Rede von
Joachim
Hörster
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in dritter Lesung das von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz und ermöglichen damit, daß sich der Bundesrat in seiner Sitzung am 19. Juli mit allen Gesetzen zur Umsetzung des Programms der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen für mehr Wachstum und Beschäftigung befassen kann.
Damit bringt die Koalition konsequent einen politischen Entscheidungsprozeß zu Ende, der vor sechs Monaten sehr konkret begonnen hat und der für die Zukunftssicherung unseres Landes wegweisend und unverzichtbar ist. Angesichts der Arbeitslosigkeit von mehr als 4 Millionen Menschen in unserem Land zur Jahreswende und der Erkenntnis, daß das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr geringer ausfallen wird, als ursprünglich prognostiziert worden war, und damit bei hohen Arbeitskosten weitere Arbeitsplätze gefährdet werden könnten, hatte die Bundesregierung am 30. Januar dieses Jahres ein 50-Punkte-Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze vorgestellt.
In diesem 50-Punkte-Aktionsprogramm waren die Maßnahmen beschrieben, die aus unserer Sicht zwingend erforderlich wurden, um die Arbeitskosten nicht nur zu begrenzen, sondern auch zu senken und
Joachim Hörster
damit mehr Arbeitsplätze zu sichern, aber auch um neue Investitionsanreize zu geben, um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen und vorhandene wettbewerbsfähiger zu machen. Die Überprüfung der sozialen Sicherungssysteme hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit wurde ebenso angekündigt wie die Überprüfung des Umfangs und der Zweckmäßigkeit bislang gewährter Sozialleistungen, dies vor allem, um die sozialen Sicherungssysteme auch angesichts des demographischen Wandels für künftige Generationen leistungsfähig zu erhalten.
Fast gleichzeitig hatte Bundeskanzler Dr. Kohl vor allem Gewerkschaften und Arbeitgeber zu Konsensgesprächen nach Bonn eingeladen, um auch deren Mitverantwortung für die Sicherung und Schaffung von mehr Arbeitsplätzen und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Investitionen hervorzuheben und einzufordern. Neunmal hat man sich zu diesen Gesprächen getroffen, zuerst am 25. Januar 1995, zuletzt am 23. April 1996, also vier Wochen nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein.
Das letzte Gespräch - wir wissen es alle - ging zu Ende, ohne daß man sich auf die Instrumentarien verständigen konnte, die erforderlich waren, um das gemeinsam als notwendig erkannte Ziel zu erreichen, nämlich die Arbeitskosten zu senken, zusätzliche Investitionsanreize zu schaffen und damit mehr Wachstum und Beschäftigung zu ermöglichen. Während noch im Konsensgespräch am 12. Februar 1996 eine Einigung über den gleitenden Übergang in den Vorruhestand möglich war, scheiterten am 23. April 1996 weitere Vereinbarungen für mehr Investitionen und Arbeitsplätze an der Unvereinbarkeit der Positionen vor allem der Arbeitnehmer- und der Arbeitgebervertreter.
Es stand jetzt außer Zweifel, daß in Anbetracht der prognostizierten wirtschaftlichen Entwicklung nicht länger zugewartet werden konnte, sondern zumindest der Gesetzgeber gefordert war, das zu tun, was in seiner Macht stand, um die Voraussetzung für eine Trendwende am Arbeitsmarkt zugunsten von mehr Wachstum und Beschäftigung herbeizuführen.
Ausdrücklich will ich auf diese Zeitabläufe noch einmal hinweisen, weil sowohl Oskar Lafontaine als auch Rudolf Scharping in diesem Hause wiederholt und wahrheitswidrig behauptet haben,
die Koalition habe vor den Landtagswahlen am 24. März dieses Jahres die Wähler hinsichtlich ihrer Absichten im Rahmen des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung getäuscht.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir haben rechtzeitig vor Beginn des Wahlkampfes keinen Zweifel daran gelassen,
auf welchen Feldern der Sozial-, Wirtschafts- und Steuerpolitik wir Maßnahmen für erforderlich halten, um den Wirtschaftsstandort Deutschland leistungsfähiger, wettbewerbsfähiger und damit zukunftssicherer zu gestalten.
