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ID1312300200

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    Plenarprotokoll 13/123 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 123. Sitzung Bonn, Freitag, den 13. September 1996 Inhalt: Nachruf auf das frühere Mitglied des Deutschen Bundestages Willi Weiskirch 11061A Erweiterung der Tagesordnung 11061 C Tagesordnungspunkt 1: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997 (Haushaltsgesetz 1997) (Drucksache 13/5200) . . 11062 B b) Fortsetzung der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1996 bis 2000 (Drucksache 13/5201) 11062 B Karl Diller SPD 11062 B Dietrich Austermann CDU/CSU . . . 11067D Ingrid Matthäus-Maier SPD 11069 D Joachim Poß SPD 11072 B Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11073A Dr. Wolfgang Weng (Gerungen) F.D.P. . . 11075C Dr. Christa Luft PDS 11077 D Dieter Pützhofen CDU/CSU . . 11079D, 11081B, 11082D, 11083C Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 11082A Joachim Poß SPD 11083 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11083D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 11084 C Ingrid Matthäus-Maier SPD 11088A Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Fraktion der SPD: Vorlage eines Ergänzungshaushalts zum Entwurf zum Bundeshaushaltsplan 1997 (Drucksache 13/5509) 11089 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Vereinbarte Debatte zum Wachstums- und Beschäftigungsförderungs-Ergänzungsgesetz, zum Gesetz zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit, zum Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, zum Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz, zum Beitragsentlastungsgesetz und zum Achten Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch . 11089C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 11089D Rudolf Scharping SPD 11093D Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11094 D Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. . . . . 11096B Dr. Gregor Gysi PDS 11098D Ulla Schmidt (Aachen) SPD 11100B Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Ergänzung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (Wachstums- und Beschäftigungsförderungs-Ergänzungsgesetz) (Drucksachen 13/4611, 13/5089, 13/5108, 13/5327, 13/5446, 13/5528, 13/5536) 11102C Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Anrufung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Begren- zung der Bezügefortzahlung bei Krankheit (Drucksachen 13/4613, 13/5074, 13/5327, 13/5448, 13/5529, 13/5537) . . 11102C Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Gesetz zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz) (Drucksache 13/5538) 11102D Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. (Erklärung nach 31 GO) 11103B Namentliche Abstimmung 11104 A Ergebnis 11109B Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Arbeitsrechtliche Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) (Drucksache 13/5539) 11102D Namentliche Abstimmung 11106D Ergebnis 11107A Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Gesetz zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Beitragsentlastungsgesetz) (Drucksache 13/5540) , 11102D Namentliche Abstimmung 11109C Ergebnis 11109D Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Einspruches des Bundesrates gegen das Achte Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 13/5541) 11103A Namentliche Abstimmung 11112B Ergebnis 11112C Nächste Sitzung 11115C Berichtigung 11115 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 11117 *A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 11117* B 123. Sitzung Bonn, Freitag, den 13. September 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 120. Sitzung, Seite 10805: In die Liste der entschuldigten Abgeordneten ist einzufügen: „Wieczorek-Zeul, Heidemarie SPD 10. 9. 1996". Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Bremen), BÜNDNIS 13.9. 96 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Dr. Däubler-Gmelin, SPD 13. 9. 96 Herta Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 13. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Graf von Einsiedel, PDS 13. 9. 96 Heinrich Graf (Friesoythe), SPD 13. 9. 96 Günter Dr. Jacob, Willibald PDS 13. 9. 96 Regenspurger, Otto CDU/CSU 13. 9. 96 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 701. Sitzung am 12. September 1996 beschlossen, gegen das nachfolgende Gesetz einen Einspruch gemäß Artikel 77 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht einzulegen: Siebtes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Siebtes SGB V-Änderungsgesetz - 7. SGB V-ÄndG) Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 11. September 1996 ihren Antrag „Verbesserung des Jugendaustausches zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik" - Drucksache 13/5469 - zurückgezogen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EUVorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/4137 Nr. 2.15 Drucksache 13/4466 Nr. 2.10 Drucksache 13/4514 Nr. 2.25 Drucksache 13/4514 Nr. 2.47 Anlagen zum Stenographischen Bericht Drucksache 13/4636 Nr. 1.1 Drucksache 13/4678 Nr. 2.12 Innenausschuß Drucksache 13/1614 Nr. 2.14 Drucksache 13/3790 Nr. 2.3 Drucksache 13/3938 Nr. 2.13 Drucksache 13/3938 Nr. 2.17 Finanzausschuß Drucksache 13/4466 Nr. 2.44 Drucksache 13/4678 Nr. 2.42 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/2306 Nr. 2.51 Drucksache 13/3668 Nr. 2.15 Drucksache 13/4137 Nr. 2.91 Drucksache 13/4137 Nr. 2.93 Drucksache 13/4137 Nr. 2.94 Drucksache 13/4137 Nr. 2.95 Drucksache 13/4137 Nr. 2.96 Drucksache 13/4678 Nr. 1.1 Drucksache 13/4678 Nr. 2.6 Drucksache 13/4678 Nr. 2.15 Drucksache 13/4678 Nr. 2.18 Drucksache 13/4678 Nr. 2.22 Drucksache 13/4678 Nr. 2.23 Drucksache 13/4678 Nr. 2.26 Drucksache 13/4678 Nr. 2.29 Drucksache 13/4678 Nr. 2.30 Drucksache 13/4678 Nr. 2.33 Drucksache 13/4678 Nr. 2.35 Drucksache 13/4678 Nr. 2.40 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/4137 Nr. 2.85 Drucksache 13/4466 Nr. 2.49 Drucksache 13/4466 Nr. 2.50 Drucksache 13/4514 Nr. 2.12 Drucksache 13/4514 Nr. 2.32 Drucksache 13/4514 Nr. 2.35 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/218 Nr. 85 Drucksache 13/218 Nr. 86 Ausschuß für Verkehr Drucksache 13/2674 Nr. 2.21 Drucksache 13/3938 Nr. 2.11 Drucksache 13/3938 Nr. 2.19 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/1614 Nr. 1.7 Drucksache 13/3938 Nr. 2.30 Ausschuß für Post und Telekommunikation Drucksache 13/4678 Nr. 2.4 Drucksache 13/4678 Nr. 2.14 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/4466 Nr. 2.36 Drucksache 13/4466 Nr. 2.40 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/1799 Nr. 3.2
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    Rede von Karl Diller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Haushalt ohne Halt, das Papier nicht wert, auf das er gedruckt wurde, die Koalition rutscht von Loch zu Loch - so lautet zu
    Recht das Echo der Medien auf den Haushaltsentwurf dieser Bundesregierung.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Zuruf von der CDU/CSU: Eine selektierte Wahrnehmung ist das!)

