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ID1312913000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 13/129 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 129. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1996 Inhalt: Vorverlegung der Frist für die Einreichung der Fragen für die Fragestunde 11631 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu Beratungen des Tarifausschusses über Mindestlöhne im Baugewerbe 11619 A Leyla Onur SPD 11619 B Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . 11620B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11621B Uwe Lühr F.D.P 11622 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 11622 D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 11623 C Peter Dreßen SPD 11624 B Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU . . . 11625B Ernst Schwanhold SPD 11625 D Heinz Schemken CDU/CSU 11626 D Erika Lotz SPD 11627 D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 11628D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 11630 B Tagesordnungspunkt 14: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 13/5583, 13/5750) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 13/5582, 13/5750) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Kerstin Müller (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Kompensation von Überhangmandaten (Drucksachen 13/5575, 13/5750) . . 11631 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Wahlkreiskommission für die 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz - zu dem Zwischenbericht der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages: Empfehlungen für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag und zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages - zu dem Ergänzenden Bericht der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages zu dem Zwischenbericht: Empfehlungen für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag und zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages hier: Empfehlungen zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages ab der 15. Wahlperiode (Drucksachen 13/3804, 13/4560, 13/ 4860, 13/5750) 11631 C Erwin Marschewski CDU/CSU 11632 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 11633 C Fritz Rudolf Körper SPD 11633 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11635A, 11644 C Peter Conradi SPD 11635 D Jörg van Essen F.D.P. 11637 B Dr. Gregor Gysi PDS 11638 D Dr. Dagmar Enkelmann PDS 11639 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . 11640B, 11645B, 11646 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . 11642 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 11644 B Dr. Gregor Gysi PDS 11645D Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Drucksachen 13/2576, 13/ 5743) 11647 A Ronald Pofalla CDU/CSU 11647 B Allred Hartenbach SPD 11649 A Alfred Hartenbach SPD 11649 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11652B Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 11653 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 11654 D Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . 11655 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 11656 D Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . 11657 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 11658 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 11659 C Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Günter Graf (Friesoythe), Hans-Peter Kemper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Private Sicherheitsdienste (Drucksache 13/3432) 11660 A Günter Graf (Friesoythe) SPD 11660 B Michael Teiser CDU/CSU 11662 C Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . 11662 D Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11665A Dr. Max Stadler F D P. 11665 B Dr. Max Stadler F D P. 11666 B Dr. Winfried Wolf PDS 11667 D Hans-Peter Kemper SPD 11668 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 11670B Tagesordnungspunkt 17: Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag - Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 1995 (Drucksache 13/ 4498) 11671C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11671C, 11682D Wolfgang Dehnel CDU/CSU 11673 D Lisa Seuster SPD 11675 C Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . 11677A Heidemarie Lüth PDS 11679 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU . 11680B, 11684 B Wilma Glücklich CDU/CSU 11681 C Jutta Müller (Völklingen) SPD 11683 B Klaus Dieter Reichardt (Mannheim) CDU/ CSU 11685B Lisa Seuster SPD 11686 B Jutta Müller (Völklingen) SPD . . . 11686C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11686D Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11687 D Hildegard Wester SPD 11689 A Matthäus Strebl CDU/CSU 11690 D Christel Deichmann SPD 11692A Tagesordnungspunkt 18: Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung" (Drucksachen 13/984, 13/5749) . . . 11693C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 11693 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 11694 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11695 C Nächste Sitzung 11696 C Berichtigung 11696 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 11697* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) 11697* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 18 (Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung") Reiner Krziskewitz CDU/CSU 11698* B Ludwig Eich SPD 11699* C Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 11700* C 129. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1996 Beginn: 8.00 Uhr
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    Berichtigung 128. Sitzung, Seite 11576A; der Text Geradezu perfide wird dieser Vorgang dadurch, daß die parlamentarische Mehrheit diese Entscheidung auch noch gegen den Willen derer, die Steuern zu bezahlen haben, durchsetzt, obwohl man gerade hier mit größtem Einvernehmen streichen und sparen könnte. ist die Fortsetzung des vorstehenden Zitats und dementsprechend einzurücken. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 11. 10. 96 Bläss, Petra PDS 11. 10. 96 Böttcher, Maritta PDS 11. 10. 96 Borchert, Jochen CDU/CSU 11. 10. 96 Braune, Tilo SPD 11. 10. 96 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 11. 10. 96 Buntenbach, Annelie BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Burchardt, Ulla SPD 11. 10. 96 Glos, Michael CDU/CSU 11. 10. 96 Irber, Brunhilde SPD 11. 10. 96 Dr. Jacob, Willibald PDS 11. 10. 96 Jelpke, Ulla PDS 11. 10. 96 Dr. Küster, Uwe SPD 11. 10. 96 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 11. 10. 96 Karl-Hans Leutheusser- F.D.P. 11. 10. 96 Schnarrenberger, Sabine Lummer, Heinrich CDU/CSU 11. 10. 96 * Mehl, Ulrike SPD 11. 10. 96 Neuhäuser, Rosel PDS 11. 10. 96 Neumann (Berlin), Kurt SPD 11. 10. 96 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 11. 10. 96 Hermann Reuter, Bernd SPD 11. 10. 96 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 11. 10. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Schönberger, Ursula BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Steindor, Marina BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Tappe, Joachim SPD 11. 10. 96 Terborg, Margitta SPD 11. 10. 96 * Thieser, Dietmar SPD 11. 10. 96 Vosen, Josef SPD 11. 10. 96 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 11. 10. 96 Zierer, Benno CDU/CSU 11. 10. 96 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach j 31 GO des Abgeordneten Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) Ich möchte hier, da es sich um eine sehr wichtige Entscheidung handelt, ein paar Sätze zu meinem ansonsten vielleicht für manche mißverständlichen Verhalten in der nachfolgenden Abstimmung sagen. Dieser Erklärung schließen sich die übrigen anwesenden Mitglieder meiner Fraktion an. