sozialen Mindeststandards, wie sie in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verabredet wurden. Beim ersten Punkt - der Entwicklung und Umsetzung von Instrumenten eines freien und fairen Wettbewerbs - sind sich anscheinend alle Parteien im Bundestag einig. Dies ist auch dringend erforderlich, denn hier droht uns - wie auch das EU-Parlament festgestellt hat - eine marktbeherrschende Stellung der 100 großen transnationalen Unternehmen, die durch ihre wirtschaftliche Machtposition zunehmend Staaten als Standortkonkurrenten ausspielen und „insofern Handels- und Investitionsentscheidungen ohne Rücksicht auf Beschäftigung, Sozialstaatskonzeptionen und Umwelt durchsetzen können" und damit die Idee des freien und fairen Welthandels und die Zielsetzung von GATT und WTO in ihr Gegenteil verkehren. Es ist deswegen notwendig, eine Arbeitsgruppe „Handel und Wettbewerb" zu etablieren, um in das zu beschließende Arbeitsprogramm der WTO internationale Regelungen für die Wettbewerbspolitik aufzunehmen. Dabei fordern wir wettbewerbspolitische Mindestnormen für unternehmerisches Handeln. Wichtig ist u. a. das Unterbinden von Preis- und Gebietskartellen, die Kontrolle über grenzüberschreitende Fusionen sowie ein Kodex für staatliche Beihilfen und steuerliche Regelungen. Gut ist, wenn in Singapur ein erster Schritt in diese Richtung unternommen wird, unbefriedigend bleibt die bisher geplante Unverbindlichkeit der Arbeitsgruppe und die eher zurückhaltende Position der USA. Wenn wir uns auf diesem Gebiet nicht beeilen, darf die WTO auf der nächsten Konferenz die Sieger im weltweiten Monopoly - zum Beispiel bei Rohstoffen und Bodenschätzen - feststellen und als internationaler Notar die Welthandelsstatistik beglaubigen. Hier müßten Deutschland und die EU sehr deutlich werden, aber da halten Sie, Herr Minister, ihr ordoliberales Gebetbuch eingepackt! Warum eigentlich? Auch beim zweiten Punkt, der Entwicklung und Umsetzung ökologischer Mindeststandards wäre mehr Biß, vor allem bei der Umsetzung, angesagt. Der in Marrakesh errichtete WTO-Ausschuß „Handel und Umwelt" hat begonnen, intensiv zu arbeiten. Leider ist es ihm nicht gelungen, in allen 10 Bereichen zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Deswegen muß die WTO-Ministerkonferenz den Verhandlungsführern klare Vorgaben machen, damit sie sobald wie möglich zu konkreten Ergebnissen kommen. Das bedeutet nicht, daß wir hier einheitliche Umweltschutzregime für die ganze Welt verlangen. Aber daß die Preise für Waren und Dienstleistungen, die damit verbundenen Umweltkosten nicht nur beim Energieverbrauch voll und ganz reflektieren müssen, sollte eine für alle Seiten dieses Hauses selbstverständliche Mindestforderung sein. Anderenfalls wird Marktwirtschaft noch stärker zu Lasten der Umwelt pervertiert und zu einem Verbrechen an künftigen Generationen. Deswegen ist ein konkretes Paket von TREMS (handelsbezogenen Umweltmaßnahmen) überfällig, will man es nicht bei Schaumschlägerei belassen. Wichtigster Punkt ist aber ohne Zweifel die Durchsetzung von elementaren sozialen Mindeststandards, wie sie in der IAO-Konvention niedergelegt sind. Und da sind wir im Parlament leider meilenweit voneinander entfernt. CDU-Bundesminister, wie Norbert Blüm und Claudia Nolte, und CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber setzen sich öffentlich und publikumswirksam für weltweite soziale Mindestnormen im Welthandel ein, wie das Verbot von Kinderarbeit, vor allem der industriell organisierten Zwangsarbeit von Kindern. Aber dann verlangt der Antrag der Koalitionsfraktionen von der Bundesregierung gerade, sie möge sich dafür einsetzen, daß in der Ministererklärung ein Satz aufgenommen wird, der die WTO- Länder darauf hinweist, daß sie als Vertragsstaaten des Abkommens der Internationalen Arbeitsorganisation verpflichtet sind, bestimmte Mindestanforderungen einzuhalten. Und Herr Minister Rexrodt tut so, als sei er natürlich für die Umsetzung von sozialen Mindestnormen, aber leider sei ihre Umsetzung unrealistisch, weil andere Länder nicht auf ihre komparativen Vorteile verzichten wollten. Ich möchte dazu drei Dinge bemerken: Erstens. Es ist dringend notwendig, eine Weltsozialpolitik zu beginnen, in einer Welt, in der Big Business das Primat über die Politik gewonnen hat und ökonomische Interessen soziale Interessen dominieren. Gelingt das nicht, wird sich das soziale Elend Luft in sozialrevolutionären, fundamentalistischen oder rechtspopulistischen bis faschistischen Bewegungen machen. Das dann entstehende Chaos kann - wie in den 20er und 30er Jahren dieses Jahrhunderts -zu sehen - katastrophal für die Weltwirtschaft und den Weltfrieden werden. Die OECD-Länder werden dann keine Inseln der Seeligen bleiben, wenn sich die Arbeitslosenheere in Gang setzen. Die Bundesregierung hat mit aller Macht gemeinsam mit Großbritannien im EU-Ministerrat gegen eine wirksame Einbeziehung von sozialen Mindestnormen in das WTO-Mandat der EU gekämpft. 12 EU-Staaten waren laut Protokollanhang zum Ministerrat dafür. Mittlerweile hat die Bundesregierung sogar die Kompromißlinie der EU verlassen, die wenigstens eine Arbeitsgruppe „Handel und Menschenrechte" im Rahmen der WTO etablieren wollte. Zweitens. Auch die USA haben energisch eine Einbeziehung von sozialen Mindeststandards in die WTO verlangt. Erzählen Sie also nicht, unsere Forderungen nach sozialen Mindestnormen, wie sie im IAO-Abkommen niedergelegt sind, seien unrealistisch! Sie wollen sie doch unter keinen Umständen, weil sie Globalisierung als Zuchtrute für Verschlechterung von Sozialstandards im eigenen Land brauchen! Drittens. Das Argument schließlich, man wollte den ärmeren Ländern aus protektionistischen Gründen unsere Sozialstandards aufzwingen, ist falsch und erfolgt, Herr Rexrodt, wider besseres Wissen. Niemand hat so etwas verlangt, weder eine Regierung, noch eine europäische Gewerkschaft, noch gar die deutsche Sozialdemokratie. Uns geht es schlicht damm, daß industriell organisierte Zwangsarbeit von Kindern, unbezahlte Zwangsarbeit in Exportindustrien, die über Staatshandelsfirmen vermarktet werden, die Diskriminierung bei Löhnen, die Einschüchterung und Bedrohung von Gewerkschaftern durch Polizei und Militär verhindert, gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit und der Abschluß von Tarifverträgen praktisch möglich werden. Wenn sich die Oligarchien und Militärdiktatoren dagegen wehren, weil sie um ihre Machtpositionen und Ausbeutungsgewinne fürchten, ist das nachvollziehbar, wenn auch widerwärtig. Aber warum eine Bundesregierung und die EU nicht die Interessen unserer kleinen und mittleren Unternehmen gegen Ökodumping und übelstes Sozialdumping wahren, ist mir unverständlich. Das Argument, das gehe nicht, weil einige andere Länder sich nicht daran hielten, kennen wir nicht nur von heute, sondern auch aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts: Damals waren Sklaverei, Sklavenhandel und Kinderarbeit noch weit verbreitet, und trotzdem ist durch zähen Kampf in den Ländern, durch das Verdienst der Arbeiterbewegung in den USA und in Europa und durch die Koalition der europäischen Regierungen gegen den Handel der Sklavenhalterländer und die Achtung des Sklavenhandels ein Durchbruch gelungen. Wir meinen, was im 19. Jahrhundert möglich war, ist am Ende des 20. Jahrhunderts auch möglich - wenn denn die deutsche Bundesregierung bereit wäre, mit anderen, zum Beispiel der großen Mehrheit der EU und den USA, dafür zu kämpfen. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Der Abschluß der Uruguay-Runde war die Geburtsstunde einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Von diesem Ausgangspunkt aus muß das Welthandelssystem nun Schritt für Schritt ausgebaut werden. Die WTO-Konferenz in Singapur ist ein Arbeitsschritt dazu. Das erfreulichste Fazit der letzten zwei Jahre ist, daß die Anerkennung der WTO international zunimmt. Große Handelsnationen wie Entwicklungsländer haben die Vorteile des multilateralen Systems erkannt. Dies zeigt sich besonders an der großen Akzeptanz des Streitschlichtungsverfahrens und der Bereitschaft, nicht jedes Verfahren bis zum Entscheid kommen zu lassen, sondern durch Konsultationen zu Kompromissen zu finden. Die Rede vom Kollegen Hauchler zeigt, daß die SPD überhaupt nicht verfolgt hat, wie die Vorbereitung über ein Jahr betrieben worden ist. In letzter Minute Anträge vorzulegen offenbart, daß sie den Charakter multilateraler Verhandlungen nicht verstanden haben. Deutschland ist in Singapur ein Land von 125! Manche vermitteln - auch durch Anträge im Bundestag - öffentlich den Eindruck, man könne alle im Zusammenhang mit dem liberalisierten Welthandel auftretenden Probleme in einem einmaligen Kraftakt lösen. In Wirklichkeit sind die Voraussetzungen zur gleichberechtigten Teilnahme an der Weltmarktwirtschaft höchst unterschiedlich. Obendrein wollen wir die Weltmarktwirtschaft nach unserer Vorstellung auch nicht auf Dauer ohne soziale und ökologische Prägung und entsprechende Rahmenbedingungen lassen. Zwischen USA und Taiwan, Burkina Faso und China gibt es da aber das eine oder andere Problem. Die Länder der Triade haben wirksame Formen regionaler, wirtschaftlicher Kooperation und politischer Integration entwickelt. Dagegen stehen wenig entwickelte Gebiete der Erde ohne solche Möglichkeiten da oder beginnen gerade erst, sich regionale, kooperative wirtschaftliche Strukturen aufzubauen und damit einen Schritt zur Integration in die Weltwirtschaft zu tun. Der Ausbau des WTO-Prozesses kann eine Chance für diese Länder sein. Wir dürfen aber nicht so tun, als ob die Maßstäbe der Industrieländer die einzige Richtschnur für Veränderungen sein könnten. Ein multilateraler Prozeß verlangt gründliche Überzeugungsarbeit, gegenseitiges Lernen, schrittweise Fortschritte und allmähliche Veränderungen sowie Anpassungsfristen und Übergangszeiten. Anpassungsleistungen verlangt dieser Prozeß auch nicht nur von den Ländern, die eine geringere wirtschaftliche Entwicklung aufweisen. Es ist eine Illusion, nur die anderen müßten sich ändern! Deshalb sind Geduld und Beharrlichkeit nötig, um Fortschritte zu erreichen. Auch das vereinte Europa ist nicht in einem Jahr gebaut worden und dieses Europa darf vor allem auch in schwierigen Zeiten nicht der Versuchung unterliegen, sich abzuschotten. Die WTO kann auch kein Erfolg werden, wenn der Eindruck entstünde, das Ganze sei eine Veranstaltung eines Kartells der Triade gegen den Rest der Welt. In der WTO hat jedes Land eine Stimme. Und so gleichwertig die Stimmen sind, so gleich wichtig müssen die Partner in diesem Prozeß genommen werden. Deshalb verbietet es sich von selbst, an den Fortgang der WTO-Verhandlungen jeweils mit Maximalforderungen heranzutreten. Nun hat die SPD vor etwa zwei Monaten eine Konferenz zu Fragen der Globalisierung und des internationalen Wettbewerbs gemacht, und dabei ist der SPD-Vorsitzende auf die grandiose Idee gekommen, alle mit der Globalisierung zusammenhängenden Probleme könne man ja dadurch lösen, daß die Staaten im globalen Wettbewerb „den Weg der Kooperation anstatt der Konfrontation suchen", nach dem Motto: Vereinbaren wir doch alle, daß wir uns keine Konkurrenz machen! Nachdem mit dem Schlagwort „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch" keine Politik mehr zu machen ist, heißt das Motto jetzt also offensichtlich: „Unternehmer aller Länder, vereinigt Euch". In welcher Welt lebt der SPD-Vorsitzende eigentlich? Natürlich wollte er nur eine griffige Formel finden, um die Angst vieler Bürger, die sich mit den Vorgängen der Globalisierung verbinden, auszunutzen und Stimmung zu machen. Er hat ja auch aus seiner eigenen Partei eine entsprechende kritische Würdigung erfahren, ganz abgesehen von der Reaktion der Fachöffentlichkeit. Das eigentlich unverständliche an dieser Aussage ist, daß jedermann klar sein muß, daß eine Verständigung der großen Wirtschaftsmächte untereinander zuungunsten des Wettbewerbs alle Lasten eines so geregelten Wirtschaftssystems den Armsten dieser Welt aufladen würde. Da rate ich Herrn Lafontaine doch, einmal die Schriften Willy Brandts zu den Notwendigkeiten eines neuen Weltwirtschaftssystems nachzulesen. Dort wird er für ihn ganz erstaunliche Aussagen zur Marktöffnung für wenig entwickelte Länder finden und damit zu mehr Konkurrenz für die Industrieländer und nicht zu weniger. Wenn Herr Lafontaine an anderer Stelle sagt, es sei notwendig, „das Modell der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft zur Geschäftsgrundlage für eine neue Weltwirtschaftsordnung zu machen", so zäumt er den Gaul von hinten auf. Eine ökologische und soziale Marktwirtschaft muß das Ziel von weltweiten Veränderungen sein, sie kann aber beim gegenwärtigen Zustand der Welt nicht ihr Ausgangspunkt sein. Wenn derselbe Mann dann am 10. Oktober in der Wirtschaftswoche schreibt: „Die Bundesregierung darf die Verabschiedung dieser Sozialcharta auf der WTO-Konferenz im Dezember nicht blockieren", so kann man nur noch feststellen: Der Mann hat ja überhaupt keine Ahnung. Jeder, der es wissen wollte, konnte im Ablauf der Diskussion im Vorfeld der Ministertagung in Singapur seit über einem Jahr wissen, daß der Streit nicht um die Verabschiedung einer Sozialcharta geht, sondern um die Frage, ob Sozialstandards überhaupt Gegenstand der Gespräche innerhalb der WTO sein sollen. Dort wehren sich die Entwicklungsländer nach wir vor mit aller Macht gegen eine Aufnahme dieser Themen in die Tagesordnung der WTO, weil sie nicht zu Unrecht befürchten, daß mancher, der sich so lautstark für die schnelle Einführung von Sozialstandards als verpflichtende Grundlage für die Teilnahme am Welthandel einsetzt, in Wirklichkeit protektionistische Gedanken im Kopf hat. Natürlich gibt es überhaupt keinen Streit darum, daß nicht nur unter handelspolitischen Gesichtspunkten, sondern vor allem unter humanitären eine Anhebung der Sozialstandards in vielen Ländern der Welt unerläßlich ist. Genauso unabweisbar ist aber die Einsicht, daß vor der Verbesserung von Sozialstandards die Einbindung der wenig entwickelten Länder in die Weltwirtschaft ermöglicht werden muß, damit dort Beschäftigung und Wertschöpfung entstehen und die Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, daß höhere Sozialstandards finanzierbar werden. Wer das Welthandelssystem als Vehikel zur Lösung aller möglichen Probleme nutzen will, wird es damit überfordern. Wer sich sogar noch vorstellt, die soziale Situation eines Landes könne Anlaß von Schiedsgerichtsverfahren sein, der würde willkürlicher Blockade der WTO das Wort reden. Ich unterstütze daher ausdrücklich die Position der Bundesregierung, die ich für überaus vernünftig halte. Sie nimmt in dieser Frage eine vermittelnde Position ein, geht Protektionisten nicht auf den Leim, versucht einen pragmatischen Weg in die richtige Richtung zu gehen und trägt dadurch vielleicht mehr zu einem Ergebnis bei, als solche, die Maximalforderungen aufstellen, wie das in den Anträgen von SPD und Grünen der Fall ist. Wenn es auf der WTO-Konferenz in Singapur gelingt, in der Abschlußerklärung eine Passage einzufügen, in der sich die WTO-Mitgliedsstaaten verpflichten, ihre übernommene Verantwortung als Unterzeichnerstaaten der Menschenrechtskonvention und verschiedenster Konventionen der internationalen Arbeitsorganisation wahrzunehmen, dann ist dies ein erster wichtiger Schritt. Auf diese Weise die Autorität der ILO zu stärken ist sinnvoll. Handel und Umwelt ist ein weiteres nach wie vor in der WTO nicht unumstrittenes Thema. Hier ist die Verhandlungslage allerdings übersichtlicher. Es gibt einen ersten Bericht der Arbeitsgruppe Handel und Umwelt, die in Marrakesch eingerichtet wurde. Die Ergebnisse des Zwischenberichts bleiben sicher hinter deutschen Erwartungen zurück, man ist aber immerhin so weit gekommen, daß Mißtrauen reduziert und gemeinsame Auffassung gefördert worden ist. Die Arbeit dieser Arbeitsgruppe wird fortgesetzt werden. Dabei ist man sich über grundlegende Prinzipien einig geworden. Ökologische Aspekte müssen in das WTO-System eingebaut werden, ohne daß Diskriminierung und neue Handelshemmnisse entstehen. Auch bei der Lösung globaler Umweltprobleme gibt es keinen Weg als den des beharrlichen Förderns multilateraler Bestrebungen: Da es auf diesem Feld eine Reihe von multilateralen Umweltabkommen bereits gibt, können sie Anlaß sein, ihre handelspolitischen Implikationen zum Gegenstand weiterer Erörterungen zu machen. Die Europäische Union geht hier mit einer weitgehend einigen Meinung vor und hat einen Schwerpunkt bei der Kennzeichnung gesetzt. Vorrang bei der weiteren Arbeit innerhalb der WTO hat die Umsetzung der Vereinbarung der Uruguay-Runde. Hier hat der Druck, der aus der bevorstehenden Tagung entstanden ist, dazu geführt, daß absehbar ist, wann zu den wichtigen Verhandlungen im Dienstleistungsbereich Abschlüsse zu erwarten sind: Finanzdienstleistungen und Basistelekommunikationsdienste werden im Laufe des nächsten Jahres abgeschlossen, ein nächster Schritt bei den freien Berufen bis Ende 1998. Lediglich die Fragen des Seeverkehrs konnten nicht so weit vorangetrieben werden, daß mit Ergebnissen in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Erfreulich ist die Einigung und der Zeitplan für den Abschluß eines Abkommens über den Zollabbau im Bereich der Informationstechnologie. Dort hat Europa ja ein besonderes Interesse, bei bestimmten Entwicklungen nicht außen vor zu bleiben. Auch das WTO-Arbeitsprogramm für 1998 enthält eine Reihe von Themen, die für die Weiterentwicklung des Welthandelssystems von Bedeutung sind. Deutschland hat sich besonders dafür eingesetzt, daß auch die neuen Themen Handel und Investition und Handel und Wettbewerb Eingang in die Arbeit der WTO finden. Auf beiden Feldern wird noch an Ort und Stelle viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein, damit die entsprechenden Arbeitsgruppen errichtet werden können. Unstreitig ist aber, daß dies zwei Felder sind, die für eine zukünftige globale Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sein werden. Bis zu einer multilateralen Verhandlung und entsprechenden Abkommen sind aber noch viele Hürden zu überwinden. Das hartnäckige Bestreben vieler Länder nicht nur aus dem Kreis der am wenigsten entwickelten Länder, über Investitionen im WTO-Kontext zu sprechen, zeigt übrigens, wie hoch die WTO in ihrer Wirksamkeit eingeschätzt wird. Diese Länder wollen das Thema in der UNCTAD belassen. Im Unterschied zur WTO gibt es dort keine Sanktionsmechanismen, es bleibt alles unverbindlich. Die Bundesregierung ist in der Vorbereitung, auch innerhalb der europäischen Union, ausgesprochen vernünftig vorgegangen. Es gilt ja auch, konstruktiv und sachorientiert für die Durchsetzung des Gedankens zu arbeiten, daß der Welthandel frei sein muß und daß die Rahmenbedingungen dieses Handels in Übereinstimmung aller Beteiligten gefunden werden müssen. Jeder Fortschritt auf diesem Weg wird auch die Ängste, die heute noch mit der Globalisierung der Wirtschaft verbunden sind, reduzieren, die Chancen in den Vordergrund stellen und Rückfälle in Bilateralismus und Protektionismus verhindern. Wer sich vor dem Wettbewerb drücken will, beginnt mit seinem eigenen Abstieg zur wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit. Dafür gibt es in unserem Land und an vielen Stellen der Welt treffliche Beispiele. Internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, immer größere Vernetzung der Volkswirtschaften, Transfer von Wissen und Technik, von Kapital und Waren tragen von sich aus bereits zu einer Übertragung auch von Standards bei. Vor allen Dingen sind sie aber Voraussetzung für Wohlstand, Beschäftigung und sozialen Fortschritt. Wie sagte der Generalsekretär Renato Ruggiero diese Woche in einem Interview in der „Wirtschaftswoche": „Globalisierung ist Realität. Die Gewinner dieses Prozesses sind diejenigen, die sich anpassen, die Verlierer sind diejenigen, die die Anpassung verweigern. " Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Erstens: Die Gipfelkonferenz des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftforums (Apec) erlebte vor wenigen Tagen, was viele Arbeitnehmer in den asiatischen Tigerstaaten als Folge sich beschleunigender Globalisierung fürchten. Die Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, trieb Tausende auf die Straße. Aufgestiegen waren sie mit niedrigen Lohnkosten, gestützt auf eine boomende Elektronikindustrie. Der drastische Einbruch der Nachfrage bei Halbleitern macht die zu Gegnern weiterer Liberalisierung, die von ihr in den vergangenen Jahren profitiert haben. Forderte einstmal das, was früher die Dritte Welt genannt wurde, die volle Beteiligung am Welthandel, so scheuen manche der Gewinner nun den nächsten Schritt. Wer die Debatte in Ländern des Westens verfolgt, sieht erstaunliche Parallelen: Pierre Bourdieu stellt sich, mit vielen Mitstreitern eines linken französischen Republikanismus, an die Seite der Streikenden des „roten September". In ihm manifestiere sich der Aufstand gegen eine Politik, die ökonomische Sachzwänge nur noch verwalte. Auf die Frage, die Alain Touraine ihm stellt, fehlt aber noch die Antwort. „Wer glaubt denn", fragt Touraine, „daß wir uns mit einer Revolution gegen einen Weltmarkt auflehnen können, in den sämtliche Länder der Welt eingetreten sind?" Paradox ist die Umkehr der Forderungen: Früher verlangten die industriell fortgeschrittensten Länder, der Welthandel müsse frei werden, und sie verweigerten die Forderung der übrigen Welt, der Welthandel müsse fair werden. Heute sind neue Mischungen entstanden, die quer liegen zu den alten Verhaltensmustern. Ein Vorwurf jedoch baut sich auf. Er richtet sich an uns, an die Politik: Der Politik fehle es an Gestaltungswillen, heißt es. Ist der Vorwurf nicht berechtigt? Erschöpft sich Politik nicht in symbolischen Gesten? Weicht sie nicht kritiklos dem Druck des Globalismus? Schlimmer noch: Gibt Politik nicht den Druck einfach weiter, sprengt sie nicht Grundpfeiler sozialer Gerechtigkeit? Und: Treibt sie nicht so die ohnehin Schwachen in die Gettos, die am Rande der Glaspaläste liegen? Die Politik wird neue Antworten auf die tiefgreifenden Transformationen geben müssen. Täuschen wir uns nicht: Wir sind inmitten einer Revolution. Ströme von Information und Kommunikation, Ströme von Waren und Finanzkapital sind nur ihre äußeren Zeichen. Es scheint, als verschwände Arbeit und Kulturpolitik in ihren Strudeln, mindestens die, der die Kraft zur Anpassung fehlt. Wer mit offenen Augen durch die Metropolen geht, kann es sehen: Hier wird der Text der Zukunft geschrieben, die Erkennungszeichen für eine neue Zeit, in der der Schmutz sich mischt mit dem Grandiosen. Je früher wir uns vorbereiten auf die Umbrüche der Kulturen, die Kräfte des zivilen Zusammenlebens und mit ihnen die Fähigkeit zu aktiver Toleranz stärken, desto größer ist die Aussicht, die Konflikte friedlich auszutragen, ja, sie als Chance zu nutzen, aus ihnen Innovationen und Kreativität zu beziehen. Es gibt keinen geschichtlichen Automatismus. Wir müssen nicht glauben, was Samuel P. Huntington uns immer noch einzureden versucht, „The Clash of Civilizations" sei zwangsläufig, Zusammenstöße entlang der Grenzen der Zivilisationen, des Orients gegen den Okzident, des Islam gegen das Christentum. So fangen Kriege in den Köpfen an, und so drängen sie in die Wirklichkeit. Was wir aber wirklich brauchen, ist der Dialog der Zivilisationen. Regierungen können ihn fördern. Gelingen kann er nur, wenn er von den Gesellschaften aufgenommen wird, innerhalb der Gesellschaften geführt wird und zwischen ihnen. So entstehen Netze diskursiver Nachbarschaften. Sie bauen Ängste vor dem Fremden ab. Sie sind Spiegel, in denen man sich selbst im anderen Gegenüber erkennen lernt. Eine erste Antwort auf die sich beschleunigende Globalisierung könnte heißen: Politik muß mehr sein als bloßes Anpassen an vorgegebene Sachzwänge. Zweitens: Eine zweite Antwort mag sich ergeben aus dem „unerhörten Ereignis" der sanften Revolutionen in der östlichen Mitte Europas. Sie haben nicht allein das Handeln von Politik dramatisch verändert. Entscheidend für den säkularen Sturz der kommunistischen Diktatur war schließlich der ins Unerträgliche gewachsene Rückstand zur westlichen, aber auch zur aufkommenden asiatischen industriellen Moderne. Die politische Ökonomie der frühen 90er Jahre ist nicht - noch nicht - nach-industriell, weniger um einen sich ausweitenden Dienstleistungskern gelagert. Die politische Ökonomie der Jetzt-Zeit ist deutlich neoindustriell. Durchgesetzt werden sollen die industriellen Produktionsweisen. Sie gründen sich auf besondere Formen von Technologien, von Sozialstrukturen, von Kulturen, ausgedacht in europäischen Köpfen, ausgehandelt in den Kämpfen der europäischen Zivilisation - immer gefährdet in den Rückstürzen, an dem das Jahrhundert so häufig leiden mußte, und das ist noch nicht zu Ende. Das also ist Globalisierung: Die industrielle Moderne entgrenzt sich und entgrenzt die Regionen, in die sie einwandert und die sie aufnimmt. Es entstehen in den Regionen der Erde mehr und mehr Territorien der globalen Gesellschaft. Nicht eine Weltgesellschaft, sondern, wie Anthony Giddens, Soziologe in Cambridge, sie nennt: eine „Gesellschaft des unbegrenzten Raums". In ihr beginnt ein Universum neuen sozialen Handelns. Kulturelle Traditionen werden in der globalen Gesellschaft umgearbeitet. Sie verlieren an Deutungsmacht, soweit eingegangene soziale Bindungen sie überlagern. Dieser wechselseitige Wandel zwischen kulturellen Mustern und sozialem Verhalten ist ein höchst zerbrechlicher Prozeß. Charles Taylor, der kanadische Philosoph, fordert „The Politics of Recognition", eine Politik der Anerkennung der Authentizität des anderen. Wer ihn nicht anhören will, sich ohne Vorurteil mit ihm auseinandersetzen will, verzichtet auf das Experiment des gemeinsamen Lernens. Sie ist die einzige humane Alternative zur Gewalt. Beziehungen zwischen Menschen in einer globalen Gesellschaft, die aus unterschiedlichen Herkünften stammen, können nur verläßlich werden, wenn sie verblassen lassen, was sie prägt. Oder der zieht sich zurück, der sich dem Lernen nicht aussetzen will. So steht am Anfang der globalen Gesellschaft oft die Trennung: die Scheidung von persönlichen Beziehungen, das Lockern kultureller Bindungen, der Abschied von überflüssiger nationalstaatlicher Homogenität. Je rascher dieser Wandel eintritt, desto heftiger tauchen Gefühle der Unsicherheit auf. Sind Chancen für neue Bindungen nicht zu erkennen, schwindet Vertrauen in andere und Zutrauen zu sich selbst. Selbstisolierung kann die Folge sein. Sie aber ist häufig Quelle der Irritation für andere. Das gilt für Individuen, aber auch für Staaten. Wo nicht mehr miteinander geredet wird, lauert die Gewalt. Gegensätze, kulturelle, soziale, nationale, können Gewalt hervorbringen. Aber auch Dialog. Öffnung gegenüber dem anderen und gegenüber den anderen ist die entscheidende Bedingung zur Arbeit an Konflikten. Das gilt ebenso für Staaten. Eine zweite Antwort könnte heißen: Politik kann mithelfen, die Konflikte innerhalb der Staaten und zwischen ihnen so zu