    Dabei hätte die Regierung Kohl bei der Einbringung des Haushalts die Chance gehabt, sich endlich auf den Weg finanzpolitischer Ehrlichkeit zu begeben. Sie hat leider diese Chance nicht genutzt.
    Waigels Zahlenwerk ist in wesentlichen Teilen wider besseres Wissen falsch, unrealistisch, geschönt, zusammengeschustert. In seinen eigenen Reihen wird unumwunden eingestanden, daß im Haushaltsentwurf zum Zeitpunkt seiner Einbringung bereits ein zweistelliges Milliardenloch klafft.
    Was Sie konkret zur Deckung vorhaben, darüber haben Sie sich bis jetzt die ganze Woche ausgeschwiegen. Sie sagen, Sie wollen die Neuverschuldung von 56,5 Milliarden DM nicht erhöhen. Sie reden von weiterem Konsolidierungsbedarf über alle Ministerien hinweg, lehnen die Ausbringung einer Haushaltssperre wie 1996 ab und drohen Arbeitslosen mit weiteren Kürzungen.
    Kollege Weng von der F.D.P. gesteht ein - ich zitiere ihn -, „daß das hier im Raum stehende Finanzvolumen nicht in einem normalen Haushaltsverfahren einzusparen und zu erwirtschaften ist" . - Soweit Kollege Weng.
    Ja, wenn das so ist, Herr Weng, dann stimmen Sie doch unserem Antrag auf Vorlage eines Ergänzungshaushalts zu.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Oder wollen Sie wieder so ein unwürdiges Beratungsverfahren, wie wir es im letzten Herbst erleben mußten?
    Wann sonst, Herr Bundesfinanzminister, wenn nicht in dieser Situation, müßte sich eine pflichtbewußte Bundesregierung veranlaßt sehen, Klarheit über ihre politischen Absichten durch die Vorlage eines Ergänzungshaushaltes zu schaffen?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Er kneift, weil er ohne jede Konzeption ist.
    Wenn die Arbeitnehmervertreter und die ostdeutschen Abgeordneten in der CDU/CSU-Fraktion Mumm hätten, dann würden sie diesem Flickwerk und vor allem dem Kürzungspaket angesichts weiterer angedrohter Kürzungen heute die Zustimmung verweigern.

    (Beifall bei der SPD)

    Von Ihrer Finanzpolitik behaupten Sie, Herr Bundesfinanzminister, sie stünde auf sicherem Fundament. Schauen wir uns das Fundament - das ist der laufende Haushalt - einmal an:

    Karl Diller
    Da war der skandalöse Vorgang, daß der Bundesfinanzminister von Juli 1995 bis einschließlich Oktober 1995 jede Finanzierungslücke in seinem Entwurf stets leugnete, die Öffentlichkeit über den wahren Zustand der Bundesfinanzen täuschen wollte, zum Schluß in letzter Minute ein Haushaltsloch in zweistelliger Milliardenhöhe eingestand und es weitgehend durch Luftbuchungen auszugleichen suchte.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: WaigelWisch!)

    Da bejammert die F.D.P. jetzt, sie hätte den Versicherungen des Finanzministers geglaubt, daß Privatisierungserlöse in der Größenordnung von 9 000 Millionen DM tatsächlich möglich gewesen wären. Da kann ich nur sagen: Derartig Leichtgläubigen kann man die Finanzen des Bundes einfach nicht mehr anvertrauen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU/ CSU und F.D.P, im Haushaltsausschuß, sind nicht dort, um Waigels Zahlen zu glauben; Sie sind dort, um sie zu prüfen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!)

