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    Plenarprotokoll 13/117 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 117. Sitzung Bonn, Freitag, den 28. Juni 1996 Inhalt: Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Republik Ghana, Daniel Francis Annan . 10588 C Abweichung von den Richtlinien für die Fragestunde, für die Aktuelle Stunde sowie der Vereinbarung über die Befragung der Bundesregierung in der Sitzungswoche ab 9. September 1996 10549A Erweiterung der Tagesordnung 10549B Tagesordnungspunkt 16: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz) (Drucksachen 13/4610, 13/5088, 13/5108, 13/5094, 13/5112) 10549 B Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Drucksachen 13/4814, 13/4987, 13/ 5088, 13/5108, 13/5094, 13/5112) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Andrea Fischer (Berlin), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsfähigkeit durch sozialstaatliche Innovationen gewinnen zu dem Antrag der Gruppe der PDS: Rentenmoratorium 1996 (Drucksachen 13/4674, 13/3737, 13/5088, 13/5108) 10549C b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (Wachstums- und Beschäftigungsförderungs-Ergänzungsgesetz) (Drucksachen 13/4611, 13/5089, 13/5108, 13/5095) . 10549D c) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines arbeitsrechtlichen Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) (Drucksachen 13/4612, 13/5107) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Arbeitsrechtliche Reformen als Baustein zur Neugestaltung der Arbeit (Drucksachen 13/4672, 13/5107) . . . 10550A d) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit (Drucksachen 13/4613, 13/5074) 10550B e) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (Drucksachen 13/4614, 13/5072) 10550 C f) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Beitragsentlastungsgesetz) (Drucksachen 13/4615, 13/5099) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Knoche, Marina Steindor, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das solidarische Gesundheitswesen für die Zukunft sichern (Drucksachen 13/4675, 13/5099) 10550 C g) Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen), Brigitte Adler sowie weiterer Abgeordneter: Rechtliche Rahmenbedingungen der Altersversorgung und Erwerbstätigkeit von Frauen (Drucksache 13/4986) 10550 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Gruppe der PDS: Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes und der arbeits- und sozialrechtliche Teil des Programms der Bundesregierung für mehr Wachstum und Beschäftigung (Drucksache 13/5086) 10551A Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 10551 B Oskar Lafontaine, Ministerpräsident (Saarland) 10556 A Dr. Peter Struck SPD (zur GO) . 10561D, 10614B Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 10562 A Günter Verheugen SPD 10565 C Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10566 A Dr. Hermann Otto Sohns F.D.P. . 10568 D, 10573 A Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10570B Dr. Barbara Hendricks SPD 10572 D Dr. Gregor Gysi PDS 10573 B, 10580 C Michael Glos CDU/CSU . . . 10575 D, 10580 B Dr. Barbara Höll PDS 10579 C Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10580 A, 10597 D Rudolf Dreßler SPD 10581 A Dr. Gisela Babel F.D.P 10585 B, 10590 D Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10588 D Jörg Tauss SPD 10590 B Dr. Heidi Knake-Werner PDS 10591 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . 10592 C, 10598 A Margot von Renesse SPD 10597 A Petra Bläss PDS 10597 C, 10609 D Ulrike Mascher SPD 10599 C, 10603 B Christel Hanewinckel SPD 10602 A Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 10603A Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10603 D Dr. Ruth Fuchs PDS 10605 B Herbert Lattmann CDU/CSU 10605 D Ottmar Schreiner SPD 10607 C Joachim Hörster CDU/CSU (zur GO) . 10614 A Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zur GO) 10614 C Jörg van Essen F.D.P. (zur GO) 10614 D Dr. Dagmar Enkelmann PDS (zur GO) . 10615 A Namentliche Abstimmungen . . 10611 A, 10616 A, 10619C, D Ergebnisse . . . 10611 B, 10617 A, 10620 A, 10623 A Präsidentin Dr. Rita Süssmuth 10564 B Vizepräsident Hans-Ulrich Klose . . . 10579 D Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer . . 10603 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache a) bis f) Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 114, 130, 131, 132, 133 und 134 zu Petitionen (Drucksachen 13/5101, 13/5102, 13/5103, 13/5104, 13/5105, 13/5106) 10625 C Zusatztagesordnungspunkt 9: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der ehemaligen US-Wohnsiedlung Hügelstraße in Frankfurt am Main (Drucksachen 13/4711, 13/5113) 10626 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der ehemaligen US-Edwards-Wohnsiedlung in Frankfurt am Main (Drucksachen 13/4751, 13/5114) 10626 C c) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der ehemaligen US-Wohnsiedlung Platenstraße in Frankfurt am Main (Drucksachen 13/4752, 13/5115) 10626 C Nächste Sitzung 10627 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10629* A Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Hans Berger, Arne Börnsen (Ritterhude), Tilo Braune, Alfred Hartenbach, Gerd Höfer, Erwin Horn, Barbara Imhof, Hans-Ulrich Klose, Werner Labsch, Dr. Christine Lucyga, Rudolf Purps, Hermann Rappe (Hildesheim), Reinhold Robbe, Gerhard Rübenkönig, Dr. Emil Schnell und Peter Zumkley (alle SPD) zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Allgemeinen Magnetschwebebahngesetzes 10629* B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 16 a bis g (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, Zweites Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch, Wachstums- und Beschäftigungsförderungs-Ergänzungsgesetz, Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz u. a.) Waltraud Lehn SPD 10629* C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Renate Diemers (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Gesetze im Rahmen des Programms „Für mehr Wachstum und Beschäftigung" (Tagesordnungspunkt 16) 10630* D Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Otto Regenspurger (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit (Tagesordnungspunkt 16d) 10631 * A Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Werner Dörflinger (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Tagesordnungspunkt 16f) 10631* B Anlage 7 Amtliche Mitteilungen 10631* C 117. Sitzung Bonn, Freitag, den 28. Juni 1996 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt his einschließlich Antretter, Robert SPD 28.6. 96 * Behrendt, Wolfgang SPD 28. 6. 96 * Blunck, Lilo SPD 28. 6. 96 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 28. 6. 96 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 28. 6. 96 Gysi, Andrea PDS 28. 6. 96 Dr. Jacob, Willibald PDS 28. 6. 96 Jelpke, Ulla PDS 28. 6. 96 Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 28. 6. 96 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 28. 6. 96 Dr. Kolb, Heinrich L. F.D.P. 28. 6. 96 Dr. Maleuda, Günther PDS 28.6. 96 Michels, Meinolf CDU/CSU 28. 6. 96 Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 28. 6. 96 Scharping, Rudolf SPD 28. 6. 96 Dr. Scheer, Hermann SPD 28. 6. 96 * Dr. Schwaetzer, F.D.P. 28. 6. 96 Irmgard Terborg, Margitta SPD 28. 6. 96 * Vosen, Josef SPD 28. 6. 96 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 28. 6. 96 Zierer, Benno CDU/CSU 28. 6. 96 * für die Teilnahme an Sitzungen der parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Hans Berger, Arne Börnsen (Ritterhude), Tilo Braune, Alfred Hartenbach, Gerd Höfer, Erwin Horn, Barbara Imhof, Hans-Ulrich Klose, Werner Labsch, Dr. Christine Lucyga, Rudolf Purps, Hermann Rappe (Hildesheim), Reinhold Robbe, Gerhard Rübenkönig, Dr. Emil Schnell und Peter Zumkley (alle SPD) zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Allgemeinen Magnetschwebebahngesetzes - Drucksachen 13/3104 und 13/4527 Nr. 2 - am 9. Mai 1996e): Wir erklären, daß wir dem Gesetzentwurf zugestimmt haben. *) Vergleiche Plenarprotokoll 13/104, Seite 9116B, C. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Rede zu Tagesordnungspunkt 16a bis g (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz, Zweites Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch, Wachstum- und Beschäftigungsförderungs-Ergänzungsgesetz, Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz u. a.) Waltraud Lehn (SPD): Was uns ausgerechnet der für Gesundheit zuständige Minister hier vorlegt, läßt sich auch so beschreiben: „G" wie „Gnadenlose Klientelpolitik", „I" wie „Ignoranz der Proteste Hunderttausender", „F" wie „Folgenschwere Flickschusterei" , „T" wie „Tiefschlag gegen soziale Gerechtigkeit", mit einem Wort: Gift! Dieses Gift stammt aus der Küche des Herrn Kohl. Die Zutaten wurden von der F.D.P. geliefert, zusammengeführt haben sie die Giftköche Blüm und Seehofer, und heute entscheidet sich, wer das Gift unters Volk bringen wird. Eines ist allerdings sicher: Die SPD wird es nicht sein! Der Hartnäckigkeit der SPD ist es bereits zu verdanken, daß den Sozialhilfeempfängern die Giftpille, die die Bundesregierung für sie vorgesehen hatte, erspart bleibt. Zwar ist aus ihr auch keine wohlschmeckende Medizin geworden, aber ihre toxische Wirkung konnte wenigstens neutralisiert werden. Die unsozialen und ungerechten Vorstellungen der Bundesregierung zur Sozialhilfe konnten sich im Vermittlungsausschuß nicht durchsetzen. Es ist der SPD gelungen, zwar nicht ihre gesamten Vorstellungen durchzusetzen, aber gravierende Verbesserungen gegenüber dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition konnten erreicht werden. Mit der Verhinderung der von der Bundesregierung für 1997 vorgesehenen Nullrunde und der Verhinderung eines fünfzehnprozentigen Abstandgebotes zwischen Sozialhilfe und Nettolöhnen konnten wir einen weiteren Stein aus dem unsozialen Kürzungsmosaik der Bundesregierung herausbrechen. Heute beraten wir das zwölfte Sparpaket in der Regierungszeit Kohl. Die Verfallszeiten der Kabinettsbeschlüsse werden immer kürzer. Die Arbeitsweise wird immer hektischer, die Ergebnisse immer mangelhafter, und die Verläßlichkeit und Berechenbarkeit dieser Bundesregierung nimmt immer weiter ab. Nach einer völlig überzogenen Mißbrauchsdebatte - also nach der Phase des Giftschleuderns - kommt jetzt der Angriff auf den Sozialstaat im Kern. Einen Hauptbestandteil zum Giftpaket der Bundesregierung hat Bundesgesundheitsminister Seehofer mit dem Beitragsentlastungsgesetz geliefert. Sein Gesetzentwurf ist ein reines Leistungskürzungsgesetz. Mit seiner unsozialen Belastung des einzelnen Kranken fügt er sich aber nahtlos in das Gesamtwerk dieser Bundesregierung ein. Sie verfolgt unter dem Deckmantel des Sparens nur ein Ziel wirklich ernsthaft: den Sozialabbau. Dafür kündigt sie den überparteilichen Sozialstaat-Konsens einseitig auf. Krankheit soll nicht mehr als ein Lebensrisiko von der Solidargemeinschaft abgesichert werden. Nein, zukünftig soll es ein individuelles Schicksal sein, mit dem der einzelne nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten selbst fertigwerden muß. Leistungskürzungen, -ausgrenzungen und Zuzahlungen belasten schon heute vor allem schwer oder chronisch Kranke und sind sozial völlig unausgewogen. Die von Bundesgesundheitsminister Seehofer jetzt geplanten weiteren Belastungen für die Versicherten werden jeden Arbeitnehmer/jede Arbeitnehmerin teuer zu stehen kommen, übrigens die durchschnittlich verdienenden am teuersten. Was soll denn nun eigentlich passieren? Die Erhöhung der Zuzahlung bei Arzneimitteln um jeweils 1 DM schafft einen giftigen Vorgeschmack für den, der Medikamente selten braucht. Speiübel wird dem, der viele Medikamente einnehmen muß. Die lange Wirkungszeit von Gift zeigt sich im Wegfall der Zuschüsse für ein Brillengestell: Was mit Zuzahlung beginnt, endet bei dieser Bundesregierung mit Leistungsausgrenzung. In diese Kategorie fällt auch die Streichung des Zuschusses für Versicherte unter 19 Jahren für Zahnersatz - und zwar sein Leben lang. Lapidar verweisen die Gesundheitspolitiker der Koalition auf die Prophylaxe, die schließlich in der Verantwortung eines jeden selbst liege. Aber welche Verantwortung trägt eigentlich ein Kind für die Vernachlässigung der Zahngesundheit durch seine Eltern? Und wie soll man einem heute 17jährigen erklären, daß er zwar lebenslang für den 19jährigen über die solidarische Krankenversicherung zahlen soll, selber aber aus diesem Leistungsbereich niemals etwas in Anspruch nehmen kann? Das Ziel der F.D.P. und ihres Erfüllungsgehilfen Seehofer ist klar, hier geht es nicht so sehr um eine Einsparung im Gesundheitswesen, sondern dies ist der erste Schritt, den Zahnersatz langfristig ganz aus dem Leistungskatalog der GKV zu streichen. Daß dies für viele Menschen eine zahnlose Zukunft bedeutet, scheint ihn nicht zu stören. Eine besonders hohe Dosis schnellwirkender Giftbestandteile ist die vorgesehene Absenkung des Krankengeldes um 10 Prozent, die ein Einsparvolumen von jährlich zirka 2 Milliarden DM bringen soll. Hier wird der unsoziale Charakter der Streichungsorgie dieser Bundesregierung besonders deutlich. Zum einen werden ausschließlich schwerkranke Versicherte betroffen. Zum anderen wird der Leistungsanspruch willkürlich bei einer Leistung abgesenkt, bei der Mißbrauch ausgeschlossen ist - und bei der die Höhe des Anspruches erworben wurde durch die geleisteten Beitragszahlungen. Die Kürzungsvorschläge bei Kuren finden nach der Rasenmähermethode statt. Das heißt: Giftversprengen und mal sehen, wen es trifft. Bei Vorliegen einer medizinischen Indikation macht es keinen Sinn, die Kurdauer zu verkürzen, den Wiederholungsintervall zu verlängern, die Zuzahlung zu erhöhen oder eine Urlaubsanrechnung vorzunehmen. Bei der Streichliste der Gesundheitsförderung hat die Regierung inzwischen selbst den Rückzug angetreten. Trotzdem ist die Gesundheitsfürsorge damit noch nicht gerettet. Wichtige prophylaktische und begleitende Arbeit leisten nicht nur die Selbsthilfegruppen, sondern auch die betriebliche Gesundheitsförderung und die vielen Kooperationspartner der Krankenkassen, angefangen von den Sportvereinen bis zu den Volkshochschulen. Gerade die Sportvereine erfüllen - von vielen unbeachtet - in hervorragender Weise die Aufgabe der Gesundheitsförderung durch Sport. Im Jahr 1995 gab es zum Beispiel allein 4 000 ambulante Trainingsgruppen für Herzgeschädigte, in denen Patienten, die früher sechs Wochen untätig im Bett lagen, durch Sport erfolgreich rehabilitiert wurden. Wer aber die Eigenverantwortung propagiert, der darf die Voraussetzungen und die Unterstützung nicht einstellen. Bundesgesundheitsminister Seehofer beklagt finanzielle Defizite, wird nicht müde, Beitragsstabilität anzumahnen und begründet damit seine geplanten Leistungskürzungen für die Versicherten. Gleichzeitig beschließt die Bundesregierung aber rückwirkend zum 1. Januar 1995 ein Gesetz, das die ärztlichen Honorare um 840 Millionen DM anhebt. Aber damit nicht genug: Auch bei den Arzneimitteln gibt es Klientelpolitik der F.D.P. den Ton an. Auf der einen Seite wird von den Patienten eine höhere Zuzahlung für Arzneimittel verlangt, auf der anderen Seite wird die Positivliste für Arzneimittel gestrichen und zusätzlich noch die Festbetragsregelung in den Stufen I und II faktisch ausgehebelt. All das läuft auf eine Schwächung des Solidarpaktes hinaus. Dabei wäre es möglich und vor allem auch besser, Solidarität zu stärken, anstatt sie immer weiter abzubauen. Im Gegensatz dazu steht das Produkt aus der Kohl-schen Küche, das nur eine Bezeichnung verdient: Gift! „G" wie „gegen die Frauen", „gegen die Jugend", „gegen die Kranken", „gegen die Alten" und „gegen eine Zukunft der sozialen Sicherheit und des sozialen Friedens" , „I" wie „irreführend für die 6 Millionen Arbeitssuchenden, die ernsthaft auf Arbeitsplätze hoffen", „F" wie „folgenschwer für alle, die ernsthaft erkranken" , „T" wie „total versagend für eine zukünftige Weiterentwicklung des Gesundheitswesens". Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Renate Diemers (CDU/CSU) zur Abstimmung über die Gesetze im Rahmen des Programms „Für mehr Wachstum und Beschäftigung" (Tagesordnungspunkt 16) Ich stimme den Gesetzentwürfen zu, da ich die Intention und Wichtigkeit, Arbeitsplätze zu schaffen und Eigenverantwortlichkeit zu stärken, ausdrücklich unterstütze. Meine Vorbehalte gegen Teile dieser Entwürfe, die verstärkt Frauen und Familien besonders nachteilig betreffen können, halte ich jedoch aufrecht. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Otto Regenspurger (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Bezügefortzahlung bei Krankheit (Tagesordnungspunkt 16d) Ich werde nach sorgfältiger Prüfung dem Gesetzentwurf nicht zustimmen und mich der Stimme enthalten. Ich kann dem Gesetzentwurf deshalb nicht zustimmen, weil die Einschränkung der Bezügefortzahlung nach meiner Auffassung den tragenden und verfassungsfesten Grundsätzen des Berufsbeamtentums widerspricht. Das Alimentations- und das Lebenszeitprinzip bedeuten zwingend, daß Leistung und Gegenleistung sich nicht nach Zeitabschnitten sondern als Gesamtleistung gegenüberstehen. Es ist verfassungsrechtlich und politisch unzulässig, an den Bindungen des Beamten festzuhalten, die Rechtsstellung aber für frei disponibel zu erklären. Auch verstößt dieser Gesetzentwurf nach meiner Meinung gegen Artikel 3 GG. Ich werde den Gesetzentwurf allerdings auch nicht ablehnen, weil ich erst recht keine Bestrebungen unterstützen kann, die - entsprechend langfristiger Planungen von SPD und von Bündnis 90/Die Grünen - letztlich darauf hinauslaufen, das Beamtenverhältnis endgültig zu einem Arbeitnehmerverhältnis mit anderem Namen umzugestalten. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Werner Dörflinger (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (Tagesordnungspunkt 16f) Die beiden Gesetze enthalten u. a. Vorschriften, die durch spürbare Einschnitte im Kurwesen zu einer Rückführung der Beiträge in der Rentenversicherung und in der Krankenversicherung beitragen sollen. Während ich die mit den Gesetzen angestrebten Einsparziele grundsätzlich für notwendig halte und von daher auch gesetzgeberischen Handlungsbedarf akzeptiere, befürchte ich vor dem Hintergrund der herausragenden Bedeutung des Kurwesens in meinem Wahlkreis negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere deswegen, weil alle vorgesehenen Maßnahmen zum gleichen Zeitpunkt greifen. Ich habe mich deswegen dafür eingesetzt, grundsätzlich an den Einsparmaßnahmen festzuhalten, sie aber vom Inkrafttreten her zeitlich so zu entzerren, daß den betroffenen Betrieben und Kurorten genügend Zeit bleibt, sich auf die neue Situation einzustellen und die beschäftigungspolitischen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten, besonders im Reha-Bereich, wo zu den Einzelmaßnahmen die Budgetierung auf dem Stand des Jahres 1993 hinzukommt. Auch wenn ich mich mit diesen Vorschlägen nicht durchsetzen konnte, stimme ich den Gesetzen insgesamt zu, weil ich sie als Bestandteil der Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung für unverzichtbar halte. Anlage 7 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuß - Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur strukturellen Weiterentwicklung des öffentlichen Dienstrechts - Drucksachen 11/3129, 13/725 Nr. 10 - Ausschuß für Wirtschaft - Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresgutachten 1995/96 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - Drucksache 13/3016 - Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/3668 Nr. 1.12 Innenausschuß Drucksache 13/4514 Nr. 1.6 Drucksache 13/4514 Nr. 2.5 Rechtsausschuß Drucksache 13/218 Nr. 9 Drucksache 13/725 Nr. 50 Drucksache 13/1614 Nr. 1.3 Drucksache 13/3286 Nr. 2.1 Drucksache 13/4466 Nr. 1.1 Finanzausschuß Drucksache 13/4678 Nr. 2.49 Haushaltsausschuß Drucksache 13/4514 Nr. 2.27 Drucksache 13/4514 Nr. 2.43 Drucksache 13/4514 Nr. 2.45 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/3938 Nr. 2.33 Drucksache 13/4137 Nr. 2.29 Drucksache 13/4137 Nr. 2.50 Drucksache 13/4466 Nr. 2.9 Drucksache 13/4466 Nr. 2.11 Drucksache 13/4466 Nr. 2.13 Drucksache 13/4466 Nr. 2.14 Drucksache 13/4466 Nr. 2.15 Drucksache 13/4466 Nr. 2.16 Drucksache 13/4466 Nr. 2.17 Drucksache 13/4466 Nr. 2.19 Drucksache 13/4466 Nr. 2.23 Drucksache 13/4466 Nr. 2.25 Drucksache 13/4466 Nr. 2.27 Drucksache 13/4466 Nr. 2.34 Drucksache 13/4466 Nr. 2.35 Drucksache 13/4466 Nr. 2.41 Drucksache 13/4466 Nr. 2.43 Drucksache 13/4466 Nr. 2.62 Drucksache 13/4514 Nr. 2.48 Drucksache 13/4636 Nr. 3.2 Drucksache 13/4678 Nr. 2.24 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/3286 Nr. 2.21 Drucksache 13/3668 Nr. 2.17 Drucksache 13/3938 Nr. 1.1 Drucksache 13/3938 Nr. 2.3 Drucksache 13/3938 Nr. 2.8 Drucksache 13/3938 Nr. 2.10 Drucksache 13/4137 Nr. 2.21 Drucksache 13/4137 Nr. 2.26 Drucksache 13/4137 Nr. 2.31 Drucksache 13/4137 Nr. 2.34 Drucksache 13/4137 Nr. 2.41 Drucksache 13/4137 Nr. 2.42 Drucksache 13/4137 Nr. 2.53 Drucksache 13/4137 Nr. 2.64 Drucksache 13/4137 Nr. 2.68 Drucksache 13/4466 Nr. 2.30 Drucksache 13/4466 Nr. 2.39 Drucksache 13/4466 Nr. 2.47 Drucksache 13/4466 Nr. 2.60 Drucksache 13/4514 Nr. 2.3 Drucksache 13/4514 Nr. 2.9 Drucksache 13/4514 Nr. 2.38 Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 13/4514 Nr. 2.15 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/4466 Nr. 2.7 Drucksache 13/4466 Nr. 2.38 Drucksache 13/4466 Nr. 2.46 Drucksache 13/4466 Nr. 2.56 Drucksache 13/4466 Nr. 2.58 Drucksache 13/4636 Nr. 2.4 Drucksache 13/4678 Nr. 2.46 Drucksache 13/4921 Nr. 2.22 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/2988 Nr. 1.25 Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/614 Nr. 1.1 Drucksache 13/1442 Nr. 1.6 Drucksache 13/4137 Nr. 1.2 Drucksache 13/4466 Nr. 2.1 Drucksache 13/4466 Nr. 3.1
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    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 15. Juni dieses Jahres habe ich mit über 350 000 Menschen unseres Landes ein Verfassungsrecht wahrgenommen. Ich habe demonstriert.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Weil ein Bundesminister der Regierung Kohl dieses Verfassungsrecht heute morgen diskreditiert hat, will ich vor dem Deutschen Bundestag klarstellen, daß ich stolz darauf bin, in einem Land zu leben, das mir dieses Recht auf Demonstration per Verfassung zugesteht.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Ich will vor dem Deutschen Bundestag klarstellen: Ich schäme mich, daß diese Bundesregierung so weit heruntergekommen ist, dieses Verfassungsrecht durch einen Bundesminister im Deutschen Bundestag in Zweifel zu ziehen und zu diskreditieren.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Zweitens. Mein Parteivorsitzender, Oskar Lafontaine, hat heute morgen von diesem Pult aus erklärt, diese Regierung habe ein Programm vorgelegt, in dem nichts, aber auch gar nichts für die Jugend enthalten ist. Dieses ist wahr. Oskar Lafontaine, ich darf den Analogieschluß ziehen: Gut, daß nichts darin steht; denn wenn etwas darin stehen würde, wären es nur Kürzungen.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzessammelsurium soll ein Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und zur Stärkung des Standortes Deutschland im internationalen Wettbewerb geleistet werden - so behaupten es jedenfalls die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen.
    Die Diagnose der Bundesregierung, die diesen Gesetzentwürfen zugrunde liegt, ist durchaus richtig: Die ausufernde Massenarbeitslosigkeit ist unser Problem Numero 1 und muß endlich bekämpft werden. Die öffentlichen Haushalte sind in Unordnung und müssen konsolidiert werden. Der sich ständig verschärfende internationale Wettbewerb verlangt nach einer Stärkung der Wettbewerbskraft Deutschlands auf dem Weltmarkt.
    Die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. regiert dieses Land seit 14 Jahren. Angesichts der festgestellten schwerwiegenden Defizite, die unbestrittenermaßen bekämpft werden müssen, drängt sich zwangsläufig die Frage auf, was die seit 14 Jahren regierenden drei Parteien auf der rechten Seite des Hauses und die Regierung mit diesen nationalen politischen Defiziten eigentlich zu tun haben.
    Es gibt zwei Möglichkeiten für die Beantwortung dieser Frage. Variante 1. Die seit 14 Jahren regierende Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. hat mit den Problemen, die bekämpft werden müssen, nichts zu tun. Das ist jedenfalls der Eindruck, den die Regierung verbreiten möchte. Die logische Schlußfolgerung daraus lautet: Es hat in den vergangenen 14 Jahren keine Politik gegeben, weder eine richtige noch eine falsche, sondern schlicht nur ein Nichts, eine Art politische Geistesabwesenheit.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

