Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach der Anhörung von Sachverständigen am 22. Mai dieses Jahres und intensiven Beratungen, die wir im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung geführt haben, verabschieden wir heute das neue Altersteilzeitgesetz. Dafür, daß das bereits vier Monate nach dem Konsens, der in dem Gespräch bei Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl am 12. Februar 1996 gefunden wurde, möglich ist, möchte ich dem Bundesarbeitsminister ganz herzlich für seinen intensiven Einsatz danken.
Es ist ein Konsens, der von Arbeitgebern und Gewerkschaften gemeinsam getragen wird. Dies wurde in der Anhörung noch einmal unterstrichen, als der DGB sagte, er steht voll und ganz zu diesem Kompromiß. Ich finde das einen beachtlichen Punkt, den wir festhalten sollten.
Durch das Altersteilzeitgesetz soll den Fehlentwicklungen im Bereich der Frühverrentung ein Riegel vorgeschoben werden und der gleitende Übergang von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Ruhestand neu gestaltet werden.
Meine Damen und Herren, es ist klar: Die bisherige Praxis der Frühverrentung konnte so nicht beibehalten werden, und die daraus erwachsenden Belastungen für die Rentenkassen konnten auch nicht länger hingenommen werden, denn damit wäre eine ernsthafte Gefährdung unseres Rentensystems eingetreten.
Unabhängig von dieser finanziellen Seite halte ich es für wichtig, auch die humane Zielsetzung in den
Blick zu nehmen. Darüber haben wir im Ausschuß intensiv gesprochen. Ich verkenne nicht, daß es Tätigkeiten gibt, bei denen die Arbeitnehmer nach langen Arbeitsjahren ausgelaugt sind, beispielsweise bei Arbeiten in einer Eisengießerei oder an einer Stanzmaschine.
Aber das ist nur die eine Seite. Die andere Seite beinhaltet, daß sehr viele gern an ihrem Arbeitsplatz bleiben möchten. Ein Beleg dafür ist, daß zunehmend Rentner eine Arbeit suchen und eine Arbeit aufnehmen. Deshalb kommen wir mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit dem Anliegen der Älteren nach. Es ist für viele zukünftig in der Tat eine durchaus attraktive Lösung, wenn - das betone ich - die Rahmenbedingungen stimmen. Wir haben diesen Gesetzentwurf intensiv beraten und an einigen Stellen Verbesserungen für die Arbeitnehmer eingefügt.
Ich will noch einmal betonen, daß die bisherige Praxis der Frühverrentung unter verschiedenen Gesichtspunkten keine Lösung dargestellt hat. Es war weder für die Arbeitnehmer, die einfach ausgemustert wurden, noch für die Arbeitslosen ein Weg; denn die Praxis hat gezeigt, daß in der Regel keine Arbeitslosen eingestellt worden sind, und auch Auszubildende sind nicht in dem Umfang von den Betrieben übernommen worden, wie es sich mancher gedacht hat.
Auch war es keine Lösung für die große Zahl der kleinen und mittelständischen Unternehmer; denn diese waren gezwungen, über die Lohnnebenkosten die für die Sozialkasse anfallenden Kosten für die Frühverrentung mitzutragen.
Die Gewinner waren die Großunternehmen, denn sie konnten die Kosten für den Personalabbau auf die Bundesanstalt für Arbeit und die Rentenkassen abwälzen, und zwar in Höhe von 21,9 Milliarden DM. Das waren immerhin 92 Prozent der Kosten. Nur 8 Prozent der Kosten haben die Unternehmen selbst getragen. Es war ein deutliches Alarmzeichen, daß die Frühverrentungen auf 300 000 Fälle im Jahr 1995 hochgeschnellt sind. Das bedeutet, daß im Jahr 1995 fast jede vierte Versichertenrente wegen Arbeitslosigkeit bewilligt wurde.