    Wir haben Herrn Waigel nicht geglaubt, weil schon die erste Prüfung des berüchtigten Waigel-Wischs zeigte: Alles absolut unseriös.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Jetzt sind Sie gezwungen, die von der SPD damals geschätzten Haushaltslöcher einzugestehen. Statt veranschlagter 60 Milliarden wollen Sie jetzt 70 Milliarden DM neuer Schulden machen. Im Mai noch hat Ihr Kollege Rexrodt großsprecherisch erklärt, möglichen Plänen des Finanzministers, die Neuverschuldung auf eben diese 70 Milliarden DM zu erhöhen, werde die F.D.P. nie und nimmer zustimmen. Tja, muß sie auch gar nicht; denn sie wird gar nicht gefragt. Der Finanzminister macht es einfach. Wollte nicht die F.D.P im übrigen sogar die Möglichkeit einer Neuverschuldung im Grundgesetz verbieten?
    Zurück zu Ihnen, Herr Waigel: Mit Ihrer Angabe von 70 Milliarden DM schaffen Sie überhaupt gar keine Klarheit, sondern lassen die wahre Lage der Bundesfinanzen weiter im dunkeln. Die Finanzrisiken sind größer als die 12,5 Milliarden, die Sie jetzt notgedrungen überplanmäßig da herübergeschoben haben. Die wegbrechenden Steuereinnahmen und die ausstehenden Erlöse bei der Privatisierung reißen ein weit größeres Loch, als Sie mit 10 Milliarden DM neuer Schulden und Minderausgaben ausgleichen können.
    Deshalb ist es ein Gebot finanzpolitischen Anstands, einen Nachtragshaushalt für 1996 einzubringen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wir halten ihn nicht nur für haushalts-, sondern - ich betone das - sogar für verfassungsrechtlich geboten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Herr Bundesfinanzminister, der Art. 115 des Grundgesetzes sieht eine klare Grenze für die Neuverschuldung vor. Sie liegt im laufenden Haushalt bei 66 Milliarden DM, nämlich der Höhe der Investitionen. Sie geben nun zu, mit der Verschuldung im Vollzug weit über diese Grenze hinauszuschießen, zumal die Investitionen ja durch die Haushaltssperre deutlich geringer ausfallen werden, als der Etatansatz das vorsah.
    Das Recht, diese Grenze zu überschreiten, ist von der Verfassung aber bewußt dem Parlament und nicht der Regierung übertragen worden, auch nicht dem Finanzminister. Es kann nicht hingenommen werden, daß Sie wesentliche Verfassungsbestimmungen über die Begrenzung einfach aushebeln, indem Sie ohne Zustimmung des Parlaments auf nicht ausgenutzte Kreditermächtigungen aus Vorjahren zurückgreifen. Wenn das rechtens wäre, dann bräuchten wir überhaupt keine Beratungen mehr, weil der Finanzminister ja ohnehin dann machen könnte, was er wollte.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: So ist es!)

    Herr Bundesfinanzminister, die Verweigerungshaltung läßt Ihre Regierung in einen Verfassungskonflikt hineinlaufen. Eigentlich ist dies keine Ressortfrage mehr; der Bundeskanzler wäre gefordert,

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja!)

    hier Ordnung zu schaffen. Denn noch ist es Zeit, durch einen Nachtragshaushalt 1996 den Bundeshaushalt in diesem Jahr verfassungsfest zu machen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Dies gilt um so mehr, als das Haushaltsloch eine Vorgeschichte hat, die wir - Stichwort: WaigelWisch - in übelster Erinnerung haben. Sie wären nicht in diese Zwangslage geraten, wenn Sie bei der Haushaltsaufstellung im letzten Jahr alle - ich betone: alle! - zu erwartenden Einnahmen und voraussichtlichen Ausgaben wahrheitsgemäß veranschlagt hätten.
    Die Koalition hat mit Verabschiedung des Haushalts gegen Art. 110 des Grundgesetzes verstoßen, weil einerseits bei der Privatisierung völlig unrealistische Einnahmen eingestellt und andererseits beim Arbeitsmarkt mit Sicherheit zu leistende Ausgaben nicht veranschlagt wurden.
    Mit ihrem leichtfertigen Glauben hat sich die Koalition von Waigel auf das verfassungsrechtliche Glatteis führen lassen und ist nun eingebrochen. Weil der Haushalt 1996 bei der Verabschiedung schon gegen Art. 110 Grundgesetz verstieß, verstieß

    Karl Diller
    er in letzter Konsequenz auch schon bei der Verabschiedung gegen Art. 115 des Grundgesetzes. Das ist die bittere Wahrheit.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sie fürchteten vor einem Jahr das Signal sprunghaft ansteigender Neuverschuldung, weil Ihr angeblicher Konsolidierungskurs damit als Lug und Trug erkannt worden wäre.
    Außerdem hätten Sie angesichts Ihrer geschönten Konjunkturerwartungen auch keinerlei Begründung für eine Überschreitung der Kreditgrenze nach Art. 115 GG vorweisen können. Deshalb haben Sie manipuliert.
    Sie machten sich das Schlupfloch zunutze, wonach Mehrausgaben für gesetzliche Leistungen ohne Nachtragshaushalt verfügt werden können. Sie mißbrauchen das Instrument überplanmäßiger Ausgaben, um einen offenkundig wahrheitswidrig aufgestellten Haushalt nachträglich zu reparieren.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Sie finanzieren, indem Sie Kreditermächtigungen aus früheren Jahren nutzen.
    Unter Theo Waigel sind damit die beiden Instrumente, überplanmäßige Ausgabe und Rückgriff auf Kreditermächtigungen aus Vorjahren, zum Einfallstor einer beispiellosen finanzpolitischen Verwahrlosung geworden.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das Haushaltsrecht interessiert ihn anscheinend nur noch unter dem Gesichtspunkt: Wie kann ich es umgehen?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Mit einem Bundesfinanzminister Theo Waigel haben die Verfasser des Haushaltsrechts offenbar gar nicht gerechnet.
    Wir werden deshalb den Antrag stellen, Kreditermächtigungen aus den Vorjahren zu streichen, um Ihnen dieses Manipulationsinstrument ein für allemal aus der Hand zu nehmen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Außerdem fordern wir Sie auf, den Verfassungsverstoß beim laufenden Haushalt durch einen Nachtragshaushalt zu heilen. Wir werden nicht hinnehmen, daß Sie beim Haushalt 1997 die gleiche Prozedur durchziehen wie im vorigen Jahr. Legen Sie endlich eine ehrliche Ergänzungsvorlage vor, die dem Haushaltsrecht entspricht. Riskieren Sie nicht erneut einen Verfassungsverstoß.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Im übrigen wird die Überschreitung der verfassungsmäßigen Grenze der Neuverschuldung bei Ihnen zum Dauerzustand. Das war 1993 so, das ist im laufenden Haushalt so, und das droht auch im nächsten Jahr so zu kommen. Daher müßten Sie doch eigentlich ins Grübeln kommen, ob Ihre Politik überhaupt geeignet ist, die Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beheben.

    (Zuruf von der SPD: Sie verursacht die Störung doch!)