transformieren, daß ihre Sprengsätze nicht unter der Hand explodieren. Drittens: Globalisierung, sagt Renato Ruggiero, der Generaldirektor der WTO, ist ein unumkehrbarer Prozeß. Richtig. Und sie macht das Konzept der souveränen Staatlichkeit prekär. Gerade in dem historischen Moment, wo nach Orientierung immer lauter gerufen wird, befindet sich der Nationalstaat in der Neubestimmung seiner Aufgaben zwischen lokalen, regionalen und globalen Zwängen. Die national verfaßte Ökonomie ist in einem fundamentalen Wandel begriffen. Staatssysteme brechen zusammen, weil ihnen die Kräfte ausgegangen sind, ihre inneren Widersprüche zu bearbeiten. Autoritäten und Institutionen verschwinden. Demagogen schüren Streit zwischen Menschen, suchen sie zu verführen, täuschen Ziele, „ethnische Reinheit", vor, um politische Macht zu erobern. „Failing States", Staaten, die fallen, weil sie an ihrem Innern scheitern. In einer sich vernetzenden Welt wird die Behauptung der Unabhängigkeit des Nationalstaats abhängig von allem anderen und von allen anderen. Das Netzwerk an Kooperation zwischen den Staaten verdichtet sich, weil die Staaten einander brauchen. Zunächst bestätigen sie sich in ihrer Rolle als Nationalstaaten und schleifen zugleich ihre Souveränität ein. Die einzelstaatliche Souveränität wird mit der mehrstaatlichen Vernetzung respektiert und relativiert. Regionale und multilaterale Institutionen vermehren sich. Die Welt befindet sich in Prozessen der Vereinigung und der Trennung - und das zur gleichen Zeit. Es kristallisieren sich Räume des Zerfalls wie Räume des Vernetzens. Manchmal überlappen sie sich. Zwischen ihnen entstehen immer neue Gefälle. Jedem Menschen wird an jedem Ort der Erde bewußt, an welcher Stelle er sich befindet im Gefälle zwischen Süd und Nord, Ost und West. Sein Platz ist häufig dazwischen. Und er weiß darum, welche Chancen ihm vorenthalten werden. Die europäische Kultur hat sich mit ihren fortgeschrittensten Medien jeden Platz erobert. So fordert sie materiell dazu heraus, daß ihre virtuellen Versprechen auch real eingelöst werden - neben der Freiheit auch die Gleichheit. Können sie lokal nicht erworben oder auch erstritten werden - anderswo kann man sein Glück auch versuchen. Von Europa aus ist die Welt entdeckt worden, mit den Transportmitteln, die es erfunden hat, kann es auch erreicht werden. Von Europa aus traten die industrielle Produktion und die Verteilung ihrer Güter ihren Weg an. Handel, Markt und Arbeit sind univer- sal geworden und kehren nach Europa zurück, in der Gestalt der Konkurrenz. Ökonomisch werden die Regionen der Welt von den Zentren der fortgeschrittensten Technologien erschlossen. Wo das Kapital seine Chance sucht, braucht es Arbeit. Wo Arbeit mobil wird, geht es auf die Suche nach Gerechtigkeit, nach einer besseren Chance. Die geografisch unterschiedenen Räume der einen Welt treten in komplexer werdende Verhältnisse zueinander ein. Trends von Globalisierung und Fragmentierung treten sich scheinbar gegenüber. Sie sind Momente des einen Prozesses der Modernisierung. Und sie bewirken auch, daß der einzelne sich Schutz sucht. Die Bühne für die großen Vereinfacher, die Populisten und Chauvinisten, steht bereit. Der Nationalismus wird immer da erfunden, wo Macht durch Gewalt erobert werden soll. Dagegen gibt es eine entscheidende Macht, das sind die vielen einzelnen, die sich der Demokratie verpflichten, sie verteidigen und erweitern. Sie schließen sich zusammen, je in ihrer verschiedenen Individualität, sie brauchen einander solidarisch in ihrer Unverwechselbarkeit, sonst könnten sie verloren sein. Sie bilden gemeinsam die zivile Gesellschaft. Vernetzen sie sich von unten, erleichtert ihnen staatliches Handeln, daß sie wachsen können im Dialog über die Grenzen der Staaten hinweg, dann werden sie zur Basis für eine globale zivile Gesellschaftswelt. Wachsen können zivile Gesellschaften dann, wenn freie Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte wahrnehmen und über ihr Leben selbst entscheiden. Soziale Demokratie ist dafür die angemessene politische Form. Mit der dritten Antwort stelle ich zwei Fragen an uns: Warten nicht die Prozesse der Modernisierung darauf, verantwortbar gestaltet zu werden? Käme es nicht darauf an, einen Rahmen politisch so zu entwickeln, der es möglichst macht, global, regional und lokal die Ökonomien so zu steuern, daß sie ihre Produktivkräfte entfalten können und zugleich die Lebensbedingungen von Mensch und Natur verbessern? Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 15 (Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit) Josef Hollerith (CDU/CSU): Obdachlosigkeit ist ein Problem, das im Kontext der gesamten Wohnraumversorgung und damit der Wohnungsbaupolitik generell zu sehen ist. Die Maßnahmen der Bundesregierung hierzu sind eine Erfolgsstory. Waren im Jahr 1989 noch unter 200 000 neue Wohnungen in der Bundesrepublik Deutschland fertiggestellt worden, so ist diese Zahl im vorigen Jahr und in diesem Jahr auf 600 000 Wohnungen angestiegen. Die neuen degressiven Abschreibungssätze in den alten Bundesländern, die Sonderabschreibung für die neuen Bundesländer, beispiellos niedrige Zinsen haben unter anderem zu diesem Erfolg beigetragen. Hinzu kommt neuerdings die Nachfolgeregelung für den § 10e Einkommenssteuergesetz, welche mit direkten Zuwendungen besonders bei den sogenannten Schwellenhaushalten zur erhöhten Nachfrage nach eigengenutzten Wohnungen geführt hat. Eine vierköpfige Familie beispielsweise erhält 8 Jahre lang 8 000 DM als Zuschuß für den Eigenheimbau. Die Erfolge der Wohnungspolitik der Bundesregierung haben nicht nur dazu geführt, den Nachholbedarf an Wohnungen, der zuwanderungsbedingt entstanden war, aufzulösen, sondern haben vor allem in den neuen Bundesländern partiell zu einem Überangebot an Wohnungen geführt. Der Grundsatz „Ein genügendes Wohnungsangebot ist der beste Mieterschutz" hat sich wieder einmal bestätigt. Selbst in Ballungsräumen ist das Mietpreisniveau deutlich gesunken. In Teilen unserer Republik sind die erzielbaren Mieten für Neubauwohnungen nicht höher als die Mietpreise, die für Sozialwohnungen im dritten Förderweg gelten. Die Erfolge dürfen uns jedoch nicht ruhen lassen. Nach wie vor findet im sozialen Wohnungsbau eine erhebliche Fehlsteuerung öffentlicher Gelder statt. Notwendig sind hier besonders Maßnahmen zum kostengünstigen Wohnungsbau, die die im ersten Förderweg übliche Fehlsteuerung öffentlicher Gelder verhindern. In besonderer Weise sind auch die Kommunen gefordert. Sie haben den Schlüssel durch ihr Bauplanungsrecht für die Wohnbaulandbereitstellung zu kostengünstigen Preisen in der Hand. Wenn in Ballungsräumen in der Vergangenheit von den Baukosten bis zu 50 Prozent auf die Grundstücks- und Erschließungskosten entfallen sind, zeigt dies den notwendigen Handlungsrahmen für die Kommunen auf. Das Instrumentarium des Baugesetzbuches gibt bereits heute ausreichend Spielraum, um preiswertes Bauland bereitzustellen. Viele Beispiele der Kommunen, die dies erfolgreich praktizieren, belegen diese These. Auch bei dem hier interessierenden Spezialthema der Obdachlosigkeit sind die Kommunen in besonderer Weise gefordert. Nach unserer Verfassung sind die Kommunen für die Obdachlosen zuständig. Der Bund ist hier im Rahmen von Modellprojekten besonders gefordert. Ferner gilt es, das Wohngeld bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Im sozialen Wohnungsbau sind die Vorlagen der Regierung auf gutem Wege. Ein besonderes Augenmerk wollen wir auf die Fortführung verbilligter Abgabe bundeseigener Liegenschaften für die Zwecke des sozialen Wohnungsbaus legen. Die im Bundessozialhilfegesetz notwendigen Durchführungsverordnungen sind zu aktualisieren, besonders zu § 72 BSHG. Trotz all dieser zum Teil bereits umgesetzten Maßnahmen, die zu einer deutlichen Besserung der Situation Obdachloser geführt haben, bleibt anzumerken, daß für einen geringen Teil der Klientel staatliche Maßnahmen nicht greifen werden, da deren persönliche Befindlichkeit so ist, wie sie ist. Gabriele Iwersen (SPD): Der Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung der Forderungen aus dem Antrag „Obdachlosigkeit - eine gesellschaftliche Herausforderung" ist nahezu pünktlich, mit nur 4 Tagen Verspätung, am 4. Juli 1996 vorgelegt worden. Leider wurde er nicht direkt nach der Sommerpause diskutiert, vielleicht aus Sorge vor Forderungen zum Haushalt 1997; aber das möchte ich natürlich nicht unterstellen. Jedenfalls steht er erst heute im Plenum zur Diskussion, und ich muß wirklich sagen: zu spät, um noch Unterstützung für die Kommunen bei der Erweiterung ihrer Winternotprogramme organisieren zu können, aber früh genug, um die Regierung aufzufordern, den Katalog der noch nicht erfüllten Forderungen weiter zu bearbeiten. Entwarnung zum Thema Obdachlosigkeit kann jedenfalls noch lange nicht gegeben werden. Die neusten Zahlen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe zeigen einen weiteren Anstieg der Wohnungslosenzahlen im Osten und gleichbleibende Wohnungslosenzahlen im Westen, trotz erheblicher Anstrengungen vieler Städte und Gemeinden, zusammen mit freien Trägern, den Wohnungsverlust vieler Familien zu verhindern und preiswerten Wohnraum zusätzlich zu beschaffen. Meine große Hoffnung ist, daß die vermehrte Anwendung des neuformulierten § 15a BSHG, im Bericht noch als gescheitert beschrieben, jedoch am 23. Juli 1996 endgültig verabschiedet, eine weitere Zunahme der Wohnungslosigkeit verhindern möge. Deshalb brauchen wir natürlich im nächsten Jahr einen neuen Erfahrungsbericht. Große Probleme bereitet der Abbau der hohen Sokkelwohnungslosigkeit, die in der Zeit der großen Wanderungsbewegung von Ost nach West entstanden ist. In Hamburg zum Beispiel konnten von 5 500 Wohnungslosen im vergangenen Jahr inzwischen 600 in Wohnungen einziehen. 4 900 leben dagegen noch immer in Wohnunterkünften unterschiedlichster Art, Hotels und Pensionen, im Grunde genommen natürlich zu unangemessen hohen Kosten, meist zu Lasten der Stadt. Ich habe Hamburg als Beispiel gewählt, weil die von uns geforderte bundesweite Statistik leider nach wie vor nicht wesentlich vorangekommen ist, und nur wenige Länder, Städte oder Gemeinden überhaupt Zahlen zur Verfügung stellen können. Der Mangel wird auch nach wie vor von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe beklagt. Die Bundesregierung sollte sich nicht zu viel Zeit lassen. Alle an der Bekämpfung der Obdachlosigkeit Arbeitenden sind dringend auf solide Informationen angewiesen. Die geschätzten 35 000 Menschen, die zur Zeit auf der Straße leben, verschwinden jedenfalls nicht dadurch, daß man sie nicht statistisch erfaßt. Doch zurück zu Hamburg. Seit November werden wieder Schlafplätze auf Wohnschiffen und in Wohncontainern für Wohnungslose, die auf der Straße leben, bereitgehalten, im Rahmen eines Winternotprogrammes. Im vergangenen Jahr waren es 200 Plätze, jetzt bietet die Stadt 260 Plätze an, kein Zeichen für eine Entwarnung. Nach Aussage der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe gibt es ungefähr 100 000 wohnungslose Familien, Paare und Alleinerziehende mit Kindern. Diese Gruppe soll in etwa 397 000 Personen umfassen - alles Menschen, die mit Sicherheit nicht freiwillig ohne eigenen Wohnraum leben. Sie sind häufig wegen Mietschulden Opfer von Räumungsklagen geworden. Da frage ich mich doch, was die Bundesregierung zu folgendem Satz, Kapitel Wohngeld, veranlaßt hat - ich zitiere -: „Schließlich beschränkt sich das Wohngeld auf eine rein finanzielle Hilfe zur Unterstützung und Verbesserung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit." Soll ich dem entnehmen, daß Obdachlose, wegen ihrer fehlenden eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sowieso keinen Anspruch auf Wohngeld haben? Unsere Forderung und Ihr Versprechen, Herr Minister Töpfer, das Wohngeld endlich den gestiegenen Mieten anzupassen und sozial weiter zu entwikkeln, steht doch in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Obdachlosigkeit vieler Familien. Erkennt die Regierung diesen Zusammenhang überhaupt? Ich fordere Sie deshalb erneut auf, endlich Ihre Ankündigung wahrzumachen und das Wohngeld - im Augenblick das Wohngeld West - anzuheben. Die Änderung des § 72 BSHG hat den Antragstellern 1995 - das waren die Koalitionsfraktionen und die SPD gemeinsam - besonders am Herzen gelegen, denn wir wissen, daß die geteilte Zuständigkeit für Wohnungslose, die noch als ortsansässig betrachtet werden, und solche, die als nicht seßhaft eingestuft werden, das Leben der Betroffenen noch zusätzlich erschwert hat. Kurz gesagt: Der Begriff oder die Bezeichnung „Nichtseßhafte" muß verschwinden, die Zuständigkeit für alle Menschen ohne Wohnung bzw. mit besonderen sozialen Schwierigkeiten muß in einer Hand liegen, nämlich beim überörtlichen Träger der Sozialhilfe. Auch diese Gesetzesänderung war zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht durch das Verfahren, hat jetzt aber Gesetzeskraft. Ich erwarte deshalb, daß jetzt zügig die aktualisierte Durchführungsverordnung zu § 72 BSHG nach der vereinbarten fachlichen Erörterung mit den Verbänden erarbeitet und dem Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vorgelegt wird, damit die Anwendung in Städten und Gemeinden sichergestellt werden kann. Die Mitteilung über Räumungsklagen wegen Mietrückständen wird offensichtlich vor Ort auf Grund der bestehenden Verwaltungsvorschrift weitgehend erfolgreich angewendet, obwohl auch hier noch nicht alle rechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden sind, um die Mitteilungspflicht der Gerichte verfassungsrechtlich abzusichern. So ist die Beratung des Justizmitteilungsgesetzes leider noch nicht abgeschlossen. Die Stellungnahme der Regierung, daß bei „sonstigen Räumungsklagen", also wenn nicht Mietschulden die Ursache sind, den Sozialhilfeträgern keine qualifizierte Hilfe möglich sei und deshalb keine Mitteilungspflicht in Betracht komme, ist kurzsichtig und in der Sache nicht gerechtfertigt. Wenn ein Wohnungssicherungssystem erfolgreich sein soll, muß jede Zwangsräumung vermieden werden. Da hilft oft auch ein vermittelndes Gespräch oder ein Wohnungstausch, denn uns geht es nicht um die Schuldfrage, sondern um die Vermeidung von Obdachlosigkeit. Deshalb sollte die Regierung den Prüfauftrag ernst nehmen, Wege zu suchen, damit auch bei „sonstigen Räumungsklagen" wenn nötig Hilfe eingeleitet werden kann. Ich werde mich jedenfalls um eine entsprechende Präzisierung des Justizmitteilungsgesetzes bemühen. Sehr unzufrieden bin ich mit den Ausführungen der Regierung zum Thema „meldefähige Anschrift". Die gesetzlichen Möglichkeiten, auch ohne festen Wohnsitz an Leistungen der Sozialversicherungen heran- und in ein Wählerverzeichnis hineinzukommen, sind uns durchaus bekannt. Sie stellen aber für viele Wohnungslose unüberwindbare Hürden dar, denen sie meist nicht gewachsen sind. Mit dem Antrag vom Juni 1995 wollten wir gerade den Menschen helfen, die aus der geordneten Gesellschaft herausgedrängt worden sind oder sie vielleicht auch freiwillig verlassen haben, nun aber versuchen, wieder Fuß zu fassen. Diese Rückkehr wird zur Zeit durch viele Regelungen fast unmöglich gemacht. Die Bürokratie macht unsere Gesellschaft keineswegs liebenswürdiger, und die soziale Ausgrenzung zu überwinden, ist nicht jedermanns Ziel. Aus der Vielfalt von Schwierigkeiten eines Wohnungslosen greife ich das Problem Girokonto auf. Hier bezieht sich der Bericht der Regierung auf eine Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses, ZKA, in dem die grundsätzliche Bereitschaft aller Kreditinstitute erwähnt wird, für alle Bevölkerungsgruppen Girokonten anzubieten und jedem Bürger, jeder Bürgerin, ein Konto einzurichten. Der Bericht über die Erfahrungen mit dieser Empfehlung wurde im September 1996 vorgelegt und nimmt die positive Beurteilung des ZKA auf, hält also die gefundene Regelung für positiv und ausreichend. Da muß ich auf eine Kleine Anfrage der SPD vom 1. Juli 1996 verweisen, auf die dazugehörige Antwort der Bundesregierung vom 24. Juli und auf einen Projektbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung e. V., der dem Finanzausschuß vorgelegt worden ist. Danach wird entgegen der Empfehlung des ZKA ein Schufa-Eintrag als Ablehnungsgrund neben den undefinierten Kriterien der „Unzumutbarkeit" genutzt. Hat aber ein Bürger ein Girokonto, was heutzutage für den üblich gewordenen bargeldlosen Zahlungsverkehr unverzichtbar geworden ist, so muß er sich wenigstens darauf verlassen können, daß nachweislich unpfändbare Beträge nicht durch private Personen gepfändet werden können. Den Schuldnerberatungen sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen Daueraufträge und Überweisungen bzw. Einziehungsaufträge für Miete und Haushaltsenergie nicht mehr vorgenommen worden sind, weil die Konten bereits gepfändet wurden, obwohl ihnen nur unpfändbare Beträge zur Aufrechterhaltung des Existenzminimums zugeflossen sind. Manchmal ist das der Auslöser für eine Räumungsklage. Die SPD hat deshalb einen Gesetzentwurf vorbereitet, um einen Rechtsanspruch auf ein Girokonto durchzusetzen. Am erfolgreichsten scheint die Bundesregierung bei der Forschungsarbeit zu sein. Hier sind offensichtlich mehrere Ministerien bereits seit Jahren aktiv und auch kürzlich noch wieder neue Projekte vergeben worden. Leider listet der Bericht eigentlich nur Forschungsprojekte auf, statt die vorhandenen Lösungen zu bewerten, wie der Auftrag von 1995 lautet. Die Forschung nützt der breiten Öffentlichkeit bzw. den Kommunen, die das Problem Wohnungslosigkeit lösen sollen, natürlich nur, wenn die Schlußfolgerungen daraus auch bekannt gemacht werden. Ich habe von dem Abschnitt des Berichts mehr erwartet. Und noch eine kritische Anmerkung zum Thema Modellprojekte: Die Forderung lautete, solche Projekte mitzufördern; aber die aufgelisteten, sehr interessanten und vorbildlichen Projekte haben offensichtlich keine direkte Hilfe aus Bonn erhalten, sondern sind durch die „normalen Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau" und durch Mittel der Kommunen, der Arbeitsverwaltung und freier Träger finanziert worden. Wir hatten durch die erhoffte Modellförderung auf eine Art Initialzündung gesetzt, um noch mehr Selbsthilfeprojekte finanzschwacher Gruppierungen möglich zu machen. Zum Thema Wohnungsbauförderung ist viel Richtiges geschrieben, wie zum Beispiel die Vermeidung von Sonderwohnbeständen und Behelfsunterkünften, die Ausgrenzung und Ghettoisierung fördern würden. Auch wir wünschen uns, daß die Selbsthilfepotentiale der künftigen Wohnungsnutzer gefördert werden sollen und sehen Handlungsbedarf für die dauerhafte Integration von Personen mit besonderem Betreuungsbedarf, deren Wohnraumversorgung mit sozialen Hilfen sowie Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen verbunden werden sollten. Aber leider stehen alle diese frommen Wünsche im direkten Gegensatz zu den übergeordneten Gesetzesinitiativen dieser Regierung. Das Gesetz für mehr Wachstum und Beschäftigung hat durch seine AFG- Änderung gerade wieder einen neuen Personenkreis ins Abseits verwiesen, nämlich die Behinderten, auch die Lernbehinderten, deren Förderung von einer Pflicht- in eine Kann-Leistung umgewandelt worden ist. Jungen Menschen, die noch keinen Zugang zu Ausbildungsberufen gefunden haben, weil sie keinen Hauptschulabschluß haben, konnte bis jetzt auf Grund ihrer Lernschwäche zum Beispiel in einem Internat des CCJM in Wilhelmshaven der Weg ins Arbeitsleben geebnet werden. Dank Ihrer AFG-Novelle wird diesen Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten nicht mehr durch die Bundesanstalt für Arbeit geholfen werden. Die Gefahr, daß dieser Personenkreis später einmal zum Kreis der Dauerarbeitslosen und vielleicht auch der Wohnungslosen gehören wird, sollte auch Ihnen bewußt sein. Ich sehe überhaupt schwarz für die verschiedenen Projekte, die Wohnraumbeschaffung mit Arbeit und Qualifizierung verbinden sollten. Denn das sind doch gerade typische Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes, den Sie eigentlich abschaffen wollen. Wenn ich jetzt noch die Überlegungen des Bauministers zur Zukunft des sozialen Wohnungsbaus betrachte, kann ich Ihnen nur sagen, daß die von uns erhoffte Verstetigung des sozialen Wohnungsbaus zur Erweiterung des preisgünstigen Wohnungsmarktsegments wenig Aussicht auf Erfolg hat. Nehmen wir jetzt noch die Absicht des Finanzministers dazu, die verbilligte Abgabe von Konversionsliegenschaften auslaufen zu lassen, dann wird das Bild noch düsterer. Dabei wäre in einzelnen Fällen gerade im Osten schon viel erreicht, wenn so eine ungenutzte Kaserne wenigstens als Speicher für Möbel und Hausrat eines Wohnungslosen zur Verfügung stünde, damit er außer der Wohnung nicht auch noch seine Habe verliert. Meine Damen und Herren, sie sehen, es sind noch viele Forderungen aus unserem gemeinsamen Antrag aus dem Jahr 1995 offen. Wir haben Ihnen deshalb einen Entschließungsantrag vorgelegt, damit die Arbeit auch durch die Bundesregierung fortgesetzt wird. Und natürlich möchten wir einen zweiten Bericht haben, um in einem Jahr sehen zu können, ob der Aufgabenkatalog erfolgreich abgearbeitet und unsere gemeinsamen Forderungen umgesetzt sind. Lisa Peters (F.D.P.): In den letzten Jahren ist über die Obdachlosigkeit viel gesprochen und diskutiert worden. Ich denke, alle Bürger und Bürgerinnen in unserem Land konnten an den Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen waren, nicht vorbeisehen. Die Obdach- und Wohnungslosen begegneten uns auf den Straßen und im Stadtbild. In der warmen Jahreszeit war dieses Problem nicht so sichtbar, sobald jedoch die kältere Jahreszeit nahte, beschäftigte sich auch die Öffentlichkeit mit den in Not geratenen Menschen, weil die Medien berichteten. Obdachlose gibt es nicht nur in den Großstädten; auch in Klein- und Mittelzentren sowie den ländlichen Gemeinden muß man sich seit vielen Jahren mit der Unterbringung und Versorgung von wohnungslosen Menschen beschäftigen. Wir haben uns in der 12. Wahlperiode im Bundestagsausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau intensiv mit der Obdachlosigkeit auseinandergesetzt. Die vielen Gespräche mit den Betroffenen haben die schwierige Situation verdeutlicht. Männer und Frauen haben uns ihre ganz persönliche Situation vor Augen geführt und nahegebracht. Dabei konnte man immer wieder feststellen, daß die meisten Betroffenen unverschuldet in Not geraten waren. Die kommunale Ebene, die Gemeinden und Städte, sind für die Versorgung mit Wohnraum zuständig. Da aber nach 1990 die Grenzen geöffnet wurden und viele Zuzüge zu verzeichnen waren, ging das Wohungsangebot zurück. Die Kommunen sahen sich oft nicht in der Lage, diese Personengruppe mit Wohnraum zu versorgen. Wir haben 1994 nach den Gesprächen mit den Betroffenen, den Spitzenverbänden und allen weiteren Beteiligten das Thema zum vorläufigen Abschluß gebracht. In dieser Wahlperiode wurde am 29. Juni 1995 eine Debatte im Bundestag geführt. Dabei wurde die Bundesregierung gebeten, bis zum 1. Juli 1996 über die eingeleiteten Maßnahmen zu berichten. Dieser Bericht ist fast pünktlich eingetroffen und wird heute diskutiert. Ich denke, es ist einiges geschehen, obwohl noch einige Fragen offen bleiben. Dem Bericht kann man entnehmen, daß mehr miteinander gesprochen wird. Der Bund und die Länder sind in ständigem Kontakt; das Thema „Obdachlosigkeit" ist problematisiert, es gibt viele Arbeitsgruppen. Jedoch reagieren die Länder sehr unterschiedlich. Ich schließe daraus, daß wir auch in den nächsten Jahren noch keine verläßlichen Zahlen über die bestehende Wohnungslosigkeit haben werden. Es ist auch schwierig, Personen, die keinen ständigen Wohnsitz haben, zu erfassen. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, daß an Obdachlose kein Wohngeld gezahlt werden kann. Diese Leistung setzt zwingend voraus, daß man im Besitz einer Wohnung ist und einen Mietvertrag nachweisen kann. Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit besonders bei Familien darf gar nicht erst entstehen, sie muß verhindert werden. Sie kann nur verhindert werden, wenn eine Behörde von der anderen Behörde weiß. Es ist zwingend erforderlich, daß dies in den Kommunen geregelt wird. Nur so kann man Obdachlosigkeit von Familien generell vermeiden. In meiner Heimatgemeinde wird dies seit Jahren praktiziert. Wir haben in unseren Beratungen sehr viel Wert auf eine „meldefähige Anschrift" gelegt. Die Wohnungslosen haben uns dies als vorrangige Bitte vorgetragen. Die Antwort der Bundesregierung zu diesem Punkt ist umfassend, sie gibt Hinweise auf die Einrichtung eines Girokontos und macht Ausführungen für die Teilnahme an Wahlen. Aber die Eintragung „wohnungsloser Personen" in das Melderegister ist so gut wie unmöglich, schließe ich aus der Antwort. Auch hier müssen wir in den Kommunen zur Selbsthilfe greifen und für das eigene Gemeinwesen nach Lösungen suchen. Erfreulich ist für mich die Antwort zu den Forschungsaufträgen und den Modellgruppen. Hier ist viel geschehen, vieles ist noch in Arbeit und kommt erst in den nächsten Jahren zum Tragen. Ich würde mir wünschen, daß wir auch weiterhin über alle Ergebnisse unterrichtet werden. Dabei gehe ich davon aus, daß unter den Ländern der Austausch von Informationen gegeben ist und man die positiven Erfah- rungen, die an anderer Stelle gemacht wurden, mit einbezieht. Den Gemeinden und Städten müßte es heute, es steht wieder mehr Wohnraum zur Verfügung, möglich sein, auch für Wohnungslose Wohnraum bereit zu halten. Zur Zeit kann man sich Belegrechte sichern, eine Betreuung der Menschen und Projekte müßte ebenfalls möglich sein. Abschließend stelle ich fest, daß einiges geschehen ist, wir aber weiter arbeiten müssen. Ich glaube, die Städte und Gemeinden haben erkannt, daß es preiswerter ist, Wohnungslosigkeit zu verhindern. Prävention zahlt sich aus. Man kann den Schwarzen Peter nicht hin- und herschieben, die Betroffenen hätten den Nachteil. Zunehmend schwieriger wird es, wohnungslose Menschen wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern. Hier scheinen mir die Maßnahmen, die Wohnungslose mit in die Arbeit bei der Renovierung und Erstellung von Wohnraum einzuschließen, die beste Möglichkeit zu sein. Viel zum Guten haben die Zusammenschlüsse und Aktivitäten der Wohnungslosen beigetragen. Die Presse begleitet diese Aktivitäten positiv. Durch den Verkauf von Zeitungen - im Hamburger Raum ist es „Hinz und Kunz" - werden alle Bürger auf die Not der Wohnungslosen aufmerksam gemacht. Die Zeitungen der Wohnungslosen steigern wöchentlich ihre Auflage. Den Wohnungslosen fließt ein Teil der Einnahmen aus dem Verkauf zu. Eine Hilfe zur Selbsthilfe. Ohne Selbsthilfe und ohne neue Ideen werden wir der Obdachlosigkeit nicht Herr. Es bleibt dabei: Vorrangig sind die Gemeinden und Städte gefragt. Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Das Wirtschaftswunder der Bundesrepublik Deutschland nach dem Kriege ist eng mit dem Einsatz des Energieträgers Kohle verbunden. Eine gute Wirtschafts- und Sozialpolitik wäre in den 50er Jahren ohne eine gute Kohlepolitik gar nicht denkbar gewesen. Den Leistungen unserer Bergleute in den Nachkriegsjahren gilt noch heute unser aller Respekt, denn sie haben hart gearbeitet. Es war deshalb eine gute und vor allem sozial gerechte Entscheidung, für die Bergmänner und ihre Familien damals ein zusätzliches Wohnungsbauprogramm aufzulegen. Für manchen Bergmann mag dies ein Grund für seine Berufsentscheidung gewesen sein. So gehört der Bergarbeiterwohnungsbau auch zur Geschichte des Bergbaus dazu. Gemessen an der Bedeutung der Kohle war es auch richtig, daß die Bürger - die ja vom Aufschwung und der Kohle als Verbraucher profitierten - dieses soziale Wohnungsprogramm mit der Kohleabgabe finanzierten. Dies liegt nun 40 Jahre zurück. Und in diesen 40 Jahren wurde beim Neubau und bei der Modernisierung der Bergmannswohnungen viel erreicht. Über 200 000 Wohnungen wurden gebaut und manche Zechensiedlung modernisiert. Ich denke, wir können stolz auf das bisher Erreichte sein. Wenn wir heute über die Zukunft dieses Wohnungsbauprogramms debattieren, dürfen wir aber auch die Entwicklung beim Bergbau und bei der Energienutzung der Kohle nicht vergessen. Der Anteil der Kohle am privaten Stromverbrauch beträgt heute nur noch etwa 30 Prozent. Andere Energieträger sind in den Vordergrund getreten, neue regenerative Energien hinzugekommen. Als die Kohleabgabe erhoben wurde, hatte Deutschland noch über 600 000 Beschäftigte im Bergbau. Heute sind es nur noch etwa 93 000 Bergarbeiter. Sicher, es gibt noch viele Bergmänner im Ruhestand, und gerade sie haben ein Leben in sozialer Sicherheit verdient. Deshalb ist die Modernisierung dieser Wohnungen auch eine wichtige soziale Aufgabe. Aber werden wir in den nächsten Jahren noch viele neue Bergmannswohnungen brauchen? Diese Überlegungen haben die Bundesregierung zu Recht veranlaßt, über die Zukunft des Bergarbeiterwohnungsbaus nachzudenken. Bundesminister Töpfer hat die Beweggründe der Bundesregierung auch deutlich vorgetragen. Ich möchte zwei Punkte hervorheben: Erstens. Nach dem Gesetzentwurf können alle laufenden Baumaßnahmen fertiggestellt werden. Selbst wenn eine Baumaßnahme erst in diesen Tagen bewilligt wird, kann sie noch zu Ende geführt werden. Zweitens. Die Einnahmen und Rückflüsse aus dem Bundestreuhandvermögen sollen ab 1997 in den Bundeshaushalt fließen. Der Bund wird den Ländern daraus allerdings Finanzhilfen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung stellen. Bis zum Jahr 2000 sind dies Mittel in Höhe von 850 Millionen DM. Der Bergarbeiterwohnungsbau ist eine besondere Form des sozialen Wohnungsbaus gewesen. Deshalb spricht auch nichts gegen eine Integration der Mittel in diesen Haushaltstitel. Es ist auch ein großer Erfolg für den Bundesbauminister, daß die Rückflüsse in einem solch großen Rahmen für den sozialen Wohnungsbau genutzt werden sollen. Nun haben die Länder die volle Umwidmung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau gefordert. Dies wird in unseren Beratungen gewiß eine große Rolle spielen. Aber angesichts der notwendigen Sparmaßnahmen in den Bundes- und in den Länderhaushalten liegt doch schon eine sehr gute Lösung vor. Wenn es Sorgen gibt, die bestehenden Bergmannswohnungen könnten nun verfallen, so ist diese Sorge unbegründet. Denn zukünftig sollen im sozialen Wohnungsbau besonders Modernisierungsmaßnahmen gefördert werden. Hier wären die Länder dann gefordert, Mittel des sozialen Wohnungsbaus gerade für die Sanierung von Wohnungen in Zechensiedlungen einzusetzen. Dies wird die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion dann auch sehr nachhaltig einfordern. Die Länder, in denen noch viele Bergleute tätig sind, vor allem Nordrhein-Westfalen, werden den Neubau von Bergmannswohnungen dann über den sozialen Wohnungsbau fördern können. Den Bergarbeitern sollten wir daher schon heute sagen: Lassen Sie sich nicht verunsichern. Sozialwohnungen für Bergarbeiter werden auch weiterhin gebaut. Nur haben die Länder dann in Zukunft eine größere Verantwortung, und dies entspricht durchaus ihrem gewachsenen Selbstbewußtsein. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor zwei Jahren, als neues Mitglied des Bundestages, habe ich als erstes einen Antrag für eine Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Gemeinden zur Verhinderung und Bekämpfung von Obdachlosigkeit eingebracht. Der Antrag ist - wie so viele Initiativen in diesem Haus - kleingekocht worden. Immerhin ist es gelungen, daß seit 1995 im Haushaltsansatz für den sozialen Wohnungsbau jährlich 50 Millionen DM für Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit zweckgebunden sind. Und es ist eine Schande, daß sich einige Länder immer noch sträuben, diese Gelder auch entsprechend einzusetzen. Wer gemeint hat, daß der soziale Wohnungsbau eigentlich insgesamt für die bedürftigen Schichten da sein müßte, irrt. Er ist für die breiten Schichten - nicht für die Notfälle -, denn die Politik unterscheidet immer noch zwischen Wohnungspolitik und Sozialpolitik. Die Wohnungspolitik der Regierung setzt nach wie vor auf quantitatives Wachstum, auf Vermögensbildung und Bauwirtschaftsförderung mit dem Effekt, daß wir wachsende Wohnungsleerstände haben bei gleichzeitig wachsender Wohnungsnot. Die Zahl der Mietschulden wächst, weil Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung und Verschuldung eine wachsende Zahl von Menschen in die Schuldenspirale treibt, an deren Ende nicht selten Obdachlosigkeit steht. Allein in Berlin und Brandenburg sind bei den Wohnungsbaugesellschaften des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen im Jahr 1995 über 300 Millionen Mietschulden angelaufen, Tendenz wachsend. Während die Politik auf die Leistungsstarken setzt, geraten immer mehr Menschen ins soziale Abseits. Da die Bundesregierung nach wie vor nur sehr zögerliche Schritte in Richtung einer Wohnungsnotfallstatistik macht - der Bericht sagt ja schon voraus, daß diese Aufgabe weggespart werden soll -, sind wir alle auf die sehr engagierte Arbeit der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe angewiesen. Nach deren Statistik wird die Zahl der Wohnungslosen auf ca. 920 000 Menschen geschätzt, davon ca. 335 000 Aussiedler. Die Zahl der Menschen, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben, wird auf 30 000 bis 35 000 geschätzt. Der Anteil der Frauen unter den Wohnungslosen ist auf ca. 170 000 gestiegen, die Zahl der Kinder und Jugendlichen auf ca. 180 000. Dazu kommt eine unbekannte Zahl von Menschen, die in keiner Statistik erfaßt sind. Doch auch ohne Dunkelziffer sind diese Zahlen alarmierend: Immer mehr Frauen, immer mehr Kinder und Jugendliche leben sozial ausgegrenzt in Armut. Wir haben Armut in diesem reichen Land, und je mehr Ihre Politik für die Bereicherung der Reichen sorgt, um so mehr sorgt sie auch für das Ansteigen der Armut. Ich fordere die Koalition auf, nicht länger die Augen vor der wachsenden Armut zu verschließen, sondern sich der Diskussion zu stellen, damit wir endlich zu konkreten Schritten kommen! Ich habe 1992 bis 1994 in Berlin-Friedrichshain am von der EU finanzierten Programm „Armut 3" mitgewirkt. Der Programmteil für die ostdeutschen Städte sollte übergeleitet werden in ein weiteres 5jähriges Programm „Armut 4". Die Bundesregierung hat dieses Programm sabotiert. Zunächst wurde es in „Progress" umbenannt, weil das Wort „Armut" so störend wirkte. Danach - mit zweimaligem Beschluß des Kabinetts - hat Bonn dieses Programm gestoppt. Der Vertreter der Bundesregierung in Brüssel hat sogar von „Armut auf hohem Niveau" gesprochen - angesichts der Nöte der Betroffenen ein zynischer Satz. Was ist zu tun? Um Armut und Obdachlosigkeit zu verhindern und abzubauen, brauchen wir zum einen eine andere politische Grundhaltung - eine Politik, die nicht den vor allem von der F.D.P. forcierten „Neo-Egoismus" kultiviert, sondern die auf wirklich solidarischen Ausgleich setzt und den Besitzenden und Leistungsstarken mehr abverlangt, um den Armen und Bedürftigen mehr zu geben. Konkret heißt das: Eine Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die Arbeit schafft, nicht abbaut. Gleichzeitig muß die Arbeitsmarktpoltük Initiativen für Arbeit und Qualifizierung von Sozialhilfeempfängern stärker fördern und nicht, wie gerade beschlossen, abbauen. Eine Sozialpolitik, die den Menschen, gerade auch den Bedürftigen, Würde gibt und Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben. Deswegen fordern wir die Einführung einer bedarfsorientierten Grundsicherung. Der Bund darf die sozialen Lasten nicht weiter auf die Kommunen abwälzen, dafür brauchen wir eine Gemeindefinanzreform und eine gerechte Verteilung der Sozialhilfekosten auf Bund, Länder und Gemeinden. Dies ist Voraussetzung dafür, daß die Kommunen ihre vielfältigen Aufgaben zur Vermeidung und Linderung von Obdachlosigkeit wirklich leisten können. Der Abbau von Übernachungsmöglichkeiten, Wärmestuben und Kältehilfen nimmt dramatisch zu. Beratungsstellen und Gesundheitsdienste können nicht aufrechterhalten oder eingerichtet werden. Die Wohnungspolitik muß zuerallerst den Erhalt und die Pflege von preiswerten Wohnungsbeständen durchsetzen. Die von Bauminister Töpfer geplante Anhebung der Mieten in den Sozialwohnungsbeständen auf Marktniveau darf auf keinen Fall wirksam werden. Insbesondere die Wohnungsbestände in der Hand von Bund, Ländern und Gemeinden müssen verstärkt und offensiv zur Beseitigung von Wohnungsnot genutzt werden. Der Wohnungsbau und die Wohnungssanierung müssen der Nachfrage gerecht werden: Wir brauchen einerseits Wohnungen für Alleinstehende, andererseits sehr große Wohnungen für Kinderreiche und Wohngemeinschaften. Wir brauchen eine Wohngeldreform, die die Menschen nicht weiter in die Abhängigkeit von Sozialhilfe treibt. Auf keinen Fall darf die Wohngeldrefrom zu Lasten der Kommunen finanziert werden. Wir fordern endlich einen regelmäßigen nationalen Armutsbericht, damit sich niemand hinter feh- lenden Informationen verstecken kann. Die jährliche Wohnungsnotfallstatistik ist überfällig. Ich denke, wir tragen parteiübergreifend Verantwortung, der wachsenden Armut in unserem Land mit aller Kraft zu begegnen. Wir können diese Aufgabe nicht einfach den Kommunen und den Wohlfahrtsverbänden überlassen. Den vielen Menschen, die sich allen widrigen Umständen zum Trotz mit hohem Engagement für Menschen in Not einsetzen, sage ich ganz herzlichen Dank. Klaus-Jürgen Warnick (PDS): In der Debatte zu Wohnungsnot und Obdachlosigkeit am 29. Juni 1995 gab es von der Regierung eine Menge Ankündigungen und Versprechen. Liest man nun im Bericht der Bundesregierung, dann bleibt das Resümee, daß die Koalition in dieser Frage eine erfolgreiche Politik betreibt, das Erreichte aber noch nicht das Erreichbare ist. Angekündigt ist noch für 1996 ein Bericht der Regierungskommission „Obdachlosigkeit, Suchtfolgen etc. " Dieser liegt bis heute noch nicht vor, ebenso gibt es bis heute keine Auswertung der zahlreichen im Bericht aufgeführten Forschungsvorhaben und Modellprojekte. 50 Millionen DM hat die Bundesregierung seit 1995 jährlich aus dem Fonds für den sozialen Wohnungsbau abgezwackt. Was damit getan und erreicht wurde, ist bis heute offen. Wie sieht die Realität aus? Hat die Zahl der von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit bedrohten und betroffenen Menschen etwa abgenommen? Auch wenn die Regierung Augen und Ohren schließt, die Fakten sprechen eine andere Sprache. Nach einer heutigen Meldung in der sozialistischen Tageszeitung „Neues Deutschland" gibt es nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rund 930 000 Menschen ohne Wohnung. Während die Bundesregierung den Preisdruck bei Immobilien und bei Mieten im oberen Segment genauso feiert wie die Rekordzahlen im Eigenheimbau und beim Abschluß von Bausparverträgen, sind die Kommunen mit der Zunahme von überschuldeten Haushalten, Zwangsräumungen, Sozialhilfebedürftigen und Obdachlosen konfrontiert. Kirchen, freien Trägern, Selbsthilfeprojekten und Bürgerinitiativen, z. B. der Gruppe der Komitees für Gerechtigkeit in Friedrichshain am Berliner Hauptbahnhof, werden die wenigen Mittel für ihre selbstlose Arbeit genommen. Ein Pfarrer Ritzkowski aus Berlin-Kreuzberg muß sich vor Gericht dafür verantworten, daß er Obdachlosen die Anschrift der Kirche, die für diese Menschen der derzeitige Lebensmittelpunkt ist, als Meldeadresse zur Verfügung stellt. Was und wem nutzen die großen Reden der Bundesregierung auf der UNO-Konferenz HABITAT II vor wenigen Monaten in Istanbul, wenn sich die Bundesregierung beharrlich weigert, das Menschenrecht auf Wohnung im Grundgesetz zumindest als Staatszielbestimmung zu verankern? Dies alles zeigt, daß die Mehrzahl der Bundespolitiker die Ursachen der Wohnungslosigkeit noch immer im Verhalten des einzelnen und nicht als gesamtgesellschaftliches Problem begreifen. Auch wenn es für die Damen und Herren auf der rechten Seite dieses Parlaments und teilweise wohl auch auf der linken Seite wie ein Spruch aus dem Parteilehrjahr in der DDR klingt: Obdachlosigkeit ist eines der vielen unangenehmen „Nebenprodukte" dieser nur am Profit orientierten Gesellschaft. Eine wirkliche Lösung kann es nur in einer veränderten Gesellschaft geben. Doch zurück zur Realität: Der Leistungsabbau beim Wohngeld, die Kürzungen im Haushalt, die geplanten Verschlechterungen im Mietrecht sowie beim sozialen Wohnungsbau, der Sozialabbau insgesamt und die Zunahme der Massenarbeitslosigkeit werden die Situation weiter verschärfen. Besonders dramatisch ist die Entwicklung in Ostdeutschland. Wie lange werden Sie noch brauchen, um von Null auf Hundert zu kommen? Ich glaube, daß wir eher das Westniveau bei der Zahl der Obdachlosen erreichen als bei der Angleichung der Einkommen, Renten und Vermögen. Eine Unverschämtheit ist die Antwort der Bundesregierung in der vergangenen Woche auf die Kleine Anfrage der PDS zur Wohnungslosigkeit von Frauen (Drucksache 13/6325). Damit haben Sie den betroffenen Frauen und Mädchen, aber auch den für diese Frauen tätigen Initiativen und Projekten unmißverständlich gezeigt, was sie von Ihnen zu erwarten haben. Sehr geehrte Damen und Herren, es muß endlich aufhören, daß statt Armut die Armen, daß statt Obdachlosigkeit die Obdachlosen bekämpft werden. Mit dem Vertreiben von Obdachlosen von Bahnhöfen, aus Einkaufsstraßen und Konsumpalästen durch hochgerüstete Polizei und private Sicherheitsdienste kann Obdachlosigkeit ebensowenig beseitigt werden wie durch das Räumen der Kölner Domplatte oder von besetzten Häusern in Hamburg, Leipzig, Potsdam, Berlin oder Kleinmachnow. Die Bundesrepublik hat - den politischen Willen vorausgesetzt - die Potenzen, um Wohnungsnot und Obdachlosigkeit wirksam zu bekämpfen. Ich fordere Sie auf, es gemeinsam zu tun. Die PDS ist bereit, aktiv zu helfen, sowohl auf Bundesebene als auch in den Ländern und Kommunen sowie in den Initiativen und Selbsthilfeprojekten. Joachim Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Erstens. An den Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom Sommer 1995 haben mehrere Fachausschüsse mitgewirkt, und ebensoviele Ressorts waren auch an dem Regierungsbericht über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit beteiligt. So vielschichtig und komplex das Problem der Obdachlosigkeit ist, so differenziert ist das Spektrum von Maßnahmen zur Problemlösung. Zweitens. Aus der Sicht des für den Wohnungsbau zuständigen Bundesministeriums steht dabei die Wohnungsversorgung im Mittelpunkt. Damit sollen andere Aufgaben und Maßnahmen nicht in ihrer Bedeutung zurückgesetzt werden, wie die präventiven Maßnahmen zum Schutz vor Wohnungsverlusten, die insbesondere das Bundessozialhilfegesetz ermöglicht und die durch die Gesetzesnovelle vom Sommer dieses Jahres noch verstärkt worden sind: Entsprechend den Forderungen des Deutschen Bundestages sind die Sozialhilfeträger nunmehr durch eine SollVorschrift in stärkerem Maße verpflichtet, in Fällen drohender Obdachlosigkeit rückständige Mieten zu übernehmen; die sozialen Hilfen, die ebenfalls vor allem auf Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes, aber auch des Kinder- und Jugendhilfegesetzes gewährt werden; der Bereich der stationären Versorgung etwa bei Therapien der Suchthilfe, der gesundheitlichen Rehabilitation und der psychischen Stabilisierung hilfebedürftiger Personen. Alle notwendigen Maßnahmen werden in den Ausschüssen noch fachlich kompetent zu beraten sein. Drittens. Die dauerhafte Wohnungsversorgung von Personen mit besonderen finanziellen und sozialen Schwierigkeiten ist freilich in der Praxis nur zu leisten, wenn sie durch geeignete soziale Hilfsmaßnahmen unterstützt wird. Wie unterschiedlich die Anforderungen an die Kombination von Wohnung und sozialer Hilfe im einzelnen sein können, zeigen sehr anschaulich die verschiedenen Wohnprojekte in unserem Modellprogramm „Dauerhafte Wohnungsversorgung von Obdachlosen" des Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus: Da geht es in einem Projekt unter der Zielsetzung „Wohnung statt Heimplatz" darum, älteren alleinstehenden Männern, die viele Jahre „über Land gezogen" sind und teilweise erhebliche Gesundheits- und auch Alkoholprobleme hatten, den Umzug aus einer stationären Einrichtung in eigene Wohnungen zu ermöglichen. Dies ist mit Hilfe des Trägers dieser stationären Einrichtung gelungen, der dazu mit örtlichen Wohnungsunternehmen kooperiert hat. In einem anderen Fall hat ein Verein der Straffälligenhilfe - in Verbindung mit einer Beschäftigungsmaßnahme - Wohnungen für wohnungslose Strafentlassene auf einem von der Stadt überlassenen Grundstück gebaut und bietet ebenfalls soziale Betreuung beim Übergang zum selbständigen Wohnen an. Unter der Zielsetzung „Integriertes Jugendwohnen" werden in einer anderen Stadt in Kooperation eines Jugendhilfeträgers und eines Bauträgers Wohnungen für Jugendliche und junge Erwachsene gebaut, sowohl Einzelwohnungen als auch größere Wohnungen für Jugendwohngruppen. Mit Mitteln der Jugendhilfe erwirbt das zuständige Jugendamt langfristige Belegungsrechte und kann auf diesem Wege die hohen Kosten für eine stationäre Unterbringung vermeiden. In weiteren Projekten werden Wohnungen für obdachlose Familien und Alleinstehende neu gebaut oder modernisiert, teilweise mit einer gemischten Belegung mit anderen dringlich wohnungsuchenden Haushalten. Viertens. Es gibt aber auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen diesen Projekten, aus denen wir lernen können, welche Zielrichtungen wir weiter verfolgen müssen: Es wurde dauerhafter Wohnraum geschaffen - zwar in kostengünstiger Bauweise, aber nicht als Notunterkunft mit minderer Qualität. Alle Maßnahmen sind im sozialen Wohnungsbau gefördert und entsprechen allen üblichen Anforderungen. Bei den meisten Projekten werden die Wohnungsbaumaßnahmen mit Beschäftigungsmaßnahmen kombiniert. Besonders wichtig ist die Integration des Wohnprojekts in das nachbarschaftliche Umfeld. Vielfach kooperieren Träger der Wohlfahrtspflege mit Wohnungsunternehmen; jeder bringt das ein, wozu er professionell qualifiziert ist. Große Bedeutung hat die Einbindung der Maßnahme in ein kommunales Gesamtkonzept zur Lösung von Obdachlosigkeit und sozialen Notlagen, das über das einzelne Projekt hinausweist. Fünftens. Welche Schlußfolgerungen sind daraus für die künftige Wohnungsbauförderungspolitik zu ziehen? Zunächst einmal bestätigen auch diese Projekte die Bedeutung des sozialen Wohnungsbaus für die Wohnraumversorgung bedürftiger Haushalte. Um dem Einzelfall gerecht zu werden, braucht man flexible Förderinstrumente und ihre flexible Handhabung auf örtlicher Ebene; das bedeutet zugleich, daß strikte bundeseinheitliche Vorgaben auf wichtige Kernpunkte begrenzt werden müssen und die Ausgestaltung der Förderung im wesentlichen den Ländern und Gemeinden überlassen werden sollte. Im Einzelfall sind sowohl die besonderen Anforderungen des einzelnen Wohnungsbauprojekts zu berücksichtigen - wie etwa die Zielgruppe und die angestrebte Belegung - als auch die Investitionsbedingungen der Bauherren; Art und Intensität der Förderung müssen darauf abgestimmt sein. Bei der Wohnungsversorgung von besonders benachteiligten Haushalten sind übergreifende und über die Bereitstellung von Wohnraum hinausreichende Konzepte unerläßlich. Auch dies erfordert einen weiten Handlungsspielraum auf der örtlichen Ebene. Sechstens. Auch die finanziellen Handlungsmöglichkeiten müssen bei Bund, Ländern und Gemeinden erhalten bleiben. Der Bund wird sich auch künftig mit hohen Finanzhilfen an der Förderung des sozialen Wohnungsbaus beteiligen: im Haushaltsjahr 1997 mit einem Verpflichtungsrahmen von rund 2 Milliarden DM. Mit der Vorgabe, daß 50 Millionen DM dieser Finanzhilfen für die Wohnungsversorgung von Obdachlosen eingesetzt werden sollen, weisen wir darüber hinaus auf den besonderen Bedarf dieses Personenkreises hin. Daß der soziale Wohnungsbau dazu seinen Beitrag zu leisten hat, darüber besteht auch mit den Ländern Einvernehmen. Allerdings - auch dies zeigen die Modellprojekte -: Wohnprojekte für Obdachlose können nur gelingen, wenn sie von kompetenten Partnern durchgeführt werden. Deshalb brauchen wir das Engagement von sozialen Trägern aus dem kirchlichen und dem karitativen Bereich und von sozial orientierten Wohnungsunternehmen, die die erforderliche Fachkompetenz mitbringen. Mit den Modellprojekten von Bund und Ländern wollen wir dazu beitragen, daß Informationen und Erfahrungen aus der Praxis bundesweit bekanntgemacht und auf diesem Wege weitere Maßnahmen angeregt werden. Siebtens. Dabei müssen wir aber auch sehen, daß die Neuschaffung von Wohnraum für finanziell oder sozial besonders benachteiligte Haushalte nur e in Ansatz von mehreren ist. Allein durch Neubau wird der notwendige Wohnraum auch langfristig kaum bereitgestellt werden können. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil Wohnprojekte für besonders problembelastete Haushalte stets nur einen kleinen Umfang haben sollten. Integration setzt soziale Mischung voraus - durch gemischte Belegung in größeren Wohnkomplexen und in der Nachbarschaft. Eine Konzentration von Haushalten mit besonderen sozialen Schwierigkeiten in größeren Wohneinheiten oder eigenen Siedlungen dient nicht der Integration. Deshalb müssen wir verstärkt auch Belegungsrechte im Bestand gewinnen und sichern. Die Novelle des Wohnungsbauförderungsrechts soll hier einen Schwerpunkt setzen: Wir wollen den Erwerb von Belegungsrechten und den Erwerb von Wohnraum als Instrumente der sozialen Wohnraumförderung im Bundesrecht verankern. Auch für Wohnungsversorgungsmaßnahmen im Bestand ist die Kooperation von Gemeinden, Wohnungswirtschaft und Wohlfahrtspflege unverzichtbar. Achtens. Finanzielle und soziale Benachteiligungen in der Gesellschaft können nicht allein durch die Wohnungspolitik beseitigt werden. Dies gilt auch für die Probleme der Obdachlosigkeit. Die Wohnungspolitik ist aber eine von mehreren wichtigen Handlungsfeldern. Sie wird auch in Zukunft ihren Beitrag leisten und dabei die Zusammenarbeit mit allen anderen wichtigen Fachpolitiken suchen, die zur Problemlösung beitragen können und müssen. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 706. Sitzung am 29. November 1996 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: - Neuntes Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes - Gesetz zu dem Übereinkommen vom 15. Dezember 1994 über die Sicherheit von Personal der Vereinten Nationen und beigeordnetem Personal - Gesetz zum Dokument vom 31. Mai 1996 zur Änderung des Vertrags vom 19. November 1990 über konventionelle Streitkräfte in Europa (Flankenvereinbarung) - Gesetz zu dem Abkommen vom 29. Mai 1996 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Weiterhin hat der Bundesrat in seiner 706. Sitzung am 29. November 1996 beschlossen, der Bundesregierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 1994 (Jahresrechnung 1994) aufgrund der Bernerkung des Bundesrechnungshofes Entlastung gemäß Artikel 114 des Grundgesetzes und § 114 der Bundeshaushaltsordnung zu erteilen. Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat sieht in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Bundesrechnungshofes die Notwendigkeit effizienter und sachgerechter Außenprüfungen durch die Steuerverwaltung zur Sicherung des Steueraufkommens. Die Außenprüfung hat große Bedeutung für die Gesetzmäßigkeit, Gleichmäßigkeit und Wettbewerbsneutralität der Besteuerung. In diesem Interesse stehen die Länder in einem ständigen Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Der Bundesrat weist allerdings darauf hin, daß eine Vereinheitlichung von Verwaltungsmaßnahmen und Prüfungsvorgaben einschließlich der personellen und materiellen Ausstattung der zuständigen Behörden aufgrund der verfassungsrechtlichen Organisations- und Personalhoheit der Länder nur begrenzt möglich ist. Zur Frage des Länderfinanzausgleichs verweist der Bundesrat auf den einstimmigen Beschluß der Ministerpräsidenten der Länder vom 10. bis 12. Mai 1996, mit dem abgelehnt wird, Steuermehreinnahmen aus Betriebsprüfung und Steuerfahndung im Länderfinanzausgleich anders zu behandeln als sonstige Steuereinnahmen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/4514 Nr. 1.4 Drucksache 13/4514 Nr. 1.7 Drucksache 13/5687 Nr. 1.1 Innenausschuß Drucksache 13/3117 Nr. 2.1 Drucksache 13/4921 Nr. 2.23 Drucksache 13/5056 Nr. 2.8 Drucksache 13/5555 Nr. 2.64 Drucksache 13/5555 Nr. 2.76 Drucksache 13/5555 Nr. 2.79 Drucksache 13/5555 Nr. 2.88 Drucksache 13/5837 Nr. 1.1 Rechtsausschuß Drucksache 13/4921 Nr. 2.9 Drucksache 13/5555 Nr. 2.75 Finanzausschuß Drucksache 13/4921 Nr. 1.6 Drucksache 13/5295 Nr. 3.2 Drucksache 13/5555 Nr. 1.6 Drucksache 13/5555 Nr. 1.8 Haushaltsausschuß Drucksache 13/5687 Nr. 2.24 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/5555 Nr. 2.24 Drucksache 13/5687 Nr. 2.9 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/5555 Nr. 2.27 Drucksache 13/5555 Nr. 2.60 Drucksache 13/5555 Nr. 2.70 Drucksache 13/5555 Nr. 2.85 Drucksache 13/5555 Nr. 2.91 Drucksache 13/6129 Nr. 1.9 Ausschuß für Gesundheit Drucksache 13/4466 Nr. 2.6 Drucksache 13/5295 Nr. 1.19 Drucksache 13/5687 Nr. 2.36 Drucksache 13/5866 Nr. 1.1 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/5555 Nr. 1.19 Drucksache 13/5555 Nr. 2.87 Drucksache 13/5687 Nr. 2.3 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/5837 Nr. 1.8 Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Drucksache 13/5555 Nr. 2.1 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/5687 Nr. 2.1 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/5555 Nr. 2.82 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/5056 Nr. 2.14 Drucksache 13/5555 Nr. 1.10 Drucksache 13/5555 Nr. 1.12 Drucksache 13/5687 Nr. 1.2 Drucksache 13/5555 Nr. 1.18
Gesamtes Protokol
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314600000
Guten Morgen. - Erst einmal wünsche ich allen, da wir heute den 6. Dezember haben, einen schönen Nikolaustag.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Der Nikolaus kommt noch, Frau Präsidentin! Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist denn der Nikolaus? Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Weihnachtsmänner gibt es hier mehrere!)

