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    Plenarprotokoll 13/129 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 129. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1996 Inhalt: Vorverlegung der Frist für die Einreichung der Fragen für die Fragestunde 11631 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu Beratungen des Tarifausschusses über Mindestlöhne im Baugewerbe 11619 A Leyla Onur SPD 11619 B Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . 11620B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11621B Uwe Lühr F.D.P 11622 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 11622 D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 11623 C Peter Dreßen SPD 11624 B Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU . . . 11625B Ernst Schwanhold SPD 11625 D Heinz Schemken CDU/CSU 11626 D Erika Lotz SPD 11627 D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 11628D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 11630 B Tagesordnungspunkt 14: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 13/5583, 13/5750) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 13/5582, 13/5750) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Kerstin Müller (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Kompensation von Überhangmandaten (Drucksachen 13/5575, 13/5750) . . 11631 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Wahlkreiskommission für die 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz - zu dem Zwischenbericht der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages: Empfehlungen für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag und zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages - zu dem Ergänzenden Bericht der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages zu dem Zwischenbericht: Empfehlungen für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag und zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages hier: Empfehlungen zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages ab der 15. Wahlperiode (Drucksachen 13/3804, 13/4560, 13/ 4860, 13/5750) 11631 C Erwin Marschewski CDU/CSU 11632 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 11633 C Fritz Rudolf Körper SPD 11633 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11635A, 11644 C Peter Conradi SPD 11635 D Jörg van Essen F.D.P. 11637 B Dr. Gregor Gysi PDS 11638 D Dr. Dagmar Enkelmann PDS 11639 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . 11640B, 11645B, 11646 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . 11642 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 11644 B Dr. Gregor Gysi PDS 11645D Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Drucksachen 13/2576, 13/ 5743) 11647 A Ronald Pofalla CDU/CSU 11647 B Allred Hartenbach SPD 11649 A Alfred Hartenbach SPD 11649 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11652B Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 11653 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 11654 D Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . 11655 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 11656 D Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . 11657 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 11658 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 11659 C Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Günter Graf (Friesoythe), Hans-Peter Kemper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Private Sicherheitsdienste (Drucksache 13/3432) 11660 A Günter Graf (Friesoythe) SPD 11660 B Michael Teiser CDU/CSU 11662 C Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . 11662 D Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11665A Dr. Max Stadler F D P. 11665 B Dr. Max Stadler F D P. 11666 B Dr. Winfried Wolf PDS 11667 D Hans-Peter Kemper SPD 11668 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 11670B Tagesordnungspunkt 17: Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag - Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 1995 (Drucksache 13/ 4498) 11671C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11671C, 11682D Wolfgang Dehnel CDU/CSU 11673 D Lisa Seuster SPD 11675 C Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . 11677A Heidemarie Lüth PDS 11679 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU . 11680B, 11684 B Wilma Glücklich CDU/CSU 11681 C Jutta Müller (Völklingen) SPD 11683 B Klaus Dieter Reichardt (Mannheim) CDU/ CSU 11685B Lisa Seuster SPD 11686 B Jutta Müller (Völklingen) SPD . . . 11686C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11686D Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11687 D Hildegard Wester SPD 11689 A Matthäus Strebl CDU/CSU 11690 D Christel Deichmann SPD 11692A Tagesordnungspunkt 18: Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung" (Drucksachen 13/984, 13/5749) . . . 11693C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 11693 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 11694 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11695 C Nächste Sitzung 11696 C Berichtigung 11696 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 11697* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) 11697* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 18 (Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung") Reiner Krziskewitz CDU/CSU 11698* B Ludwig Eich SPD 11699* C Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 11700* C 129. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1996 Beginn: 8.00 Uhr