    Unsere Antwort ist ein klares Nein.
    Trotz Ihrer jährlichen neuen Schuldenrekorde tragen Sie nichts zur Lösung der riesigen Probleme auf dem Arbeitsmarkt und zur Wiederherstellung wirtschaftlicher und sozialer Stabilität bei. Ihre Politik besteht darin, den Haushaltslöchern hinterherzukürzen, statt deren Ursache, die millionenfache Arbeitslosigkeit, entschieden zu bekämpfen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie verweigern sogar das Eingeständnis, daß es überhaupt eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gibt. Dabei sind fast 4 Millionen registrierte Arbeitslose und bis zu 6 Millionen fehlende Arbeitsplätze doch der unwiderlegbare Beweis dafür. Statt dessen reden Sie unglaublich verharmlosend von der jetzt „beendeten Wachstumspause" oder von „Funktionsstörungen am Arbeitsmarkt" . Ihre Sprache, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und F.D.P., ist die Sprache herzloser Technokraten, die sich in die Gefühle und die Gedanken von Arbeitslosen überhaupt nicht mehr hineindenken können.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Sie behaupten, die Eckwerte des Haushalts 1997 und des Finanzplans 2000 spiegelten die Konsolidierungsfortschritte der letzten Jahre wider. Daß ich nicht lache: die Konsolidierungsfortschritte der letzten Jahre! Kohl, Kinkel und Waigel stehen für eine Finanzpolitik, die im Jahre 1993 mit 66 Milliarden DM die Spitze der Neuverschuldung angeblich überschritten hat. Damals gaben Sie für den Defizitausgleich der Bundesanstalt für Arbeit übrigens 24 Milliarden DM aus, in diesem Jahr, bei einer neuen Rekordverschuldung von 70 Milliarden DM, nur die Hälfte.
    Ihre ständigen arbeitsmarktpolitischen Leistungskürzungen sind nicht geeignet, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nachhaltig voranzubringen. Im Gegenteil: Die Abwärtsspirale wird ständig verstärkt. Wenn Graf Lambsdorff mit seiner Feststellung recht haben sollte, daß wir nicht auf dem Wege sind, die Arbeitslosenzahl bis zum Jahre 2000 von 4 Millionen auf 2 Millionen zu halbieren, sondern uns eher auf 5 Millionen zubewegen, dann wäre das das Ergebnis seiner und Ihrer Politik.
    Für 1997 hatten Sie eine Neuverschuldung in Höhe von 38 Milliarden DM geplant, jetzt sind Sie bereits bei 56,5 Milliarden DM und räumen ein weiteres Haushaltsloch in Höhe von 10 Milliarden DM ein.

    Karl Diller
    Ihre ganzen Hoffnungen ruhen auf einem Anziehen der Konjunktur, sonst würden die Steuermindereinnahmen ein noch größeres Haushaltsloch reißen.
    Das Institut der Deutschen Wirtschaft macht deutlich, auf welch wackligen Füßen Ihre Konjunkturhoffnungen stehen, wenn es feststellt, daß die mangelnde Investitionsbereitschaft der Industrie den Aufschwung gefährde, und darauf hinweist, noch nie seit der Gründung der Bundesrepublik sei in einer Aufschwungphase weniger investiert worden als heute. Wie können Sie da von einem stabilen Fundament reden?
    Herr Waigel, am Dienstag behaupteten Sie, das Wagnersche Gesetz von den unaufhaltsam steigenden Staatsausgaben durchbrochen zu haben. Tatsächlich haben Sie aber in Ihrer Amtszeit ein neues Gesetz geschaffen: das Waigelsche Gesetz von der dynamisch steigenden Staatsverschuldung.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Am Dienstag haben Sie mich einen Hellseher genannt, weil ich angeblich zu den ganz wenigen Menschen gehörte, die schon die genauen Daten des Arbeitsmarktes für 1997

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das stand im Konzept, ich habe es nicht vorgetragen!)

    und die daraus folgenden Haushaltsrisiken kennen würden. - Sie haben das in Ihrer verteilten Pressemitteilung so erklärt. Wenn Sie davon abrücken, können wir uns darüber unterhalten. Es ist jedenfalls schriftlich publiziert worden.

    (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Es gilt das gesprochene Wort!)

    Herr Waigel, ich gestehe, ich kann nicht hellsehen, aber ich kann einigermaßen präzise rechnen. Wir haben Ihnen im März dieses Jahres Ihr Haushaltsloch in der Arbeitsmarktpolitik mit 11,8 Milliarden DM vorgerechnet. Jetzt sind es nach Ihrem Eingeständnis über 12 Milliarden DM. Im übrigen nehme ich die Aussage Ihres Kollegen Rexrodt bitter ernst, daß die Arbeitslosenzahl im nächsten Jahr bei 3,9 Millionen verharren werde, daß aber auch alle Anstrengungen unternommen werden müßten, damit sie trotz des erhofften Wirtschaftswachstums von 2 bis 2,5 Prozent nicht weiter ansteige. Also strengen Sie sich endlich einmal an, und tun Sie endlich das Richtige!

