Rede von
Ottmar
Schreiner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da der Kollege Austermann in den letzten Minuten ständig den Begriff „SPD- Blockade" gebracht hat, möchte ich Sie nur darauf hinweisen, daß ein einstimmiges Votum des Vermittlungsausschusses aus der letzten Zeit - es ging damm, zusätzliche sozialversicherungsfreie 590-DM-Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig zu machen - bis zur Stunde in diesem Parlament nicht behandelt worden ist, weil Teile der CDU/CSU-Fraktion und die F.D.P.-Fraktion sich weigern, dem zuzustimmen.
Reden Sie also nicht über eine Blockade der SPD im Vermittlungsausschuß!
Ich kann Ihnen eine Reihe von Beispielen nennen, wo Teile der CDU/CSU-Fraktion und die F.D.P.-Fraktion dem Votum des Vermittlungsausschusses, das ihre Vertreter dort verabredet hatten, im Plenum nicht zustimmen wollten. Wenn das nichts mit Blokkade zu tun hat, dann möchte ich einmal wissen, was Blockadepolitik ist.
In bezug auf die 590-DM-Verhältnisse haben Sie in den letzten Jahren mehrere Initiativen der SPD-Bundestagsfraktion hier im Parlament vorliegen gehabt. Sie haben aber alle abgelehnt. Erst in den letzten Monaten dämmert es zumindest der CDU/CSU, nachdem Ihre Beschäftigungsinitiativen - ich komme nachher darauf zurück - jämmerlich an die Wand gefahren worden sind, daß Sie regelrecht über die Dörfer gehen müssen und nach jedem Strohhalm, der beschäftigungspolitisch etwas bringen könnte, Ausschau halten müssen.
Deshalb sind einige Ihrer Kollegen auf die Idee gekommen, für den Bereich der 590-DM-Verhältnisse Quotenregelungen für die Betriebe einzuführen. Wenn die SPD mit Quotenvorschlägen kam, haben Sie uns immer des Bürokratismus gescholten. Jetzt kommen Sie selbst mit Quotenregelungen im Bereich der 590-DM-Jobs. Einige von Ihnen, etwa Bundesarbeitsminister Blüm, fordern, daß zumindest die zusätzlichen 590-DM-Arbeitsverhältnisse sozialversicherungspflichtig gemacht werden müssen. Sie sind in beiden Fragen bis zur Stunde nicht handlungsfähig.
Es ist geradezu bezeichnend, wenn der Vizepräsident des württembergischen „Kamelzüchterverbandes", der verehrte Herr Kollege Fuchtel, bei der Frage aus der SPD-Fraktion, wie er es mit den 590- DM-Verhältnissen halten wolle, den Fragesteller an die F.D.P. verweist. Das ist doch ein Jammerbild allererster Güte: Der Schwanz wackelt ständig mit dem Hund - in diesem Fall mit dem Kamel.
Um dies auf Ihre Situation zu übertragen: Nicht das Kamel wackelt mit dem Schwanz, sondern der Schwanz F.D.P. wackelt mit dem Kamel Fuchtel. Das ist die Lage, lieber Herr Kollege.
Der Kollege Austermann hat einige Ausflüge in den Bereich Entsenderichtlinie unternommen. Herr Kollege Austermann, wenn irgend jemand mit diesem Thema intellektuell überfordert ist, dann sind Sie es; denn Sie haben augenscheinlich überhaupt nichts verstanden.
Ottmar Schreiner
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte hier vor drei Jahren einen Antrag eingebracht und auf das Problem hingewiesen, daß der Einsatz von vom Ausland entsandten Arbeitnehmern, die hier für 3, 4, 5, 6 oder 7 DM Stundenlohn jämmerlich ausgenutzt werden, zu einem massiven Verdrängungsprozeß und damit zur Arbeitslosigkeit einheimischer Arbeitskräfte geführt hat. Vor drei Jahren gab es also den ersten Vorstoß. Es kamen sodann zwei Gesetzentwürfe der SPD-Bundestagsfraktion, die jeder für sich allein das Problem wesentlich besser, schneller und rascher gelöst hätten als das, was die Koalition hier insgesamt geboten hatte. Der entscheidende Widerstand kam aus Teilen der CDU/CSU-Fraktion und wiederum aus der F.D.P.-Fraktion.
Der einzige, der offen zugegeben hatte, aus welchen Gründen man kein Entsendegesetz haben wolle, war der verehrte Kollege Lambsdorff, dem man vieles vorhalten kann, aber eines nicht, daß er nämlich nicht offensiv seine Auffassung vertritt.