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    Berichtigung 128. Sitzung, Seite 11576A; der Text Geradezu perfide wird dieser Vorgang dadurch, daß die parlamentarische Mehrheit diese Entscheidung auch noch gegen den Willen derer, die Steuern zu bezahlen haben, durchsetzt, obwohl man gerade hier mit größtem Einvernehmen streichen und sparen könnte. ist die Fortsetzung des vorstehenden Zitats und dementsprechend einzurücken. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 11. 10. 96 Bläss, Petra PDS 11. 10. 96 Böttcher, Maritta PDS 11. 10. 96 Borchert, Jochen CDU/CSU 11. 10. 96 Braune, Tilo SPD 11. 10. 96 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 11. 10. 96 Buntenbach, Annelie BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Burchardt, Ulla SPD 11. 10. 96 Glos, Michael CDU/CSU 11. 10. 96 Irber, Brunhilde SPD 11. 10. 96 Dr. Jacob, Willibald PDS 11. 10. 96 Jelpke, Ulla PDS 11. 10. 96 Dr. Küster, Uwe SPD 11. 10. 96 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 11. 10. 96 Karl-Hans Leutheusser- F.D.P. 11. 10. 96 Schnarrenberger, Sabine Lummer, Heinrich CDU/CSU 11. 10. 96 * Mehl, Ulrike SPD 11. 10. 96 Neuhäuser, Rosel PDS 11. 10. 96 Neumann (Berlin), Kurt SPD 11. 10. 96 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 11. 10. 96 Hermann Reuter, Bernd SPD 11. 10. 96 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 11. 10. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Schönberger, Ursula BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Steindor, Marina BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Tappe, Joachim SPD 11. 10. 96 Terborg, Margitta SPD 11. 10. 96 * Thieser, Dietmar SPD 11. 10. 96 Vosen, Josef SPD 11. 10. 96 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 11. 10. 96 Zierer, Benno CDU/CSU 11. 10. 96 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach j 31 GO des Abgeordneten Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) Ich möchte hier, da es sich um eine sehr wichtige Entscheidung handelt, ein paar Sätze zu meinem ansonsten vielleicht für manche mißverständlichen Verhalten in der nachfolgenden Abstimmung sagen. Dieser Erklärung schließen sich die übrigen anwesenden Mitglieder meiner Fraktion an. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen regelt,was wir in der Reformkommission fraktionsübergreifend miteinander vereinbart haben. Und da gab es ja viel und wichtigen Konsens: Ich will - und auch dies gilt in gleicher Weise für die gesamte Fraktion - die Verkleinerung des Bundestages, wie die Kommission sie nach langem Hin und Her beschlossen hat. Ich habe mich von Anfang an dafür eingesetzt und hätte auch eine Sitzzahl, die deutlicher unter der 600er-Grenze liegt als die nicht gerade berauschende Zahl 598, für möglich, ja sogar für besser als die jetzige Lösung gehalten. Ich trage aber das Verhandlungsergebnis ausdrücklich mit. Und ich will auch, daß wenigstens zukünftig - selbst wenn all dies erst ab der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag gelten soll - endlich von Gesetzes wegen vorgeschrieben wird, daß die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen muß. Genauso habe ich mich die ganze Zeit über dafür eingesetzt, die zulässige Abweichung der Bevölkerungszahlen der Wahlkreise untereinander auf im Regelfall 15 Prozent, maximal aber 25 Prozent zu beschränken. Denn die bisherige Regelung führt, wie wir wissen, im Einzelfall zu Unterschieden bei der Zahl der Stimmberechtigten zu verschiedenen Wahlkreisen im Größenverhältnis von 1 : 2. Das ist nicht mehr hinnehmbar! All diesen Regelungen im Koalitionsentwurf kann ich also zustimmen. Der Entwurf wird falsch nicht durch das, was in ihm steht, sondern durch das, was nicht in ihm steht. Und das ist der weitaus gravierendere Punkt. Denn die Verschiebung all dieser sinnvollen o. g. Gesetzesänderungen auf einen Tag irgendwann um das Jahr 2000 und insbesondere die geradezu peinliche Formel: „Artikel 1 Nr. 1 tritt an dem Tage in Kraft, an dem das in Artikel 2 genannte Gesetz in Kraft tritt" - wohlgemerkt ein Gesetz, von dem es noch nicht einmal einen Entwurf gibt und noch völlig offen ist, ob es überhaupt zustandekommt -, all dies ist rechts- und verfassungspolitisch mehr als fragwürdig, zeigt, auf welch schwankendem Grund ihre ganze unhaltbare Konstruktion ge- baut ist, mit der sie hoffen, einen verfassungswidrigen Zustand noch über die Zeit retten zu können; all dies also ist keinesfalls zustimmungsfähig. Vor allem aber krankt Ihr Gesetzentwurf, wenn man akzeptiert, was in ihm steht, an dem, was eben nicht drin steht: eine Ausgleichsregelung für die zu erwartende hohe Zahl an Überhangmandaten. Wir können diesem Gesetzentwurf also - auch wenn wir für die Verkleinerung und die Änderung der Toleranzgrenzen sind - nicht zustimmen. Ich werde mich daher in der Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf der Stimme enthalten. Den SPD-Entwurf werde ich ablehnen, weil wir für das gleiche Problem eine bessere Regelung vorgeschlagen haben. Insofern stehen diese beiden Entwürfe in Konkurrenz zueinander. Ich bedauere sehr, daß es all unseren Bemühungen zum Trotz nicht zu einem gemeinsamen Entwurf gekommen ist, weil sich die SPD bis zum Schluß die Beratungen in der Reformkommission noch gegen eine Ausgleichsregelung ausgesprochen hat, dann aber, als Sie sich nach Vorlage unseres Entwurfes in internen Gesprächen von unseren Argumenten überzeugen ließ, unbedingt der Meinung war, sie müsse einen eigenen Entwurf einbringen und könne sich einem gemeinsamen Entwurf nicht anschließen. Umso dankbarer bin ich, daß der ehemalige Partei- und Fraktionsvorsitzende und gegenwärtig Sachverständige der SPD, Hans-Jochen Vogel, der die Debatte in der Reformkommission die gesamte Zeit über mitverfolgt und geführt hatte, gestern öffentlich erklärt hat, er würde dem Gesetzentwurf der Grünen den Vorzug geben. Das werde ich in der Abstimmung auch tun. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 18 (Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Refom der Kommunalfinanzierung") Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Mit Recht wird die finanzielle Situation der deutschen Kommunen heute als besonders angespannt bezeichnet. Kommunale Finanzierungsprobleme nehmen in der finanzpolitischen Debatte eine zentrale Stellung ein, und jeder Politiker wird genügend Beispiele aus seinem Wahlkreis beisteuern können, die von den Auseinandersetzungen zwischen Kommunen und Landkreis, Landkreis und Land berichten. Es handelt sich zwar hier um ein Dauerthema, aber es ist nicht zu übersehen, daß in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation, unvorhergesehener gesamtstaatlicher finanzieller Verpflichtungen, wie sie im Gefolge der deutschen Einheit unumgänglich sind, und weltweiter technologisch/ökonomischer Umbruchsituationen die Kommunen als letztes Element in einer Organisation staatlicher Gliederung besonders betroffen sind. Es fehlt nicht an Analysen unterschiedlichster Art auf diesem Gebiet. Beim Recherchieren zu diesem Thema stößt man auf wahre Berge von Vorschlägen und Denkschriften. Die wissenschaftliche Ernsthaftigkeit vieler Modelle ist nicht anzuzweifeln, die politische Umsetzbarkeit in der heutigen konkreten Situation ist jedoch fraglich. Ich habe deshalb große Zweifel, ob eine EnqueteKommission wirklich neue Erkenntnisse produzieren könnte. Bestenfalls könnte sie mehr oder weniger Bekanntes zusammenfassen oder ordnen. Eine Enquete-Kommission kann aber vor allem eines nicht leisten: Sie kann keine neuen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen, noch viel weniger kann sie deren politische Umsetzbarkeit dekretieren. In der augenblicklichen Situation ist aber ein schnelles und entschlossenes Handeln nötig, das die übernationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht aus den Augen verliert und einer gesamtvolkswirtschaftlichen Betrachtungsweise die gesetzlich notwendigen Regelungen verschafft. Die Handlungsweise der Bundesregierung auf diesem Gebiet, besonders im Hinblick auf die neuen Bundesländer, ist dadurch bestimmt, daß die Sicherung der kommunalen Finanzen einen hohen Stellenwert einnimmt. Ich erinnere hier an die kommunale Investitionspauschale für die Gemeinden in den neuen Bundesländern, an die Entlastungswirkung der Pflegeversicherung und an die Neuordnung des Länderfinanzausgleiches. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß die deutsche Finanzverfassung sich auch in einem zweigliedrigen Staatsaufbau, in dem die Gemeinden Teil der Länder sind, wiederfindet. Bei allen Einwänden, die auf Reibungsverlusten, widersprüchlicher Interessenlage, auch unterschiedlichen Wirkungsmöglichkeiten beruhen, hat sich diese Finanzverfassung bewährt. Ich sehe auch keine reale Chance, dies grundsätzlich zu ändern. Wir sollten auch eine Intention der Antragsteller nicht übersehen, die offensichtlich dahin geht, Finanzlasten auf den Bund zu verschieben. Die Verschuldungsrate der Kommunen ist zweifellos hoch und für die Gemeinden drückend. Ebenso ist anzumerken, daß der Bund mit einer Zinslast von 20 Prozent seiner Ausgaben an einer absoluten Obergrenze angelangt ist. Ein Großteil dieser Verschuldung ist als Kostenfolge des deuschen Einigungsprozesses anzusehen. Der Bund hat hier - und nicht zuletzt im Interesse der Kommunen aus den neuen Bundesländern - Vorleistungen geschaffen. Auch wenn wir neue Ausgaben in den sogenannten Erblastentilgungsfonds schieben, so muß daran erinnert werden, daß die Tilgung dieses Fonds 30 Jahre in Anspruch nehmen wird. Um es zu veranschaulichen: Nicht wir, sondern unsere Kinder und Enkel werden diesen Schuldenberg zu tilgen haben. Ein vernünftiger volkswirtschaftlicher Ansatz für die Neugestaltung von Steuereinnahmen und deren Verteilung muß alle Aspekte und Wirkungen be- trachten. Ich möchte das an folgendem Beispiel demonstrieren: Man mag zur Gewerbesteuer stehen, wie man will, aber es ist nicht zu leugnen, daß die Koppelung kommunaler und wirtschaftlicher Interessen in einem konkreten regionalen Bezug einen Sinn ergibt. Wenn auch eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung dieser Steuer unumgänglich ist, so sollte eine Koppelung der eben erwähnten Interessen von Gemeinden und Unternehmen beibehalten werden. Die in der Gewerbesteuer enthaltene Gewerbekapitalsteuer erfüllt diese Funktion nicht. Als Substanzsteuer, die selbst Schulden noch besteuert und auch bei negativem Betriebsergebnis wirkt, gehört sie abgeschafft. Selbstverständlich müssen die Kommunen eine entsprechende Kompensation erhalten. Die Koalition hat hierzu einen Anteil an der Umsatzsteuer vorgeschlagen. Um einen möglichst genauen Verteilungsschlüssel zu erhalten, werden seit 1995 entsprechende Steuerstatistikdaten erfaßt. In einer kurzen Übergangsphase sollen die Kommunen die bei Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer entstehenden