Rede von
Hans Georg
Wagner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Freude und Genugtuung stelle ich fest, daß Sie, Herr Finanzminister, wieder gesundet und unter uns sind. Herzlich willkommen! Wir freuen uns, daß Sie wieder hier sind.
Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bleibe nicht bis zum Schluß so freundlich.
- Das war auch ehrlich gemeint, Herr Minister.
Zunächst einmal habe ich als zeitweise amtierender Vorsitzender des Haushaltsausschusses den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haushaltsausschusses, die uns ertragen müssen, herzlich zu danken.
Was wir uns selbst verordnen, nämlich nächtens, bis morgens um halb vier, zu tagen, ist ja nicht gerade einfach. Auch die Arbeitsintensität leidet darunter, wie wir gestern an einem bestimmten Punkt schmerzlich erfahren haben.
- Wir haben im Gegensatz zu Ihnen nicht geschlafen. Sie schlafen ja, wenn Sie wach sind. Das ist das Schlimme an der ganzen Geschichte, Herr Kollege Dr. Weng.
Zumindest erwecken Sie den Eindruck, als ob sie permanent schlafen.
Eines muß ich feststellen: Bedauerlicherweise ist zum erstenmal in der Geschichte des Bundestages der Haushalt des Bundestages selber nicht einvernehmlich verabschiedet worden. Die Kürzungsabsichten der Koalition wurden nicht im Berichterstattergespräch vorgetragen. Deshalb konnte der Haushalt nicht einvernehmlich getragen werden. Ich bedauere das außerordentlich und hoffe sehr, daß wir in der nächsten Beratung wieder zu der allgemeinen Regel zurückkehren, zumindest den Haushalt des Bundestages gemeinsam zu tragen.
Die Verfahrensweise bei der Haushaltsberatung wird von Jahr zu Jahr hektischer. Die Vorlagen werden am letzten Tag oder sogar in den letzten Minuten oder Sekunden produziert. Die Vorlagen tragen nicht einmal mehr die Überschrift „Arbeitsgruppe Haushalt" der CDU/CSU oder der F.D.P., sondern meistens die Überschrift „Bundesminister der Finanzen". Da weiß man, wo der Antrag eigentlich herkommt. Ich halte das nicht für gut.
Hans Georg Wagner
Wenn Sie schon, wie wir ja wissen, die Vorbereitungen für die Koalition treffen, dann sollte man es bitte nicht so offensichtlich machen, daß auf dem Fax nur noch Ihr Absender steht und nicht einmal erkennbar ist, daß die Koalition Antragsteller ist, wie es im Verfahren zum Haushalt eigentlich sein sollte.
Eine sorgfältigere Aufstellung des Bundeshaushalts erscheint mir jedenfalls dringend notwendig und für die Zukunft unabdingbar; denn angesichts dessen, daß hier über mehr als 400 Milliarden DM entschieden wird, geht es nicht an, daß die Sorgfaltspflicht von Anfang an nicht gewahrt wird.
Ich halte es für verantwortungslos, Herr Minister Waigel, daß man, nachdem der Haushaltsentwurf im Juli beschlossen worden ist, in der Bereinigungssitzung plötzlich feststellt, daß es noch einen Spielraum von 3 Milliarden DM für Einsparungen gibt. Da kann doch irgend etwas nicht stimmen.
Entweder ist die Vorbereitung nicht so erfolgt, wie sie sein sollte, oder es stimmt irgend etwas in der Haushaltsberatung nicht, oder es ist ein Showgeschäft, bei dem man sagt: Die Koalition hat die Chance, ihren Willen zum Sparen unter Beweis zu stellen, indem versucht wird, in der letzten Sekunde noch etwas herauszuholen. Ich meine, eine sorgfältige Vorbereitung des Bundeshaushalts durch die Bundesregierung wäre das Vernünftigste. Deshalb sollten Sie zu dieser Vernunft zurückkehren.
Der Haushalt des Jahres 1997 hat drei Überschriften: Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit. Mit über 2 Billionen DM hat der Haushalt die größten Schulden seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, mit fast 30 000 Pleiten im Jahre 1996 liegen Sie absolut an der Spitze aller Bundesregierungen, was die Pleiten anbelangt, und mit einer Arbeitslosigkeit von weit über 4 Millionen Arbeitslosen liegen Sie auch an der Spitze aller Bundesregierungen.