Ich eröffne hiermit die Sitzung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines .. . Strafverfahrensänderungsgesetzes - DNA-Analyse („genetischer Fingerabdruck") -(... StVÄG)
- Drucksache 13/667 - (Erste Beratung 81. Sitzung)

- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Dr. Herta Däubler-Gmelin, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Strafverfahrensänderungsgesetzes - Genetischer Fingerabdruck - (... StVÄG)
- Drucksache 13/3116 - (Erste Beratung 81. Sitzung)

Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

- Drucksache 13/6420 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ronald Pofalla Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg van Essen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Abgeordnete Professor Jürgen Meyer das Wort.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (SPD):
Rede ID: ID1314600100
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der genetische Fingerabdruck ist erstmals vor knapp zehn Jahren in England angewandt worden. Der Beschuldigte Collin Pitchfork wurde damals anhand einer Blutprobe als Vergewaltiger und Mörder von zwei jungen Mädchen überführt.
Seitdem ist, wie wir bei der Sachverständigenanhoning des Rechtsausschusses erfahren haben, weltweit in Hunderttausenden von Fällen Spurenmaterial, das am Tatort gefunden wurde, einer DNA-Analyse unterworfen worden. Dabei geht es in der Regel um die Frage, ob Haare, Blut, Hautpartikel oder Sperma vom Tatverdächtigen stammen, also um einen Identitätsnachweis. Die Analyse hat einen außerordentlich hohen Beweiswert, auch wenn der Bundesgerichtshof noch vor vier Jahren festgestellt hat, daß zur Überführung des Täters weitere Indizien hinzukommen müssen.
Ein Quantensprung der Kriminalistik? - so könnte man fragen. Seit über zehn Jahren dient das Verfahren auch zur Klärung von Abstammungsfragen. Wer könnte etwas gegen die Ablösung oder doch Ergänzung der altbekannten Blutgruppengutachten oder erbbiologischen Gutachten durch ein Verfahren mit größerem Beweiswert haben?
Und doch: Daß es sich hierbei um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung handeln kann, wozu es einer gesetzlichen Grundlage bedarf, läßt sich kaum bestreiten. Das wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß die heutige Praxis der DNA-Analyse nicht mehr zwischen nichtkodierenden und kodierenden Teilen unterscheidet, die als solche Aufschlüsse über menschliches Erbmaterial geben können.
Grundsätzlich könnten in naher Zukunft mit derselben Methode, mit der heute Identität und Abstammung festgestellt werden, auch Erbinformationen gewonnen werden. Man könnte daran denken, Charakter oder krankheitsbedingte Persönlichkeitsmerkmale festzustellen. Diese könnten zur Erarbeitung genetischer Phantombilder für Fahndungszwecke führen oder als Grundlage für die Beurteilung der Schuldfähigkeit oder für Sozialprognosen im Straf-

Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

prozeß dienen. Außerhalb des Strafverfahrens könnte die Kenntnis der Erbanlagen zur Grundlage von Prognosen und entsprechenden Entscheidungen werden, beginnend bei der Familienplanung über die Berufswahl und Arbeitsplatzentscheidungen bis hin zu Alltagsentschlüssen verschiedenster Art.
Dieses zeigt: Wir haben es mit einem Verfahren zu tun, das vom Gesetzgeber geregelt werden sollte. Hier geht es um Grundfragen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Wir sind unstreitig an einem Punkt angekommen, an dem der Gesetzgeber entscheiden muß. Seine Aufgabe ist es, die Anwendung der neuen Erkenntnisverfahren sozialverträglich zu gestalten.
Deshalb haben wir Sozialdemokraten bereits vor ziemlich genau vier Jahren einen. Gesetzentwurf vorgelegt, der von der Grundforderung ausgeht, daß die DNA-Analyse im Strafverfahren neben der Feststellung der Abstammung nur als Beweismittel zur Identitätsfeststellung, also insbesondere zur Täteridentifikation, zugelassen wird. Der SPD-Entwurf beruhte auf rechtsvergleichenden und rechtsdogmatischen Vorarbeiten, die im Freiburger Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht geleistet worden waren, und einem der Referentenentwürfe.
Wir freuen uns, daß sich die Bundesregierung in ihrem im vergangenen Jahr eingebrachten Gesetzentwurf dieser Grundposition angeschlossen hat. Wegen verschiedener Differenzpunkte zu einzelnen Sachfragen, die ich hier nicht näher behandeln kann, haben wir unseren Gesetzentwurf, ebenfalls im vergangenen Jahr, erneut eingebracht. Die Frage, ob die Bundesregierung ohne die vorangegangene Gesetzesinitiative der SPD-Fraktion jemals über das Stadium von Referentenentwürfen hinausgelangt wäre,

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

muß offen bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Solche Fragen werden immer wieder gern gestellt, Herr Kollege!)

- Solche Fragen werden immer gerne gestellt und von uns unterschiedlich beantwortet, verehrter Herr Kollege.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Aber eindeutig beantwortet!)

Zu Beginn der Gesetzesberatungen im Rechtsausschuß haben wir uns darauf verständigt, die Beratung des gleichzeitig vom Bundesrat eingebrachten Entwurfes eines Strafverfahrensänderungsgesetzes -„StVÄG 1994" heißt die schöne Abkürzung - zunächst zurückzustellen. Das geschah einmal deshalb, weil der Entwurf, der die datenschutzrechtlichen Konsequenzen aus dem bekannten Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 für das Strafverfahren zu ziehen versucht, noch erhebliche Mängel aufweist. Möglicherweise hat sich auch
deshalb in der ersten Lesung dieses Entwurfes hier im Bundestag am 19. Januar 1996 kein Vertreter des Bundesrates zu dem Entwurf geäußert.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!)

Der wichtigere Grund für die Abtrennung der Beratung des Bundesratsentwurfes bestand aber darin, daß die Bundesregierung zum wiederholten Mal angekündigt hat, demnächst einen eigenen StVÄG- Entwurf vorzulegen. Darauf warten wir nun schon seit vielen Jahren.
Eigentlich ist es Zeit, daß die Bundesregierung ihre Ankündigung, zuletzt in der Stellungnahme zum Bundesratsentwurf vom 12. Januar 1995, wahr- macht, in der es wörtlich heißt: „Die Bundesregierung wird alsbald einen Regierungsentwurf vorlegen und sieht deshalb von einer Stellungnahme im einzelnen ab." Was heißt „alsbald" bei dieser Bundesregierung, gestatte ich mir zu fragen. Wir hoffen, daß sich die Müdigkeit der Rechtspolitik, jedenfalls im Bereich der Kriminalpolitik, mit der wir es seit einigen Jahren zu tun haben, in diesem Fall sehr bald in kreative, schöpferische Munterkeit auflöst.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich die wesentlichen Punkte nennen, derentwegen wir heute dem Gesetzentwurf nach insgesamt sehr kooperativen Gesprächen im Kreis der Berichterstatter zustimmen können:
Die Analyse darf jetzt - erstens - nur zur Feststellung der Abstammung oder zur Feststellung der Herkunft des Spurenmaterials vom Beschuldigten oder Verletzten durchgeführt werden. Feststellungen über genetische Anlagen sind damit ausgeschlossen und selbstverständlich unverwertbar.
Die Untersuchung darf - zweitens - nur durch den Richter angeordnet werden. Eine staatsanwaltschaftliche Eilzuständigkeit gibt es - darauf haben wir großen Wert gelegt - nicht.
Die Gutachterstellen werden - drittens - durch die zuständige Datenschutzbehörde überwacht. Bei den nichtöffentlichen Stellen sind schon jetzt anlaßunabhängige Kontrollen möglich. Eine entsprechende Regelung muß nach Auskunft des Justizministeriums auf Grund der Datenschutzrichtlinie der Europäischen Union bis Oktober 1998 auch für die öffentlichen Gutachterstellen eingeführt werden, wo es sie bisher noch nicht gibt, nämlich - ich nenne diese Länder ausdrücklich - in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt.
Viertens muß eine organisatorische und sachliche Trennung der ermittlungsführenden Dienststelle von der Gutachterstelle gewährleistet sein, wenn beide derselben Organisationseinheit, etwa einem Landeskriminalamt, angehören. Unsere frühere Forderung, ermittlungsführende Behörden ganz von der Gutachtertätigkeit auszuschließen, haben wir aufgegeben, weil die in den letzten Jahren vor allem bei einzelnen Landeskriminalämtern aufgebaute Sachkompetenz und Erfahrung auch weiter genutzt werden sollen.

Dr. Jürgen Meyer (Ulm)

Fünftens. Trotz der Bedenken einzelner Gutachterstellen ist den Sachverständigen künftig das Untersuchungsmaterial anonymisiert zu übergeben; denn es ist nicht Sache des Gutachters, sondern allein des Gerichts, den Akten weitere Indizien für die Richtigkeit oder die Unrichtigkeit des Gutachtens zu entnehmen.
Sechstens. Die in der StPO vorgesehene Benachrichtigungspflicht gegenüber dem Beschuldigten oder anderen von der Maßnahme betroffenen Personen wird ausdrücklich auf die DNA-Analyse erstreckt.
Siebtens ist die Erstellung eines genetischen Fingerabdrucks im Bußgeldverfahren ausgeschlossen.
Ich will nicht verschweigen, daß wir uns entsprechend unserem Entwurf wesentlich präzisere Regelungen für die Vernichtung von Spurenmaterial und auch Untersuchungsergebnissen vorgestellt hätten, sobald sie für das konkrete Strafverfahren nicht mehr benötigt werden. Das gilt für den Beschuldigten, sobald ein Tatverdacht entfällt. Es gilt erst recht für Dritte, also Zeugen oder Opfer oder solche Personen, die ihr Material freiwillig übergeben haben.
Für diese letztgenannte Personengruppe sieht der Entwurf leider überhaupt keine Vernichtungsregelung vor. Der vom Justizministerium zur Begründung ins Feld geführte Grundsatz der Aktenvollständigkeit ist unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung alles andere als überzeugend.
Entscheidend ist aber nicht so sehr, was in der einzelnen Akte aufbewahrt werden darf, sondern die ganz andere Frage: welche Daten künftig in Datenbanken gespeichert werden dürfen. In der Sachverständigenanhörung haben wir erfahren, daß einzelne Landeskriminalämter schon dabei sind, derartige Datenbanken ohne gesetzliche Grundlage aufzubauen. Auch deshalb brauchen wir dringend das eingangs erwähnte Strafverfahrensänderungsgesetz, das klare und rechtsstaatliche Regelungen enthalten sollte, welche Daten welcher Personen gespeichert und weitergegeben werden dürfen.
Bis dahin müssen wir wohl oder übel darauf vertrauen, daß die Datenschutzbeauftragten ihre Aufgabe wahrnehmen und verhindern, daß etwa die höchstpersönlichen Daten eines Beschuldigten, bei dem jeglicher Tatverdacht entfallen ist, am Ende im Europol-Computer gespeichert werden. Dieses darf nach unserer Auffassung nicht sein.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr richtig!)

Wir werden die Praxis der Datenspeicherung und -weitergabe aufmerksam zu verfolgen haben. Die Bundesregierung sollte uns in einem Jahr einen Bericht über die Erfahrungen mit der heute zu verabschiedenden gesetzlichen Regelung vorlegen, damit wir notfalls neue Initiativen im Sinne des SPD-Entwurfes einleiten können.
Trotz dieser Vorbehalte ist das heute zur Verabschiedung anstehende Gesetz ein deutlicher Fortschritt gegenüber der bisherigen Praxis. Wir werden ihm deshalb zustimmen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314600200
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Pofalla.

Ronald Pofalla (CDU):
Rede ID: ID1314600300
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf sind nicht nur nach meiner Überzeugung, sondern auch nach dem, was Herr Professor Meyer gerade gesagt hat, ein ganzes Stück vorangekommen.
Während noch bei der ersten Beratung über den genetischen Fingerabdruck die Gegner mit angsterfüllten Augen Kritik übten, dürfte sich, glaube ich, die Situation inzwischen entkrampft haben. Mit dazu beigetragen hat vor allem die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses zu diesem Gesetzentwurf im vergangenen Sommer. Doch auch die, wie ich finde, zahlreichen klärenden Gespräche der Berichterstatter konnten Berührungsängste gegenüber der Materie auf allen Seiten abbauen. Hierbei hat sich bewahrheitet, worauf ich bereits zu Beginn der Debatte im Sommer dieses Jahres hingewiesen habe: Nicht überall, wo Genanalyse draufsteht - ich sage es einmal etwas plakativ -, steckt Sciencefiction dahinter. Vielmehr haben wir versucht, auf der Basis des Regierungsentwurfes zu Lösungen zu kommen, die dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit Rechnung tragen.
Als Grundlage für den eigentlichen Eingriff - auch das muß noch vorweggeschickt werden - dienen bereits heute, also auch schon vor der Verabschiedung, die §§ 81 a und c der Strafprozeßordnung.
Herr Kollege Meyer, Sie erlauben mir vielleicht, daß ich, bevor ich auf Details eingehe, zwei Anmerkungen zu dem mache, was Sie gerade hier vorgetragen haben. Sie haben den vielleicht ehrenhaften Versuch gemacht, die Frage der Mutter- oder Vaterschaft der Inhalte dieses Gesetzes zu klären,

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Ich habe den Referentenentwurf genannt!)

und Sie haben dabei den Eindruck zu erwecken versucht, als seien wesentliche Gedanken des Regierungsentwurfes aus dem Entwurf der Sozialdemokraten aus der 12. Legislaturperiode übernommen worden. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß es eine weitestgehende Übereinstimmung zwischen diesem SPD-Entwurf und dem damaligen Referentenentwurf der Bundesregierung gibt;

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Den habe ich als eine von zwei Quellen genannt!)

dies zeigt ein Vergleich beider Entwürfe deutlich.
Im übrigen hat sich ja ein Doktorand, wenn ich es richtig gehört habe, der bei Ihnen promoviert hat

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Zwei!)


