Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade zum letzten Punkt würde auch ich begrüßen, wenn wir bald eine politische Lösung fänden. Ebenso dringlich ist es, daß wir bei der Frage der Rehabilitierung der Deserteure noch in diesem Jahr endlich eine würdige Lösung für die Opfer der Wehrmachtsjustiz finden.
Herr Schmidt-Jortzig, wir behandeln den Haushalt der Justiz am Ende der Tagesordnung. Ich glaube, das ist auch ein Ausdruck dafür, welche Wertschätzung Rechtsstaat und Bürgerrechte in dieser Koalition zur Zeit genießen.
Herr Minister, ich vermisse bei Ihrer Rechtspolitik Kreativität, Innovationskraft und Modernität. Mangelnde Kreativität kann man wiederum den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion nicht vorwerfen. Da fordert Herr Geis nächtliches Ausgehverbot für Jugendliche. Herr Marschewski fordert, ausländische Sozialhilfeempfänger alle einmal als Verdächtige erkennungsdienstlich zu behandeln. Zu diesen Ungeheuerlichkeiten aus der Regierungskoalition schweigen Sie vornehm.
Gleichzeitig gießen Sie den politischen Wunschzettel des Abschiebeministers Kanther in Gesetze. Sie sekundieren bei der Verschärfung des Landfriedensbruchsparagraphen, beim Soldatenehrenschutz,
Volker Beck
beim großen Lauschangriff. Herr Schmidt-Jortzig, Sie haben das Justizministerium zur Rechtsabteilung von Herrn Kanther degradiert, anstatt im Kabinett als Anwalt von Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechten aufzutreten.
Sie sehen als Justizminister Jortzig untätig zu, wie Bayern beim § 218 Bundesrecht bricht, während Sie als Abgeordneter Schmidt heftig für eine Verfassungsklage werben. Das kann man nur politische Schizophrenie nennen.
Meine Damen und Herren, die Spardiskussion hat die Rechtspolitik erreicht. Herr Geis hat hierzu schon gesprochen. Gestern beim Treffen von Rechtsausschuß und Landesjustizministern sagte der saarländische Minister Dr. Walter: „Wir müssen den Gürtel des Rechtsstaates enger schnallen." Rechtspflegeentlastungsgesetz - das ist die Überschrift über dem Rechtsstaatssparpaket.
Was in der Diskussion über den Sozialstaat gilt, ist auch hier richtig. Nur mit Reformen werden wir den sozialen Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland erhalten können. Das entscheidende ist aber, wo wir mit Reformen ansetzen.
Bündnis 90/Die Grünen haben immer wieder darauf aufmerksam gemacht, der Rechtsstaat verträgt keine weiteren Einschnitte in das Verfahrensrecht.
Statt dessen müssen wir das Strafrecht als Ultima ratio, als letztes Mittel der Politik, auf die wirklich unverzichtbaren Bereiche konzentrieren.
Im Bereich der Kleinkriminalität wollen wir mit dem Grundsatz „Wiedergutmachung vor Strafe" Entlastung durch Rückgriff auf zivilere und bürokratieärmere Konfliktlösungsmuster schaffen.
Mit einer Wende in der Drogenpolitik durch ärztlich kontrollierte Abgabe harter Drogen wollen wir die Gesellschaft von Kriminalität entlasten. Hier liegt der Schlüssel für eine neue Kriminalpolitik und ein enormes Entlastungspotential in der Strafrechtspflege: Jeder zweite Kfz-Diebstahl, jeder dritte Einbruch und jeder fünfte Raub ist Beschaffungskriminalität.
Auch beim Thema Korruption muß Prävention vor mehr Strafrecht gehen. Strafbarkeitslücken muß man schließen, aber Kronzeugenregelung, Telefonüberwachung, wie sie etwa vom bayerischen Justizminister gefordert werden, lehnen wir ab. Beim „Anfüttern", meine ich, sollte man ebenfalls vor der Diskussion über neue Straftatbestände erst einmal Präventionsmöglichkeiten wie Offenlegungspflichten und klare Verhaltensregeln für Beamte ausreizen.
