Rede von
Dr.
Angelika
Köster-Loßack
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die bisherige nationale und internationale Tropenwaldpolitik hat versagt. Sie konnte ihrem Anspruch nicht gerecht werden.
Seit 1988 wurden Tropenwaldländer in der Größenordnung von rund 1 Million Quadratkilometer zerstört. Zum Vergleich: Wurden 1980 weltweit noch etwa 7,5 Millionen Hektar Tropenwald vernichtet, wuchs die jährliche Zerstörung zwischen 1980 und 1994 auf durchschnittlich 15,4 Millionen Hektar an.
Während die aktuelle Handels-, Finanz- und Wirtschaftspolitik die Zerstörungsrate steigen ließ, nahm der Bundestag 1990 den Zweiten Bericht der Enquete-Kommission zum Thema „Schutz der tropischen Wälder" an, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, nachdrücklich dafür einzutreten, „daß der Umfang der jährlichen Vernichtung in jedem Tropenwaldland bis zum Jahr 2000 unter der Vernichtungsrate des Jahres 1980 liegt".
1994 jedoch bewertete die Enquete-Kommission angesichts der geringen Fortschritte „die bisherigen Bemühungen zum Schutz der tropischen Wälder lediglich als Ansätze, die in wesentlichen Teilen Korrekturen und Ergänzungen bedürfen. "
Unter anderem empfahl die Enquete-Kommission eine Umweltverträglichkeit allen zwischenstaatlichen Handelns, Schuldenerleichterungen für Tropenwaldländer und die Bereitstellung neuen Kapitals. Doch in der Anwort auf unsere Große Anfrage zeigt sich die Bundesregierung in der Wahrnehmung der Zerstörungsursachen als äußerst beschränkt.
Verantwortlich für die Tropenwaldvernichtung sind in ihren Augen vorrangig die Bevölkerungsentwicklung, Armut und Bewußtseinsdefizite. Faktoren wie weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen, das Handeln der Finanzinstitute und eine inkohärente Politik der Geber- und Empfängerländer werden in ihrer Bedeutung entweder heruntergespielt oder ausgeblendet.
Die Verantwortung von Großgrundbesitzern, Holzkonzessionären, Bergbaukonzernen und Entwicklungsbanken wird nicht beachtet oder, wie am Beispiel der Weltbank zu sehen ist, falsch eingeschätzt. So ist ein großer Teil der afrikanischen Regenwälder von deutschen und europäischen Holzhändlern entwaldet worden, oft mit infrastruktureller Unterstützung durch die Entwicklungsbanken. Die Weltbank gefährdet heute noch immmer durch laufende Straßensektor-, Bergbau- oder Regionalentwicklungsprojekte Primärwälder.
Verbal erkennt die Bundesregierung zwar teilweise die Bedeutung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die Auslandsverschuldung an, doch in ihrer Tropenwaldschutzpolitik setzt sie einseitig auf die Entwicklungszusammenarbeit. Damit überschätzt und überfordert sie dieses Instrument.
Die Entwicklungszusammenarbeit kann nur einen bescheidenen Beitrag zur Rettung des Tropenwaldes leisten, solange die gesamtwirtschaftlichen Interessenkonstellationen nicht geändert werden. Außerdem hat die deutsche Finanzielle Zusammenarbeit bis Anfang 1995 712 Millionen DM für den weltweiten Tropenwaldschutz zur Verfügung gestellt. Doch fast 80 Prozent der Mittel waren 1995 noch nicht abgeflossen.
Die aktuelle Projektpraxis zeigt auch, daß Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in der Regel nichts gegen die inkohärente Politik, die ich bereits erwähnt habe, und kontraproduktive Rahmenbedingungen erreichen können. Das Pilotprogramm in Brasilien ist dafür nur ein Beispiel.
In Brasilien hat sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit seit 1988 am stärksten im Tropenwaldschutz engagiert und das Pilotprogramm zur Bewahrung der tropischen Regenwälder aufgelegt. Dem Projektbericht der Kreditanstalt für Wiederaufbau zur Tropenwalderhaltung ist zu entnehmen, daß bis Anfang 1995 von den für die Waldschutzzonen Brasi-
Dr. Angelika Köster-Loßack
liens zugesagten 30 Millionen DM nur 3,3 Millionen DM zur Auszahlung kamen.
Seit Anfang 1996 - genauer: seit der Unterzeichnung des Dekrets 1775/96 durch Präsident Cardoso - drohen beim Demarkierungsprogramm zur rechtlichen Absicherung der Siedlungsgebiete indigener Völker gravierende Rückschritte. 1992 hatte der Deutsche Bundestag für den Schutz der Indianer Amazoniens 30 Millionen DM als Zuschuß bewilligt. Mehr als 34 Millionen Hektar der Amazonasregion sollten juristisch gegen den Druck von außen geschützt werden. Durch die im Dekret 1775/96 eingeräumten Widerspruchsrechte für Großgrundbesitzer, Holzunternehmer, Bergbauvertreter, Spekulanten und Regionalpolitiker aber wird das Demarkierungsprogramm jetzt massiv bedroht.
So wurden zum Beispiel sechs Ländereien, die noch 1993 im Pilotprogramm mit höchster Priorität demarkiert werden sollten, auf Grund des Drucks von Außeninteressen 1995 aus dem Programm herausgenommen und 1996 nach Inkrafttreten des neuen Dekrets angefochten. Es ist kein Zufall, daß fünf dieser Gebiete im Staate Para liegen. Dieser ist das Zentrum von Landkonflikten, das durch das schreckliche Massaker an Landlosen auch in die europäischen Schlagzeilen geraten ist, eine Hochburg der Demarkierungsgegner, die mit Unterstützung des heutigen brasilianischen Justizministers Jobim versuchen, ihre wirtschaftlichen Interessen gegenüber den in der Verfassung von 1988 verankerten Rechten der Indianer durchzusetzen.