Ronald Pofalla
- zwei sogar; ich kenne nur diese eine Arbeit -, mit dieser Frage beschäftigt. Er soll interessanterweise zu dem Ergebnis gekommen sein, als er die Entwürfe verglichen hat, daß der Entwurf der SPD aus der 12. Legislaturperiode weitestgehend mit dem Referentenentwurf der Bundesregierung übereinstimmte. Wenn dies einer Ihrer Doktoranden in einer Arbeit feststellt, die Sie selber begleitet haben,

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Wir haben Freiheit der Wissenschaft!)

dann ist das der beste Beweis für die Tatsache, daß Sie in Ihrem damaligen Entwurf viele Gedanken der Regierung übernommen haben. Damit sollten wir die Debatte darüber, wer hier was an welcher Stelle übernommen hat, beenden.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ein schlagender Beweis!)

Eine zweite Anmerkung, weil Sie hier den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strafverfahrensänderungsgesetz angemahnt haben: Wir haben ja ganz bewußt die ehemals zusammen vorgesehene Beratung beider Gesetzentwürfe entkoppelt, weil wir damals - ich glaube, einvernehmlich - der Auffassung waren, daß wir jetzt in einem ersten Schritt die Beratungen zum genetischen Fingerabdruck abschließen sollten, um von der jetzigen Rechtsgrundlage wegzukommen und zu mehr Sicherheit zu kommen, was wir ja auch - das haben Sie gerade bestätigt - in den Beratungen zu diesem Gesetzentwurf geschafft haben. In einem zweiten Schritt - das war damals völlig unstreitig - soll dann der andere Gesetzentwurf beraten werden.
Daß Sie jetzt hier angemahnt haben, daß dieser Entwurf noch nicht vorliegt, kann ich deshalb nicht ganz nachvollziehen, weil wir damals darin übereinstimmten, beide Verfahren voneinander abzutrennen. Wenn die Bundesregierung Zeit benötigt, um einen guten Gesetzentwurf vorzulegen, dann sollte das auch im Sinne Ihres Anliegens sein.

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Die Zusage der Bundesregierung war vor Ihrer Zeit!)

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum genetischen Fingerabdruck regelt vor allem die zulässige Verwendung des ordnungsgemäß entnommenen Materials und dessen Vernichtung nach Gebrauch sowie verfahrenssichernde Rahmenbedingungen. Im Rahmen der Anhörung ist beispielsweise - wie ich damals feststellen konnte: für viele erstmals - der genaue Erkenntniswert der Genomanalyse verdeutlicht worden. Viele Bedenken gegen den Entwurf beruhten also zunächst auf purer Unkenntnis dessen, was die Genomanalyse und deren Ergebnisse für ein Ermittlungs- und Strafverfahren eigentlich ausmachen.
Als Ergebnis erhalten wir nämlich schlicht und ergreifend bloß eine Antwort auf folgende Frage - das sollten sich die Grünen im Rahmen ihrer Kritik vergegenwärtigen -: Stimmen zwei anonymisierte Strichcodes überein oder nicht? Das ist die Frage, um die es in diesem Zusammenhang geht. Es geht also im Ergebnis um nichts anderes als um die
Identifizierung oder Nichtidentifizierung eines Spurenlegers. Das Untersuchungsergebnis besteht aus nichts anderem als einem Ja oder einem Nein. Herr Beck, das sollten Sie sich vergegenwärtigen. Das, was Sie an Befürchtungen damit verbinden und was Sie in die Ergebnisse hineingeheimnissen, werden Sie keinem dieser Ergebnisse entnehmen können. Es geht schlicht und ergreifend um die Identität und damit um die Beantwortung der Frage: ja oder nein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

In diesem Zusammenhang hat die Anhörung viel Klarheit gebracht. Es wurde beispielsweise geäußert, daß man sich - Sie, Herr Meyer, haben das bestätigt -, nicht nur auf die Begriffe „kodierend" oder „nichtkodierend" festlegen solle. Ziel der gesetzlichen Regelung müsse vielmehr sein, daß eine Ausforschung von Erbanlagen auszuschließen sei.
Dieses Postulat spiegelt sich in § 81 e Abs. 1 Satz 1 StPO wider. Molekulargenetische Untersuchungen dürfen demnach nur zur Feststellung der Abstammung und zur Identifikation aufgefundenen Spurenmaterials mit demjenigen des Beschuldigten oder Verletzten durchgeführt werden. Diese Definition hat auch Ihre Zustimmung gefunden.
Weiter wurde betont, daß sinnvolle Untersuchungen am Spurenmaterial zur Auffindung des Täters keineswegs generell durch gesetzliche Zielbestimmungen unterbunden werden sollen. Es müsse allenfalls klar sein, daß lediglich der Identitätsvergleich zwischen Spurenleger und Tatverdächtigem das Ziel der Analyse sein dürfe, ohne daß weitergehende Erb- oder Charakterinformationen offengelegt werden. Hierauf reagiert der Regierungsentwurf in § 81 e, der dahin gehende weitere Feststellungen untersagt und hierauf gerichtete Untersuchungen ausdrücklich für unzulässig erklärt.
Die Ergebnisse unserer Anhörung bestätigen meines Erachtens auch sehr anschaulich, daß die im Entwurf getroffene Regelung strafprozessualer Ergänzungen notwendig und richtig ist.
Auch im Rahmen mehrerer Berichterstattergespräche konnte im Anschluß an die Anhörung geklärt werden, daß der Entwurf durchaus auch Vorschriften zugunsten eines Beschuldigten enthält. Soweit etwa Untersuchungsergebnisse nicht vernichtet werden sollen, wird dem Beschuldigten eine weitere Entnahme genetischen Materials zum Zweck einer erneuten Analyse erspart. Hierdurch wird besonders bei Wiederholungstätern dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen.
Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Vernichtungsregelungen beispielsweise hinsichtlich des gewonnenen Materials absolut eindeutig sind. Es ist unverzüglich, nachdem die Analyse durchgeführt worden ist, zu vernichten. Sorgen, daß mit diesen Materialien die Justiz möglicherweise andere „Vorhaben" verwirklichen könnte, waren unangemessen.

Ronald Pofalla
Wir haben eindeutig festgelegt, daß das aufgefundene Material, das analysiert worden ist, danach sofort zu vernichten ist.

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Aber nicht das Material von Dritten! Das ist das Problem!)

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang, Herr Professor Meyer, trotz der kleineren Fingerhakeleien am Schluß der Beratungen bei allen Berichterstattern der anderen Fraktionen für die außerordentlich sachliche und zielorientierte Beratung sowohl während der Anhörung als auch während vieler Berichterstattergespräche bedanken. Ich glaube, dieser Gesetzentwurf bringt Rechtsklarheit und -sicherheit und entspricht dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314600400
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.

Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314600500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen, daß es zu einer gesetzlichen Regelung dieser Problematik kommt, da die DNA-Analyse schon seit Jahren angewandt wird. Gleichwohl stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zu.
Der genetische Fingerabdruck befindet sich im Spannungsfeld zwischen Wahrheitsermittlung, Eingriffen in Persönlichkeitsrechte und dem Recht des Verurteilten auf Wiederaufnahme. Große Vorsicht und größtmöglicher Schutz vor gravierenden Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte sind gefordert. Dem wird der Regierungsentwurf in der Ausschußfassung noch nicht gerecht.
Die DNA-Analyse umgibt sich mit dem Nimbus absoluter Sicherheit, leicht kann die suggestive Kraft des scheinbar naturwissenschaftlich Gesicherten die in der Beweiskette klaffenden Lücken zudecken. So lüftete der „Spiegel" vergangene Woche mit Hilfe einer genomanalytischen Untersuchung vermeintlich das Geheimnis um Kaspar Hauser. War Kaspar Hauser also nicht der Erbprinz von Baden, sondern nur ein einfältiger Tor? Den vorgeblichen Beweis hat die Analyse eines Blutflecks an einem Kleidungsstück, das Hauser getragen haben soll, erbracht.
Der Umstand, daß der Produzent des Blutflecks nicht mit dem Hause Baden verwandt ist, mag ja durch die DNA-Analyse bewiesen sein; nichts sagt die Analyse jedoch darüber aus, daß die Hose tatsächlich von Hauser stammt oder daß der Blutfleck die Folge des Mordes im Jahre 1833 war.

(Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wenn das der Grund für die Ablehnung des Regierungsentwurfes ist, ist das ein bißchen wenig!)

Unlogik und mangelnde Sorgfalt bei der Beweisführung sind sicherlich kein Spezialproblem bei der DNA-Analyse. Das Beispiel zeigt jedoch, wie leicht es fällt, hier einem Trugschluß aufzusitzen, ohne
überhaupt von den naturwissenschaftlichen Problemen unterschiedlicher Merkmalswahrscheinlichkeiten bei verschiedenen Populationen zu reden.
Mit Hilfe der DNA-Analyse wird eine äußerst detaillierte Struktur menschlicher Individualität entschlüsselt. Die Anwendung der DNA-Analyse im Strafverfahren ist deshalb so einzugrenzen, daß das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleibt. Die Feststellung personenbezogener Anlagen muß verhindert werden.
Ich will nicht verhehlen, daß der im Rechtsausschuß gefundene Kompromiß durchaus positive Aspekte enthält. Zu nennen ist etwa die Beschränkung der Zulässigkeit der Analyse auf die Identitätssicherung und Abstammung, der Richtervorbehalt, die Anonymisierung der Proben sowie die vorgesehene Kontrolle durch die Datenschutzbeauftragten.
Nichtsdestotrotz ist es Aufgabe des Gesetzgebers, im Umgang mit einer so sensiblen Materie jeglichem potentiell durchaus möglichen Mißbrauch und einer Überschreitung der Kompetenzen der Exekutive vorzubeugen. Der Exekutive müssen klare Vorgaben gemacht werden.
Ich will fünf Punkte nennen, wo wir Mängel an diesem Entwurf feststellen.
Erstens. Wir vermissen Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Die extreme Fehleranfälligkeit der DNA- Analyse bleibt unberücksichtigt.
Zweitens. Wir fordern die Überprüfung des Beweiswertes durch generelle Zweitgutachten. Es ist gerade ein Problem, daß die Prozeßbeteiligten in der Regel nicht über das Fachwissen verfügen, um die notwendige Methodenkritik durchzuführen oder nachzuvollziehen, die der Gutachter anstellt.
Drittens. Bedenken haben wir auch hinsichtlich der untersuchenden Stellen. Hier hätten wir uns gewünscht, um jeden Anschein der Einflußnahme zu vermeiden, die Untersuchung durch Organisationseinheiten der ermittlungsführenden Behörden gänzlich auszuschließen.
Viertens. Wir fordern darüber hinaus eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die genomanalytische Register für unzulässig erklärt. Anders als bei Fingerabdrücken kommt auch zu Identifizierungszwecken gespeicherten umfassenden Gencodes eine Aussagekraft über tatsächliche oder vermeintliche körperliche, gesundheitliche und charakterliche Disposition zu.
Daß diese Untersuchungsergebnisse digitalisiert und in einer vergleichsfähigen Form in Dateien abgespeichert werden, muß verhindert werden. Derartige Gendatenbanken werden in den USA und Großbritannien gegenwärtig aufgebaut und genutzt. Entsprechende Wünsche werden auch von deutschen Strafverfolgern und in Kreisen der Union bereits geäußert. Ich kann vor einem solchen Weg nur warnen.
Zum Schluß noch der fünfte Punkt. Will man solche Datenbanken verhindern, muß man auch die Untersuchungsergebnisse der nicht mehr Tatverdächtigen in den Akten vernichten. Andernfalls entstehen Da-

Volker Beck (Köln)

tensätze über mehrere hundert Personen zum Teil in einem einzigen Ermittlungsverfahren.
Ich hoffe, daß unsere Kritik zu einer sensiblen Praxis bei den Instituten und in der Rechtspflege führt und daß der Gesetzgeber die notwendigen Nachbesserungen in Zukunft in einem zweiten Gesetzgebungsverfahren noch vornehmen wird.
Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314600600
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege van Essen.

Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1314600700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wenn wir in diesen Tagen erneut eine heftige Diskussion über die Gentechnik und ihre Anwendung erleben, hat sich ein Teilaspekt dieser immer noch neuen Technik einen unverzichtbaren Platz im Strafprozeß erobert, nämlich die Genomanalyse. Es gibt sie seit etwa zehn Jahren - der Kollege Meyer hat schon darauf hingewiesen -, und sie hat zu entscheidenden Fortschritten in der Strafrechtspflege geführt.
Die Genomanalyse ist nämlich eine besonders sichere Methode der Identifizierung einer Täterin oder eines Täters, und sie kann dabei in zweierlei Hinsicht von Bedeutung sein.
Zum einen kann sie mit größter Genauigkeit eine Täterschaft nachweisen, aber auch mit gleicher Sicherheit ausschließen, daß Unbeteiligte einem unberechtigten Vorwurf ausgesetzt werden.
Ich erinnere an mehrere Fälle schwerster Sexualmorde an Mädchen, bei denen durch eine große Zahl von freiwillig gewährten Genomanalysen der als Täter in Frage kommenden Männer der wirkliche Täter jeweils in kurzer Zeit festgestellt werden konnte. Sie hat damit gleichzeitig viele Unschuldige von einem schweren Vorwurf entlastet.
Dieses Beispiel einer großen Zahl gleichzeitiger Maßnahmen gegen mögliche Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren macht aber auch offene Fragen deutlich. Was geschieht zum Beispiel mit dem Spurenmaterial der vielen unschuldigen Personen? Ich bin deshalb sehr froh, daß wir die über Jahre andauernde Debatte darüber, ob die Genomanalyse zur Identitätsfeststellung im Strafprozeß einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedarf oder ob die bestehenden Vorschriften zur Vornahme körperlicher Untersuchungen ausreichen, nunmehr einem Ende zuführen.
Wir haben uns für die gesonderte Kodifizierung in der Strafprozeßordnung entschieden und eine Regelung vorgenommen, die die volle Zustimmung der Freien Demokraten findet. Ich freue mich, daß sich auch die größte Oppositionspartei in einer so sensiblen Frage wie dieser in dem Gesetz wiederfindet und ihm zustimmt, auch wenn das Gesetz in einem wesentlichen Punkt von dem der SPD abweicht. Die dort vorgesehene Einsatzschwelle des dringenden
Tatverdachts haben wir nicht in das Gesetz übernommen und damit auch einer Forderung des Richterbundes entsprochen. Ich stimme dieser zu, denn auch aus Praktikabilitätsgründen dürfen keine besonderen Hürden für den Einsatz molekulargenetischer Untersuchungen geschaffen werden.
Bei einer Spurenanalyse muß es frühzeitig möglich sein, festzustellen, ob das aufgefundene Spurenmaterial vom Täter, vom Opfer oder von Dritten stammt. Material, von dem dagegen ausgeschlossen ist, daß es zur Ermittlung des Täters und zum Nachweis seiner Tat dienen kann, darf hingegen nicht weiter verwandt werden. Insbesondere darf es keine präventive Speicherung von Untersuchungsdaten und -ergebnissen für andere als dem konkreten Strafverfahren dienende Zwecke geben.
Gerade unter dem Gesichtspunkt eines besseren Datenschutzes, der uns Liberalen natürlich besonders am Herzen liegt, ist die vorgeschlagene Regelung des Regierungsentwurfs mit den Änderungen, die wir vorgenommen haben, notwendig und hilfreich.
Besondere Bedeutung haben in diesem Zusammenhang die Vernichtungsregelungen. Bei den Untersuchungsmaterialien ist zwischen dem Interesse der Strafverfolgungsbehörden an einer weiteren Nutzung des Materials und dem Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung abzuwägen. Deshalb schlagen wir vor, den Beschuldigten oder Dritten entnommenes Material, das für das zugrunde liegende Strafverfahren nicht mehr benötigt wird, unverzüglich zu vernichten. Aufgefundenes, sichergestelltes oder beschlagnahmtes Spurenmaterial darf hingegen keiner Vernichtungsregelung unterliegen. Es wäre fatal, solche unwiederbringlichen Beweismaterialien nach Abschluß des Verfahrens zu vernichten, auch deshalb, weil dann dem Verurteilten keine Möglichkeit zur Wiederaufnahme seines Verfahrens gegeben wäre.
Für die Ergebnisse der Untersuchung an vorhandenem Beweismaterial sind selbstverständlich keine Vernichtungsregelungen vorgesehen. Sie werden nach rechtsstaatlichen Grundsätzen Teil der Verfahrensakten. Und: Wir haben selbstverständlich Wert darauf gelegt, daß das Untersuchungsziel auf die Abstammungs- und Identitätsfeststellung beschränkt wird, damit weitere genetische Untersuchungen des Materials ausgeschlossen sind. Das ist für uns die unabdingbare Voraussetzung für die Genomanalyse im Strafverfahren.

(Beifall bei der F.D.P.)

Wir sehen - im Gegensatz zu den Grünen - in neuen Techniken vorrangig die Chancen, und diese Chancen haben wir hier in rechtsstaatlicher Weise genutzt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314600800
Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Uwe-Jens Heuer.


Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS):
Rede ID: ID1314600900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Beratungen zu den vorliegenden Gesetzentwürfen zum Zweck, zum Umfang und zum Verfahren der Genomanalyse im Strafverfahren waren sehr intensiv und erfreulicherweise überwiegend auf die Suche nach tragfähigen Lösungen orientiert. Nicht zuletzt trug auch die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuß Ende Juni durch das Aufeinanderprallen recht kontroverser Positionen zur Schaffung des Problembewußtseins bei.
Bewirkt wurde zweierlei: Zu Recht standen im Mittelpunkt der Debatte die mit der Genomanalyse verbundenen Gefahren. Es konnte durch die Übernahme von Vorschlägen des SPD-Entwurfs zugleich eine Reihe von Verbesserungen des Regierungsentwurfs erzielt werden.
Es geht - so wurde deutlich - eben nicht primär, wie es im Regierungsentwurf heißt, um die Reaktion auf nicht so recht nachvollziehbare „Ängste und Befürchtungen" in weiten Teilen der Bevölkerung. „Ängste und Befürchtungen" allein begründen ja auch noch keinen Handlungsbedarf, etwas rechtlich zu regeln. Es handelt sich vielmehr um objektiv gegebene, reale Gefahren. Ohne im geringsten die mit dieser neuen Technik einhergehende Revolution des medizinischen Sachbeweises in ihrer positiven Bedeutung für Täterfeststellung und Täterausschluß zu übersehen, geht es für den Gesetzgeber im Kern um eine Grundrechtsfrage. Beide Entwürfe hatten ja bereits diesen Ansatz.
Mit der Genomanalyse ist eine völlig neuartige Gefährdungssituation für die individuelle Freiheit gegeben. Wie Hans-Peter Bull in der öffentlichen Anhörung meines Erachtens sehr zutreffend anmerkte, gehört Ungewißheit der Umwelt über die Anlagen des einzelnen zur freien und offenen Gesellschaft. Die Polemik zum Beispiel seitens eines Sachverständigen bei der Anhörung gegen ein Übermaß an Verboten mag aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden verständlich sein. Aus der Sicht des Grundrechtschutzes ist das ein falscher Ausgangspunkt.
Der Gesetzgeber hat die Pflicht, gegen die informationelle Selbstbestimmung gerichtete Fehlentwicklungen zu verhindern. Mit Informationsverzichten in der Strafverfolgung müssen wir uns unter Umständen dann abfinden, wenn ansonsten Grundrechte auf der Strecke bleiben. Nicht ohne Grund ist ja die Bundesrepublik erfreulicherweise nicht den Weg der USA und Großbritanniens gegangen, möglichst umfassende DNA-Dateien anzulegen, was den Schutz vor Mißbrauch zu einer unlösbaren Aufgabe machen würde.
Ich halte die Übernahme einiger Regelungen des SPD-Entwurfs für ein positives Ergebnis. Dennoch bleiben nach meiner Ansicht Mängel. Das betrifft sowohl - das ist hier gesagt worden - die Probleme der Vernichtungsvorschriften und der Einsatzschwelle als auch Maßnahmen der qualitativen Sicherung. Deswegen sind wir trotz beachtenswerter Fortschritte nicht in der Lage, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir werden uns der Stimme enthalten.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314601000
Für die Bundesregierung erhält jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Funke das Wort.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1314601100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von meinen Vorrednern ist schon sehr viel Kluges zu den Grundlagen und Erfolgen der DNA-Analyse gesagt worden, so daß ich darauf nicht einzugehen brauche. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß der Tatrichter trotz DNA-Analyse alle Beweisumstände würdigen muß. Denn sie ist natürlich kein hundertprozentiges Beweismittel. Die DNA- Analyse enthält lediglich eine statistische Aussage, so daß den mit einer solchen Analyse ermittelten Ergebnissen kein unumstößlicher Beweiswert beizumessen ist.
Derzeit wird der Einsatz der DNA-Analyse auf die §§ 81 a und 81 c der Strafprozeßordnung gestützt. Die in weiten Teilen der Bevölkerung anzutreffenden, mit der Gentechnik ganz allgemein verbundenen Ängste und Befürchtungen vor übermäßigen, den Kern der Persönlichkeit berührenden Eingriffen legen jedoch eine besondere gesetzliche Regelung der DNA-Analyse für die strafprozessuale Nutzung nahe. Ziel einer gesonderten gesetzlichen Regelung ist die klare Festschreibung der Voraussetzungen und Beschränkungen der DNA-Analyse. Auch der Deutsche Bundestag und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz haben deshalb eine gesetzliche Regelung der DNA-Analyse im Strafverfahren für geboten erachtet.
Der vorliegende Entwurf der Bundesregierung regelt die DNA-Analyse als Untersuchungsmethode einschließlich verfahrenssichernder Rahmenbedingungen. Darüber hinaus enthält er die im Hinblick auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Stichwort: sogenanntes Volkszählungsurteil - notwendigen Regelungen von Fragen der Zweckbindung und Vernichtung des Untersuchungsmaterials.
Diese Regelungen halte ich aus verfassungs- und datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten für erforderlich. Denn mit der immer schneller fortschreitenden Entwicklung gentechnischer Forschung wächst auch das Maß an Erkenntnisgewinnung. Ist deshalb die Ausforschung der Persönlichkeit erst einmal gentechnisch machbar - was derzeit utopisch erscheint -, dann erhöht sich die Gefahr eines mißbräuchlichen Zugriffs auf vorhandene Blutproben und Körperzellen sowie einer Speicherung und Weitergabe der hieraus gewonnenen schutzbedürftigen Daten - mit der Zielsetzung etwa, potentielle Straftäter zu erkennen. Dem tritt der vorliegende Entwurf mit seinen Verwendungs- und Verpflichtungsregelungen entgegen, und zwar für alle entnommenen Blutproben und Körperzellen. Die Mißbrauchsgefahr ist übrigens kein Spezifikum der DNA-Analyse, sondern diese Gefahr ist bereits heute bei jeder Blut- und Körperzellenprobe gegeben.

Parl. Staatssekretär Rainer Funke
Ich freue mich, daß es einen breiten Konsens zu diesem Entwurf der Bundesregierung gibt und daß auch die SPD diesen Entwurf mitträgt.

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Geht uns denn der Erfahrungsbericht in einem Jahr zu?)

- Ich komme gleich darauf. - Es ist immer wieder festzustellen: Der Erfolg hat viele Väter; der Mißerfolg, wenn es dazu gekommen wäre, wäre ein Waisenkind.

(Jörg van Essen [F.D.P.]: Zu der Abstammungsfeststellung brauchen wir nicht die DNA-Analyse!)

Wir sollten uns heute darüber freuen, daß dieses Gesetz viele Väter hat.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Und Mütter!)

- In diesem Falle sind es Väter. In der Debatte haben ja auch nur Väter gesprochen.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Die Mütter sind ja wohl auch zuständig!)

- Ja, das sind sie auch.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu Ihren Vorwürfen hinsichtlich des - wie es so schön heißt - RestStVÄG machen. Vielleicht ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, Herr Kollege Meyer, daß das Kabinett den Entwurf am 4. Dezember, also vor zwei Tagen, gebilligt hat. Er geht nun seinen Weg im Gesetzgebungsgang.

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Ich war leider nicht dabei!)

- Es wird sich herausstellen, daß Sie noch für längere Zeit nicht dabeisein werden, Herr Kollege Meyer.

(Dr. Jürgen Meyer [Ulm] [SPD]: Sie bedauern das ausdrücklich!)

