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    Plenarprotokoll 13/121 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 121. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. September 1996 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 10807 A Absetzung von Tagesordnungspunkten 10807 B, 10894 A Nachträgliche Ausschußüberweisungen . 10807 C Begrüßung einer Delegation des Sozialausschusses des niederländischen Parlaments 10864 B Tagesordnungspunkt 1: a) Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1997 (Haushaltsgesetz 1997) (Drucksache 13/5200) . . 10807 D b) Fortsetzung der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 1996 bis 2000 (Drucksache 13/5201) 10808A Rudolf Scharping SPD 10808A, 10865 B Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 10815 A Otto Schily SPD 10821 C Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10824 D Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P 10831 A Dr. Christa Luft PDS 10834 A Dr. Gregor Gysi PDS 10837A, 10858 B Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler . . . . 10840A Rudolf Scharping SPD 10843 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 10850 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . 10852 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 10858C, 10864 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 10860 A Dr. Burkhard Hirsch F.D.P. . . . . . 10863B, C Ingrid Matthäus-Maier SPD 10864 C Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10865 C Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 10867 C, 10872 B Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10871 D Günter Verheugen SPD 10872 D Ulrich Irmer F.D.P 10878 C Rudolf Seiters CDU/CSU 10879 B Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 10881 B Dr. Erich Riedl (München) CDU/CSU . 10883 A Ulrich Irmer F.D.P 10884 D Wolfgang Thierse SPD 10886 A Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 10887 C Willibald Jacob PDS 10889 D Dr. Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 10890 D, 10893 C Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10892 B Dr. R. Werner Schuster SPD 10892 D Manfred Kanther, Bundesminister BMI 10896 C Fritz Rudolf Körper SPD 10899 B Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 10902 D Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10905 A Ina Albowitz F.D.P. 10907 C Ulla Jelpke PDS 10910 B Uta Titze-Stecher SPD 10911 D Dr. Rupert Scholz CDU/CSU 10913 D Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . 10915 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister BMJ 10916A Dr. Herta Däubler-Gmelin SPD 10918 A Norbert Geis CDU/CSU 10921 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10923 C, 10925 C Dr. Edzard Schmidt-Jortzig 10925 A Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 10925 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 10927 A Manfred Kolbe CDU/CSU 10928 C Tagesordnungspunkt 2: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 8. September 1976 über die Ausstellung mehrsprachiger Auszüge aus Personenstandsbüchern (Drucksache 13/4995) 10894 A b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Naturkautschuk-Übereinkommen von 1995 (Drucksache 13/5019) 10894 A c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. November 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gemeinsame Staatsgrenze (Drucksache 13/5020) . 10894 B d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. Juli 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über den Zusammenschluß der deutschen Autobahn A 6 und der tschechischen Autobahn D 5 an der gemeinsamen Staatsgrenze durch Errichtung einer Grenzbrücke (Drucksache 13/5049) 10894 B e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes (JStG) 1997 (Drucksache 13/5359) 10894 B f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Altschuldenhilfen für Kommunale Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften und private Vermieter in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (AHG-Änderungs-Gesetz) (Drucksache 13/5417) . 10894 C g) Antrag der Abgeordneten Antje Hermenau, Kristin Heyne, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mögliche zweckwidrige Verwendung von Steuergeldern durch die Förderung eines Berufsbildungsprojektes in Montevideo (Uruguay) (Drucksache 13/5008) 10894 C h) Antrag der Abgeordneten Dr. Gerald Thalheim, Ernst Bahr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Milchquotenregelung in den neuen Ländern (Drucksache 13/4905) . . . 10894 D i) Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung eines Grundstücks in Berlin-Mitte (Drucksache 13/5039) . . 10894 D j) Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung hier: Umwelttechnik und wirtschaftliche Entwicklung (Drucksache 13/5050) 10895 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesjagdgesetzes und des Waffengesetzes (Drucksache 13/5493) 10895 A b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer (Drucksache 13/5504) . . . . 10895 B Tagesordnungspunkt 3: Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 14. Juni 1994 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits (Drucksachen 13/4174, 13/5031) 10895 C b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 9. Februar 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kirgisistan andererseits (Drucksachen 13/4173, 13/5032) 10895 D c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 6. März 1995 zwischen den Europäischen Gemeinschaften sowie ihren Mitgliedstaaten einerseits und Weißrußland andererseits (Drucksachen 13/4172, 13/5033) 10895 D e) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses 10896 A - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht über die Mißbrauchsbekämpfung und Anpassung von öffentlichen Leistungen an veränderte Rahmenbedingungen - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht über die Mißbrauchsbekämpfung und Anpassung öffentlicher Leistungen an veränderte Rahmenbedingungen (Drucksachen 12/8246, 13/725 Nr. 63, 13/3412, 13/3930 Nr. 1, 13/5294) . . . 10896A Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere abschließende Beratung ohne Aussprache Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Zustimmungbedürftige Verordnung zur Einführung des Europäischen Abfallkatalogs (Drucksachen 13/5416, 13/5520) 10896 B Nächste Sitzung 10929 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10930*A 121. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 11. September 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Augustin, Anneliese CDU/CSU 11. 9. 96 Bachmaier, Hermann SPD 11. 9. 96 Beck (Bremen), BÜNDNIS 11. 9. 96 Marieluise 90/DIE GRÜNEN Behrendt, Wolfgang SPD 11. 9. 96 * Borchert, Jochen CDU/CSU 11. 9. 96 Duve, Freimut SPD 11. 9. 96 Gansel, Norbert SPD 11. 9. 96 Glos, Michael CDU/CSU 11. 9. 96 Kurzhals, Christine SPD 11. 9. 96 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 11. 9. 96 Karl-Hans Dr. Lucyga, Christine SPD 11. 9. 96 * Dr. Rappe (Hildesheim), SPD 11. 9. 96 Hermann Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Regenspurger, Otto CDU/CSU 11. 9. 96 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 11. 9. 96 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 11. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Schönberger, Ursula BÜNDNIS 11. 9. 96 90/DIE GRÜNEN Thieser, Dietmar SPD 11. 9. 96 Voigt (Frankfurt), SPD 11. 9. 96 Karsten D. Vosen, Josef SPD 11. 9. 96 Wieczorek-Zeul, SPD 11.9.96 Heidemarie Dr. Zöpel, Christoph SPD 11. 9. 96 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Vielen Dank. Die erste Frage gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß Ihre Schilderung aus den neuen Ländern zutrifft. Sie zeigt die ganze Unwahrheit dieses Tarif kar-tells, das Flächentarifverträge nicht reformiert. Der gesamte DGB weiß, daß diese Tarife in den Betrieben im Grunde nicht gezahlt werden. Mein Appell geht dahin, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen und die Flächentarifverträge zu reformieren.