Defizite ohne Berücksichtigung der erhöhten Anteile an der Einkommensteuer voll ausgeglichen erhalten. Da die neuen Bundesländer bisher keine Gewerbekapitalsteuer erheben, schlagen wir vor, einen Zuschlag in Höhe eines geschätzten fiktiven Gewerbekapitalsteueranteils von 25 Prozent des Gesamtvolumens der betreffenden Gewerbesteuer nach Ländern zu erstatten. Nach überschlägigen Rechnungen dürften das für die Kommunen in den neuen Bundesländern zusätzliche Einnahmesverbesserungen in Höhe von etwa 700 Millionen DM sein. Es liegt auf der Hand, daß bei einer Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern, die, wie jeder Kenner der Materie weiß, nicht nur kontraproduktiv, sondern in ihrer Umsetzung nur mit großen technischen Schwierigkeiten behaftet wäre, dieses zusätzliche Steueraufkommen nur schwer zu erreichen ist. Dem Wunsche der Kommunen, den Umsatzsteueranteil als verbrieftes Recht auch grundgesetzlich zu verankern, ist die Koalition gefolgt. Der Finanzausschuß hat sich gestern in einer Anhörung von Vertretern der kommunalen Spitzenverbände mit diesem Thema befaßt. Dabei wurde eines deutlich: Es gab Kritik von jedem an jedem, man feilschte, ob 15 Prozent oder 13,5 Prozent, die Frage des Aufteilungsschlüssels war nicht ausdiskutiert usw. In der Sache war aber zur Verblüffung aller festzustellen: die Angelegenheit ist realisierbar. Meine Damen und Herren, hier bedarf es keiner Enquete-Kommission! Zur Substanz des Vorhabens ist bereits an berufener Stelle alles gesagt worden. - Nun muß verhandelt werden, müssen konkrete Formulierungen gefunden werden. Jetzt muß politisch gehandelt werden! Meine Damen und Herren, dieses Beispiel ist zweifellos nicht die Gesamtlösung der Problematik, sondern zeigt die Richtung an, in der wir gesamtvolkswirtschaftliche und kommunale Interessen verbinden müssen. Die Fraktion der CDU/CSU lehnt den eingebrachten Vorschlag zur Einsetzung einer Enquete-Kommission ab. Ludwig Eich (SPD): Über alle Parteigrenzen hinweg besteht Einigkeit darüber, daß sich die Finanzlage der Kommunen in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert hat. 1995 bestand ein Finanzierungsdefizit der Städte und Gemeinden von rund 13 Milliarden Mark. In der Regierungsverantwortung von CDU/CSU und F.D.P. haben sich die kommunalen Schulden von 97 Milliarden Mark im Jahre 1982 auf den Spitzenstand von jetzt 150 Milliarden Mark erhöht. Die Zinslast ist entsprechend gestiegen. Auch diese Negativrekorde, verehrte Damen und Herren von der Koalition, haben Sie politisch zu verantworten. Wer in der Steuer- und Sozialpolitik immer nur die Interessen der eigenen Klientel im Auge hat und nicht die Auswirkungen auf die dritte Ebene des Staates beachtet, der darf sich über diese politische Schuldzuweisung nicht wundern. Die Folgen einer solchen Politik für die Menschen und unser Gemeinwesen sind verheerend: Aufträge der Kommunen für Handwerk und Gewerbe gehen rapide zurück, wichtige soziale und kulturelle Angebote der Kommunen verkümmern. Zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen tätigen unsere Kommunen. Wann begreifen Sie in der Regierungskoalition, daß Ihre Politik der Lastenverschiebung auf die Kommunen eine Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen muß? Städte mit hoher Arbeitslosenquote sind arme Städte. Sie sind arm, weil mit hoher Arbeitslosigkeit in der Regel nicht nur ein Rückgang der Gewerbesteuer einhergeht. Sie sind arm, weil auch die Einnahmen aus der Einkommensteuer sinken. Und sie sind arm, weil ihre Aufwendungen für die Sozialhilfe steigen und steigen! Viele, zu viele Menschen in den Städten sind nicht nur arm wegen ihres sozialen Abstiegs. Zu viele Menschen werden auch deshalb ärmer, weil sie in einer armen Stadt leben. Die Krise unseres Staates zeigt sich auf der Ebene der Kommunen unmittelbar. Unser Sozialstaat wird durch Ihre Politik, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und nicht zuletzt von der F.D.P., auf der Ebene der Kommunen am härtesten getroffen. So darf das nicht weitergehen! Wenn dieses Dilemma mit seinen Folgen von Herrn Westerwelle nicht begriffen wird, so kann ich das beinahe verstehen. Aber es gibt in der Unionsfraktion Bürgermeister und Landräte genug, die genau wissen, daß es so nicht weitergehen kann und so nicht weitergehen darf. Die Wahlkreise aller Abgeordneten bestehen aus Gemeinden, aus Städten und Gebietskörperschaften. In den Kommunen ist der Eindruck entstanden, daß viele Kolleginnen und Kollegen die Lage ihrer Kommunen vergessen. Eine andere Erklärung habe auch ich leider mit Blick auf die Stellungnahme der Koalitionsfraktionen zum Antrag der PDS auf Einsetzung einer EnqueteKommission „Reform der Kommunalfinanzierung" nicht parat. Ich zitiere aus der Beschlußempfehlung des Ausschusses: Die Koalitionsfraktionen begründeten ihre Ablehnung damit, daß aufgrund der im Rahmen des Jahressteuergesetzes 1997 von ihnen angestrebten Reform der Gemeindefinanzen kein Bedarf zur Einrichtung einer Enquete-Kommission zu erkennen sei. Die geplante Beteiligung der Gemeinden am Umsatzsteueraufkommen bedeute entgegen der Auffassung der Antragsteller eine grundlegende und positive Veränderung des Systems der Kommunalfinanzierung. Mit anderen Worten: Die Regierungsfraktionen vertreten tatsächlich die Auffassung, die Finanzprobleme der Kommunen wären damit gelöst! Die entscheidende Ursache für die kommunale Finanzmisere liegt jedoch auf der Ausgabenseite. Ist es nicht so, daß mit den horrend