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ID1312613600

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    Plenarprotokoll 13/126 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 126. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. September 1996 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 11327 A Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (Drucksachen 13/4587, 13/4718, 13/ 5606, 13/5607) 11327B, 11331 A Manfred Grund CDU/CSU 11327 D Ulrike Mascher SPD . . 11328D, 11331B, 11336 C Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11331 C, 11337 A Manfred Grund CDU/CSU 11332 B Hans-Dirk Bierling CDU/CSU . . . 11332 C Uwe Lühr F.D.P 11333 A Petra Bläss PDS 11334 A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 11335 B Dr. Barbara Höll PDS (Erklärung nach § 31 GO) 11338 A Dr. Dagmar Enkelmann PDS (Erklärung nach § 31 G0) 11338 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS (Erklärung nach § 31 G0) 11339 A Heidemarie Lüth PDS (Erklärung nach § 31 GO) 11339 D Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Europäische Betriebsräte (Europäische Betriebsräte) (Drucksachen 13/5021, 13/5608) . . 11341 C Peter Keller CDU/CSU 11341 D Leyla Onur SPD 11342 C Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11345 A Dr. Gisela Babel F.D.P 11346 A Hanns-Peter Hartmann PDS 11346 D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 11347 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Sechsten Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (Drucksachen 13/3993, 13/ 4069, 13/5098, 13/5325, 13/5642) . . . 11348 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren (Drucksachen 13/3996, 13/5100, 13/5326, 13/5643) . 11348 B Dr. Heribert Blens CDU/CSU 11348 B Otto Schily SPD 11348 D Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11349 B Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 11350 A Eva Bulling-Schröter PDS 11351 A Tagesordnungspunkt 17: Große Anfrage der Abgeordneten Konrad Gilges, Gerd Andres, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Armut in der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 13/1527, 13/3339) . 11352 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Gruppe der PDS: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Armut und Obdachlosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland" (Druck sachen 13/583, 13/5617) 11352 B Wolfgang Spanier SPD 11352 B Peter Hintze CDU/CSU . . . . 11354 D, 11358 A Heidemarie Lüth PDS 11357 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11358 C Dr. Guido Westerwelle F.D.P. . . 11360 C, 11370 B Wolf-Michael Catenhusen SPD . . . 11360 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11362 A Petra Bläss PDS 11363 B Wolfgang Zöller CDU/CSU 11365 A Claudia Nolte, Bundesministerin BMFSFJ 11365 D Iris Follak SPD 11367 B Ulf Fink CDU/CSU 11368 C Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . 11368 D Konrad Gilges SPD 11369 B Ulrike Mascher SPD 11370 C Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 11372 A Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ursula Schönberger und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Plutoniumtransporte in Flugzeugen (Drucksache 13/3670) . . . 11374 C Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11374 D Hubert Deittert CDU/CSU 11375 C Wolfgang Behrendt SPD 11376 C Dr. Rainer Ortleb F.D.P. 11377 C Rolf Köhne PDS 11378 B Nächste Sitzung 11378 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 11379* A Anlage 2 Amtliche Mitteilung 11379* D 126. Sitzung Bonn, Freitag, den 27. September 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Andres, Gerd SPD 27. 9. 96 Antretter, Robert SPD 27. 9. 96 * Augustin, Anneliese CDU/CSU 27. 9. 96 Beck (Bremen), BÜNDNIS 27. 9. 96 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Beer, Angelika BÜNDNIS 27. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 27. 9. 96 * Berninger, Matthias BÜNDNIS 27. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Bindig, Rudolf SPD 27. 9. 96 * Dr. Blank, Joseph-Theodor CDU/CSU 27. 9. 96 Blunck, Lilo SPD 27. 9. 96 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 27. 9. 