Rede von
Annelie
Buntenbach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In den letzten Monaten ist in jeder Debatte das Stichwort Globalisierung bemüht worden. Es war sicher das meistbenutzte Stichwort in der Wirtschaftspolitik, insbesondere aber bei Sozialkürzungen aller Art. Dabei wird immer wieder die Ohnmacht der Nationalstaaten beschworen, den ganzen Globalisierungsprozeß irgendwie steuern zu können. In der Tat sind internationale Standards unabdingbar, wenn man nicht auf politische Gestaltung verzichten und der rasanten Internationalisierung der Ökonomie tatenlos zusehen will.
Der europäische Binnenmarkt ist inzwischen voll funktionsfähig, während der politische Einfluß nach wie vor unterentwickelt ist. Das gilt nicht nur für die demokratischen Strukturen auf der Ebene der Parlamente, sondern auch für die Demokratie in den europaweit agierenden Betrieben, die Mitbestimmung durch Belegschaften und ihre Vertretungen.
Die Konzernspitzen handeln international, oft genug entlang der Logik der Aktienkurse. Die Belegschaften haben nur geringe Chancen, ihre Interessen geltend zu machen, mitzugestalten oder auch nur den Überblick zu behalten. Das aber ist eine Mindestvoraussetzung dafür, nicht beliebig gegeneinander ausgespielt zu werden, damit nicht unter Ausnutzung von Konkurrenz die Standards von Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung überall abgesenkt werden.
In diesem Zusammenhang ist die EU-Richtlinie zu Euro-Betriebsräten und ihre Umsetzung in nationales Recht ein wichtiger Schritt. Immerhin werden die Regeln für die Errichtung eines Euro-Betriebsrates sowie seine Unterrichtungs- und Anhörungsrechte hier verbindlich festgelegt.
Das ist wenig genug, denn um Mitbestimmungsrechte oder gar das Recht, auf wirtschaftliche Entscheidungen des Unternehmens Einfluß zu nehmen, geht es hier leider noch nicht.
Aber auch mit dem wenigen, was hier geregelt werden soll, kann man so, wie es hier vorgelegt wird, nicht zufrieden sein. Das Ziel muß doch eine praktikable Lösung für die Betriebsräte sein, die deren strukturelle Nachteile gegenüber der Konzernspitze ausgleicht, und zwar, was ihre räumliche Beweglichkeit, die Rechtzeitigkeit der Information, den Zugriff auf Sachverstand und die Kooperation mit den Gewerkschaften angeht.
Der Gewerkschaftszugang, wesentlicher Teil der Koalitionsfreiheit, ist nach wie vor entgegen dem Vorschlag des Bundesrates hier miserabel geregelt. Gewerkschaften können jetzt als Sachverständige hinzugezogen werden. Allerdings - und dies ist ein weiterer Kritikpunkt - werden die Kosten für nur einen Sachverständigen übernommen.
Weiterbildung und Sprachunterstützung sind für die Betriebsratsmitglieder nicht vernünftig sichergestellt. Das hat Frau Onur soeben schon ausgeführt.
Und Frau Babel wird gleich sicherlich - wie im Ausschuß - sagen, daß dies alles zu teuer ist. Aber das sind ja keine Luxusanforderungen, sondern die Anforderungen, die in den Änderungsanträgen der SPD im Ausschuß und jetzt auch wieder von uns gestellt werden, sind die Grundvoraussetzungen, um überhaupt eine halbwegs angemessene Information und Kooperation in den Betriebsräten sicherzustellen.
Es geht hier nicht um Anforderungen an Kleinstbetriebe, sondern wir reden hier von europaweit agierenden Konzernen, denen eine informierte und motivierte Belegschaft etwas wert sein sollte.
In der Richtlinie, die hier national umgesetzt wird, ist enthalten, daß mit der Geheimhaltungs- und Vertraulichkeitsregelung in einem Gummiparagraphen die Konflikte vorprogrammiert werden. Obwohl es gar nicht um die Mitbestimmung geht, sondern um Anhörung und Unterrichtung, stehen selbst dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Wege, ohne daß dies jemals jemand überprüfen könnte.
Mit dem Tendenzschutz, hier in der Bundesrepublik seit Jahren bekanntlich umstritten, wird eine überflüssige Regelung, die in Europa einzigartig ist, exportiert. Statt so schlechte Regeln von deutscher Seite in eine EU-Richtlinie zu transportieren, sollte sich die Bundesregierung verstärkt dafür engagieren, Standards der Mitbestimmung in Europa zu verallgemeinern.
Denn so wichtig Unterrichtungs- und Anhörungsrechte als erster Schritt sind, sie reichen nicht aus, um den Interessen der Belegschaften auf dem Weg nach Europa Gehör zu verschaffen.