Rede von
Ulrike
Mascher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Nein, ich habe mit meiner Rede gerade erst begonnen.
Es beunruhigt die Menschen, es macht ihnen angst, wenn der Finanzminister die volle Besteuerung der Renten fordert, der Gesundheitsminister den Krankenversicherungsbeitrag für die Rentner verdoppeln will und der Arbeitsminister ankündigt, ab 1. Januar 1997 werde für die Frauen, die dann 60 Jahre alt sind, das Rentenalter heraufgesetzt. Entweder länger arbeiten oder weniger Rente heißt da die Parole. Der Vorsitzende der F.D.P. und sein famoser Generalsekretär reden jetzt von einer neuen Rentenformel mit demographischer Komponente und Arbeitsmarktfaktoren. Sagen Sie es doch wenigstens im Klartext, Frau Dr. Babel: Sie wollen das Rentenniveau senken.
Sie wollen die Renten von der wirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln, oder - wie es Jürgen Forster in der „Süddeutschen Zeitung" gestern formulierte -: Die Rentner sollen ärmer werden. Das ist Ihr Programm.
Nun behauptet die Regierung, es gehe um Beschäftigung und Wachstum. Aber wo ist in diesem Gesetzespaket ein Konzept für Wachstum und Beschäftigung, ein Konzept für die Strukturprobleme der Wirtschaft, insbesondere im Osten? Jedenfalls waren die Ergebnisse der Expertenanhörung nicht sehr ermutigend, was die Beschäftigungseffekte dieser Gesetze angeht.
Die Vertreter der wirtschaftswissenschaftlichen Institute - Herr Hirche, vielleicht hören Sie einmal zu - haben in unterschiedlichen Formulierungen darauf hingewiesen, daß es zum Beispiel für die Verschlechterung des Kündigungsschutzes eigentlich keine „saubere empirische Basis" gibt, um „Beschäftigungseffekte zu lokalisieren und zu quantifizieren". Im Klartext heißt das: Niemand weiß genau, ob es überhaupt etwas nutzt.
Der Vertreter des Instituts der Deutschen Wirtschaft - kein sozialdemokratisches Institut - hat deshalb auch freundlicherweise vorgeschlagen, die Auswirkungen der Kündigungsvorschriften zunächst in einem Test zu überprüfen. Wenn keine Beschäftigungseffekte einträten, könne man das Gesetz ja wieder ändern.
Glauben Sie von der CDU/CSU und der F.D.P. denn wirklich, daß sich die Betroffenen so abspeisen lassen: Die Wirkungen des Gesetzes sollen durch eine wissenschaftliche Untersuchung im Jahre 2000 überprüft werden? - Der geforderte Test spielt sich doch nicht im Labor ab, sondern dieser Test betrifft etwa 3,5 Millionen Beschäftigte, die dann als schlecht abgesicherte Arbeitnehmer in Kleinbetrieben zu den Verlierern in einem neuen Zweiklassenarbeitsrecht gehören. Das ist auch ein Ergebnis der Anhörung.
Der bescheidene Vertrauensschutz, den Sie nachträglich eingeführt haben, läuft für eine besonders schützenswerte Gruppe, nämlich die Mütter, die nach dem Erziehungsurlaub wieder in den Betrieb zurückkommen, ins Leere.
Ist das das Ergebnis Ihrer „familienfreundlichen" Politik? Wollen Sie wirklich sagen, daß das eine Politik ist, die das Eigenschaftswort „christlich" verdient?
Frau Dr. Babel, Sie haben ja sehr nachdrücklich auf Äußerungen des Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts hingewiesen. Aber Sie haben vergessen, zu sagen, daß sowohl dieser Arbeitsgerichtspräsident als auch Herr Professor Landau ganz nachdrücklich ein Arbeitsgesetzbuch eingefordert haben, zu dem die Bundesregierung durch den Einigungsvertrag verpflichtet ist - Herr Dr. Schäuble wird das wissen; denn er hat ihn ja ausgehandelt und unterschrieben -, ein Arbeitsgesetzbuch, durch das endlich das zersplitterte Richterrecht zusammengefaßt und kodifiziert werden soll und durch das dann den kleinen Betrieben wirklich geholfen werden soll, auch im Prozeß Rechtsklarheit zu haben. Da ist die Regierung seit 1990 gefordert, aber es ist nichts geschehen.
Ulrike Mascher
Noch alarmierender waren die Ergebnisse bei den juristischen Sachverständigen: erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken wegen der mittelbaren Benachteiligung von Frauen durch die Verengung der Sozialauswahl auf nur drei Kriterien, die besonders Frauen benachteiligen, und der Benachteiligung von Frauen durch den Abbau des Kündigungsschutzes in Betrieben bis zu zehn Beschäftigten. Jetzt können es bei der Berücksichtigung der Teilzeitarbeit auch Betriebe mit 20 Frauen in Teilzeitarbeit sein. Wenn das ein Fortschritt ist, Herr Geißler, dann kann ich nur gratulieren.
