Rede von
Dr.
Willibald
Jacob
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin schon erstaunt, daß ich der einzige Abgeordnete sein soll, und dazu noch ein Abgeordneter der PDS, der etwas zum Thema Entwicklungspolitik sagt. Ich komme mir wie im Mai in Johannesburg in Südafrika vor, wo ich als einziger Bundestagsabgeordneter Teilnehmer der 9. Welthandels- und Entwicklungskonferenz der UN war.
In indirekter Weise ist diese Tatsache auch eine Antwort auf die Frage, die der Kollege Thierse hier gestellt hat. Wenn sich die anderen äußern würden, wären vier Abgeordnete aus dem Westen darunter. Mir als jemandem aus der ehemaligen DDR fällt nun die Aufgabe zu, etwas anzusprechen, was sonst nicht angesprochen wird.
Ich könnte versucht sein, Kirchenlehrer und Bischöfe zu zitieren, das fortzusetzen, was andere an dieser Stelle gesagt haben. Dies will ich aber nicht tun. Ich will darauf hinweisen, daß die PDS-Abgeord-
Dr. Willibald Jacob
neten, die hier anwesend sind bzw. waren, zum Teil nicht zur PDS gehören und sehr unterschiedliche Traditionen haben. Hier nenne ich zum Beispiel Heinrich von Einsiedel, Gerhard Zwerenz, Gerhard Jüttemann und mich selber; wie Sie wissen, bin ich evangelischer Pfarrer und Abgeordneter der PDS. Nun ordnen Sie uns einmal ein! Kommen Sie mit uns ins Gespräch, in das Gespräch, das Sie bisher möglicherweise nur als einzelne Person geführt haben!
Wie gesagt, möchte ich nicht mit Zitaten von hervorragenden Christen beginnen. Ich möchte vielmehr darauf hinweisen, daß ich im August in meinem Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern drei indische Gäste hatte. Wir diskutierten in kleinen und größeren Gruppen über Armutsbekämpfung und Wirtschaftsberatung. Damit waren wir sinngemäß bei den Hauptthemen des Einzelplanes 23. Am 29. August saßen diese Gäste auf der Tribüne dieses Parlamentes. Ein Fazit der Gäste: Es ist schon erstaunlich, wie ein reiches Land seine Wirtschaft und sein soziales Leben ruiniert. Überall in der Welt aber stellt es Anderen Bedingungen und erscheint als Lehrmeister einer angeblich neuen Perspektive.
Meine Damen und Herren, die Kürzungen und die Stoßrichtungen des Einzelplanes 23 zeigen, daß diese Regierung eigentlich nicht mehr weiß, was Entwicklung und Hilfe zur Entwicklung heißt. Versprechungen werden nicht eingehalten; ich erinnere an die 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe. Die Kürzung des Militärhaushaltes und des Einzelplanes 60, aus dem auch Militäreinsätze finanziert werden, würde eine Erhöhung der Entwicklungshilfe ermöglichen.
Wenn wir genau hinschauen, wird klar, daß die Entwicklungshilfe längst weit stärker gekürzt worden ist, als es in Zahlen erkennbar ist. Wir werden doch nicht im Ernst sagen können, daß die Wirtschaftsberatung in Osteuropa und die Subventionierung von deutschen Privatunternehmen im Süden eine solche Hilfe darstellen.
Das Gegenteil ist der Fall: Heutige Wirtschaftsberatung ist eine wesentliche Voraussetzung zur Polarisierung von Gesellschaften. Verarmung und Bereicherung setzen sich durch, und zwar erst nach erfolgter Beratung. Wo sozialökonomische Konditionalität und wo höhere Preise für Grundnahrungsmittel vom IWF durchgesetzt werden, kommt es zu Hungeraufständen und Bürgerkriegen wie jüngst in der alten Kreuzfahrerstadt Kerak in Jordanien. Auch der neue algerische Bürgerkrieg hat darin seine Ursachen. Wir sollten das nicht vergessen.
Die Bundesregierung schweigt zu diesen üblen Praktiken des Weltwährungsfonds und finanziert sogenannte Wirtschaftsberatung.
Meine Damen und Herren, was bleibt an Armutsbekämpfung? Was ist dies überhaupt? Im Zweiten Bericht der Bundesregierung des Jahres 1995 über Armutsbekämpfung in der Dritten Welt ist es nur die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe, die vom Aufbau und Unterhalt von Schulen spricht. Es kommt aus der Mode, zu sehen, daß Entwicklung auch Bildung heißt. In aller Welt verweigern Regierungen den Menschen einen angemessen Wissensstand, wundern sich aber, daß das unkontrollierte Wachstum der Völker weitergeht. Man kann nicht beides haben: gehorsame Knechte und Mägde und wissende Eltern.
Burundi ist das beste Beispiel. Dort scheitert die Christenheit an ihrer eigenen Bildungsrevolution. Die als Soldaten und Mörder ausgebildete Jugend ist die Ultima ratio. Ein Fidel Castro ist weit und breit nicht zu sehen; aber Hunderttausende werden abgeschlachtet.
Die ehemaligen oder modernen Kolonialherren werden ihren Kopf nicht aus der Schlinge ziehen können, weder mit sogenannter Wirtschaftsberatung noch mit sogenannter Armutsbekämpfung. Die Verweigerung von Bildung und Brot führt zu Kriegen.
Die PDS lehnt daher den Einzelplan 23 ab. In seinen Zahlen und Intentionen dient er nicht der Armutsbekämpfung. Wir warten auf den Moment, in dem die Entwicklungshilfe als Wiedergutmachung und Schuldenerlaß verstanden wird. Dies würde ein neues Licht auf die Art und Weise der Aufarbeitung deutscher Geschichte werfen - die Geschichte des sogenannten Exportweltmeisters. An der Aufarbeitung dieser 40 Jahre könnten sich dann auch einmal Politiker und Ökonomen, Bürger und Bürgerinnen der alten Bundesrepublik beteiligen.
Danke sehr.