96 Borchert, Jochen CDU/CSU 27. 9. 96 Bredehorn, Günther F.D.P. 27. 9. 96 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 27. 9. 96 * Carstens (Emstek), Manfred CDU/CSU 27. 9. 96 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 27. 9. 96 Herta 1 Dr. Feldmann, Olaf F.D.P. 27. 9. 96 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 27. 9. 96 * Geiger, Michaela CDU/CSU 27. 9. 96 Glos, Michael CDU/CSU 27. 9. 96 Haack (Extertal), SPD 27. 9. 96 * Karl Hermann Hirche, Walter F.D.P. 27. 9. 96 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 27. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Horn, Erwin SPD 27. 9. 96 * Hornung, Siegfried CDU/CSU 27. 9. 96 * Imhof, Barbara SPD 27. 9. 96 Dr. Jacob, Willibald PDS 27. 9. 96 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 27. 9. 96 * Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 27. 9. 96 Kossendey, Thomas CDU/CSU 27. 9. 96 Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 27. 9. 96 Lemke, Steffi BÜNDNIS 27. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Lenzer, Christian CDU/CSU 27. 9. 96 * Löwisch, Sigrun CDU/CSU 27. 9. 96 Michels, Meinolf CDU/CSU 27. 9. 96 * Neumann (Berlin), Kurt SPD 27. 9. 96 Dr. Probst, Albert CDU/CSU 27. 9. 96 Purps, Rudolf SPD 27. 9. 96 Dr. Rappe (Hildesheim) SPD 27. 9. 96 Hermann Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Regenspurger, Otto CDU/CSU 27. 9. 96 Reuter, Bernd SPD 27. 9. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 27. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Schlee, Dietmar CDU/CSU 27. 9. 96 Schloten, Dieter SPD 27. 9. 96 * Schmidt (Aachen), Ulla SPD 27. 9. 96 Dr. Schmidt-Jortzig, F.D.P. 27. 9. 96 Edzard von Schmude, Michael CDU/CSU 27. 9. 96 Schütz (Oldenburg), SPD 27. 9. 96 Dietmar Terborg, Margitta SPD 27. 9. 96 * Thieser, Dietmar SPD 27. 9. 96 Titze-Stecher, Uta SPD 27. 9. 96 Tröger, Gottfried CDU/CSU 27. 9. 96 Türk, Jürgen F.D.P. 27. 9. 96 Vosen, Josef SPD 27. 9. 96 Weisskirchen (Wiesloch), SPD 27. 9. 96 Gert Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 27. 9. 96 Zierer, Benno CDU/CSU 27. 9. 96 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Finanzausschuß Drucksache 13/5295 Nr. 1.12 Drucksache 13/5295 Nr. 1.14 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/4137 Nr. 2.61 Drucksache 13/4137 Nr. 2.87 Drucksache 13/4137 Nr. 2.90 Drucksache 13/4137 Nr. 2.92 Drucksache 13/4466 Nr. 2.18 Drucksache 13/4466 Nr. 2.20 Drucksache 13/4466 Nr. 2.22 Drucksache 13/4466 Nr. 2.54 Drucksache 13/4466 Nr. 2.61 Drucksache 13/4514 Nr. 2.19 Drucksache 13/4514 Nr. 2.42 Drucksache 13/4514 Nr. 2.46 Drucksache 13/4678 Nr. 2.11 Drucksache 13/4678 Nr. 2.17 Drucksache 13/4678 Nr. 2.19 Drucksache 13/4678 Nr. 2.25 Drucksache 13/4678 Nr. 2.28 Drucksache 13/5056 Nr. 2.2 Drucksache 13/5056 Nr. 2.7 Drucksache 13/5295 Nr. 1.1 Drucksache 13/5295 Nr. 1.2 Drucksache 13/5295 Nr. 1.4 Drucksache 13/5295 Nr. 1.5 Drucksache 13/5295 Nr. 1.10
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    Rede von Ulrike Mascher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fand den Beitrag des Kollegen Fink ganz interessant. Ich denke, er ist auch lohnenswert zu diskutieren, aber mit unserem Thema hat er sich nicht so ganz beschäftigt.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Es ist eine Erfahrung: In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zum Thema Armut in der Bundesrepublik wiederholt sich in beängstigender Weise eine immer wiederkehrende Reaktion der Bundesregierung. Ob nun die Caritas, der DPWV, die Arbeiterwohlfahrt oder die Nationale Armutskonferenz auf der Grundlage öffentlich zugänglicher Daten und auf der Grundlage eigener Untersuchungen Armutsberichte vorlegen, die Bundesregierung erklärt, die Zahlen seien nicht repräsentativ, sie seien nicht aussagekräftig, es handele sich um Horrorgemälde.
    So wichtig, Herr Hintze, Dank und Anerkennung an die Mitarbeiter all dieser Organisationen sind, es wäre um ein Vielfaches wichtiger, wenn Sie diese Untersuchungen ernst nähmen und sich ehrlich mit den Mitarbeitern auseinandersetzten. Dann würden sich die Fäuste vielleicht an einer anderen Stelle ballen, als Sie das vermutet haben.