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen regelt,was wir in der Reformkommission fraktionsübergreifend miteinander vereinbart haben. Und da gab es ja viel und wichtigen Konsens: Ich will - und auch dies gilt in gleicher Weise für die gesamte Fraktion - die Verkleinerung des Bundestages, wie die Kommission sie nach langem Hin und Her beschlossen hat. Ich habe mich von Anfang an dafür eingesetzt und hätte auch eine Sitzzahl, die deutlicher unter der 600er-Grenze liegt als die nicht gerade berauschende Zahl 598, für möglich, ja sogar für besser als die jetzige Lösung gehalten. Ich trage aber das Verhandlungsergebnis ausdrücklich mit. Und ich will auch, daß wenigstens zukünftig - selbst wenn all dies erst ab der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag gelten soll - endlich von Gesetzes wegen vorgeschrieben wird, daß die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen muß. Genauso habe ich mich die ganze Zeit über dafür eingesetzt, die zulässige Abweichung der Bevölkerungszahlen der Wahlkreise untereinander auf im Regelfall 15 Prozent, maximal aber 25 Prozent zu beschränken. Denn die bisherige Regelung führt, wie wir wissen, im Einzelfall zu Unterschieden bei der Zahl der Stimmberechtigten zu verschiedenen Wahlkreisen im Größenverhältnis von 1 : 2. Das ist nicht mehr hinnehmbar! All diesen Regelungen im Koalitionsentwurf kann ich also zustimmen. Der Entwurf wird falsch nicht durch das, was in ihm steht, sondern durch das, was nicht in ihm steht. Und das ist der weitaus gravierendere Punkt. Denn die Verschiebung all dieser sinnvollen o. g. Gesetzesänderungen auf einen Tag irgendwann um das Jahr 2000 und insbesondere die geradezu peinliche Formel: „Artikel 1 Nr. 1 tritt an dem Tage in Kraft, an dem das in Artikel 2 genannte Gesetz in Kraft tritt" - wohlgemerkt ein Gesetz, von dem es noch nicht einmal einen Entwurf gibt und noch völlig offen ist, ob es überhaupt zustandekommt -, all dies ist rechts- und verfassungspolitisch mehr als fragwürdig, zeigt, auf welch schwankendem Grund ihre ganze unhaltbare Konstruktion ge- baut ist, mit der sie hoffen, einen verfassungswidrigen Zustand noch über die Zeit retten zu können; all dies also ist keinesfalls zustimmungsfähig. Vor allem aber krankt Ihr Gesetzentwurf, wenn man akzeptiert, was in ihm steht, an dem, was eben nicht drin steht: eine Ausgleichsregelung für die zu erwartende hohe Zahl an Überhangmandaten. Wir können diesem Gesetzentwurf also - auch wenn wir für die Verkleinerung und die Änderung der Toleranzgrenzen sind - nicht zustimmen. Ich werde mich daher in der Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf der Stimme enthalten. Den SPD-Entwurf werde ich ablehnen, weil wir für das gleiche Problem eine bessere Regelung vorgeschlagen haben. Insofern stehen diese beiden Entwürfe in Konkurrenz zueinander. Ich bedauere sehr, daß es all unseren Bemühungen zum Trotz nicht zu einem gemeinsamen Entwurf gekommen ist, weil sich die SPD bis zum Schluß die Beratungen in der Reformkommission noch gegen eine Ausgleichsregelung ausgesprochen hat, dann aber, als Sie sich nach Vorlage unseres Entwurfes in internen Gesprächen von unseren Argumenten überzeugen ließ, unbedingt der Meinung war, sie müsse einen eigenen Entwurf einbringen und könne sich einem gemeinsamen Entwurf nicht anschließen. Umso dankbarer bin ich, daß der ehemalige Partei- und Fraktionsvorsitzende und gegenwärtig Sachverständige der SPD, Hans-Jochen Vogel, der die Debatte in der Reformkommission die gesamte Zeit über mitverfolgt und geführt hatte, gestern öffentlich erklärt hat, er würde dem Gesetzentwurf der Grünen den Vorzug geben. Das werde ich in der Abstimmung auch tun. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 18 (Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Refom der Kommunalfinanzierung") Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Mit Recht wird die finanzielle Situation der deutschen Kommunen heute als besonders angespannt bezeichnet. Kommunale Finanzierungsprobleme nehmen in der finanzpolitischen Debatte eine zentrale Stellung ein, und jeder Politiker wird genügend Beispiele aus seinem Wahlkreis beisteuern können, die von den Auseinandersetzungen zwischen Kommunen und Landkreis, Landkreis und Land berichten. Es handelt sich zwar hier um ein Dauerthema, aber es ist nicht zu übersehen, daß in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation, unvorhergesehener gesamtstaatlicher finanzieller Verpflichtungen, wie sie im Gefolge der deutschen Einheit unumgänglich sind, und weltweiter technologisch/ökonomischer Umbruchsituationen die Kommunen als letztes Element in einer Organisation staatlicher Gliederung besonders betroffen sind. Es fehlt nicht an Analysen unterschiedlichster Art auf diesem Gebiet. Beim Recherchieren zu diesem Thema stößt man auf wahre Berge von Vorschlägen und Denkschriften. Die wissenschaftliche Ernsthaftigkeit vieler Modelle ist nicht anzuzweifeln, die politische Umsetzbarkeit in der heutigen konkreten Situation ist jedoch fraglich. Ich habe deshalb große Zweifel, ob eine EnqueteKommission wirklich neue Erkenntnisse produzieren könnte. Bestenfalls könnte sie mehr oder weniger Bekanntes zusammenfassen oder ordnen. Eine Enquete-Kommission kann aber vor allem eines nicht leisten: Sie kann keine neuen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen, noch viel weniger kann sie deren politische Umsetzbarkeit dekretieren. In der augenblicklichen Situation ist aber ein schnelles und entschlossenes Handeln nötig, das die übernationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht aus den Augen verliert und einer gesamtvolkswirtschaftlichen Betrachtungsweise die gesetzlich notwendigen Regelungen verschafft. Die Handlungsweise der Bundesregierung auf diesem Gebiet, besonders im Hinblick auf die neuen Bundesländer, ist dadurch bestimmt, daß die Sicherung der kommunalen Finanzen einen hohen Stellenwert einnimmt. Ich erinnere hier an die kommunale Investitionspauschale für die Gemeinden in den neuen Bundesländern, an die Entlastungswirkung der Pflegeversicherung und an die Neuordnung des Länderfinanzausgleiches. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß die deutsche Finanzverfassung sich auch in einem zweigliedrigen Staatsaufbau, in dem die Gemeinden Teil der Länder sind, wiederfindet. Bei allen Einwänden, die auf Reibungsverlusten, widersprüchlicher Interessenlage, auch unterschiedlichen Wirkungsmöglichkeiten beruhen, hat sich diese Finanzverfassung bewährt. Ich sehe auch keine reale Chance, dies grundsätzlich zu ändern. Wir sollten auch eine Intention der Antragsteller nicht übersehen, die offensichtlich dahin geht, Finanzlasten auf den Bund zu verschieben. Die Verschuldungsrate der Kommunen ist zweifellos hoch und für die Gemeinden drückend. Ebenso ist anzumerken, daß der Bund mit einer Zinslast von 20 Prozent seiner Ausgaben an einer absoluten Obergrenze angelangt ist. Ein Großteil dieser Verschuldung ist als Kostenfolge des deuschen Einigungsprozesses anzusehen. Der Bund hat hier - und nicht zuletzt im Interesse der Kommunen aus den neuen Bundesländern - Vorleistungen geschaffen. Auch wenn wir neue Ausgaben in den sogenannten Erblastentilgungsfonds schieben, so muß daran erinnert werden, daß die Tilgung dieses Fonds 30 Jahre in Anspruch nehmen wird. Um es zu veranschaulichen: Nicht wir, sondern unsere Kinder und Enkel werden diesen Schuldenberg zu tilgen haben. Ein vernünftiger volkswirtschaftlicher Ansatz für die Neugestaltung von Steuereinnahmen und deren Verteilung muß alle Aspekte und Wirkungen be- trachten. Ich möchte das an folgendem Beispiel demonstrieren: Man mag zur Gewerbesteuer stehen, wie man will, aber es ist nicht zu leugnen, daß die Koppelung kommunaler und wirtschaftlicher Interessen in einem konkreten regionalen Bezug einen Sinn ergibt. Wenn auch eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung dieser Steuer unumgänglich ist, so sollte eine Koppelung der eben erwähnten Interessen von Gemeinden und Unternehmen beibehalten werden. Die in der Gewerbesteuer enthaltene Gewerbekapitalsteuer erfüllt diese Funktion nicht. Als Substanzsteuer, die selbst Schulden noch besteuert und auch bei negativem Betriebsergebnis wirkt, gehört sie abgeschafft. Selbstverständlich müssen die Kommunen eine entsprechende Kompensation erhalten. Die Koalition hat hierzu einen Anteil an der Umsatzsteuer vorgeschlagen. Um einen möglichst genauen Verteilungsschlüssel zu erhalten, werden seit 1995 entsprechende Steuerstatistikdaten erfaßt. In einer kurzen Übergangsphase sollen die Kommunen die bei Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer entstehenden Defizite ohne Berücksichtigung der erhöhten Anteile an der Einkommensteuer voll ausgeglichen erhalten. Da die neuen Bundesländer bisher keine Gewerbekapitalsteuer erheben, schlagen wir vor, einen Zuschlag in Höhe eines geschätzten fiktiven Gewerbekapitalsteueranteils von 25 Prozent des Gesamtvolumens der betreffenden Gewerbesteuer nach Ländern zu erstatten. Nach überschlägigen Rechnungen dürften das für die Kommunen in den neuen Bundesländern zusätzliche Einnahmesverbesserungen in Höhe von etwa 700 Millionen DM sein. Es liegt auf der Hand, daß bei einer Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern, die, wie jeder Kenner der Materie weiß, nicht nur kontraproduktiv, sondern in ihrer Umsetzung nur mit großen technischen Schwierigkeiten behaftet wäre, dieses zusätzliche Steueraufkommen nur schwer zu erreichen ist. Dem Wunsche der Kommunen, den Umsatzsteueranteil als verbrieftes Recht auch grundgesetzlich zu verankern, ist die Koalition gefolgt. Der Finanzausschuß hat sich gestern in einer Anhörung von Vertretern der kommunalen Spitzenverbände mit diesem Thema befaßt. Dabei wurde eines deutlich: Es gab Kritik von jedem an jedem, man feilschte, ob 15 Prozent oder 13,5 Prozent, die Frage des Aufteilungsschlüssels war nicht ausdiskutiert usw. In der Sache war aber zur Verblüffung aller festzustellen: die Angelegenheit ist realisierbar. Meine Damen und Herren, hier bedarf es keiner Enquete-Kommission! Zur Substanz des Vorhabens ist bereits an berufener Stelle alles gesagt worden. - Nun muß verhandelt werden, müssen konkrete Formulierungen gefunden werden. Jetzt muß politisch gehandelt werden! Meine