    (Beifall bei der F.D.P. Widerspruch bei der SPD)

    - Ich sage noch einmal an die Sozialdemokraten: Das
    ist die Wahrheit. Sie wissen, daß viele Betriebe ausscheiden. Sie wissen, daß heute viele Betriebsräte
    ihre eigenen Vereinbarungen machen. Wenn aber jemand im Deutschen Bundestag sagt: „Reformiert das System, das erkennbar nicht funktioniert", dann erzählen Sie, er wolle irgend jemandem ans Leder. Wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund - er ist mir wichtig als Tarifpartner - auch in Zukunft eine Rolle spielen soll, muß er sich verändern und ein Stück umdenken.
    Zur zweiten Frage der Kollegin Luft. Ich halte das duale System für notwendig. Im dualen System gibt es die Pflicht der Wirtschaft auszubilden. Deshalb sage ich sehr offen - wie auch andere aus der Koalition -: Wenn die Arbeitgeber am dualen System festhalten wollen, müssen sie jetzt ihrer Pflicht nachkommen, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Immer gehen wir zunächst den freiwilligen Weg. Aber ich sage genau das, was die Bundesregierung macht: Wenn zu Beginn einer Ausbildungszeit junge Menschen ohne Ausbildungsplatzchance sind, weil keine Ausbildungsplätze angeboten werden, dann hat die Bundesregierung in den letzten Jahren - dazu bekenne ich mich - immer die Kraft gehabt, Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Denn unsere Auffassung war: Kein Mensch aus der jungen Generation soll in das Leben entlassen werden, ohne daß ihm dieses Land eine Ausbildungschance vermittelt. Das ist die Haltung. So sehe ich das.