    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Petra Bläss [PDS])

    Dann wird immer wieder die Frage gestellt, wie Armut in der Bundesrepublik zu definieren sei; es werden immer alle bisher verwendeten Armutsdefinitionen als ungeeignet verworfen. Die Bundesregierung hat jetzt in ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage eine neue Definition vorgelegt. Armut ist der „Mangel an Mitteln zur Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft". Aber weil sie weiß, daß das zu kurz greift, sagt sie darüber hinaus, Armut sei so komplex, daß eine Festlegung in einer Armutsdefinition nicht möglich sei.

    Ulrike Mascher
    So kann man sich an dem Problem natürlich auch vorbeimogeln.
    Dann werden immer die erheblichen Kosten der Sozialhilfe dargestellt, und die SPD wird beschuldigt, nicht schnell genug die Rotstiftpolitik der Bundesregierung zu unterstützen oder nicht rasch genug dafür zu sorgen, daß Flüchtlinge wieder in ihr zerstörtes Heimatland zurückkehren. Deswegen sei die SPD auch an den hohen Sozialhilfekosten und der Armut mit schuld.
    Ich finde diese selbstgerechte Politik der Bundesregierung schwer erträglich. Sehen Sie denn nicht die steigende Zahl der Langzeitarbeitslosen unter den Sozialhilfeempfängern, die steigende Zahl der überschuldeten Haushalte, die vielen Frauen mit Kindern, die von Sozialhilfe leben müssen, weil unsere sozialen Sicherungssysteme nicht „armutsfest" sind, wie die Caritas sagt, und weil sich die unterhaltsverpflichteten Väter zu 80 Prozent stillschweigend ihren Verpflichtungen entziehen?
    Glauben Sie denn wirklich, mit spitzfindigen Debatten über Armutsdefinitionen und globale Horizonte ist den 20 Prozent alleinerziehenden Frauen geholfen, die dauerhaft oder vielleicht nur neun oder zehn Jahre von der Sozialhilfe leben müssen? Gott sei Dank kommen sie dann auch wieder heraus, aber das ist ja lange genug.
    Können Sie sich denn überhaupt vorstellen, meine Herren, aber auch einige Damen, was es heißt, Kleider, Schuhe, Unterwäsche aus den städtischen Kleiderlagern zu bekommen oder mit Gutscheinen des Sozialamtes einkaufen zu müssen? Können Sie sich vorstellen, was es heißt, einem Kind alles das, was unsere bunte Reklamewelt täglich vorführt, immer wieder ablehnen zu müssen oder immer rechnen zu müssen, ob das Super-Magnum-Eis nun noch drin ist, ob es für ein Fahrrad reicht, was es heißt, Freizeitaktivitäten, einen Oktoberfestbesuch in München, ein Karnevalsfest, einen Kindergeburtstag - alles immer nicht finanzierbar - immer wieder neu beim Sozialamt zu erkämpfen? Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet? Die gleichberechtigte Teilhabe in unserer Gesellschaft ist da eine unerreichbare Fata Morgana.
    Frau Bergmann-Pohl hat für ihre am 13. Juni nicht gehaltene Rede zu unserer Großen Anfrage formuliert:
    Natürlich erlaubt Sozialhilfe keinen üppigen Lebensstil. Das soll sie auch nicht. Sozialhilfe soll Brücken für die Rückkehr in das Erwerbsleben schaffen.
    Frau Bergmann-Pohl, wo sind denn die Arbeitsplätze für alleinerziehende Frauen? Wo sind die flächendeckenden Kinderbetreuungsangebote, die eine Erwerbsarbeit möglich machen? Ich weiß, es gibt in einigen Städten ausreichende Angebote, aber flächendeckend sind sie noch lange nicht vorhanden.
    Wie können Alleinerziehende, die keinen beruflichen Abschluß haben, eine Berufsausbildung durchsetzen und realisieren? Kennen Sie den elenden
    Kampf von Frauen bei ihrem Sozialamt, um eine Berufsausbildung durchzusetzen?