Damen und Herren, dieses Beispiel ist zweifellos nicht die Gesamtlösung der Problematik, sondern zeigt die Richtung an, in der wir gesamtvolkswirtschaftliche und kommunale Interessen verbinden müssen. Die Fraktion der CDU/CSU lehnt den eingebrachten Vorschlag zur Einsetzung einer Enquete-Kommission ab. Ludwig Eich (SPD): Über alle Parteigrenzen hinweg besteht Einigkeit darüber, daß sich die Finanzlage der Kommunen in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert hat. 1995 bestand ein Finanzierungsdefizit der Städte und Gemeinden von rund 13 Milliarden Mark. In der Regierungsverantwortung von CDU/CSU und F.D.P. haben sich die kommunalen Schulden von 97 Milliarden Mark im Jahre 1982 auf den Spitzenstand von jetzt 150 Milliarden Mark erhöht. Die Zinslast ist entsprechend gestiegen. Auch diese Negativrekorde, verehrte Damen und Herren von der Koalition, haben Sie politisch zu verantworten. Wer in der Steuer- und Sozialpolitik immer nur die Interessen der eigenen Klientel im Auge hat und nicht die Auswirkungen auf die dritte Ebene des Staates beachtet, der darf sich über diese politische Schuldzuweisung nicht wundern. Die Folgen einer solchen Politik für die Menschen und unser Gemeinwesen sind verheerend: Aufträge der Kommunen für Handwerk und Gewerbe gehen rapide zurück, wichtige soziale und kulturelle Angebote der Kommunen verkümmern. Zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen tätigen unsere Kommunen. Wann begreifen Sie in der Regierungskoalition, daß Ihre Politik der Lastenverschiebung auf die Kommunen eine Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen muß? Städte mit hoher Arbeitslosenquote sind arme Städte. Sie sind arm, weil mit hoher Arbeitslosigkeit in der Regel nicht nur ein Rückgang der Gewerbesteuer einhergeht. Sie sind arm, weil auch die Einnahmen aus der Einkommensteuer sinken. Und sie sind arm, weil ihre Aufwendungen für die Sozialhilfe steigen und steigen! Viele, zu viele Menschen in den Städten sind nicht nur arm wegen ihres sozialen Abstiegs. Zu viele Menschen werden auch deshalb ärmer, weil sie in einer armen Stadt leben. Die Krise unseres Staates zeigt sich auf der Ebene der Kommunen unmittelbar. Unser Sozialstaat wird durch Ihre Politik, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und nicht zuletzt von der F.D.P., auf der Ebene der Kommunen am härtesten getroffen. So darf das nicht weitergehen! Wenn dieses Dilemma mit seinen Folgen von Herrn Westerwelle nicht begriffen wird, so kann ich das beinahe verstehen. Aber es gibt in der Unionsfraktion Bürgermeister und Landräte genug, die genau wissen, daß es so nicht weitergehen kann und so nicht weitergehen darf. Die Wahlkreise aller Abgeordneten bestehen aus Gemeinden, aus Städten und Gebietskörperschaften. In den Kommunen ist der Eindruck entstanden, daß viele Kolleginnen und Kollegen die Lage ihrer Kommunen vergessen. Eine andere Erklärung habe auch ich leider mit Blick auf die Stellungnahme der Koalitionsfraktionen zum Antrag der PDS auf Einsetzung einer EnqueteKommission „Reform der Kommunalfinanzierung" nicht parat. Ich zitiere aus der Beschlußempfehlung des Ausschusses: Die Koalitionsfraktionen begründeten ihre Ablehnung damit, daß aufgrund der im Rahmen des Jahressteuergesetzes 1997 von ihnen angestrebten Reform der Gemeindefinanzen kein Bedarf zur Einrichtung einer Enquete-Kommission zu erkennen sei. Die geplante Beteiligung der Gemeinden am Umsatzsteueraufkommen bedeute entgegen der Auffassung der Antragsteller eine grundlegende und positive Veränderung des Systems der Kommunalfinanzierung. Mit anderen Worten: Die Regierungsfraktionen vertreten tatsächlich die Auffassung, die Finanzprobleme der Kommunen wären damit gelöst! Die entscheidende Ursache für die kommunale Finanzmisere liegt jedoch auf der Ausgabenseite. Ist es nicht so, daß mit den horrend gestiegenen Ausgaben im Bereich Sozialhilfe unser gesellschaftspolitisches Problem Nr. 1, nämlich die Massenarbeitslosigkeit, bei den Kommunen voll durchschlägt? Und ist es nicht so, daß unsere Städte, Gemeinden und Landkreise deshalb überfordert sind, weil sie alleine die Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit zu tragen haben? Was berechtigt Sie von Union und F.D.P. eigentlich anzunehmen, es reiche zur Bewältigung der Krise aus, teilweise die kommunale Einnahmenseite statt aus dem einen Steuertopf nunmehr aus dem anderen Steuertopf zu finanzieren? Im übrigen fällt auf, daß Sie zwar eine Reform der Gemeindefinanzen anstreben, wie Sie es nennen, aber was liegt zur Beratung vor? Es gibt keine Vorlage! Fragen, die bereits vor einem Jahr gestellt wurden, sind immer noch nicht beantwortet. Es sind wichtige Fragen wie die, ob Sie die Gewerbeertragsteuer ganz oder teilweise abschaffen wollen, welche verfassungsrechtliche Absicherung Sie gegebenenfalls für die Gewerbeertragsteuer vorsehen und wie der vorläufige und wie der endgültige Beteiligungsschlüssel an der Mehrwertsteuer aussehen soll. In der gestrigen Anhörung der kommunalen Spitzenverbände wurde überdeutlich, daß Sie, die Regierungsfraktionen, nicht für die notwendige Klarheit sorgen. Aber auch die Steuerpolitik selbst wird von dieser Regierung Kohl auch weiterhin ohne Rücksicht auf die kommunalen Interessen betrieben. Als Beispiel nenne ich die geplante Abschaffung der Vermögensteuer. Damit werden nicht nur - und das in Zeiten finanzieller Not des Staates! - die Reichen und Superreichen beschenkt. Nein, die fehlenden Einnahmen werden sich auch über den kommunalen Finanzausgleich der Länder auswirken und zur Verschärfung der Finanzkrise der Städte und Gemeinden beitragen. Zur Lösung der kommunalen Finanzkrise brauchen wir eine andere Politik, eine Politik für den ganzen Staat, vor allem aber eine Politik für unseren noch vorhandenen Sozialstaat. Eine Reform der Gemeindefinanzen ist nicht zuletzt auch zur Stabilisierung unseres Sozialstaates dringend notwendig. Weil die SPD-Fraktion eine konzentrierte Arbeit zur Erreichung dieses Zieles für unbedingt wichtig erachtet, schlägt sie vor, eine gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und unter Hinzuziehung von Vertretern aus der Wissenschaft mit der Aufgabe zu betrauen, den gesetzgebenden Körperschaften möglichst schnell Vorschläge zu unterbreiten. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 702. Sitzung am 27. September 1996 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Hopfengesetz Gesetz zur Abschaffung der Gerichtsferien Gesetz zu der Vereinbarung vom 1. Mai 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Iran zur Aufhebung des Abschnitts II des Schlußprotokolls des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens Gesetz zu dem Abkommen vom 24. April 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Demokratischen Volksrepublik Algerien über die Seeschiffahrtsbeziehungen Gesetz zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Seeschiffahrt Gesetz zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Bau einer Grenzbrücke an der gemeinsamen Staatsgrenze im Zuge der Europastraße E 49 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 9. Oktober 1996 ihren Antrag „Vorlage des überfälligen Berichts über die Versorgungsleistungen im öffentlichen Dienst" - Drucksache 13/4617 - zurückgezogen. Der Abgeordnete Dr. Hansjörg Schäfer zieht seine Unterschrift zu dem Antrag „Bonn-Berlin-Umzug verschieben - Staatsfinanzen konsolidieren" - Drucksache 13/5581 - zurück. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Unterrichtung durch die Bundesregierung Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung - Drucksache 13/1479 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Euro- päische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Finanzausschuß Drucksache 13/4678 Nr. 2.27 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3668 Nr. 2.11 Drucksache 13/4137 Nr. 2.72 Drucksache 13/4514 Nr. 1.1 Drucksache 13/4514 Nr. 2.4 Drucksache 13/4514 Nr. 2.8 Drucksache 13/4514 Nr. 2.10 Drucksache 13/4514 Nr. 2.13 Drucksache 13/4514 Nr. 2.14 Drucksache 13/4514 Nr. 2.17 Drucksache 13/4514 Nr. 2.29 Drucksache 13/4514 Nr. 2.30 Drucksache 13/4514 Nr. 2.34 Drucksache 13/4514 Nr. 2.39 Drucksache 13/4514 Nr. 2.40 Drucksache 13/4514 Nr. 2.41 Drucksache 13/4514 Nr. 2.44 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/4137 Nr. 2.86 Drucksache 13/4514 Nr. 2.21 Drucksache 13/4678 Nr. 2.10 Drucksache 13/4678 Nr. 2.44 Drucksache 13/4921 Nr. 2.20 Drucksache 13/4921 Nr. 2.27 Drucksache 13/5056 Nr. 2.3 Drucksache 13/5295 Nr. 1.8 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/4466 Nr. 2.2 Drucksache 13/4466 Nr. 2.21 Drucksache 13/4678 Nr. 2.3 Drucksache 13/4678 Nr. 2.5 Drucksache 13/4678 Nr. 2.36 Drucksache 13/4921 Nr. 2.1 Drucksache 13/5295 Nr. 1.7 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/4921 Nr. 2.3 Drucksache 13/5056 Nr. 2.5 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/4514 Nr. 2.24 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/4921 Nr. 1.4
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Christa Nickels