Die drei Überschriften - Schulden, Pleiten, Arbeitslosigkeit - haben fünf Namen. Für die Schulden stehen Kohl, Waigel, Schäuble, Sohns und Gerhardt.
Für die Pleiten in Deutschland stehen Kohl, Waigel, Schäuble, Sohns und Gerhardt.
Für die Massenarbeitslosigkeit stehen fünf Namen: Kohl, Waigel, Schäuble, Solms und Gerhardt.
Das sind diejenigen, die im Zusammenhang mit diesen drei Überschriften genannt werden müssen.
In allen Neujahrsansprachen des Bundeskanzlers seit 1983 sagt er mit tiefbetrübter Miene: Meine Damen und Herren! Liebe Landsleute! Die größte Aufgabe des nächsten Jahres ist die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. - Sehen wir einmal nach 13 Jahren hin, wie das aussieht. Jedes Jahr gibt es 200 000 Menschen mehr, die keine Arbeit haben. Das ist die Bilanz von 13 Jahren Regierung Kohl in der Bundesrepublik Deutschland.
- Da sagen Sie, Frau Kollegin Albowitz, auch noch „Gott sei Dank". Sie scheinen sich um die Arbeitslosen überhaupt nicht zu bekümmern. Bei der F.D.P. und ihrer Klientel kann ich das verstehen.
- Sie haben gesagt „Gott sei Dank", als ich davon sprach, daß hohe Arbeitslosigkeit verwerflich ist. Es ist schlimm, mit welchem Zynismus man offenbar mit den Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland umgeht.
Es ist diese Woche gesagt worden, daß es dringend notwendig sei, eine europaweite Beschäftigungsoffensive einzuleiten. Denn vielleicht kann das Problem der Massenarbeitslosigkeit gemeinsam beseitigt werden und so die Linderung des Schicksals von 18 Millionen Menschen in der Europäischen Union gelingen. Ihre Rezepte haben sich als wirkungslos erwiesen. Sie sind mit Ihrer Politik gescheitert.
Ihre hilflosen, jammernden Appelle an die Unternehmer bewirken offenbar gar nichts. Sie sind von denen veräppelt oder, wie wir Saarländer sagen, verarscht worden mit Zusagen, die nicht eingehalten werden. Das deutsche Ansehen in aller Welt war stets mit Wirtschaftsführernamen verbunden. Ich erinnere an Herrn Bosch, Herrn Benz, Herrn Siemens und Herrn Dornier, um nur vier beispielhaft zu nennen.
Sie standen in der ganzen Welt für Innovation und Qualität.
Betrachten wir die Unternehmerpersönlichkeiten, die es heute in Deutschland gibt. Heute steht derje-
Hans Georg Wagner
nige, der die meisten Arbeitnehmer aus seinem Betrieb hinausgeschmissen hat, an höchster Stelle und genießt höchstes Ansehen. Das ist eine Verkehrung dessen, wie früher Wirtschaftsführer in Deutschland gewirkt haben.
Günter Ogger hat ein Buch geschrieben: „Nieten in Nadelstreifen". Darin kann man wirklich nachlesen, daß es in der Bundesrepublik Deutschland im Unternehmerlager Nieten gibt, die nur erfolgreich sind, wenn sie Leute aus den Betrieben hinausschmeißen, statt hier im Lande neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Sie haben im Laufe der Debatte permanent das Stichwort Verlagerung von Investitionen ins Ausland geliefert. Betrachten wir das genau. Es liegt ja der Überblick des Jahres 1995 vor. Wie war es wirklich mit den Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft?
