Rede von
Dr.
Wolfgang
Gerhardt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil ich zwölf Minuten Redezeit habe und das als einen Beitrag vortragen möchte.
Wir haben alle Instrumente ausprobiert, die die Sozialdemokratische Partei für arbeitsmarktpolitische Instrumente gehalten hat, und wir sind trotzdem auf diese Beschäftigungslosigkeit in Deutschland zugelaufen.
Wir wenden uns jetzt Möglichkeiten zu, die nahezu alle europäischen Nachbarländer eingeleitet haben, viel drastischer als wir, im übrigen nicht nur Österreich. Ist denn Dänemark ein Schwellenland, das im Elend lebt, weil es sich zu diesen Maßnahmen durchgerungen hat?
Sind denn die Niederlande, in die viele in Urlaub fahren, ein Elendsquartier, das den Ministerpräsidenten nicht mehr bezahlen kann, weil man die Lohnfortzahlung geändert hat?
Ist denn unser befreundetes Nachbarland Frankreich ein Land, das einem tiefen Fall entgegengeht, weil man dort auch den Mut hat - wie wir -, nahezu in der gleichen Richtung Steuern zu senken, flexible Arbeitsmärkte herzustellen und etwas Beweglichkeit zu bekommen?
Nein, das sind alles Länder, die einen Vorteil gegenüber uns haben. Sie sind nicht in diese innenpolitischen Grabenkämpfe verstrickt, wenn es um Modernisierung ihres Landes geht.
Es gibt einen großen Mentalitätsvorsprung unserer europäischen Nachbarn in bezug auf die Modernisierung ihrer Standorte, die Flexibilisierung ihrer Arbeitsbeziehungen, das Wissen, daß sie Investoren nur ins Land bekommen, wenn sie Steuern herunternehmen, anstatt Steuern zu erhöhen, das Bewußtsein, daß ein Kündigungsschutz eine Wohltat für die ist, die Beschäftigung haben, und eine Ablehnung derer ist, die Beschäftigung suchen. Das sind Binsenweisheiten, die Sie überall in Europa hören, nur nicht bei der Sozialdemokratischen Partei in Deutschland.
Deshalb können Sie kein Ratgeber sein. Sie können Opposition sein. Sie können das Denken von Menschen vertreten, die keine Veränderung wollen, die alles so belassen wollen, wie es ist. Aber dann werden Sie auch ein Stück Mitverantwortung für Arbeitslosigkeit in Deutschland übernehmen müssen.
So geht es dann nicht: auf die Bundesregierung zeigen und sich selbst kein Stück bewegen.
Das föderative System in Deutschland verpflichtet auch die Länder zur bundespolitischen Verantwortung. Hier ist keiner außerhalb einer notwendigen eigenen Entscheidung.
Dr. Wolfgang Gerhardt
Es ist schon ein dramatischer Prozeß, Finanzminister der Länder mehrmals tagen zu lassen, ohne bis heute einen konstruktiven Beitrag zu dieser dramatischen Situation liefern zu können.
Das ist eine Verabschiedung weiter Teile des Föderalismus auch aus gesamtstaatlicher Verantwortung.
Ich sage auch ganz deutlich: Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß erwachsene Menschen, die über einem 39-Milliarden-Sparpaket sitzen und ihre Länderhaushalte kennen, auch noch der Öffentlichkeit gegenüber sagen, sie bedauerten, daß sie nicht hätten entscheiden können; sie seien doch von Herrn Lafontaine angehalten worden, zunächst nicht zu entscheiden. Im übrigen sage ich Ihnen: Das ist auch ein Hintergehen der Demonstration, die jetzt kommt.
Die Chemnitzer „Freie Presse" schreibt das sehr schön. Sie sagt:
Da ist schon ein Stück parteipolitisch motivierter Verantwortungslosigkeit im Spiel. Lafontaine und seine Genossen fürchten um ihre Glaubwürdigkeit, wenn ein Teil der SPD in diesem Moment einem Kürzungspaket zustimmt und der andere Teil eine Woche später in Bonn mit den Gewerkschaften auf einer der größten Kundgebungen der vergangenen Jahre gegen das Sparpaket der Bundesregierung zu Felde zieht.
Nach dem Tag am Rhein wird die Wirklichkeit die SPD aber rasch einholen. An den Sparzwängen führt auch in den SPD-Ländern kein Weg vorbei.
Das ist die Wahrheit.
Sprechen wir jetzt über die bevorstehenden Tage! Sie müssen, wenn Sie ehrlich gegenüber dem Deutschen Gewerkschaftsbund sind, ihm auch sagen, daß an einer Flexibilisierung des Arbeitsrechts, an einer größeren Mobilität in den Arbeitsbeziehungen, an größerer Beweglichkeit bei den Öffnungszeiten und an neuen Denkansätzen hinsichtlich steuerlicher Belastungen kein Weg vorbeiführt.
Wenn Sie das nicht sagen können, dann verabschieden Sie sich von einem Stück Mitgestaltung, das in der Bundesrepublik Deutschland jetzt ganz entscheidend ist.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß diejenigen politischen Kräfte, auch wenn es jetzt schwer ist, am Ende gewinnen, die Modernisierung einleiten, die politische Bewegung zeigen und die Flexibilisierung offensiv angehen, und daß diejenigen verlieren werden, die nur defensiv reagieren, die keine Veränderungsbereitschaft zeigen. Das äußere Zeichen war auch der Wahltag am 24: März: Die Menschen spüren zutiefst,
daß in der gegenwärtigen Situation die wahren Konservativen in der Opposition sitzen und daß diejenigen, die etwas bewegen und bewältigen wollen, dieser Koalition angehören.
Es ist schwierig, es macht auch keine Freude, Menschen zum Sparen zu überreden. Es ist aber der einzig richtige Weg, den diese Koalition jetzt einschlägt.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß dieses Land auch mit dem eingeschlagenen Weg nicht in wenigen Tagen oder in wenigen Wochen vier Millionen Arbeitslose beseitigen kann. Selbst wenn es aber nur gelingt, mit dem eingeschlagenen Weg der Beschäftigung in privaten Haushalten einige Hunderttausend in Arbeit zu bringen, selbst wenn es nur gelingt, in kleinen Betrieben mit der Änderung der Schwellenwerte von fünf auf sieben oder acht Beschäftigte zu kommen, selbst wenn es nicht die prognostizierte 1 Million neue Beschäftigte gibt, auch wenn es nur 800 000 werden, ist es besser, diesen Weg einzuschlagen und ihn auch kritisch und gegen Widerstände weiter zu beschreiten, als weiterhin so zu verharren, wie Sie es empfehlen.
Nein, hinter der ganzen Diskussion steckt im Kern die Frage, wer in Bereitschaft zur Modernisierung in Deutschland antritt, wer Strukturwandel begünstigt oder wer ihn verweigert.
Sie kennen alle aus der Tiefenpsychologie das Ergebnis, wenn Menschen sich weigern, Probleme aufzunehmen: Das führt zu Neurosen.
Der Zustand der SPD signalisiert das politisch ganz genau.
Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt wird er Kasper!)
Deshalb wird die Koalition auch aus tiefer medizinischer Erkenntnis heraus ihren Weg für Beschäftigung in Deutschland fortsetzen.