Rede von Dr. Burkhard Hirsch
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Gerhardt, nun hat sich noch Herr Dreßen zu einer Frage gemeldet.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Darf ich jetzt meine Rede fortsetzen? Wir haben doch heute die Gelegenheit, politische Betrachtungen im Zusammenhang anzustellen.
    Ich will noch einen Punkt ansprechen, der neben diesen Themen aus unserer Sicht wichtig ist. Es geht nämlich im Kern schon um die Frage, wie freiheitliche Gesellschaften heute Energien aufbringen können, ohne nur auf materielle Anreize zu sehen. Zutiefst sind die großen politischen Veränderungen der letzten Jahre ja auch Notwendigkeiten gewesen, die uns im Westen jetzt gesellschaftlich voll erreichen. Vielleicht haben einige gedacht, es würde die 17 Millionen Deutschen in den neuen Ländern betreffen, doch wir spüren, daß Mauer und Stacheldraht auch für uns im Westen bequeme Einrichtungen waren. In unserem Denken haben wir Politik durch Verteilung gemacht. Die ganze Sozialdemokratische Partei konnte lange Jahre theoretisch an Wohlfahrtsstaatsmodellen arbeiten. Wir hatten jährliche Wachstumsraten. Wir haben Wahlkämpfe nach dem Motto „Wer bietet mehr?" geführt. Diese Zeiten sind zu Ende. Jetzt erweist sich, ob man politische Kraft aufbringt, sich umzustellen und auf die Substanz freiheitlicher Gesellschaften wieder zurückzukommen, auf die Kernerfolge ihrer Geschichte.

    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Das sind in unserem Land eine föderative Grundordnung und staatliche Institutionen, die eine freiheitliche Demokratie institutionell absichern. Das ist in unserem Land eine marktwirtschaftliche Ordnung, die Produktivität ermöglicht und die im weltweiten Vergleich zur Sozialpolitik befähigt. Das ist in unserem Land die technische Höchstleistungsfähigkeit gewesen - wir müssen sie wieder stärker zurückgewinnen - und die Kompetenz aller Berufe, die wir in diesem Land haben. Das ist in unserem Land die klare Erkenntnis gewesen, daß sich die Außenpolitik europäisch einbetten muß, daß sie Bündnispartner braucht, daß wir Deutschen auf Grund unserer geographischen Lage und unserer Geschichte wie kein anderes Land auf das Vertrauen der anderen angewiesen sind. Das war Staatsräson, das war nicht Beliebigkeit in der Außenpolitik. Uns muß immer bewußt sein, daß eine freiheitliche Gesellschaft ihre Freiheitlichkeit nur erhalten kann, wenn sie die Quellen nicht zuschüttet, die Freiheitlichkeit gespendet haben.
    Im Verlauf der Debatten der letzten Jahre haben sich in Deutschland viele ans Werk gemacht, diese Quellen zu verschütten. Es ist nicht mehr das Bewußtsein erzeugt worden, wie Produktivität entsteht, sondern es ist ein Schlagabtausch darüber geführt worden, wie verteilt werden kann. Man muß wieder darauf hinweisen, daß wir jetzt vor der Herausforderung stehen, Produktivität in Deutschland zu erzeugen, um denen, die Hilfe brauchen, helfen zu können. Das muß wieder öffentlich gesagt werden. Das ist die Aufgabe dieser Koalition. Deshalb ist sie von den Menschen gewählt worden. Wir sind nicht gewählt worden, um Wahrheiten nicht zu sagen, Konflikte zuzuschütten und Lagen zu verdrängen. Wir haben ein Mandat, weil die Menschen uns zutrauen, ihnen eine Zukunftschance durch Modernisierung und Reformbereitschaft zu geben - dem wollen wir gerecht werden.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Wir wollen also für den Strukturwandel offener sein.
    Herr Scharping hat heute morgen eine Modernisierungsrede gehalten. Ich fange da einmal beim Thema Steinkohlebergbau an und frage mich, welche Modernisierung durch Strukturwandel dort stattfindet. Ich frage den saarländischen Ministerpräsidenten, wie er denn in seinem Land die Kohlepolitik im Strukturwandel vertritt. Bisher habe ich da nur Besitzstandswahrer gesehen. Mutig waren die Herren nicht.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    In Niedersachsen schüttet ein Ministerpräsident in der letzten rot-grünen Legislaturperiode den öffentlichen Haushalt mit 9000 Stellen zu. Dann langt er gewaltig in den kommunalen Finanzausgleich hinein, nimmt den Kommunen das Geld weg, tritt hier als wirtschaftspolitisch sachkundiger Sprecher auf, wird einmal entlassen und dann wieder installiert. Jetzt ist er im Gerede für neue Aufgaben. Das ist doch keine Modernisierung! Das ist doch die Kampfkraft eines
    Hühnerhaufens, die sich dort entwickelt hat. Das ist keine Reform in Deutschland.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Widerspruch bei der SPD)

