Rede von
Andrea
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich suche schon die ganze Zeit den Kollegen Ramsauer. Ist es richtig, daß er nicht mehr im Saal ist?
- Ich hätte dem Kollegen Ramsauer auch nicht unterstellt, daß er so ängstlich ist.
Andrea Fischer
Ich wäre gerne darauf eingegangen, daß er gesagt hat, wir hätten der Regierung vorgeworfen, das Urteil zu ignorieren. Das ist nicht mein Vorwurf. Ich finde nur, Sie haben auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit lauter Taschenspielertricks reagiert. Sie versuchen, das Urteil nach dem Motto zu erfüllen: Wir haben gemerkt, daß es ein Urteil gibt, wir haben gemerkt, daß wir etwas tun müssen; das Ergebnis des ganzen Tuns soll aber sein, daß sich nichts ändert.
Das ist unser Vorwurf. Erst haben Sie unheimlich lange, nämlich zwei Jahre, mit der Erfüllung des Urteils gewartet. Jetzt muß es relativ hektisch passieren. Das Bundesverfassungsgericht hat es dem Gesetzgeber freigestellt, ob er dieses Problem auf der Beitrags- oder auf der Leistungsseite löst. Nach meiner Kenntnis fordert niemand von den Oppositionsfraktionen, dieses Problem auf der Beitragsseite zu lösen. Diesen Vorwurf brauchen Sie uns nicht zu machen.
Es geht darum, wie man das Problem auf der Leistungsseite löst. Hier sagen Sie: Es darf keinen Pfennig kosten. Die Tricks, die Sie anwenden, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, haben mich auch schon in den Anhörungen schwer beeindruckt.
Man muß erst einmal hinter Ihre Rechtskonstruktion steigen. Sie sorgen dafür, daß es zu keiner zusätzlichen Zahlung des Arbeitslosengeldes kommt, weil Sie plötzlich entdeckt haben, daß sich das Arbeitslosengeld immer nach dem zukünftig zu erwartenden Entgelt richtet.
In der Anhörung haben auch die Vertreter der Arbeitgeber gesagt, in 98 Prozent der Fälle werde so etwas wie ein Weihnachtsgeld gezahlt. Offensichtlich ist Ihr Wunschdenken mit Ihnen durchgegangen.
Es ist natürlich eine sehr weitreichende Interpretation des Äquivalenzprinzips in der Sozialversicherung, wenn plötzlich gesagt wird, die Leistung der Sozialversicherung basiere nicht mehr auf dem tatsächlichen Entgelt, sondern auf einem irgendwie zukünftig vermuteten Entgelt. Dies halte ich für das absolute Gegenteil von Rechtssicherheit in der Sozialversicherung. Das ist das wirkliche Problem dabei.
Beim Krankengeld haben Sie eine Art Rückwärtssalto mit Dreifachschraube gemacht, um am Schluß zu dem Ergebnis zu kommen: Materiell darf sich nichts ändern. Im ersten Satz regeln Sie den Anspruch auf erhöhte Krankengeldleistung wegen der Einmalzahlung, in den nächsten Satz schreiben Sie die Klausel, die dann, wenn man sie mit der Realität konfrontiert, dazu führt, daß niemand in den Genuß dieser im ersten Satz erwähnten erhöhten Leistung kommen wird.
In der Anhörung wurde ganz offenkundig, daß die Sachverständigen, die erklärt haben, dies sei verfassungsrechtlich irgendwie machbar, dabei mit den Zähnen geknirscht haben und es ihnen nicht leicht fiel, dies überhaupt zu sagen. Daher kann ich dem Kollegen Ramsauer, der sagte, das Gesetz sei zu Unrecht in die negativen Schlagzeilen geraten, nicht zustimmen.
Das Bundesministerium der Justiz hat in seiner Stellungnahme - diese liegt uns schriftlich vor, Sie können also nicht behaupten, wir würden irgendwelche Dönkes erzählen - erklärt, es sehe ein verfassungsrechtliches Risiko. Wenn dies die Juristen feststellen, ist das schon etwas.
Im Rechtsausschuß haben die Vertreter der Koalitionsfraktionen das Verfassungsrisiko offen zugegeben und gesagt: Wir werden es einfach ausprobieren und sehen, was das Bundesverfassungsgericht beim nächsten Mal sagt. Es könnte seine Meinung wieder einmal ändern. Dies halte ich für einen - um es freundlich zu formulieren - flapsigen Umgang mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Auch ich gehe davon aus, daß das Gesetz, das Sie heute verabschieden werden - wir werden es ablehnen -, wieder das Bundesverfassungsgericht und damit auch uns beschäftigen wird. Wir werden es ablehnen, hoffen allerdings, daß es später entsprechend geändert werden muß, auch wenn es uns ärgert, daß dieser lange und umständliche Weg erforderlich ist, um Ihnen das beizubringen.