Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 15. Juni dieses Jahres habe ich mit über 350 000 Menschen unseres Landes ein Verfassungsrecht wahrgenommen. Ich habe demonstriert.
Weil ein Bundesminister der Regierung Kohl dieses Verfassungsrecht heute morgen diskreditiert hat, will ich vor dem Deutschen Bundestag klarstellen, daß ich stolz darauf bin, in einem Land zu leben, das mir dieses Recht auf Demonstration per Verfassung zugesteht.
Ich will vor dem Deutschen Bundestag klarstellen: Ich schäme mich, daß diese Bundesregierung so weit heruntergekommen ist, dieses Verfassungsrecht durch einen Bundesminister im Deutschen Bundestag in Zweifel zu ziehen und zu diskreditieren.
Zweitens. Mein Parteivorsitzender, Oskar Lafontaine, hat heute morgen von diesem Pult aus erklärt, diese Regierung habe ein Programm vorgelegt, in dem nichts, aber auch gar nichts für die Jugend enthalten ist. Dieses ist wahr. Oskar Lafontaine, ich darf den Analogieschluß ziehen: Gut, daß nichts darin steht; denn wenn etwas darin stehen würde, wären es nur Kürzungen.
Mit dem heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetzessammelsurium soll ein Beitrag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und zur Stärkung des Standortes Deutschland im internationalen Wettbewerb geleistet werden - so behaupten es jedenfalls die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen.
Die Diagnose der Bundesregierung, die diesen Gesetzentwürfen zugrunde liegt, ist durchaus richtig: Die ausufernde Massenarbeitslosigkeit ist unser Problem Numero 1 und muß endlich bekämpft werden. Die öffentlichen Haushalte sind in Unordnung und müssen konsolidiert werden. Der sich ständig verschärfende internationale Wettbewerb verlangt nach einer Stärkung der Wettbewerbskraft Deutschlands auf dem Weltmarkt.
Die Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. regiert dieses Land seit 14 Jahren. Angesichts der festgestellten schwerwiegenden Defizite, die unbestrittenermaßen bekämpft werden müssen, drängt sich zwangsläufig die Frage auf, was die seit 14 Jahren regierenden drei Parteien auf der rechten Seite des Hauses und die Regierung mit diesen nationalen politischen Defiziten eigentlich zu tun haben.
Es gibt zwei Möglichkeiten für die Beantwortung dieser Frage. Variante 1. Die seit 14 Jahren regierende Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. hat mit den Problemen, die bekämpft werden müssen, nichts zu tun. Das ist jedenfalls der Eindruck, den die Regierung verbreiten möchte. Die logische Schlußfolgerung daraus lautet: Es hat in den vergangenen 14 Jahren keine Politik gegeben, weder eine richtige noch eine falsche, sondern schlicht nur ein Nichts, eine Art politische Geistesabwesenheit.
Nur eine Regierung, die nicht da war, kann für sich reklamieren, für den Zustand des Landes, das sie regieren sollte, nicht verantwortlich zu sein. Eine solche Regierung ist allerdings überflüssig.
Herr Kohl, Herr Waigel, Herr Blüm und Herr Seehofer, nachdem Sie für den Zustand des Landes, das Sie regieren, nicht verantwortlich sein wollen, müssen Sie abwesend gewesen sein. Erklären Sie uns bitte, wo Sie waren und wie eine so schwierige Lage entstehen konnte.
Variante 2. Die seit 14 Jahren regierende Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. hat mit den Problemen, die bekämpft werden müssen, etwas zu tun, und zwar ursächlich.
Sie und Ihre doktrinäre, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik sind der maßgebliche Mitverursacher der Probleme von heute.
Damit wären wir bei der Wahrheit: Die Ursachen für die schwierige Lage, in der sich unser Land befindet, haben ihre Heimat am Kabinettstisch der Regierung Kohl und der dort formulierten Politik. Ich frage:
Rudolf Dreßler
Wenn an Hand der vorliegenden Gesetze diese Regierung jetzt die Botschaften „Massenarbeitslosigkeit bekämpfen", „Haushalt konsolidieren", „Wettbewerb stärken" verkündet, verleitet das nicht angesichts der politischen Ergebnisse der vergangenen 14 Jahre jeden vernünftigen Menschen zu der Hoffnung „Aha, die Regierung hat es begriffen; sie ändert ihre Politik; sie geht auf Gegenkurs"? - Weit gefehlt! Die Hoffnung trügt. Ein Blick in die Gesetzentwürfe belegt: Diese Regierung hat nichts begriffen. Sie setzt ihre Politik fort. Schlimmer noch, sie intensiviert sie: Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit durch Fortsetzung einer Politik, die diese Massenarbeitslosigkeit maßgeblich mit hervorgerufen hat; Konsolidierung der öffentlichen Haushalte durch Fortsetzung einer Politik, die diese Haushalte erst in Unordnung gebracht hat.
