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    Plenarprotokoll 13/129 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 129. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1996 Inhalt: Vorverlegung der Frist für die Einreichung der Fragen für die Fragestunde 11631 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zu Beratungen des Tarifausschusses über Mindestlöhne im Baugewerbe 11619 A Leyla Onur SPD 11619 B Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . 11620B Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11621B Uwe Lühr F.D.P 11622 A Dr. Heidi Knake-Werner PDS 11622 D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 11623 C Peter Dreßen SPD 11624 B Dr. Reinhard Göhner CDU/CSU . . . 11625B Ernst Schwanhold SPD 11625 D Heinz Schemken CDU/CSU 11626 D Erika Lotz SPD 11627 D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 11628D Hans Büttner (Ingolstadt) SPD 11630 B Tagesordnungspunkt 14: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 13/5583, 13/5750) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 13/5582, 13/5750) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerald Häfner, Kerstin Müller (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Kompensation von Überhangmandaten (Drucksachen 13/5575, 13/5750) . . 11631 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Wahlkreiskommission für die 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gemäß § 3 Bundeswahlgesetz - zu dem Zwischenbericht der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages: Empfehlungen für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag und zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages - zu dem Ergänzenden Bericht der Reformkommission zur Größe des Deutschen Bundestages zu dem Zwischenbericht: Empfehlungen für die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag und zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages hier: Empfehlungen zu den wesentlichen Regelungen für die Verkleinerung des Deutschen Bundestages ab der 15. Wahlperiode (Drucksachen 13/3804, 13/4560, 13/ 4860, 13/5750) 11631 C Erwin Marschewski CDU/CSU 11632 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 11633 C Fritz Rudolf Körper SPD 11633 D Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11635A, 11644 C Peter Conradi SPD 11635 D Jörg van Essen F.D.P. 11637 B Dr. Gregor Gysi PDS 11638 D Dr. Dagmar Enkelmann PDS 11639 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU . . 11640B, 11645B, 11646 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD . . . . 11642 C Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 11644 B Dr. Gregor Gysi PDS 11645D Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Drucksachen 13/2576, 13/ 5743) 11647 A Ronald Pofalla CDU/CSU 11647 B Allred Hartenbach SPD 11649 A Alfred Hartenbach SPD 11649 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11652B Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 11653 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 11654 D Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . 11655 D Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 11656 D Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . 11657 D Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 11658 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD 11659 C Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Günter Graf (Friesoythe), Hans-Peter Kemper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Private Sicherheitsdienste (Drucksache 13/3432) 11660 A Günter Graf (Friesoythe) SPD 11660 B Michael Teiser CDU/CSU 11662 C Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . 11662 D Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11665A Dr. Max Stadler F D P. 11665 B Dr. Max Stadler F D P. 11666 B Dr. Winfried Wolf PDS 11667 D Hans-Peter Kemper SPD 11668 D Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 11670B Tagesordnungspunkt 17: Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag - Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahr 1995 (Drucksache 13/ 4498) 11671C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11671C, 11682D Wolfgang Dehnel CDU/CSU 11673 D Lisa Seuster SPD 11675 C Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . 11677A Heidemarie Lüth PDS 11679 C Wolfgang Dehnel CDU/CSU . 11680B, 11684 B Wilma Glücklich CDU/CSU 11681 C Jutta Müller (Völklingen) SPD 11683 B Klaus Dieter Reichardt (Mannheim) CDU/ CSU 11685B Lisa Seuster SPD 11686 B Jutta Müller (Völklingen) SPD . . . 11686C Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11686D Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11687 D Hildegard Wester SPD 11689 A Matthäus Strebl CDU/CSU 11690 D Christel Deichmann SPD 11692A Tagesordnungspunkt 18: Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung" (Drucksachen 13/984, 13/5749) . . . 11693C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 11693 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 11694 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11695 C Nächste Sitzung 11696 C Berichtigung 11696 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 11697* A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) 11697* C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungspunkt 18 (Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Reform der Kommunalfinanzierung") Reiner Krziskewitz CDU/CSU 11698* B Ludwig Eich SPD 11699* C Anlage 4 Amtliche Mitteilungen 11700* C 129. Sitzung Bonn, Freitag, den 11. Oktober 1996 Beginn: 8.00 Uhr
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    Berichtigung 128. Sitzung, Seite 11576A; der Text Geradezu perfide wird dieser Vorgang dadurch, daß die parlamentarische Mehrheit diese Entscheidung auch noch gegen den Willen derer, die Steuern zu bezahlen haben, durchsetzt, obwohl man gerade hier mit größtem Einvernehmen streichen und sparen könnte. ist die Fortsetzung des vorstehenden Zitats und dementsprechend einzurücken. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 11. 10. 96 Bläss, Petra PDS 11. 10. 96 Böttcher, Maritta PDS 11. 10. 96 Borchert, Jochen CDU/CSU 11. 10. 96 Braune, Tilo SPD 11. 10. 96 Brudlewsky, Monika CDU/CSU 11. 10. 96 Buntenbach, Annelie BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Burchardt, Ulla SPD 11. 10. 96 Glos, Michael CDU/CSU 11. 10. 96 Irber, Brunhilde SPD 11. 10. 96 Dr. Jacob, Willibald PDS 11. 10. 96 Jelpke, Ulla PDS 11. 10. 96 Dr. Küster, Uwe SPD 11. 10. 96 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 11. 10. 96 Karl-Hans Leutheusser- F.D.P. 11. 10. 96 Schnarrenberger, Sabine Lummer, Heinrich CDU/CSU 11. 10. 96 * Mehl, Ulrike SPD 11. 10. 96 Neuhäuser, Rosel PDS 11. 10. 96 Neumann (Berlin), Kurt SPD 11. 10. 96 Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 11. 10. 