Nun zum Zivilrecht. Der Bundesrat wird uns jetzt ein Gesetz zur Entlastung in der Zivilrechtspflege vorlegen. Wir gehen sehr offen in diese Diskussion. Über eine maßvolle Ausweitung des Einzelrichterprinzips, wie von den Ländern vorgeschlagen, sind wir bereit zu reden. Wir sind aber entschieden gegen jede weitere Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit. Die Erfahrungen mit dem sogenannten
vereinfachten Verfahren müssen hier sicher zu denken geben. Wir müssen jedes Urteil mit groben Rechtsfehlern, wie der Verwehrung rechtlichen Gehörs, rechtsmittelfähig machen. Hier steht die Rechtsgewährung für den kleinen Mann auf dem Spiel.
Meine Damen und Herren, in den vergangenen Wochen wurden wir mit grauenhaften Berichten über sexuellen Mißbrauch von Kindern, über Kinderpornographie, Kinderprostitution und Kindersextourismus konfrontiert. Unser Strafrecht ist zwar für diese Verbrechen gerüstet, woran es aber eindeutig krankt, ist die mangelnde Aufklärung der Taten.
Das gesellschaftliche Tabu schützt immer noch die Täter. Der Kinderschutzbund fordert zu Recht „eine Ausweitung polizeilicher Ermittlungstätigkeit".
Und wir müssen endlich beim Opferschutz im Strafverfahren weiterkommen. Stichwort Videovernehmung, Vermeidung von Mehrfachvernehmungen. Ich fordere die Bundesregierung auf, hierzu endlich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Stellung der Kinder im Ermittlungs- und Strafverfahren stärkt.
Herr Justizminister, die beiden umfangreichen Reformwerke in Ihrer Amtszeit, die Kindschaftsrechtsreform und das Eheschließungsrechtsgesetz, sind meines Erachtens keine besonderen Würfe an Kreativität, an Innovationskraft.
Zur Kindschaftsrechtsreform - ein Erbe übrigens von Ihrer Vorgängerin - wurden Sie von Karlsruhe getrieben. Bündnis 90/Die Grünen begrüßt die Möglichkeit gemeinsamer Sorge bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft und nach der Scheidung. Sie sind aber leider - und da gehen Ihre Ausführungen zu dem Gesetzentwurf in eine erfreulichere Richtung, Herr Geis - dem Lobbyismus der geschiedenen Männer erlegen, wenn Sie gemeinsame Sorge als Regelfall festschreiben. Das ist eine unnötige Verschlechterung der Rechtsposition der Frauen im Scheidungsverfahren.
Beim Gesetz zum Eheschließungsrecht handelt es sich um eine reine Fleißarbeit. Da findet man wahrlich fundamentale Neuerungen wie die Streichung des Kranzgeldparagraphen und die Abschaffung des Aufgebotes. Es fehlt aber auch der leiseste Ansatz einer wirklichen Reform.
Heribert Prantl hat dazu in der „Süddeutschen Zeitung" sehr richtig festgestellt:
Wenn es um die Reform des Eherechtes geht, dann stehen heute ganz andere Dinge an. Wie etwa soll das Gesetz mit den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften umgehen? Wenn man ihnen die Eheschließung verweigert, soll es dann, wie in Skandinavien, rechtlich geschützte Partnerschaften geben? Und wie soll dieser Schutz aussehen?
Hierüber schweigen Sie sich aus.
Ich möchte weiter fragen: Wo bleibt Ihr Vorschlag zur rechtlichen Anerkennung nichtehelicher Le-
Volker Beck
bensgemeinschaften, nachdem Sie nichteheliche Familien nun im Sorgerecht - zwar etwas widerwillig, aber doch - anerkennen? Wie erklären Sie, daß nichteheliche Eltern weiterhin zueinander in keinem Angehörigenverhältnis stehen? Wo sind Ihre Vorschläge, wie man Minderheiten vor Diskriminierung effektiver schützen kann?
Hier ist überall Fehlanzeige. Dem Bundesjustizminister fehlen für die Modernisierung unseres Rechtes, für die Weiterentwicklung einer liberalen Bürgergesellschaft jede Idee und leider auch der Mut. Wir werden Sie weiter mit unseren Vorschlägen begleiten und hoffen, daß manches von dem trotzdem noch durch die Diskussion in Ihre Arbeit einfließen wird.