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Ihr Haushaltsgesetz 1997 zeigt, Herr Waigel, daß Sie sich Ihrer Sache doch überhaupt nicht sicher sind. - Ich mache Sie darauf aufmerksam, meine Damen und Herren, daß sich Herr Waigel im Haushaltsgesetz ermächtigen lassen will, ab Oktober 1997 im Vorgriff auf die Kreditermächtigungen des folgenden Jahres - 1998 - 50 Prozent mehr Schulden, als nach bisherigem Recht möglich, aufnehmen zu können. Statt bis zu 4 Prozent will er künftig bis zu 6 Prozent des nächsten Haushaltsvolumens im Vorgriff bereits aufnehmen können. Das wäre noch einmal die Hälfte
    der ohnehin geplanten Neuverschuldung. Weil Sie Ihre bisherige schwarze Kasse, die alten Kreditermächtigungen, in diesem Jahr weitgehend leeren müssen, wollen Sie sich offenkundig durch diese Operation eine neue schwarze Kasse für die Neuverschuldung verschaffen. Theo Waigel will damit vermeiden, 1997 vor das Parlament treten und das Scheitern seiner Politik öffentlich eingestehen zu müssen. Das ist der Grund.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    In Ihrer mittelfristigen Finanzplanung veranschlagen Sie für das Jahr 2000 eine Neuverschuldung in Höhe von 49 Milliarden DM. Das wären nur 7,5 Milliarden DM weniger als in diesem Jahr. In all Ihren früheren Finanzplänen seit der deutschen Einheit haben Sie, Herr Waigel, der Öffentlichkeit weismachen wollen, daß die Neuverschuldung im Verlauf von vier Jahren um die Hälfte oder sogar mehr zurückgehen werde.
    Tatsächlich werden Sie in den Jahren 1991 bis 1997 insgesamt 186 000 Millionen DM mehr Schulden gemacht haben, als ursprünglich in Ihrer eigenen Finanzplanung vorgesehen.
    In Ihrer neuen Finanzplanung gelingt es Ihnen noch nicht einmal auf dem Papier, die Neuverschuldung mittelfristig in nennenswertem Umfang herunterzufahren. Und in dieser Situation wollen Sie den Solidarzuschlag gänzlich abbauen? Das kostet weitere 20 Milliarden DM. Herr Schäuble fordert im „Spiegel" außerdem eine Nettosteuerentlastung von 20 bis 30 Milliarden DM. Kein Mensch glaubt Ihnen mehr, daß Ihre Finanzplanung irgendeine Konsolidierungsaussicht bietet.

    (Beifall bei der SPD)

    In den nächsten vier Jahren müssen Sie sage und schreibe 996 000 Millionen DM umschulden oder neue Kredite aufnehmen - 996 000 Millionen DM! Das ist die Hälfte der gegenwärtigen gesamten Verschuldung unserer Republik, Länder und Gemeinden mit eingerechnet. Bei einem Anstieg des jetzt historisch niedrigen Zinsniveaus um einen einzigen Prozentpunkt ergibt sich aus dieser riesigen Bruttokreditaufnahme für das Jahr 2000 eine Zinsbelastung von 10 Milliarden DM. Um das einmal zu vergleichen: Das ist fast das Volumen dessen, was Sie im gleichen Jahr für Frauen, Jugend, Senioren und Familien ausgeben wollen. Herr Waigel, Sie sind und Sie bleiben der größte Schuldenmacher aller Zeiten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Bei dieser niederschmetternden Bilanz kommen Sie mit der Behauptung, die SPD habe seit 1993 Sparmaßnahmen mit einem Volumen von 6 Milliarden DM verhindert. Das ist in der Sache falsch und angesichts Ihres Schuldengebirgsmassivs ein reines Ablenkungsmanöver.

    (Beifall bei der SPD)


    Karl Diller
    Denn die Zwangsjacke der Verschuldung haben Sie sich mit Ihrer falschen Wirtschafts- und Finanzpolitik ganz alleine angezogen.
    Zu Recht hat dieser Tage jemand festgestellt, daß der Finanzminister in drei selbstgestellten Fallen sitzt. Die schlimmste ist die Arbeitsmarktfalle. Ihr Versagen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit führt zu jährlichen Kosten von 140 bis jetzt sogar 160 Milliarden DM. Diese produzieren ständig neue Haushaltslöcher. Ihre Art, sie durch Hinterherkürzen zu stopfen, erzeugt immer wieder neue Arbeitslosigkeit und damit neue Kosten. Das Dumme ist nur, Herr Waigel lernt daraus nichts.
    Die zweite Falle ist die Zinsfalle. Jede vierte Mark, die Sie an Steuern einnehmen, geht inzwischen bei Ihnen für Zinszahlungen drauf - jede vierte Mark! Weil Ihnen das Geld in der Kasse fehlt, erreichen Sie jedes Jahr neue Schuldenrekorde, ohne daß der Bundeshaushalt zur Stützung der Konjunktur noch irgend etwas Nennenswertes hergibt. Verheerend ist, daß Sie trotz knapper Kasse die wichtigen Prioritäten, zum Beispiel bei Forschung, bei Verkehr, bei Umwelt und damit für die Zukunft unseres Landes, falsch setzen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die dritte Falle ist die Maastricht-Falle. Mit der Begründung, daß ohne die Kürzungen Deutschland die Bedingungen für die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion verfehlt, gibt die Bundesregierung zu, daß für sie das Maastricht-Kriterium viel, viel wichtiger ist als die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und eine sozial gerechte Politik. Aus der geplanten ökonomischen Wohltat einer europäischen Währungsunion machen Sie im Bewußtsein der Menschen leider Gottes eine sozialpolitische Plage mit verheerenden Folgen für ihre Akzeptanz.
    Herr Waigel sagt: Nur wer heute spart, kann in die Zukunft investieren. Aber erst haben Sie die Deutsche Einheit über die Sozialkassen falsch finanziert und die Lohnnebenkosten extrem belastet, und jetzt folgen Sie den Scharfmachern im Arbeitgeberlager statt der wirtschaftlichen und sozialen Vernunft. Auf diesem Wege verbauen Sie die Zukunft, statt in sie zu investieren.
    Zur Zukunftssicherung gehört, daß der Stillstand Ost nicht zu einem Absturz West werden darf. Der Rotstift darf deshalb nicht bei den investitionsfördernden Hilfen für die neuen Länder ansetzen, die dort Arbeitsplätze schaffen.