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Welche Besitzstände sollen denn hier eigentlich auf den Prüfstand gestellt werden?
    Selbst die Bundesregierung kann die Tatsache nicht ganz ausblenden, daß alte Frauen, obwohl sie einen Anspruch auf Sozialhilfe haben, aus Scham und aus Angst vor dem Rückgriff auf die Kinder nicht zur Fürsorge gehen. Sie leben oft in elenden Wohnverhältnissen mit einer unzureichenden Gesundheitsversorgung, fast unsichtbar in unserer Gesellschaft. „Verschämte Armut" heißt das dann offiziell.
    Sichtbarer ist die steigende Zahl obdachloser Frauen. Findet es die Frauenministerin nicht alarmierend, daß Frauen, die obdachlos sind, häufig massiver Gewalt ausgesetzt sind, in sexuelle Abhängigkeiten geraten und chronisch krank sind? Ihre Staatssekretärin kennt offenbar die Probleme; ihre Antwort ist allerdings hilflos. Ich zitiere:
    Das Leben in der Obdachlosigkeit ist in der Regel durch gewalttätige Beziehungen geprägt. Um auf der Straße überleben zu können, suchen Frauen oft ein vorübergehendes Unterkommen bei einem Mann oder den Schutz durch andere obdachlose Männer. Diese Abhängigkeit führt zur Gewalterfahrung.
    Auch in den Obdachlosenheimen kommt es nach Angaben der zuständigen Hilfeeinrichtungen vielfach zu sexuellen Übergriffen, wenn Frauen und Männer dort gemeinsam ohne besondere Schutzräume untergebracht werden. Im Zuge unseres Modellvorhabens sollen deshalb unter anderem geschützte Wohnformen für obdachlose Frauen eingerichtet und erprobt werden.
    Ich frage Sie: Welche Besitzstände sollen denn hier überprüft werden? Glauben Sie denn wirklich, daß diesen Frauen mit Modellprojekten geholfen ist?
    Frauen brauchen solche Projekte vielleicht als Anstoß. Aber wir brauchen für alle Frauen Erwerbsarbeit. Wir brauchen eine soziale Absicherung und keine 590-DM-Jobs. Frauen brauchen eine bedarfsabhängige Mindestsicherung, um die verschämte Armut nach einem Leben voll schlechtbezahlter Erwerbsarbeit und/oder Kindererziehung, Familienarbeit und Pflege von Angehörigen endlich zu beenden, damit sie nicht mehr von der Oberfläche unserer Gesellschaft verschwinden müssen.
    Alleinerziehende Frauen brauchen ein Betreuungsangebot für Kinder in allen Altersklassen, das Erwerbsarbeit möglich macht und keine dauernden organisatorischen Seiltänze erfordert. Frauen brauchen bezahlbaren Wohnraum und mehr Schutz und Hilfe vor gewalttätigen Partnern. Modellvorhaben sind vielleicht ein Anfang, aber sicher nicht ausreichend. In all diesen Bereichen, Herr Westerwelle, ist die Politik der Bundesregierung höchst unzureichend.

    Ulrike Mascher
    Ein Letztes schreibe ich Ihnen ins Stammbuch: Das vielfältige Netz sozialer Hilfen von Kirchen, von Wohlfahrtsverbänden, von Städten und Gemeinden und in steigendem Maß auch von Selbsthilfegruppen als „verstaatlichte Solidarität" abzuqualifizieren zeigt zwar demagogische Qualitäten, aber es zeigt weder Herz noch Verstand.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Bundesminister Horst Seehofer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Horst Seehofer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vergiß nie die Armen und die Kranken, die Heimatlosen und die Fremden - mit einem Referat zu diesem Thema hat Bischof Lehmann

    (Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ich kriege die Krise! - Gegenruf des Abg. Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Habt ihr etwas gegen ihn? - Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] zu Abg. Wolfgang Lohmann [CDU/CSU] gewandt: Nein, aber jeder hat seinen Privatbischof!)