96 Hermann Reuter, Bernd SPD 11. 10. 96 Schauerte, Hartmut CDU/CSU 11. 10. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Schönberger, Ursula BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Steindor, Marina BÜNDNIS 11. 10. 96 90/DIE GRÜNEN Tappe, Joachim SPD 11. 10. 96 Terborg, Margitta SPD 11. 10. 96 * Thieser, Dietmar SPD 11. 10. 96 Vosen, Josef SPD 11. 10. 96 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 11. 10. 96 Zierer, Benno CDU/CSU 11. 10. 96 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung nach j 31 GO des Abgeordneten Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu den Gesetzentwürfen zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 14) Ich möchte hier, da es sich um eine sehr wichtige Entscheidung handelt, ein paar Sätze zu meinem ansonsten vielleicht für manche mißverständlichen Verhalten in der nachfolgenden Abstimmung sagen. Dieser Erklärung schließen sich die übrigen anwesenden Mitglieder meiner Fraktion an. Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen regelt,was wir in der Reformkommission fraktionsübergreifend miteinander vereinbart haben. Und da gab es ja viel und wichtigen Konsens: Ich will - und auch dies gilt in gleicher Weise für die gesamte Fraktion - die Verkleinerung des Bundestages, wie die Kommission sie nach langem Hin und Her beschlossen hat. Ich habe mich von Anfang an dafür eingesetzt und hätte auch eine Sitzzahl, die deutlicher unter der 600er-Grenze liegt als die nicht gerade berauschende Zahl 598, für möglich, ja sogar für besser als die jetzige Lösung gehalten. Ich trage aber das Verhandlungsergebnis ausdrücklich mit. Und ich will auch, daß wenigstens zukünftig - selbst wenn all dies erst ab der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag gelten soll - endlich von Gesetzes wegen vorgeschrieben wird, daß die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern deren Bevölkerungsanteil soweit wie möglich entsprechen muß. Genauso habe ich mich die ganze Zeit über dafür eingesetzt, die zulässige Abweichung der Bevölkerungszahlen der Wahlkreise untereinander auf im Regelfall 15 Prozent, maximal aber 25 Prozent zu beschränken. Denn die bisherige Regelung führt, wie wir wissen, im Einzelfall zu Unterschieden bei der Zahl der Stimmberechtigten zu verschiedenen Wahlkreisen im Größenverhältnis von 1 : 2. Das ist nicht mehr hinnehmbar! All diesen Regelungen im Koalitionsentwurf kann ich also zustimmen. Der Entwurf wird falsch nicht durch das, was in ihm steht, sondern durch das, was nicht in ihm steht. Und das ist der weitaus gravierendere Punkt. Denn die Verschiebung all dieser sinnvollen o. g. Gesetzesänderungen auf einen Tag irgendwann um das Jahr 2000 und insbesondere die geradezu peinliche Formel: „Artikel 1 Nr. 1 tritt an dem Tage in Kraft, an dem das in Artikel 2 genannte Gesetz in Kraft tritt" - wohlgemerkt ein Gesetz, von dem es noch nicht einmal einen Entwurf gibt und noch völlig offen ist, ob es überhaupt zustandekommt -, all dies ist rechts- und verfassungspolitisch mehr als fragwürdig, zeigt, auf welch schwankendem Grund ihre ganze unhaltbare Konstruktion ge- baut ist, mit der sie hoffen, einen verfassungswidrigen Zustand noch über die Zeit retten zu können; all dies also ist keinesfalls zustimmungsfähig. Vor allem aber krankt Ihr Gesetzentwurf, wenn man akzeptiert, was in ihm steht, an dem, was eben nicht drin steht: eine Ausgleichsregelung für die zu erwartende hohe Zahl an Überhangmandaten. Wir können diesem Gesetzentwurf also - auch wenn wir für die Verkleinerung und die Änderung der Toleranzgrenzen sind - nicht zustimmen. Ich werde mich daher in der Abstimmung zu diesem Gesetzentwurf der Stimme enthalten. Den SPD-Entwurf werde ich ablehnen, weil wir für das gleiche Problem eine bessere Regelung vorgeschlagen haben. Insofern stehen diese beiden Entwürfe in Konkurrenz zueinander. Ich bedauere sehr, daß es all unseren Bemühungen zum Trotz nicht zu einem gemeinsamen Entwurf gekommen ist, weil sich die SPD bis zum Schluß die Beratungen in der Reformkommission noch gegen eine Ausgleichsregelung ausgesprochen hat, dann aber, als Sie sich nach Vorlage unseres Entwurfes in internen Gesprächen von unseren Argumenten überzeugen ließ, unbedingt der Meinung war, sie müsse einen eigenen Entwurf einbringen und könne sich einem gemeinsamen Entwurf nicht anschließen. Umso dankbarer bin ich, daß der ehemalige Partei- und Fraktionsvorsitzende und gegenwärtig Sachverständige der SPD, Hans-Jochen Vogel, der die Debatte in der Reformkommission die gesamte Zeit über mitverfolgt und geführt hatte, gestern öffentlich erklärt hat, er würde dem Gesetzentwurf der Grünen den Vorzug geben. Das werde ich in der Abstimmung auch tun. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 18 (Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Refom der Kommunalfinanzierung") Reiner Krziskewitz (CDU/CSU): Mit Recht wird die finanzielle Situation der deutschen Kommunen heute als besonders angespannt bezeichnet. Kommunale Finanzierungsprobleme nehmen in der finanzpolitischen Debatte eine zentrale Stellung ein, und jeder Politiker wird genügend Beispiele aus seinem Wahlkreis beisteuern können, die von den Auseinandersetzungen zwischen Kommunen und Landkreis, Landkreis und Land berichten. Es handelt sich zwar hier um ein Dauerthema, aber es ist nicht zu übersehen, daß in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation, unvorhergesehener gesamtstaatlicher finanzieller Verpflichtungen, wie sie im Gefolge der deutschen Einheit unumgänglich sind, und weltweiter technologisch/ökonomischer Umbruchsituationen die Kommunen als letztes Element in einer Organisation staatlicher Gliederung besonders betroffen sind. Es fehlt nicht an Analysen unterschiedlichster Art auf diesem Gebiet. Beim Recherchieren zu diesem Thema stößt man auf wahre Berge von Vorschlägen und Denkschriften. Die wissenschaftliche Ernsthaftigkeit vieler Modelle ist nicht anzuzweifeln, die politische Umsetzbarkeit in der heutigen konkreten Situation ist jedoch fraglich. Ich habe deshalb große Zweifel, ob eine EnqueteKommission wirklich neue Erkenntnisse produzieren könnte. Bestenfalls könnte sie mehr oder weniger Bekanntes zusammenfassen oder ordnen. Eine Enquete-Kommission kann aber vor allem eines nicht leisten: Sie kann keine neuen weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen, noch viel weniger kann sie deren politische Umsetzbarkeit dekretieren. In der augenblicklichen Situation ist aber ein schnelles und entschlossenes Handeln nötig, das die übernationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht aus den Augen verliert und einer gesamtvolkswirtschaftlichen Betrachtungsweise die gesetzlich notwendigen Regelungen verschafft. Die Handlungsweise der Bundesregierung auf diesem Gebiet, besonders im