Rede von
Petra
Ernstberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Möge der Zahn der Zeit, der schon manche Träne getrocknet hat, auch über diese Wunde Gras wachsen lassen! " Diesen einmal scherzhaft gebildeten Satz möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen auf dieser Seite des Plenums zurufen, vor allem aber unserem Minister, der inzwischen bei der Bevölkerung als Dracula des Gesundheitswesens bekannt ist.
Ich möchte diese Debatte zum Schluß um eine weitere Pointe, betreffend die Regierungskoalition, ergänzen.
Diese Wunde, über die der Zahn der Zeit hätte Gras wachsen lassen können, ist die unsägliche Geschichte einer Mehrkostenregelung bei zahnerhaltenden Maßnahmen. Seit 1994 versucht die Bundesregierung, über das Vehikel des 8. Änderungsgesetzes zum SGB V das durch die SPD im Gesundheitsstrukturgesetz verhinderte Konzept der Regel- und Wahlleistungen geradewegs durch die Hintertür einzuführen.
Trotz Ablehnung durch den Bundesrat, trotz aller mannigfaltig vorgebrachten Kritik in den Ausschußsitzungen und trotz aller mahnenden Argumente der Sachverständigen in der Anhörung vom April dieses Jahres sind die Vertreter der CDU/CSU und F.D.P. weiter auf dem Marsch in ein anderes Krankenversicherungssystem,
das Parität und Solidarität als gleichsam antiquierte Relikte aus der Rumpelkammer des Sozialstaates flugs über Bord schmeißt und in dem ganz bewußt als zentrales Strukturmerkmal die Mehrklassenmedizin zementiert werden soll.
Es ist unbestritten, daß durch die Amalgamdiskussion in den Medien und die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vorgenommene Einschränkung der Indikationen für Amalgamfüllungen ein unbefriedigender Zustand in der Zahnmedizin entstanden ist. Zu verzeichnen sind sowohl ein verstärktes Angebot an alternativen Füllverfahren als auch die verstärkte Nachfrage nach diesen Verfahren.
Bis vor nicht allzu langer Zeit war es parteiübergreifender Konsens, daß die Versorgung kariöser Läsionen mit Füllungen im Rahmen der solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen gewährleistet sei.
Die Erbringung dieser Leistungen erfolgte traditionell nach dem Sachleistungsprinzip.
Nun aber dieser zentrale Anschlag auf dieses tragende und bewährte Element unserer gesetzlichen Krankenversicherung: Ersonnen im Dunstkreis des politischen Olymps von Herrn Seehofer, aufgenommen und vorangetrieben von dessen konservativen und liberalen Fußtruppen wird die Abkehr vom Prinzip der Sachleistungen vollzogen.
Herr Möllemann und befehlsgemäß Herr Seehofer nehmen Abschied vom Grundsatz, daß alle Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen allen Versicherten im gleichen Umfang zugänglich sein sollen. Nach den Vorstellungen der gesundheitspolitischen und sozialpolitischen Amokläufer von dieser Seite wären Standardfüllungsleistungen mit erprobten und geeigneten Materialien einschließlich Komposit nicht mehr ohne zusätzliche Kosten für den Patienten verfügbar. Die große Mehrheit der Versicherten müßte ihre Füllungsleistungen über die Krankenkassenbeiträge zuzüglich weiterer Zuzahlungen finanzieren.
Meine Damen und meine Herren, heute heißt Breitenversorgung einfach Füllungsversorgung. Bei den Kunststoffüllungen ist es so, daß die Patienten zur Zeit 30 bis 50 DM zuzahlen müssen. Das heißt, bei vier Stück kämen sie auf 200 DM Zuzahlung und müßten sich darüber hinaus mit dem Zahnarzt auch noch über Ratenzahlungen streiten.
Ihnen, Herr Möllemann und Herr Seehofer, liegt erwiesenermaßen sehr viel an Ihrem Wählerpotential der Zahnärzte. Das, was Sie nun mit diesem Gesetz gemacht haben, ist nichts anderes als ein großartiges Geschenk an die Klientel der Zahnärzte.