Rede von
Antje
Hermenau
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein
Antje Hermenau
Haushalt ist eigentlich immer in Zahlen geschriebene Politik und oft nachvollziehbarer und wahrhaftigerer als die vielen Reden, die gehalten werden. Sehen wir uns diesen Haushalt doch einmal an, überlegen wir, was damit implementiert wird, was man im Zahlengewirr als normaler Mensch so nicht erkennen kann, aber was vielleicht dahintersteckt.
Wenn hier von Globalisierungspanik gesprochen wird und allen irgendwie die Verzweiflung im Auge aufblitzt,
dann denke ich mir, daß Herr Rexrodt eigentlich bemüht sein müßte, nicht nach Asien, zu den Märkten zu fliehen, sondern in Europa eine Harmonisierung sowohl hinsichtlich der Wirtschaftsprinzipien als auch hinsichtlich der Harmonisierung der Steuern herzustellen. Denn die Steueroasen in Europa sind diejenigen, die die wandernden Arbeitsplätze, auf die der Bundeskanzler gestern reflektierte, verursachen. Die Arbeitsplätze, die hier fehlen, werden innerhalb Europas ausgelagert. Das ist das Problem; denn dort wird um denselben Markt gekämpft, während die Auslagerung von Produktionskapazitäten in Länder außerhalb Europas eigentlich nur bedeutet, daß man dort neue Märkte erschließt und damit dort auch neue Konditionskapazitäten aufbauen muß.
Vor diesem Hintergrund frage ich mich natürlich, wo Ihr Beitrag zur Europäisierung ist; denn die Globalisierung an sich ist für Sie kein Aufgabengebiet, weil Sie da gar nicht so viel mitmischen können. Ich hätte es gern gesehen, daß Sie sich, nach dem Untergang der klassischen nationalen Volkswirtschaft, die in der alten Weise ja nicht mehr existiert - darin stimmen wir überein, Herr Rexrodt - stärker dafür engagieren, steuerliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Europa zu harmonisieren und damit dazu beizutragen, daß hier Arbeitsplätze geschaffen werden bzw. erhalten werden können. Das erkenne ich aber nicht.
Das Sparpaket erweckt vom Grundsatz her den Anschein, als wollten Sie mit den Billiglohnländern in Asien konkurrieren; aber darin liegen nicht die Chancen Europas. Ich habe das gerade ausgeführt. Meiner Meinung nach fehlt auch ein deutlich erkennbares Regionalisierungskonzept. Es fehlt im Prinzip die Schaffung von wirtschaftlichen regionalen Netzwerken, und Sie müßten natürlich auch die monostrukturierten Gebiete umbauen. Das versuchen Sie, indem Sie von drastischen Reduzierungen der Steinkohlensubventionen sprechen. Beraten Sie sich darüber einmal mit Graf Lambsdorff, der damals Wirtschaftsminister war und das alles eingefädelt hat.
Beraten Sie sich einmal darüber, warum er auf die Idee gekommen ist, soziale Phantasie anzustrengen und dort etwas zu implementieren. Denn Sie haben die soziale Phantasie bei Ihrem Reduzierungspfad,
den Sie vorschlagen, völlig weggelassen, und ich denke, daß das so nicht akzeptabel ist.
Wir unterstützen aber im allgemeinen natürlich den Subventionsabbau; das muß gemacht werden, das ist keine Frage. Die Frage ist aber, auf welche Art und Weise dies geschehen muß. Wenn ich Ihnen vorwerfe, daß Sie dabei keine soziale Phantasie entwikkeln, dann mache ich das am Haushalt für 1997 fest und erkläre, was das bedeutet.
Sie haben zum Beispiel auch innerhalb des Einzelplanes 11 bei Herrn Minister Blüm die Mittel für Fort- und Umschulungsmaßnahmen gekürzt. Der Witz an der Sache ist: Wenn Sie den Kumpeln im Ruhrgebiet sagen wollen, daß in der Produktion Reduzierungspfade enthalten sind, dann müssen Sie den Branchenumbruch, der dort nötig ist, natürlich begleiten, indem Sie die nötigen Umschulungsmaßnahmen anbieten.