Hinblick auf die neuen Bundesländer, ist dadurch bestimmt, daß die Sicherung der kommunalen Finanzen einen hohen Stellenwert einnimmt. Ich erinnere hier an die kommunale Investitionspauschale für die Gemeinden in den neuen Bundesländern, an die Entlastungswirkung der Pflegeversicherung und an die Neuordnung des Länderfinanzausgleiches. In diesem Zusammenhang muß daran erinnert werden, daß die deutsche Finanzverfassung sich auch in einem zweigliedrigen Staatsaufbau, in dem die Gemeinden Teil der Länder sind, wiederfindet. Bei allen Einwänden, die auf Reibungsverlusten, widersprüchlicher Interessenlage, auch unterschiedlichen Wirkungsmöglichkeiten beruhen, hat sich diese Finanzverfassung bewährt. Ich sehe auch keine reale Chance, dies grundsätzlich zu ändern. Wir sollten auch eine Intention der Antragsteller nicht übersehen, die offensichtlich dahin geht, Finanzlasten auf den Bund zu verschieben. Die Verschuldungsrate der Kommunen ist zweifellos hoch und für die Gemeinden drückend. Ebenso ist anzumerken, daß der Bund mit einer Zinslast von 20 Prozent seiner Ausgaben an einer absoluten Obergrenze angelangt ist. Ein Großteil dieser Verschuldung ist als Kostenfolge des deuschen Einigungsprozesses anzusehen. Der Bund hat hier - und nicht zuletzt im Interesse der Kommunen aus den neuen Bundesländern - Vorleistungen geschaffen. Auch wenn wir neue Ausgaben in den sogenannten Erblastentilgungsfonds schieben, so muß daran erinnert werden, daß die Tilgung dieses Fonds 30 Jahre in Anspruch nehmen wird. Um es zu veranschaulichen: Nicht wir, sondern unsere Kinder und Enkel werden diesen Schuldenberg zu tilgen haben. Ein vernünftiger volkswirtschaftlicher Ansatz für die Neugestaltung von Steuereinnahmen und deren Verteilung muß alle Aspekte und Wirkungen be- trachten. Ich möchte das an folgendem Beispiel demonstrieren: Man mag zur Gewerbesteuer stehen, wie man will, aber es ist nicht zu leugnen, daß die Koppelung kommunaler und wirtschaftlicher Interessen in einem konkreten regionalen Bezug einen Sinn ergibt. Wenn auch eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung dieser Steuer unumgänglich ist, so sollte eine Koppelung der eben erwähnten Interessen von Gemeinden und Unternehmen beibehalten werden. Die in der Gewerbesteuer enthaltene Gewerbekapitalsteuer erfüllt diese Funktion nicht. Als Substanzsteuer, die selbst Schulden noch besteuert und auch bei negativem Betriebsergebnis wirkt, gehört sie abgeschafft. Selbstverständlich müssen die Kommunen eine entsprechende Kompensation erhalten. Die Koalition hat hierzu einen Anteil an der Umsatzsteuer vorgeschlagen. Um einen möglichst genauen Verteilungsschlüssel zu erhalten, werden seit 1995 entsprechende Steuerstatistikdaten erfaßt. In einer kurzen Übergangsphase sollen die Kommunen die bei Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer entstehenden Defizite ohne Berücksichtigung der erhöhten Anteile an der Einkommensteuer voll ausgeglichen erhalten. Da die neuen Bundesländer bisher keine Gewerbekapitalsteuer erheben, schlagen wir vor, einen Zuschlag in Höhe eines geschätzten fiktiven Gewerbekapitalsteueranteils von 25 Prozent des Gesamtvolumens der betreffenden Gewerbesteuer nach Ländern zu erstatten. Nach überschlägigen Rechnungen dürften das für die Kommunen in den neuen Bundesländern zusätzliche Einnahmesverbesserungen in Höhe von etwa 700 Millionen DM sein. Es liegt auf der Hand, daß bei einer Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern, die, wie jeder Kenner der Materie weiß, nicht nur kontraproduktiv, sondern in ihrer Umsetzung nur mit großen technischen Schwierigkeiten behaftet wäre, dieses zusätzliche Steueraufkommen nur schwer zu erreichen ist. Dem Wunsche der Kommunen, den Umsatzsteueranteil als verbrieftes Recht auch grundgesetzlich zu verankern, ist die Koalition gefolgt. Der Finanzausschuß hat sich gestern in einer Anhörung von Vertretern der kommunalen Spitzenverbände mit diesem Thema befaßt. Dabei wurde eines deutlich: Es gab Kritik von jedem an jedem, man feilschte, ob 15 Prozent oder 13,5 Prozent, die Frage des Aufteilungsschlüssels war nicht ausdiskutiert usw. In der Sache war aber zur Verblüffung aller festzustellen: die Angelegenheit ist realisierbar. Meine Damen und Herren, hier bedarf es keiner Enquete-Kommission! Zur Substanz des Vorhabens ist bereits an berufener Stelle alles gesagt worden. - Nun muß verhandelt werden, müssen konkrete Formulierungen gefunden werden. Jetzt muß politisch gehandelt werden! Meine Damen und Herren, dieses Beispiel ist zweifellos nicht die Gesamtlösung der Problematik, sondern zeigt die Richtung an, in der wir gesamtvolkswirtschaftliche und kommunale Interessen verbinden müssen. Die Fraktion der CDU/CSU lehnt den eingebrachten Vorschlag zur Einsetzung einer Enquete-Kommission ab. Ludwig Eich (SPD): Über alle Parteigrenzen hinweg besteht Einigkeit darüber, daß sich die Finanzlage der Kommunen in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert hat. 1995 bestand ein Finanzierungsdefizit der Städte und Gemeinden von rund 13 Milliarden Mark. In der Regierungsverantwortung von CDU/CSU und F.D.P. haben sich die kommunalen Schulden von 97 Milliarden Mark im Jahre 1982 auf den Spitzenstand von jetzt 150 Milliarden Mark erhöht. Die Zinslast ist entsprechend gestiegen. Auch diese Negativrekorde, verehrte Damen und Herren von der Koalition, haben Sie politisch zu verantworten. Wer in der Steuer- und Sozialpolitik immer nur die Interessen der eigenen Klientel im Auge hat und nicht die Auswirkungen auf die dritte Ebene des Staates beachtet, der darf sich über diese politische Schuldzuweisung nicht wundern. Die Folgen einer solchen Politik für die Menschen und unser Gemeinwesen sind verheerend: Aufträge der Kommunen für Handwerk und Gewerbe gehen rapide zurück, wichtige soziale und kulturelle Angebote der Kommunen verkümmern. Zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen tätigen unsere Kommunen. Wann begreifen Sie in der Regierungskoalition, daß Ihre Politik der Lastenverschiebung auf die Kommunen eine Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt herbeiführen muß? Städte mit hoher Arbeitslosenquote sind arme Städte. Sie sind arm, weil mit hoher Arbeitslosigkeit in der Regel nicht nur ein Rückgang der Gewerbesteuer einhergeht. Sie sind arm, weil auch die Einnahmen aus der Einkommensteuer sinken. Und sie sind arm, weil ihre Aufwendungen für die Sozialhilfe steigen und steigen! Viele, zu viele Menschen in den Städten sind nicht nur arm wegen ihres sozialen Abstiegs. Zu viele Menschen werden auch deshalb ärmer, weil sie in einer armen Stadt leben. Die Krise unseres Staates zeigt sich auf der Ebene der Kommunen unmittelbar. Unser Sozialstaat wird durch Ihre Politik, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und nicht zuletzt