Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß es Ihnen besser geht, Herr Waigel. Wir haben das gerade an der Lautstärke und an der Chuzpe Ihrer Rede gemerkt.
Man merkt Ihrer Rede auch an, daß Sie diese Woche nicht hier waren, sondern Goethe gelesen haben.
Kommen wir zur Haushaltspolitik dieser Koalition. Ein Haushalt ist mindestens Handwerk; eigentlich müßte es Kunst sein. Dies hier ist aber ein Ergebnis von Einfallslosigkeit und Ignoranz. Die „FAZ", die nun wirklich keine grünennahe Zeitung ist, muß inzwischen schon titeln, daß die Haushälter „mit ihrem Haushälterlatein am Ende" sind, daß es keine „planvolle Detailarbeit" mehr gibt, sondern eher lustlose und oberflächliche Erbsenzählerei.
Die Koalition bringt gerade einmal eine Einsparung von einer halben Milliarde DM gegenüber dem Regierungsentwurf zustande. Das hat auch damit zu tun, daß die Koalitionshaushälter schon lange wußten, daß das dicke Ende zur Bereinigungssitzung noch kommen würde und daß dann planlose, kurzfristige und hektische Verschiebungen von Milliardenblöcken nach den Vorgaben des Bundesfinanzministers durchgezogen würden.
- Wir hatten die Faxspur schon; danke, Herr Kollege Wagner. - Von wegen Stunde des Parlamentes. Dem kann ich nicht zustimmen. Das Parlament hat wenig mitzureden, wenn die Milliardenverschiebungen aus dem BMF herübergefaxt werden.
Generell ist anzumerken, daß im Haushalt 1997 nach unserem Empfinden die Grundsätze von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit in Frage gestellt werden. Dies ist im einzelnen nachzuvollziehen, wenn man zum Beispiel beobachtet, wie mit den Verpflichtungsermächtigungen umgegangen wird. Sie verschieben die Schulden im Prinzip auf kommende Jahre und Generationen. Sie tun zumindest so, als ob es später einmal bezahlt werden würde. Aber dies ist höchst zweifelhaft, wenn man weiß, daß Sie Ihre mittelfristige Finanzplanung jedes Jahr massiv verändern und anpassen müssen. So hat es damals mit den Fünfjahresplänen im Osten auch angefangen.
Bei der Nettoneuverschuldung wird gemogelt. Es wird davon ausgegangen, daß man über überplanmäßige Ausgaben, die Ende nächsten Jahres auf uns zukommen werden, nachholen kann, was man jetzt klammheimlich unterlassen hat. Man hat den Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit bewußt zu niedrig angesetzt. Man hat die Arbeitslosenhilfe zu niedrig angesetzt. Man hat ziemlich unseriöse Einnahmeerhöhungen, zum Beispiel bei der Post, veranschlagt.
Man hat sich auf globale Minderausgaben verständigt. Das bedeutet, daß man gar nicht mehr weiß, an welcher Stelle das Ministerium einspart. Es bekommt vielmehr nur eine Gesamtsumme, die es, egal wo, einzusparen hat, ob es nun beim Radiergummi eines Beamten oder eben auch - das ist leider öfter der Fall - in dem bißchen beweglichen Finanzspielraum jedes Ministeriums ist. Das bedeutet, daß wir auf das bißchen Politik, das nicht gesetzlich gebunden ist, keinen Einfluß mehr haben. Ich kann daher die Worte „Stunde des Parlamentes" beim Haushaltsaufstellungsverfahren nicht mehr hören.
Dazu haben wir auch gestern ganz aktuell einige spannende, mysteriöse Sätze von Herrn Huber gehört, der sich darauf verständigte, daß bei der Grunderwerbsteuer noch Änderungen möglich wären. Man kann nur davon ausgehen, daß sie noch weiter als nur von 2 auf 3 Prozent erhöht werden soll.
Hier frage ich mich natürlich, wo die F.D.P., diese Steuersenkungspartei, ist. Irgendwie haben Sie die Grunderwerbsteuer übersehen. Aber das macht nichts. Es ist ja nur eine „kleine" Steuer. Sie reden ja immer nur von großen Steuersenkungen. Die kleinen Steuererhöhungen sind nicht so wichtig.