    (Beifall bei der SPD)

    Trotzdem wollen Sie im nächsten Jahr 1,7 Milliarden DM bei den für Ostdeutschland existentiell wichtigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für die Beschäftigungsgesellschaften streichen. Der Beschluß Ihrer Fraktion vom 25. April, diese Hilfen nur im Zuge eines Beschäftigungsanstiegs zurückzuführen, soll nun nicht mehr gelten. Sie reißen damit eine Brücke ein, mit der seit 1990 der soziale Frieden in den neuen Ländern maßgeblich erhalten wird. Sie handeln volkswirtschaftlich unsinnig, weil Sie mit diesen scheinbaren Einsparungen bis zum Jahr 2000
    in den neuen Ländern zusätzlich 300 000 Menschen arbeitslos machen und Kosten auf andere Kassen verlagern.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Weil dies so ist, kann Ihre Operation nur einen Sinn haben. Sie setzen die Daumenschrauben an, damit die neuen Länder bereit sind, sich Ihren Kürzungs- und Ihren Steuerplänen zu beugen. Ministerpräsident Stolpe sagt dazu:
    Dieses grausame Spiel wird hier gemacht auf dem Buckel der Leute im Osten, und das halte ich schon fast für eine Sauerei.
    Recht hat er.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS Zurufe von der SPD: Das „fast" kann man streichen! Wir halten es wirklich dafür!)

    Wir fordern: Belassen Sie doch wenigstens die Einnahmen aus der Liquidation von 3 700 Treuhandunternehmen für zusätzliche wirtschaftsfördernde Maßnahmen in den neuen Ländern. Laßt dem Osten, was des Ostens ist!

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Schaffen Sie Arbeit statt Arbeitslosigkeit, verbreiten Sie Hoffnung statt Hoffnungslosigkeit!

    (Beifall bei der SPD und der PDS - Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Wir sind im übrigen jederzeit bereit, über eine Konzentration und Steigerung der Effizienz von ABM und Investitionsförderung für die neuen Länder mit Ihnen zu reden. Aber dieser Kahlschlag muß vom Tisch.
    Ihr Bekenntnis zur Stärkung des Forschungs- und Bildungsstandorts Deutschland ist eine hohle Phrase, weil Sie den Forschungs- und Technologiehaushalt überdurchschnittlich kürzen. Während der Gesamthaushalt um 2,5 Prozent sinkt, streichen Sie bei der Forschungs- und Technologieförderung doppelt so stark. Bei wichtigen Schlüsseltechnologien wie Lasertechnik und neuen Materialien sowie bei Ökologie und Klimaforschung wird von Ihnen pauschal sogar um 11 Prozent gekürzt, und die Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern wird von Ihnen weiter ausgedörrt. Ihre Politik führt damit zu mangelnder Innovationsfähigkeit. Statt die Zukunft kraftvoll zu gestalten, wird der Mangel verwaltet. Deshalb werden wir in den Haushaltsberatungen Umschichtungsanträge stellen, um den richtigen Beitrag zur Sicherung der Zukunft unseres Landes zu leisten.
    Konzeptionslos bleibt die Bundesregierung im Bereich der beruflichen Bildung. Ein Land verspielt seine Zukunft, wenn es nicht mehr in der Lage ist, seiner Jugend eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen. Ihre Politik der Selbstverpflichtung der Wirtschaft ist gescheitert. Wenn Verbandslobbyisten die Stirn haben, das Grundrecht junger Menschen auf

    Karl Diller
    Ausbildung zu einer reinen Konjunkturfrage herabzuwürdigen, ist dies ein gesellschaftspolitischer Skandal.

    (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Weil diese gesellschaftspolitische Aufgabe heute überwiegend vom Handwerk und vom Mittelstand dankenswerterweise erfüllt wird, während sich die Großindustrie zunehmend davor drückt, brauchen wir dringend einen Lastenausgleich zwischen den ausbildungswilligen und den nichtausbildenden Betrieben. Das wäre am besten auf tarifvertraglicher Ebene zu lösen. Wenn es aber dort nicht geht, dann ist die Verantwortung des Staates gefordert. Unsere Vorschläge reichen von einer Ausbildungsplatzabgabe bis zur Bevorzugung von Ausbildungsbetrieben bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Handeln Sie doch endlich, damit unsere ausbildungswillige Jugend wieder Hoffnung schöpfen kann!

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Dreist ist es, wenn die Bundesregierung die Förderung der Familie und der Jugend als eine zentrale Aufgabe ihrer Politik bezeichnet, gleichzeitig aber die Ausgaben für die Familien um 17 Prozent kürzt, die für alte Menschen auch um 17 Prozent, im Bereich der Frauen um 12 Prozent, beim Kinder- und Jugendplan 12 Prozent streicht. Für das Erziehungsgeld wird im nächsten Jahr sogar 20 Prozent weniger ausgegeben als noch vor zwei Jahren.

    (Zuruf von der SPD: Eine Schande!)

    1 400 Millionen DM haben Sie in nur zwei Jahren den jungen Familien allein dadurch weggenommen, daß Sie ihnen eine Anpassung der Einkommensgrenzen verweigerten.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Indem Sie den Familien die bereits für 1997 beschlossene Verbesserung des Kindergeldes um 20 DM wieder wegnehmen wollen, andererseits den Millionären die Vermögensteuer schenken wollen,

    (Zustimmung bei der SPD Widerspruch bei der CDU/CSU Zuruf von der SPD: Das stimmt doch!)

    zeigen Sie, daß Ihnen die staatliche Förderung der Reichen viel wichtiger ist als die Förderung der Durchschnittsverdiener mit Kindern.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS Widerspruch bei der CDU/ CSU)

    Die Regierung Kohl hilft absurderweise, nein, mit System denen,

    (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

    die sich selber helfen können, fördert die Vermögensbildung ausgerechnet bei den Vermögenden. Das ist ein Skandal.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Wir werfen Ihnen vor, daß Sie die Standortdiskussion als eine Brechstange benutzen, um die Grundrichtung unserer Republik zu verändern.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Professor Friedhelm Hengsbach vom Nell-BreuningInstitut kritisiert die Folgen Ihrer Politik als „enthemmtes Marktfieber" und stellt fest

    (Zuruf von der SPD: BSE würde ich dazu sagen!)