Der DGB-Chef Dieter Schulte schrieb gestern an alle Mitglieder dieses Hauses einen Brief. Ich darf aus diesem Brief zitieren: Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung habe mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen beschlossen,
das Verzichtsverbot des Tarifvertragsgesetzes im Hinblick auf Urlaubstarifverträge nicht anzuwenden. Damit wird ein massiver und prinzipieller Eingriff in Tarifverträge gesetzlich ermöglicht.
Nun fordert er uns, meine Damen und Herren - mich, Sie, uns alle -, auf, unsere Zustimmung zu verweigern, um auf diese Weise den Herrn Bundeskanzler mit seiner Zusage vom 26. April 1996 zu bestätigen - Zitat Helmut Kohl -:
Es wird nicht in bestehende Tarifverträge eingegriffen. Für über 80 Prozent der Arbeitnehmer ist die Lohnfortzahlung tarifvertraglich geregelt. Wir achten und respektieren die Tarifautonomie.
Daher sage ich: Wenn Sie, F.D.P. und CDU/CSU, es heute wagen, dies zu beschließen, dann dokumentieren Sie vor dem deutschen Volk einen glasklaren, schriftlich vorgelegten Wortbruch Ihres eigenen Kanzlers. Ich muß Ihnen sagen: Schämen Sie sich!
Vor wenigen Tagen fragte mich ein Bürger: Die von der Regierung geplante Verlängerung der Lebensarbeitszeit bringt doch bei Massenarbeitslosigkeit nicht weniger, sondern noch mehr Arbeitslose. Der Wegfall des Kündigungsschutzes für über 12 Millionen Menschen erleichtert doch nicht die Neueinstellung, sondern die Entlassung von Beschäftigten. Wissen die von der Regierung das denn nicht? - Ich habe ihm geantwortet: Sie wissen es nicht nur. Ich bin sicher, sie nehmen es bewußt in Kauf, und manche wollen es sogar.
Letzteren, die es sogar wollen, geht es gar nicht um die Lösung der ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Probleme unseres Landes. Sie benutzen vielmehr diese Probleme, um unsere Gesellschaft entscheidend in ihrem Sinne zu verändern. Sie wollen
weg von der Sozialen Marktwirtschaft und hin zu dem, was man früher Kapitalismus nannte.
Ich habe von dieser Aussage nichts zurückzunehmen, sondern kann die heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetze sogar als Beleg anführen, meine Damen und Herren.
Daß eine Gesellschaft - die deutsche, wie auch jede andere - nicht nur aus Starken und Leistungsfähigen bestehen kann, ist doch eine Binsenweisheit. Es ist Aufgabe humaner und verantwortlicher Politik, jenen Mittelweg herauszufinden, der einerseits die Starken und Leistungsfähigen fördert und andererseits die weniger Leistungsfähigen und Starken einbezieht und sie am ökonomischen Fortschritt teilhaben läßt. Das nennt man übrigens sozialen Konsens. Von diesem sozialen Konsens hat sich die Regierung, haben sich die Regierungsfraktionen verabschiedet. Die heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetze belegen das in fast jedem einzelnen Paragraphen.
Niemand bestreitet die ökonomischen Probleme unseres Landes. Niemand bestreitet, daß zu deren Lösung eine gemeinsame Kraftanstrengung notwendig ist. Es kann auch niemand allen Ernstes bestreiten, daß die Menschen zu dieser Kraftanstrengung bereit sind. Sie wissen, daß dies nicht ohne Einschränkungen für sie selbst vonstatten gehen kann. Auch dazu sind sie bereit. Was sie so erzürnt, ist die empörende Ungleichgewichtigkeit, mit der diese Kraftanstrengung nach Meinung der Regierung über die Bühne gebracht werden soll. Während sich die oberen Etagen unserer Gesellschaft bei dieser Operation in ihre Logen zurückziehen dürfen, sollen bei den unteren Etagen die Einsparungen fällig werden. Für die einen die Vermögensteuer abschaffen und bei den anderen die gesetzliche Erhöhung des Kindergeldes streichen, das treibt die Menschen in den Widerstand gegen diese Gesetze und die Politik der Regierung. Und sie haben recht, meine Damen und Herren.