gestiegenen Ausgaben im Bereich Sozialhilfe unser gesellschaftspolitisches Problem Nr. 1, nämlich die Massenarbeitslosigkeit, bei den Kommunen voll durchschlägt? Und ist es nicht so, daß unsere Städte, Gemeinden und Landkreise deshalb überfordert sind, weil sie alleine die Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit zu tragen haben? Was berechtigt Sie von Union und F.D.P. eigentlich anzunehmen, es reiche zur Bewältigung der Krise aus, teilweise die kommunale Einnahmenseite statt aus dem einen Steuertopf nunmehr aus dem anderen Steuertopf zu finanzieren? Im übrigen fällt auf, daß Sie zwar eine Reform der Gemeindefinanzen anstreben, wie Sie es nennen, aber was liegt zur Beratung vor? Es gibt keine Vorlage! Fragen, die bereits vor einem Jahr gestellt wurden, sind immer noch nicht beantwortet. Es sind wichtige Fragen wie die, ob Sie die Gewerbeertragsteuer ganz oder teilweise abschaffen wollen, welche verfassungsrechtliche Absicherung Sie gegebenenfalls für die Gewerbeertragsteuer vorsehen und wie der vorläufige und wie der endgültige Beteiligungsschlüssel an der Mehrwertsteuer aussehen soll. In der gestrigen Anhörung der kommunalen Spitzenverbände wurde überdeutlich, daß Sie, die Regierungsfraktionen, nicht für die notwendige Klarheit sorgen. Aber auch die Steuerpolitik selbst wird von dieser Regierung Kohl auch weiterhin ohne Rücksicht auf die kommunalen Interessen betrieben. Als Beispiel nenne ich die geplante Abschaffung der Vermögensteuer. Damit werden nicht nur - und das in Zeiten finanzieller Not des Staates! - die Reichen und Superreichen beschenkt. Nein, die fehlenden Einnahmen werden sich auch über den kommunalen Finanzausgleich der Länder auswirken und zur Verschärfung der Finanzkrise der Städte und Gemeinden beitragen. Zur Lösung der kommunalen Finanzkrise brauchen wir eine andere Politik, eine Politik für den ganzen Staat, vor allem aber eine Politik für unseren noch vorhandenen Sozialstaat. Eine Reform der Gemeindefinanzen ist nicht zuletzt auch zur Stabilisierung unseres Sozialstaates dringend notwendig. Weil die SPD-Fraktion eine konzentrierte Arbeit zur Erreichung dieses Zieles für unbedingt wichtig erachtet, schlägt sie vor, eine gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und unter Hinzuziehung von Vertretern aus der Wissenschaft mit der Aufgabe zu betrauen, den gesetzgebenden Körperschaften möglichst schnell Vorschläge zu unterbreiten. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 702. Sitzung am 27. September 1996 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Hopfengesetz Gesetz zur Abschaffung der Gerichtsferien Gesetz zu der Vereinbarung vom 1. Mai 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Iran zur Aufhebung des Abschnitts II des Schlußprotokolls des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens Gesetz zu dem Abkommen vom 24. April 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Demokratischen Volksrepublik Algerien über die Seeschiffahrtsbeziehungen Gesetz zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Seeschiffahrt Gesetz zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Bau einer Grenzbrücke an der gemeinsamen Staatsgrenze im Zuge der Europastraße E 49 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 9. Oktober 1996 ihren Antrag „Vorlage des überfälligen Berichts über die Versorgungsleistungen im öffentlichen Dienst" - Drucksache 13/4617 - zurückgezogen. Der Abgeordnete Dr. Hansjörg Schäfer zieht seine Unterschrift zu dem Antrag „Bonn-Berlin-Umzug verschieben - Staatsfinanzen konsolidieren" - Drucksache 13/5581 - zurück. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Unterrichtung durch die Bundesregierung Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung - Drucksache 13/1479 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Euro- päische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Finanzausschuß Drucksache 13/4678 Nr. 2.27 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3668 Nr. 2.11 Drucksache 13/4137 Nr. 2.72 Drucksache 13/4514 Nr. 1.1 Drucksache 13/4514 Nr. 2.4 Drucksache 13/4514 Nr. 2.8 Drucksache 13/4514 Nr. 2.10 Drucksache 13/4514 Nr. 2.13 Drucksache 13/4514 Nr. 2.14 Drucksache 13/4514 Nr. 2.17 Drucksache 13/4514 Nr. 2.29 Drucksache 13/4514 Nr. 2.30 Drucksache 13/4514 Nr. 2.34 Drucksache 13/4514 Nr. 2.39 Drucksache 13/4514 Nr. 2.40 Drucksache 13/4514 Nr. 2.41 Drucksache 13/4514 Nr. 2.44 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/4137 Nr. 2.86 Drucksache 13/4514 Nr. 2.21 Drucksache 13/4678 Nr. 2.10 Drucksache 13/4678 Nr. 2.44 Drucksache 13/4921 Nr. 2.20 Drucksache 13/4921 Nr. 2.27 Drucksache 13/5056 Nr. 2.3 Drucksache 13/5295 Nr. 1.8 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/4466 Nr. 2.2 Drucksache 13/4466 Nr. 2.21 Drucksache 13/4678 Nr. 2.3 Drucksache 13/4678 Nr. 2.5 Drucksache 13/4678 Nr. 2.36 Drucksache 13/4921 Nr. 2.1 Drucksache 13/5295 Nr. 1.7 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/4921 Nr. 2.3 Drucksache 13/5056 Nr. 2.5 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/4514 Nr. 2.24 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/4921 Nr. 1.4
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    Rede von Matthäus Strebl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die Vorsitzende des Petitionsausschusses des Bundestages, Frau Nickels, gesagt hat, daß der Petitionsausschuß in Bayern öffentlich tage und daß das gut sei, muß ich sagen, daß der Fortschritt bayerisch spricht.