Was im Haushalt für 1997 steht, ist folgendes: Man sucht mittelfristig die schnellstmöglichen Ausstiegspfade nach Vorgaben des Hauses Rexrodt, und man kürzt die Mittel für Fortbildung und Umschulung in Nordrhein-Westfalen um ein Drittel dessen, was 1996 gang und gäbe war. Das heißt, es handelt sich um 30 000 Menschen, die nicht in AB-Maßnahmen und in Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen kommen. Damit können Sie den Kumpeln natürlich nicht nahebringen, daß Sie einen Reduktionspfad in der Steinkohle vorhaben.
Bleiben wir bei der Energiewirtschaft. Wenn Sie die Atomkraftwerke endlich in ihrem vollen Risiko versicherten, dann genügte das schon, um diesen riskanten und unnötigen Energiepfad endlich zu schließen; denn das könnte sich kein Energieversorgungsunternehmen mehr leisten. Aber der Steuerzahler muß es sich leisten.
Lassen Sie bitte diesen Exkurs zu einer gewissen ideologischen Borniertheit zu. Ich bin ja neu in dieses Land hinzugekommen.
Ich habe beim Nachlesen der Angelegenheiten in dieser Republik vor der Wende festgestellt, daß eine Generation von Leuten, die AKW-Gegner, in dieser Gesellschaft etwas implementiert haben, etwas vorgeschlagen haben, ein Risiko formuliert haben. Jetzt, nach 15 Jahren, weiß im Prinzip die ganze Gesellschaft, daß diese Frage einer Generation eine richtige Frage war und Sie aber nicht in der Lage sind, im nachhinein zuzugeben, daß diese Generation die richtige Frage und die richtige Antwort gefunden hatte. Sie beharren auf einer, wie ich finde, ideologischen Borniertheit, indem Sie weiter auf Atomkraft
Antje Hermenau
setzen, obwohl Sie wissen, daß die Gesellschaft dies mehrheitlich nicht mehr wünscht.
Da Investitionen in die Energieerzeugung langjährige Amortisierungszyklen haben, müssen Sie natürlich auch da Planungs- und Investitionssicherheit herstellen.
In bezug darauf setzen sich die energiepolitischen Positionen der Grünen im ganzen Land immer mehr durch, sozusagen von selbst. Es erscheint fast so, als ob sich Herr Rexrodt mit seiner Wirtschaftspolitik in einer Art virtuellen Realität befände, aber nicht in der Wirklichkeit in dieser Bundesrepublik Deutschland. Statt dessen werden weiter Steuergelder in die falsche Richtung investiert.
Da wir gerade bei der Umwelt sind: Es gibt das hehre Ziel - von Kanzler Kohl formuliert -, die CO2- Emissionen bis 2005 um 25 Prozent zu senken. Im Haus Rexrodt gibt es ein Gutachten dazu, in dem versucht wird, das über die Arbeitsplatzfrage zu konterkarieren. Sie unterlaufen im Prinzip die politischen Vorgaben Ihres Kanzlers, Herr Rexrodt. Ich weiß nicht, ob der Kanzler das so sieht oder nicht; ich nehme aber einmal an, daß er es gemerkt hat. Das würde bedeuten, daß der Kanzler die politischen Vorgaben zwar rhetorisch machen darf - auch auf internationaler Ebene -, aber daß die F.D.P. und das Haus Rexrodt diese Vorgaben politisch unterlaufen. Das müssen Sie in der Koalition klären; das geht mich nichts an. Aber es fällt mir auf; ich beobachte das mit Genuß.
Ich mache in dieser Frage einen Vorschlag: Dezentralisieren Sie die Energieerzeugung! Das wäre ausgesprochen arbeitsintensiv; das schaffte Arbeitsplätze. Sie können sich das wie folgt praktisch vorstellen: Wenn es zu einem Auftragsboom zum Beispiel bei der Installation von Solardächern kommt, dann werden dadurch Arbeitsplätze geschaffen. Wir haben einen entsprechenden Änderungsantrag vorgelegt.