Graf Lambsdorff hat vor wenigen Monaten im „Handelsblatt" sinngemäß gesagt, man wolle kein Entsendegesetz, weil es die Tarifautonomie in Deutschland schütze und - dies in dankenswerter Offenheit - weil ohne dieses Gesetz im Umkehrschluß die Tarifautonomie den Bach heruntergehe, und das
- so Graf Lambsdorff - wolle man.
Das war der entscheidende Grund, warum die Koalition über viele Monate in dieser Frage völlig handlungsunfähig war und dann zum Schluß ein jämmerliches, zeitlich befristetes Ergebnis präsentiert hat, mit dem auf lange Sicht das Problem überhaupt nicht in den Griff zu bekommen ist.
Lieber Kollege Fuchtel, Sie haben den verehrten Bundesarbeitsminister, Herrn Dr. Blüm, als „Aschenbrödel", „Aschenputtel" oder „Aschengrittel" - so steht es hier - bezeichnet.
- Nein, das stammt aus dem „Großen Brockhaus". Wenn der „Große Brockhaus" eine Beleidigung ist, dann möchte ich wirklich einmal wissen, wo wir hier gelandet sind.
Ich zitiere jetzt aus dem „Großen Brockhaus", und zwar aus der Leipziger Ausgabe von 1928. Die müßten Sie kennen.
Dort steht auf der Seite 731 - ich erleichtere Ihnen damit die Quellensuche -:
Aschenbrödel, auch Aschenputtel, Aschengrittel, eigentlich ein Küchenjunge, der in der Asche
- jetzt müßte man sagen: in der Asche seiner sozialpolitischen Grundsätze -
buddelt, ... dann überhaupt einer, der schmutzige Arbeit verrichtet.
Das alles trifft auf den Kollegen Blüm zu. Er verrichtet nämlich in der Tat die Schmutzarbeit für die Koalition.
- Herr Kollege Schäuble, wenn Sie es genau wissen wollen: Das ist nicht nur ein Küchenjunge, der in der Asche seiner sozialpolitischen Grundsätze buddelt. Hier steht auch:
... im Märchen vielfach Name oder Bezeichnung des jüngsten Sohnes, der jüngsten Tochter, die, in ihrer Jugend verachtet, unvermutet zu höchstem Glanze aufsteigen.
Ich füge hinzu: und alsbald abstürzen.
Es fehlt noch des Dramas dritter Teil, aber den werden wir, wie ich annehme, nicht als Einzelstück des Herrn Blüm erleben, sondern als kollektive Nummer dieser Bundesregierung.
Ich möchte jetzt zu einem wesentlichen Punkt kommen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen, in vorderster Spitze der verehrte Kollege Dr. Heinrich Geißler, haben - -
- Gut, Heiner, ich wollte es jetzt einmal ganz vornehm machen, weil Sie sich ja neuerdings zur rhetorischen Speerspitze neoliberaler Politik machen. Deshalb wollte ich das auf die gebotene Ebene bringen.
Wie dem auch sei, die Bundesregierung hat über Monate hinweg der Bevölkerung in Deutschland weiszumachen versucht, nur durch deutliche Rücknahme von Arbeitnehmerschutzrechten, durch deutliche Eingriffe in erworbene Rechte - Stichworte: Abschaffung des Kündigungsschutzes, gesetzlicher Eingriff in die Lohnfortzahlung, Zurückführung der Arbeitsmarktpolitik, Bruch des Rentenkonsenses von 1989 - sei in Deutschland Beschäftigung zu erreichen und Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Das war die zentrale Behauptung Ihrer Reden. Herr Kollege Dr. Heinrich Geißler
Ottmar Schreiner
- also gut, ich sage dann eben Heiner -, Sie hatten bei der ersten Lesung des sogenannten Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes am 23. Mai dieses Jahres - das ist jetzt gerade einmal ein halbes Jahr her - folgendes ausgeführt:
Die Analyse des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks kommt zu dem Ergebnis: Wenn ihr das macht, dann werden ungefähr 40 Prozent der Handwerksbetriebe neue Leute einstellen. Herr Murmann erklärte . . ., er rechne im nächsten Jahr mit 500 000 neuen Stellen durch das Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung.
Jetzt noch immer Heiner Geißler.
Angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen kann man doch nur zu dem Schluß kommen: Jetzt machen wir es halt! Jetzt müssen wir es einfach tun!
So Originalton Geißler.