- Nein, das bedaure ich nicht.
Der Entwurf ist nun auf dem besten Wege. Ich hoffe, daß mit der DNA-Analyse auf gesicherter gesetzlicher Grundlage gut gearbeitet werden kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314601200
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes, Drucksachen 13/667 und 13/6420 Buchstabe a. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Entwurf eines Strafverfahrensänderungsgesetzes der Fraktion der SPD, Drucksache 13/6420 Buchstabe b. Der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 13/3116 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD und einer Stimme aus der PDS bei Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen und anderer Stimmen aus der PDS angenommen worden.
Ich weise die Kollegen darauf hin, daß es nach der Behandlung des Tagesordnungspunktes 13 und der Zusatzpunkte 8 und 9 wahrscheinlich zu einer Sitzungsunterbrechung wegen einer Sondersitzung der SPD-Fraktion kommt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 sowie die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
13. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ingomar Hauchler, Ernst Schwanhold, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die Welthandelsorganisation (WTO) und ihre Rolle zur Weiterentwicklung des internationalen Handels und Wettbewerbs sowie zur Vereinbarung sozialer und ökologischer Mindeststandards
- Drucksache 13/6115 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)

Auswärter Ausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Schmitt (Langenfeld), Kristin Heyne, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verankerung sozialer und ökologischer Mindeststandards im internationalen Handel und Reformperspektiven der Welthandelsorganisation (WTO)

- Drucksache 13/6385 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
ZP9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G. Fritz, Gunnar Uldall und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Otto Graf Lambsdorff, Paul K. Friedhoff und der Fraktion der F.D.P.
Stärkung der Welthandelsorganisation (WTO) durch das WTO-Ministertreffen in Singapur vom 9. bis 13. Dezember 1996
- Drucksache 13/6387 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat der Herr Kollege Ingomar Hauchler das Wort.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1314601300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Montag beginnt in Singapur die erste Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation, der WTO. Die Bundesregierung ist aufgefordert, einen konstruktiven Beitrag zu dieser Konferenz zu leisten. Wir sind eine der größten Wirtschaftsnationen und die zweitgrößte Handelsnation der Welt. Wir sind in hohem Maße mit der Weltwirtschaft verflochten. Dies sichert uns einen großen Einfluß in den internationalen Konferenzen, bedingt aber auch eine hohe Verantwortung der Deutschen für das internationale Wirtschafts- und Handelssystem. Gleichzeitig stehen wichtige deutsche Interessen auf dem Spiel.
Die SPD hat diese Debatte verlangt und einen ersten Antrag vorgelegt, weil wir dieser Konferenz und ihrem Ausgang eine hohe Bedeutung zumessen. Hier geht es um Weichenstellungen für die Zukunft, die sehr eng mit dem verbunden sind, worüber wir ständig debattieren: Standortfragen, Globalisierung und die Folgen für unser Land, aber auch für das internationale Wirtschaftssystem. Diese Fragen sind zu wichtig, als daß man sie der Bundesregierung allein überlassen sollte. Das Parlament sollte darüber diskutieren und eine eigene Position beziehen.

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Eine Runde dürfen wir ja auch!)

Handel und internationale Investitionen sind Motoren der Globalisierung. Auf der Basis fortgeschrittener Technologie, vor allem im Kommunikations- und Transportsektor, und auf der Basis der Liberalisierung der Finanzmärkte haben sich der internationale Handel und vor allem die internationalen Direktinvestitionen in den vergangenen Jahren wesentlich stärker erhöht als die globale Produktion. Hintergrund für die Liberalisierungsoffensive der vergangenen Jahre ist die Vorstellung, daß mit immer mehr internationaler Arbeitsteilung Gewinne für alle verbunden sind, und zwar für alle Länder, aber auch für alle Menschen in den einzelnen Ländern.

(Beifall bei der SPD)

Das ist Sinn von Liberalisierung und internationaler Arbeitsteilung: Man verspricht sich komparative Kostenvorteile durch immer mehr Handel und Austausch: über mehr Wettbewerb, höhere Innovationsleistungen und höhere Produktivität und dadurch Wohlfahrt für alle und Wachstumsimpulse. So gesehen ist Freihandel jeder protektionistischen Abschottung vorzuziehen.

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Sehr gut!)

In der Wirklichkeit, Graf Lambsdorff, ergeben sich aber doch ein paar Probleme gegenüber diesen theoretischen und grundlegend richtigen Annahmen. Es müssen ganz bestimmte Bedingungen gegeben sein, damit wir die Früchte der internationalen Arbeitsteilung genießen können: Alle müssen Zugang zu den Märkten haben. Der Wettbewerb darf nicht nur frei sein, er muß auch einen geregelten Rahmen haben. Wir wissen aus den nationalen Volkswirtschaften, daß Wettbewerb sich selbst aufhebt, wenn er nicht geregelt ist. Auch Länder, die wirtschaftlich, technologisch oder hinsichtlich der Kapitalausstattung noch nicht so stark sind, müssen die Chance haben, wettbewerbsfähig zu werden. Das gilt vor allem für die armen Entwicklungsländer. Die Anpassungen, die notwendig sind, müssen sozial beherrschbar sein. Und es muß möglich sein, auch die ökologischen Probleme, die mit der Entwicklung verbunden sind, zu lösen.
Diese Bedingungen sind derzeit noch nicht oder nur ungenügend gegeben. Das wissen wir alle. Vor allem der globale Wettbewerb ist nicht gesichert. Wir haben einen immer höheren Anteil des Konzernhandels - Inter- und Intra- - im Vergleich zum Handel kleiner und mittlerer Unternehmen. Die Konzentration schreitet mit strategischen Allianzen voran. Subvention und Korruptionspraktiken weiten sich aus. Autonome spekulative Finanzbewegungen verzerren Wechselkurse und damit auch reale Leistungs- und Kostenunterschiede. Viele Entwicklungsländer haben bleibende strukturelle Nachteile und können nur langsam zu gleichgewichtigen Partnern im Handelssystem werden. Die Anpassungszwänge, denen wir ausgesetzt sind, führen zu hohen staatlichen Leistungen und sind mit für immer höhere staatliche Defizite - um die Kosten der sozialen Anpassung zu finanzieren - verantwortlich. Wir registrieren durch die Globalisierung einen Druck auf Masseneinkommen, was die Konjunktur nicht gerade fördert. Wir registrieren auch einen Druck auf die ökologische Vorsorge: Der Umweltschutz wird zum Teil zurückgefahren. So gesehen ist eine immer weitergehende Liberalisierung nicht für alle ein Gewinn,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

vor allem nicht für viele Arbeitnehmer, für immer breitere Schichten auch unseres Volkes; auch nicht für viele Entwicklungsländer, die nicht mithalten können.

Dr. Ingomar Hauchler
Die Folge dieser Situation - einerseits Anspruch, andererseits Wirklichkeit - ist, daß wir im Vorfeld der Konferenz von Singapur in eine chaotische Verhandlungssituation geraten sind. Es gibt keine wirkliche Einigung über die Agenda: über die Themen und Prioritäten, die Schwerpunkte und die Abläufe. Wir registrieren auch eine wachsende Konfrontation zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern. Zwischen ihnen bauen sich immer mehr Hürden und Barrieren auf - vor allem bezüglich der sozialen Standards, der ökologischen Standards, des geistigen Eigentums und des Investitionsschutzes. Aber es gibt zunehmend auch zwischen den Industrieländern selbst Spannungen. Von einigen Industrieländern - und hier vor allem von den USA - wird der Handel oft als Instrument für die Durchsetzung politischer Ziele mißbraucht. Wir haben zwischen den großen Industrieländern auch nach wie vor offene und verdeckte Importbeschränkungen.
Eine zweite Folge der Situation, daß viele Bedingungen dafür, daß alle gleichberechtigt und fair am Welthandel teilhaben können, nicht gegeben sind, ist, daß es zu einem realen Abwertungswettlauf gekommen ist. Im Rahmen der Standortdebatte diskutieren wir darüber, daß wir immer mehr in einen Steuerwettlauf zwischen den Staaten hineingeraten, daß wir Probleme haben, Standards im Bereich der Masseneinkommen und der sozialen Sicherung zu halten. Wir registrieren auch eine Art Ausverkauf der Ökologiepolitik: Umweltschutz hat nicht mehr den zentralen Stellenwert, den er noch vor einigen Jahren gehabt hat. Dies sind alles Folgen eines Anpassungsdrucks, der politisch nicht bewältigt ist.
Meine Damen und Herren, die Position der SPD, die wir Ihnen hier in einem Antrag vorgelegt haben, geht von folgendem Grundsatz aus: Wir müssen die internationale Arbeitsteilung verstärken, aber mit konkreten, parallelen Schritten zu einer politischen Flankierung der Liberalisierung kommen. Die Bundesregierung darf in Singapur einer weiteren Liberalisierung bei Handel und Investitionen nur zustimmen, wenn im Rahmen der WTO gleichzeitig mit dem Aufbau eines verbindlichen politischen Ordnungsrahmens begonnen wird. Ich persönlich rate dazu: Wir brauchen eine Atempause, um politisch das verantwortlich zu flankieren, was sich in der Ökonomie immer mehr im ungeordneten Selbstlauf vollzieht.

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: So nicht!)

Aus diesem Grundsatz folgen fünf Konkretisierungen: Erstens. Wir brauchen ein international sanktionsfähiges Wettbewerbsrecht für freien und fairen Handel. Wir brauchen also Schutz vor ruinösem staatlichen Wettbewerb. Wir brauchen ein Verbot internationaler Kartelle und Kooperationen, die sich immer mehr ausbreiten. Wir brauchen eine Konzentrationskontrolle.
Die Bundesregierung tut sich nicht hervor - obwohl sie das vorgibt -, um auf diesem Gebiet wirklich Fortschritte zu erzielen. Dies bestätigt Wirtschaftsminister Rexrodt, wenn er sagt: Wir wollen in Singapur auch dann weiteren Liberalisierungen zustimmen,
wenn es nicht rechtzeitig zu flankierenden Wettbewerbsregeln kommt. Das ist kontraproduktiv!

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Nein!)

Zweitens. Durchsetzung sozialer Mindeststandards: Wir wollen keinen versteckten Protektionismus. Das muß ausgeschlossen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber wir wollen, daß der Handel dazu genutzt wird, um völkerrechtlich vereinbarte Mindeststandards wirklich durchzusetzen. Sie alle - auch auf der rechten Seite des Hauses - haben den Vereinbarungen der ILO zugestimmt. Nun sorgen Sie auch dafür, daß sie durchgesetzt werden; sonst sind Ihre Unterschriften nichts wert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Unterschriften sind die Tinte auf dem Papier nicht wert, wenn Sie hier nicht Farbe bekennen und sagen: Wir nutzen das einzige Instrument, das es international überhaupt gibt, um völkerrechtlich vereinbarte soziale Standards durchzusetzen.
Auch hier tut sich die Bundesregierung nicht hervor. Sie bremst in diesen Fragen auf europäischer Ebene. Sie favorisiert zum Beispiel keine Arbeitsgruppe, um über diese Fragen zu diskutieren. Damit stellt sie sich auch gegen die USA und die meisten Länder in der EU

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Sogar gegen den Kompromiß!)

Es ist doppelzüngig, Unterschriften für soziale Mindeststandards zu leisten und dann nichts zu tun, um sie durchzusetzen.
Drittens. Wir wollen, daß auch in Singapur über ökologische Mindeststandards diskutiert wird, daß ein Rahmen geschaffen wird, um den Handel zu nutzen, damit internationale Regelungen, die völkerrechtlich vereinbart sind, durchgesetzt werden. Wenn das Montrealer Protokoll - Ozon -, das Baseler Abkommen - CO2 - oder das Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt nicht umgesetzt werden, dann betrifft dies auch uns vital. Ohne Umweltschutz nützen uns auf Dauer der ganze Handel und die ganzen Investitionen nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Viertens. Wir können nicht erwarten, daß wir Industrieländer alle unsere Wünsche erfüllt bekommen, wenn wir keine Konzessionen gegenüber den schwächeren Ländern, den Entwicklungsländern, machen. Gegen die Industrieländer baut sich zunehmend Widerstand auf. Wir werden in den künftigen Handelskonferenzen keinen Erfolg haben, wenn wir nicht im stärkeren Maße Konzessionen machen hinsichtlich der Präferenzen im Handel und hinsichtlich einer berechtigten Berücksichtigung von temporärem Investitionsschutz - vor allem zum Schutz der jungen Industrien in den Entwicklungsländern.
Es ist doch Zynismus, wenn die Bundesregierung die weitere Integration der Entwicklungsländer in

Dr. Ingomar Hauchler
den Weltmarkt fordert, gleichzeitig aber flankierende positive Maßnahmen, damit Entwicklungsländer aufholen können, praktisch verweigert. Der beste Beweis ist das Zurückschneiden des Bundeshaushalts im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.
Fünftens. Wir brauchen den Einsatz der Bundesregierung für die Stärkung der WTO. Streitschlichtungsverfahren müssen konkretisiert und verbessert werden. Die WTO muß in die Lage versetzt werden, auch Sanktionen verhängen zu können, wenn ihre Regeln nicht eingehalten werden.
Ich komme zum Schluß: Wir fordern die Bundesregierung auf, sich in Singapur dafür einzusetzen, daß im Bereich von Handel und Investitionen nicht die gleiche Situation eintritt, wie wir sie bereits auf den Finanzmärkten registrieren, daß nämlich die Ökonomie einem Selbstlauf überlassen wird und die Fähigkeit der Politik ausgehebelt wird, im globalen und nationalen Interesse die Wirtschaft an demokratisch gesetzte kulturelle, soziale und ökologische Ziele zu binden. Ökonomie darf nicht zum Selbstzweck werden. Sie muß auch in Zukunft immer Mittel zum Zweck bleiben.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314601400
Ich erteile jetzt dem Herrn Kollegen Friedhelm Ost das Wort.

Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1314601500
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hauchler, von Ihrer Rede bin ich ein bißchen enttäuscht. Der Antrag der SPD-Fraktion ist nämlich besser als das, was wir von Ihnen gehört haben.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Zumindest finden Sie unseren Antrag gut! Das ist schon einmal ein erster Schritt!)

- Frau Skarpelis-Sperk, Sie können nachher Ihre Ausführungen machen. Daran können wir uns dann erfreuen. Vielleicht hören Sie aber erst einmal zu.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, kaum ein anderes vergleichbares Industrieland ist so stark in die Weltwirtschaft eingebunden wie die Bundesrepublik Deutschland. Der Blick auf unsere Zahlungsbilanz zeigt dies deutlich: Unser Exportvolumen betrug im vergangenen Jahr 750 Milliarden DM; in diesem Jahr ist die Tendenz Gott sei Dank weiterhin steigend. Dies ist ein Stabilisator, Impulsgeber für Wachstum und Beschäftigung. Aber auch unser Importvolumen ist mit 660 Milliarden DM im vergangenen Jahr relativ hoch.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das Wachstum ist aber schwach!)

Wir wissen allerdings, daß nicht nur der Außenhandel wichtig ist, sondern daß auch Dienstleistungen, auf die manche Experten immer weniger schauen, bedeutsam sind. Und unsere Dienstleistungsbilanz ist in tiefroten Zahlen.
Das gilt im übrigen auch für die Direktinvestitionen. In den letzten drei Jahren haben deutsche Firmen im Ausland gut 100 Milliarden DM investiert.
Das ist sehr positiv für die Sicherung von Märkten und die Eroberung neuer Marktanteile in Asien, Lateinamerika oder wo auch immer.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: In Amerika!)

- Auch in Amerika; aber ebenso natürlich in der europäischen Nachbarschaft, auch in Mittel- und Osteuropa. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch registrieren, daß sich in den letzten drei Jahren ausländische Unternehmen gerade bei uns, vor allem auch in den neuen Bundesländern, mit 17 Milliarden DM nur relativ gering engagiert haben. Diese Entwicklung muß uns nachdenklich stimmen.
Wir sind eingebunden in die Globalisierung und Internationalisierung der Weltwirtschaft, ja in den internationalen Wettbewerb. Ich sage Ihnen auch: Wer sich hier ausklinken will, der wird sehr rasch auf die Verliererbahn geraten, der wird sehr rasch bei der internationalen, ja bei der Weltmeisterschaft in der Ökonomie nicht mehr mitspielen. Deshalb müssen wir uns - dazu ermuntern wir die Bundesregierung - sehr aktiv in die Handelspolitik, aber vor allem auch in die Währungspolitik einschalten. Ich denke, das, was wir mit dem Euro, mit der Europäischen Währungsunion anstreben, ist ganz wichtig für die Weiterentwicklung unserer Außenwirtschaft und damit auch für die Weiterentwicklung unserer Binnenwirtschaft, für Wachstum und Beschäftigung.
Mit künstlichen Mauern des Protektionismus, von denen offenbar Ihr Parteivorsitzender Lafontaine träumt - wenn ich das alles lese, was er gesagt hat, muß ich es so ausdrücken -, werden wir diese Herausforderungen der Zukunft nicht meistern.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist eine grobe Verleumdung!)

- Nein, ich habe die Rede nachgelesen. Jetzt ist ja Weihnachtszeit, heute ist Nikolaustag, vielleicht schenken Sie ihm ein paar Bücher. Schenken Sie ihm doch einmal Adam Smith, den Urvater der klassischen Ökonomie!

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Zu Weihnachten!)

- Zu Weihnachten. - Von ihm gibt es ein dickes Buch über den Reichtum der Nationen. Da hat Herr Lafontaine eine gute Lektüre. Im Saarland wird er bei einem schönen Glas Wein und bei Besinnlichkeit sehr rasch begreifen, daß der Reichtum der Nationen im Freihandel liegt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das war aber eher Ricardo!)

- Lieber Herr, ich komme noch auf David Ricardo. Ich sehe, Sie reden auch darüber, haben es aber nicht gelesen. Ich habe extra noch einmal nachgeguckt. Jetzt erst einmal Adam Smith. Auf Ricardo komme ich gleich. Der hat schon Karl Marx beeinflußt. Offenbar sind Sie noch unbeeinflußt von David Ricardo.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Ach, du liebe Zeit!)


Friedhelm Ost
Das wäre vielleicht ganz gut. Ich komme noch auf die komparativen Kosten von David Ricardo zu sprechen.

(Zuruf des Abg. Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.])

- Sie meinen, das sei nutzlos?

(Dr. Otto Graf Lambsdorff [F.D.P.]: Ihr Optimismus bezüglich der Lernfähigkeit von Lafontaine ist übertrieben!)

- Das mag ja sein, aber wenn er das im Original liest, bekommt er zumindest einen Englisch-Sprachkurs gratis.
Sie wissen, auf internationalen Konferenzen, ob Währungskonferenzen oder Welthandelskonferenzen, haben wir seit Jahren auch von den Entwicklungsländern gehört, daß es nicht immer nur um neue Kredite und finanzielle Hilfen geht, sondern um „Trade is better than aid". Handel ist besser als jede andere Hilfe. Deshalb müssen wir darauf setzen, und wir können den Bundeswirtschaftsminister nur dazu ermuntern, daß wir weiterhin die Märkte öffnen, daß wir einen liberalen Welthandel haben.
Natürlich, lieber Herr Kollege Hauchler, da sind wir uns alle einig. Da wird immer so getan, als stelle sich die Frage: Wer sind eigentlich die Besseren im Lande? Wir haben doch gestern über Menschenrechte diskutiert. Auch wir sind gegen Ausbeutung und Kinderarbeit. Ich denke, wir sollten auch sagen, daß es zahlreiche deutsche Unternehmen und auch Branchen gibt, die schon Selbstverpflichtungen eingegangen sind, was ja ein Fortschritt ist.
Zugleich ist aber davor zu warnen, Standards und Normen zu verlangen, wie wir sie inzwischen bei uns haben. Wissen Sie, diese wilhelminische Weisheit jetzt auf die Weltwirtschaft überzustülpen - am deutschen Wesen soll die Welt genesen - wäre falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Außerdem - wir hören es auch aus vielen anderen Industriestaaten - wird hier versucht, mit einem gerüttelt Maß an Heuchelei Außenwirtschaftspolitik zu betreiben. Dagegen sollten wir Front machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314601600
Herr Kollege Ost, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Skarpelis-Sperk?

Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1314601700
Immer, gern.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1314601800
Herr Kollege Ost, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß keine Organisation in Deutschland, keine Partei - schon gar nicht die deutsche Sozialdemokratie und einer ihrer Vertreter - verlangt hat, daß unsere Sozialstandards den anderen Ländern aufgedrückt oder gar in der internationalen Handelsorganisation zum Thema gemacht werden, sondern daß es nur darum geht, die in der IAO verkörperten Mindestbedingungen, die
sogenannten Core Labour Standards, dort einzubauen?

(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Halten Sie doch keine Rede, stellen Sie eine Frage!)

Ich frage Sie weiter - genauso wie Herr Rexrodt; er kann ja darauf antworten -: Sind Sie bereit, diese falsche Behauptung nicht permanent zu wiederholen?

Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1314601900
Liebe Frau Kollegin Skarpelis-Sperk, ich sehe ja, wie gespalten die SPD ist.

(Lachen bei der SPD)

Wenn Sie sich einmal an das SPD-Kulturforum in Berlin erinnern, fällt Ihnen auch ein, daß Ihnen dort unser Kollege Thierse gesagt hat: Kommen Sie aus dieser defensiven Mentalität heraus! Für eine ähnliche These wie die von Ihnen vertretene hat auch Oskar Lafontaine Beifall erhalten. Ich halte es für Heuchelei, wenn man moralische Anschauungen mit dem Vehikel der Außenwirtschaftspolitik verbrämen will.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Aber, Herr Ost!)

Wir sind dafür - der Bundeswirtschaftsminister hat dies doch auch am Mittwoch Ihnen und Ihren Kollegen im Ausschuß klargemacht -, die Standards der ILO einzuhalten. Ich selber bedauere es sehr, daß der Generalsekretär der ILO von der Konferenz in Singapur ausgeladen worden ist.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Was soll der denn da?)

Wir wollen, daß dies durchgesetzt wird.
Wir sind auch nach wie vor dafür, daß auf der Konferenz in Singapur das Ziel verfolgt wird, WTO-Arbeitsgruppen für die Bereiche Handel und Umwelt und Handel und Investitionen einzusetzen. Sie haben zu Recht auf manche Fehlentwicklung hingewiesen, von Korruption über Beihilfen und Subventionspolitik - die versteckte oder auch nicht ganz so versteckte - bis zu dem Verhalten einiger multinationaler Konzerne. Ich denke, es ist richtig, Arbeitsgruppen etwa für Handel und Wettbewerb einzusetzen.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314602000
Herr Kollege, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage, nämlich des Kollegen Weisskirchen?

Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1314602100
Aber bitte. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte.

(Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Vielleicht ist das eine Zwischenfrage und nicht wieder eine Zwischenrede!)


Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1314602200
Herr Kollege Ost, wenn Sie das mit einer derartigen Verve vortragen, können Sie mir dann erklären, wie es geschehen konnte, daß zusammen mit der britischen Regie-

Gert Weisskirchen (Wiesloch)

rung die Bundesregierung es abgelehnt hat, daß eine entsprechende Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, um Mindeststandards, die „Core Labour Standards", einzuführen oder mindestens darüber zu debattieren?

(Jörg Tauss [SPD]: So sind sie halt!)


Friedhelm Ost (CDU):
Rede ID: ID1314602300
Lieber Herr Kollege Weisskirchen, sicherlich wird der Bundeswirtschaftsminister Ihnen das alles nachher noch ausführlich erklären. Wir sind ja im Prinzip nicht dagegen, daß da alle möglichen Arbeitsgruppen gebildet werden. Nur sollten die Probleme da gelöst werden, wo die Zuständigkeit dafür gegeben ist. Die liegt aber vorrangig bei der ILO.
Auch in bezug auf den Umweltschutz sage ich Ihnen: Ich halte wenig davon, neue Arbeitsgruppen einzurichten, die im Prinzip die Probleme nicht lösen. Ich halte gerade im Bereich des Umweltschutzes den Vorschlag des Deutschen Industrie- und Handelstages für sehr positiv, eine Politik des globalen Umweltschutzes eben nicht mit Sanktionen, sondern mit Anreizen zu betreiben. Wir haben doch gute Erfahrungen damit gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wir haben zum Beispiel von den Entwicklungsländern verlangt, daß sie als Gegenleistung für einen Schuldenerlaß den Regenwald schonen sollen; das führen sie durch. Das ist, glaube ich, positiv. Wenn wir solche Maßnahmen auf breiterer Front durchsetzen, erzielen wir doch positive globale Umwelteffekte.
Natürlich gilt es, in Singapur die politischen Verpflichtungen festzuklopfen, Verhandlungen zum Thema Dienstleistungsbereich - bei den Finanzdienstleistungen und bei den Basistelekommunikationsdiensten -, zum Thema freie Berufe - wenn das auch erst nur die Wirtschaftsprüfer sind - und zum Thema Seetransport voranzubringen. Von Singapur müssen meines Erachtens weitere positive Signale ausgehen, etwa für den weiteren Abbau der nach wie vor zu hohen internationalen Agrarsubventionen, für die Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs, besonders für den internationalen Schutz des geistigen Eigentums und für ein multilaterales Abkommen über den Zollabbau für Waren der Informationstechnologie.
Ich glaube, gerade wir Deutschen - wer das Interview mit Renato Ruggiero in der „Wirtschaftswoche" gelesen hat, weiß, wie wichtig unsere Rolle auf der Welthandelskonferenz in Singapur ist - müssen darauf dringen, daß die Liberalisierung im Welthandel weitergeht. Denn sie ist auch die beste Triebkraft für weiteres Wachstum und Beschäftigung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Natürlich - deswegen ist es gut, daß wir das hier diskutieren - weiß auch jeder, daß diese Konferenz in Singapur kein Spaziergang sein wird; sie ist vielmehr angesichts so vieler unterschiedlicher Interessen ein Minenfeld. Wir sollten unsere Interessen dort aber vertreten, auch im Konzert der Europäer.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe schon darauf hingewiesen, daß es in der Tat wenig Sinn macht, jetzt neue Regeln, Normen und Standards zu verlangen, die den Welthandel eher einengen und die weltwirtschaftliche Entwicklung bremsen. Ich halte es auch für falsch, sich dem Trend der Globalisierung und Internationalisierung entgegenzustellen; ganz im Gegenteil.