Die Politik von CDU/CSU und F.D.P. verzichtet gewollt auf das, was man in der Außen- und Verteidigungspolitik Burden-sharing nennen würde: die gerechte Lastenverteilung. Der Satz „Jeder trage des anderen Last" ist übrigens kein frommer Sonntagsspruch, sondern praktische Politikanleitung, erst recht sollte er es für eine Partei sein, die sich mit einem C im Namen schmückt, aber für die Politik dieser Koalition ist dies folgenlos.
Wohin eine Gesellschaft kommt, die auf die Anwendung dieser Grundsätze verzichtet, kann man zum Beispiel in den Vereinigten Staaten besichtigen. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Norman Birnbaum von der Georgetown-Universität hat das wie folgt beschrieben: Die wachsende Ungleichheit zwischen Reichen und Armen sei gar nicht einmal das auffallendste Merkmal der US-Gesellschaft.
Rudolf Dreßler
Sondern: die scheußliche Atmosphäre des Sozialdarwinismus, der panische Kampf aller, die sich schwach fühlen, gegen die noch Schwächeren. Amerikaner begreifen sich selbst gern als individualistisch und frei. In der Grundschule sozialer Beziehungen, dem Arbeitsmarkt, sind die Amerikaner indes desorientiert, unterwürfig und ängstlich. Sie akzeptieren das Diktat des Kapitals als Naturgesetz.
Treffender kann man nicht beschreiben, was uns droht, wenn diese Politik der Kohl-Regierung fortgesetzt wird.
Über die Einzelheiten jedes Gesetzes, das wir heute beraten, kann man mit Fug und Recht streiten. Das ist nichts besonderes, was besorgt machen könnte. Besorgnis erregen muß vielmehr die Grundrichtung dieser Gesetzgebung: Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft soll verändert, ihre Substanz zu einer Art Resultat von ökonomischen Prozessen reduziert werden - nach dem Motto: Wenn die ökonomische Lage es gebietet, müssen wir die Struktur der Gesellschaft verändern.
Die Sozialdemokraten werden diesen Wechsel der Grundrichtung nicht mitmachen. Menschen und Gesellschaft haben sich nicht den Bedürfnissen der Ökonomie anzupassen. Für uns gilt weiter das Credo der Sozialen Marktwirtschaft: Die Ökonomie hat den Bedürfnissen von Menschen und Gesellschaft zu dienen.
Die heute zur Beratung anstehenden Gesetze provozieren nicht nur die Frage nach der Grundrichtung unseres Landes, nach dem Gewicht, das der Ökonomie im Gesamtkontext unserer Gesellschaft zukommt, oder nach der Notwendigkeit, ein vermeintliches Primat des Ökonomischen vor allen anderen Problembereichen akzeptieren zu müssen. Diese Gesetze provozieren auch die Frage, ob wir die gesellschaftspolitische Verpflichtung der Ökonomie und des Ökonomischen mittlerweile preisgegeben haben.
Wer die Gesetzentwürfe der Koalition bewertet, der kommt zu der Auffassung, daß diese Verpflichtung in Wahrheit verneint wird. CDU/CSU und F.D.P. tun mit ihrem Kürzungspaket so, als werde man dieser Verpflichtung dadurch gerecht, daß man der wohlhabenderen Seite unserer Gesellschaft nur die Möglichkeit zu schaffen brauche, noch wohlhabender zu werden; der Rest stelle sich dann von ganz alleine ein.
Sollten Sie es vergessen haben: Die gerechte Teilhabe aller an der nationalen Wohlfahrt stellt sich nie von alleine ein. Sie muß gewollt und politisch herbeigeführt werden. Ich frage die Koalition: Wollen Sie diese Teilhabe aller noch?