    - ich zitiere ihn -:
    Das enthemmte Marktfieber hat sich in einer Spirale der strukturellen Verantwortungslosigkeit verfangen.

    (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)

    Verantwortungslosigkeit! So weit ist es also dank der geistig-moralischen Wende des Herrn Kohl in unserem Land gekommen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Die Menschen wissen, daß wir in einer Umbruchphase leben, und sie sind auch bereit zum Verzicht. Aber CDU/CSU und F.D.P. mißbrauchen diese Bereitschaft der Menschen für eine Politik, die wirtschaftspolitisch falsch, finanzpolitisch unsolide, verteilungspolitisch skandalös und sozialpolitisch ungerecht ist.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRUNEN)

    Die Politik von CDU/CSU und F.D.P. macht das Land weder krisenfest noch zukunftssicher, sondern blockiert vernünftige, gesellschaftlich konsensfähige Lösungen zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme und zur Stärkung der Wirtschaftskraft.
    Wir werden diese Politik weiter mit aller Kraft bekämpfen. Die Menschen haben das erkannt, und deshalb haben CDU/CSU und F.D.P. in der Bevölkerung inzwischen keine Mehrheit mehr.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat jetzt der Kollege Dietrich Austermann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dietrich Austermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die Welt ist ein Jammertal, und Karl Diller ist der Oberbuchhalter, der verkündet, wo es langgehen sollte, könnte man fast sagen. Ich sage das aber deshalb nicht, weil ich damit die Buchhalter beleidigen

    Dietrich Austermann
    würde. Denn nicht eine einzige Zahl von denen, die Herr Diller soeben vorgetragen hat, ist zutreffend.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD)

    - Ich komme noch darauf. - Er hat nicht einen einzigen Lösungsvorschlag für den Weg aus diesem Jammertal angeboten, der vielleicht aufzeigt, in welche Richtung wir marschieren müssen, damit es wirtschaftspolitisch künftig besser läuft, als es zur Zeit der Fall ist.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Man muß sich fragen - die Zuhörer haben heute Gelegenheit, die Debatte auf breiter Front zu verfolgen -: Wo liegt eigentlich die unterschiedliche Position der Opposition zu dem, was die Regierung heute mit dem Spar- und Wachstumspaket vorgeschlagen hat? Wo liegt die unterschiedliche Position in bezug auf den Haushalt? Herr Diller beklagt zwar, daß die Situation haushaltspolitisch schwierig sei. Seine Partei legt aber nur einen Antrag vor, gewissermaßen eine doppelte Null-Lösung, in dem das Einbringen eines Ergänzungshaushalts vorgeschlagen wird. Was soll darin stehen?

    (Zuruf von der SPD: Das hat die Regierung zu bestimmen!)

    Wem soll das helfen? In welche Richtung soll das gehen? Sie treten dynamisch auf der Stelle. Aber es passiert nichts! Jeder fragt: Was macht ihr eigentlich? Es passiert nichts!

    (Dr. Barbara Höll Parlament da?)

    - Eben.

    (Dr. Barbara Höll [PDS]: Zur Kontrolle!)

    Weil das Parlament der wichtigste Ort für die Diskussion über die Lösung der Zukunftsprobleme ist, hätte man doch erwartet, daß Herr Diller sagt: Jetzt kommen die Vorschläge der SPD, wie wir die Probleme in Deutschland lösen. Da kam aber nichts.

    (Beifall bei der CDU/CSU Zuruf von der CDU/CSU: Fehlanzeige!)

    Es gab nur den Scharpingschen Dreisprung nach dem Motto „Brutto, Netto, Mexiko".

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Es gab ansonsten keinen Vorschlag, wohin der Weg gehen soll. Das ist auch schwierig auf Grund der Diskussionslage, in der sich die SPD zur Zeit befindet.
    In der „Welt am Sonntag" ist soeben die 20. Folge einer Serie mit dem Titel „SPD in der Krise" erschienen, in der sich ehrenwerte Genossen verbreiten.

    (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Eine unendliche Geschichte! Joachim Poß [SPD]: Was kann die SPD für die „Welt am Sonntag"? Ein dummes Argument!)

    Der Genosse Farthmann, ehemaliger Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen, schreibt ein Buch mit dem Titel „Blick voraus im Zorn - Aufruf zu radikalem Neubeginn" . Er meint damit Ihre Partei. Sie können ähnliche Zitate finden, wo immer Sie schauen. Herr Schmidt, früherer Bundeskanzler: „Ich weiß nicht mehr, wofür meine Partei eigentlich steht." Herr Schröder: „Ich komme aus einem Millieu, von dem die SPD Abschied genommen hat."

    (Otto Schily [SPD]: Wollten Sie nicht zum Haushalt etwas sagen? Fällt Ihnen zum Haushalt nichts anderes ein?)

    Egal welche Stimme man von wichtigen älteren oder jüngeren Sozialdemokraten nimmt: Es gibt keinen einzigen Lösungsvorschlag von Ihnen.
    Wenn man die Situation richtig beschreiben will, muß man sich damit befassen, welcher Weg eigentlich aus der schwierigen Lage, in der wir uns befinden, herausführen könnte. Niemand bestreitet - auch ich tue das nicht -, daß wir uns in einer schwierigen Situation befinden. Deutschland hat - das gilt auch für die Bundesländer und die Gemeinden - zu hohe Steuern, zu viele Schulden, zu hohe Abgaben, zu viele Arbeitslose und zu viele Sorgen mit den Sozialversicherungsgrundlagen.

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer regiert denn?)