    die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vor wenigen Tagen eröffnet. Ich würde jedem und jeder, die sich zu diesem Thema geäußert haben, empfehlen, am Wochenende diese Rede nachzulesen.
    Ich möchte einige Passagen, die für unsere Diskussion wesentlich sind, wörtlich wiedergeben. Er spricht davon, daß es in den letzten Jahren bestimmte Entwicklungen gab, die in die Krise geführt haben:
    Eine Sozialpolitik, welche die wirtschaftlichen Antriebskräfte lähmt, die Flucht in die Schattenwirtschaft fördert und die Selbstverantwortung schwächt, belastet die Sozialkassen und setzt einen verhängnisvollen Zirkel von sinkender Leistungsbereitschaft und steigenden Abgabenbelastungen in Bewegung. Wenn der wirtschaftliche Fortschritt blockiert wird, leiden auch der Wohlstand und die soziale Sicherheit.
    Er fährt fort:
    Solidarische Hilfe muß stärker auf jene Fälle begrenzt werden, in denen der einzelne sich nicht mehr alleine helfen kann. Die Abhängigkeit von der staatlichen Entziehung und Zuteilung von Hilfen steht in einem Widerspruch zu dem Menschenbild einer freiheitlichen Ordnung. Die privaten Haushalte und die Selbstverantwortung vieler Bürger können kleinere Lebensrisiken besser bewältigen. Hohe Risiken sollten dagegen vollständig abgesichert werden. Soziale Leistungen müssen so bemessen werden, daß Arbeit höher entlohnt wird als Nichtarbeit.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Er kommt zu dem Fazit:
    Es ist noch kein Abbau des Sozialstaates, wenn gewisse Ansprüche auf Sozialleistungen nicht mehr erfüllt werden können. Es wird einem asozialen Besitzstandsdenken das Wort geredet.
    Ich finde, in unserer stimmungsgeleiteten Demokratie sind das mutige Worte, die in dieser schwierigen Diskussion unseren Respekt verdienen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Unbestritten - das haben alle Redner zum Ausdruck gebracht - gibt es auch in Deutschland Armut. Es gibt Menschen, die sozial benachteiligt sind und am Rande unserer Gesellschaft leben. Wenn aber von Armut gesprochen wird, wird nicht selten übersehen, wie vielschichtig ihre Erscheinungsformen sein können. Weder die Wissenschaft noch die Politik können bislang einen Begriff vorweisen, der in der Lage wäre, diese Vielschichtigkeit zu definieren, die von sozialer Ausgrenzung über den Verlust an Perspektiven in einer leistungs- und wohlstandsorientierten Gesellschaft bis hin zur Obdachlosigkeit reicht.
    Frau Mascher, uns geht es nicht darum, über eine Definition der Armut von den Problemen abzulenken, von der Notwendigkeit, Hilfe und Zuspruch zu gewähren, sondern wir müssen uns damit auseinandersetzen, daß Ihre Partei ebendieser Vielschichtigkeit der Armut nicht gerecht wird, indem sie sich einfach auf die Definition von Armut, die die Nationale Armutskonferenz verankert hat, zurückzieht. Wir halten diese Definition für völlig unzureichend, denn nach dieser Definition, an der sich auch die SPD orientiert, sind jene Menschen arm, die über weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens verfügen.
    Wie unzureichend diese Definition ist, zeigt schon eine ganz einfache Überlegung. Selbst wenn alle Bürger in der Bundesrepublik Deutschland auf einen Schlag das doppelte Einkommen hätten, bliebe der Anteil derjenigen, die weniger als 50 Prozent des Durchschnitts verdienten, gleich. Deshalb geht Ihre Definition an der Sache vorbei.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich unterstreiche ausdrücklich, daß auch im internationalen Vergleich eine solche Definition zu dem fatalen Ergebnis führt, daß es genau in den Staaten, die ein niedriges allgemeines Wohlstandsniveau und eine sehr bescheidene Streuung von Wohlstand haben, keine Armut gibt.
    Je höher die Wohlstandsentwicklung und je breiter die Einkommensstreuung ist, desto höher wäre nach dieser Definition auch die Armut. Wer solche vereinfachten Rückschlüsse aus den Statistiken zieht, verkennt die Realität genauso wie jene, die jede Armut in der Bundesrepublik Deutschland einfach leugnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich habe mich schon öfter von diesem Platz aus entschieden gegen den Versuch gewehrt, den Bezug von Sozialhilfe mit Armut gleichzusetzen. Natürlich erlaubt der Bezug von Sozialhilfe kein üppiges Leben. Aber, meine Damen und Herren, wir erfüllen

