Rede von
Manfred
Such
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Innenpolitik ist das öffentliche Interesse in diesen Wochen auf das Schicksal der bosnischen Kriegsflüchtlinge gerichtet; das haben einige meiner Vorredner schon erwähnt. Der Bundesminister des Innern will die zwangsweise Abschiebung ab dem 1. Oktober durchsetzen, also in den Winter hinein. Man stelle sich die Situation vor, in der sich diese Leute befinden.
Die Rückkehr der Kriegsflüchtlinge muß freiwillig erfolgen.
Herr Kanther stellt sich gegenüber wohlbegründeten Bedenken des UNHCR und auch anderer internationaler Organisationen vor Ort sowie späteren Rückführungsplanungen des Landes Schleswig-Holstein stur. Eine massenhafte Rückführung von Flüchtlingen könnte den in Bosnien herrschenden zerbrechlichen „kalten Frieden" weiter destabilisieren und die Gefahr von Kriegshandlungen erhöhen.
Statt Appelle zur Humanität verhallen zu lassen und zwanghaft Stärke zu demonstrieren, ist den Innenministern zu raten, die Abschiebungen, wenn schon nicht aus humaner Einsicht, dann doch wenigstens aus politischer und ökonomischer Klugheit zu unterlassen.
Der UNHCR schätzt in Übereinstimmung mit dem Bundesinnenministerium, daß im kommenden Jahr zirka 80 000 Flüchtlinge freiwillig nach Bosnien zurückkehren werden. Sie gilt es zu unterstützen. Eine zwangsweise Abschiebung dürfte erheblich teurer sein, als die freiwillige Rückkehr zu fördern. Es ist kontraproduktiv, die Ansätze des sogenannten REAG-Programms zu kürzen, aus dem die freiwillige
Rückkehr der Flüchtlinge unterstützt werden soll, wie es die Bundesregierung im Haushaltsentwurf 1997 ausweist.
In einem anderen innenpolitischen Bereich, dem Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht, von dem Herr Kanther meint, daß er hier seine Hausaufgaben gemacht habe, demonstriert die Regierungskoalition Realitätsferne und zudem permanente Handlungsunfähigkeit. Der Streit, den Sie, meine Damen und Herren, seit Monaten um die Erleichterung der Einbürgerung von hier lebenden Ausländerinnen und Ausländern führen, ist ein Trauerspiel.
Für große Teile der Bevölkerung, erst recht für die Einwanderer und ihre Kinder, ist es nicht mehr nachzuvollziehen. Es wird Zeit, daß alle hier geborenen Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. Es wird Zeit, daß Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben und arbeiten, einen Anspruch auf Einbürgerung bekommen. Diskutable und umsetzbare Vorschläge für eine Reform sind genügend gemacht worden: von meiner Fraktion, von der Ausländerbeauftragten, ja sogar aus der Fraktion der CDU/CSU selbst.
- Natürlich auch von den Sozialdemokraten; das soll hier nicht vergessen werden. Die Koalition geht statt dessen mit solchen Totgeburten wie der Kinderstaatszugehörigkeit schwanger und schiebt nötige Reformen vor sich her. Während Sie sich bei dringenden Reformen des Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts Zeit lassen und die Fachdiskussionen geflissentlich ignorieren, werden Verschärfungen mit heißer Nadel gestrickt.
Was sieht Ihr jüngster Gesetzentwurf vor? Herr Kanther, Sie haben ihn heute kurz umrissen. Sie planen die Regelzwangsausweisung bei Verurteilungen zu mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe, ja sogar schon bei zwei Jahren Jugendstrafe auch für hier geborene und aufgewachsene ausländische Jugendliche. Sie wollen den besonderen Ausweisungsschutz, ja selbst das Abschiebeverbot für politisch Verfolgte aufheben. So wird das Ausländerrecht zum zweiten Strafrecht, Herr Minister.