    Bei dem Thema Steuern und Sozialabgaben frage ich mich: Wer trägt eigentlich ein gerütteltes Maß an Mitverantwortung für die Entscheidung in unserem föderativen Gefüge? Kam in den letzten Jahren eine einzige neue Idee aus dem anderen wichtigen Organ, aus dem Bundesrat? Gab es eine einzige neue Idee, mit der der Versuch unternommen wurde, einen alternativen Weg zu dem aufzeigen, was wir machen?

    (Otto Schily [SPD]: Der Bundesrat wird jetzt die Regierung übernehmen!)

    Ich höre, daß der Herr Lafontaine interessanterweise inzwischen sagt - im „Focus" soll es am Montag stehen -: „Man kann über alles mit uns reden, außer über das Thema Kindergeld" , also auch über das Thema Vermögensteuer; das ist ganz interessant. Das heißt: Er ist inzwischen bereit. Folgen Sie ihm doch! Folgen Sie ihm doch auf dem Weg, daß in Deutschland etwas passiert und daß Entscheidungen getroffen werden müssen! Beziehen Sie sich nicht ständig auf angebliche Prognosen über den Haushalt!

    (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist das Jammertal der SPD-Fraktion! Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD])

    Herr Schily, als wir vor den Landtagswahlen im Frühjahr dieses Jahres gesagt haben, es bestehe Entscheidungs- und Korrekturbedarf bei den Haushalten, und ein Programm vorgelegt haben, haben Ihre Finanzminister in den Ländern - die ja für das Steuereintreiben zuständig sind und die es am besten wissen - gesagt, sie würden sich an Spekulationen nicht beteiligen. Sie haben den letzten Haushalt um ein halbes Jahr verzögert; der Haushalt 1995 ist erst

    Dietrich Austermann
    im Juni verabschiedet worden. Sie blockieren und verzögern Entscheidungen. Das einzige, was im Bundesrat an revolutionären Dingen beschlossen worden ist, waren die Rechtschreibreform und die letzte Rundfunkgebührenerhöhung. Ansonsten kommt aus Ihrer Partei und aus den Gremien, in denen Sie Verantwortung tragen, nichts.

    (Otto Schily [SPD]: Und auf dieser Grundlage soll man Gespräche führen?)

    Ich möchte deutlich machen, wie der Haushalt für das Jahr 1997 in wichtigen Ansätzen die Korrektur auf entscheidenden Gebieten zeigt, um ein wichtiges Problem, den Arbeitsmarkt, in Angriff zu nehmen. Wir überlegen, was wir als Staat an den Rahmenbedingungen ändern können, um die Situation zu verbessern. Der Staat kann nur die Rahmenbedingungen verändern; die wesentlichen Entscheidungen sind von den Tarifparteien bei der Gestaltung der Tarifverträge zu treffen.
    Hierzu eine kurze Anmerkung: Wir bekommen pausenlos Briefe vom DGB, in denen das, was wir machen, kritisiert wird. Übrigens hat auch der DGB keine Alternative. Ich halte es für besonders beschämend, daß der DGB als Arbeitgeber mit einigen tausend Mitarbeitern, wenn ich richtig informiert bin, nicht einen einzigen Auszubildenden beschäftigt. Herr Schulte und Frau Engelen-Kefer beschäftigen nicht einen einzigen Auszubildenden!

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist nur zum Schutz der Jugend, Herr Kollege!)

    Aber Sie kommen hierher, heben den moralischen Zeigefinger und sagen: „Was ihr da tut, ist zuwenig", von anderen Dingen mal ganz abgesehen.
    Normalerweise kommt von der SPD immer die Aufforderung, wir sollten den Arbeitsmarkt von versicherungsfremden Leistungen entlasten, wir müßten bestimmte Bereiche übernehmen. Wir tun das übrigens in diesem Haushalt. In diesem Haushalt trägt der Bund bereits 20 Prozent der Rentenausgaben,

    (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sehr richtig!)

    5,8 Milliarden DM mehr als im letzten Jahr. 87 Milliarden DM zahlt der Bund 1997 als Zuschuß zur Rentenversicherung. Damit entlastet er natürlich die Tarifparteien, die diesen Beitrag nicht zahlen müssen.
    Die Lösung der Probleme kann meines Erachtens nur darin liegen, daß wir die Zahl der Beitragszahler erhöhen, und zwar im Inland. Dies geht nach den Erfahrungen der ersten zehn Jahre der Regierung Helmut Kohls nur durch eine Belebung der Wirtschaft. Also muß der Haushalt 1997 auch wichtige Entscheidungen für eine Belebung der Wirtschaft treffen. Wir brauchen nach den 80er Jahren, in denen wir mit ganz bestimmten Rezepten eine gewaltige Beschäftigungswelle ausgelöst haben, eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. Damit beginnt dieser Haushalt 1997.
    Wir sparen. Ich mache das einmal am Beispiel des Verteidigungsetats deutlich. Der Verteidigungsetat des Jahres 1997 ist der niedrigste seit dem Jahre 1982.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

    Wir gehen damit schon an die Grenzen dessen, was wirtschaftlich sinnvoll ist, auch hinsichtlich der Erhaltung von Mindestkapazitäten in der wehrtechnischen Industrie. Auch jemand wie Frau Matthäus-Maier, die sich ständig an einem bestimmten Projekt im Verteidigungsbereich aufhält, kann doch diese Tatsache nicht leugnen.
    Wo haben die Ministerpräsidenten denn echt gespart? Man hat sich verschiedentlich getroffen, geheime Giftlisten vorgelegt, die dann keiner geschrieben haben wollte, und hat in Krickenbeck den Mund gespitzt, aber nicht gepfiffen. Es kam kein einziger konkreter Vorschlag. Ein Jahr ist verplempert worden. Auch dies hat negative Auswirkungen auf den Bundeshaushalt.