Rede von
Uwe-Bernd
Lühr
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wohl über kaum ein Gesetz in dieser Legislaturperiode ist so lange und so emotional diskutiert worden, bevor es in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden konnte. Frau Mascher, es ist ein bißchen billig, zu sagen, daß hier nur die SPD den Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hätte. Ich erinnere mich, daß alle Fraktionen und die Gruppe, die in diesem Haus vertreten sind, im Wahlkampf Versprechungen abgegeben haben, etwas zu bewegen. Aber bewegt hat es am Ende die Koalition, und darauf bin ich sehr stolz.
Der Gesetzentwurf in der heutigen Fassung leistet zweifellos einen Beitrag zur weiteren Ausgestaltung der inneren Einheit Deutschlands. Aber es gibt keinen Grund zur übermäßigen Freude bei der Verabschiedung.
Der Einigungsvertrag sah vor, die infolge der zugrunde gelegten überhöhten Einkommen im staatstragenden Bereich der DDR ungerechtfertigt hohen Leistungen der Rentenversicherung abzubauen. Es ging den Verfassern nicht um die systemtragende Funktion, sondern um die daraus resultierenden extrem überhöhten Einkommen, die nicht auch noch zu Spitzenrenten führen sollten. Von Systemnähe oder Regimeträgerschaft steht im Einigungsvertrag nichts. Die F.D.P.-Fraktion - ich bin Frau Mascher sehr dankbar, daß sie speziell meinen Kollegen Bruno Menzel hier erwähnt hat; namentlich nenne ich außerdem meine Kollegen Cronenberg, Schnittler und Pohl - hat daher von Anfang an vor einer Vermischung gewarnt und an dem Prinzip festgehalten, daß unser Rentenrecht neutral und von Sanktionsmechanismen, die dem Rentenrecht fremd sind, frei bleiben sollte.
Ich muß Ihnen sagen, daß es mich wurmt, daß ausgerechnet jene glauben, uns Vorhaltungen machen zu können, die im umgekehrten Fall mit Sicherheit anders verfahren werden.
Da unser Rentenrecht als Berechnungsgrundlage ohnehin eine systemkonforme Bemessungsgrenze einhält, hätte ein Vorwegabzug des überhöhten Betrages unseres Erachtens ausgereicht, um nicht Profiteure des SED-Regimes zu ungerecht bevorzugten Nutznießern der Wiedervereinigung werden zu lassen.
Allerdings waren kurz nach der Wende die Verhandlungen wohl emotional noch zu geladen, als daß nicht doch der Versuchung nachgegeben worden wäre, empfundenes Unrecht mit einer Kappung der Renten für einen pauschalierten Kreis von Funktionsträgern abzugelten. Betroffene haben dagegen geklagt und waren bis hin zum Bundessozialgericht erfolgreich. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu steht noch aus. Mit der Behandlung des Vorlagebeschlusses hat das Gericht offensichtlich auf den Gesetzgeber gewartet, auf das Ergebnis heute.
Seit Beginn der Beratungen über eine Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes haben zunehmend wohl auch fiskalische Überlegungen Einzug gehalten, insbesondere in den Bundesländern, die die Hauptlast der Finanzierung zu tragen haben. Ich muß hier auch klar sagen, daß wir das Gesetz wesentlich eher auf den Weg gebracht hätten, wenn die ostdeutschen Bundesländer von Beginn an konstruktiver und zielorientierter mitgearbeitet hätten.
Das Problem wurde weder gestern im Ausschuß noch wird es heute im Plenum politisch vom Grundsatz her gelöst. Der Kappungskatalog wird zwar reduziert, aber nicht ob seiner rentenrechtlichen Systemwidrigkeit abgeschafft. Aber es ist nun einmal so: Das Gesetz verläßt dieses Haus und den Bundesrat nur in einer Fassung, die mehrheitsfähig ist. Soll die unseres Erachtens dringend notwendige Korrektur nicht in der Selbstblockade steckenbleiben, so müssen wir zunächst wenigstens das Erreichbare umsetzen, so unbefriedigend das für diejenigen bleiben muß, die auf eine grundsätzliche Lösung gehofft hatten. Aber es wäre ein überhaupt nicht zu vertretendes Ergebnis, wenn im Beharren auf diese prinzipielle Lösung eine Verbesserung für drei Viertel der von der Regelung Betroffenen storniert würde.
Ähnlich verhält es sich mit den angemeldeten Ansprüchen zum Beispiel der ehemaligen Reichsbahner. Die Stellungnahme des BMA konnte nicht hinreichend überzeugen, daß die Versorgungszusagen der ehemaligen DDR nicht als Äquivalent für zwangsweise verfügte Mindereinkommen bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden können. Haben wir nicht auch an anderen Stellen das Prinzip der Beitragsbezogenheit unberücksichtigt lassen müssen, zum Beispiel dort, wo Versicherte überhaupt nichts für die Zugehörigkeit zu den Zusatz- bzw. Sonderversorgungssystemen eingezahlt haben?
Ich muß einsehen, der Versuch einer Regelung dieses Sachverhalts in diesem Gesetz richtet sich auf derzeit Unmögliches und würde die Aussetzung der jetzt möglichen Regelung auf ungewisse Zeit bedeuten. Das kann man guten Gewissens denjenigen nicht antun, denen mit diesem Gesetz zu ihrem Recht verholfen werden kann.
Ich weiß, wie schwer es manchem Kollegen - vor allem bei unserem Koalitionspartner - fällt, diese Entscheidung heute mitzutragen. Deshalb bezeuge ich
Uwe Lühr
meinen Respekt all denen, die trotz innerer Vorbehalte heute zustimmen.
Die F.D.P.-Fraktion stimmt dem Entwurf in der vorliegenden Ausschußfassung zu.