Schlimm ist, was Sie an Verschärfungen nicht nur im Ausländerrecht planen. Schlimm sind auch die Unterlassungen, die Sie begehen, wenn Sie auf die dringend nötigen Liberalisierungen des Ausländerrechts verzichten. Dem Reformstau folgt ein Rückfall in die Gastarbeiterära. Es wird ein Gastrecht für Menschen konstruiert, die schon lange keine Gäste mehr sind.
Was fehlt, sind deutliche Erleichterungen beim Familiennachzug, ein konsequenter Schutz vor Ausweisung, eine Ausweitung der Rückkehrmöglichkeiten für junge Ausländer und Ausländerinnen sowie großzügige Altfallregelungen.
Einer der Schwerpunkte, die sich die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode gesetzt hat, ist die
Manfred Such
Reform der öffentlichen Verwaltung - sicherlich völlig zu Recht, Herr Kanther -, auch wenn Sie sich vor allem durch den Finanzdruck dazu haben treiben lassen. Wir brauchen in der Tat einen modernen, das heißt vor allem einen bürgernäheren und leistungsfähigeren öffentlichen Dienst als bisher.
Doch vor einer reinen Kürzungsorgie kann ich nur warnen. Die öffentlichen Verwaltungen erfüllen zahlreiche unersetzliche soziale Funktionen, die sich weder privatisieren noch abschaffen lassen. Ich sage deshalb: Den billigsten Staat können wir uns nicht leisten.
Durch ihre Verzögerungstaktik bei den Reformvorschlägen für den öffentlichen Dienst trägt die Bundesregierung die Verantwortung für Verunsicherung und Demotivation der Bediensteten in diesen Bereichen.
Beim Stichwort „Verschlankung der Verwaltung " - das wird besonders Herrn Marschewski freuen - liegt der Gedanke auch an die Geheimdienste nicht fern. Von den Ankündigungen, das Personal bis zum Jahr 2000 um 20 Prozent zu reduzieren, ist nichts mehr übriggeblieben. Herr Waigel ist offenbar aus dem Bundeskanzleramt - Herr Bohl ist ja anwesend - zurückgepfiffen worden. Eine Verringerung des Personals komme nicht in Frage. Somit wird der so variabel zur Schau getragene Reformeifer der Regierungskoalition letztlich an den Diensten vorbeigehen. BND, MAD und Verfassungsschutz haben die allermeisten ihrer klassischen Aufgaben verloren. Sie beschäftigen aber weiterhin knapp 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Als erste Fraktion haben wir deshalb - zunächst für den BND - ein geschlossenes Reformkonzept entwikkelt. Wir halten es ohne Sicherheitsverluste für möglich und geboten, auf die meisten dieser Tätigkeiten zu verzichten und bestimmte weiterhin sinnvolle Aufgaben - auch bei der Nachrichtengewinnung - anderen Behörden zur Wahrnehmung zu übertragen. Der Bundesnachrichtendienst ist inzwischen flüssiger als Wasser. Er ist überflüssig geworden.
Meine letzte Anmerkung gilt dem Feld der inneren Sicherheit, vor allem den von der Bundesregierung aktuell vorgeschlagenen Maßnahmen. Herr Kanther hat das soeben erwähnt. Es ist ein Skandal, daß in dem Regierungsentwurf gegen Korruption die steuerliche Absetzbarkeit von im Ausland gezahlten Schmiergeldern nicht gestrichen wird. OECD und andere internationale Organisationen fordern dies seit langem. Ich kann allerdings mit einer gewissen Befriedigung feststellen, daß die Koalition viele Präventionsmaßnahmen aus unserem Antrag vom März 1995 übernommen hat, obwohl sie diesen zuvor in der Ausschußberatung abgelehnt hatte. Es ist allerdings nicht vertretbar, auf das von den Länderfinanzministern seit langem geforderte zentrale Korruptionsregister zu verzichten, mit dessen Hilfe auffällig
gewordene Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgenommen werden könnten.
In ihrem Gesetzespaket hat sich die Bundesregierung aber vor allem auf die Befugnis zum großen Lauschangriff festgebissen. Nach Art. 16 Grundgesetz soll damit nun auch die Unverletzlichkeit der Wohnung demontiert werden.