Die erheblichen Stimmenverluste der Sozialdemokraten bei diesen Landtagswahlen sind doch nicht darauf zurückzuführen, daß die Wählerinnen und Wähler nicht gewußt hätten, was die Bonner Koalitionsparteien für notwendig erachteten, um Arbeitsplätze sicherer zu machen und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Vielmehr sind diese Verluste darauf zurückzuführen, daß die Sozialdemokraten jegliche Alternative schuldig gebheben sind, im übrigen bis zum heutigen Tag,
und statt dessen - siehe Thema Fremdrenten - in unwürdiger Weise Sozialneid geschürt haben. Dabei haben die Sozialdemokraten leider nicht realisiert, daß die Menschen in unserem Lande längst begriffen haben, daß wir Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft brauchen, daß die Sozialkassen nicht mehr alles leisten können und daß die beste Sozialpolitik die Sicherung und Schaffung bezahlbarer Arbeit für die Menschen ist.
Das von den Koalitionsfraktionen am 25. April auf der Grundlage des Ende Januar vorgestellten Aktionsprogramms beschlossene Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung ist ausschließlich von der Sorge um die Erhaltung der Arbeitsplätze für die Menschen in Deutschland bestimmt.
Wir wissen, daß die sozialen Sicherungssysteme überfordert sind, wenn die Menschen in unserem Land keine Arbeit mehr haben. Wenn wir daher erkennen, daß die Sicherung vorhandener und die Schaffung neuer Arbeitsplätze - zum Beispiel durch die Steuer- und Abgabenlast, durch steigende Sozialversicherungsbeiträge und durch unkontrollierbare Kostenrisiken im Arbeitsrecht - behindert wird, dann haben wir die Pflicht, im Interesse der arbeitsuchenden Menschen diese Behinderungen zu beseitigen.
Ausschließlich diesem Ziel dienen die von der Koalition eingebrachten und bereits verabschiedeten Gesetze zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung. Dies ist keine Politik, wie Oskar Lafontaine am Freitag vor acht Tagen behauptet hat, zum Abbau der Arbeitnehmerrechte und keine Politik der sozialen Ungerechtigkeit, sondern eine Politik zur Sicherung und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Im übrigen, hebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, ist die Frage der sozialen Ge-
Joachim Hörster
rechtigkeit nicht nur die Frage danach, wer etwas bekommt, sondern auch die Frage danach, wem ich etwas berechtigterweise von dem von ihm Erarbeiteten abnehmen darf, um es einem anderen zu geben. Jede Beitragsmark, zum Beispiel in der Krankenversicherung, die ich einem Arbeitnehmer abnehme, um sie einem zu geben, der unberechtigterweise krankfeiert, ist dem Fleißigen zu Unrecht abgenommen und damit eine soziale Ungerechtigkeit.
Solche Sachverhalte haben sich noch öfter in unser Sozialversicherungssystem eingeschlichen. Deswegen müssen wir schon unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten darauf achten, daß die Beitragszahler nur so viel Geld abgenommen bekommen, wie es erforderlich ist, um demjenigen zu helfen, der sich selbst nicht helfen kann.
Am 26. April sind im Plenum des Deutschen Bundestages die Beschlüsse der Koalitionsfraktionen zum Aktionsprogramm für mehr Wachstum und Beschäftigung erörtert worden. Am 23. Mai wurden dann die Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht, in der Nachfolgezeit in den Ausschüssen beraten - es hat Anhörungen gegeben -, und am 28. Juni wurden alle zur Umsetzung erforderlichen Gesetze - mit einer Ausnahme, die wir heute behandeln - verabschiedet.
