Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehr als 20 Jahre haben Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen Seite an Seite mit den Gewerkschaften für einen Europäischen Betriebsrat gekämpft. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich das Zustandekommen der Euro-Betriebsratsrichtlinie vom 22. September 1994, obwohl viele berechtigte Forderungen in dem Kompromiß eines Kompromisses auf der Strecke geblieben sind, nach dem Grundsatz: Eine unbefriedigende Richtlinie ist besser als keine.
Die Verabschiedung der Richtlinie unter deutscher Ratspräsidentschaft ist nicht das Verdienst unseres Bundesministers gegen Arbeit und Soziales,
sondern eher ein Glücksfall für den sonst glücklosen Herrn Blüm. Die Richtlinie ist ihm wie ein reifer Apfel in den Schoß gefallen.
Ich möchte Sie nicht mit der Geschichte dieser Richtlinie langweilen, sondern nur nüchtern feststellen, daß vor Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages alle Vorschläge der Kommission am Einstimmigkeitsprinzip, insbesondere an der Blockadehaltung Großbritanniens, gescheitert sind.
Erst nach Maastricht konnten elf Mitgliedstaaten ohne Großbritannien auf der Basis des Sozialabkommens Mindeststandards zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Nur deshalb und weil die Zeit für diese Richtlinie überreif war, konnte sich die deutsche Ratspräsidentschaft mit dieser Richtlinie schmücken.
Um diesen Glücksfall nicht zu verspielen, hat die Bundesregierung ausnahmsweise annähernd rechtzeitig einen Entwurf zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht eingebracht. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich, daß die Richtlinie fast fristgerecht umgesetzt werden soll, bedauert aber genauso ausdrücklich, daß die Richtlinie - wie bei dieser Bundesregierung ja leider üblich - sehr restriktiv umgesetzt wird.
Leyla Onur
Meine Damen und Herren, in der EU-Richtlinie sind vertragsgemäß Mindeststandards festgelegt. Der nationale Gesetzgeber kann und soll unter Anwendung seiner Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten die Richtlinie umsetzen. Das heißt, er kann und soll über die Mindeststandards hinausgehen, wenn die nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten weiter gehen.
Dieser Gesetzentwurf verzichtet nicht nur auf diese Möglichkeit, sondern unterläuft teilweise die in der Richtlinie festgelegten Mindeststandards. Das ist wieder einmal ein Beispiel dafür, daß sich diese Bundesregierung - allen voran der Bundeskanzler - in Sonntagsreden selbstgefällig als Lokomotive im europäischen Einigungsprozeß feiert, aber bei konkreten Richtlinien-Umsetzungen in dem hinteren Wagen Platz nimmt.
Um die gravierenden Mängel dieses Gesetzesentwurfes zu beseitigen, hält die SPD-Bundestagsfraktion - unterstützt von der Mehrheit der Sachverständigen, die wir am 17. Juni angehört haben - folgende Änderungen für notwendig:
Gewerkschaften sollen beratend an den Sitzungen teilnehmen können.
Die Freistellung und Kostenübernahme der Schulungs- und Bildungsmaßnahmen für Euro-Betriebsräte muß im Gesetz geregelt werden.
Den Tendenzschutz kann man dagegen streichen.
Für leitende Angestellte darf es keine Vorzugsbehandlung geben.
Zur außergerichtlichen Beilegung von Streitfällen muß eine Einigungsstelle vorgeschrieben werden.
Arbeitnehmerschutzbestimmungen müssen auch für Euro-Betriebsräte gelten, die durch eine freiwillige Vereinbarung zustande gekommen sind.
Die zentrale Leitung und der Euro-Betriebsrat sollen die Kostenübernahme für weitere Sachverständige vereinbaren können.
Der Euro-Betriebsrat soll weitere Ausschüsse bilden können, wenn es erforderlich ist, und die zentrale Leitung muß mindestens einmal im Jahr den Euro-Betriebsrat unterrichten und anhören.
Die Unterrichtung und Anhörung muß natürlich rechtzeitig und unter Zurverfügungstellung der erforderlichen Unterlagen erfolgen.
Die Unterlagen müssen selbstverständlich in der jeweiligen Muttersprache vorgelegt werden, und der Euro-Betriebsrat muß vor Durchführung von Maßnahmen eine Stellungnahme abgeben können.
Diese aus unserer Sicht notwendigen Regelungen und Klarstellungen haben wir, in 23 Änderungsanträgen formuliert, in den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung eingebracht. Wir haben erwartet, daß sich die Damen und Herren der CDU/CSU und der
F.D.P. differenziert mit unseren Vorschlägen auseinandersetzen
und nach gründlicher Prüfung einigen Änderungsanträgen der SPD zustimmen würden. - Pustekuchen!
- In der Tat.
Die Koalitionsmehrheit hat alle 23 Änderungsanträge sozusagen pauschal abgelehnt - nicht, weil die Damen und Herren der Meinung waren, die von uns eingebrachten Änderungen seien überzogen, nicht europakonform oder gar klassenkämpferisch, sondern einzig und allein, weil die F.D.P. sich mal wieder mit ihrer unternehmerfreundlichen, aber dafür arbeitnehmer- und europafeindlichen Haltung durchgesetzt hat.
Ich zitiere aus dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales:
Die Mitglieder der Fraktion der F.D.P. machten .. . deutlich, daß sie den Gesetzentwurf begrüßten,
jedoch weitergehende Wünsche verhindert hätten,
zumal deren Verwirklichung hauptsächlich die Unternehmen mit zusätzlichen Kosten belastet hätte.