    (Heiterkeit Christa Nickels [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Im Petitionsrecht auf jeden Fall, vorbildlich!)

    Ich kenne die Problematik von öffentlichen und
    nichtöffentlichen Sitzungen, werte Kollegin, auch
    aus 20jähriger Tätigkeit in der Kommunalpolitik. Ich

    Matthäus Strebl
    weiß sehr wohl, daß in öffentlichen Sitzungen auf Grund der Anwesenheit der Presse manches zerredet wird. Ich glaube, ich spreche auch im Namen meiner Fraktion, wenn ich sage, daß Petitionen weiterhin in nichtöffentlicher Sitzung behandelt werden sollten.

    (Zuruf von der SPD: Warum haben Sie denn soviel Angst vor der Öffentlichkeit?)

    Der größte Teil der Petitionen mit rund 5 700 Eingaben fällt in den Bereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Gegenüber dem Jahr 1994 ist dies eine Steigerung von rund 41 Prozent. Während die Eingaben zum Bereich der Arbeitsverwaltung im Vergleich zum Vorjahr zurückgingen, stiegen sie im Bereich Sozialordnung sprunghaft, nämlich um rund 65 Prozent, an.
    Ein Großteil der Petitionen betraf - wie bereits in den Vorjahren - den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung.
    Ein dringendes Anliegen, vor allen Dingen vieler Petenten aus meiner bayerischen Heimat, war die Beitragspflicht der Ehegatten von Nebenerwerbslandwirten zur Alterssicherung der Landwirte. So wandten sich allein aus Bayern über 60 Ehegatten von Nebenerwerbslandwirten an den Ausschuß. Für sie war der Beitrag von damals 291 DM pro Monat zur Alterssicherung angesichts der schwierigen Lage in der Landwirtschaft zu hoch.
    Alle Parteien hatten das Agrarsozialreformgesetz 1995 unterstützt, weil dadurch die Bäuerinnen eine eigenständige Sicherung erhalten sollten; denn dies war trotz erheblicher Mitarbeit im Familienbetrieb bis dahin nicht der Fall. Bei einigen Nebenerwerbslandwirten und ihren Ehegatten führte dies aber zu nicht vertretbaren Härten. Deshalb empfahl der Ausschuß, die Petition an das BMA mit der Frage zu überweisen, ob es nicht Abhilfe schaffen könne.
    Gleichzeitig aber war Eile geboten. Das Gesetz erlaubte den Ehegatten nur bis zum 31. Dezember 1995, eine Lebensversicherung als andere Möglichkeit der Alterssicherung abzuschließen. Die Petition wurde auch den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis gegeben. Daraufhin beschloß dieser am 23. November 1995 das Gesetz zur Reform der agrarsozialen Sicherung. So haben diese Bäuerinnen jetzt unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, sich von der Versicherungspflicht befreien zu lassen.
    Im Bereich der Arbeitsverwaltung betraf die überwiegende Zahl der Eingaben die Berechnung von Lohnersatzleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und des Kindergeldes, aber auch Beschwerden über die Art und Weise der Bearbeitung durch die Arbeitsämter.
    Ein Beispiel: Einen Fall hat der Petitionsausschuß zum Anlaß genommen, § 135 Abs. 1 Nr. 2 des AFG zu ergänzen. Es hatte sich nämlich ein Petent beschwert, daß der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erlischt, wenn ein Jahr nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes vergangen ist. Der Petent war zeit seines Lebens sehr sparsam gewesen und hatte sich für den Notfall Rücklagen geschaffen. Als er arbeitslos wurde, bezog er zunächst Arbeitslosengeld. Die im Anschluß daran beantragte Arbeitslosenhilfe wurde ihm auf Grund seines Vermögens aber nicht gewährt. Weil er von diesem Vermögen länger als ein Jahr seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, verfiel sein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe.
    Im Ausschuß waren wir uns aber einig darüber: Niemand soll benachteiligt werden, weil er sparsam ist und seinen Lebensunterhalt auch in Notfällen erst einmal selbst bestreiten kann. Auf Empfehlung des Petitionsausschusses legte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor. Der Deutsche Bundestag beschloß am 9. Februar 1996 eine Ergänzung des entsprechenden Paragraphen des AFG. Damit wird der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe von einem Jahr auf höchstens zwei Jahre verlängert.