Antje Hermenau
Bei all dem, was wir hier besprechen, vermisse ich eine mittelfristige Planung, eine gewisse mittelfristige Konsolidierung. In Ihren Vorschlägen gibt es keine Kohärenz. Auf der einen Seite wird von der F.D.P. propagiert, daß die Zuschüsse für den Steinkohlebergbau gesenkt werden müssen. Auf der anderen Seite werden Sie im Jahre 1997 in die Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen eingreifen. Das heißt, daß Sie den Kumpels in NRW sagen: Wir werden euch die Zuschüsse streichen, ihr könnt nicht mehr produzieren, aber umschulen können wir euch auch nicht, weil die Zuschüsse für Umschulungsmaßnahmen in NRW, die es 1996 noch gab, um ein Drittel gekürzt sind. Das heißt, daß 1997 nur noch 60 Prozent der Umschulungsmaßnahmen, die es 1996 in NRW gab, zur Verfügung stehen werden. So kann man keinen Branchenumbruch vornehmen, so kann man kein Gebiet strukturell anpassen. Darin haben wir inzwischen Erfahrung gesammelt.
Noch keine Generation, noch kein Jahrhundert hat so schamlos auf Kosten der nachfolgenden Generation gelebt. Man erlebt bei diesem Haushalt immer wieder - ich habe gerade ein Beispiel genannt -, daß überhaupt nicht darüber nachgedacht wird, was nach 1997 kommt. Alle sind nur emsig bemüht, durch 1997 hindurchzutauchen - Theo Waigel, unser Tieftaucher, vorneweg -, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen.
Das Problem dabei ist, daß allen suggeriert wird, 1998 könne man finanziell nach Luft schnappen. Aber das wird nicht so sein. Waigel muß 1998 absaufen. Er kommt gar nicht wieder nach oben, weil der Konsolidierungskurs automatisch fortgesetzt werden muß, oder gerade Sie von der F.D.P. haben Ihre ganzen Reden umsonst gehalten.
Wir sind natürlich auch der Meinung, daß an der Konsolidierung kein Weg vorbeiführt. Das muß klipp und klar gesagt werden. Die Frage ist nur, wie man es macht. Ich habe gerade von der mittelfristigen Finanzplanung gesprochen und nicht von irgendwelchen hektischen Verschiebungen, die vorgenommen werden, weil Maastricht wie ein Damoklesschwert über dem Haupte schwebt, und die keiner mehr nachvollziehen kann. Man muß sich langfristige Gedanken machen. Wir hatten zum Beispiel vor einem Jahr in dieses Haus den Vorschlag eines sich selbst finanzierenden Ausbildungsfonds für Studierende - BAFF - eingebracht, bei dem der Bund mittelfristig aus der Finanzierung aussteigen würde, aber in einer erträglichen Weise. Solche Vorschläge werden wir auch weiter vortragen.
Wir haben schon über unser Ökosteuerkonzept hier zu sprechen und Ihnen nahezubringen versucht, was man damit alles erreichen könnte, zum Beispiel mehr Arbeitsplätze. Aber das leuchtet Ihnen ja immer alles nicht ein.
Ich habe mich sehr geärgert, daß wir zum Beispiel diese globalen Minderausgaben dann am Tag der
Bereinigungssitzung noch einmal für fast ausnahmslos jedes Haus auf den Tisch bekommen haben. Das ist wirklich ein haushälterisches Armutszeugnis. Aber ich kann natürlich die Koalitionshaushälter auch verstehen. Bei diesem Wirtschaftsminister Rexrodt, der so unzuverlässige Eckdaten prognostiziert, müssen sie Theo Waigel natürlich eine Chance geben; deswegen mußten sie auch 3 Milliarden DM Pufferzone einbauen, die aber nicht ausreichen wird, weil Sie Ihre Zuschüsse im Sozialbereich einfach zu niedrig darunter gemogelt haben. Wenn Sie Pech haben, landen Sie bei einer Nettoneuverschuldung von zirka 62 bis 63 Milliarden DM, und dann haben Sie das Ziel wieder verfehlt. So sieht es aus.