    Nur eine Regierung, die nicht da war, kann für sich reklamieren, für den Zustand des Landes, das sie regieren sollte, nicht verantwortlich zu sein. Eine solche Regierung ist allerdings überflüssig.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Herr Kohl, Herr Waigel, Herr Blüm und Herr Seehofer, nachdem Sie für den Zustand des Landes, das Sie regieren, nicht verantwortlich sein wollen, müssen Sie abwesend gewesen sein. Erklären Sie uns bitte, wo Sie waren und wie eine so schwierige Lage entstehen konnte.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Variante 2. Die seit 14 Jahren regierende Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. hat mit den Problemen, die bekämpft werden müssen, etwas zu tun, und zwar ursächlich.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist wohl wahr!)

    Sie und Ihre doktrinäre, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik sind der maßgebliche Mitverursacher der Probleme von heute.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Damit wären wir bei der Wahrheit: Die Ursachen für die schwierige Lage, in der sich unser Land befindet, haben ihre Heimat am Kabinettstisch der Regierung Kohl und der dort formulierten Politik. Ich frage:

    Rudolf Dreßler
    Wenn an Hand der vorliegenden Gesetze diese Regierung jetzt die Botschaften „Massenarbeitslosigkeit bekämpfen", „Haushalt konsolidieren", „Wettbewerb stärken" verkündet, verleitet das nicht angesichts der politischen Ergebnisse der vergangenen 14 Jahre jeden vernünftigen Menschen zu der Hoffnung „Aha, die Regierung hat es begriffen; sie ändert ihre Politik; sie geht auf Gegenkurs"? - Weit gefehlt! Die Hoffnung trügt. Ein Blick in die Gesetzentwürfe belegt: Diese Regierung hat nichts begriffen. Sie setzt ihre Politik fort. Schlimmer noch, sie intensiviert sie: Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit durch Fortsetzung einer Politik, die diese Massenarbeitslosigkeit maßgeblich mit hervorgerufen hat; Konsolidierung der öffentlichen Haushalte durch Fortsetzung einer Politik, die diese Haushalte erst in Unordnung gebracht hat.
    Der DGB-Chef Dieter Schulte schrieb gestern an alle Mitglieder dieses Hauses einen Brief. Ich darf aus diesem Brief zitieren: Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung habe mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen beschlossen,
    das Verzichtsverbot des Tarifvertragsgesetzes im Hinblick auf Urlaubstarifverträge nicht anzuwenden. Damit wird ein massiver und prinzipieller Eingriff in Tarifverträge gesetzlich ermöglicht.
    Nun fordert er uns, meine Damen und Herren - mich, Sie, uns alle -, auf, unsere Zustimmung zu verweigern, um auf diese Weise den Herrn Bundeskanzler mit seiner Zusage vom 26. April 1996 zu bestätigen - Zitat Helmut Kohl -:
    Es wird nicht in bestehende Tarifverträge eingegriffen. Für über 80 Prozent der Arbeitnehmer ist die Lohnfortzahlung tarifvertraglich geregelt. Wir achten und respektieren die Tarifautonomie.
    Daher sage ich: Wenn Sie, F.D.P. und CDU/CSU, es heute wagen, dies zu beschließen, dann dokumentieren Sie vor dem deutschen Volk einen glasklaren, schriftlich vorgelegten Wortbruch Ihres eigenen Kanzlers. Ich muß Ihnen sagen: Schämen Sie sich!