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten wir einen „Leitfaden für besseres Regieren" . Diesen neuen Beinamen hat die Zeitung „Die Woche" dem Jahresbericht des Petitionsausschusses gegeben. Ich finde, das ist ein ganz treffender Beiname für unsere Arbeit.
    Ich möchte heute - fast zur Halbzeit der Legislaturperiode - in der Debatte über den Jahresbericht 1995 die Gelegenheit wahrnehmen, eine Zwischenbilanz unserer Arbeit zu ziehen. In den vergangenen Jahren hat sich ganz deutlich gezeigt, daß sich unser Ausschuß zu einem immer wichtigeren Beschwerdegremium für die Bürgerinnen und Bürger entwickelt hat. 1995 haben sich über 21 000 Menschen an unseren Ausschuß gewandt. Das war im Vergleich zum Vorjahr wiederum ein Anstieg um 9 Prozent. In Zeiten knapper Kassen und des Abbaus sozialer Standards ist damit zu rechnen, daß besonders im Renten- und Gesundheitsbereich in der nächsten Zeit die Eingabezahlen noch steigen werden. Aktuell merken wir das auch jetzt schon wieder.
    Diese Zahlen zeigen zwei Seiten einer Medaille. Die dunkle Seite ist, daß immer mehr Bürgerinnen und Bürger Probleme haben. Für Parlament und Regierung zeigt der Petitionsausschuß wie ein Spiegel, daß in vielen Bereichen eine Politik gemacht wird, die von vielen Menschen überhaupt nicht mehr nachvollzogen werden kann. Kritik und Protest wurden besonders im Zusammenhang mit dem Renten-Überleitungsgesetz, der Pflegeversicherung, den Auswirkungen der Gesundheitsreform, der Überleitung der Mieten in das Vergleichsmietensystem, dem Altschuldenhilfe-Gesetz, der Verkehrswegeplanung, der Lärmbelästigung und im Zusammenhang mit dem Umgang mit Asylbewerbern geäußert.