Wir haben im Laufe dieser Woche darzustellen versucht, daß wir ein ganzes Antragspaket erarbeitet haben, in dem wir unsere Einnahmen und Ausgaben gegenüberstellen, mit dem wir unsere politischen Vorschläge sogar zum Teil finanzieren könnten und mit dem wir bei der Nettoneuverschuldung trotzdem auf solide 55 Milliarden DM kommen, weil wir zum Beispiel auch den Ansatz für die Bundesanstalt für Arbeit und für Arbeitslosenhilfe in vollem Umfang eingesetzt und seriös gegenfinanziert haben. Im Gegensatz zu Ihrer Behauptung, wir hätten keine Vorschläge oder keine Konzeption, ist das zum Beispiel ein sehr tiefgreifender konzeptioneller Vorschlag.
Weiterhin möchte ich beim Thema Konsolidierung auf folgendes hinweisen: Wir haben eine Reihe der Änderungs- und Kürzungsvorschläge der Koalition mitgetragen; meines Erachtens in einem Volumen von fast 2,5 Milliarden DM. Das heißt, daß also der Vorwurf an die Opposition, wir betrieben keine Konsolidierungspolitik, völlig haltlos ist. Das ist eindeutig.
1997 ist das entscheidende Jahr für die Qualifikation zum Start der Währungsunion. Der Finanzminister beharrt auf der strikten Einhaltung der Kriterien. Das wird allmählich ein Eigentor. Der Musterknabe Theo Waigel beschimpft die anderen in Europa - wie hat er die Italiener vor einem Jahr noch heruntergemacht -, aber selber muß er mogeln, damit er seinen Haushalt klarziehen kann.
Das erinnert etwas an den Ruf „Haltet den Dieb!", Herr Waigel.
Geben Sie doch einfach zu, daß Sie mogeln müssen! Ganz Europa mogelt inzwischen bei dieser Währungsunion. Die Franzosen bedienen sich bei den Pensionsrückstellungen der France Télécom, die Spanier, Portugiesen und Belgier verscherbeln ihr Gold, ihre Grundstücke und ihre Staatsfirmen - siehe Waigelwisch vom letzten Jahr; 3 Miliarden DM „Sonstiges" -, in Österreich wird inzwischen gesagt, der Haushalt sei nach dem Grundsatz aufgestellt, nach dem Stichtag zur Währungsunion komme die
Antje Hermenau
Sintflut, und die Deutschen haben neben ihrer stillen Zukunftsverschuldung durch die Pensionslasten - seit Minister Kanthers Versorgungsbericht wissen wir ja, was auf uns zukommt - dann auch noch diesen unsoliden Haushalt 1997, bei dem das dicke Ende erst noch kommt.
So wird das Vertrauen in die europäische Währungsunion natürlich nicht hergestellt, weder in der Bevölkerung noch bei den Bankern, noch in der Wirtschaft. Ich weiß nicht, wie Sie das verantworten wollen.
Graf Lambsdorff hatte für den Haushalt des Jahres 1996 ein Haushaltssicherungsgesetz verlangt. Danach hat die F.D.P. ihn schnell weggeschlossen, damit er es nicht noch einmal sagen konnte. Aber ich frage mich natürlich, ob nicht für den Haushalt 1997 ein solches Haushaltssicherungsgesetz nicht noch viel wichtiger gewesen wäre; denn dieser ist noch unsolider als der letzte Haushalt.
Kommen wir noch zu einigen dieser Mogelpackungen, die uns hier untergeschoben und als seriöse Finanzpolitik dargestellt werden, zum Beispiel die Kreditermächtigungen. Nach § 18 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung gelten solche Kreditermächtigungen bis zum Ende des nächsten Haushaltsjahres noch fort. Das heißt, man durchbricht das Jährlichkeitsprinzip und unterläuft damit im Prinzip auch den Sparzwang, und zwar so, daß der Finanzminister Möglichkeiten hat, die Verschuldung noch einmal zu ändern. Ich finde, daß man dieser Vorgehensweise auf jeden Fall etwas entgegenhalten muß. Wir haben dazu auf Grund der dankenswerten Initative meines Kollegen Metzger einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht.
- Das haben auch schon andere gesagt, Herr Diller.