(Sabine Kaspereit [SPD]: Wer kann das denn?)

- Liebe Frau Kollegin Kaspereit, lesen Sie doch einmal die Rede von Oskar Lafontaine; das ist ja Ihr Parteivorsitzender.

(Jörg Tauss [SPD]: Die ist gut!)

- Na gut, das zeigt, wes Geistes Kind Sie sind. Lesen Sie nach, was er in Berlin gesagt hat!

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Nicht nur in Berlin hat er Unsinn geredet!)

Die Antwort darauf finden Sie doch sogar bei den Sachverständigen zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Sie schreiben in dem neuesten Gutachten - ich erlaube mir, das zu zitieren -:
Der globale Wettbewerb eröffnet Chancen. Die Ausweitung von Handel und Arbeitsteilung in der Welt ermöglicht mehr Produktivität und mehr Wohlstand.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Finanziell gesehen ist das richtig!)

Daran kann ein Land allerdings nur partizipieren, wenn es ihm gelingt, sich den Marktbedingungen anzupassen und seine komparativen Vorteile im Wettbewerb zur Geltung zu bringen.
Ich kann Ihnen natürlich auch noch einen Zeitungskommentar oder mehrere vorlesen.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das bestreitet doch gar keiner! Darüber brauchen Sie uns nicht zu belehren!)

- Natürlich. Uwe Vorkötter in der „Stuttgarter Zeitung" hält es Ihnen doch vor und sagt: „Das ist das Dilemma der Ökonomie Lafontaines. Sie taugt womöglich zum Opponieren, aber sie taugt nicht zum Regieren." Das können Sie sich hinter den Spiegel stecken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Jetzt empfehle ich Ihnen ein zweites Geschenk für Ihren Parteivorsitzenden.

(Sabine Kaspereit [SPD]: Die Oberlehrerrolle steht Ihnen nicht!)

David Ricardo hat ja vor langer Zeit geschrieben, wie wichtig es ist, komparative Kostenvorteile weltweit wahrzunehmen.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Ja!)

- Nein, das wollen Sie nicht.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Doch!)


Friedhelm Ost
Sie wollen Verteilung, Festschreibung, Sie wollen nicht Expansion, Sie wollen nicht Wachstum und Dynamik.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Sie hören doch gar nicht zu! Setzen Sie sich doch mit dem auseinander, was ich gesagt habe! Weitere Zurufe der Abg. Jörg Tauss [SPD] und Ernst Schwanhold [SPD])

- Natürlich. Ich habe es doch vorhin gesagt; Sie hören doch gar nicht zu.

(Jörg Tauss [SPD]: Sie wollen Kinderarbeit!)

- Nein. Sie wollen hier Bremsung. Das, was Oskar Lafontaine vorschlägt

(Ernst Schwanhold [SPD]: Das ist doch das Minimum, was man erwartet!)

- Sie sind in den Thesen ja viel vernünftiger als Ihr Parteivorsitzender -, ist doch nicht einmal bei der Sozialistischen Internationale konsensfähig. Weder die Schweden noch die Österreicher, noch die Niederländer werden das doch akzeptieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Mit den Wirtschaftsweisen frage ich Sie: Warum sollte sich ein Land seiner Wettbewerbsvorteile berauben, die sich vielleicht gerade aus einem investitionsfreundlichen Steuersystem oder aus vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten ergeben?

(Jörg Tauss [SPD]: Chinesische Zwangsarbeit!)

- Ihre Schlagworte können Sie wirklich auf Ihren Ortsvereinstagungen gebrauchen,

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist Realität!) aber doch nicht hier.

Wir sind gegen Staatsdirigismus. Ich wiederhole, daß auch für die Weltwirtschaft das gilt, was Karl Schiller Ihnen vor langer Zeit gesagt hat - manche von Ihnen haben ihn vergessen -: so viel Markt und Freiheit wie möglich

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Ja, richtig!)

und so wenig Staat und Regulierung wie nötig!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Beifall bei der SPD)

Dies sollte auch die Devise für die Welthandelskonferenz in Singapur und für die Weiterentwicklung des Welthandelssystems sein.
Wir unterstützen jedenfalls den Bundeswirtschaftsminister mit seinen klaren Positionen zur WTO-Konferenz - Sie haben doch seine Ausführungen im Ausschuß gehört, die von allen Seiten Zustimmung gefunden haben -, nämlich den Abbau von weiteren Handelsbeschränkungen anzustreben.

(Beifall bei der CDU/CSU Ernst Schwanhold [SPD]: Das wird ihm eine große Hilfe sein!)

- Nein, wir stehen hinter und vor ihm, lieber Herr Kollege Schwanhold. Das unterscheidet uns natürlich von Ihrer Taktik. Sie stehen immer, wenn die Pfeile von vorn kommen, hinter Ihren Leuten. Das ist dann sehr schützend.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ernst Schwanhold [SPD]: So formulieren Heckenschützen!)

Wir sind für den Abbau weiterer Handelsbeschränkungen. Wir sind für Rahmenbedingungen für den Globalisierungsprozeß. Dafür finde ich in Ihrem Antrag vernünftige Ansätze. Das habe ich doch schon zweimal gelobt. Da können Sie doch schön ins Wochenende gehen; das ist wirklich ein Nikolausgeschenk.

(Ina Albowitz [F.D.P.]: Was, schon wieder Nikoläuse?)

Wir sind für die Stärkung der WTO und auch für die Weiterentwicklung des multilateralen Handelssystems.
Wir geben dem Bundeswirtschaftsminister nach Singapur unser klares Bekenntnis zu Handel und Wettbewerb mit auf den Weg.

(Zuruf von der SPD: Ein Glaubensbekenntnis!)

Wir müssen in Singapur darauf hinwirken, sehr verehrter Herr Bundeswirtschaftsminister, daß angesichts der weiter fortschreitenden Globalisierung auch eine Weiterentwicklung handelspolitischer Instrumentarien im internationalen Bereich angestoßen wird.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Sehr gut!)

Wir begrüßen es nachdrücklich, daß die Bundesregierung einen nachhaltigen Einstieg in diese schwierigen Verhandlungen anstrebt, um auf die wachsenden Herausforderungen in einer Welt der Globalisierung und Internationalisierung zu reagieren.
Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Ernst Schwanhold [SPD]: Jetzt weiß ich auch, warum Sie nicht mehr Regierungssprecher sind! Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das war eigentlich mehr Fastnacht als Weihnachten! Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das war ein Glaubensbekenntnis, Herr Ost!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314602400
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Schmitt.

Wolfgang Schmitt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314602500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegenstand der heutigen Debatte sind nicht die Äußerungen von Oskar Lafontaine,

(Friedhelm Ost [CDU/CSU]: Doch!)

sollten auch nicht Äußerungen früherer Bundeswirtschafts- und -finanzminister sein. Anlaß der heutigen

Wolfgang Schmitt (Langenfeld)

Debatte sind vielmehr drei Anträge: ein von CDU/ CSU und F.D.P. gemeinsam eingebrachter Antrag, einer von Bündnis 90/Die Grünen und ein Antrag der SPD-Fraktion zum bevorstehenden WTO-Gipfel in Singapur.
Es ist sicherlich unbestritten, daß die Ministerkonferenz in Singapur ein diplomatisches Großereignis sein wird. Mit großer Zuversicht wird Minister Rexrodt nach Singapur reisen. Der Minister möchte, so war zu lesen, „das Momentum für weitere Handelsliberalisierung in der WTO stärken". Seine vornehmste Aufgabe sieht er darin, durch den Abbau von Hemmnissen alle Möglichkeiten, die zu einer weiteren Steigerung des Welthandels beitragen, auszuschöpfen. Die „Financial Times" erwartet, weit weniger harmonisch, einen Gipfelkrach zwischen Arm und Reich auf der Konferenz. Ihre Überschrift lautete: „Rich and Poor Head for WTO Summit Clash".
Das inhaltliche Ergebnis - so lassen es zumindest die Pressevorberichte bzw. die Entwürfe der Schlußerklärung für den Gipfel erkennen - wird dürftig ausfallen. So ist bei den strittigen Fragen in der Schlußerklärung keine Einigung erzielt worden. Dies betrifft zum Beispiel die Fragen sozialer Standards, ihre Beziehung zum GATT-System, den Agrar- und Textilsektor, Fragen der internationalen Wettbewerbs- und Investitionspolitik - die sogenannten neuen Themen. Diese Themen ebenso wie die Bereiche Umwelt und Handel, Handel und Sozialstandards werden bestenfalls formal behandelt.
Wir meinen, die Bundesregierung hat es im Vorfeld auf EU-Ebene versäumt, irgendwelche Initiativen im Bereich Handel und ökologische bzw. soziale Standards zu ergreifen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie wird dies auch nicht auf der Konferenz in Singapur tun. Dabei erwarten wir nicht den Ausbau der WTO zu einer Art Superorganisation, die auf dem Wege der Handelsregulierung alle Probleme dieser Welt lösen kann. Aber was aussteht, ist eben die Stellung der WTO im Verhältnis zu den wichtigen internationalen Umweltregimes und der Stellenwert der Rio-Verpflichtungen bei der Fortentwicklung der WTO.
Es ist ein Armutszeugnis für diese Regierung, wenn sie sich fünf Jahre nach der UNCED-Konferenz nicht zu einem eindeutigen Vorrang multilateraler Umweltabkommen vor den Prinzipien des Freihandels bekennt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ernst Schwanhold [SPD])

Im übrigen: Die weltweiten ökologischen Probleme waren in der Zeit der Herren Smith und Ricardo in der Tat noch nicht bekannt. Selbst wenn man die wichtigen intellektuellen, auch ökonomischen Anregungen, die diese beiden Herren der Wissenschaft gegeben haben, berücksichtigt und entsprechend würdigt, so muß es doch erlaubt sein, auch dieses
Gedankengut auf die Höhe der Zeit zu bringen und fortzuentwickeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich glaube, die weltweiten Umweltprobleme stellen in der Tat neue Probleme dar, die im 19. Jahrhundert so noch nicht bestanden haben.
Es ist, wie gesagt, ein Armutszeugnis für diese Regierung, daß sie diese Gedanken nicht aufgegriffen hat. Damit es überhaupt zu einem Ergebnis kommt, haben sich die Beteiligten vor Beginn der Konferenz für eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners entschieden.
Die Behandlung wichtiger Zukunftsfragen und ihre handelspolitische Relevanz wird ins nächste Jahrtausend verschoben. Es wäre vor dem Hintergrund beschleunigter Handels- und Investitionsströme zwingend, die sogenannten neuen Themen - Wettbewerb und Investition - auch auf der WTO- Konferenz zu beraten.

(Beifall der Abg. Dr. Angelika KösterLoßack [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Ernst Schwanhold [SPD])

Die Weltbank spricht in einer Vorstudie des nächsten Weltentwicklungsberichts vom „Ende der Geographie", um dann zu fragen, wer eigentlich die globalen Märkte noch steuern kann und will. Sie spricht sich für einen ordnungspolitisch neu zu gestaltenden Rahmen für die internationale Politik aus. Sie fordert - man höre und staune! - die Stärkung staatlicher Institutionen und effektivere internationale Koordination, jedoch bislang ohne zu benennen, auf welcher Ebene diese angesiedelt werden müßte.
Die globale Entwicklung von Handel und Investitionen hat auch ihre Schattenseiten. Sie ist begleitet von global zunehmenden ökonomischen Disparitäten, die ganze Ländergruppen vom Entwicklungsprozeß mehr oder weniger abkoppelt. Sie ist begleitet von einer stärkeren Konzentration der internationalen Investitions- und Technologieströme. So waren die zirka 100 Milliarden US-Dollar, die in Entwicklungsländer flossen, im wesentlichen auf zehn Länder in Südostasien und Lateinamerika beschränkt.
Sie ist begleitet von dem Trend zu größerer regionaler und kontinentaler Ungleichheit, die zur Zunahme inner- und zwischenstaatlicher Konflikte führen kann. Sie ist begleitet von einem Subventionswettlauf zwischen den Industrieländern um arbeitsplatzschaffende Investitionen. Und sie ist schließlich begleitet von dem Versäumnis der Staatengemeinschaft, auf die Zunahme globaler Probleme mit einer Fortschreibung und Neuentwicklung internationaler Institutionen und Regimes zu reagieren.
Wie kann dann angemessen auf globale Probleme wie grenzüberschreitende Umweltgefahren, aber auch weltweit fehlende Arbeitsplatzangebote reagiert werden? Jedenfalls nicht, indem man solche Fragen schlicht und einfach negiert.
Wir wollen aus der WTO keine Superorganisation machen, sondern ihr Verhältnis zu anderen Institutio-

Wolfgang Schmitt (Langenfeld)

nen des UN-Systems neu bestimmen bzw. weiterentwickeln. Hierbei sehen wir die Notwendigkeit, so schnell als möglich präzise Arbeitsaufträge in den Bereichen Handel und Umwelt, Handel und Sozialstandards, internationale Wettbewerbspolitik und Investitionspolitik zu formulieren, die dann gegebenenfalls zu neuen multilateralen Verhandlungsrunden führen müssen. Die Bereitschaft dazu läßt sich bei vielen WTO-Mitgliedern derzeit jedoch nicht erkennen.
Es ist sicherzustellen, daß nationale Umwelt- und Verbraucherschutzregeln weiterhin zulässig sind. Wir wollen eine vorteilhaftere Integration der Entwicklungsländer; damit meine ich die am wenigsten entwickelten Länder und nicht die vielzitierten asiatischen Tiger-Staaten. Dies beträfe - das ist mir schon bewußt - sensitive Fragen wie den Textil- und Agrarbereich, Fragen des Technologietransfers, aber auch die Möglichkeit, durch gezielte Präferenzen den am wenigsten entwickelten Entwicklungsländern neue Einnahmemöglichkeiten zu eröffnen.
Wer sich wie zahlreiche Regierungen unwillig zeigt, über den Zusammenhang von Handel und Sozialstandards überhaupt zu reden, wird damit massive gesellschaftliche Gegenreaktionen auslösen. Die Chancen, zu multilateralen Handelsregeln zu kommen, hängen nicht zuletzt auch von der Akzeptanz in der Bevölkerung ab. Diese nimmt sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern teilweise drastisch ab. Schauen Sie doch mal, welche Wahlergebnisse Figuren wie Buchanan in den USA oder Haider in Österreich erzielt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Dann wissen Sie, daß Ihr Postulat des Freihandels allein eben nicht ausreicht, um die notwendige Akzeptanz zu erreichen.
Dabei liegen die Vorteile eines multilateralen Handelssystems offen zu Tage. Allgemeingültige Regeln ersetzen die zahlreichen, häufig nach dem Gesetz des Stärkeren diktierten, bilateralen Verträge. Statt Handelskriege haben wir nun einen nach rechtsstaatlichen Prinzipien funktionierenden Streitschlichtungsmechanismus.
Die Regierungen der OECD-Länder werden in ihren Ländern nicht nur den 30 Millionen Arbeitslosen , eine Erklärung schulden, ob es im OECD-Raum auch infolge zunehmender Handelsliberalisierung zu einer Spirale der permanenten Nivellierung - natürlich nach unten - existierender sozialstaatlicher Systeme und Regelungen kommen wird.
Geschätzter Kollege Hauchler, unverständlich ist mir in diesem Zusammenhang allerdings der positive Bezug, den der SPD-Antrag auf die Position der USA nimmt, ein Land, das selbst die entscheidendsten Konventionen der ILO nicht unterzeichnet hat, ein Land, in dessen Textilindustrie, zum Beispiel in den Nähkellern Manhattans, erbärmliche Verhältnisse herrschen, die mit jedem Dritte-Welt-Land zu vergleichen sind, ein Land, dessen Umgang mit den großen Wäldern an der Nordwestküste der USA ebenso
frevelhaft ist wie der Raubbau an den tropischen Regenwäldern. Dieses Land nehmen Sie als Vorbild und beziehen sich in Sachen Umwelt- und Sozialstandards darauf.

(Widerspruch der Abg. Dr. Sigrid SkarpelisSperk [SPD])

- Sie haben in Ihrer Einführung geschrieben: Wir fordern die Bundesregierung auf, sich die Position der Vereinigten Staaten von Amerika zu eigen zu machen. Der ökologische und soziale Protektionismus der Vereinigten Staaten ist der Sargnagel für alle Bemühungen, zu fairen und wirksamen Vereinbarungen in Sachen Umwelt- sowie Arbeits- und Sozialstandards zu kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie erweisen sich keinen Gefallen damit, wenn Sie sich auf die Seite derjenigen stellen, die nur um des eigenen Vorteils willen den Umwelt- und Sozialstandards das Wort reden.
Ein weiterer Hinweis, bevor ich zum Schluß komme: Wenn wir von Sanktionen reden, dann meinen wir - um das deutlich zu sagen - keine einseitigen Sanktionen einzelner Mitgliedstaaten der WTO gegen andere Mitglieder auf Grund der Nichteinhaltung von Umwelt- und Sozialstandards. Wenn es überhaupt zu Sanktionen kommen sollte, dann nur, wenn diesen Sanktionen ein rechtsstaatliches Schiedsverfahren vorangestellt ist und diese Sanktion nicht als ein Akt der Eigenmächtigkeit besserwissender Industrienationen aus protektionistischen Gründen gilt. Vielmehr muß die Völkergemeinschaft übereinstimmend zu der Auffassung gelangen, daß systematische, politisch gewollte Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen internationaler Umweltabkommen die Verhängung von Sanktionen geboten erscheinen lassen.
Erst unter diesen Bedingungen sind Sanktionen als dienliches Instrument zur Verankerung von Umwelt- und Sozialstandards im internationalen Handel zu akzeptieren. Ansonsten - insoweit hätten die Länder des Südens in der Tat recht - wäre es allein ein Instrument des Protektionismus, den wir klar und deutlich ablehnen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gerhard Zwerenz [PDS])


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314602600
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Graf Lambsdorff.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1314602700
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das größte Risiko solcher Konferenzen liegt zumeist darin, daß der Erwartungshorizont, der vorher aufgebaut wird, riesig ist. Vielleicht denkt doch jemand auch einmal daran, daß dort 125 Staaten teilnehmen und daß das Ganze auf dem Konsensprinzip beruht. Alles muß einstimmig erreicht werden. Angesichts dessen sollten wir unsere Erwartungen etwas herun-

Dr. Otto Graf Lambsdorff
terschrauben und uns überlegen, was denn realistischerweise herauskommen kann.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Viele tun sich auch bei uns schwer, multilateralen Freihandel als erstrebenswertes Ziel anzuerkennen; das war in den Vorreden ja zum Teil zu hören. Globalisierung erscheint als Schreckgespenst. Es wird unterstellt, daß sie unsere Arbeitsplätze vernichtet, unseren Wohlstand raubt, unsere Besitzstände entwertet und uns in einen riesigen Abwärtsstrudel zwingt, der in kollektive Armut mündet. So war es in Lafontaines Rede in Berlin zu lesen.

(Widerspruch der Abgeordneten Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD] und Dr. Ingomar Hauchler [SPD])

Sein Ausweg: internationale Kooperation mit dem Ziel, weltweit Steuer-, Sozial- und Umweltstandards nach deutschem Muster - lesen Sie sich einmal Ihren Antrag durch, Frau Skarpelis-Sperk - durchzusetzen. Das ist wahrlich ein globaler Ansatz: Welch ein weltweiter Protektionismus!

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wo steht denn das?)

Protektionismus aber ist die neue Form des Imperialismus; machen wir uns da nichts vor.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist Verleumdung!)

Welch ein Versuch, die Standortvorteile von Entwicklungsländern, von Staaten des ehemaligen Ostblocks und auch anderer Länder der Europäischen Union einfach zu ersticken!
Ich unterstelle Ihnen ja gar nicht, daß das bös gemeint ist; aber hier gilt das Wort von Bert Brecht: „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint."

(Beifall bei der F.D.P.)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314602800
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauchler?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1314602900
Wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird, Frau Präsidentin, selbstverständlich gerne.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314603000
Nein.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1314603100
Ich nehme ja schon Ihren Antrag zur Hand, damit ich Ihre Frage beantworten kann, Herr Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (SPD):
Rede ID: ID1314603200
Graf Lambsdorff, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir immer betont haben, daß es bei sozialen Mindeststandards nur um die „Core Labour Standards" geht, die in der ILO vereinbart sind, daß wir aber Wert darauf legen, daß die komparativen Kostenvorteile, die arme Länder im Bereich der Lohnkosten und der sozialen
Standards haben, nicht genutzt werden - das habe ich ausdrücklich in meiner Rede betont -, um versteckten Protektionismus zu betreiben?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1314603300
Verehrter Herr Kollege Hauchler, ich will ja gerne zur Kenntnis nehmen, was Sie geredet haben. Ich nehme aber auch zur Kenntnis, was Sie im Antrag stehen haben.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das steht da auch drin!)

Da steht, nachdem Sie vorher von ökologischen und sozialen Mindeststandards gesprochen haben:
Diese Grundlagen haben sich als Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland ... bewährt.
Damit bin ich einverstanden. Aber Sie machen die Mindestanforderungen der Bundesrepublik Deutschland zum Inhalt Ihrer Forderungen, deshalb habe ich so geantwortet. Das steht hier klar und deutlich drin.

(Widerspruch bei der SPD)

- Dann drücken Sie sich deutlicher aus, und zwar nicht nur in Ihrer Rede, sondern vor allem im Geschriebenen!
Herr Hauchler, wundert es Sie überhaupt nicht, daß die Entwicklungsländer vor wenigen Tagen geschlossen gegen Sozial- und Umweltstandards votiert haben und daß sie den Generalsekretär der ILO in Singapur ausgeladen haben?
Die Entwicklungsländer haben Angst vor verstecktem Protektionismus. Früher hieß es in Indien: „Sie reden von der Bibel und meinen Kattun. " Heute heißt es in Indien: „Sie reden von Kinderarbeit und meinen Importsperre." Das ist die Bewußtseinslage der Entwicklungsländer, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Der indischen Eliten!)

- Von wegen „indische Eliten", die armen Kinder, die wenigstens dort Arbeit finden, wollen nicht auch noch diesen Arbeitsplatz verlieren.

(Zuruf von der SPD: Das ist eine Logik!)

- Ich zitiere die Logik, die uns aus Indien und anderen Ländern entgegengebracht wird.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314603400
Es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage der Kollegin Skarpelis-Sperk.

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1314603500
Aber bitte schön.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD):
Rede ID: ID1314603600
Herr Kollege Lambsdorff, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß es bei den Entwicklungsländern auch unterschiedliche Stimmen gibt, daß insbesondere die Gewerkschaftsbewegung in den Entwicklungsländern

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
in den letzten Jahren ihre Position vollständig geändert hat und mittlerweile für soziale Mindeststandards und für Druck von außen zur Durchsetzung dieser sozialen Mindeststandards kämpft?

Dr. Graf Otto Lambsdorff (FDP):
Rede ID: ID1314603700
Frau Kollegin, es ist doch immer wieder dasselbe. Wir sollten uns hier nicht mit Schlagworten traktieren, die in diesem Fall „soziale Mindeststandards" heißen. Sie müssen aufzählen, was damit gemeint ist und was verlangt wird. Dann können wir uns weiter unterhalten. Das gleiche gilt für das Wort „sozialverträglich" in Deutschland. Überall werden nur Schlagworte genannt, und jeder kann sich darunter vorstellen, was er möchte. Zählen Sie auf, was verlangt wird, dann können wir uns darüber verständigen und sehen, wo wir uns einig sind! Vielleicht ist manches nur als Zustandsbeschreibung zwischen uns streitig, aber gar nicht in der Zielsetzung.
Es ist doch unstrittig, daß die Vereinbarung der ILO gegen Sklavenarbeit, für grundlegende Menschenrechte und ähnliches eingehalten werden muß. Aber, Herr Hauchler, das gilt innerhalb der ILO; die Welthandelsorganisation ist nicht das Forum der ILO, und sozialpolitische Scheinheiligkeit macht Protektionismus um kein Stück besser. Den Verdacht von Scheinheiligkeit werde ich nicht ganz los, wenn ich die Anträge von SPD und Grünen lese.
Meine Damen und Herren, „Umweltprobleme vor Handelsproblemen" hat Herr Schmitt gesagt; das klingt fabelhaft, bloß erleben Sie doch immer wieder, daß diese Länder Minen sagen: Wir sind materiell nicht in der Lage, die Umweltprobleme zu lösen. Wir müssen erst einmal Geld verdienen. Wenn es richtig ist, daß Handelsliberalisierung Wohlstandsmehrung bedeutet, dann werden Sie diese Reihenfolge nicht auf den Kopf stellen, Herr Schmitt. Damit würden Sie den Entwicklungsländern ein außerordentlich schlechtes Rezept verpassen.
Es ist doch nicht die Globalisierung, die beispielsweise Deutschland in die Knie zwingt, sondern der Versuch, sie zu verhindern. Liberale waren und sind immer Freihändler gewesen. Wir fühlen uns durch aktuelle Fakten und historische Belege bestätigt. Sehen Sie sich doch die Ergebnisse der Uruguay-Runde an, sehen Sie sich die nordamerikanische Freihandelszone, den Binnenmarkt der Europäischen Union, den Aufschwung der vier kleinen Tiger und die Entwicklung vieler ehemaliger Kolonien an! Sehen Sie sich an, was in Osteuropa vor sich geht! Renato Ruggieros hat schon recht:
Globalisierung und verstärkte internationale Arbeitsteilung bringen Entwicklung und Frieden. Hierzu gibt es keine rationale Alternative.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wir haben längst vergessen, daß Europa bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts immer wieder schreckliche Hungersnöte erlebt hat. Erst die Freihandelsbewegung in England hat dem im Jahre 1846 ein Ende bereitet. Seither hat es nicht eine einzige
Hungersnot aus wirtschaftlichen Gründen in Europa gegeben, nicht eine einzige.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Und den Kommunismus mit dem Elend der Industriearbeiter erzeugt!)