    Im Geschäftsbereich des BMG stiegen die Eingaben gegenüber 1994 beträchtlich. Sie betrafen im überwiegenden Teil Fragen der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung oder Forderungen nach Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung. In einem Fall wurde die Rechtsunsicherheit in Art. 56 der Überleitungsvorschriften des Gesundheitsstrukturgesetzes von 1993 sichtbar, der nicht unbedingt dem Gedanken des Gesundheits-Reformgesetzes von 1989 entsprach.
    So gab es eine Petentin, die 37 Jahre überwiegend freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert war. Im Jahre 1989 wechselte sie in die private Krankenversicherung über, im guten Glauben, als Rentnerin wieder Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung werden zu können. - Dies sah das Gesundheits-Reformgesetz von 1989 vor. - Der Petentin wurde dies verweigert, weil nach dem Gesundheitsstrukturgesetz von 1993 eine erneute Mitgliedschaft in der GKV nicht möglich sei.
    Nach ausführlicher Diskussion im Petitionsausschuß gelangten wir diesbezüglich zu der Auffassung, daß dies eigentlich nicht die Absicht des Gesetzgebers war. Derjenige, der seit dem 1. Januar 1993 nicht mehr Pflichtmitglied in der Krankenversicherung der Rentner werden kann, sollte von einer freiwilligen Mitgliedschaft in der GKV nicht ausgeschlossen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Falle kam es nur deshalb noch nicht zu einer Gesetzesänderung, weil dem Bundessozialgericht mehrere solcher Fälle zur Entscheidung vorliegen. Sicher ist aber: Wenn eine Entscheidung des BSG keine Abhilfe für die Betroffenen bringt, will das BMG eine klarstellende Gesetzesänderung vorschlagen.
    Ich denke, ich darf zum Abschluß sagen, daß der Petitionsausschuß im Jahr 1995 eine gute Arbeit geleistet hat, und möchte auch von dieser Stelle den vielen unermüdlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschusses den Dank des Hauses sagen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)




Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat die Kollegin Christel Deichmann, SPD.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Christel Deichmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit einem Jahr bin ich nun Mitglied im Petitionsausschuß. Ich muß schon sagen: Es ist oft sehr erschütternd, was da an Einzelschicksalen vorgetragen wird.
    Erfreulich ist es, wenn den Anliegen der Bürger und Bürgerinnen durch die beharrlichen Bemühungen im Ausschuß zum Erfolg verholfen werden kann. Leider gibt es aber auch die vielen anderen Fälle, in denen den Petenten nicht geholfen wurde. Oftmals ist es schon erschreckend, wenn man feststellen muß, welche erfolglosen Mühen und Anstrengungen die Petenten bereits hinter sich gebracht haben, bevor sie sich an den Ausschuß wenden.
    Beispielsweise wartete ein Petent fünf Jahre auf den endgültigen Bescheid bezüglich seiner Sozialversicherungsangelegenheiten durch das Bundesversicherungsamt Berlin. Das ist kein Einzelfall. Vor der Wende hätte ich gesagt: Na ja, das ist der sozialistische Gang. Jetzt bleibt nur festzustellen: Der marktwirtschaftliche Bürokratismus ist oft ebenfalls ein Irrgarten für den einfachen, in bürokratischen Mechanismen ungeübten Bürger. Die in den Behörden und Institutionen teilweise anzutreffende Überbürokratisierung und Unbeweglichkeit baut Hürden auf, die Otto Normalverbraucher kaum zu überwinden vermag. Hier sind Engagement und Flexibilität gefragt. Das kostet auch kein Geld. Dieses Problem zieht sich wie ein roter Faden durch viele Petitionen.
    1995, im Jahr fünf der deutschen Einheit, stiegen die Eingaben aus den neuen Bundesländern im Vergleich zum Vorjahreszeitraum überproportional an; die Vorredner haben das bereits ausgeführt. Diese Entwicklung kann zweierlei bedeuten: Zum einen nutzen sicherlich immer mehr Bürger und Bürgerinnen aus dem Osten die Möglichkeit, ihren Anliegen innerhalb des parlamentarischen Systems Gehör zu verschaffen.
    Zum anderen möchte ich einen Zusammenhang in Erinnerung rufen, den der Kollege Dehnel in der Debatte zu diesem Punkt letztes Jahr geäußert hat: Er sagte, der damals zu verzeichnende Rückgang der Zahl der Petitionen aus Ostdeutschland deute darauf hin, daß es eine weitere Normalisierung der Verhältnisse in den neuen Bundesländern gegeben habe und daß die Kritik am Einigungsprozeß, besonders im sozialen Bereich, zurückgegangen sei.
    Wenn man diese Argumentation nun auf den Bericht 1995 überträgt, muß man folgern, daß die Kritik offensichtlich wieder stärker und die Probleme größer geworden sind. Verwunderlich ist das nicht in Anbetracht der wirtschaftlichen Situation in den neuen Bundesländern, das heißt: des negativen Wirtschaftswachstums. Die miserable Situation wurde ja gestern schon während der Debatte zu diesem Thema von meinem Kollegen Rolf Schwanitz dargestellt. Daß dann der Petitionsausschuß oftmals die letzte Möglichkeit für die bedrängten Menschen ist, um sich Gehör zu verschaffen, ist nur allzu verständlich.