    (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Vor wenigen Tagen fragte mich ein Bürger: Die von der Regierung geplante Verlängerung der Lebensarbeitszeit bringt doch bei Massenarbeitslosigkeit nicht weniger, sondern noch mehr Arbeitslose. Der Wegfall des Kündigungsschutzes für über 12 Millionen Menschen erleichtert doch nicht die Neueinstellung, sondern die Entlassung von Beschäftigten. Wissen die von der Regierung das denn nicht? - Ich habe ihm geantwortet: Sie wissen es nicht nur. Ich bin sicher, sie nehmen es bewußt in Kauf, und manche wollen es sogar.

    (Beifall bei der SPD)

    Letzteren, die es sogar wollen, geht es gar nicht um die Lösung der ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Probleme unseres Landes. Sie benutzen vielmehr diese Probleme, um unsere Gesellschaft entscheidend in ihrem Sinne zu verändern. Sie wollen
    weg von der Sozialen Marktwirtschaft und hin zu dem, was man früher Kapitalismus nannte.

    (Beifall bei der SPD und der PDS)

    Ich habe von dieser Aussage nichts zurückzunehmen, sondern kann die heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetze sogar als Beleg anführen, meine Damen und Herren.
    Daß eine Gesellschaft - die deutsche, wie auch jede andere - nicht nur aus Starken und Leistungsfähigen bestehen kann, ist doch eine Binsenweisheit. Es ist Aufgabe humaner und verantwortlicher Politik, jenen Mittelweg herauszufinden, der einerseits die Starken und Leistungsfähigen fördert und andererseits die weniger Leistungsfähigen und Starken einbezieht und sie am ökonomischen Fortschritt teilhaben läßt. Das nennt man übrigens sozialen Konsens. Von diesem sozialen Konsens hat sich die Regierung, haben sich die Regierungsfraktionen verabschiedet. Die heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetze belegen das in fast jedem einzelnen Paragraphen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Niemand bestreitet die ökonomischen Probleme unseres Landes. Niemand bestreitet, daß zu deren Lösung eine gemeinsame Kraftanstrengung notwendig ist. Es kann auch niemand allen Ernstes bestreiten, daß die Menschen zu dieser Kraftanstrengung bereit sind. Sie wissen, daß dies nicht ohne Einschränkungen für sie selbst vonstatten gehen kann. Auch dazu sind sie bereit. Was sie so erzürnt, ist die empörende Ungleichgewichtigkeit, mit der diese Kraftanstrengung nach Meinung der Regierung über die Bühne gebracht werden soll. Während sich die oberen Etagen unserer Gesellschaft bei dieser Operation in ihre Logen zurückziehen dürfen, sollen bei den unteren Etagen die Einsparungen fällig werden. Für die einen die Vermögensteuer abschaffen und bei den anderen die gesetzliche Erhöhung des Kindergeldes streichen, das treibt die Menschen in den Widerstand gegen diese Gesetze und die Politik der Regierung. Und sie haben recht, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die Politik von CDU/CSU und F.D.P. verzichtet gewollt auf das, was man in der Außen- und Verteidigungspolitik Burden-sharing nennen würde: die gerechte Lastenverteilung. Der Satz „Jeder trage des anderen Last" ist übrigens kein frommer Sonntagsspruch, sondern praktische Politikanleitung, erst recht sollte er es für eine Partei sein, die sich mit einem C im Namen schmückt, aber für die Politik dieser Koalition ist dies folgenlos.
    Wohin eine Gesellschaft kommt, die auf die Anwendung dieser Grundsätze verzichtet, kann man zum Beispiel in den Vereinigten Staaten besichtigen. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Norman Birnbaum von der Georgetown-Universität hat das wie folgt beschrieben: Die wachsende Ungleichheit zwischen Reichen und Armen sei gar nicht einmal das auffallendste Merkmal der US-Gesellschaft.

    Rudolf Dreßler
    Sondern: die scheußliche Atmosphäre des Sozialdarwinismus, der panische Kampf aller, die sich schwach fühlen, gegen die noch Schwächeren. Amerikaner begreifen sich selbst gern als individualistisch und frei. In der Grundschule sozialer Beziehungen, dem Arbeitsmarkt, sind die Amerikaner indes desorientiert, unterwürfig und ängstlich. Sie akzeptieren das Diktat des Kapitals als Naturgesetz.
    Treffender kann man nicht beschreiben, was uns droht, wenn diese Politik der Kohl-Regierung fortgesetzt wird.

