Rede von
Ursula
Schönberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 9. September 1996 hat die Internationale Atomenergie-Organisation einheitliche Standards für Lufttransporte radioaktiven Materials beschlossen. Nach diesen Standards sollen MOX-Brennelemente in Behältern des Typs B geflogen werden dürfen. Das ist der Behältertyp, zu dem auch der Castor gehört. Behälter diesen Typs sind für einen Brand von 800 Grad über eine halbe Stunde und eine Aufprallgeschwindigkeit von 48 Stundenkilometern ausgelegt. Das entspricht einem Fall aus 9 Metern Höhe. Dies ist aber nicht gerade die übliche Flughöhe von Flugzeugen.
Es gibt viele bittere Beweise für die katastrophalen Ausmaße, die ein Flugzeugabsturz annehmen kann. Denken wir doch nur wenige Jahre zurück an das schreckliche Unglück von Schiphol. Damals stürzte ein Flugzeug mit einer Aufprallgeschwindigkeit von 500 km/h - nicht 48, sondern 500 km/h! - in ein Wohngebiet und brannte über Stunden. Und jetzt, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, versuchen Sie doch mal, Ihre Phantasie anzustrengen und sich vorzustellen, was passiert wäre, wäre dieses Flugzeug mit Plutonium beladen gewesen, einem Stoff, bei dem wenige Millionstel Gramm ausreichen, um bei einem Menschen Lungenkrebs auszulösen.
Da nützt es Ihnen auch nichts zu behaupten, daß es bei MOX-Brennelementen nichts ausmachen
Ursula Schönberger
würde, wenn der Behälter versagt; sie seien ja inhärent sicher und würden nicht zerbröseln. Solche Behauptungen ohne jegliche Beweise, ohne jegliche Tests können Sie doch nicht allen Ernstes einfach in den Raum stellen. Berechnungen des amerikanischen Nuclear Control Institutes haben ergeben, daß bei einem Absturz mit nachfolgendem Brand die Brennstofftabletten in kleinste Teile zerlegt werden können und damit eine Freisetzung von Plutonium stattfinden kann.
Stellen Sie sich doch das Szenario mal vor. Irgendwo in Deutschland stürzt eine Frachtmaschine ab. Natürlich eilen die Hilfskräfte bis hin zur Freiwilligen Feuerwehr sofort an den Unglücksort, um zu helfen. Woher sollen die wissen, daß sich an Bord eine derart tödliche Fracht befindet? Oder nehmen wir ein Land, das nur Überfluggebiet ist und gar keine Atomtechnik nutzt. In diesem Land wird es auch keine Gerätschaften und keine Ausbildung für Einsatzhelfer bei Nuklearunfällen geben.
Meine Damen und Herren, es ist kein Wunder, daß die Schlüsselvereinigung der deutschen Luftfahrt, die Internationale Zivile Luftfahrtorganisation, die Internationale Lufttransportassoziation und die Internationale Föderation der Luftfahrt-Pilotenorganisationen die geplanten Standards für nicht ausreichend halten. Ein Komitee der Internationalen Zivilen Luftfahrtorganisation hat darauf hingewiesen, daß die Testkriterien für die Aufprallenergie nur halb so hoch sind wie diejenigen für Flugschreiber.
Seien wir doch mal ehrlich. Bei den einheitlichen Kriterien für Lufttransporte geht es doch gar nicht um die Sicherheit der Menschen. Es gibt zwei Probleme bei Atomtransporten: Erstens die Proteste der Bevölkerung und zweitens die hohen Kosten. Beides soll durch die Lufttransporte reduziert werden. Das Arbeitspapier der Internationalen Atomenergieorganisation nennt den Grund für die reduzierten Sicherheitsansprüche ganz offen: Alle anderen Behälter wären zu teuer.
Das war doch gerade auch der Grund, weshalb die deutsche Delegation zusammen mit Japan als Kunden und Frankreich und Großbritannien als MOX-Produzenten für geringe Standards gekämpft haben - gegen den erbitterten Widerstand der Regierung der USA übrigens, die innerhalb ihres eigenen Landes eine wesentlich strengere Gesetzgebung haben. Mit diesen einheitlichen Standards der Lufttransporte wird es zu einer neuen Qualität internationalen Brennstoffhandels innerhalb Europas und zwischen Europa und Japan kommen.
Auch die belgische Plutoniumindustrie profitiert von dem IAEO-Beschluß. Trotzdem hat vorgestern der belgische Innenminister den Protesten in seinem Land Rechnung getragen und Lufttransporte von deutschem Plutonium nach Großbritannien bis auf weiteres verboten. Erst einmal sollen in seinem Land die Gefahren solcher Transporte untersucht werden. Denn selbst wenn die IAEO diese Standards jetzt beschlossen hat und die Internationale Zivile Luftfahrtorganisation diese Standards in ihre Regelung übernehmen sollte, haben die Staaten immer noch das Recht, Flüge auf ihrem Territorium zu untersagen.
Auch die USA haben bereits angekündigt, von US-amerikanischen Flughäfen werde es keine solchen Flüge geben.
Und wo bleibt da die Bundesregierung? Gerade diese Bundesregierung, die offiziell immer erklärt, ihr gehe es im Atombereich um die Verbesserung von Sicherheitsstandards, hat sich vehement für die niedrigen Standards eingesetzt. Diese Bundesregierung hält bis jetzt daran fest, uns alle dieser tödlichen Gefahr auszusetzen.
Sehr geehrte Damen und Herren, bis jetzt hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch keine Lufttransporte von MOX-Brennelementen gegeben. Wenn die Bundesregierung dem Beispiel von Belgien und den USA folgen würde, würde diese tödliche Fracht auch in Zukunft nicht über unseren Köpfen fliegen. Wir werden dafür kämpfen.