Ich komme zum Wirtschaftsgutachten, das hier immer wieder zitiert wird. Selbst die „fünf Weisen" sagen, große Hoffnungen vermögen sie nicht zu wekken. Die Erholung ist maßgeblich einer deutlichen Belebung der Auslandsnachfrage zu verdanken, sagen sie weiter. Daraus zieht die F.D.P. auch gleich die richtige Schlußfolgerung - jedenfalls meint sie das -: Wir werden jetzt alle ein Volk von Aktienbesitzern. Ich nehme an, das hat Helmut Kohl mit seinem Wort vom „Freizeitpark Deutschland" gemeint. Ich muß ehrlich sagen: Ich fühle mich an lange zurückliegende Parteilehrjahre erinnert, als man versuchte, uns näherzubringen, was Lenin mit seinem Wort vom „Rentnerstaat" gemeint hat. Das bedeutet, daß ein ganzes Volk von Aktienbesitzern davon lebt, daß die andere Welt dadurch ausgebeutet wird, daß die Produktion dorthin verlagert wird, so daß wir den Aktienprofit einstreichen können. Es ist amüsant, daß die Realität der Bundesrepublik Deutschland mich dazu bringt, altes Parteiwissen auszugraben, das ich damals immer für lächerlich gehalten habe.
Aber ich nehme das schmunzelnd zur Kenntnis.
Für die Wirtschaft bleibt der Export weiterhin das kräftigste Zugpferd, wird gesagt. Wo bleibt dann das entsprechende Exportförderinstrumentarium? Mit den Hermes-Bürgschaften fördern Sie Relikte der alten planwirtschaftlichen Gigantomanie wie das DreiSchluchten-Staudamm-Projekt in China, von dem jeder normale Mensch und sogar Vertreter der seltsamen Spezies der US-Banker sagen, daß man so etwas im eigenen Land nicht fördern würde und es in anderen Ländern eigentlich auch nicht fördern dürfe, weil das gegen die eigenen Vorstellungen von sozialer, ökologischer und ökonomischer Profitabilität verstoße.
Der Schutz traditioneller Branchen ist eher problematisch. Er kann nur zwei Ziele haben: Entweder sollen sie wettbewerbsfähig gemacht werden, oder sie sollen in begrenztem Umfang erhalten werden, um soziale Risiken des Strukturwandels abzumildern. Sie, Herr Rexrodt, sind in NRW gefragt. Aber natürlich ist der F.D.P. völlig egal, was in NRW passiert, weil die F.D.P. in NRW nichts zu gewinnen hat. Sie hat auch nichts zu verlieren, höchstens etwas zu verhindern, nämlich Herrn Möllemann. Insofern verstehe ich natürlich, daß Sie sich nicht bemühen, dem Land NRW zu struktureller Wettbewerbsfähigkeit zu verhelfen. Ein so großes Gebiet mit einer derartigen Monostruktur wird ähnliche Probleme wie die fünf neuen Länder haben. Das sollte man schon ernst nehmen.
Es gibt Bürgerinitiativen im Saarland, deren Vertreter bereits davon sprechen, daß sie für Reduktions- und Ausstiegspfade bei der Kohleförderung sind, weil es erforderlich ist, beispielsweise mit Lothringen gleichzuziehen. Es war früher strukturell noch schwächer entwickelt als das Saarland. Aber inzwischen fängt man an umzustrukturieren, weil die Franzosen beschlossen haben: Ab 2005 ist Schluß. Das Saarland möchte natürlich nicht hinter Lothringen zurückfallen. Also gibt es da offensichtlich Zwänge, die nach meinem Dafürhalten auch die SPD dazu bewegen könnten, entsprechend aktiv zu werden. Sie können sich ja nachher dazu äußern.
- Ich versuche, etwas langsamer zu reden.
Für mich sind eine Reihe von Fragen aufgetaucht, als ich mich mit dem Wirtschaftsgutachten beschäftigt habe. Eine der Fragen ist zum Beispiel: Läßt sich bis zur Jahrtausendwende tatsächlich ein Wirtschaftswachstum entfalten, das zur Halbierung der derzeitigen Zahl von über 4 Millionen registrierten Arbeitslosen führt? Würde diese Strategie, falls sie ökonomisch überhaupt durchsetzbar ist - da haben Sie, Herr Minister, ja selbst große Zweifel -, nicht mit
Antje Hermenau
einer den Standort erneut dramatisch bedrohenden Umweltbelastung erkauft werden? Diese Fragestellung muß man hier schon noch zulassen. Ich glaube nicht, daß Ihnen die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen gelingt. Sie wissen genau, wie die Wachstumszahlen für den Ostteil und den Westteil Deutschlands aussehen. Sie wissen, daß die Wachstumszahlen im Osten inzwischen unter denen im Westen liegen.
