Rede von
Prof. Dr.
Jürgen
Rochlitz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den positiven Einschätzungen des Kollegen Schily vermögen wir nicht zu folgen. Wir bedauern das Ergebnis des Vermittlungsausschusses sehr. Es bedeutet nach unserer Auffassung einen umweltpolitischen Rückschritt in vordemokratische Zeiten.
Die Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung soll ein Signal an die Wirtschaft und an das Ausland sein: Seht her, am Standort Deutschland kann man investieren; die Genehmigungen erfolgen schneller als je zuvor; Arbeitsplätze können wieder sprießen. Diese Überlegungen erweisen sich aber bei genauer Betrachtung als Milchmädchenrechnung.
Allein aus aktuellem Anlaß, Herr Schily, hätten alle Mitglieder des Vermittlungsausschusses die Entscheidung vertagen müssen, angesichts des Umgangs der Wirtschaft mit politischen Signalen wie der
Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Wenn Daimler-Benz und BASF dieses Signal des unseligen Sparpakets als Freibrief für die Verletzung der Tarifautonomie betrachten, wie werden sie und andere erst darauf reagieren, wenn nun nach neuem Immissionsschutzrecht vorzeitig, also ohne vorliegende Genehmigung, gebaut werden darf?
Es ist vorauszusehen, daß ab sofort die Antragsteller die Genehmigungstatbestände bestimmen werden. Der Vermittlungsausschuß hat sich damit zum Handlanger für einen Immissionsschutz nicht nach Gesetzeslage, sondern nach den jeweiligen Wünschen der Industrie gemacht. Denn welche Genehmigungsbehörde wird es künftig wagen, vorzeitig errichteten Anlagen eine Genehmigung zu versagen, zumal wenn Arbeitsplätze dabei zur Disposition stehen? Damit besteht die akute Gefahr der Absenkung des Standards des materiellen Umweltrechts.
Schließlich müßten eigentlich die Ländervertreter im Vermittlungsausschuß gewußt haben, daß es insbesondere in schon länger rot-grün regierten Ländern eine gut organisierte Verwaltungspraxis gibt, die zu deutlich verkürzten Genehmigungsverfahren geführt hat. Aber der Vermittlungsausschuß hat leider nicht wahrnehmen wollen, in welchem Maße indirekt Umweltstandards abgebaut werden, wenn genehmigungsloser vorzeitiger Baubeginn und genehmigungsfreie Änderungen zugelassen werden. In diesen Fällen haben weder unmittelbar Betroffene noch die Umweltverbände die Möglichkeit, Bedenken oder gar Einsprüche zu äußern, falls der Stand der Technik nicht eingehalten wird.
So gesehen bedeutet der Beschluß des Vermittlungsausschusses ein Negativsignal an Umweltverbände und Bürger: Wir brauchen und wollen euch nicht im Genehmigungsverfahren; wir machen die Politik gegen euch.
Bezeichnend für diese undemokratische Haltung ist auch, daß Emissionserklärungen künftig lediglich alle vier Jahre zu erstellen sind. Damit werden die Bürger nicht nur entmündigt, sondern sie müssen sich - mit Verlaub - regelrecht verarscht vorkommen; denn eigentlich hätten sie ein Recht auf Mitteilung der jeweils aktuellen Emissionssituationen. Es ist ja ihre Luft, die belastet wird. Doch der Vermittlungsausschuß hat sich zum Schutzpatron derjenigen Emissionsschweine machen lassen, denen daran gelegen ist, daß ihre überhöhten Emissionen möglichst lange nicht bekannt werden.
Meine Damen und Herren aus Koalition und Landesvertretungen, Sie können per Mehrheit weiterhin solche Signale an Umwelt- und Verbraucherverbände sowie Gewerkschaften senden; doch wird
Dr. Jürgen Rochlitz
diese Art der Aufkündigung eines gesellschaftlichen Konsenses nicht zu einer Verbesserung der Standortqualität führen. Arbeitsplätze und Standortqualität werden sich nur nachhaltig sichern lassen, wenn Bürgerrechte und Umweltstandards optimiert und nicht, wie jetzt vorgeschlagen, abgebaut werden.
Danke schön, meine Damen und Herren.