Natürlich hat es in der Koalition und auch in der Union - wie könnte es in einer Volkspartei anders sein - in einzelnen Fragen Meinungsverschiedenheiten gegeben, und es ist sehr intensiv über die besten Wege zur Erreichung des gemeinsam gesteckten Zieles von mehr Wachstum und Beschäftigung diskutiert worden. Im Ergebnis aber hat die Koalition durch sehr konzentriertes Beraten und Arbeiten gehandelt und entschieden.
Der Bundesrat wird sich am 19. Juli mit unserem Gesetzespaket befassen und - so ist es angekündigt worden - den Vermittlungsausschuß in allen Fällen anrufen. Im Vermittlungsausschuß haben wir zwischen Bundesrat und Bundestag vereinbart, daß der Vermittlungsausschuß am 26. August tagen soll. Vereinbart ist außerdem, daß am 29. August eine Sitzung des Bundestages stattfindet, um die Vermittlungsergebnisse zu beraten, und am 6. September eine weitere Sitzung des Bundesrates. Die angekündigten Einsprüche des Bundesrates wird die Koalition in der Haushaltswoche des Bundestages, spätestens am 13. September, zurückweisen. Das ist der Fahrplan.
Ich habe diese Daten einfach deswegen genannt, um deutlich zu machen, daß wir - ungeachtet einer möglichen Blockadehaltung der sozialdemokratisch regierten Länder im Bundesrat - unser Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung konsequent umsetzen werden.
Wir sind uns über die Zustände bei den Sozialdemokraten im klaren. Wir wissen, daß die Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion zum Beispiel bei der Sozialhilfereform, die inzwischen verabschiedet ist,
zunächst die Ellenbogengesellschaft und die soziale Kälte beklagt und auf der Drucksache 13/2442 sogar die vollständige Zurückziehung des Gesetzentwurfes verlangt haben, um dann - je nach Interessenlage der sozialdemokratisch regierten Länder - genau das zu beschließen, was sie vorher für unerträglich gehalten haben.
Ich will, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, nur die Behandlung des Themas Ladenschluß, das von Ihnen völlig unnötigerweise zu einer Machtprobe im Deutschen Bundestag hochstilisiert worden ist, durch die sozialdemokratisch regierten Länder im Bundesrat in Erinnerung rufen, wo man Sie ebenfalls im Regen stehengelassen hat.
Beim Programm der Koalition für mehr Wachstum und Beschäftigung geht es uns um ein zentrales, ja um ein existentielles Anliegen: um die Erhaltung der Sozialen Marktwirtschaft und eines breiten Wohlstandes in unserer Gesellschaft. Wir sind uns darüber im klaren - dies steht auch im Einklang mit der Bewertung durch die Bevölkerung -, daß wir als Koalition mangels Handlungsfähigkeit der Opposition und der sozialdemokratisch regierten Ländermehrheit diese Aufgabe im wesentlichen alleine werden bewältigen müssen.
Dennoch habe ich die Hoffnung, daß gerade die sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen -wenn der massive Arbeitsdruck der letzten Sitzungswochen etwas nachgelassen hat - Gelegenheit finden, sich mit der Idee eines Mannes auseinanderzusetzen, der am 18. Juni bei seinem Besuch in Deutschland eine Reform des Sozialstaates geradezu programmatisch gefordert hat, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, und der die Entscheidungssituation, auch der deutschen Politik, so beschrieben hat:
Man muß sich entscheiden, ob man den Sozialstaat reformieren oder den Niedergang der Volkswirtschaft verwalten will.
Ich denke, daß der Vorsitzende der britischen Labourpartei, Tony Blair, mit der Definition der Entscheidungssituation, vor der wir jetzt stehen, den Nagel auf den Kopf getroffen hat.
Wir haben uns entschieden: Wir wollen den Sozialstaat reformieren, damit unsere Volkswirtschaft leistungsfähig und zukunftssicher bleibt. Ich fordere die Opposition in diesem Hause und die sozialdemokratische Bundesratsmehrheit auf, gemeinsam mit uns im Interesse der Menschen diesen Weg zu gehen und die notwendigen Entscheidungen nicht zu blokkieren.