    Christa Nickels
    Die helle Seite der Medaille zeigt allerdings, daß der Petitionsausschuß ein großes Vertrauen gefunden hat und daß dem Bundestag zugetraut wird, Probleme zu lösen und Fehler zu korrigieren. Das betrachte ich als Kompliment für unsere Demokratie.
    Daß besonders viele Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern, die sonst der Politik des Bundestages eher skeptisch gegenüberstehen, die Hilfe des Petitionsausschusses suchen, ist auch ein gutes Zeichen. Ich weise entschieden die Kommentare derjenigen zurück, die diese Entwicklung gerne so hindrehen wollten, als ob die Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern ein größeres Lamento anstimmten. Das ist absolut nicht der Fall. Durch die drastischen Veränderungen bestehen dort sehr viele Probleme. Ich bin froh, daß sich diese Menschen an uns wenden, Vertrauen haben und glauben, daß sie an der richtigen Adresse sind.

    (Beifall im ganzen Hause)

    Uns Abgeordnete ehrt der enorme Vertrauensvorschuß aus der Bevölkerung. Ich kann den Bürgerinnen und Bürgern versichern, daß sich der Ausschußdienst und alle Abgeordneten mit viel Fleiß und Sachverstand darum bemühen, möglichst vielen Problemen abzuhelfen. Dafür möchte ich allen Beteiligten danken.
    Häufig höre ich allerdings von skeptischen Kolleginnen und Kollegen, die dem Ausschuß nicht angehören, und von Journalisten: Schön und gut, daß es den Kummerkasten gibt; aber erreichen kann er eigentlich nicht viel. Ich muß ganz klar und deutlich sagen, daß dies ein absolut falsches Vorurteil ist. Dies hat wahrscheinlich damit zu tun, daß das Petitionsrecht entgegen dem ersten Eindruck doch ein sehr komplexes Recht ist, das man kennen muß, um zu wissen, welche Möglichkeiten bestehen.
    Wir spüren im Ausschuß ganz genau, daß das Leben der Menschen immer komplizierter wird und sich viele im Gestrüpp von Gesetzen und Verordnungen nicht mehr zurechtfinden. Es herrscht ein riesengroßer Beratungsbedarf. Oft kann der Ausschußdienst oder der angesprochene Abgeordnete schon durch einen Rat oder die Übersendung von Informationsmaterialien den Menschen, die sich an uns wenden, weitergreifend helfen.
    In diesem Zusammenhang finde ich folgende Zahlen besonders bemerkenswert. Der Petitionsausschuß konnte in rund 38 Prozent aller Fälle direkt helfen oder zumindest Hilfe vermitteln. In 14 Prozent der Eingaben hat sich der Ausschuß über alle Parteigrenzen hinweg die Kritik bzw. die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger zu eigen gemacht. Das heißt, daß immerhin in 14 Prozent der Fälle ein einfacher Brief an den Petitionsausschuß mit einem Bürgeranliegen zu einem mehrheitlichen Beschluß des Deutschen Bundestages geführt hat.
    Wir Abgeordneten wissen alle - für mich als Oppositionsabgeordnete ist das noch viel deutlicher als für die Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen -, wie schwer es ist - oft unendlich schwer -, einem eigenen Vorschlag zu einem einvernehmlichen Beschluß hier im Deutschen Bundestag zu verhelfen. Man muß sich vor Augen halten, daß in 14 Prozent der Fälle die Bürgeranliegen mehrheitlich befürwortet werden.
    Durch kein anderes Gremium haben die Bürgerinnen und Bürger einen so direkten Zugang zur Volksvertretung, und das auch noch mit Aussicht auf Erfolg. Lediglich 36 Prozent der Eingaben sind aus verschiedensten Gründen erfolglos geblieben. Aber selbst dann ist eine Eingabe nicht nutzlos. Denn eine Funktion des Petitionsausschusses ist es auch, Themen wachzuhalten oder als Frühwarnsystem Probleme aufzuspüren und dahin zu vermitteln, wo sie noch gar nicht registriert sind. Die Eingaben machen auf Probleme aufmerksam und haben damit langfristig Einfluß auf die Politik. Selbst wenn der Bundestag Petitionen ablehnt, machen sehr oft Fraktionen, Arbeitskreise oder einzelne Abgeordnete Anliegen zu ihren eigenen und bearbeiten sie nachhaltig und intensiv.
    Die enorme Akzeptanz, die der Ausschuß bei der Bevölkerung findet, steht aber nach meinem Eindruck im krassen Widerspruch zu dem Stellenwert, den die Bundesregierung und - das sage ich selbstkritisch - auch der Bundestag dem Petitionsausschuß einräumen.
    Ich muß heute wieder an die Bundesregierung appellieren - das ist eine alljährliche Pflichtübung; ich hoffe, daß es irgendwann endlich besser wird -, die Beschlüsse des Petitionsausschusses ernster zu nehmen. Wir haben täglich die konkreten Auswirkungen der Politik der Bundesregierung auf dem Tisch. Wenn mehrheitlich gefaßte Parlamentsbeschlüsse dann Änderungen einfordern, ist das ein Angebot zur Problemlösung, wie es demokratischer und bürgernäher nicht sein kann. Trotzdem hat die Bundesregierung im Berichtszeitraum 1995 neunmal Berücksichtigungsbeschlüsse, unser höchstes Votum, nicht befolgt und sich in sage und schreibe 237 Fällen geweigert, der Bitte nachzukommen, Erwägungen des Ausschusses zu beachten. Das ist meines Erachtens nicht hinnehmbar.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie des Abg. Wolfgang Dehnel [CDU/CSU])