    Zum Thema Tiefflug - das wurde bereits angesprochen - kamen 1995 zahlreiche Sammelpetitionen bei uns an, mit rund 47 000 Unterschriften. Wenn dies im Bericht unter Punkt 2.12 mit folgender Bemerkung kommentiert wird: „Die Ursachen für die deutliche Zunahme der Beschwerden über militärische Tiefflüge sind schwer feststellbar", so ist diese Kommentierung nicht zu verstehen.
    Die Petenten haben ihre Anliegen ausführlich erläutert, und wir haben hierzu im März 1996 im Plenum eine umfangreiche Debatte geführt. Im März 1996 waren es übrigens dann schon 80 000 Unterschriften, an denen Bürgermeister, Landräte, Regierungspräsidenten usw. beteiligt waren. Zu sagen, die Ursachen seien schwer feststellbar, ist einfach am Thema vorbei.
    Ich weise nur darauf hin - das habe ich auch damals gesagt -, daß allein die laufenden Kosten für eine Tiefflugstunde mit rund 22 000 DM beziffert werden. Das ergibt bei rund 14 000 Tiefflugstunden pro Jahr eine Summe von 268 Millionen DM. Die Kosten für einen Simulator werden mit 700 Millionen DM angegeben. Ein solches Gerät hätte sich also innerhalb von weniger als drei Jahren amortisiert.
    Wir haben über die veränderte politische Lage gesprochen; das Thema ist längst nicht vom Tisch. Ich hoffe, daß es in diesem Bereich weiter Bewegung gibt.
    Wie erwähnt, war auch das Thema Renten häufig Gegenstand der Beschwerden. Im Mittelpunkt stand das Renten-Überleitungsgesetz, zu dem es außergewöhnlich viele Petitionen gab. Viele Beschwerden gab es auch über die Arbeitsweise der Rentenversicherungsträger, zur Rentenberechnung usw. Die Sozialversicherungsträger würden sich und sicherlich auch dem Petitionsausschuß eine Menge Arbeit ersparen, wenn sie in ihren Stellungnahmen und Bescheiden eine größere Bürgernähe zeigen würden, damit der Rentenempfänger den Bescheid versteht.
    In diesem Zusammenhang möchte ich auch die unzureichende Wiedergutmachungsregelung ansprechen. Diejenigen, die aus den ehemaligen deutschen Gebieten östlich der Oder stammen und in die Sowjetunion verschleppt wurden, dort unter unvorstellbaren Bedingungen Arbeitsdienst leisten mußten, also ein schweres Schicksal erlitten haben, erhalten bis heute keine Entschädigung. Sie fallen nämlich nicht unter das 1. Unrechtsbereinigungsgesetz. Dieses Problem darf sich nicht biologisch lösen; möglichst bald muß hier eine gesetzliche Regelung geschaffen werden.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heidemarie Lüth [PDS])

    Es ist beschämend, wenn unsere Gesellschaft - in
    einem solidarischen Akt - diesen Menschen nicht zumindest ein Zeichen geben kann; von Wiedergutma-

    Christel Deichmann
    chung kann keine Rede sein. In dieses Problemfeld gehört auch, daß der Zwangsarbeitsdienst nicht auf die Rente angerechnet wird.

    (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Unerhört!)

    Viele Petitionen kamen auch zur verfehlten Politik der Treuhand bzw. deren Nachfolgeinstitutionen. Zur Erinnerung: Zwei Drittel der ostdeutschen Industrie sind während der Tätigkeit der Treuhandanstalt in Berlin von der Bildfläche verschwunden. Das im Petitionsbericht vermittelte Bild durch Darstellung ausschließlich positiv beschiedener Eingaben entspricht nicht im entferntesten der tatsächlichen Situation.
    Betrachten wir einzelne Unternehmen, wird das Problem besonders deutlich. Ich möchte ein Beispiel nennen: In Schwerin wurde 1991 das Plast-Maschinenwerk an die Firma Hemscheid aus Wuppertal zu einem Freundschaftspreis verhökert. Immer wieder hieß es, die Firma sollte geschlossen werden. Als dann die Fristen, die im Zusammenhang mit Krediten und Landesbürgschaften gewährt wurden, verstrichen waren, wurde im Juli 1996 das Konkursverfahren eröffnet. Das Haus Hemscheid wird deswegen wohl nicht untergehen, aber viele kleine Firmen, die 1991 ebenfalls aus dem ursprünglichen Plast-Maschinenwerk heraus gegründet wurden, trudeln jetzt im Sog dieses Konkursverfahrens. Was das für die betroffenen Menschen bedeutet, weiß ich; denn sie sind meine Nachbarn.
    Ersatzarbeitsplätze sind nicht in Sicht, in Sicht ist aber eine Reduzierung der Arbeitsförderungsmaßnahmen, der die Koalitionsabgeordneten aus Mecklenburg-Vorpommern sicherlich zustimmen werden. Genauso werden die ostdeutschen Koalitionsabgeordneten die Sorgen ignorieren, die 1995 in weiteren Sammelpetitionen als Protest gegen die Lohn- und Gehaltsabsenkungen für ABM-Mitarbeiter zum Ausdruck kommen.