    (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Über die Einzelheiten jedes Gesetzes, das wir heute beraten, kann man mit Fug und Recht streiten. Das ist nichts besonderes, was besorgt machen könnte. Besorgnis erregen muß vielmehr die Grundrichtung dieser Gesetzgebung: Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft soll verändert, ihre Substanz zu einer Art Resultat von ökonomischen Prozessen reduziert werden - nach dem Motto: Wenn die ökonomische Lage es gebietet, müssen wir die Struktur der Gesellschaft verändern.
    Die Sozialdemokraten werden diesen Wechsel der Grundrichtung nicht mitmachen. Menschen und Gesellschaft haben sich nicht den Bedürfnissen der Ökonomie anzupassen. Für uns gilt weiter das Credo der Sozialen Marktwirtschaft: Die Ökonomie hat den Bedürfnissen von Menschen und Gesellschaft zu dienen.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die heute zur Beratung anstehenden Gesetze provozieren nicht nur die Frage nach der Grundrichtung unseres Landes, nach dem Gewicht, das der Ökonomie im Gesamtkontext unserer Gesellschaft zukommt, oder nach der Notwendigkeit, ein vermeintliches Primat des Ökonomischen vor allen anderen Problembereichen akzeptieren zu müssen. Diese Gesetze provozieren auch die Frage, ob wir die gesellschaftspolitische Verpflichtung der Ökonomie und des Ökonomischen mittlerweile preisgegeben haben.
    Wer die Gesetzentwürfe der Koalition bewertet, der kommt zu der Auffassung, daß diese Verpflichtung in Wahrheit verneint wird. CDU/CSU und F.D.P. tun mit ihrem Kürzungspaket so, als werde man dieser Verpflichtung dadurch gerecht, daß man der wohlhabenderen Seite unserer Gesellschaft nur die Möglichkeit zu schaffen brauche, noch wohlhabender zu werden; der Rest stelle sich dann von ganz alleine ein.
    Sollten Sie es vergessen haben: Die gerechte Teilhabe aller an der nationalen Wohlfahrt stellt sich nie von alleine ein. Sie muß gewollt und politisch herbeigeführt werden. Ich frage die Koalition: Wollen Sie diese Teilhabe aller noch?

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, die wollen sie nicht mehr!)

    Ein Ja auf diese Frage wäre mit Ihrem Kürzungspaket nämlich unvereinbar. Ein Ja auf diese Frage verlangt vielmehr die unverzügliche politische Beerdigung der heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetze.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Die Koalition will die kurzfristigen Finanzierungsschwierigkeiten in der Rentenversicherung beheben. Das ist durchaus löblich, selbst wenn jeder weiß, daß die Politik dieser Regierung diese Finanzschwierigkeiten erst heraufbeschworen hat. Aber warum beseitigen Sie nicht die Ursachen dieser Schwierigkeiten - etwa indem Sie endlich die beitragsungedeckten Leistungen sachgerecht, das heißt aus Steuermitteln und nicht über Beitragsgroschen finanzieren?

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

    Statt dessen verscherbeln Sie unter anderem Tausende Wohnungen der Rentenversicherung und überlassen so über kurz oder lang die dort wohnenden Sozialmieter dem freien Markt. So sieht die Antwort von CDU/CSU und F.D.P. auf die Frage nach der sozialen Teilhabe aus.
    Warum mißbrauchen Sie diese kurzfristigen Schwierigkeiten in der Rentenversicherung, setzen eine Kommission ein, die nur ein einziges Ziel hat: die Erarbeitung einer neuen Rentenformel mit der Absicht einer Rentenkürzung?

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Biedenkopf läßt grüßen!)

    Eine vom Bundesarbeitsminister als Reform verkaufte Neuordnung des Arbeitsförderungsgesetzes, das heute noch nicht zur Beratung ansteht, gehört genau in diesen Zusammenhang. Diese sogenannte Reform macht aus dem Arbeitsförderungsgesetz eine politische Ruine. Auch hier gilt: Soziale Teilhabe für alle? Pustekuchen - so haben die Christdemokraten das nicht gemeint.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das alles zusammen macht deutlich: Es geht mit dieser Gesetzgebung nicht um Einzelfragen. Es geht um die Grundrichtung, es geht um die soziale Dimension dieser Republik.
    Diese Regierung - ausgezogen um geistige Führung geltend zu machen und die geistig-moralische Wende zu praktizieren - glänzt heute durch beinahe bedingungslose Anpassung an einen ebenso wertfreien wie inhumanen ökonomischen Zeitgeist.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wirtschaftlich-finanzieller Erfolg ist alles; soziales und mitmenschliches Engagement gelten nichts. Das ist das bisherige gesellschaftspolitische Ergebnis von 14 Jahren Helmut Kohl.

    Rudolf Dreßler
    Nehmen Sie als weiteres Beispiel das Gesundheitswesen. Der zuständige Minister hat heute morgen hier gesprochen. Er hat über dieses Gesetz kein Wort verloren. Er hat sich über den Vermittlungsausschuß ausgelassen, wo wir ihm die Nullrunde gegen Sozialhilfeempfänger abgehandelt haben. Das hat er heute verschwiegen, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerhard Jüttemann [PDS])

    Auch hier liegt unter dem Titel Beitragsentlastungsgesetz ein Vorhaben vor, das genau der gleichen Philosophie folgt:

    (Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]: Wo sind denn die Alternativen?)

    Den Menschen wird eingeredet, es werde ein bißchen gespart, aber eigentlich ändere sich am Leistungsbestand nichts. In Wirklichkeit aber bedeutet das im einzelnen: Erhöhung der Zuzahlungen bei Arzneimitteln mit 700 Millionen DM, Wegfall des Kassenanteils bei Brillenfassungen mit 300 Millionen DM, lebenslange Abschaffung des Zahnersatzes bei heute Jugendlichen mit 425 Millionen DM, Beschneidung der stationären Kuren mit 860 Millionen DM, Kürzung des Krankengeldes mit 1 850 Millionen DM, Einschränkung der Gesundheitsförderung mit 1 200 Millionen DM. Fast 5,5 Milliarden DM werden gespart, gekürzt, allerdings bei den Krankenkassen. Die gleiche Summe zahlen statt dessen dann die Kranken direkt, oder es werden ihnen die entsprechenden Leistungen gekürzt. Soll das gerechte Teilhabe sein? Jeder weiß: Das ist bloßes Abkassieren, meine Damen und Herren, und sonst überhaupt nichts.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Nun höre ich in diesen Debatten im Hause - heute morgen auch wieder - das Gebrabbele der Koalition und ihrer Minister: Nur Kritik der SPD, aber keine politische Alternative.

    (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!)

    Wie die Bundesregierung seit geraumer Zeit den Eindruck erwecken möchte, sie habe mit der Politik der letzten 14 Jahre nichts zu tun, und sich abwesend stellt, so stellen sich die Koalitionsfraktionen, was die sozialdemokratischen Alternativen betrifft, blind und taub zugleich.
    Was die Alternative zur Gesundheitspolitik der Koalition angeht, so frage ich Sie: Haben Sie noch nie etwas vom SPD-Entwurf eines Zweiten Gesundheitsstrukturgesetzes gehört?

    (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! Nie gehört!)

    - Er sagt gerade nein.

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie können nicht lesen!)

    Wenn ich das richtig verstehe, wollen Sie in wenigen
    Stunden in diesem Hause in zweiter Lesung diese Alternative ablehnen. Wie aber kann man eine Alternative im Parlament ablehnen und gleichzeitig behaupten, es gebe keine?

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Was die sozialdemokratische Alternative in der Arbeitsmarktpolitik angeht: Haben Sie noch nie etwas vom SPD-Entwurf eines Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes gehört? Das ist ein Gesetzentwurf, der im Gegensatz zur Politik Ihrer Regierung die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik nicht zerstört, sondern sie auf eine neue, solide Basis stellt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Was die politische Gesamtkonzeption angeht: Haben Sie noch nie etwas vom SPD-Programm mit dem Titel „Zukunft sichern, Zusammenhalt stärken" gehört?

    (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Lieber nicht!)