    Aber auch wir Abgeordneten und Fraktionen des Deutschen Bundestages müssen uns selbst in die Pflicht nehmen. Die Bundestagspräsidentin, Frau Rita Süssmuth, hat den Petitionsausschuß als Beitrag gegen die Krise der demokratischen Institutionen gewürdigt. Der Jahresbericht 1995 beweist wieder, daß der Petitionsausschuß einen herausragenden Platz im demokratischen Gefüge einnimmt. Unsere Arbeit kann sich sehen lassen und wird von den Bürgerinnen und Bürgern honoriert.
    In krassem Mißverhältnis dazu stehen die Plazierung der jährlichen Debatte - das sehen wir heute wieder einmal - und nach wie vor der Beratungszeitraum, den wir für unsere Ausschußberatungen zur Verfügung haben. Seit mehr als 20 Jahren, in einem Zeitraum, in dem sich die Zahl der Petitionen verdoppelt hat, sind wir gezwungen, mittwochs ab halb acht Uhr morgens, vor allen anderen Ausschüssen, 30 bis

    Christa Nickels
    40 Einzelanliegen im Hauruckverfahren durchzuziehen. Diese Beratungszeit wird der intensiven Vorbearbeitung, die teilweise ein Jahr dauert, in keinster Weise gerecht und mindert so die Bedeutung des Petitionsausschusses herab. Hier müssen andere Beratungszeiten her. Ich bin der Meinung, daß es möglich sein muß, daß andere Ausschüsse ihre Beratungszeiten verändern, damit wir endlich vernünftige Ausschußzeiten bekommen.
    Zum anderen wünsche ich mir, was die Sitzungsmodalitäten des Ausschusses angeht, hier im Bundestag bayerische Verhältnisse. Denn in Bayern tagt der Petitionsausschuß - vorbildlich - immer öffentlich, und das mit großem Erfolg. Dort werden die Petenten zuvor gefragt, ob sie damit einverstanden sind, und wenn sie das wollen, werden sie sogar in den Ausschuß eingeladen, um an der Sitzung teilzunehmen - ein absolut lobenswertes Beispiel.
    Natürlich eignen sich nicht alle Petitionen zur öffentlichen Beratung. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen gerade der Mehrheitsfraktionen, wir beschließen in unserem Ausschuß über 98 Prozent der Petitionen einstimmig. Da wird sich doch die eine oder andere Petition finden lassen, mit der wir die intensive und gute Arbeit des Ausschusses transparent und bürgerfreundlich darstellen können. Es ist doch absurd, daß ausgerechnet der Bürgerausschuß schlechthin sich bisher wie kaum ein anderer Ausschuß von der Öffentlichkeit abschottet; nach der Parlamentsreform haben wir es nämlich bis heute kein einziges Mal geschafft, öffentlich zu tagen. Das ist ein Aufruf, der an uns selber geht; das muß mit Mehrheit im Ausschuß beschlossen werden. Ich wünsche mir, daß wir das endlich einmal auf die Reihe kriegen.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Ich glaube, daß auch die Kolleginnen und Kollegen von den Mehrheitsfraktionen hier Gelegenheit hätten, ihre gute Arbeit im Petitionsausschuß bürgerfreundlich zu präsentieren.

    (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose)

    Ich glaube, daß wir uns als Ausschuß mehr Gewicht im parlamentarischen Alltag verschaffen müssen. Das hängt aber auch davon ab, wie ernst wir uns selber nehmen. Wir brauchen manchmal mehr Biß und Rückgrat gegenüber den Meinungsführern in unseren eigenen Fraktionen.
    Ich selber bin der Meinung, daß es den sogenannten jungen Wilden, von denen man liest, daß sie sich angeblich in den Koalitionsfraktionen befinden - wir haben einige Exemplare davon im Petitionsausschuß -, gut anstehen würde, wenn sie sich dann nicht gerade im Petitionsausschuß wie die braven Zahmen verstecken würden. Mich wundert das. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie sich etwas mehr im Interesse der Bürgerrechte äußerten.
    Als Ausschußvorsitzende ist es meine Aufgabe, die Rechte der Petenten und Petentinnen zu wahren und für eine sachgerechte Bearbeitung zu sorgen. Daher muß ich sagen, daß mir jedes Verständnis dafür abgeht, daß von seiten der Geschäftsführung der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion aus parteipolitischem Kalkül versucht wird, das Petitionsrecht teilweise zu blockieren.
    Nach wie vor beharrt die CDU/CSU-Geschäftsführung darauf, daß Sammelübersichten, zu denen Änderungsanträge der Fraktionen angekündigt werden, nur zu Lasten des Fraktionszeitkontingents auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages gesetzt werden. Das führt in der Praxis dazu, daß Petitionen oft geschäftsordnungswidrig ein ganzes Jahr lang nicht abschließend beraten werden können und die Leute keinen Bescheid bekommen.
    Ich bin nicht bereit, das länger hinzunehmen, und werde eine Prüfung durch den Geschäftsordnungsausschuß des Hauses verlangen. Das Petitionsrecht ist viel zu wertvoll, als daß es durch solche parteipolitische Taktierereien entwertet werden dürfte.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)