Der Rest der Koalition hat sich der Blockade der F.D.P. wider besseres Wissen gefügt.
- Das ist wahr, das ist meine Anfügung.
Der Rest der Regierungskoalition hat sich der Blokkade der F.D.P. wider besseres Wissen gefügt.
Der Schwanz, meine Damen und Herren, hat mal wieder mit dem Hund gewackelt.
Meine Damen und Herren, es wäre der Bedeutung dieses Gesetzes angemessen, alle notwendigen Än-
Leyla Onur
derungen in dieser Debatte zu erläutern, aber dafür reicht leider meine Redezeit nicht aus.
Ich werde deshalb nur auf zwei Forderungen näher eingehen.
Eine wichtige SPD-Forderung lautet:
Beauftragte von im Betrieb vertretenen Gewerkschaften können auf Antrag eines Viertels der Mitglieder an den Sitzungen beratend teilnehmen.
Das ist nach den deutschen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Das Argument der Bundesregierung, die Vertretung der Gewerkschaften sei in der Richtlinie nicht geregelt worden, ist nur vorgeschoben, denn die Bundesregierung weiß ganz genau, daß die Teilnahme von Gewerkschaften deshalb nicht geregelt worden ist, weil die nationalen Gesetzgeber dies entsprechend ihren Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten umsetzen wollten.
Anders ausgedrückt: Es war keineswegs das erklärte Ziel des europäischen Gesetzgebers, ein gewerkschaftsfreies Gesetz zu schaffen. Die Änderung, die die Koalition vorgeschlagen und im Ausschuß natürlich mit ihrer Mehrheit verabschiedet hat -„Sachverständige können auch Beauftragte von Gewerkschaften sein" -, ist gelinde gesagt eine Veräppelung,
denn weder die Richtlinie noch der Gesetzentwurf schreiben vor, wen die Euro-Betriebsräte einladen dürfen.
Ich erinnere an dieser Stelle an die unternehmerfreundliche Aussage der F.D.P., den Unternehmen dürften keine zusätzlichen Kosten entstehen. Wenn es Ihnen nur darum geht, verehrte Frau Babel, dann ist diese Änderung geradezu kontraproduktiv.
Wenn ein Gewerkschaftsvertreter als Sachverständiger eingeladen wird, muß das Unternehmen die Kosten tragen. Wird er jedoch als Berater hinzugezogen, kostet dies das Unternehmen keinen Pfennig. Die Euro-Betriebsräte könnten einen oder mehrere Sachverständige auf Kosten der zentralen Leitung einladen und zusätzlich und kostenlos, Frau Babel, die Beratung durch Gewerkschaftsvertreter in Anspruch nehmen,
und zwar zum Wohle der Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Die Zeit läuft mir leider davon, deshalb einige wenige Sätze zu unserem Antrag „Freistellung und Kostenübernahme der Schulungs- und Bildungsmaßnahmen für Euro-Betriebsräte " .
Der Sachverständige Wolfgang Müller, Sekretär eines Euro-Betriebsrates einer Computerfirma, hat in der Anhörung aus der Praxis berichtet und zwei Bereiche genannt: erstens: Sprachschulung, zweitens: Kenntnisse über wirtschaftliche Zusammenhänge, zum Beispiel amerikanisches Bilanzrecht.
Der Praktiker Müller hat es auf den Punkt gebracht mit seiner Schlußfolgerung - ich zitiere -:
Wenn es nicht die Möglichkeit gibt, daß man sich durch einen Bildungsanspruch von einer Woche pro Jahr kundig machen kann, sind die einmaligen Sitzungen pro Jahr eine relative Farce, weil man nicht versteht, worum es geht.
Auf Frau Babels Kostenmanie will ich eigentlich nicht noch einmal zurückkommen; denn für große Unternehmen sind die zur Rede stehenden Kosten für Schulungsmaßnahmen auf neuhochdeutsch „Peanuts".
Der Sachverständige Professor Dr. Meinhard Heinze hat in der Anhörung geäußert, wir dürften den in unserem Betriebsverfassungsgesetz verankerten Schulungsanspruch nicht auf Euro-Betriebsräte anwenden, weil die anderen Mitgliedstaaten das Recht auf Schulungsmaßnahmen nicht vorgesehen hätten. Eine einseitige Besserstellung der deutschen Arbeitnehmervertreter würde auf den energischen Widerstand der Arbeitnehmervertreter aus anderen Mitgliedstaaten stoßen.
Argument und Einschätzung sind schlicht falsch; denn in dem bereits verabschiedeten Gesetz der Niederlande ist den Euro-Betriebsräten ein eigenständiger Schulungs- und Bildungsanspruch ausdrücklich zugestanden worden - in Art. 4 Abs. 3 nachzulesen. Auch Frankreich hat 120 Stunden für Schulung und Bildung vorgesehen, wobei die Zeit, die auf Sitzungen verbracht wird, nicht angerechnet wird. In Österreich werden die Euro-Betriebsräte natürlich ebenfalls einen Schulungs- und Bildungsanspruch haben, weil das bestehende österreichische Gesetz, das einen solchen Anspruch enthält, nur ergänzt wird.
Drei europäische Länder, drei vorbildliche Regelungen, die von uns zur Nachahmung empfohlen werden.