Die Tatsache, daß es trotz einer ganzen Reihe erfolgreicher betrieblicher Modelle den Gewerkschaften nicht möglich war, mit den Arbeitgebern Vereinbarungen zu treffen, um Fehltage wegen Krankheit zu reduzieren, läßt nur einen Schluß zu: Es geht nicht vorrangig um Kostenreduzierung und um ökonomische Vernunft; denn die würde für vorsorgenden Gesundheitsschutz im Betrieb, für wirksamen Arbeitsschutz sprechen, für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, um weniger Fehltage zu haben, wie erfolgreiche praktische Beispiele zeigen, etwa bei Opel. Das konnte man gestern im Fernsehen sehr gut nachvollziehen. Nein, es geht Ihnen darum, endlich den Einstieg zu finden, um die Löhne bei Krankheit zu kürzen, um das Krankengeld zu kürzen und um die Rehabilitationsmaßnahmen einzuschränken.
Wie bei allen Kürzungsgesetzen, die wir heute auf dem Tisch haben, fragt die Regierungskoalition auch hier nicht mehr, ob die Mittel, also die Kürzungen der Leistungen bei Krankheit, in irgendeiner Weise das Ziel „mehr Beschäftigung, mehr Wachstum" wirklich erreichen.
Die gleiche Frage nach der Zweckmäßigkeit, nach der ökonomischen Vernunft, stellt sich, wenn durch die geplante Kürzung der Ausgaben für Rehabilitation um 2,7 Milliarden DM nach Angaben der Bundesversicherungsanstalt 18 000 bis 19 000 Arbeitsplätze getroffen werden. Es werden dabei viele kleine Einrichtungen in strukturschwachen Gebieten sein, wo kaum Ersatz für diese Arbeitsplätze geschaffen werden kann. Beschäftigungsförderung, wie es das Gesetz verspricht? Fehlanzeige, kann ich dazu nur sagen.
Angesichts der massenhaften Proteste, angesichts von bitteren Vorwürfen - ich erinnere nur an die Rede der Bischöfin Jepsen, an die Rede der Vorsitzenden des Deutschen Frauenrates, Frau Jalowy, die aus der katholischen Frauenarbeit kommt, auf der großen Demonstration hier in Bonn - und angesichts des verfassungsrechtlichen Debakels, das alle Sachverständigen der Regierungskoalition vorhergesagt haben, haben die CDU/CSU und die F.D.P. jetzt in der Tat ein klein wenig nachgegeben bei der sofortigen brutalen Anhebung der Rentenaltersgrenze für Frauen.
Ich freue mich für die betroffenen Frauen. Ich glaube, alle Fraktionen, auch die, die das Gesetz ablehnen, sind froh, daß drei Jahrgänge von Frauen nun aus diesem brutalen Kürzungsprozeß herausgenommen worden sind.
Aber nach wie vor, Herr Geißler, sind die Frauen, die ab 1940 geboren wurden, betroffen, weil nach wie vor anders als bei der Rentenreform 1992 die Anhebung in nur fünf Jahren durchgezogen wird. Frauen sind wegen ihrer oft lückenhaften Rentenbiographie besonders benachteiligt, wenn die Anrechnungszeiten für eine längere, qualifizierte Ausbildung gekürzt und außerdem niedriger bewertet werden. Es trifft gerade die Frauen, die Ende der 50er Jahre endlich eine qualifizierte und längere Ausbildung für sich erkämpft haben.
Ganz zielgerichtet sollen Frauen durch eine Regelung getroffen werden, die, obwohl arbeitslos, keine Leistungen der Arbeitslosenhilfe erhalten, weil ihr Ehemann noch genug zum Lebensunterhalt verdient. Vielleicht wird auch er ja morgen arbeitslos. Diese Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug werden nur noch als Anrechnungszeiten ohne Werte berücksichtigt und wirken sich nicht mehr positiv auf die rentenrechtliche Gesamtbewertung aus.
Frauen werden in Zukunft noch häufiger ihren Arbeitsplatz verlieren, weil sie gerade in Branchen arbeiten, wo besonders viele Kleinbetriebe jetzt vom Kündigungsschutz „befreit" werden, also in den Gesundheitsberufen, in vielen Anwaltspraxen, in Beratungsfirmen, in kleinen Einzelhandelsgeschäften, in kleinen Filialbetrieben und im Gaststättenbereich. Die verengte Sozialauswahl drängt sie aber auch in den großen Betrieben bei betriebsbedingten Kündigungen an den Rand.
Sind die Frauen während der Schwangerschaft häufiger krank, müssen sie eine Kürzung ihres Einkommens um 20 Prozent hinnehmen, pflegen sie ein krankes Kind und bekommen keine bezahlte Freistellung, erhalten sie ein um 30 Prozent gegenüber ihrem Einkommen gekürztes Krankengeld. Aber sie können natürlich Tage ihres Urlaubs dafür einsetzen, die sie aber eigentlich während der Schulferien mit ihrem Kind verbringen wollten.
Dann sagt Herr Geißler, das alles ist nicht von besonderer Bedeutung.