von der F.D.P., auf der Ebene der Kommunen am härtesten getroffen. So darf das nicht weitergehen! Wenn dieses Dilemma mit seinen Folgen von Herrn Westerwelle nicht begriffen wird, so kann ich das beinahe verstehen. Aber es gibt in der Unionsfraktion Bürgermeister und Landräte genug, die genau wissen, daß es so nicht weitergehen kann und so nicht weitergehen darf. Die Wahlkreise aller Abgeordneten bestehen aus Gemeinden, aus Städten und Gebietskörperschaften. In den Kommunen ist der Eindruck entstanden, daß viele Kolleginnen und Kollegen die Lage ihrer Kommunen vergessen. Eine andere Erklärung habe auch ich leider mit Blick auf die Stellungnahme der Koalitionsfraktionen zum Antrag der PDS auf Einsetzung einer EnqueteKommission „Reform der Kommunalfinanzierung" nicht parat. Ich zitiere aus der Beschlußempfehlung des Ausschusses: Die Koalitionsfraktionen begründeten ihre Ablehnung damit, daß aufgrund der im Rahmen des Jahressteuergesetzes 1997 von ihnen angestrebten Reform der Gemeindefinanzen kein Bedarf zur Einrichtung einer Enquete-Kommission zu erkennen sei. Die geplante Beteiligung der Gemeinden am Umsatzsteueraufkommen bedeute entgegen der Auffassung der Antragsteller eine grundlegende und positive Veränderung des Systems der Kommunalfinanzierung. Mit anderen Worten: Die Regierungsfraktionen vertreten tatsächlich die Auffassung, die Finanzprobleme der Kommunen wären damit gelöst! Die entscheidende Ursache für die kommunale Finanzmisere liegt jedoch auf der Ausgabenseite. Ist es nicht so, daß mit den horrend gestiegenen Ausgaben im Bereich Sozialhilfe unser gesellschaftspolitisches Problem Nr. 1, nämlich die Massenarbeitslosigkeit, bei den Kommunen voll durchschlägt? Und ist es nicht so, daß unsere Städte, Gemeinden und Landkreise deshalb überfordert sind, weil sie alleine die Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit zu tragen haben? Was berechtigt Sie von Union und F.D.P. eigentlich anzunehmen, es reiche zur Bewältigung der Krise aus, teilweise die kommunale Einnahmenseite statt aus dem einen Steuertopf nunmehr aus dem anderen Steuertopf zu finanzieren? Im übrigen fällt auf, daß Sie zwar eine Reform der Gemeindefinanzen anstreben, wie Sie es nennen, aber was liegt zur Beratung vor? Es gibt keine Vorlage! Fragen, die bereits vor einem Jahr gestellt wurden, sind immer noch nicht beantwortet. Es sind wichtige Fragen wie die, ob Sie die Gewerbeertragsteuer ganz oder teilweise abschaffen wollen, welche verfassungsrechtliche Absicherung Sie gegebenenfalls für die Gewerbeertragsteuer vorsehen und wie der vorläufige und wie der endgültige Beteiligungsschlüssel an der Mehrwertsteuer aussehen soll. In der gestrigen Anhörung der kommunalen Spitzenverbände wurde überdeutlich, daß Sie, die Regierungsfraktionen, nicht für die notwendige Klarheit sorgen. Aber auch die Steuerpolitik selbst wird von dieser Regierung Kohl auch weiterhin ohne Rücksicht auf die kommunalen Interessen betrieben. Als Beispiel nenne ich die geplante Abschaffung der Vermögensteuer. Damit werden nicht nur - und das in Zeiten finanzieller Not des Staates! - die Reichen und Superreichen beschenkt. Nein, die fehlenden Einnahmen werden sich auch über den kommunalen Finanzausgleich der Länder auswirken und zur Verschärfung der Finanzkrise der Städte und Gemeinden beitragen. Zur Lösung der kommunalen Finanzkrise brauchen wir eine andere Politik, eine Politik für den ganzen Staat, vor allem aber eine Politik für unseren noch vorhandenen Sozialstaat. Eine Reform der Gemeindefinanzen ist nicht zuletzt auch zur Stabilisierung unseres Sozialstaates dringend notwendig. Weil die SPD-Fraktion eine konzentrierte Arbeit zur Erreichung dieses Zieles für unbedingt wichtig erachtet, schlägt sie vor, eine gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und unter Hinzuziehung von Vertretern aus der Wissenschaft mit der Aufgabe zu betrauen, den gesetzgebenden Körperschaften möglichst schnell Vorschläge zu unterbreiten. Anlage 4 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 702. Sitzung am 27. September 1996 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Hopfengesetz Gesetz zur Abschaffung der Gerichtsferien Gesetz zu der Vereinbarung vom 1. Mai 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Islamischen Republik Iran zur Aufhebung des Abschnitts II des Schlußprotokolls des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens Gesetz zu dem Abkommen vom 24. April 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Demokratischen Volksrepublik Algerien über die Seeschiffahrtsbeziehungen Gesetz zu dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Polen über die Seeschiffahrt Gesetz zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Bau einer Grenzbrücke an der gemeinsamen Staatsgrenze im Zuge der Europastraße E 49 Sechstes Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 9. Oktober 1996 ihren Antrag „Vorlage des überfälligen Berichts über die Versorgungsleistungen im öffentlichen Dienst" - Drucksache 13/4617 - zurückgezogen. Der Abgeordnete Dr. Hansjörg Schäfer zieht seine Unterschrift zu dem Antrag „Bonn-Berlin-Umzug verschieben - Staatsfinanzen konsolidieren" - Drucksache 13/5581 - zurück. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Unterrichtung durch die Bundesregierung Lateinamerika-Konzept der Bundesregierung - Drucksache 13/1479 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Euro- päische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Finanzausschuß Drucksache 13/4678 Nr. 2.27 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3668 Nr. 2.11 Drucksache 13/4137 Nr. 2.72 Drucksache 13/4514 Nr. 1.1 Drucksache 13/4514 Nr. 2.4 Drucksache 13/4514 Nr. 2.8 Drucksache 13/4514 Nr. 2.10 Drucksache 13/4514 Nr. 2.13 Drucksache 13/4514 Nr. 2.14 Drucksache 13/4514 Nr. 2.17 Drucksache 13/4514 Nr. 2.29 Drucksache 13/4514 Nr. 2.30 Drucksache 13/4514 Nr. 2.34 Drucksache 13/4514 Nr. 2.39 Drucksache 13/4514 Nr. 2.40 Drucksache 13/4514 Nr. 2.41 Drucksache 13/4514 Nr. 2.44 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/4137 Nr. 2.86 Drucksache 13/4514 Nr. 2.21 Drucksache 13/4678 Nr. 2.10 Drucksache 13/4678 Nr. 2.44 Drucksache 13/4921 Nr. 2.20 Drucksache 13/4921 Nr. 2.27 Drucksache 13/5056 Nr. 2.3 Drucksache 13/5295 Nr. 1.8 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/4466 Nr. 2.2 Drucksache 13/4466 Nr. 2.21 Drucksache 13/4678 Nr. 2.3 Drucksache 13/4678 Nr. 2.5 Drucksache 13/4678 Nr. 2.36 Drucksache 13/4921 Nr. 2.1 Drucksache 13/5295 Nr. 1.7 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/4921 Nr. 2.3 Drucksache 13/5056 Nr. 2.5 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/4514 Nr. 2.24 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/4921 Nr. 1.4
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Alfred Hartenbach