1995 gab einen Kapitalexport in Höhe von fast 48 Milliarden DM und einen Kapitalimport in Höhe von fast 14 Milliarden DM. Die Frage lautet: Wo hat die deutsche Wirtschaft eigentlich investiert? Fast 93 Prozent der deutschen Auslandsinvestitionen wurden in Ländern wie Amerika, Japan und der Europäischen Union getätigt. In den Ländern, die hier immer als Niedriglohnländer angeführt werden, in die man investieren müsse und werde - China, die mittel- und osteuropäischen Staaten und die Entwicklungsländer -, sind nur 5,2 Prozent der Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft getätigt worden. Das heißt, es ist eine große Lüge, wenn hier behauptet wird, man würde Arbeitsplätze in Länder exportieren, die Niedriglöhne zahlen. Man exportiert vielmehr dorthin, wo schon hohe Löhne gezahlt werden: in die USA, nach Japan und in Staaten der Europäischen Union.
Ich will einmal die vom Statistischen Bundesamt zusammengestellten Investitionen nennen: Die 25,56 Milliarden DM, die im Ausland investiert worden sind, sind meistens Übernahmen von Firmen. Die Firma Hoechst AG hat in den Vereinigten Staaten für 10 Milliarden DM Kaufpreis die Firma Marion Merell übernommen. Das ist also keine Investition, sondern die Übernahme eines Betriebes. ITT Finanzen wurde in Amerika für 3,6 Milliarden DM von der Deutschen Bank übernommen. Die Fresenius AG engagierte sich in den USA mit 3,3 Milliarden DM und die Robert Bosch GmbH ebenfalls in den USA mit 2,4 Milliarden DM, die Dresdner Bank und BASF engagierten sich mit jeweils ungefähr 2 Milliarden DM in England, die Deutsche Telekom Mobilfunk engagierte sich mit 0,82 Milliarden DM in Indonesien, die Bayer AG mit 0,8 Milliarden DM in den USA und die Gehe AG mit 0,58 Milliarden DM in England. Das ergibt die Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft.
Arbeitsplätze wurden nirgendwo geschaffen. Im Gegenteil: In der metallverarbeitenden Industrie, in der Deutschland investiert hat, sind in den betroffenen Ländern USA, Japan und Europäische Union von 18,8 Millionen Arbeitsplätzen nur noch 14,8 Millionen Arbeitsplätze übrig. Die deutsche Wirtschaft hat also nicht nur bei uns, sondern auch im Ausland 4 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Das ist die Realität.
Ein Stichwort in diesen Tagen war wohl auch die Frage des Beschlusses der SPD vom vergangenen Montag hinsichtlich der Ausbildungsplatzumlage, übrigens keine sozialistische Erfindung. Erinnern Sie sich einmal: Als ein Herr Friderichs noch Bundeswirtschaftsminister war, gab es eine solche Umlage bereits. Das Bundesverfassungsgericht hat damals festgestellt, daß eigentlich ein Überangebot von 12,5 Prozent an Ausbildungsplätzen normal und richtig wäre. Bei einem geringeren Überangebot müßte man eine Umlage kassieren.
Was haben Sie denn eigentlich gegen die Hunderttausenden von Handwerksmeisterinnen und Handwerksmeistern, die jedes Jahr redlich ausbilden und denen wir durch diese Umlage finanziell helfen wollen? Was haben Sie gegen den Mittelstand, den Sie doch immer auf Ihre Fahnen geschrieben haben?
Ich sage als Sozialdemokrat den Hunderttausenden von Handwerksmeisterinnen und Handwerksmeistern der mittelständigen Wirtschaft danke, die treu und brav ihre Ausbildungsverpflichtungen erfüllen, anders als die Schmarotzer, die die Arbeitnehmer nachher, wenn sie fertig ausgebildet sind, übernehmen und nicht selber ausbilden.
Sie, meine Damen und Herren, machen sich zum Verteidiger dieser Schmarotzer, wie ich sie nenne, die anderen die Ausbildungsplatzkosten aufbürden und selbst nichts tun.
Sie zocken zugunsten von Millionären Millionen von Menschen ab. Das ist eine Politik, die wir nicht mitmachen können.
Ihre Politik - das umschreibt auch den Haushalt 1997 - ist nichts anderes als staatliche Reichtumspflege. So nenne ich Ihre Politik.