    Ich glaube nicht, daß dieses Land - eigentlich war immer die Opposition die treibende Kraft für Veränderungen und Reformen - jemals eine so modernisierungs- und reformunfähige Opposition gesehen hat, wie wir sie heute haben. Ich möchte Sie deshalb ermuntern; das käme ja auch uns entgegen, wenn das etwas konzeptioneller würde.
    Meine Damen und Herren, wir sind nicht allein auf der Welt, es gibt nicht nur deutsche Branchen und deutsche Befindlichkeiten. Wir müssen sehen, daß in anderen Kulturkreisen dieser Welt kulturell gewachsene Arbeitshaltungen da sind, die höchst effektiv sind. Ich möchte nicht, daß wir diese Systeme kopieren; sie neigen auch sehr zu autoritärer Führung. Aber klar ist, daß wir diesen Wettbewerb, wie das der Kollege Schäuble gesagt hat, nur gewinnen können, wenn wir ihn aufnehmen. Wenn wir so tun, als gäbe es ihn nicht, dann werden wir in große Schwierigkeiten geraten.
    Deshalb führt kein Weg daran vorbei, auch in Deutschland über ganz einfache Tugenden zu sprechen. Was ist Solidarität? Ist derjenige solidarisch, der, obwohl es ein Sicherungssystem gibt, zunächst einmal etwas für sich selbst tut, bevor er das System in Anspruch nimmt? Oder ist derjenige solidarisch, der sagt: Da es ein Sicherungssystem gibt, nehme ich es in Anspruch? Ist derjenge solidarisch, der nach einer Krankheit sagt: Es geht mir wieder etwas besser; ich gehe zurück an meinen Arbeitsplatz, weil die Kollegen sonst so viel zu tun haben? Oder ist derjenige solidarisch, der sagt: Ich könnte j a noch drei Tage länger zu Hause bleiben? - Wir reden hier über ganz einfache Tugenden. - Trägt derjenige zum Sozialprodukt einer Gesellschaft bei, der leistungsbereiter und leistungsfähiger ist als andere? Müssen wir nicht ihm eine Chance geben? Oder ist derjenige solidarisch, der sagt: Es gibt einen staatlichen Transfer; vielleicht muß ich nicht bis an die Grenze meiner Leistungskraft gehen?

    (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die Antwort ist doch klar!)

    Nein, wir kolportieren einen völlig falschen Solidaritätsbegriff.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Ich fühle mich mit denen solidarisch, Herr Scharping, die zuallererst, wenn sie morgens aufstehen, daran denken, was sie für sich selbst tun könnten und sollten. Wenn wir mit denen nicht solidarisch sind, werden wir denen, die das nicht schaffen, nicht helfen können.

    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Das ist die Wahrheit. Man muß den Menschen einmal sagen, daß sie in der Politik Befürworter haben, die ebenfalls ihrem Beruf nachgehen, die etwas leisten wollen. Nur so können wir jenen helfen, die Hilfe brauchen.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)


    Dr. Wolfgang Gerhardt
    Meine Damen und Herren, die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland ist, seit es dieses Land gibt, wenn auch über manch kritische Auseinandersetzung, glücklicherweise erfolgreich gewesen, da in bestimmten geschichtlichen Abschnitten bei unterschiedlichen Konstellationen, rückblickend betrachtet, nach heftigen Auseinandersetzungen richtige Entscheidungen getroffen worden sind. Das hat für uns manche Tabuschwellen gebracht. Hierbei denke ich zum Beispiel an die Diskussion über die Oder-Neiße-Linie. Ich will aber sagen: Wir sind souverän genug, um bei manchen Tabus offen zu sagen, wie wir das sehen.
    Ich halte Vertreibung für ein großes Unrecht; diesen Menschen ist extremes Leid zugefügt worden. Ich habe auch die Enteignungen in den Jahren von 1945 bis 1949 für Unrecht gehalten und halte sie noch heute für Unrecht. Ich darf daran erinnern, daß auch Menschen enteignet worden sind, die in der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 waren. Denen - das muß ich uns in Gesamtdeutschland sagen - ist bitteres Unrecht geschehen. Das waren keine Junker. Das waren Menschen, die für die Zukunft Deutschlands einen guten Beitrag geleistet haben.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Heute einfach zu sagen - das spreche ich bewußt an - „Das ist geschehen", wäre mir zu kurz. Wir können Geschichtsbücher nicht umschreiben. Aber die Ereignisse nach 1945 haben so vielen Menschen Leid zugefügt, daß wir als Deutsche das auch aussprechen dürfen. Wir müssen nur wissen, daß es damit nicht angefangen hat.