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Rechtsfreundinnen! Liebe Rechtsfreunde! Ich oute mich ganz eindeutig als Gegner der Hauptverhandlungshaft.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, wenn wir die Rechtspolitik der Bundesregierung und der von ihr abhängigen Parteien betrachten, können wir in leichter Abwandlung eines Bibelwortes sagen: Viele fühlen sich berufen, aber wer ist auserwählt, etwas Vernünftiges zu sagen? Wer bestimmt denn nun die Justizpolitik in dieser Koalition? Ist es der Justizminister,

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

    der dem Bundesverfassungsgericht Fesseln anlegen will und dessen stärkste Leistung der „Ehrenschutz für Soldaten" ist?
    Ist es jener Außenhandelskaufmann, der die Altersgrenze für die Strafmündigkeit der Kinder von 14 Jahren auf 12 Jahre herabsetzen will?

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wer ist denn das?)

    - Ein Außenhandelskaufmann bei Ihnen. - Oder sind es die vielen Möchtegernjuristen, die über eine Verschärfung des Jugendstrafrechts schwadronieren?

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum werden Sie eigentlich so aggressiv heute morgen?)

    Oder ist es Theo Waigel, der dem Justizminister widerspricht und so trefflich und sachunkundig über Strafrahmen filibustert - er, der noch nicht mal sein eigenes Handwerk versteht? Oder sind es gar die, die den Schutz des Eigentums wie eine Ikone vor sich her tragen und jeglichem Entkriminalisierungsgedanken die Monstranz „Wehret den Anfängen!"

    Alfred Hartenbach
    vorhalten, aber dann ganz klammheimlich dem wildernden Jäger Absolution erteilen?

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich komme aus dem Spessart, Herr Hartenbach, da gibt es Wilderer!)

    Man hat den Eindruck, Rechtspolitik ist bei dieser Bundesregierung ein bunter Bauchladen. Da wird feilgeboten, was an deutschen Stammtischen gerade im Trend ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Aber richtig durchdacht ist nichts.