Nun noch zu einem Stichwort, das hier immer wieder genannt worden ist. Wenn es um den Abbau von
Hans Georg Wagner
Subventionen geht, fällt Ihnen nichts anderes als die deutsche Steinkohle ein. Dazu muß ich auch als einer, der aus einem betroffenen Land kommt, einmal ein Wort sagen: Wer der Importkohle das Wort redet, wie viele von Ihnen das tun, der soll auch öffentlich zugeben, daß er für Kinderarbeit ist.
- Ja, Sie sind zu dumm, um das zu wissen. - In Kolumbien wird die Kohle durch Kinderarbeit gefördert.
Das ist nun einmal nachgewiesen. Ich begrüße, daß sich der Bundespräsident in Nepal gegen Kinderarbeit ausgesprochen hat. Sie, die „christlichen" Politiker, sind für Kinderarbeit im Kohlebereich. Das sind Sie mit Ihrer Steinkohlepolitik; lassen Sie sich das gesagt sein.
Die weltweite Nachfrage nach Steinkohle ist im Steigen begriffen. Es wäre pure Dummheit, wenn man diese Energie bei uns aufgeben würde. Man hat überhaupt keinen Ersatz an sicherer Energie. Deshalb ist derjenige, der gegen die Steinkohle in Deutschland so polemisiert, wie Sie das schon seit Jahren tun, auch gegen die Technologie, die in diesem Bereich entwickelt worden ist und die weltweit Spitze ist. Wer gegen Kraftwerks-, Bergwerks- und Umwelttechnologien aus Deutschland ist, der ist christlicher Demokrat. Daß dies so ist und daß Sie so technikfeindlich sind, tut mir furchtbar leid.
Auch das Unwesen, das Sie im Forschungshaushalt treiben, führt dazu, daß viele wichtige Forschungsvorhaben nicht realisiert werden können, und ist eindeutig gegen die künftige Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Wer so technologiefeindlich wie Sie ist, der muß sich fragen lassen, wie er denn die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland überhaupt gestalten will.
Wir haben in diesen Tagen - so meine ich jedenfalls, und es ist auch in der Presse so dargestellt worden - klare Alternativen entwickelt. Wir haben sie in den Debatten aufgezeigt; hier wird sichtbar, daß dies eine andere Wirtschaftspolitik bedeutet. Wir wollen weg vom Abzocken der Millionen und der Hilfe für die Millionäre
hin zum Umgekehrten: Millionäre abzocken und Millionen helfen. Das ist eine vernünftige Wirtschaftspolitik.
Sie, Herr Pfarrer Hinze, können sich zu Wort melden, wenn Sie etwas sagen wollen. Ich bin gerne bereit, darauf zu antworten. Mich freut immer, daß ein evangelischer Pfarrer diese berühmte Rolle hier spielt. Dazu muß ich Ihnen allerdings einmal sagen, daß ich als evangelischer Christ manchmal kräftige Schamgefühle habe, daß Sie sich evangelischer Pfarrer nennen dürfen.
Wir haben die wichtigsten politischen Aufgaben dieser Tage öffentlich mitgeteilt bekommen. In einer Umfrage von Emnid haben sich 86 Prozent der Befragten für den Faktor Arbeit als wichtigsten Gegenstand der Politik ausgesprochen. Deshalb unsere Forderung, eine Beschäftigungsoffensive einzuleiten. Mit diesem Haushalt ist das natürlich nicht gelungen. Wir bedauern es außerordentlich.
An zweiter Stelle herrscht bei 66 Prozent der Bevölkerung die Sorge um die Renten vor: Auch da haben Sie erheblich zur Verunsicherung beigetragen, indem aus Ihren Reihen die Besteuerung von Renten angesprochen wird. Da passiert ein ungeheuerlicher Skandal.
Bei den Steuern sind 63 Prozent der Menschen in Deutschland der Auffassung, daß sie ungerecht sind. Deshalb erneut das Angebot an Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Steuerreform bereits im Jahre 1998 und nicht erst 1999 durchzuführen. 61 Prozent haben die soziale Frage an die Spitze gestellt; auch in diesem Bereich sind Sie führend im Abbau von sozialen Leistungen.
Meine Damen und Herren, Sie werden verstehen, daß wir auch in dritter Lesung diesem Haushalt und diesem Haushaltsgesetz nicht zustimmen können.