    (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Ursache und Wirkung!)

    Der Beginn des Leids wurde zuvor durch eigene, durch deutsche Politik veranlaßt.

    (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das ist es!)

    Wir haben nun mit nahezu allen Nachbarländern normale Beziehungen. Wir haben freundschaftliche Bande entwickelt. Wir haben Grenzen überwunden. Diese wollen wir ohnehin durchlässiger machen; sie sollen ihre alte Funktion verlieren. Wir wissen, daß wir auf dem Weg nach Europa keine Alternative haben. Ich erkläre für die Freie Demokratische Partei: Wir werden alsbald zu einem deutsch-tschechischen Abkommen kommen.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es ist an der Zeit. Das weiß die Koalition insgesamt. Dies wird jetzt zu Ende gebracht. Dann werden wir eine Übereinkunft haben, die tragfähig und versöhnlich ist und in der die politischen Streitfragen in gegenseitigem vertrauensvollen Einvernehmen geklärt sind.
    Ich danke dem Bundesaußenminister für seine schwierigen, aber guten Verhandlungen

    (Günter Verheugen [SPD]: Kennen Sie das Ergebnis?)

    und wünsche, daß diese jetzt zum Abschluß kommen. Wir werden das auch tun. Wir befinden uns in einer Koalition, die gut zusammenarbeiten will, bei der man nicht wöchentlich Druck macht. Wir legen aber Wert darauf, daß wir in diesem Herbst dieses Übereinkommen zu Ende bringen.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Ich sage das, weil der Mainzer Bischof Lehmann recht hat, wenn er sagt, daß Wiedergutmachung nicht nur ein materieller Vorgang ist, sondern vor allem ein geistiger. Das verlangt Größe und Souveränität auf allen Seiten. Wir bringen die auf. Der tschechische Staatspräsident Havel hat sie auch aufgebracht. Wir sollten die Völker beider Staaten nicht mehr allzu lange warten lassen.
    Die Außenpolitik befindet sich bei Klaus Kinkel in guten Händen. Er kennt die Notwendigkeiten internationaler Beziehungen Deutschlands. Er treibt keine Eskapaden. Er muß nach den großen Veränderungen der letzten Jahre kritische Situationen bewältigen. Er hat diese Leistung in einer Arbeitshaltung vollbracht, die ihm internationale Anerkennung verschafft. Wir wollen das in diesen sicheren Händen belassen.
    Herr Scharping, das sage ich an dieser Stelle, weil ich vor wenigen Tagen zur Kenntnis genommen habe, welche Alternative Sie der Koalition entgegensetzen wollen. Ich glaube, in bezug auf die Reformfähigkeit im Innern und die Geradlinigkeit nach außen bietet ein rot-grünes Bündnis keine Alternative - schon gar nicht, wenn Sie die PDS mit einkalkulieren. Deutschland braucht zuallerletzt eine solche Konstellation. Sie ist reform- und modernisierungsunfähig, kann die sozialen Sicherungssysteme nicht rechtzeitig reformieren und weiß noch nicht einmal richtig, wie ein Arbeitsplatz entsteht. Sie nährt eher den Glauben, das käme über staatliche Haushalte statt über Menschen, die sich anstrengen, schlaflose Nächte verbringen und Risiken eingehen, um Arbeitsplätze zu schaffen.

    (Widerspruch bei der PDS)

    Dieses Land ist aus der Katastrophe von 1945 mit Prinzipien herausgekommen, die in dieser Koalition bzw. bei den Freien Demokraten beheimatet sind. Dabei wollen wir es auch belassen. Wir haben Schwierigkeiten, aber wir tun unser Bestes, um über Gesetze und Kanzlermehrheit - am Freitag - eine Chance für mehr Beschäftigung in Deutschland und damit für die Grundfestigkeit einer stabilen Demokratie zu schaffen. Das kann uns nicht bis zum letzten Arbeitslosen gelingen. Das können wir nicht zusagen. Das wird auch nicht übermorgen gelöst sein. Aber die Menschen mögen erkennen, daß wir uns in die richtige Richtung bewegen. Die OECD hat uns das bestätigt. Sie hat uns sogar zu weitergehenden Schritten ermuntert. Warum sollten wir also ablassen, das in dieser Koalition weiter zu pflegen?
    Auf weitere gute Zusammenarbeit!

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)