Vor wenigen Tagen, Herr Kollege Geißler, erklärte Herr Schleyer vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, daß im Handwerk, wie Sie hier vor einem halben Jahr vorgetragen haben, im nächsten Jahr nicht 40 Prozent der Betriebe zusätzliche Beschäftigung schaffen wollen, sondern daß das deutsche Handwerk im nächsten Jahr massiv Beschäftigung abbauen will.
Von Dr. Murmann ist ähnliches zu hören.
Alle Prognosen, die wir kennen, signalisieren, daß bei einem Wachstum von 2,5 Prozent - das ist vergleichsweise hoch gegriffen - im nächsten Jahr die Arbeitslosigkeit auf deutlich über 4 Millionen im Jahresdurchschnitt ansteigen wird.
Das heißt: Die Arbeitgeber haben all das, was Sie hier im deutschen Parlament zur Begründung Ihrer sozialen Schweinereigesetze dargelegt haben, konterkariert und im nachhinein gesagt: Alles dummes Zeugs, wir schaffen keinen einzigen Arbeitsplatz, wir werden im nächsten Jahr weiter Arbeitsplätze abbauen! - Sie sitzen hier wie die betrogenen Betrüger. Das ist so.
Es kommt noch viel doller. Es gibt in Sachen Beschäftigungspolitik kaum einen Punkt, an dem man diese Regierung noch fassen kann, weil jeden Tag etwas völlig anderes gesagt wird. Über Jahre hinweg ist die Meinung vertreten worden, der Wirtschaftsstandort Deutschland sei hundsmiserabel, dies müsse geändert werden. Jetzt eine völlig neue Tonlage: Mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland stehe es sehr gut. Ich könnte Ihnen den Kollegen Uldall und eine Reihe anderer Leute zitieren.
Meine Güte, wenn Sie, die Koalition, den Standort Deutschland jahrelang in Grund und Boden geredet haben, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn es aus dem Ausland und von Inländern nicht zu den notwendigen Investitionen kommt. Sie haben mit Ihrer politischen Agitation wesentlich dazu beigetragen, die notwendigen Investitionen in Deutschland schlechtzureden und zu verhindern.
Nächster Punkt. Über Jahre ist die Koalition durch die Lande gezogen und hat beklagt, daß die Steuerquote in Deutschland zu hoch sei. Richtig ist in der Tat, daß die Lohnsteuerquote zu hoch ist. Sie schröpfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, daß es nur so wackelt. Jetzt heißt es allerdings wiederum vom Steuerexperten Uldall - so in einem Zeitungsbericht vor wenigen Tagen -, daß die Steuerquote in Deutschland „extrem niedrig" sei.
Was ist denn eigentlich richtig? Richtig ist ohne Zweifel, daß die Kapitalertragsteuer und die Unternehmensteuern nie so niedrig und die Lohnsteuern nie so hoch wie heute waren. In dieser Situation gibt die Koalition als Losung aus: Abschaffung der Vermögensteuer. Es ist wirklich zum Bepinkeln. Es ist wirklich nicht mehr zu machen.
Ich will zum Zusammenhang - meine Redezeit eilt bedauerlicherweise davon - von Lohnnebenkosten und Beschäftigung einige Sätze sagen, weil von seiten der Koalition auf diesen Zusammenhang immer wieder hingewiesen worden ist. Wir haben einen Gesamtversicherungsbeitrag von über 40 Prozent. Strategisches Ziel der Regierung war, unter 40 Prozent zu kommen.
- Und der Gewerkschaften. Übrigens auch der SPD, das füge ich hinzu; denn der Gesamtversicherungsbeitrag ist eindeutig zu hoch.
Ich will Ihnen erklären, warum er so hoch ist. Das hängt wesentlich damit zusammen, daß wir schon in den 80er Jahren eine drastische Verschiebung in der Finanzierungsstruktur der Sozialleistungen hatten, nämlich zu Lasten der Sozialversicherungsbeiträge und zugunsten der steuerfinanzierten Anteile. Mit anderen Worten: Der beitragsfinanzierte Anteil, also der über die Lohnnebenkosten finanzierte Anteil, ist bereits in den 80er Jahren deutlich ansteigend gewesen, und der steuerfinanzierte Anteil ist rückläufig gewesen.
Diese schiefe Entwicklung aus den 80er Jahren, diese zusätzliche Belastung des Faktors Arbeit, ist in den 90er Jahren einem ganz neuen Höhepunkt zugestrebt, und zwar aus Gründen einer ordnungspolitisch völlig falschen Finanzierung der deutschen Einheit. Eine Strategie dazu hatten Sie nie.
