Rede von
Dr.
Wolfgang
Gerhardt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dort, wo eine kontroverse Diskussion erforderlich ist, muß man sich ihr stellen. Aber dort, wo man sich freundlich gegenübersteht, sollte man sich auch so begegnen. Deshalb möchte ich mich zu Beginn ausdrücklich bei Ihnen, Herr Ministerpräsident Lafontaine, für die außerordentlich positive Würdigung des F.D.P.-Parteitages vom vergangenen Wochenende bedanken.
Wir wünschen Ihnen ein ähnliches Ereignis; denn wir haben ein Interesse an einer gesunden, konstruktiven SPD, die in der Lage ist, praktikable Vorschläge für die Modernisierung des Standortes Deutschland zu machen.
Wir haben auf diesem Parteitag im übrigen auch deshalb diesen Erfolg gehabt, weil in der Öffentlichkeit ein tiefes Bedürfnis nach Modernisierung besteht. Die Menschen wissen persönlich sehr wohl, daß etwas verändert werden muß, wenn wir ein Stück Zukunft gewinnen wollen. Eine Demonstration mit 400 000 Beteiligten ändert nichts daran - das wußten alle, die auf dem Parteitag waren und im übrigen aus allen Ländern kamen -, daß die öffentlichen Haushalte gegenwärtig nicht in der Lage sind, die Programme zu finanzieren, die Sie zur Bewältigung der Schwierigkeiten in Deutschland vorschlagen.
Auf diesem Parteitag haben uns Delegierte aus dem Saarland darüber unterrichtet - wir kannten das ja schon -, daß Ihr Land selbst zur Deckung der Kosten politischer Führung Bundesergänzungszuweisungen braucht, weil Sie weder in der Lage sind, aus Ihrem Haushalt das Personal zu bezahlen, noch die entscheidenden Probleme der Regierungsorganisation bewältigen können.
Delegierte aus Niedersachsen berichten uns, daß dieses Land den höchsten Schuldenstand und die geringste Investitionsquote habe.
In Hessen kenne ich mich selbst noch gut genug aus. Aber ich zitiere trotzdem den Ministerpräsidenten Eichel, der sagt, sein Haushalt bewege sich bereits jetzt an der Grenze verfassungswidriger Neuverschuldung. Das Land schafft mit politischer Kraft von Rot-Grün noch nicht einmal einen dringend notwendigen Nachtragshaushalt.
Deshalb ist es doch Unsinn, hier so zu tun, als gebe es diese Probleme nicht, und der Bundesregierung mit Blick auf die Demonstration vorzuwerfen, daß sie den falschen Weg gehe.
Angesichts nahezu gleichgerichteter Probleme in Bund und Ländern bestände sogar die große Chance, zu einem Konsens zu finden. Mit Blick auf den Personalkostenanteil von 40 Prozent der Länderhaushalte muß ich sogar zu der Feststellung gelangen, daß Sie den Tarifabschluß, der mit einem Finanzrahmen von 4 Milliarden DM für Sie sehr problematisch wird, eher ausbaden müssen als der Bund. Diese 4 Milliarden DM kommen denen zugute, die gesicherte Arbeitsplätze haben. Aber es sollte doch niemand die Augen verschließen: Irgendwo werden sie dann für die fehlen, die Arbeitsplätze suchen. Wer das nicht mehr ausdrücken kann, begeht einen Fehler.
Die 7 Milliarden DM, die für Ihr Programm gebraucht würden, um die Kindergelderhöhung von 20 DM im nächsten Jahr zu gewähren - nachdem das Kindergeld gerade von 70 DM auf 200 DM erhöht worden ist -, müssen Sie doch irgendwo hernehmen. Für eine Steigerung um 20 DM versperren Sie wieder ein Stück Sparvolumen zugunsten derjenigen, die Arbeitsplätze in Deutschland suchen.
Deshalb können die Demonstranten morgen - es ist zwar legitim in einer Demokratie, daß sich Widerstand gegen Sparpläne regt; das kann niemand anders erwarten - die Sparnotwendigkeiten nicht wegdemonstrieren. Eine Demonstration kann kein Geld drucken, um Probleme zu bewältigen.
Die drängenden Fragen werden von Ihnen nicht ausreichend beantwortet. Im übrigen schreiben führende SPD-Politiker, die nicht verpflichtet sind, am Leitseil von Herrn Lafontaine zu gehen, in allen Zeitungen, daß der Kurs der Koalition in die richtige Richtung geht und daß die SPD an einem Bahnsteig steht, an dem in absehbarer Zeit kein Zug mehr vorbeikommt.
Jedem ist dies offenkundig, nur nicht Herrn Lafontaine. Es gibt kaum einen mit volkswirtschaftlichen Daten vertrauten Sozialdemokraten, der nicht eher dem Kurs der Koalition zustimmen würde als dem der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
Zuletzt hat sich das ja in bemerkenswerten Kapriolen der SPD-Bundestagsfraktion deutlich gemacht. Doch nicht wir haben kontroverse Diskussionen geführt über das Thema Neuverschuldung; Herr Schwanhold und Frau Matthäus-Maier aus Ihrer
Dr. Wolfgang Gerhardt
Fraktion haben sich doch direkt widersprochen. Schöner ging es doch überhaupt nicht mehr: die einen dagegen, die anderen dafür.
Und jetzt wünschen wir dem Herrn Scharping weiter gute Genesung. Er hat ja einen Unfall gehabt. Aber der Dachschaden ist bei der SPD-Fraktion geblieben. Erklären Sie mir doch mal diesen Purzelbaum mit dem Solidarzuschlag, den Sie in den letzten Tagen geschlagen haben! Das ist doch überhaupt nicht mehr zu vertreten.
- Es tut mir leid, ich habe es ironisch gemeint. Wenn Sie es ernst auffassen: Ich bedaure das, so war das nicht gemeint.
Die alten Rezepte, die Sie vortragen, sind doch völlig verbraucht. Sie sind im übrigen auch alle schon angewandt worden: Wir haben Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschlossen. Wir haben Investitionsprogramme beschlossen. Die Tarifvertragsparteien haben Arbeitszeitverkürzung beschlossen.
Alles hat uns nicht davor bewahrt, auf rund vier Millionen Arbeitslose zu kommen. Die Rezepte, die Sie auflegen, haben das doch nicht gebracht.
Deshalb ist die einzige Chance, die wir jetzt ergreifen können, eine erneute Chance für Investitionen und Leistungsbereitschaft in Deutschland. Deshalb vertreten wir Steuersenkungen. Hohe Steuern haben wir genug. Da müßten ja die öffentlichen Haushalte solide finanziert sein. Wir müssen herunter, wenn wir öffentliche Haushalte wieder solide machen wollen.
Es macht niemand öffentliche Haushalte solide wenn nicht die, die wieder in Beschäftigung kommen. Herr Lafontaine, Sie haben völlig recht. Sie haben gesagt, soziale Systeme werden solide finanziert und Haushalte können gut bewältigt werden, wenn Menschen in Arbeit kommen, wenn Menschen in Beschäftigung kommen.
Darüber streiten wir doch, welches der bessere Weg ist, um Menschen in Deutschland wieder in Beschäftigung zu bringen.