Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Im Renten-Überleitungsgesetz 1991 wurde vereinbart, als Vertrauensschutz während des Übergangs vom alten DDR-Rentenrecht auf die Regelungen nach dem Sozialgesetzbuch VI, also dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, Auffüllbeträge zu zahlen als Ausgleich für eine Differenz zwischen dem Rentenzahlbetrag nach altem Recht und der neuen dynamisierten Rente. Gleichzeitig wurde im Gesetz festgelegt, daß ab dem 1. Januar 1996 diese statischen Auffüllbeträge mit der jeweiligen jährlichen Rentenanpassung verrechnet und damit zurückgeführt oder abgeschmolzen werden. Der Rentenzahlbetrag wird also nicht kleiner; aber es gibt über mehrere Jahre, teilweise bis zu zehn Jahren, keine Anpassung. Angesichts der Steigerung von Lebenshaltungskosten oder der Mietsteigerungen bedeutet dies also faktisch eine Reduzierung des verfügbaren Alterseinkommens.
Die SPD hat deshalb auf Initiative unserer ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuß einen Änderungsantrag zum Antrag der Grünen eingebracht, um zumindest einen Betrag in Höhe des steuerrechtlichen Existenzminimums vom Abschmelzvorgang freizuhalten. Leider gab es für diesen sozial gut begründeten Vorschlag auch bei den ostdeutschen CDU-Abgeordneten keine Zustimmung.
Wir werden uns heute bei der Abstimmung über den Antrag der Grünen der Stimme enthalten, obwohl wir die Absicht der Grünen unterstützen, daß eine Minderung des Abschmelzbetrages keine Belastung für die Versichertengemeinschaft bringen darf. Die gute Absicht allein genügt aber nicht. Wir haben
im Zusammenhang mit den aktuellen Finanzierungsproblemen der Rentenversicherung deutlich gemacht, daß die Kosten von ca. 4,5 Milliarden DM in diesem Jahr für die Auffüllbeträge endlich aus Steuermitteln finanziert werden müssen, um die Beitragszahler nachhaltig zu entlasten.
Verehrte Kollegen und Kolleginnen von der CDU/ CSU, abstrakte Reden um Systemfragen der Rentenversicherung helfen da auch nicht weiter. Handeln Sie endlich!
Das Renten-Überleitungsgesetz bleibt insgesamt eine große soziale Leistung im Einigungsprozeß. Aber leider war es von Anfang an mit einem Makel verhaftet. Mit Hilfe der Kürzung bzw. Begrenzung der Renten aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen sollte ein politisches Wert- oder Unwerturteil ausgedrückt werden, weit über die Entscheidungen der frei gewählten Volkskammer hinaus. Und dieser Makel wirkt immer noch fort. Das zeigen die unzähligen Briefe, die große Zahl der Petitionen, die den Ausschuß immer noch erreichen, und auch die immer wiederkehrenden Postkartenaktionen zeigen, hier ist immer noch keine Ruhe eingekehrt.
Ich weiß aus eigener Erfahrung von einer Reihe von Veranstaltungen in Ostdeutschland - die ostdeutschen Kollegen aus allen Fraktionen können das, glaube ich, bestätigen -, daß viele Rentner, obwohl sie gar nicht von den Kürzungen betroffen sind, das Gefühl haben: Irgend etwas stimmt mit der Rente noch nicht, ihnen ist etwas weggenommen worden, obwohl sie selber keine Kürzungen erfahren haben.
Die SPD hat deshalb - auch auf Grund der Expertenanhörungen im Ausschuß - immer wieder Initiativen gestartet, den politisch falschen, sehr grobschlächtigen Kürzungsmechanismus wieder aus dem Rentenrecht zu entfernen. Wir waren mit einem ersten Korrekturgesetz erfolgreich. Die große Korrektur ist allerdings an den Mehrheitsverhältnissen gescheitert. Aber unsere stete Forderung nach einer Korrektur hat nach einem längeren Schlingerkurs die CDU bzw. die Bundesregierung in Bewegung gebracht. Ich sage deshalb „Schlingerkurs", weil es einen gewissen Unterschied zwischen den vollmundigen Ankündigungen der ostdeutschen CDU-Abgeordneten zu Hause im Wahlkreis oder auch hier in Bonn und in entsprechenden Presseerklärungen und dem Gruppenantrag der ostdeutschen CDU-Abgeordneten gibt, der plötzlich auf dem Tisch liegt, aber ebenso plötzlich sang- und klanglos mit einer freundlichen Erklärung wieder aus dem Verkehr gezogen wurde.