Ottmar Schreiner
Dazu will ich Ihnen jetzt einen Herrn aus der CDU/ CSU zitieren. - Wenn der Herr weiterredet, nenne ich seinen Namen; ansonsten bin ich kein Petzer. Ich habe hier einen Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 19. Oktober dieses Jahres, Seite 3. Von einem Journalisten wird aus einem Gespräch mit einem Mann zitiert, der „seit Jahrzehnten in der politischen Führungsebene der Union einen Namen hat". Der Mann sitzt hier unter uns; ich werde aber seinen Namen nicht nennen, weil ich kein Petzer bin.
- Die „FAZ" hat ihn auch nicht genannt. Sie hat nur, um von seinem Namen abzulenken, den Bundeskanzler im Foto abgebildet.
Jetzt zitiere ich Ihnen einige Sätze aus diesem Gespräch mit der „FAZ", die zeigen, daß die Opposition in den letzten Jahren die völlig falsche Finanzierung der deutschen Einheit nicht annähernd mit der gleichen Schärfe gegeißelt hat. Der CDU-Politiker nennt fünf kardinale Fehler. Es geht so los:
Sie
- diese Lage -
sei, so lautet das Urteil . . ., die Folge einer Reihe von Fehlern, deren erster die fatale Behauptung Kohls im Jahr 1990 gewesen sei, man könne die deutsche Einheit ohne Steuererhöhung finanzieren.
Das ist der erste kardinale Fehler, benannt von einer führenden CDU-Persönlichkeit, die in den Reihen der Unionsfraktion seit Jahrzehnten eine herausragende Rolle spielt.
Zweiter kardinaler Fehler:
Als ebenso falsch habe sich dann das Lavieren mit dem Solidaritätszuschlag erwiesen. Im Frühjahr 1991 habe der Bundesvorstand der CDU auf seiner Klausurtagung in Bad Neuenahr beschlossen, einen Solidaritätszuschlag in Höhe von 7,5 Prozent der Steuerschuld für die Dauer von vier Jahren zu erheben. Aber kaum sei er gefaßt gewesen, habe ihn die Koalition gekippt, dann auf ein Jahr beschränkt, wieder abgeschafft und schließlich nach eineinhalb Jahren doch wieder eingeführt.
In diesem Artikel werden noch drei weitere kardinale Fehler benannt. Ich möchte es aus Zeitgründen bei diesen Zitaten belassen. Der Schlußkommentar des führenden CDU-Politikers lautet:
Es ist unglaublich, daß diese Leute den Staat führen.
Der Journalist schreibt dann:
„Diese Leute", das sind die Mitglieder der Koalitionsrunde, Kohl und Waigel, Glos, Gerhardt und Solms.
Noch einmal das Zitat:
Es ist unglaublich, daß diese Leute den Staat führen.
Meine Damen und Herren, auch wenn Sie es nicht gern hören: So deutlich hat das von uns in den letzten Jahren niemand formuliert.
Was Sie jetzt machen, um aus der Misere herauszukommen: Die systemwidrige Finanzierung einheitsbedingter Lasten im sozialen Bereich soll nun dazu genutzt werden, um im gleichen Volumen den Sozialstaat zurückzufahren, massiv zu beschneiden, soziale Leistungen zu kürzen. Das ist Ihr eigentlicher, von Ihnen selbst gesetzter Handlungszwang, unter dem Sie sich nun bemüßigt fühlen, massiv in die sozialen Leistungen einzuschneiden.
Alle Folgegesetze dieses Jahres werden die Arbeitslosigkeit - ich habe einleitend versucht, es zu begründen - nicht nur nicht zurückführen, sondern sie werden in den nächsten Jahren die Arbeitslosigkeit weiter deutlich erhöhen. Das gilt insbesondere für die Maßnahmen im Bereich der Rentenversicherung. Es ist völlig hirnrissig, bei 4 Millionen Arbeitslosen die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Das macht den jungen Leuten den Zugang zum Arbeitsmarkt noch schwieriger, als er ohnehin schon ist.
Ferner ist es geradezu abenteuerlich, im Rahmen der Reformgesetzgebung zum Arbeitsförderungsgesetz die noch vorhandene Substanz an Instrumenten zur aktiven Arbeitsmarktpolitik auf Restgrößen zurückzudrängen.
Meine Damen und Herren, das eigentliche Risiko des Standortes Deutschland - das gilt sowohl für den Lebensstandort als auch für den Industriestandort - sind die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen. Packen Sie Ihre Koffer und reisen Sie ab!