Ein Ja auf diese Frage wäre mit Ihrem Kürzungspaket nämlich unvereinbar. Ein Ja auf diese Frage verlangt vielmehr die unverzügliche politische Beerdigung der heute zur Verabschiedung anstehenden Gesetze.
Die Koalition will die kurzfristigen Finanzierungsschwierigkeiten in der Rentenversicherung beheben. Das ist durchaus löblich, selbst wenn jeder weiß, daß die Politik dieser Regierung diese Finanzschwierigkeiten erst heraufbeschworen hat. Aber warum beseitigen Sie nicht die Ursachen dieser Schwierigkeiten - etwa indem Sie endlich die beitragsungedeckten Leistungen sachgerecht, das heißt aus Steuermitteln und nicht über Beitragsgroschen finanzieren?
Statt dessen verscherbeln Sie unter anderem Tausende Wohnungen der Rentenversicherung und überlassen so über kurz oder lang die dort wohnenden Sozialmieter dem freien Markt. So sieht die Antwort von CDU/CSU und F.D.P. auf die Frage nach der sozialen Teilhabe aus.
Warum mißbrauchen Sie diese kurzfristigen Schwierigkeiten in der Rentenversicherung, setzen eine Kommission ein, die nur ein einziges Ziel hat: die Erarbeitung einer neuen Rentenformel mit der Absicht einer Rentenkürzung?
Eine vom Bundesarbeitsminister als Reform verkaufte Neuordnung des Arbeitsförderungsgesetzes, das heute noch nicht zur Beratung ansteht, gehört genau in diesen Zusammenhang. Diese sogenannte Reform macht aus dem Arbeitsförderungsgesetz eine politische Ruine. Auch hier gilt: Soziale Teilhabe für alle? Pustekuchen - so haben die Christdemokraten das nicht gemeint.
Das alles zusammen macht deutlich: Es geht mit dieser Gesetzgebung nicht um Einzelfragen. Es geht um die Grundrichtung, es geht um die soziale Dimension dieser Republik.
Diese Regierung - ausgezogen um geistige Führung geltend zu machen und die geistig-moralische Wende zu praktizieren - glänzt heute durch beinahe bedingungslose Anpassung an einen ebenso wertfreien wie inhumanen ökonomischen Zeitgeist.
Wirtschaftlich-finanzieller Erfolg ist alles; soziales und mitmenschliches Engagement gelten nichts. Das ist das bisherige gesellschaftspolitische Ergebnis von 14 Jahren Helmut Kohl.
Rudolf Dreßler
Nehmen Sie als weiteres Beispiel das Gesundheitswesen. Der zuständige Minister hat heute morgen hier gesprochen. Er hat über dieses Gesetz kein Wort verloren. Er hat sich über den Vermittlungsausschuß ausgelassen, wo wir ihm die Nullrunde gegen Sozialhilfeempfänger abgehandelt haben. Das hat er heute verschwiegen, meine Damen und Herren.
Auch hier liegt unter dem Titel Beitragsentlastungsgesetz ein Vorhaben vor, das genau der gleichen Philosophie folgt:
Den Menschen wird eingeredet, es werde ein bißchen gespart, aber eigentlich ändere sich am Leistungsbestand nichts. In Wirklichkeit aber bedeutet das im einzelnen: Erhöhung der Zuzahlungen bei Arzneimitteln mit 700 Millionen DM, Wegfall des Kassenanteils bei Brillenfassungen mit 300 Millionen DM, lebenslange Abschaffung des Zahnersatzes bei heute Jugendlichen mit 425 Millionen DM, Beschneidung der stationären Kuren mit 860 Millionen DM, Kürzung des Krankengeldes mit 1 850 Millionen DM, Einschränkung der Gesundheitsförderung mit 1 200 Millionen DM. Fast 5,5 Milliarden DM werden gespart, gekürzt, allerdings bei den Krankenkassen. Die gleiche Summe zahlen statt dessen dann die Kranken direkt, oder es werden ihnen die entsprechenden Leistungen gekürzt. Soll das gerechte Teilhabe sein? Jeder weiß: Das ist bloßes Abkassieren, meine Damen und Herren, und sonst überhaupt nichts.
Nun höre ich in diesen Debatten im Hause - heute morgen auch wieder - das Gebrabbele der Koalition und ihrer Minister: Nur Kritik der SPD, aber keine politische Alternative.