Möglicherweise hat ja auch die Bundesregierung erkannt, daß Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichtes beim Bundesverfassungsgericht, weil es das Gesetz, hier das Renten-Überleitungsgesetz, auf das
Ulrike Mascher
es bei seiner Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält,
ein deutlicher Hinweis auf einen Korrekturbedarf sind.
Ich habe allerdings erhebliche Zweifel, ob das, was heute in erster Lesung von der Regierung - der Parlamentarische Staatssekretär hat es sehr freundlich dargestellt - vorgelegt wird, Bestand hat. Denn nach wie vor gibt es Rentenkürzungen wegen besonderer Verantwortung oder Mitverantwortung für die Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR, auch wenn der Personenkreis erheblich eingeschränkt wird. Daß diese Formulierung „Rentenkürzungen wegen besonderer Verantwortung oder Mitverantwortung für die Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der ehemaligen DDR" wirklich ausreichend trennscharf ist, wage ich zu bezweifeln. Ich fürchte, ich werde wieder Briefe von Menschen bekommen,
- nein, nicht von Frau Honecker -,
zum Beispiel von den Ingenieuren des Technischen Überwachungsdienstes der Eichämter, die sich fragen, warum sie bei der Einhaltung internationaler Abkommen eine besondere Stärkung des DDR-Systems geleistet haben und deswegen von Kürzungen bedroht sind. Das war in der Vergangenheit so. Das fällt jetzt mit Ihrem Gesetz heraus,
aber ich fürchte, Herr Grund, daß Sie auch mit der jetzigen schwammigen Formulierung nicht ausschließen können, daß wir wieder solche Personengruppen haben, die mit Recht fragen: Was haben wir denn hier getan, damit wir mit diesem Unwerturteil belegt werden und entsprechende Rentenkürzungen in Kauf nehmen müssen?
- Ich habe Sie nicht verstanden.
- Lieber Kollege, ich wäre vorsichtig mit dieser großen moralischen Keule. Diese große moralische Keule haben Sie schon beim Renten-Überleitungsgesetz geschwungen. Es ist dann trotzdem zu einer Korrektur gekommen.
Sie haben sie nach dem ersten Korrekturgesetz geschwungen, weil Sie glaubten, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Wenn Sie sie jetzt wieder schwingen, dann warne ich Sie. Wir werden zu einer weiteren Korrektur kommen, und Sie werden dann Ihre Keule, die Sie jetzt mit so großer moralischer Entrüstung schwingen, wieder einpacken müssen. Seien Sie da vorsichtig!
Die SPD begrüßt es, daß es einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen gibt. Dieser Punkt war auch in unserem Gesetzentwurf enthalten.
Was immer noch fehlt, ist eine Beseitigung der Benachteiligung bei der Rentenüberführung für die Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post für die Zeit zwischen 1971 und 1973. Ich gehe davon aus, daß unser Versuch, mit einem Änderungsantrag noch eine kleine Korrektur am Gesetzentwurf der Regierung anzubringen, erfolgreich sein wird. Ich jedenfalls würde mich für die Postbediensteten und die Reichsbahner freuen, wenn uns das gemeinsam gelänge. Sie haben sicher genauso wie ich unzählige Briefe von Betroffenen bekommen. Ich glaube, hier ist eine Korrektur notwendig.
Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir nun ein zweites Korrekturgesetz zum Renten-Überleitungsgesetz. Ich bin sicher: Es ist nicht das letzte. Denn auch dieses Korrekturgesetz heilt nicht die grundsätzliche Verletzung der Wertneutralität unseres Rentenrechtes; es wird deshalb nicht die notwendige befriedende Wirkung haben. Ich bedauere das sehr, und ich hoffe, daß wir uns irgendwann einmal wieder - sei es um Mitternacht, sei es Freitagnachmittag um eins - hier zur Beratung eines weiteren Korrekturgesetzes treffen werden. Ich hoffe, daß wir nicht so lange warten müssen, bis das Bundesverfassungsgericht uns eine entsprechende Änderung aufgibt.
Vielen Dank.