Eine weitere Mogelpackung sind die Privatisierungsvorhaben. Schon im Haushaltsplan für das Jahr 1996 hatte Herr Waigel 9 Milliarden DM Privatisierungserlöse eingestellt. Wir haben damals über diesen berühmt-berüchtigten Waigelwisch gesprochen und festgestellt, daß ein Teil dieser Vorhaben im Jahr 1996 nicht realisierbar sein würde. Jetzt werden sie für 1997 wieder aufs Podest gehoben.
Ich erinnere mich an Kollegen Weng von der F.D.P., der hier vollmundig erklärte, „der Haushaltsvollzug im kommenden Jahr braucht Ihre ganze Kraft, Herr Minister Waigel; mit der Durchführung der geplanten Privatisierung sind Sie persönlich im Wort. Hierbei haben Sie uns an Ihrer Seite" . Ich nehme an, er meinte den Vollzug des Wortbruches bei der Privatisierung.
Kollege Wengs Ausführungen zur Rückführung des Solidarzuschlages erspare ich mir und Ihnen. Aber eines ist natürlich in den letzten Wochen klargeworden, meine Damen und Herren von der Koalition: Der Weg von der CSU zur F.D.P. ist viel weiter, als ich das je gedacht habe. Wenn ich mir vor Augen führe, daß die CSU in ihrer Verantwortung als Volkspartei in Bayern weiß, daß sie für den kleinen Mann mit sorgen muß - und das meiner Beobachtung nach in Bayern auch erfolgreich tut -,
dann frage ich mich natürlich, wie Sie von der CSU mit der F.D.P. klarkommen, deren Klientel sich persönlich kennt.
Vor dem Hintergrund kann ich mir vorstellen, welche Schwierigkeiten Sie in der Koalition haben, was den Haushalt 1997 betrifft.
Ich habe, wie gesagt, die mysteriösen Worte des Finanzministers Huber erwähnt. Ich denke, bei der Debatte über die Grunderwerbsteuer werden wir sehen, daß es wieder eine Kollision zwischen der F.D.P. und der CSU gibt.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Klima der Bereinigungssitzung sagen; das ist ja teilweise auch kolportiert worden. Zum einen möchte ich vor allen Dingen den Mitarbeitern des Sekretariats des Haushaltsausschusses danken, daß sie diese unchristlichen Beratungszeiten tapfer, souverän und ohne pampig zu werden mit uns durchgehalten haben.
Zum anderen muß ich dem Kollegen Kurt Rossmanith durchaus sagen: Er hat die Rolle des Vorsitzenden sehr gut gemacht, besser jedenfalls, als ich es je gedacht habe. Er ist in seinem Amte sehr gewachsen.
Aber in der Bereinigungssitzung hat er sich dann so verhalten, daß ich dieses Lob wieder zurücknehmen muß. Als nämlich beantragt wurde, man möge zwei Tage für die Bereinigungssitzung ansetzen, einen für Personal-, einen für Sachtitel, war es leider nicht möglich, gemäß normaler parlamentarischer Gepflogenheit vorzugehen. Ich finde, das geht leider auch auf die Kappe des amtierenden Vorsitzenden.
Ich habe das Gefühl, die Koalition hat sich davon versprochen, sie könne es wie beim letztenmal, als wir ja die Bereinigungssitzung verlassen haben, wieder so durchpeitschen. Aber darüber haben Sie sich natürlich getäuscht. Ihnen mußte eigentlich klar sein,
Antje Hermenau
daß die Opposition nicht nur eine Vielzahl von Fragen, sondern auch eine Vielzahl von Änderungsvorschlägen einbringen würde, wenn Sie uns einen solch unsoliden Haushalt vorlegen.
Ich habe gestern morgen bei meiner Rede zum Einzelplan des Wirtschaftsministeriums ausgeführt, daß zu meiner großen Erheiterung beigetragen hat, wie sich die F.D.P. die Zukunft der Arbeitslosen in diesem Land vorstellt - die Arbeitslosenzahlen werden Sie natürlich nicht halbieren; das ist ein völlig vages und falsches Versprechen -, nämlich daß alle in diesem Lande zu Aktienbesitzern, zu Rentiers werden. Ich habe mich an ganz alte Zeiten erinnert, als man uns versuchte nahezubringen, daß Lenin einmal ausführte, daß im Kapitalismus alle Staaten zu Rentiersstaaten würden. Ich habe mich maßlos erheitert; denn damals habe ich den Leuten auch nicht geglaubt.
Danke schön.