    Bundesminister Horst Seehofer
    mit der Sozialhilfe die sozialstaatliche Verpflichtung, materiell in einer Weise zu helfen, daß ein menschenwürdiges Leben möglich ist.
    Ich darf als Beispiel einen alleinverdienenden Arbeiter in der Industrie nehmen, Leistungsgruppe III, der nach dem Stand von Anfang 1996 ein verfügbares Haushaltseinkommen von 3 843 DM hat. Es handelt sich um ein Ehepaar mit drei Kindern. Der Bedarf an Hilfe zum Lebensunterhalt beträgt für diese Familie nach dem aktuellen Stand 3 284 DM. Ich bestreite nicht, daß diese Familie jede Mark umdrehen muß. Aber wenn im Falle der Arbeitslosigkeit diese Familie anstelle des Erwerbseinkommens von 3 843 DM eine solidarische Hilfe von dieser Gesellschaft in Höhe von 3 284 DM monatlich bekommt, kann man das nicht mit „Armut" oder „Zweidrittelgesellschaft" abqualifizieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ich möchte Ihnen auch etwas zur Zahl der Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt sagen. Es ist richtig, wir haben in der Bundesrepublik Deutschland etwa 2,7 Millionen Menschen, die Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen, davon 1,8 Millionen Deutsche, 470 000 ausländische Sozialhilfeempfänger und 450 000 Personen, die Asylbewerber oder geduldete Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland sind. Fast 1 Million Menschen sind also in die Bundesrepublik Deutschland gekommen und beziehen hier Sozialhilfe.
    Ich bewerte dies jetzt nicht ausländerrechtlich, sondern ich möchte mich mit einem Argument der Sozialpolitiker der Opposition auseinandersetzen. Wenn in der Hauptsache wegen der Zuwanderung die Zahl derer, die Hilfe zum Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland empfangen, massiv steigt, dann ist dies nicht Ausdruck einer neuen Armut in der Bundesrepublik Deutschland, sondern nach meiner festen Überzeugung Ausdruck der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung in der Bundesrepublik.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Und weil dies so ist, bleibt das Wort richtig, das heute schon öfter erwähnt worden ist: Wir dürfen die Sozialhilfebezieher nicht diskriminieren. Wir müssen endlich damit aufhören, jemanden, der Sozialhilfe bezieht, in unserer Gesellschaft auszugrenzen. Diese Sozialhilfe wurde einmal als völlig eigenständiger Zweig unseres sozialen Sicherungssystems gegründet, der dann in Aktion treten und helfen soll, wenn alle anderen Sozialversicherungszweige versagen. Deshalb steht er gleichberechtigt neben unseren anderen Sozialsystemen.
    Was ich auch erwähnen möchte: 57 Prozent, also mehr als die Hälfte der Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt, sind Kurzzeitbezieher, das heißt, sie beziehen weniger als ein Jahr lang Sozialhilfe. Von diesen 57 Prozent Sozialhilfebeziehern beziehen 40 Prozent nur deshalb Sozialhilfe, weil andere Sozialsysteme, zum Beispiel die Rentenversicherung oder die Bundesanstalt für Arbeit, nicht rechtzeitig leisten. Da wird die Sozialhilfe als Vorschußkasse mißbraucht. Deshalb war es richtig, daß wir im Rahmen der Sozialhilfereform die Verpflichtung der Bundesanstalt für Arbeit eingeführt haben, auf Antrag an die Stelle des Sozialamtes zu treten, damit dem Bürger nicht der Lauf zu zwei Schaltern zugemutet wird, und zwar nur deshalb, damit er von dem einen Schalter vorübergehend Sozialhilfe bekommt, die dann von dem anderen Schalter, wenn dieser mit den Berechnungen fertig ist, ersetzt wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sehr vernünftig!)