Nach Inkrafttreten des Dekrets im Januar kam es zu einer dramatischen Zunahme von Übergriffen auf Indianerterritorien. Bis Mitte März 1996 wurden schon 13 Invasionen ermittelt, acht davon gefährden Indianergebiete, die durch deutsche EZ-Projekte unterstützt werden sollen. Das Dekret 1775 wird deshalb nicht nur von den wichtigsten indianischen Dachorganisationen abgelehnt, sondern auch vom Juristenverband, der nationalen brasilianischen Wissenschaftlervereinigung und der brasilianischen Bischofskonferenz sowie von vielen NROs.
Bis zum 8. April gingen weit über 1 000 Widersprüche ein, die bis zum 8. Juni von der Indianerbehörde FUNAI, die unter geringer Finanz- und Personalausstattung leidet, bearbeitet werden müssen. Nach Ablauf dieser Frist ist es allein Sache des Justizministers, nichtöffentlich und ohne festgelegte Kriterien Entscheidungen über Gebietsgrenzen und/oder Entschädigungen zu treffen. An diesem Beispiel wird der begrenzte Handlungsspielraum der Entwicklungszusammenarbeit deutlich.
Wir fordern in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung, sich erstens bilateral und multilateral dafür einzusetzen, daß die brasilianische Regierung das Dekret 1775 zurücknimmt und endlich dafür sorgt, daß die Demarkierungen der indianischen Territorien wie geplant umgesetzt werden.
Dafür hat sich auch schon das Europäische Parlament ausgesprochen.
Zweitens soll die Bundesregierung in einen wirksamen Dialog mit Nichtregierungsorganisationen und den Vertretern der indigenen Völker eintreten, um sich über deren Erfahrungen bei der Umsetzung der Demarkierungen zu informieren, und sie bei der Durchführung dieses Prozesses stärker beteiligen.
Drittens muß die Regierung sicherstellen, daß keine deutschen Entwicklungshilfegelder für die Verkleinerung oder Aufhebung bereits demarkierter Gebiete eingesetzt werden.
Die Bundesregierung soll sich zudem dafür stark machen, daß sich die Weltbank überall dort, wo Weltbank-Projekte betroffen sind, bei den beteiligten brasilianischen Counterparts für die Rücknahme der Anfechtungen einsetzt.
Falls nach dem 9. Juni dieses Jahres, dem Ablauf der Bearbeitungszeit für die Einsprüche, die Verkleinerung der indianischen Territorien erfolgt oder dies absehbar ist, müßten die deutschen Gelder für das Demarkierungsprogramm eingefroren werden. In Abstimmung mit den anderen Geberländern sollte die Bundesregierung der brasilianischen Regierung klarmachen, daß sie nicht mehr mit der Bewilligung von Mitteln rechnen kann, solange nicht eine kohärente Umsetzung der bereits im Detail ausgehandelten Projekte nachgewiesen ist.
Momentan wäre es aber meines Erachtens verfrüht, die Gelder für das Demarkierungsprogramm zu sperren. Vorrangig müssen jetzt Mechanismen erprobt werden, die den Mißbrauch der Gelder vermeiden, gleichzeitig aber die finanzielle Basis des Rechtsschutzes für die Indianergebiete weiter ermöglichen.
Im größten Regenwaldland der Welt, in Brasilien, ist aber der Tropenwaldschutz nicht nur durch die rücksichtslose Durchsetzung der alten oligarchischen Interessen gefährdet; die politischen Rahmenbedingungen für eine tragfähige Umweltpolitik gibt es leider auch nur in Ansätzen.
Sowohl die brasilianische Bundesregierung als auch die Landesregierungen, mit Ausnahme des Staates Amapá, unterstützen direkt oder indirekt den Raubbau an den natürlichen Ressourcen der Wälder. Ein besonders abschreckendes Beispiel bietet das durch den extremen ökologischen Raubbau und soziale Konflikte geprägte Industriegebiet von Grande Carajás, von dem sogar die offiziellen Vertreter der Weltbank in Brasilien im letzten Jahr gesagt haben, sie würden es nicht wieder finanzieren, wenn die Entscheidung heute getroffen werden müßte.
Tropenwaldschutz ist eine wirtschafts-, umwelt-
und entwicklungspolitische Querschnittsaufgabe sowohl für uns als auch für die Tropenwaldländer. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich international für ein völkerrechtlich verbindliches Instrumentarium zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt der Wälder einzusetzen. In diesem Sinne müssen Verhandlungen für ein Waldpro-
Dr. Angelika Köster-Loßack
tokoll im Rahmen der Konvention über die biologische Vielfalt unterstützt werden.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die Empfehlungen der Enquete-Kommission, die sie in ihrem Zweiten Bericht zum Schutz der tropischen Wälder gegeben hat, umzusetzen und die Debatte auch um soziale und ökologische Mindeststandards im internationalen Handel voranzutreiben. Das gilt in diesem Zusammenhang insbesondere für den Handel mit Holz.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, in der bilateralen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit nur solche Projekte zu fördern, die nach überprüfbaren und verläßlichen Kriterien einer naturnahen Waldnutzung und dem Naturwalderhalt zugeordnet werden können. Im Rahmen ihres Politikdialogs muß sie sich für eine umfassende Landreform in den Tropenwaldländern und für eine Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Gruppen einsetzen.