    Aus diesem Bauchladen stammt auch das neue Gesetz, das sich harmlos „Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung" nennt, in Wirklichkeit aber ein heimtückisches und hinterhältiges Instrument der Strafverfolgungsbehörden ist und das Ende eines rechtsstaatlichen und gerechten Strafprozesses einläutet. Man weiß wieder nicht, Herr Geis: Stammt das von den Rechtspolitkern, der Koalition, oder hat hier der Innenminister die Feder geführt?
    Ich habe kürzlich in einem Lehrbuch aus meiner Studentenzeit geblättert

    (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das ist aber veraltet!)

    und dabei zwei Sätze gefunden, die ich mir damals schon angestrichen hatte und die, Herr Götzer, Sie sich einmal anhören sollten. Der erste ist von Kant, aus der „Metaphysik der Sitten" . Er paßt haargenau zu dem, was Herr Pofalla hier eben vorgetragen hat. Kant sagt:
    Die Gerechtigkeit hört auf, eine zu sein, wenn sie sich für irgendeinen Preis weggibt.
    Ihr Preis, meine Herren Kollegen, ist die Beschleunigung der Verfahren durch hemmungslose Verhaftungen. Dafür bleibt die Gerechtigkeit auf der Strecke.
    Aber befassen wir uns nun einmal ganz konkret und Punkt für Punkt mit dem Wechselbalg von Gesetz, den Sie uns hier auftischen. Ich habe, damit Sie Punkt für Punkt mithören können, acht Aspekte aufgeführt:
    Sie sagen, das beschleunigte Verfahren mache nur Sinn, wenn der Täter aus der Haft vorgeführt werde. - Das ist der erste grundlegend falsche Gedanke

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das sagt ja auch keiner!)

    - doch, Herr Pofalla hat es gesagt -, wie Ihnen Richter in Bochum und anderen Städten sowie im Land Brandenburg belegt haben, die das beschleunigte Verfahren verstärkt anwenden, durchaus mit Erfolg und ohne Verhaftung bis zu sieben Tagen.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben Herrn Pofalla überhaupt nicht verstanden! Margot von Renesse [SPD]: Auf der Grundlage geltenden Rechts!)

    Sie sagen, man muß die Gerichte durch den Druck der Haft zu Verhandlungen im beschleunigten Verfahren zwingen. - Das ist toll: Da muß jemand leiden, damit auf die Richter Druck ausgeübt wird. Das ist der zweite grundlegend falsche Gedanke und obendrein rechtsstaatlich höchst bedenklich. Sie erreichen mit Ihrem Gesetz, daß künftig die Polizei schon bei der Festnahme bestimmt, wie ein Verfahren gestaltet wird. Sie wollen, daß der Beamte im Streifenwagen die Entscheidung trifft: Den kann ich vorläufig festnehmen, der wird ohnehin verhaftet, weil sich sein Fall für eine Verhandlung im beschleunigten Verfahren eignet.
    Sie bürden damit den Polizeibeamten vor Ort eine Entscheidung auf, die diese überhaupt nicht überblicken können,

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    und Sie degradieren damit Staatsanwaltschaft und Gericht zu Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen der Polizei. Sie zerschlagen die Unabhängigkeit der Gerichte. Allein die Strafrichter dürfen und sollen den Gang eines Verfahrens bestimmen - und manchmal die Anwälte. Ist das, Herr Pofalla, Herr Geis, der Weg in einen Polizeistaat, den Sie gehen wollen?
    Sie sagen, Sie könnten mit diesem Gesetz - jetzt hören Sie einmal gut zu, junger Mann! -

    (Unruhe bei der CDU/CSU)

    reisende Demonstranten, reisende Fußballrowdies, reisende Trickdiebe usw. packen. - Das ist der dritte grundlegend falsche Gedanken. Das beschleunigte Verfahren darf nur angewendet werden, wenn der Sachverhalt einfach und die Beweislage klar ist, und das ist bei diesen Tätergruppen nun gerade nicht der Fall. Wer etwas anderes behauptet und der Öffentlichkeit vormacht, offenbart mangelhafte Kenntnisse der Praxis.

    (Beifall bei der SPD)

    Gerade dieser Täterkreis wird alles daransetzen, den Sachverhalt kompliziert zu gestalten und Nebelkerzen zu werfen.
    Auch wir wollen eine beschleunigte Erledigung der Strafverfahren, aber auf rechtsstaatlich unbedenkliche Weise. Dafür gibt es ja Rezepte: Wenn der Sachverhalt wirklich überschaubar ist, wenn der Täter eine feste Wohnanschrift hat - also in genau den Fällen, die Sie angesprochen haben -, dann gibt es ein noch viel einfacheres Verfahren: den Strafbefehl, die schriftliche Erledigung. Hiermit können exakt die gleichen Strafen verhängt werden wie im beschleunigten Verfahren, nämlich Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. Hat der Täter hingegen keine feste Wohnadresse, kann er stets - nach jetzt geltendem, unbedenklichem Recht - wegen Fluchtgefahr in Haft genommen werden. Das ist genau das, was Sie wollen. Wozu brauchen wir Ihr Gesetz?

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Der Strafbefehl dauert doch viel zu lange!)

    Sie behaupten, das Gesetz diene der Verbrechensbekämpfung. - Das ist der vierte grundlegend falsche Gedanke; auch das haben Sie eben nicht kapiert. Verbrechen werden nach unseren Gesetzen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr belegt.

    Alfred Hartenbach
    In dem von Ihnen gewollten Verfahren nach Hauptverhandlungshaft darf höchstens ein Jahr Freiheitsstrafe verhängt werden.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Eben!)

    Das ist wieder so ein Etikettenschwindel, damit die Stammtische ruhig bleiben.

    (Ronald Pofalla [CDU/CSU]: Vielleicht gehen Sie einmal zu einem!)

    Aber Verbrecher packen Sie damit nicht.
    Sie sagen, die schnelle Strafe habe erzieherische Wirkung und halte andere von Straftaten ab. - Das ist Ihr fünfter grundlegend falscher Gedanke. Die Untersuchungshaft dient allein der Sicherung des Verfahrens; sie soll keine erzieherische Wirkung entfalten. Allein das Urteil soll erzieherisch wirken. Es wird auch nur auf den wirken, den es trifft. Wer glaubt, er erziele mit diesem Verfahren eine generalpräventive Wirkung und halte potentielle Täter von Straftaten ab, offenbart wieder seine absolute Unkenntnis von der täglichen Praxis.