Nach dem Eckwertepapier der Koalition bestehen die angeblich „eng begrenzten Voraussetzungen" zum Wanzeneinsatz nur aus Worthülsen. Diese angeblich „eng begrenzten Voraussetzungen" erlauben bei Verdacht von zirka 100 Straftatbeständen eine ausufernde praktische Anwendung.
Herr Kanther hat eben gesagt: Lernen durch Üben bzw. durch Anwendung. Das heißt in anderen Bereichen, daß wir inzwischen zum Beispiel Weltmeister im Telefonabhören geworden sind. Es ist zu erwarten, daß wir auch im Bereich des Verwanzens von Wohnungen Weltmeister werden, wenn durch „Anwendung gelernt" worden ist.
Der betroffene Personenkreis läßt sich, anders als uns die Bundesregierung glauben machen will, natürlich nicht begrenzen, denn die „Tatverdächtigen" sollen per Wanze ja erst festgestellt werden. Es würden hauptsächlich Unbeteiligte betroffen. Wenn Herr Kanther sagt, er möchte „Gangsterwohnungen abhören" , dann müssen Sie erst einmal definieren, was „Gangsterwohnungen" sind. Und vor allem müssen Sie einmal sagen, wer erklärt, was eine „Gangsterwohnung" ist, damit die Polizei hineingehen kann. Das unterlassen Sie aber immer.
Nun zu den Sozialdemokraten. Die von der SPD mit großer Geste geforderten Detailänderungen im Anordnungsverfahren für den Lauschangriff existieren bereits im Falle anderer Eingriffsbefugnisse. Sie führen bereits dort zu den bekannten Kontrolldefiziten.
Gespannt bin ich auch - Herr Kollege Körper hat ja schon die Katze aus dem Sack gelassen - auf das Verhalten der SPD, die ihre Zustimmung zum Wanzeneinsatz um den Preis einer weiteren Grundrechtsaushöhlung anbietet. Sie fordert die Beweislastumkehr. Ihre Idee, daß künftig Eigentümer den legalen Erwerb verdächtigen Vermögens selbst beweisen sollen, ist absurd und rechtsstaatswidrig. Der Gedanke - Sie haben es eben formuliert, Herr Körper -, die kriminellen Gewinne seien die Archillesferse der Kriminellen und die Beuteausschöpfung sozusagen der kriminalpolitische Königsweg, ist lange widerlegt. Die erzielbaren Abschöpfungsquoten machen auch im Ausland dauerhaft nur einige Promille der kriminellen Umsätze aus. Daher stellen auch die ausgefallensten Aufspürungsmaßnahmen nur Kostenfaktoren in der Kalkulation der Täter dar. Diese werden sich daher neue Wege und zusätzliche Deliktsfelder suchen. Die Kriminalität wird also steigen.
Die F.D.P. dagegen verbucht es schon als Erfolg, den Video-Spähangriff auf Wohnungen zugunsten einer Verwanzung verhindert zu haben. Damit hat
Manfred Such
sie sich endgültig von dem ihr zu Unrecht anhaftenden Ruf einer Bürgerrechtspartei verabschiedet.
Gefährlichen Kriminalitätsformen ist nicht mit repressivem Aktionismus beizukommen. Das bedeutet nämlich, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen.
Erforderlich ist vielmehr, durch weitsichtige soziale und technische Präventionsmaßnahmen - im Bereich der Kfz-Verschiebung wird das deutlich - bereits das Entstehen von Kriminalität und kriminellen Gewinnen zu vermeiden.
Was wir brauchen, ist eine intelligente Kriminalpolitik, die dem organisierten Verbrechen den Boden entzieht. Unsere Vorschläge etwa zur Drogen-, Korruptions- und Wirtschaftskriminalitätsbekämpfung liegen auf dem Tisch. Gerade die Wirtschaftskriminalität ist ein Bereich, dessen Brisanz und Schadensträchtigkeit die Bundesregierung seit langem geflissentlich ignoriert. Ich erinnere nur an die Fälle Vulkan, Balsam, den Herzklappenskandal usw.