- Frau Skarpelis-Sperk, ich bin gern bereit, mich mit Ihnen darüber zu unterhalten, was Richard Cobden in Manchester mit den Arbeitern zusammen in der Freihandelsbewegung gegen die corn-laws durchgesetzt hat. Das ist wirklich hirnverbrannter Unsinn, der hier gelegentlich verbreitet wird. Man glaubt es überhaupt nicht.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Keine Ahnung von Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts!)

Ende des 19. Jahrhunderts mündete die Freihandelsbewegung in den Erfolg einer ersten Globalisierungswelle, die leider mit dem Ersten Weltkrieg abgebrochen wurde. Wir gehen zu dem zurück, was es zu einem guten Teil schon einmal in der Welt gegeben hat.
Globalisierung ist eine Gelegenheit für Industrie- und Entwicklungsländer, gemeinsam voranzukommen, und die WTO ist der richtige Ansatz, multilateralen Freihandel durchzusetzen. Sie ist das richtige Forum, um auf die weltweite Vernetzung der Märkte durch ein multilaterales Handelssystem zu antworten.
Ich sagte schon, es ist eine viel zu wenig beachtete weltweite Revolution, daß der WTO heute 125 Mitgliedstaaten angehören. Es ist der große Erfolg der Uruguay-Runde gewesen, daß die Entwicklungsländer dabei sind, daß 28 Kandidaten beitreten wollen, darunter Länder wie China, Rußland, die Ukraine und Taiwan. Wer allerdings Mitglied im Club werden will, muß auch die Regeln des Clubs akzeptieren. Das gilt wohl insbesondere für China.
Die in der Uruguay-Runde vereinbarte Streitschlichtung - Herr Hauchler, Sie haben darauf hingewiesen - ist ein großer Fortschritt, und sie ist auch unverzichtbar. Die große Akzeptanz des Streitschlichtungsverfahrens bestätigt die bisherigen Erfahrungen, daß die noch bestehenden Vorbehalte gegenüber weltweiten Regelungen abgebaut werden können.
Wir beobachten sorgfältig die Streitschlichtung im Falle der amerikanischen Sanktionsgesetzgebung. Vergessen Sie Ihre antiamerikanischen Pauschalurteile doch endlich, Herr Schmitt, machen Sie sich frei davon! Oder ist das eine Pflichtübung gegenüber Ihrer Fraktion? Ich verstehe es nicht.
Es geht hier nicht nur um die Abwägung des berechtigten Interesses der USA an der Bekämpfung des staatlich unterstützten Terrorismus. Es geht auch darum, ob ein Handelsboykott überhaupt ein akzeptiertes Mittel zur Erreichung wirtschaftlicher und politischer Ziele sein kann. Es geht aber vor allem um die Partnerschaft der USA mit den befreundeten Staaten, mit der einseitig verhängte extraterritorial wirkende handelspolitische Sanktionen nicht verein-

Dr. Otto Graf Lambsdorff
bar sind. Das muß in diesem Verfahren geklärt werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Welthandelsorganisation hat noch Fragen zu klären, die seit der Uruguay-Runde offen sind. Wenn die in Singapur alle gelöst werden könnten, Herr Schmitt, dann wäre das schon sehr viel. Das ist nicht alles zu schaffen. Erwarten wir nicht zuviel! Dazu gehören Finanzdienstleistungen, Telekommmunikation, Informationstechnologie und vieles andere. Ich brauche das nicht im einzelnen aufzuzählen. Alleine der Handel in der Informationstechnologie hat jetzt 400 Milliarden US-Dollar erreicht. Das ist soviel wie der Weltagrarhandel. Wer hätte sich das vor wenigen Jahren denken können?
In Singapur sollten auch klare Worte zur Beurteilung von regionalen Handelszonen gefunden werden, die wie Pilze aus dem Boden schießen und die sich wie Mehltau über den multilateralen Freihandel legen. Das kann ich im einzelnen nicht ausführen, aber ich glaube, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß dem Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.
Talleyrand hat einmal gesagt:
Wir haben - ohne Zweifel ein bißchen zu spät - gelernt, daß für Staaten wie für Individuen wirklicher Wohlstand nicht darin besteht, den Besitz anderer zu erlangen oder zu besetzen, sondern er besteht in der Entwicklung des eigenen Wohlstands.
Ich weiß nicht, ob rot-grüne Sozialisten das je begreifen werden. Aber genau dies ist der Weg, den wir gehen müssen.
Die Chancen des Freihandels sind die Chancen für die Zukunft Deutschlands. Die WTO ist das wichtigste Forum. Die Bundesrepublik ist durch den Bundeswirtschaftsminister dort gut vertreten. Wir wünschen ihm gute Reise und bitte keine Malariamükken, Herr Bundeswirtschaftsminister.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Ernst Schwanhold [SPD]: Was die Malaria angeht, Zustimmung!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314603800
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Willibald Jacob.

Dr. Willibald Jacob (PDS):
Rede ID: ID1314603900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle vorliegenden Anträge unterstreichen die große Bedeutung der ersten Ministertagung der WTO in Singapur. Sie sollen den globalen Handels- und Wirtschaftsprozessen einen ordnungspolitischen Rahmen geben; denn besonders in den Ländern der Dritten Welt zeigen sich schon lange die negativen Auswirkungen einer ungehemmten und menschenverachtenden Weltmarktkonkurrenz, die zum Beispiel traditionelle, auf Eigenversorgung ausgerichtete landwirtschaftliche Strukturen zerstört, die hochgradige, zum Teil nicht mehr tragbare Schulden in den Entwicklungsländern hervorbringt, die nur auf den Export von Monokulturen und Rohstoffen ausgerichtet ist. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Immer spürbarer wird auch in den Industrieländern, also zuerst einmal bei uns, die Art und Weise des Wirtschaftens und Handels, die letztlich nur transnationale Konzerne als Gewinner sieht. Wieviel verheerender in den Entwicklungsländern!
Was zeigen die praktischen Erfahrungen der Politik der favorisierten Freihandels- und Liberalisierungsphilosophie, die auch für die WTO bestimmend ist? Selbst wenn es einzelnen Entwicklungsstaaten gelingt, ihre Handelsanteile am Weltmarkt zu vergrößern, bringt das durchaus nicht automatisch Wohlstandsverbesserungen für breite Bevölkerungsschichten. Ein Blick auf die Vorzeigestaaten Südostasiens kann das belegen.
Produktionsverlagerungen in Länder mit geringerem Lohnniveau bringen höhere Konzernprofite, mitunter auch ein höheres Bruttosozialprodukt für das betreffende Land. Sie bringen aber nicht zwangsläufig und schon gar nicht angemessen eine Partizipation der Bevölkerungsmehrheit.
Zudem wird das Wirtschaftswachstum oftmals als Goldenes Kalb der Weltwirtschaft hingestellt. Dabei wird nicht erwähnt, auf wessen Kosten dieses Wachstum zustande kommt. Natur- und Klimazerstörung sind enorm. Den ärmsten Entwicklungsländern kommt in der Regel nur die Rolle der billigen Lieferanten von Arbeitskräften und Rohstoffen zu, so daß ihnen häufig nur der Weg bleibt, durch Sozial- und Umweltdumping Marktanteile zu gewinnen oder zu halten.
Soll diese Sichtweise und Politik mit der Ministerkonferenz der WTO festgeschrieben werden? Die Auseinandersetzungen um die Tagesordnung stimmen pessimistisch. Die Themen, die insbesondere unter Industrie- und Entwicklungsländern strittig sind, wie Textil und Bekleidung, Umwelt, Handel und Investitionen, Sozialnormen, Handel und Wettbewerb, sollen verschoben werden.
Auch die Bundesregierung fürchtet diesen Sprengstoff und hätte ihn lieber vertagt. Aber gerade die Behandlung dieser Fragen, die Einigung und Auseinandersetzung hierüber entscheidet, ob es wirklich eine Weltwirtschaftsordnung geben wird oder eine -unordnung, eine Ein-Fünftel-Weltordnung und eine Vier-Fünftel-Marginalisierung.
Wenn es um globales Wirtschaften in dieser einen Welt geht, müssen alle Entwicklungsländer und nicht nur einige wenige mit besonders großer Konsumentenzahl oder einzelne Schwellenländer gleichberechtigte Zugangschancen zu den Märkten haben. Gleichberechtigte Chancen haben die Entwicklungsländer bisher nicht. Sie sind weit davon entfernt.
Das ist keine billige Polemik, sondern entspricht den Forderungen, die die Gruppe der 15 und die LDC-Staaten in den Erklärungen ihrer Vorbereitungstreffen zur WTO-Ministertagung formuliert haben. Sie fordern Chancengleichheit ein und befürchten eine weitere Schwächung ihrer ohnehin schon unterprivilegierten Stellung in der Weltwirtschaft. Sie fühlen sich schon jetzt abgehängt von dem Grad

Dr. Willibald Jacob
der internationalen Verflechtung. Deshalb fordern Sie einen Aktionsplan und besondere Maßnahmen, ja vor allem auch Schutzmaßnahmen, damit sie sich an den Stand bisheriger Abkommen „heranentwikkeln" können, die bestehende Forderungen und Verpflichtungen auch für sie erreichbar und durchsetzbar machen.
In diesem Licht ist auch die Diskussion um die Ansiedlung der Umwelt- und Sozialstandards zu sehen. Sicher ist die Einführung und Durchsetzung von solchen Standards angesichts des ökologischen und sozialen Zustandes unserer Welt nur allzu berechtigt. Aber sind nicht auch die Befürchtungen der Entwicklungsländer berechtigt, die unter der Losung „Abschaffung aller Handelshemmnisse, Abbau der Zölle" neuen Protektionismus der Industriestaaten und eine weitere Schwächung ihrer Stellung in der Weltwirtschaft befürchten?
Übrigens: Wie sollten Kriterien, Kontrollmechanismen, Sanktionen bei der WTO für solche Standards aussehen? Gab es da nicht eine Organisation namens UNCTAD, bei der eine Ansiedlung dieser Themen sinnvoller wäre, auch im Sinne einer effektiven Arbeitsteilung von Organisationen?
Gewiß, es bedarf der Reformvorschläge, die auf der WTO-Tagung thematisiert, diskutiert und nicht vertagt werden sollten. Für einen menschengerechten Handel müssen gewiß die komplexen Zusammenhänge von Welthandel, Umwelt und Entwicklungspolitik berücksichtigt werden. Jedoch ist dies unter der Dominanz des Freihandels und der Liberalisierung nicht denkbar. Die Ikone des Freihandels muß schleunigst durch menschengerechtes und zuverlässiges Wirtschaften ersetzt werden, das besonders regionale und lokale Wirtschaftskreisläufe befördert.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, in Singapur alle nur denkbaren Schritte zu unternehmen und zu unterstützen, die in diese Richtung gehen, vor allem im Zusammenwirken mit den am wenigsten entwickelten Ländern.

(Beifall bei der PDS)

Dazu gehören auch internationale und UN-Organisationen, die hierbei eine wichtige arbeitsteilige Rolle spielen konnten, wie die ILO, die UNCTAD und die UNIDO. Sie verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung. Dafür hätte die Bundesregierung auch das Mandat der demokratischen Sozialisten.
Danke sehr.

(Beifall bei der PDS)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314604000
Für die Bundesregierung erteile ich nun dem Herrn Bundesminister Rexrodt das Wort.

Dr. Günter Rexrodt (FDP):
Rede ID: ID1314604100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das WTO-Ministertreffen in Singapur in der nächsten Woche ist ein anspruchsvolles und schwieriges Ereignis. Dort werden Weichen für die Entwicklung des Welthandels für den Rest dieses Jahrzehnts gestellt und eine Brücke zur Entwicklung im nächsten Jahrzehnt geschlagen, indem auf multinationaler Ebene nach dem Vorbild der alten GATT-Runde Initiativen hinsichtlich eines generellen Zollabbaus und eines freien Marktzugangs unternommen werden sollen.
Für uns haben in Singapur Liberalisierung und Marktöffnung - denn es ist eine Handelskonferenz - eindeutig Vorrang. Wir wissen allerdings: Umweltziele und soziale Ziele haben ihren berechtigten Platz gegebenenfalls auch im Zusammenhang mit der Handelspolitik. Das muß aber im richtigen Beziehungsfeld erfolgen und nicht mit dem Ziel, die Handelsliberalisierung durch einen protektionistischen Grundansatz auszuhebeln. Dies kann für uns nicht in Frage kommen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir stellen auf einer Handelskonferenz die marktwirtschaftliche Steuerung, den Wettbewerb und die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung in den Vordergrund. Niemand wird bezweifeln, daß die Verbesserung von Standards im Umweltschutz und im Sozialbereich weltweit wünschenswert und unverzichtbar ist.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Die fallen vom Himmel!)

Ich sage aber deutlich: Wer soziale und ökologische Standards als Vorbedingung für Zollabbau, Liberalisierung oder neue Themen macht, der wird in der Praxis das Gegenteil erreichen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Ich schließe handelspolitische Sanktionen nicht aus, wenn es um eklatante Verletzungen von Prinzipien geht.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Mit Ihrer Meinung stehen Sie aber sehr allein!)

Es geht darum, Prinzipien beim Umweltschutz festzuschreiben. Wir können froh sein, wenn wir in Singapur erreichen, daß 128 Staaten bei der Aufnahme bestimmter Prinzipien beim Umweltschutz übereinstimmen. Das wäre ein großer Erfolg. Wenn wir hinterher über die Instrumente - unter Einschluß von Sanktionsmaßnahmen - befinden könnten, dann ist das als ein zweiter Schritt anzusehen. Es wäre wünschenswert, wenn endlich alle Staaten unterschrieben und respektierten, was wir in den Standards der ILO festgehalten haben. Das muß Schritt für Schritt gemacht werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Natürlich kann ich mich hinstellen und sagen: alles auf einmal. Die Entwicklungsländer aber sind diejenigen, die nicht mitziehen. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß der Generalsekretär der ILO nicht einmal nach Singapur kommen darf - bedauerlicherweise.
Meine Damen und Herren, wir gehen auch im handelspolitischen Bereich mit anspruchsvollen Zielen nach Singapur. Für uns ist es wichtig, daß Zölle im

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
gewerblichen Bereich abgebaut werden. Noch gibt es keine neue GATT/WTO-Runde. Um so mehr unterstützen wir in Singapur ein Abkommen, das bei Waren des wichtigen Bereichs der Informationstechnologie zu einem völligen Zollabbau führt. Hierzu haben auch die APEC-Staaten positive Signale ausgestreut. Ich bin zuversichtlich, daß das gelingt.
Wir wollen nach Singapur auch deshalb gehen, um über eine Beschleunigung des Zollabbaus zu verhandeln, der in der Uruguay-Runde vorgesehen war. Wir haben eine ganze Reihe sogenannter left overs insbesondere im Dienstleistungsbereich zu erledigen. Bei den Finanzdienstleistungen haben unsere amerikanischen Freunde nicht so mitgezogen, wie wir das wollten. Das scheint jetzt, auch in anderen Bereichen, anders zu werden. Die Verhandlungen über den Marktzugang für Basisdienstleistungen in der Telekommunikation waren ebenfalls zähflüssig. Hier haben die USA und die EU zusätzliche Konzessionen angeboten.
Als weiteren Punkt will ich innerhalb dieser wichtigen Einzelfragen den Textilbereich ansprechen. Die Textillieferländer wollen die großen Abnehmerländer dazu drängen, die beschlossene Liberalisierung zu beschleunigen. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber die Lieferländer müssen ihre Märkte genauso öffnen, was nicht immer der Fall ist. Ich denke dabei an ein großes Land in Südasien.
Herr Hauchler, wenn ich Sie recht verstanden habe, sprachen Sie auch davon, es sei ein Gebot der Stunde, daß es den Schwellen- und insbesondere den Entwicklungsländern möglich sein muß, die eigene Wirtschaft durch Protektionismus zu schützen.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Nein, das habe ich nicht gesagt!)

- Dann habe ich Sie falsch verstanden. - Das wäre der falscheste Weg.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das habe ich nicht gesagt! Ernst Schwanhold [SPD]: Steht auch nicht in unserem Antrag drin!)

Das würde eine Abschottung der Grenzen bedeuten; das würde zu Verhältnissen führen, die es am Ende in der DDR gab. Herr Hauchler hat von Protektionismus gesprochen. Ich glaube, mich nicht zu täuschen.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Das ist eine Lüge!)

Protektionismus kann nicht in Frage kommen. Das ist der falscheste Weg, auch für die Entwicklungsländer. Diese Marktabschottung würde niemals zum Erlangen der Wettbewerbsfähigkeit führen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Dr. Sigrid Sarkpelis-Sperk [SPD]: Lassen Sie lesen, wenn Sie schon nicht lesen!)

Ein paar Worte zu den wichtigen, sogenannten neuen Themen: Umwelt, Investitionen und Wettbewerb. Auch die Sozialstandards werden eine Rolle spielen.
Zunächst zu der Umweltpolitik. Im Kern geht es darum, die Prinzipien festzulegen, nach denen handelspolitische Maßnahmen zur Durchsetzung von Umweltzielen eingesetzt werden können.

(Ernst Schwanhold [SPD]: Jetzt sind Sie wieder beim ersten Teil gelandet!)

Umweltziele müssen soweit wie möglich erreicht werden. Aber die Voraussetzung dafür muß sein, daß nicht ein versteckter Protektionismus stattfindet.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Genau das habe ich gesagt!)

Genauso sehen es die Entwicklungsländer.
In Singapur werden wir die entsprechenden Prinzipien aufstellen; die Bundesregierung unterstützt dies. Ich bin optimistisch, daß wir es schaffen können, Prinzipien beispielsweise der Nichtdiskriminierung, der Proportionalität der Maßnahmen und der Transparenz festzulegen. Es darf nicht unter der Überschrift „Umweltschutz und Umweltstandards" zur Diskriminierung bestimmter Staaten kommen, die darauf angewiesen sind, daß sie - obwohl sie unsere Standards nicht erfüllen - ihre Erzeugnisse und ihre Dienstleistungen in unsere Märkte exportieren.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Wir wollen, daß der Raubbau an natürlichen Ressourcen zurückgeführt wird. Aber unsere Standards können nicht unmittelbarer Maßstab für andere Länder sein.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Wer sagt denn das? Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Sie handeln nicht im deutschen Interesse!)

Keiner gibt, das ist schon gesagt worden, seine Vorteile auf.
Für eine Sicherung des Markterfolgs sind Direktinvestitionen ebenso notwendig wie Handel, zum Beispiel bei Vertrieb und Service. Für die Liberalisierung, die freie Niederlassung und den Schutz von Auslandsinvestitionen müssen wir in der WTO international verbindliche Regeln entwickeln. Auch in diesem Bereich stoßen wir bei einigen Entwicklungsländern auf Zurückhaltung. Sie fürchten, daß mit diesen Regeln einer Überfremdung ihrer eigenen Wirtschaft Tür und Tor geöffnet wird. Wir müssen sie davon überzeugen, daß es auch in ihrem Interesse liegt, günstige Bedingungen für Auslandsinvestitionen zu schaffen. Darauf wollen wir in Singapur hinwirken. Wir wollen diese Arbeiten in Gang bringen.
Die Forderung, die beispielsweise von der SPD erhoben wird, Liberalisierungsziele mit ökologischen und sozialen Forderungen in der WTO zu verknüpfen, halte ich für völlig illusorisch. Diese Forderungen wird kein Entwicklungsland akzeptieren. Auf diese Weise bringen wir nichts unter Dach und Fach.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Was ist mit Wettbewerbsregeln?)

Es wäre vielmehr der direkte Weg, die Entwicklungsländer aus dem multilateralen System zu vertreiben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
Sie machen sozusagen die Klappe dicht und beteiligen sich nicht mehr an der WTO.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die wettbewerbsverzerrende Praktik einiger großer Unternehmen, insbesondere die Bildung von internationalen Kartellen mit marktbeherrschender Stellung.

(Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Auch Korruption!)

Mit den Regeln und Instrumenten des GATT und der WTO ist dem bisher nicht beizukommen, das gebe ich zu.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Haben Sie es auch gemerkt?)

GATT und WTO haben insbesondere die staatliche Handelspolitik im Visier, bislang aber nicht mißbräuchliche Unternehmenspraktiken. Deshalb sagt auch die Bundesregierung: Handel, Wettbewerb, Wettbewerbsfähigkeit und auch ein Stück Gerechtigkeit und Marktchance für die ärmeren Länder gehören zusammen. Wir brauchen ein multilaterales System von Regeln, damit wir mißbräuchlichen Praktiken begegnen können. Ich werde mit Nachdruck dafür eintreten, daß wir hierzu eine Arbeitsgruppe einsetzen und zu Vorschlägen kommen.
Eine letzte Bemerkung zu den Sozialstandards. Das ist ein sehr wichtiges politisches Thema. Die Bundesregierung hat hier eine klare Linie. Verletzungen von Menschenrechten und von Arbeitnehmerrechten sind nicht hinnehmbar. Deshalb befürworten wir eine Erörterung in Singapur, wenn denn ein Konsens herbeizuführen sein wird. Im Vorfeld hat sich gezeigt, daß dies eines der schwierigsten und kontroversesten Themen ist. Eine Reihe von Mitgliedstaaten wollen in Singapur über die Einhaltung von Sozialstandards diskutieren, andere lehnen das total ab.
Es geht um das Verbot von Zwangsarbeit und ausbeuterischer Kinderarbeit. Es geht um die Zulassung von Gewerkschaften und die Freiheit zu kollektiven Tarifverhandlungen. Deren Einhaltung wollen nun einige Länder mit Handelssanktionen im Bereich der Handelspolitik erreichen.

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Welche anderen Möglichkeiten haben sie denn sonst?)

Die überwiegende Zahl von Mitgliedsländern, die Entwicklungsländer, lehnen eine solche Diskussion ab. Sie machen einfach nicht mit. Soll ich nun darauf hinwirken und einen Beitrag dazu leisten, daß die Entwicklungsländer in der WTO gar nicht mehr mitarbeiten?
Wir wollen auf der einen Seite, daß dieses Thema nicht Deckmantel für Protektionismus ist. Wir wollen auf der anderen Seite, daß diese Themen in der ILO und, wenn sie reif genug sind, meinetwegen auch im Zusammenhang mit der Handelspolitik diskutiert werden. Aber dieses Thema kann und darf nicht Sprengsatz für die Konferenz in Singapur werden. Das darf nicht der Fall sein. Wir werden uns Gesprächen nicht verschließen; wir werden sie gerne führen. Es besteht aber keine Chance. Das Ganze mit Vorbedingungen und Auflagen zu versehen, wäre das Ende; das wäre der programmierte Mißerfolg dieser Konferenz. Deshalb sind wir da differenziert und gehen vorsichtig vor.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Freie Fahrt ohne Regeln!)

Wenn wir Märkte weiter öffnen, so ist das nach Auffassung der Bundesregierung der beste Beitrag zur Entwicklung von angemessenen Arbeitsbedingungen in den armen und ärmsten Ländern. Deshalb unterstützen wir die Initiative von Herrn Ruggiero, einen autonomen Zollabbau für die Armen und Armsten zu starten. Wir werden dafür sorgen, daß dem Verbraucher und dem Produzenten weltweit in Singapur ein klares Signal für weitere Liberalisierung der Weltwirtschaft, für Beschäftigung und Wohlstand gegeben wird. Hierfür werde ich mich mit großem Nachdruck unter Beachtung der Bedeutung der neuen Themen in Singapur einsetzen.
Wenn wir Singapur als ein Signal für mehr Welthandel, besseren Marktzugang und damit auch bessere Chancen für die armen und ärmsten Länder zu Ende bringen, dann wäre das ein Erfolg. Wenn wir nicht apodiktisch, sondern - auch bei den neuen Themen - pragmatisch und im Prinzip fest vorgehen, dann werden wir die beste Politik durchsetzen, die wir von Singapur zu erwarten haben.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das ist nicht einmal ordoliberal! Eucken hätte sich umgedreht!)


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1314604200
Die Abgeordneten Sigrid Skarpelis-Sperk, Erich G. Fritz und Gert Weisskirchen haben gebeten, ihre Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll geben zu dürfen. *)

(Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Die Schriftführer haben gebeten!)

Sind Sie einverstanden? - Dann verfahren wir so, und ich kann die Aussprache zu diesem Punkt schließen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/6115, 13/6385 und 13/6387 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit
- Drucksache 13/5226 - *) Anlage 2

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD vor.
Die Abgeordneten Josef Hollerith, Gabriele Iwersen, Lisa Peters, Hannelore Rönsch, Klaus-Jürgen Warnick, Franziska Eichstädt-Bohlig und der Parlamentarische Staatssekretär Joachim Günther haben darum gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dürfen.*) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann nehmen wir mit Ihrem Einverständnis diese Reden zu Protokoll.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/5226 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
*) Anlage 3
Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/6402 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, an den Ausschuß für Familien, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Ausschuß für Gesundheit zu überweisen. - Ich sehe Einverständnis. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 11. Dezember 1996, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.