Rede von
Ulrich
Irmer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Verheugen, Sie haben meine Zwischenfrage nicht zugelassen. Das ist Ihr gutes Recht. Sie haben das mit ein paar unfreundlichen Bemerkungen garniert. Das betrachte ich als eine Frage des Geschmacks. Ich weise nur darauf hin: Zur Vollendung einer erfolgreichen Beleidigung gehören immer zwei Personen: einer, der es versucht - das haben Sie getan -, und einer, der es mit sich machen läßt. Ich stehe zumindest Ihnen für derartiges nicht zur Verfügung.
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Wahlkampf 1990. Da hat eine SPD-Kollegin, die inzwischen auch in diesem Hause ist, dreimal, an drei aufeinanderfolgenden Abenden, den gesamten Militäretat der Bundesrepublik Deutschland für drei verschiedene wohltätige Zwecke verteilt: einmal waren es die Rentner, einmal waren es die Kindergärten, und am dritten Abend war es die Entwicklungshilfe.
Das nur zu Ihrer letzten Bemerkung.
Weshalb ich mich gemeldet habe: Herr Kollege Verheugen, Herr Kinkel hat zur OSZE ausführlich Stellung genommen, indem er gesagt hat, die OSZE könne nur komplementär zur NATO weiterentwikkelt werden. Es wird uns immer die Alternative vorgetragen: Hier ist die NATO, die ist böse und nichts wert; dort ist die hehre OSZE, die muß alles richten. Wir sagen nach wie vor: Die OSZE ist wichtig, muß erweitert, muß ausgebaut werden, aber, wie es der Außenminister gesagt hat, komplementär.
Jetzt komme ich zur NATO: Es ist doch geradezu abenteuerlich, wenn Sie von dieser Bundesregierung verlangen, daß sie der staunenden Weltöffentlichkeit erklärt, wo es langgeht. Natürlich wollen wir die demokratischen mittelosteuropäischen Länder, die dies wünschen, in die NATO aufnehmen. - Ich rede von Öffnung, nicht von Erweiterung. - Aber wir müssen doch Rücksicht auf die legitimen Sicherheitsinteressen auch der anderen nehmen, zum Beispiel Rußlands.
Glauben Sie denn, daß diese Bundesregierung beim Besuch von Primakow in Bonn, beim Besuch
Ulrich Irmer
des Bundeskanzlers in Moskau nicht ständig darauf gedrängt hat, daß den Russen klargemacht wird: Das ganze Unternehmen ist nicht gegen euch gerichtet? Weder die NATO heute noch die NATO nach einer Öffnung für neue mittelosteuropäische Demokratien wäre gegen Rußland gerichtet. Aber: Die Russen haben jahrzehntelang einen Popanz NATO aufgebaut. Es ist auch ein psychologisches Problem, wie schnell man sie davon wieder herunterbringt. Es ist auch nicht mit der Brechstange getan, daß wir Deutschen jetzt sagen: Natürlich, die baltischen Staaten müssen sofort in die NATO; egal, wie wir damit die Empfindlichkeiten der Russen tangieren. Das, Herr Verheugen, ist eben das, was ich bei Ihnen vermisse.
Sie kritisieren, Herr Verheugen, daß die EU-Öffnung nicht vor der Reform der Agrarpolitik und der Finanzen erfolgen könne. Nein, das ist falsch. Das alles hat im wesentlichen eine politische Bedeutung, um die Zugehörigkeit dieser Länder zu unseren Systemen zu unterstreichen. Wenn die Agrarpolitik nicht innerhalb der Frist geregelt werden kann, führen wir Überleitungsregelungen ein, wie wir das auch bei der Süderweiterung getan haben.
Es kommt auf das politische Signal an, daß wir nicht Westeuropäer, sondern Gesamteuropäer sind, die sich allen Demokratien, die zu uns kommen, offenerweisen.