Rede von
Johannes
Selle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin etwas enttäuscht von Frau Matthäus-Maier.
Sie weiß, daß die Zeiten schwierig sind. Das ist in vielen Beiträgen auch der SPD deutlich geworden. Sie macht die Kritik an unserer Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fest, die auch lieber verteilen würde, als in diesen schwierigen Zeiten das „Programm für Wachstum und Beschäftigung" mitzutragen.
Ich möchte hinzufügen, daß eine verläßliche Finanzpolitik, wie sie durch Bundesfinanzminister Waigel vertreten wird, nichts mit Stinken zu tun hat. Klarzustellen ist weiterhin, daß durch unsere Vorschläge - so wie Sie hier behauptet haben - die private Vermögensteuer nicht abgeschafft wird, sondern mit der Erbschaftsteuer zusammengefaßt wird.
Ich komme aus einer Region im Norden Thüringens mit den Städten Sömmerda, Sondershausen, Artern und Bad Langensalza. In dieser Region sind mit dem Strukturwandel infolge der deutschen Einheit Zehntausende von Arbeitsplätzen weggefallen. Der Wegfall eines Arbeitsplatzes ist immer beklagenswert, aber nicht in jedem Fall unverständlich. Heute werden zum Beispiel in Sömmerda mit ein paar hundert Arbeitskräften so viele Personalcomputer hergestellt wie noch vor wenigen Jahren mit 12 000.
Die im Jahre 1990 begonnene Industrialisierung schreitet nicht wie gewünscht voran. Alte Industriebrachen bleiben ungenutzt; Gewerbegebiete stehen leer; die Arbeitslosigkeit steigt an. Diese Entwicklung ist leider trotz massiver Finanzhilfen und Infrastrukturprogramme festzustellen, die wir im Osten anerkennen und für die wir dankbar sind.
Heute müssen wir aber auch erkennen, daß diese Entwicklung nicht nur in den Besonderheiten der neuen Länder begründet ist, sondern daß es auch eine wesentlich andere Ursache gibt: In Deutschland wird zu wenig investiert. Deutsche Investoren fehlen ebenso wie ausländische. Diese Zurückhaltung hat Gründe. Wenn Arbeitgeber in Deutschland keine Arbeitsplätze mehr bereitstellen wollen oder dies nicht mehr können, dann muß man solchen Gründen nachgehen.
Ich habe mir die Situation von einem in Sondershausen ansässigen, international agierenden Unternehmen, das seit 1990 bereits 150 Arbeitsplätze geschaffen hat, schriftlich schildern lassen. Dieses Unternehmen steht vor Erweiterungsinvestitionen und hat eine Analyse möglicher Investitionsstandorte in Tschechien, Polen und Ungarn gemacht und im Vergleich mit Sondershausen feststellen müssen: Der Standort Sondershausen ist zu teuer. Eine solche Folgerung wird von diesem Unternehmen sehr beklagt und bedauert. Eine endgültige Entscheidung wurde noch nicht getroffen.
Doch ist dies kein Einzelfall, und deshalb muß gehandelt werden. Die Koalition handelt. Das „Programm für Wachstum und Beschäftigung" ist zielgerichtetes Handeln.
Es leistet mit der Nichteinführung der Gewerbekapital- und der Vermögensteuer im Osten und ihrer
Johannes Selle
Abschaffung im Westen sowie mit der Neuregelung der Erbschaftsteuer einen wichtigen Beitrag zur Stärkung all derer, die Arbeitsplätze schaffen können.
Die Regelungen des Jahressteuergesetzes 1997 stellen nur ein Minimum des gesamten Handlungsbedarfs dar und werden allein nicht ausreichen, um eine schnelle Trendwende zu ermöglichen. Diesen ersten Schritt aber nicht zu tun, hieße, den Weg zur Vereinfachung, Deregulierung und Entlastung erst gar nicht zu betreten.
Da sich die Faktoren Steuermindereinnahmen und erhöhte Kosten noch gegenseitig verstärken, fehlen den Städten und Gemeinden Gelder für Investitionen. Fehlende öffentliche Aufträge belasten zusätzlich den Arbeitsmarkt. Ebenso deutlich ist allerdings festzustellen: Ostdeutsche Kommunen hätten bereits in diesem Jahr über mehr Geld verfügen können, und zwar aus Umsatzsteueranteilen, wäre der von der Koalition angestrebte faire Ausgleich bei der Neuordnung der Gewerbesteuer schon im letzten Jahr gelungen.
Wir haben ein wertvolles Jahr verloren, in dem Reformen dringend nötig gewesen wären. Aber wir werden nicht aufgeben, Deutschland für Investoren interessant zu machen.
Mein Vater bittet mich inständig, darauf achtzugeben, daß die Arbeitslosigkeit nicht weiter steigt. Denn er hat in der Endphase der Weimarer Republik mit einem Arbeitslosenheer von sechs Millionen leidvolle Erfahrungen machen müssen.