    Allerdings, meine Damen und Herren: Was die Verlängerung der Lebensarbeitszeit angeht oder den Wegfall des Kündigungsschutzes oder die Kürzung der Lohnfortzahlung, um nur drei Beispiele zu nennen,

    (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Hat Helmut Schmidt auch daran mitgearbeitet?)

    dazu gibt es keine sozialdemokratische Alternative.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    In der Abteilung „Soziale Grobheiten" gibt es keinen politischen Ideenwettbewerb zwischen Ihnen und uns. Da sagen wir schlicht und einfach nein. Wir lehnen das ab, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

    Wenn Sie und Ihre Regierung mit Ihrem Ruf nach Alternativen glauben oder geglaubt haben sollten, wir würden dazu welche vorlegen, dann räumen wir Ihnen gerne ein: Bei sozialen Grobheiten ist diese Regierung alternativlos. Ich versichere Ihnen: Das wird auch so bleiben.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Geben Sie sich keinen Illusionen hin, wenn es um die Verwirklichung Ihres Kürzungspaketes geht. Das steht noch lange nicht im Bundesgesetzblatt. Ein sozialdemokratisches Nein in der heutigen Schlußabstimmung ist für uns nicht nur eine Frage der gesellschaftspolitischen Pflicht. Es ist für uns auch eine Sache des sozialen Anstandes.

    (Beifall bei der SPD Zurufe von der CDU/ CSU)

    Sie haben heute morgen bereits erklärt und wollen noch erklären, was Sie alles an Korrekturen angeboten haben, zum Beispiel die Lebensarbeitszeitverlängerung für Frauen statt vom 1. Januar 1997 erst ab dem Jahr 2000,

    (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Donnerwetter!)


    Rudolf Dreßler
    keine Kündigungsschutzstreichung für Schwerbehinderte. Diese Art von Politik erinnert mich an die Fabel von der dreiköpfigen Räuberbande.

    (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Ja, genau!)

    Diese geht so, meine Damen und Herren: Eine dreiköpfige Räuberbande überfällt eine friedliebende Familie

    (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Familie?)

    - ja, Familie - und droht ihr mit vorgehaltenen Waffen, erstens die Herausgabe aller Wertpapiere, zweitens des gesamten Familienschmucks und drittens allen Bargeldes zu verlangen. Dann sagt der eine dieser drei Räuber, man wolle mal nicht so sein, man komme von der CDU und habe heute seinen sozialen Tag: Die Wertpapiere könne man behalten, aber der Familienschmuck und das Bargeld müßten auf den Tisch. Dann sagt der zweite Räuber, man komme von der CSU und sei noch sozialer: Auch den Familienschmuck könne man behalten, aber das Bargeld müsse herausgerückt werden.
    Was wird diese friedliebende Familie nun tun? Sie wird sich im Gefühl tiefster Dankbarkeit dafür, noch einmal von dem Schlimmsten davongekommen zu sein, geradezu liebevoll von ihrem Bargeld trennen. Nach dieser Masche machen Kohl, Waigel, Blüm, Seehofer und diese Koalition Sozialpolitik.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Billige Polemik!) Da sage ich Ihnen: nicht mit uns!


    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von Hans-Ulrich Klose
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P.

(Unruhe bei der SPD)

- Ich bitte um ein bißchen mehr Ruhe.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gisela Babel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dreßler, ich anerkenne, daß Sie uns mit Ihrer Rede unterhalten haben. Ich erkenne auch an, daß Sie in einigen Sätzen Ihrer Rede so das Gefühl erweckt haben, es könnte sein, daß Sie über die Misere, in der wir uns befinden, vielleicht wirklich nachdenken. Aber Sie haben
    - ebenso wie der Ministerpräsident Lafontaine - nicht den Eindruck erweckt, daß Ihnen etwas Gescheites einfällt.
    Ich habe mittlerweile den Eindruck, daß es in dem linken Lager dieses Hauses einen edlen Wettbewerb gibt, und zwar einen Wettbewerb darum, wer am schärfsten, am unbarmherzigsten und am brutalsten der Regierung ihre Missetaten vorwirft. Sie nehmen aber nicht den Wettbewerb darum auf, was für die Zukunft der deutschen Volkswirtschaft der richtige Weg ist.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zurufe von der SPD)

    Der Bundestag berät und beschließt die Gesetze, die das Programm für mehr Beschäftigung und mehr Wachstum umsetzen sollen. Das ist sicherlich nicht der Schlußpunkt. Es kommen ja noch Beratungen im Bundesrat. Es ist sicherlich auch nicht der Schluß der heftigen Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit. Aber wir haben ein wichtiges Etappenziel erreicht.
    Ich möchte an dieser Stelle auch einmal den Beamten aus dem BMA, den Mitarbeitern in den Ministerien und im Ausschußsekretariat für die ungewöhnliche Arbeitsleistung danken, die dieses Paket ihnen abgefordert hat.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zuruf von der SPD)

    Das vorgelegte Gesetzeswerk stellt einen gewaltigen politischen Kraftakt der Bundesregierung und der Koalition dar. Es setzt Zeichen,

    (Zuruf von der SPD: Brandzeichen!)

    Zeichen für die richtige Einsicht und die Bereitschaft zu entschlossenem Handeln. Diese Gesetze liefern den Beweis, daß wir in Deutschland fähig sind, auch steinige Wege zu beschreiten, wenn sie zum Ziel führen. Das Ziel will ich beschreiben: Es geht um die Sicherung des Standortes Deutschland,

    (Jörg Tauss [SPD]: Abbruch Sozialstaat!)

    den Erhalt der Produktion in Deutschland, um bessere Bedingungen für Investitionen, die Sicherung vorhandener Arbeitsplätze und die Verbesserung der Rückkehrchancen von Arbeitslosen in das Arbeitsleben.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Ich betone nachhaltig: Es geht nicht um Demontage des Sozialgefüges. Es geht nicht um Ausgrenzung,

    (Zuruf von der SPD: Doch!)

    um Schmälerung, um Ausplünderung, um all das, was die Opposition an Anschuldigungen sturzbachartig über uns ausschüttet.
    Ich lasse mir und meiner Fraktion das Ethos an den vorgelegten Gesetzen und der damit verbundenen Politik nicht absprechen. Deutschland ist Sozialstaat und bleibt Sozialstaat. Es geht darum, daß wir in den Sozialversicherungen vorsichtig Einsparungen vornehmen

    (Zuruf von der SPD)

    und daß wir im Arbeitsrecht vorsichtig Lockerungen vornehmen, im ersten Fall um Kosten zu senken, im zweiten Fall, um Hemmnisse zu beseitigen.
    Wenn alle, die in der Wirtschaft tätig sind und Verantwortung für ihre Beschäftigten tragen, sowie die Sachverständigen in der Wissenschaft immer wieder anmahnen, daß es nachhaltige, daß es wirksame Maßnahmen in dieser Richtung geben müsse, dann war es auch richtig, daß die Politik dem jetzt Folge leistet: Senkung der Lohnnebenkosten, Sanierung

    Dr. Gisela Babel
    der Rentenversicherung und die Lockerung im Arbeitsrecht.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Wir alle wissen - meistens beklagen wir sogar auch gemeinsam -, daß die Lohnzusatzkosten in der Summe kontinuierlich ansteigen. Einsparungen dienen dazu, diesen Anstieg zu bremsen und mittelfristig Kosten zu senken.

