Rede von
Dr.
Guido
Westerwelle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nein, ganz im Gegenteil. Wenn Sie die Gelegenheit wahrnehmen, zu hören, was ich im weiteren sagen werde, werden Sie erkennen können, daß ich mich genau mit dieser Frage sehr ernsthaft auseinandersetze.
Sozialpolitik, die Reformen verhindert, Investitionen vertreibt und Arbeit unverhältnismäßig verteuert, ist das Gegenteil von gut, nämlich nur noch gut gemeint. Wenn alles - von starren Arbeitszeiten über das Ladenschlußgesetz bis hin zu den unsinnigsten staatlichen Regulierungen - durch sie gerechtfertigt werden kann, wird Sozialpolitik als Wort diffus und als Tat gefährlich. Mit dem Totschlagwort „unsozial" läßt sich nahezu jede Reform blockieren, jede Einsparung verhindern. Wir finanzieren mit 130 000 DM pro Jahr jeden Steinkohlearbeitsplatz im Ruhrgebiet und begründen dies auch mit sozialen Gesichtspunkten.
Ich möchte Ihnen gerne aus der gemeinsamen Schrift der evangelischen und der katholischen Kirche zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland zitieren -
und es ist nicht die Regel, daß ich solche Schriften zitiere -:
Arbeitslosigkeit ist häufig auch eine Folge der Subventionspolitik, wenn sie - über zeitlich befristete Anpassungssubventionen hinausgehend - versucht, vorhandene Industrie- und Beschäftigungsstrukturen entgegen den Trends der wirtschaftlichen Entwicklung zu erhalten.
Die sozialste Politik ist eben die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, und nicht die Parteien sind Arbeitnehmerparteien, die mit roter Fahne und Dinosaurierparolen Besitzstände gegen jede Veränderung verteidigen, sondern diejenigen, die mit marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Investitionen und neue Arbeitsplätze sorgen, meine Damen und Herren.
Leistungsbereitschaft und die Bejahung einer marktwirtschaftlichen Ordnung sind nicht sozialer Darwinismus oder der Weg in die Ellbogengesellschaft, sondern die Voraussetzung für jede soziale Sicherheit. Nur wenn sich Leistung für diejenigen lohnt, die Leistung erbringen können, kann das erwirtschaftet werden, was diejenigen brauchen, die schwach sind, die krank sind oder gebrechlich sind in unserer Gesellschaft. Und das ist von der Rigorosität des Thatcherismus genauso weit entfernt wie von der klassischen Umverteilungsmentalität des ausgehenden sozialdemokratischen Jahrhunderts.
Nur mit funktionierender sozialer Marktwirtschaft ist soziale Sicherheit auf hohem Niveau zu verwirklichen. Wir wollen anstatt einer Staatswirtschaft der besten sozialen Absichten die Marktwirtschaft der besten sozialen Ergebnisse.
Zweite Bemerkung: Sozial gerecht kann nur das sein, was auch unter den Generationen gerecht ist. Es ist nicht nur ein Skandal, sondern auch ein Fluch für die nächsten Generationen, wenn ständig neue staatliche Wohltaten gefordert werden, die ausschließlich mit Hypotheken auf die kommenden Generationen finanziert werden können, meine Damen und Herren.
Dritte Bemerkung: In Deutschland werden pro Kopf der Bevölkerung 13 000 DM an Sozialleistungen ausgegeben. Jede dritte Mark des Bundeshaushaltes geht in den Sozialbereich. 37 verschiedene Anlaufstellen sind in Deutschland für 153 verschiedene Sozialleistungen zuständig. Eine Ursache für diese wirre Form von Sozialpolitik ist, daß soziale Gerechtigkeit mit bürokratischer Umverteilung verwechselt worden ist, meine Damen und Herren.
Sozialbürokratie, das Prinzip Gießkanne, ist nach der Arbeitslosigkeit die zweite große Gefährdung des Sozialstaates. Warum nimmt der Staat Steuern von Bürgern, um sie - nachdem er sie teuer verwaltet hat - anschließend in Form von Sozialleistungen an dieselben zurückzugeben?
Wir Liberale stellen der Sozialbürokratie das Bürgergeldkonzept entgegen, in dem die verschiedensten sozialen Hilfeleistungsarten auf eine Hilfeleistungsform gebündelt werden. Im Bürgergeldsystem verrechnet das Finanzamt die steuerfinanzierten Sozialleistungen mit der Einkommensbesteuerung. Nur eine Behörde zahlt zielgenauer an die sozial Schwachen ein Bürgergeld oder zieht die Steuern nach der jeweiligen Leistungsfähigkeit des Bürgers ein. Als Anreiz für die Aufnahme regulärer Erwerbsarbeit wird vom Arbeitseinkommen nur ein Teil für den Bürgergeldanspruch angerechnet. So lohnt sich Arbeit dann auch im Niedriglohnbereich, wo produktivitätsorientierte Entlohnung nicht einmal das Existenzminimum sichern würde.