Es gibt inzwischen erste Hochrechnungen. Herr Biedenkopf spricht von 70 Jahren der Anpassung. Da wird mir ganz schlecht; da bin ich ja schon lange tot. Das andere ist: Unterstellen Sie mal, das Wirtschaftswachstum West beträgt 2,5 Prozent, und sagen Sie mal, die Ostler sind nur doppelt so gut und haben 5 Prozent, dann brauchen Sie 29 Jahre, um die Angleichung herzustellen, von der gesprochen worden ist. Da erwarte ich ein bißchen mehr, als zu sagen, wir müssen etwas mehr einsparen beim Aufbau Ost.
Die Milchmädchenrechnung, von der Sie denken, daß Sie die einer Frau unterstellen können, die es wagt, sich zu Wirtschaftsthemen zu äußern, kommt aus der FAZ und lautet: „Das teuerste Wirtschaftsdesaster der Nachkriegsära ist der Aufbau Ost."
Heute geht es beim Aufbau Ost im wesentlichen um den Neuaufbau. Die ostdeutsche Wirtschaft besteht zum großen Teil aus jungen Unternehmen. Die haben eine marktnähere Wirtschaftsstruktur, einen geringeren Anteil an veralteten Industrien und Produktionsmitteln, eine modernere Ausstattung der Infrastruktur. Sie sind einfach beweglicher. Sie sind aber auch eingebettet in eine gewisse ostdeutsche Unternehmerkultur, die Sie immer als untüchtig abqualifizieren, die aber genau diese soziale Phantasie beinhaltet, von der ich vorhin gesprochen habe. Sie wird vielleicht noch einmal von großem Nutzen sein, wenn in fünf bis sechs Jahren die ersten mittel- und osteuropäischen Länder in den Europäischen Wirtschaftsraum aufgenommen werden; denn dort arbeitet man ähnlich.
Wir schlagen vor, Ostdeutschland zu einem EU-weit einzigartigen Referenzprojekt für nachhaltiges Wirtschaften und Umweltsanierung zu machen. Die dann nachgewiesene Kompetenz im Umgang mit radioaktiv verseuchten Halden, mit kontaminierten Flächen in Chemieregionen, mit zahlreichen Industriebrachen, Braunkohlenhinterlassenschaften, Schadstoff- und Giftmülldeponien sollte zu Wettbewerbsvorsprüngen auf den internationalen Märkten führen. Die in Ostdeutschland gesammelten Erfahrungen für den Branchenumbruch kritisch nutzbar zu machen, zum Beispiel in monostrukturierten Gebieten wie in NRW, die ostdeutschen Erfahrungen auch als Lernort für den Umgang mit Unternehmenskultur zu nutzen, die durch die Erfahrung der Kollektivgesellschaft geprägt ist - die im asiatischen Wirtschaftsraum ja gang und gäbe ist -, das halte ich für eine interessante Sache. Das bedeutet einen Brükkenschlag zwischen dem wirtschaftlichen Unternehmensverständnis asiatischer und europäischer Unternehmensführung. Und das wäre doch ein Ansatz.
Lösen wir uns aus der virtuellen Welt des Wirtschaftsministeriums, von dem Computerspiel „normale Wirtschaft im Osten", und sprechen wir über Fakten und Zahlen. Die Lohnstückkosten liegen ein Drittel über dem westdeutschen Niveau, der Anteil des verarbeitenden Gewerbes ist halb so groß wie in den alten Bundesländern. Der Exportanteil beträgt gerade mal zwei Prozent des deutschen Exports. Deswegen haben wir auch noch einmal einen Änderungsantrag zum Absatz der ostdeutschen Produkte eingebracht. Zur Wachstumsrate habe ich mich schon geäußert.
Auf ein paar Jahre Aufbau Ost hatte man sich eingestellt. Doch nun spottet man im Wirtschaftsministerium selbst, indem man sagt, nun beginne die dritte Hälfte des Weges zum Aufbau Ost.
Wir sollten uns - ich sage das allen Ernstes - nicht wundern, wenn wir im nächsten Jahr einen Rückschlag im Osten beobachten müssen, weil die Bundesregierung unter den Konvergenzkriterien für Maastricht hindurchtaucht - auf Gedeih und Verderb. Zynisch wird das Erreichte im Osten zur Disposition gestellt. Sie stehen hier eigentlich in der Verantwortung. Aber für die F.D.P. ist der Aufbau Ost und der Osten überhaupt ja verlorenes Land.
Danke.