    Ich möchte an Hand von zwei Beispielen auch etwas zur Leistungskraft des Sozialsystems und damit zur Bekämpfung bzw. Verhinderung von Armut in den neuen Bundesländern sagen. Die Sozialhilferegelsätze in den neuen Bundesländern sind beinahe völlig an das Niveau in den alten Bundesländern angeglichen; sie liegen zur Zeit bei 97 Prozent. Das zeigt die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaats. Und wenn ich an die ältere Generation, die schon genannt worden ist, denke: Am 1. Juli 1996 haben die in den neuen Bundesländern gezahlten Renten gut 82 Prozent des Westniveaus erreicht. Im Jahr der Wiedervereinigung lag dieser Wert gerade einmal bei 40 Prozent. Auch das muß einmal zum Ausdruck gebracht werden, weil sich hinter dieser Verdoppelung des Rentenniveaus seit der Wiedervereinigung eine ungeheure Solidarität innerhalb der Bevölkerung verbirgt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Letzte Bemerkung. Ich zitiere noch einmal Bischof Lehmann. Er sagt in derselben Rede - auch diesen Satz unterstreiche ich -:
    Armut ist eine zentrale Herausforderung an jede Sinnstiftung, an jedes der Menschenwürde verpflichtete politische System und an jeden Mitmenschen. Sie fordert zum Einsatz für eine größere soziale Gerechtigkeit heraus.
    Auch das ist zutreffend. Nur, die einfache Antwort, daß mehr verteilen auch mehr soziale Gerechtigkeit bedeutet, ist falsch. Es ist die große Herausforderung in unserer Zeit, die Finanzmittel gezielter für jene Menschen einzusetzen, die sich selbst helfen wollen, aber nicht selbst helfen können.
    Ich nenne nur drei oder vier Beispiele, die sich auf die Gesetze beziehen, die der Deutsche Bundestag mit seiner Mehrheit in der vorletzten Woche verabschiedet hat, die aber in der öffentlichen Diskussion leider Gottes nicht so bewertet wurden wie mancher Lärm um manche Reform.
    Ich halte es in dem Sinne „mehr soziale Gerechtigkeit" für einen Riesenfortschritt, daß bei der letzten Sozialhilfereform, die heftig umkämpft war, die Entlohnung der Behinderten in Behindertenwerkstätten massiv erhöht wurde, weil das bisherige Taschengeld, das sie erhalten haben, eigentlich unwürdig war. Es war eine schwere Diskriminierung, etwa 100 DM, 150 DM oder 200 DM für eine volle Arbeitsleistung zu erhalten. Die Erhöhung hat diese Koalition zustande gebracht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)




    Bundesminister Horst Seehofer
    Ich halte es für einen Riesenfortschritt im Hinblick auf mehr soziale Gerechtigkeit, daß es uns in der letzten Sozialhilfereform gelungen ist, den Sozialämtern die Möglichkeit einzuräumen, Mietschulden zu übernehmen - das war mit heftigen Vorbehalten versehen -, um Obdachlosigkeit zu vermeiden; denn gerade das Aufhäufen von Mietschulden ist oft die Ursache für eine Zerstörung des Lebens und für die Obdachlosigkeit.
    Ich halte es für sehr gut, daß die Koalition in der zur Zeit anlaufenden dritten Stufe der Gesundheitsreform zu der Entscheidung gekommen ist, die Zuzahlungen der chronisch Kranken zu halbieren. Wenn gesagt wird, daß die Zuzahlung für chronisch Kranke generell unzuträglich ist, muß ich Ihnen sagen: Diese Halbierung bedeutet, daß niemand in Deutschland ab 1. Januar 1997 für Arzneimittel, für Heilmittel und für Fahrtkosten mehr als 1 Prozent seines Einkommens für Zuzahlungen leisten muß, wenn er zu dem Kreis der chronisch Kranken gehört.
    Wir sollten mehr darüber reden, daß trotz all der riesigen Probleme, die wir wirtschaftlich und arbeitsmarktpolitisch haben, dieses Land im Jahre 1996 in der Lage war, die Pflegeversicherung vollständig in Kraft zu setzen. Dies ist im besonderen eine Hilfe für jene, die auf der Schattenseite des Lebens stehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, kann ich den Vorwurf nicht ersparen, daß Sie sich - auch jetzt wieder bei der Gesundheitsreform -auf die ganz einfachen Schlagworte zurückziehen,

    (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Leider Gottes, sehr einfach!)

    die lauten: Zweiklassenmedizin, Bestrafung der Kranken, Zweidrittelgesellschaft und Feldzug gegen die kleinen Leute.
    Ich möchte Ihnen das Lexikon der 500 populärsten Irrtümer, das im Moment ein Bestseller ist, empfehlen. Dieses Buch behandelt als einen der größten populären Irrtümer exakt die Behauptung, wir hätten in der Bundesrepublik Deutschland Armut als Massenphänomen. Diesen Vorwurf haben Sie heute leider Gottes wieder ein bißchen geschürt.
    Sie dürfen sich aber darauf verlassen: Die große Mehrheit der Bevölkerung sieht dies anders. Deshalb werden wir die Zustimmung der Bevölkerung für unseren Umbau des Sozialstaates hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit nicht verlieren.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)