Rede von
Dr.
Norbert
Blüm
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie hat Frau Bläss gesagt? Ohne die konsequenten Anstrengungen der PDS wäre es nicht zu Verbesserungen gekommen.
Dem habe ich einen Satz hinzuzufügen: Ohne die konsequente Diskriminierung der Rentner durch die SED hätten wir gar nicht die Chance, die Rente anzuheben.
Frau Bläss, ich nenne dazu Zahlen und produziere nicht wie Sie heiße Luft: Rentenausgaben vor der deutschen Einheit im Gebiet der DDR bei gleicher Rentnerzahl - -
- Hören Sie zu! Ich weiß, das hören Sie nicht gern. Rentenzahlung, zum Mitschreiben. Je länger Sie schreien, um so öfter wiederhole ich es.
Rentenzahlungen vor der deutschen Einheit auf dem Gebiet der DDR bei gleicher Rentnerzahl: 16,7 Milliarden Ostmark. Heute, gleiches Gebiet, gleiche Rentnerzahl: 73 Milliarden DM. Und da kommen Sie her - -
- Ja, das ist Äpfel mit Birnen verglichen. Der Unterschied ist nämlich noch größer. 16,7 Milliarden Ostmark waren nicht die Hälfte dieser Summe in D-Mark wert.
Damit wir das auch noch abräumen, Frau Kollegin Mascher: Sie haben von dem erstaunlichen Meinungsumschwung bei der Koalition gesprochen. Wissen Sie, wer den größten Umschwung gemacht hat? Den größten haben Sie gemacht. Sie haben nämlich das, was Sie heute - mit oder ohne Anführungsstriche - als Rentenstrafrecht bezeichnen, mit beschlossen. Wer hat also den größeren Umschwung gemacht? Alles das haben Sie mit beschlossen.
Der Kollege Dreßler hat die Koalition mit wüsten Vorwürfen beschimpft, weil wir die Spitzenrenten nicht genügend kürzen. Meinen Sie vielleicht, ich würde an Gedächtnisschwund leiden? Vielleicht sehe ich so aus.
Das ist eine Verwechslung. Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis. Sie konnten gar nicht genug kürzen.
Zur Rente selber. Lassen Sie uns in diesem heißen Gefecht doch eines klarstellen: Es war die größte sozialpolitische Leistung, über Nacht 4 Millionen Renten umzustellen.
Kein Privatversicherungssystem hätte das geschafft, und wie unzuverlässig eine Staatsversorgung ist, haben die Rentner in der DDR erlebt.
Jetzt zu dem Thema Gerechtigkeit. Das halte ich für ein uns alle berührendes Thema. Darüber sollten wir nicht hinweggehen. Bei meinen ersten Verhandlungen mit dem Vertreter der DDR habe ich meinen Verhandlungspartner gefragt, wieviel Sonder- und Zusatzsysteme es in der DDR gebe. Darauf hat mein Verhandlungspartner gesagt, er wisse es nicht. Ich war damals der Meinung, er wolle blocken, er wolle einfach streiken.
Heute nehme ich das zurück. Er hat es wirklich nicht
gewußt, denn da muß man wirklich Dickicht durchschauen. Das war ein Geflecht von Beziehungen, Be-
Bundesminister Dr. Norbert Blüm
lohnungen und Bestrafungen. Dieses System voller Privilegien zu übernehmen, haben wir wirklich nicht nötig.
Es kann keine allseits befriedigende Lösung geben. Ich stehe nicht vor Ihnen und sage: Wir haben eine allseits befriedigende, völlig gerechte Lösung. Wissen Sie, warum das nicht geht? Es müßte der Einzelfall beurteilt werden. Bis das in äußerster Gerechtigkeit durchgeführt ist, ist auch der letzte gestorben. Das wäre eine Gerechtigkeit für den Himmel. Wenn Sie nicht auf den Himmel verweisen wollen, sondern hier und heute handeln wollen, dann kommen Sie nur mit vorläufigen - ich gebe sogar zu: unvollkommenen - Lösungen zurecht. Allerdings bemühen wir uns, so gut es geht, uns absoluter Gerechtigkeit zu nähern.
Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Osten, daß sie bei dieser Anstrengung - mühsam, wie sie ist, im Wissen, daß es keine vollbefriedigende Lösung gibt -, bei dieser Suche nach mehr Gerechtigkeit nie aufgegeben haben.
Rentenrecht hin, Rentenrecht her: Meinem Gerechtigkeitsempfinden hätte es nicht entsprochen, wenn diejenigen, die systembedingt Einkommensvorsprünge hatten, diese Einkommensvorsprünge ins Rentenrecht hätten übernehmen können. Deshalb mußte es Kürzungen geben.
Ich befinde mich damit in Übereinstimmung mit den Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, die damals gesagt haben:
Der gänzliche Verzicht auf eine Entgeltpunktbemessungsgrenze für die Systemträger
bedeutet letztlich nichts anderes, als demokratieund menschenrechtsfeindliches Verhalten ehemaliger Begünstigter des SED-Systems nunmehr auch im vereinigten Deutschland rechtsstaatlich zu sanktionieren und in Form vergleichsweise hoher Renten im nachhinein zu würdigen.
Deshalb bleibt es auch in unserem Vorschlag bei Begrenzungen der Renten der hauptamtlichen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes. Im übrigen sind die Begrenzungen für drei Viertel der Betroffenen zurückgenommen. Begrenzungen gibt es dann nur noch bei weniger als 1 Prozent der Renten.
Ich gestehe - ich will es wiederholen -: Eine perfekte Lösung gibt es nicht. Aber im Sinne einer Befriedung und auch im Sinne einer sozialpolitischen Einheit ist dies ein großer Schritt vorwärts. Ich bedanke mich bei allen, die an diesem mühsamen, sehr schwierigen Unternehmen teilgenommen haben.
Ich bleibe dabei: Die Rentner können sich auf uns verlassen. Ich appelliere auch an die Rentner im Westen, Verständnis für diese Sonderschritte zu haben; denn immerhin sind in der DDR unsere Landsleute vom Leben schwerer getroffen worden als viele, die das Glück hatten, im Westen zu leben. Es ist nicht mein Verdienst, daß ich im Westen geboren worden bin.
Viele Rentner haben zwei Weltkriege mitgemacht. Im Unterschied zu ihren westlichen Alterskameraden und -kameradinnen haben sie nicht eine Diktatur, sondern zwei erlebt: nach der braunen die rote. Im Unterschied zu den Jungen haben sie nicht mehr soviel Zeit, das Unrecht, das ihnen das Leben zugefügt hat, auszugleichen. Deshalb plädiere ich für eine große Solidaritätsanstrengung im Westen für die deutsche Einheit auch in Sachen Rente.