Wie die Bundesregierung seit geraumer Zeit den Eindruck erwecken möchte, sie habe mit der Politik der letzten 14 Jahre nichts zu tun, und sich abwesend stellt, so stellen sich die Koalitionsfraktionen, was die sozialdemokratischen Alternativen betrifft, blind und taub zugleich.
Was die Alternative zur Gesundheitspolitik der Koalition angeht, so frage ich Sie: Haben Sie noch nie etwas vom SPD-Entwurf eines Zweiten Gesundheitsstrukturgesetzes gehört?
- Er sagt gerade nein.
Wenn ich das richtig verstehe, wollen Sie in wenigen
Stunden in diesem Hause in zweiter Lesung diese Alternative ablehnen. Wie aber kann man eine Alternative im Parlament ablehnen und gleichzeitig behaupten, es gebe keine?
Was die sozialdemokratische Alternative in der Arbeitsmarktpolitik angeht: Haben Sie noch nie etwas vom SPD-Entwurf eines Arbeits- und Strukturförderungsgesetzes gehört? Das ist ein Gesetzentwurf, der im Gegensatz zur Politik Ihrer Regierung die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik nicht zerstört, sondern sie auf eine neue, solide Basis stellt.
Was die politische Gesamtkonzeption angeht: Haben Sie noch nie etwas vom SPD-Programm mit dem Titel „Zukunft sichern, Zusammenhalt stärken" gehört?
Allerdings, meine Damen und Herren: Was die Verlängerung der Lebensarbeitszeit angeht oder den Wegfall des Kündigungsschutzes oder die Kürzung der Lohnfortzahlung, um nur drei Beispiele zu nennen,
dazu gibt es keine sozialdemokratische Alternative.
In der Abteilung „Soziale Grobheiten" gibt es keinen politischen Ideenwettbewerb zwischen Ihnen und uns. Da sagen wir schlicht und einfach nein. Wir lehnen das ab, meine Damen und Herren.
Wenn Sie und Ihre Regierung mit Ihrem Ruf nach Alternativen glauben oder geglaubt haben sollten, wir würden dazu welche vorlegen, dann räumen wir Ihnen gerne ein: Bei sozialen Grobheiten ist diese Regierung alternativlos. Ich versichere Ihnen: Das wird auch so bleiben.
Geben Sie sich keinen Illusionen hin, wenn es um die Verwirklichung Ihres Kürzungspaketes geht. Das steht noch lange nicht im Bundesgesetzblatt. Ein sozialdemokratisches Nein in der heutigen Schlußabstimmung ist für uns nicht nur eine Frage der gesellschaftspolitischen Pflicht. Es ist für uns auch eine Sache des sozialen Anstandes.
Sie haben heute morgen bereits erklärt und wollen noch erklären, was Sie alles an Korrekturen angeboten haben, zum Beispiel die Lebensarbeitszeitverlängerung für Frauen statt vom 1. Januar 1997 erst ab dem Jahr 2000,
Rudolf Dreßler
keine Kündigungsschutzstreichung für Schwerbehinderte. Diese Art von Politik erinnert mich an die Fabel von der dreiköpfigen Räuberbande.
Diese geht so, meine Damen und Herren: Eine dreiköpfige Räuberbande überfällt eine friedliebende Familie
- ja, Familie - und droht ihr mit vorgehaltenen Waffen, erstens die Herausgabe aller Wertpapiere, zweitens des gesamten Familienschmucks und drittens allen Bargeldes zu verlangen. Dann sagt der eine dieser drei Räuber, man wolle mal nicht so sein, man komme von der CDU und habe heute seinen sozialen Tag: Die Wertpapiere könne man behalten, aber der Familienschmuck und das Bargeld müßten auf den Tisch. Dann sagt der zweite Räuber, man komme von der CSU und sei noch sozialer: Auch den Familienschmuck könne man behalten, aber das Bargeld müsse herausgerückt werden.
Was wird diese friedliebende Familie nun tun? Sie wird sich im Gefühl tiefster Dankbarkeit dafür, noch einmal von dem Schlimmsten davongekommen zu sein, geradezu liebevoll von ihrem Bargeld trennen. Nach dieser Masche machen Kohl, Waigel, Blüm, Seehofer und diese Koalition Sozialpolitik.
Da sage ich Ihnen: nicht mit uns!