    (Jörg Tauss [SPD]: Die ändern doch nichts am System!)

    Die SPD stellt meistens sogar diese Krise in Abrede. Schon in der Diagnose driftet sie ins Ungefähre. Sie können doch nicht im Ernst wegdebattieren, wegdemonstrieren oder auch nur wegstreiken, daß die deutschen Arbeitskosten in der Industrie im internationalen Vergleich am höchsten sind. Sie können auch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß Arbeitgeber Arbeitsplätze hier abbauen und ins Ausland exportieren.
    Es muß Ihnen zu denken geben: Wenn sich Firmen wie Viessmann in Hessen mit ihrer Belegschaft einigen, daß länger gearbeitet wird, ist dies doch ein Zeichen dafür, daß die Arbeitsplätze hier in Deutschland auch erhalten werden können, wenn sich die Rahmenbedingungen verbessern.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Aber, meine Damen und Herren, die IG Metall klagt dagegen. Will sie lieber den Export von Arbeitsplätzen?

    (Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch Erpressung des Wortes! Nichts anderes!)

    Zur Kostenentlastung tragen wir als Gesetzgeber bei, wenn wir versuchen, die sozialen Sicherungssysteme zu sanieren.

    (Jörg Tauss [SPD]: Die Wahrheit tut weh, Herr Glos!)

    Nun mag man über den Weg zur Einsparung vor allem in der Rentenversicherung streiten. Die Koalition hat sich entschieden, auf der Ausgabenseite zu sparen. Die Anerkennung von Ausbildungszeiten wird verringert, die Leistungen im Rahmen des Fremdrentengesetzes an Aussiedler werden begrenzt, dem explosionsartigen Ausgabenzuwachs bei der Rehabilitation schieben wir einen Riegel vor.
    Weitgehend rückgängig gemacht hat die Koalition die Veränderung bei der Altersgrenze der Frauen. Bis zum Jahre 2000, vorher 2001, können Frauen nach wie vor mit 60 Jahren in Rente gehen. Das ist eine Folge des Vertrauensschutzes, den wir - ich sage das auch selbstkritisch - von Anfang an ernster hätten nehmen müssen.
    Für die Betroffenen sind die Maßnahmen einschneidend und zum Teil schmerzhaft. Sie betreffen übrigens ausschließlich Arbeitnehmer, die noch nicht in Rente sind. Über die Möglichkeiten, bei den heutigen Renten zu sparen, kann erst entschieden werden, wenn die Rentenkommission die langfristigen Sanierungsvorschläge erarbeitet. Ich sage es aber an dieser Stelle offen: Wenn in Deutschland gespart werden muß, dann kann sich das nicht nur auf Erwerbstätige und ihre Familien beschränken, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Über eines müssen sich alle Politiker einig sein: Die Rentenversicherung ist ein schwerer Tanker, der sich nicht in kurzer Zeit in andere Richtungen lenken läßt.

    (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

    Das Vertrauen in die Rentenversicherung ist fast gleichbedeutend mit dem Vertrauen in den Staat.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Deshalb sind bei allen Korrekturen längere Zeiträume und vosichtiges Manövrieren zu beachten.
    Was hat die SPD in diesem Feld entgegenzusetzen? Ihre Bemühungen um echte Alternativen wirken hilflos. Im Grunde wird das Zauberwort von den versicherungsfremden Leistungen bemüht, die der Bund finanzieren soll. Fremdrenten, Auffüllbeträge und Kosten der Wiedergutmachung von DDR-Unrecht sollen vom Bund getragen werden. Finanziert werden soll das Ganze von einem Aktionsprogramm gegen Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung.
    Nun bin ich durchaus dafür, daß wir soziale Leistungen korrekt finanzieren und Wirtschaftsverbrechen wirksam bekämpft werden.

    (Jörg Tauss [SPD]: Das ist die Frage!)

    Aber das ist doch kein Mittel für eine Sozialreform. Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, daß wir die Reform wollen, daß wir einsparen wollen, daß wir das System neuen gesellschaftlichen Verhältnissen anpassen und modernisieren wollen. Sie wollen alles so lassen, wie es ist, und neue Geldquellen suchen.

    (Ina Albowitz [F.D.P.]: Suchen? Die suchen noch nicht einmal mehr!)

    Gestern war es die Ökosteuer, heute ist es das Aktionsprogramm gegen Wirtschaftskriminalität, morgen wird es ein Sonderopfer aller Arbeitnehmer sein, deren Verdienst das eines Gewerkschaftssekretärs übersteigt. Ihre Vorschläge sind teuer, beliebig, willkürlich und konzeptionslos.

    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich komme zu den Einsparungen in der Krankenversicherung. Die Beitragssätze für die Krankenversicherung werden zum 1. Januar 1997 um 0,4 Beitragspunkte gesenkt. Dies ist eine sehr eindrucksvolle Maßnahme, aus liberaler Sicht nicht ganz bedenkenfrei, weil wir immer noch gerne auf die Sparaktionen der Selbstverwaltung setzen würden. Aber auch hier drängt die Zeit und zwingt der Kostenanstieg zu raschem und energischem Handeln.

    Dr. Gisela Babel
    Eines ist sicher und wurde immer von uns Liberalen betont: Die Krankenversicherung kann nicht mehr alles bezahlen, was wünschenswert ist. Sie muß sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das Wesentliche ist die Behandlung kranker Menschen.
    Bestimmt ist eine allgemeine Gesundheitsförderung sinnvoll. Joggen und Aerobic tun sicherlich gut, und die Aufklärung über richtige Ernährung ist wichtig. Aber die Aufgabe einer von Arbeitgebern und Arbeitnehmern solidarisch finanzierten Krankenversicherung ist das alles nicht, muß es auch nicht sein.

    (Beifall bei der F.D.P.)

    Es erscheint wirklich vertretbar, daß die Eigenverantwortung hier wieder zu ihrem Recht kommt. Dem einzelnen müssen wieder die Sorgen für den Erhalt der Gesundheit anvertraut werden.
    In dieselbe Richtung gehen auch die Vorschläge, den Zuschuß zum Brillengestell und zum Zahnersatz für junge Leute zu streichen. Das ist vernünftig und zumutbar,

    (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Warum? Was ist daran vernünftig?)

    aber wahrscheinlich noch nicht genug. Wir brauchen weitere strukturelle Änderungen. Diese strukturellen Änderungen werden durch die Blockade von SPD und Grünen schon in ersten Ansätzen zerstört. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, auch Sie können nicht wollen, daß wir sehenden Auges eines Tages nur noch vor der Alternative stehen: Wollen wir Gesundheitsvorsorge, Streßbewältigung und Jazztanz finanzieren - oder den Bypass und die Organtransplantation?

    (Jörg Tauss [SPD]: Wiederholung macht nicht besser!)