Ich meine, der Weg, den wir heute beschreiten, ist ein Gebot der Vernunft. Auch die Gewerkschaften - das möchte ich noch einmal betonen - sehen das so. In dem jüngsten Papier des DGB lese ich, Teilzeitarbeit und gleitender Übergang in die Rente sind humaner und produktiver als Arbeitslosigkeit und Frühverrentung. Die chemische Industrie hat mit Tarifverträgen schon jetzt eine entsprechende Regelung.
Wir haben bei den Beratungen im Ausschuß eine Regelung aus diesen Tarifverträgen aufgenommen, nach der die Arbeitszeit über fünf Jahre hinweg gestreckt werden kann. Bei dieser Regelung habe ich durchaus Bedenken gehabt. Ich habe aber zugestimmt, weil ich der Meinung bin, daß wir eine Regelung, die die Tarifparteien getroffen haben, auch gesetzlich abdecken sollten.
Ich darf an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen von der SPD sagen: Es kann nicht sein, daß man
Dr. Maria Böhmer
einem Antrag folgt, der eine Ausdehnung auf zehn Jahre vorsieht. Damit hätten wir in der Tat eine Blockbildung von Arbeit, die nichts anderes als die Wiedereinführung der alten Praxis der Frühverrentung durch die Hintertür bedeutete, nämlich daß die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit en bloc ableisten und dann im Grunde genommen doch in den Ruhestand gehen, auch wenn der Arbeitsvertrag weiter besteht. Deswegen haben wir diesem Antrag der SPD nicht stattgegeben.
Ich will auch einen kurzen Satz zu dem immer wieder erhobenen Vorwurf sagen, daß der beim Bundeskanzler gefundene Konsens nachher einseitig durch die Bundesregierung aufgekündigt worden sei. Ich habe mir noch einmal sehr genau das 50-Punkte-Programm der Bundesregierung angeschaut: Es wurde wohlgemerkt am 30. Januar vorgelegt, also noch vor diesen Konsensgesprächen und auch vor den Wahlen im März. Diesen Punkt monieren Sie ja sonst immer. Dort ist klar gesagt worden, daß weitere Schritte im Rentenbereich erforderlich sind. Wir haben also schon ganz klar die Signale gesetzt, und es kann von Ihnen nicht immer wieder behauptet werden, daß hier ein Wortbruch stattfinde.
Bei allen Maßnahmen, die wir in diesem Bereich treffen, sind die Schaffung von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen und der Abbau der Arbeitslosigkeit das maßgebliche Ziel. Wer heute vielleicht kritisch mit dieser Regelung umgeht, wird morgen froh sein, wenn sein Arbeitsplatz und seine Rente immer noch auf sicherem Grund gebaut sind.
Deshalb müssen wir alle Kraft daransetzen, daß die Lohnnebenkosten weiter sinken. Das ist auch die Absicht, die wir mit diesem Gesetz verbinden: Die Lohnnebenkosten müssen sinken und dürfen nicht steigen.
In bezug auf den Antrag der SPD, eine neue Vorruhestandsumlage für Unternehmen zu schaffen, sage ich: Wenn wir diesem Antrag folgen würden, dann würden die Lohnnebenkosten in der Tat ansteigen. Was wäre das anderes, als den Unternehmen neue Belastungen aufzubürden? Das kann nicht der Weg sein, der in die Zukunft führt und den Boden für mehr und sichere Arbeitsplätze bereitet.
Meine Damen und Herren, die SPD hat in der heutigen Debatte deutlich gemacht, daß sie alten Ideen nach wie vor anhängt und sich gegen Innovationen sperrt. Wir setzen auf flexible Lösungen im Bereich der Arbeitszeit. Ich appelliere noch einmal an Sie, für diesen Gesetzentwurf zu stimmen und einen Weg zu bejahen, der Vorteile für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für die Arbeitgeberseite bringt und der vor allen Dingen unsere sozialen Sicherungssysteme stützt.
Ich halte eine Menge davon, jetzt alle Kraft darauf zu verwenden, daß die Unternehmen das Ihre dazu beitragen, alle Möglichkeiten auszuloten, die Altersteilzeit wirklich umzusetzen. Wir haben hier noch ein deutlich ungenutztes Potential zur Flexibilisierung.