Rede von
Gerhard
Jüttemann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im westdeutschen Steinkohlenbergbau gibt es seit 1988 eine Richtlinie, nach der Bergleute, die 25 Jahre oder mehr unter Tage arbeiteten, die Möglichkeit haben, ab dem 50. Lebensjahr Anpassungsgeld und anschließend Knappschaftsausgleichsleistung zu erhalten. Für ostdeutsche Bergleute gelten bis Ende dieses Jahres infolge des RentenÜberleitungsgesetzes ähnliche Regelungen, die den Bezug einer Bergmannsvollrente ab dem 50. Lebensjahr nach DDR-Recht und - nach einer Sonderregelung - ab dem 55. Lebensjahr den Bezug von Knappschaftsausgleichsleistungen ermöglichen.
Die westdeutsche Regelung ist 1994 neu aufgelegt worden und gilt weiter; die ostdeutsche Regelung läuft ersatzlos aus, mit katastrophalen sozialen Folgen für die Betroffenen. Was liegt nun also näher, als die Frage zu stellen: Warum sollen die westdeutschen Regelungen nicht auch in Ostdeutschland gelten? Wir haben diese Frage der Bundesregierung gestellt. In der bemerkenswerten Antwort heißt es, daß zur Bewältigung des Umstrukturierungsprozesses der Unternehmen in den neuen Bundesländern von Oktober 1990 bis Ende 1992 für alle 55jährigen Arbeitnehmer als entsprechendes Instrument das Altersübergangsgeld eingesetzt wurde. Damit sei - ich zitiere - der Anpassungsprozeß im Bergbau in den neuen Ländern, insbesondere was die älteren Arbeitnehmer betrifft, erfolgreich flankiert worden.
Welcher Anpassungsprozeß eigentlich? Gemeint ist doch wohl, daß mit dem ostdeutschen Bergbau kurzer Prozeß gemacht wurde, daß er plattgemacht wurde. Warum solche Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen? Flankiert wurde dieser Prozeß bis Ende 1992 von den Regelungen des Altersübergangsgel-
Gerhard Jüttemann
des; das ist richtig, aber nicht das Entscheidende. Entscheidend für den sozialen Schutz der älteren Bergleute war eben auch, daß bis Ende 1996 durch das Renten-Überleitungsgesetz die Regelungen der DDR für den Bezug einer Bergmannsvollrente mit vollendetem 50. Lebensjahr weitergeführt werden. Das scheinen die Damen und Herren im Bundeswirtschaftsministerium gar nicht zu wissen. Oder warum sonst nehmen sie in ihrer schriftlichen Antwort darauf nicht Bezug?
Zum Jahresende aber läuft diese Regelung nun ersatzlos aus. Danach ist das soziale Nichts geplant, das mit Arbeitslosenhilfe beginnt und mit Sozialhilfe endet. Warum das im Osten und eine soziale Regelung im Westen? Die Bundesregierung hat sich vor der Antwort gedrückt.
Es soll nun keiner damit kommen, daß die westdeutsche Regelung ja nur für den Steinkohlenbergbau gelte, der in einer Strukturkrise steckt. Worin steckt denn der ostdeutsche Bergbau? Vielleicht in der Konjunktur? Zehntausende Arbeitsplätze sind in den vergangenen Jahren in den Untertageschächten von Kupferschiefer im Mansfelder Land, von Uranerz bei Wismut, von Kalisalz und Spat in Thüringen und Sachsen-Anhalt vernichtet worden. Es wird der Bundesregierung nicht gelingen, so zu tun, als wisse sie auch das nicht. Wenn Sie sich schon dauernd mit der deutschen Einheit schmücken, dann schaffen Sie doch wenigstens endlich gleiche Bedingungen für alle.
Unser Antrag liegt auf dem Tisch; es steht nichts anderes darin, als daß Bergleute Ost nicht anders als Bergleute West behandelt werden sollen,
anstatt sie sozial zu verraten und zu verkaufen. Denn ausgeschiedene Bergleute haben auf dem Arbeitsmarkt noch weniger Chancen als andere Arbeitsuchende. Sie gelten infolge der schweren Untertagearbeit als verbraucht und damit als Gesundheitsrisiko. Darum sind sie auf eine sozialverträgliche Ausstiegsregelung angewiesen. Glauben Sie mir: Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war zuletzt Betriebsratsvorsitzender einer Kaligrube, und ich weiß, wie hart die Arbeit ist und wie die Menschen unter ihren Zukunftsängsten leiden.
Wir brauchen gesetzliche Regelungen, keine Versprechen. Was Versprechen von Regierenden bewirken, das können Sie am Standort Bischofferode, bei SKET Magdeburg und anderswo in ostdeutschen Landen in Augenschein nehmen. Ich hoffe folgendes: Wenn Sie die Einheit ehrlich gestalten wollen, wenn Sie die Menschen dafür gewinnen wollen, dann sollten Sie auch einmal einem solchen Antrag zustimmen oder ähnliche Regelungen schaffen, damit diese Kollegen nicht ins Nichts fallen.
Ich danke.