    Abschließend möchte ich auch darauf hinweisen, daß im Rahmen der zusammenwachsenden Europäischen Gemeinschaft das Gemeinschaftsrecht immer mehr Einfluß auf unsere Arbeit nimmt. Ich bin sehr froh, daß wir das Europäische Ombudsman-Institut haben, dessen Vorstand ich für den Petitionsausschuß des Deutschen Bundetages angehöre. Dort können wir diese neuen, komplizierten Probleme im Interesse der Bürgerinnen und Bürger kollegial auf europäischer und internationaler Ebene besprechen und bürgerrechtliche Lösungs- und Einwirkungsmöglichkeiten suchen. Ich möchte gern die Gelegenheit nutzen, diesen Kollegen dafür zu danken.
    Als Fazit meiner Kommentierung zum Jahresbericht 1995 möchte ich zusammenfassen: Wir sind stolz, daß wir als Petitionsausschuß so viel Vertrauen genießen, werden uns aber selbstverständlich auf diesen Lorbeeren nicht ausruhen.
    Danke schön.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Dehnel, CDU/CSU.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Dehnel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Frau Nickels, Sie haben sehr moderat angefangen; ich hatte mich schon gefreut. Dann aber haben Sie mit der dunklen Seite doch etwas übertrieben.
    Auf der linken Seite sitzen gar keine Medienvertreter mehr; sie wollen uns eigentlich immer in Hinterbänkler und Vorderbänkler einteilen. Leider ging das jetzt in die falsche Richtung. Wahrscheinlich haben die Medienvertreter gar nicht mehr zugehört.
    Das ist für die Arbeit des Petitionsausschusses an sich schade; denn wir stehen mit unserer Arbeit an vorderster Front. Die Eingaben der Bürger sind für uns ein Sensor der Befindlichkeiten vor Ort: Wie

    Wolfgang Dehnel
    werden Gesetze, Bestimmungen und Verordnungen wahrgenommen? Welche Auswirkungen ergeben sich konkret für den einzelnen Bürger, aber auch für die gesamte Gesellschaft? Dieser Zusammenhang wird leider allzuoft vernachlässigt, zuwenig beachtet.
    Auch haushaltspolitische Zwänge und Erwägungen sind letztlich in die Entscheidung des Petitionsausschusses mit einzubeziehen. Das mag natürlich im Einzelfall schmerzlich sein. Aber eine Konsolidierung des Haushaltes, eine gesunde Haushaltspolitik kommt schließlich auch dem einzelnen Bürger zugute. Oder haben sich manche schon zu sehr an die Stabilität der D-Mark gewöhnt? Ist dies nicht trotz der Leistung des Einheitsprozesses als erfolgreiche Finanzpolitik zu sehen?
    Meine Damen und Herren, bei der Sichtung meiner politischen Unterlagen aus der Wendezeit bin ich auf den Kommentar des Jahresberichtes 1989 gestoßen. Ich hatte ihn vorsorglich aufgehoben, nur aus Interesse; denn damals war ich noch nicht Mitglied des Bundestages und dieses Ausschusses, sondern Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer. 1991 bin ich fast zufällig für einen ausgeschiedenen Kollegen eingesprungen; denn wir wissen: Die zusätzliche Arbeit ist unter den Kollegen nicht gerade beliebt.
    Schon 1989 wertete man die Petition in der Bundesrepublik als ein Kaleidoskop des Lebens. In der DDR waren Petitionen eigentlich immer ein Ärgernis; sie zogen manchmal sogar Bespitzelungen durch die Stasi nach sich.
    Ich möchte aus diesem historischen Dokument zitieren, um Parallelen und Wandlungen aufzuzeigen.
    Da wurde über Gedichte für den Staat berichtet; die Rede war von einem 82jährigen Rentner aus Hamburg, der dem überaus teuren Vater Staat seine Gedichte widmete und sie dem Petitionsausschuß übersandte, dessen Mitarbeiter, wie es im Bericht heißt, inzwischen gespannt auf seine Fortsetzung des Gedichtzyklus warteten. Gedichte haben wir keine bekommen, aber statt dessen Petitionen, die in die gleiche Richtung gehen.
    Ein Thema, das heute keines mehr ist, wenn man von gelegentlichen Bemerkungen Lafontaines im letzten Landtagswahlkampf absieht: Gehässigkeit gegen Aussiedler. Bedauernd stellte damals der Petitionsausschuß fest, daß sich die Zuschriften, in denen zum Teil in sehr gehässiger Form gegen die Aussiedler polemisiert wird, gehäuft haben. Ich glaube, wir haben überhaupt keine Petition in diesem Sinne mehr bekommen, und das freut mich sehr.
    Worauf ich auch noch hinweisen möchte: Der Jahresbericht 1989 wurde am 19. Juni der Bundestagspräsidentin übergeben und - man höre und staune - am 20. Juni, einen Tag später, im Parlament beraten. Auf ein solch schnelles Verfahren sollten wir wieder kommen; ich glaube, Frau Vorsitzende, darin sind wir einer Meinung.
    Zur Feier des sechsten Jahrestages der deutschen Einheit wurden in der vergangenen Woche auch wieder sehr viele Festreden gehalten. Viel Lobendes wurde berichtet, aber es wurden auch sehr viele Problemfelder angesprochen. Das Zusammenwachsen gestaltet sich schwieriger als erwartet, hieß es. Ich frage: Waren die Erwartungen in der Euphorie des Einheitsstrebens, die notwendig war, um überhaupt dorthin zu gelangen, nicht zu hoch? Wie sieht das mit dem Zusammenwachsen im Petitionsausschuß oder im Plenum aus? Haben sich die Kollegen beispielsweise an unseren sächsischen Akzent gewöhnt, oder sollen wir uns des bayerischen Dialekts bedienen, um größere Aufmerksamkeit zu bekommen?

    (Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte nicht, Herr Dehnel! Wir Rheinländer empfinden beides als schön!)