    (Beifall bei der SPD)

    Sie sagen: Schnelles Recht ist gutes Recht. - Das ist der sechste grundlegend falsche Gedanke. Der kurze Prozeß, den Sie anstreben, verleitet zu oberflächlichen Ermittlungen. Schlimmer: Beschuldigte werden oft nicht in der Lage sein, sich ausreichend auf eine Verteidigung vorzubereiten; sie werden in der Kürze der Zeit auch keinen geeigneten Verteidiger finden, der sich ihrer Sache annimmt. Die Richter müssen unter Zeitdruck entscheiden; da kann kein gutes Recht wachsen.
    Sie sagen: Sie entlasten die Gerichte. - Das ist der siebte grundlegend falsche Gedanke. Der kurze Prozeß, den Sie wollen, funktioniert - wenn überhaupt - nur bis zur ersten Instanz. Der Ladendieb und der Schwarzfahrer werden vielleicht noch ein maßvolles Urteil des Amtsgerichts akzeptieren, weil sie so schnell wie möglich aus der Haft wollen, nicht aber die Täter, die Sie angeblich mit diesem Gesetz pakken wollen.
    Auch für den Alltagstäter gilt: Beschuldigte, denen man den kurzen Prozeß macht, die man über die Klinge springen läßt, legen viel eher und viel häufiger Rechtsmittel gegen Urteile ein als die, die ihre Sache in Ruhe vortragen können und vernünftig angehört werden. Praktiker wissen das. Die Zeit, die Sie in einem höchst fragwürdigen Prozeß zunächst scheinbar sparen, werden Sie in der nächsten Instanz mit einem erhöhten Personalaufwand verschwenden müssen. Damit haben Sie nichts gewonnen. Oder hoffen Sie auf die verschärfte Annahmeberufung?
    Sie behaupten, Kosten seien nicht zu erwarten. - Das steht in Ihrem Entwurf. Das ist Ihr achter grundlegend falscher Gedanke und eine Verdummung der Bevölkerung dazu.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Müssen Sie so schwere Geschütze auffahren?)

    Sie wissen sehr wohl, daß der Richter beim beschleunigten Verfahren prüfen muß, welche Strafe er möglicherweise verhängt. Lautet seine Prognose: mehr als sechs Monate Freiheitsstrafe, dann muß das Gericht einen Verteidiger beiordnen. Diese Kosten trägt zunächst einmal die Staatskasse. Ob sie von dem verurteilten Beschuldigten später einzutreiben sind, ist für mich nicht vorstellbar.
    Wir werden eine Fülle von weiteren Verhaftungen - zumeist kurzfristige - erleben. Ein Haftplatz kostet derzeit 150 bis 200 DM pro Tag. Wer trägt denn diese Kosten? - Die Haushalte der Bundesländer. Das hätten Sie sagen müssen. Dabei gibt es doch eine kostengünstigere Alternative - ich habe sie bereits genannt -: den Strafbefehl.

    (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein)

    An diesen acht Punkten habe ich Ihnen soeben nachgewiesen, daß nicht ein einziger von Ihnen genannter Grund die Einführung der Hauptverhandlungshaft rechtfertigt. Im Gegenteil: Es kommt mehr Arbeit auf die Amtsgerichte zu, Prozesse werden durch mehrere Instanzen gehen, sie werden teurer, und die von Ihnen behauptete „abschreckende Wirkung" wird nicht eintreten.
    Das sind aber nicht alle Negativpunkte, die Ihr Gesetz unannehmbar machen: Die Hauptverhandlungshaft greift in unerträglicher Weise in das Grundrecht der Freiheit der Person ein und beschädigt verfassungsrechtliche Garantien. Sie schaffen einen neuen Haftgrund, der von der Begründung her schwammig und nicht interpretierbar ist. Er ist leicht handhabbar, da nicht angreifbar. Die Polizei muß nur befürchten, der Beschuldigte werde einer nahen Hauptverhandlung fernbleiben; das reicht, um einen Menschen eine Woche aus dem Verkehr zu ziehen. Das ist eine reine Kaffeesatzentscheidung. Wenn er erst einmal sitzt, sitzt er sieben Tage.
    Die Hauptverhandlungshaft verletzt das Prinzip der Unschuldsvermutung. Angesichts der in aller Regel im beschleunigten Verfahren zu erwartenden Strafen wird der immer zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit Füßen getreten. Was erhält denn ein wohnsitzloser Ladendieb? 15 Tagessätze zu 5 DM unter Anrechnung von sieben Tagen Haft. Es bleiben 40 DM Strafe übrig, die der Fiskus in den Wind schreiben kann. Aber für eine Woche Haft hat der Staat 1 050 DM bis 1 400 DM aufgewendet. Mit diesem Betrag könnte man einem Arbeitslosen einen Arbeitsplatz finanzieren. Das wäre sinnvoll, aber das wollen Sie ja nicht.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Durch die Hauptverhandlung werden Strafen vorweg vollstreckt, die eigentlich so nicht vollstreckt werden dürften. In aller Regel werden Geldstrafen verhängt, deren Vollstreckung durch die Haft die absolute Ausnahme, das letzte Mittel der Durchsetzung des staatlichen Vollstreckungsanspruches sein soll.
    Mit Ihrem kurzen Prozeß stellen Sie dieses Rechtsinstitut auf den Kopf. Fehlurteile und damit unschuldig erlittene Untersuchungshaft werden oft nicht korrigierbar sein. Wie ist es denn, wenn einmal ganz außergewöhnlich ein Freispruch droht? Dann wird dem

    Alfred Hartenbach
    Beschuldigten die Einstellung des Verfahrens nach § 153 a der Strafprozeßordnung unter Verzicht auf Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft angeboten. So ist die Praxis.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben Sie gesagt, das haben wir nicht vor!)