    Es ist so: Noch 1989 sind insgesamt 13 607 Eingaben eingegangen. Davon haben Sie schon berichtet. Wiederholungen lassen sich manchmal nicht vermeiden, wenn man einen solchen Bericht kommentiert.
    Dazu muß ich sagen: Die Bürger aus den neuen Bundesländern haben jedenfalls Vertrauen in die Arbeit des Parlaments und seines Petitionsausschusses. Das beweist ganz einfach die statistische Auswertung. Im Jahr 1995 hat sich die Zahl der Petitionen - wie in den Jahren zuvor - um die 20 000 eingependelt, genau: Es wurden 21 291 Eingaben bearbeitet. Damit wurde gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um 9 Prozent registriert. Dieser Anstieg wiederum ist ein Verdienst - in Anführungsstrichen - der Bürger aus den neuen Bundesländern. Von 5 020 im Jahr zuvor auf 5 829 im Berichtsjahr stieg die Zahl der Petitionen dieser Bürger. Das bedeutet, daß sich die Ostdeutschen etwa doppelt so häufig pro Einwohner an den Ausschuß wandten als die westdeutschen.
    Auch in bezug auf die angesprochenen Bitten und Beschwerden gab es deutliche Unterschiede. Ein wesentlicher Schwerpunkt waren die Eingaben zum Renten-Überleitungsgesetz, sozusagen ein Dauerbrenner. Vor 14 Tagen wurde die Novelle zu diesem Gesetz mit den ab 1997 gültigen Änderungen verabschiedet. Ich freue mich deshalb für die vielen betroffenen Rentner, die in meinen Bürgersprechstunden vorgesprochen haben.
    Ich möchte ein Beispiel nennen. Es gab einen Vermessungsingenieur, der in der damaligen DDR dem Rat des Bezirks unterstellt war und deswegen eine Rentenkürzung hinnehmen mußte. Er ist seit 1946 CDU-Mitglied. Für mich ist er entgegen den Aussagen von Lafontaine oder Gysi keine „Blockflöte". Vielmehr ist dieser Bürger ein Demokrat der ersten Stunde.

    (Jutta Müller [Völklingen] [SPD]: Er hat den Mauerbau begrüßt!)

    - Also, das ist eine Frechheit. Ich weise es auf das entschiedenste zurück, daß dieser Mann den Mauerbau mit begrüßt hat. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Er zählt für mich zu den Demokraten der ersten Stunde. Solche Leute wie er sind durch die stalinistische und die SED-Diktatur unterdrückt worden.
    Meine Damen und Herren, immer mehr Bürger - so meine Erfahrungen aus den Bürgersprechstunden - verstehen das Eingaberecht als Notrufsäule,

    Wolfgang Dehnel
    wenn sie Lücken in gesetzlichen oder behördlichen Vorgängen feststellen und vor Ort nicht mehr weiterkommen. Die Folge sind dann - durch unsere Einflußnahme - häufig Entscheidungskorrekturen oder Gesetzesänderungen, wie ich sie gerade am Beispiel der Rentengesetzgebung erläutert habe. Sie kommen einer Vielzahl von Bürgern zugute.
    Des weiteren müssen zahlreiche Telefonate berücksichtigt werden, die Ausschußmitglieder oder Mitarbeiter des Ausschußsekretariats täglich führen, um im Interesse der Petenten eine effektive Bearbeitung der individuellen Eingaben zu ermöglichen. Gerade die zunehmende Zahl von Anrufen von Bürgerinnen und Bürgern belegt, daß der Petitionsausschuß in besonderer Weise Anlaufstelle für die Bevölkerung geworden ist. Häufig erläutern dabei die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ausschußdienstes die weitere Bearbeitung oder das Ergebnis der Petitionen, oder sie geben Hinweise, wohin sich der Bürger mit seiner Frage sinnvollerweise wenden kann. Dafür herzlichen Dank!

    (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Danken möchte ich auch den Ministern und Staatssekretären der Bundesregierung, die heute in großer Zahl anwesend sind, und auch ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit deren Hilfe in konkreten Einzelfällen häufig ein günstiger Ausgang von Petitionsverfahren erreicht werden konnte. Vielen Dank!
    Als Sachse möchte ich natürlich auf die Eingaben aus meinem Heimatland eingehen. Aus dem Freistaat Sachsen gingen 2 045 Petitionen ein, 406 mehr als 1994. Damit steht Sachsen an zweiter Stelle im Bundesdurchschnitt. Sehen Sie, wir Sachsen sind keinesfalls Hinterbänkler, sondern wir sind Vorhut aller neuen Bundesländer. Man sollte auch die enormen Fortschritte im Umweltbereich, zum Beispiel bei der Wismut-Sanierung, im Infrastrukturbereich, im Straßen- und Autobahnbau und in der Städtesanierung immer wieder ansprechen. Aber die Entwicklung der Regionen ist für mich noch zu unterschiedlich. Die Entwicklung des Zentrums darf nicht zu Lasten der Randregionen gehen. Zentren müssen ausstrahlen und dürfen nicht absaugen. Hier müssen Bund und Land noch gemeinsam regulierend wirken.
    Meine Damen und Herren, nur Negativmeldungen seien gute Schlagzeilen, meinen manche Journalisten. Solche Überschriften haben wir nicht nötig. Wir müssen durch unsere Arbeit überzeugen. Auf diese Arbeit können die Mitarbeiter des Ausschußdienstes und die Abgeordneten durchaus ein bißchen stolz sein. Dieser Stolz wird uns gewiß nicht in den parlamentarischen Himmel tragen, denn die Arbeit mit dem Bürger und die vielen Petitionen des nächsten Jahres holen uns ganz sicher wieder auf den Boden der Tatsachen und Befindlichkeiten zurück.
    Ich möchte noch zwei Bemerkungen zu diesen Befindlichkeiten machen. Sogenannte Ossis haben ihr Kapital nicht in Banken anhäufen können, sondern nur in den Herzen. Das hat ihnen den Mut zur Wende gegeben. In diesem Sinne werde ich auch als
    Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Petitionsausschuß gemeinsam mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion und der anderen Seite, wie Sie hier alle sitzen, im Interesse der Bürger und des Gemeinwohls den nächsten Jahresbericht angehen, getreu dem Leitspruch von Beethoven, den ich so oft in Poesiealben geschrieben habe und den ich auch heute gern wiederholen möchte:
    Wohltun, wo man kann, Freiheit über alles lieben, Wahrheit auch vor dem Throne nicht verleugnen.
    Abschließend hätte ich einen Wunsch. Ich weiß nicht, ob ein Abgeordneter auch Wünsche und Träume haben darf. Ich habe einen. Ich würde gern eine Generalpetition an alle Parlamente und Regierungen schicken, damit die Gewalt gegen Menschen aufhört, ganz gleich, ob es Gewalt gegen Kinder, Frauen oder Männer jeden Alters, aus Trieb, Macht oder religiösen oder politischen Gründen ist; denn mit Gewalt lassen sich keine Probleme lösen. Im Gegenteil, die Gewalt forciert Auseinandersetzungen, und sie eskaliert mit schlimmen Folgen. Dieser Gewalt muß auf allen Kontinenten entgegengewirkt werden.

    (Beifall im ganzen Hause)