    Die Hauptverhandlungshaft verstößt - jetzt hören Sie ein letztes Mal bitte gut zu - gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Wegen eines geringen Schuldvorwurfs kann ein Beschuldigter eher in Haft genommen werden als ein wirklich schwerer Junge, der so viel auf dem Kerbholz hat, daß gegen ihn nicht im beschleunigten Verfahren verhandelt werden kann. Aber weil auch sonst kein Haftgrund vorliegt, darf er spazierengehen oder nach Marbella in die Sonne fliegen, während der kleine Eierdieb brummt. Ist das Ihre Vorstellung von Gerechtigkeit?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Dieses Gesetz, meine Damen und Herren der Union und der Koalition, löst die Probleme nicht. Es ist verfassungswidrig und schafft nur neue Probleme.

    (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Auch das noch! Jetzt ist es auch noch verfassungswidrig!)

    Das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat wird nicht steigen. Es wird erschüttert, wenn plötzlich jemand aus Ihrer Nachbarschaft einmal eben sieben Tage aus dem Verkehr gezogen wird.
    Deshalb schließe ich mit dem zweiten Satz, den ich beim Blättern in meinen sicher veralteten Lehrbüchern aus der Studentenzeit gefunden habe. Dieser Satz lautet: Das Recht ist der Schild der Schwachen. - Unter dieser Regierung ist der Schild zum Küchensieb verkommen.
    Danke schön. Ich möchte mich bei Ihnen für den „jungen Mann" entschuldigen. Es war nicht böse gemeint.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Hans Klein
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Kollege Volker Beck, Sie haben das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Volker Beck


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei Ihnen, meine Herren Rechtspolitiker von der Koalition, hat man den Eindruck, Sie hielten den Rechtsstaat für einen Schweizer Käse, den man beliebig aushöhlen könne:

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenigstens schmeckt er gut! Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Wer höhlt denn einen Schweizer Käse aus? Es macht keinen Sinn, einen Schweizer Käse auszuhöhlen!)

    großer Lauschangriff, Kronzeugenregelung und heute eben die Hauptverhandlungshaft.
    Die Idee der Hauptverhandlungshaft kollidiert mit wesentlichen rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Prinzipien. Sie verstößt gegen den
    Gleichheitsgrundsatz und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bündnis 90/Die Grünen lehnen daher den Gesetzentwurf entschieden ab.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Was wollen Sie? Mit der Verlängerung von Hauptverhandlungshaft bis zu einer Woche sollen zukünftig mehr beschleunigte Verfahren erreicht werden. Voraussetzung: Unverzügliche Entscheidung bei einfachem Sachverhalt ist möglich, die Beweislage ist klar und die zu erwartende Strafe ist maximal ein Jahr, das heißt, es handelt sich um Vergehen und nicht Verbrechen.
    Beschuldigte, denen Straftaten mit sehr viel höherer Straferwartung vorgeworfen werden, sind in vielen Fällen und völlig zu Recht nicht in Haft, da weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr besteht. Der kleine geständige Eierdieb kommt dagegen künftig bis zu einer Woche in Hauptverhandlungshaft. Der Volksmund sagt hierzu: Die Kleinen hängt man, und die Großen läßt man laufen. Das Rechtsbewußtsein in der Bevölkerung nimmt Schaden, wenn der Gesetzgeber dieses auch noch zum Prinzip erklärt. Genau dies tun Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Hauptverhandlungshaft ist Einsatz von Haft zu haftfremden Zwecken. Das gesetzgeberische Motiv ist die „erzieherische Wirkung". In der Begründung des Gesetzentwurfes und noch deutlicher in den Ausschußberatungen haben Sie hier die Hosen heruntergelassen.

    (Norbert Geis [CDU/CSU]: Unparlamentarischer Ausdruck!)

    Endet das Verfahren mit einer Bewährungs- oder Geldstrafe, soll der auf frischer Tat Ertappte wenigstens mit der Freiheitsentziehung bis zur Hauptverhandlung die harte Hand des Staates gespürt haben. Das ist vorweggenommene Strafe ohne Schuldfeststellung. Sie stellen damit den Rechtsstaat auf den Kopf.
    Sie bedenken nicht, was eine Woche Haft an desintegrierender Kraft für den Beschuldigten am Arbeitsplatz und in der Familie bedeutet, ob er nicht erst durch dieses unsinnige Mittel zur Aufnahme einer kriminellen Karriere gebracht wird.
    In dem Bereich, in dem der Entwurf mit geltendem U-Haft-Recht übereinstimmt, kann man natürlich kaum sagen, er sei verfassungswidrig. Der Entwurf geht jedoch erklärtermaßen genau darüber hinaus. Wenn der Befund richtig ist, daß die Justiz der gesetzlichen Vorgabe - Strafbefehlsverfahren und beschleunigtes Verfahren - nicht genügend entspricht, dann darf man nicht Hauptverhandlungshaft dafür einsetzen, um die Justiz zu erziehen. Es darf nicht der einzelne, der nur eine Woche in Haft kommt, dafür büßen, daß die Justiz insgesamt nicht so will, wie sich der Gesetzgeber das vorgestellt hat.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Volker Beck (Köln)

    Dann müssen Sie schon - wie Frau von Renesse scherzhaft vorgeschlagen hat - die Richter in Haft nehmen, wenn Sie die zu einem anderen Verhalten nötigen wollen, aber nicht die Beschuldigten.
    Die Hauptverhandlungshaft soll eingeführt werden, damit das beschleunigte Verfahren vermehrt durchgeführt wird; so Ihre These. Der Nachweis der geringen Anwendungshäufigkeit des beschleunigten Verfahrens auf Grund des Nichtvorhandenseins des Haftgrundes oder des Nichterscheinens des Angeklagten zur Verhandlung wurde nicht erbracht. Was Sie hier machen, ist Gesetzgebung auf Verdacht. Weder die Bundesregierung noch ihre Sachverständigen von der Koalition in der Anhörung konnten den Beweis für diese These antreten.

    (Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU] verteilt Süßigkeiten)